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Beschreibende Darstellung
der älteren
Bau- und Kunstdenkmäler
der
Provinz Sachsen
und angrenzender Gebiete.
Herausgegeben
von der
Historischen Commission der Provinz Sachsen.
Neue Folge. Erster Band.
Die Stadt Halle und der Saalkreis.
. Mit 32 Tafeln und gegen 400 in den Text gedruckten Abbildungen.
Halle a. d. S.
Druck mul Verlag von Otto Hendel.
1886.
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Beschreibende Darstellung
der älteren
Bau- und Kunstdenkmäler
der
Stadt Halle und des Saalkreises.
Bearbeitet
von
Gustav Sehönermark,
Architekt.
Halle a. d. S.
Druck und Verlag von Otto Hendel.
1886.
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f
-Als es die Historische Commission der Provinz Sachsen vor
nunmehr sechs Jahren unternahm eine beschreibende Darstellung der
älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Heimatlandes herauszugeben,
konnte sie sich nicht entschliessen einer oder der andern der aus
Nachbarprovinzen bereits vorliegenden ähnlichen Arbeiten als Muster
unbedingt zu folgen, sondern zog cs vor ihre eigenen Wege zu gehen.
Ohne diesen Beschluss bereuen zu müssen und ohne das bisher Ge-
leistete verwerfen zu dürfen, haben der Commission die inzwischen
gemachten Erfahrungen doch einige Aenderungen in der Form des
Werkes wünschenswerth erscheinen lassen. Noch dürfte es an der Zeit
sein diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. An erster Stelle schien
es angezeigt im Intrcssc der Abnehmer eine Veröffentlichung des
Werkes in Lieferungen zu veranstalten; dieselben werden in kürzeren
Zwischenräumen regelmässig einander folgen, während die Hefte bisher,
je nachdem sie einen an Denkmälern reicheren oder ärmeren Kreis be-
handelten, nur in höchst ungleichen, oft überlangen Pausen erscheinen
mussten. Die erschienenen Lieferungen werden sich nach wie vor in I lefte
zusammenfassen lassen. Zugleich glaubte die Commission bei der Be-
arbeitung eines Kreises wie Halle, der einen hervorragenden Schatz
an bemerkenswerthen mittelalterlichen Denkmälern besitzt, von der mehr
statistischen zu einer nahezu monographischen Behandlungsform über-
gehen und eine ähnliche mehr oder minder erschöpfende Darstellung
bei gleich hervorragenden Kreisen auch für den weiteren Fortgang
des Unternehmens ins Auge fassen zu sollen.
So schien es denn gerathen mit dem die Stadt 1 lalle behandelnden
Abschnitte des Werkes eine „Neue Folge“ zu beginnen. Den Besitzern
der älteren Abtheilung wird hieraus kein Nachtheil erwachsen; sollte
später ein oder das andere der bereits ausgegebenen Hefte in der
„Neuen Folge“ eine umgestaltete Ausgabe erfahren, so wird der Herr
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Verleger dieselbe gegen Einlieferung der älteren verabfolgen. Ausser-
dem wird ihnen auf Wunsch auch ein in der ursprünglichen Form
eingerichtetes Doppeltitelblatt nebst Umschlag geliefert werden.
Inzwischen ist die Beschreibung der Baudenkmäler der Stahlt
Halle mit einer grösseren Zahl von Abbildungen ausgestattet worden,
als selbst dem angenommenen erweiterten Masstabe entsprochen hätte;
es wurde dies dadurch möglich, dass sich der Magistrat der Stadt
Halle freundlichst bereit finden Hess, einen sehr schätzbaren Beitrag
zu den Herstellungskosten zu gewähren, und wir verfehlen daher nicht,
für die gewordene Beihülfe hier unserem lebhaftesten Danke gebührenden
Ausdruck zu geben.
Möchte sich das Werk auch in der neuen Gestalt der lebhaften
Thcilnahme in engeren und weiteren Kreisen wie das bisher Gelieferte
erfreuen; möchte es ferner dazu dienen die Bekanntschaft der jüngeren
Geschlechter mit den künstlerischen Leistungen der Vorältcrn zu
fördern, die Achtung vor denselben und die Liebe zur Heimat zu
bewahren.
Die Historische Commission
der Provinz Sachsen.
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Inhalt des ersten Bandes.
1. nie Stadt Halle.
A. Kirchliche Bau- umi Kunstwerke.
Gefchichtliche Einleitung mit Nachtrag
Seite
(
Kunftwerke der St. Ulrichskirche . .
185
6
218
Hallefcbes Wahrzeichen an der
Kunftwerke der Domkirche ....
2f6
Marktkirche
24
Predigerhäuser am Dom
260
Leipzigerftrasse Nr. 107 . . . .
26
Kunftwerke der Neumarktkirche . .
264
Kunftwerke der Markikirche ....
so
T)ie Glauchaische Kirche
273
Die St. Moritzkirche
»5
Kunftwerke der Glauchaischen Kirche
274
Holzfäulen a. d. Herrenftrasse Nr. 12
_L2£i
Der rothe Thurm
277
Kunftwerke der St. Moritzkirche . .
HO
Die Betsäule
294
168
B. Profane
Bau-
und Kunstwerke.
Die Moritzburg
299
Haus der Ecke Marktplatz* Klein-
Die Stadtmauern, Thore u. s. w. . .
327
fchmieden
aoaT"
Das Rathhaus
337
Wagegebäude
Andere Profanbautcn
345
Die Neumühle
404 - - '
Holshäuser
146
Das Thal haus
40S
Steinbauten
3 so
Die Schäme
417
Portalentwicklung
3^5
Portal Leipzigerftrasse Nr. S
418
Einzelne Rauwerke:
Marienbibliothek
420
Kühler Brunnen
?8:
Haus Grosse Ulrichftrasse Nr. ^
421
Residenz
388
Stadt - Gottesacker
422
Haus Brüderftrasse Nr. 8 ....
321 .
Kunftgefchichtliche Ueberficht . .
•Ui
LL_
Der Saalkreis.
Einleitung
443
Gönnern ....
465
Ammendorf
446
Dachritz
473
Bcbitz
447
Dalena
473
Bccsedau
447
Dammendorf
474
Beesen
447
Deutleben
Beesenlaublingen
449
Diemitz
Böllberg
454
Dieskau
476
Brachftedt
457
Dobis
477
Brachwitz
460
Döblitz
479
Brafchwitz
461
Döllnitz
482
Büfchdorf
462
DöfTcl
48 t
Cancna
425
Domnitz .
4ä3
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Inhalt.
VIII
SoiU» |
-
Seite
Donüt/
. . 4»4 i
Pcifscn • . . .
>>*
Eismannsdorf
. ■ 4*4
Petersberg .
vvi
Garsena . .
. . 484
Plöfsnitz
Giebichenftein
. . a86 1
Poplitz.
>6>
Gimritz .........
. . 494 1
Priester
566
Görbitz
. . 405
Radewell
>66
Grofxkugel
. . 496
Reideburg
>68
Gutenberß
. . 497
Rothenburg
>70
Hohenedlau
■ • 409
Schiepzig
57»
Hohenthurm
Schlettau .
573
Kaltenmark
. . 502
Schwerz
>74
Kirchcdlau
• • üo:
Seeben
S7S
Krofigk
Senne witz * . .
Lebendoif
. . ;io
Sieglitz
577
Lettewitz
• . SM
Spickcndorf
Lettin
. .
Sylbitz
580
Lieskau
Teicha
584
Lochau
Trebitz
>88
Löbejün
• • 517
Trebnitz
>88
Löbnitz a. <1. Linde
>90
Merbitz
UnterraaGchwitz
590
Mitteledlair
. . 525
Unterpeifsen
5«
Mötzlich
Wallwin . : : : ; : • ; . ■
. so*
Morl
>93
Mücheln
600
Nauendorf am Petersberge
. . «8
600
• Ncutz
Cot
' Niemberg
Kunftgcfchichtliche Ueberficht zum
Nietlebcn
Saalkreifc
. 604
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Nachtrag zuin I. Bande
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Osmünde 549
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/HARVARD^
UNIVERSITYl
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üCT / 1952 J
Ais es die Historische Commission der Provinz Sachsen vor
nunmehr sechs Jahren unternahm eine beschreibende Darstellung' der
älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Heimatlandes herauszugeben,
konnte sie sich nicht entschliessen einer oder der andern der aus
Nachbarprovinzen bereits vorliegenden ähnlichen Arbeiten als Muster
unbedingt zu folgen, sondern zog es vor ihre eigenen Wege zu gehen.
Ohne diesen Beschluss bereuen zu müssen und ohne das bisher Ge-
leistete verwerfen zu dürfen, haben der Commission die inzwischen
gemachten Erfahrungen doch einige Aenderungen in der Form des
Werkes wünschenswert!] erscheinen lassen. Noch dürfte es an der Zeit
sein diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. An erster Stelle schien
es angezeigt im Interesse der Abnehmer eine Veröffentlichung des
Werkes in Liefeningen zu veranlassen; dieselben werden in kürzeren
Zwischenräumen regelmässig einander folgen, während bisher die Hefte,
je nachdem sie einen an Denkmälern reicheren oder ärmeren Kreis l>e-
handelten, nur in höchst ungleichen, oft überlangen Pausen erscheinen
mussten. Die erschienenen I .ieferungen werden sich nach wie vor in 1 lefte zu-
sammenfassen lassen. Zugleich glaubt die Commission bei der Bearbeitung
eines Kreises wie Halle, der einen hervorragenden Schatz an bemerkens-
werthen mittelalterlichen Denkmälern besitzt, die Behandlungsform ge-
funden zu haben, die am meisten dem diesseits vorschwebenden Ziele nahe
kommt; noch haften ja den bisher erschienenen Heften mehr oder
weniger Spuren der in anderen Provinzen beliebten kahleren statistischen
Bearbeitungsart an. So schien es denn gerathen mit dem die Stadt
Halle behandelnden Abschnitte des Werkes eine „Neue Folge“ zu be-
ginnen. Den Besitzern der älteren Abtheilung wird hieraus kein Nach-
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theil erwachsen; sollte später ein oder das andere der bereits ausge
gebenen Hefte in der „Neuen Folge“ eine umgestaltete Ausgabe
erfahren, so wird der Herr Verleger dieselbe gegen Einlieferung der
älteren verabfolgen.
Möchte sich das Werk auch in dieser Gestalt der lebhaften Theil -
nähme in engeren und weiteren Kreisen wie das bisher Gelieferte
erfreuen; möchte es ferner dazu dienen die Bekanntschaft der jüngeren
Geschlechter mit den künstlerischen Leistungen der Yorältern zu
fördern, die Achtung vor denselben und die Liebe zur Heimat zu be-
wahren.
Die Historische Commission der Provinz Sachsen.
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I.
Die Stadt Halle.
A. Kirchliche Bau- und Kunstwerke.
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Gefchichtliche Einleitung.
Es find die am rechten Ufer der Saale gelegenen Salzquellen, welche
das Entliehen der Stadt Halle veranlafst und dem Orte den Namen
gegeben haben Tollen: aiX? izo; Salz, Halla, Hall, Halle. Allerdings i(l
nicht diefer, fondem der Name Dobregora oder Dobrefol,1 welcher, fo lange
die Sorbenherrfchaft in diefer Gegend ungebrochen war, alfo bis zum An-
fang des 9. Jahrhunderts, gebraucht wurde, der ältelle. Um diefe Zeit kommt
der Name Halla wohl einmal und zwar zum erilen Male vor, aber nicht
für den Salz bereitenden Ort, fondem für eine Burg (castel/um, civi/asj, die
So6 von König Karl, dem Sohne Karls des Grofsen, in diefer Gegend ge-
gründet wurde. Erll zu Anfang des 1 1. Jahrhunderts, nachdem lieh der
Ort zu einer anfehnlichen Stadt entwickelt hatte, ill der Name Halle lür
die Salzlladt gebräuchlich geworden.
Die Kämpfe zwifchen den Sorben und Deutfchen. die bis in die Mitte
des io. Jahrhunderts fortdauerten, verhinderten das Autblühen des Ortes
wefentlich. Namentlich verhängnifsvoll mufste ihm die Burg Halla werden,
wenn diefelbe wirklich jenes schwarze Schlofs ill, das bis zur Erbauung
der Moritzburg an deren Stelle lag,* weil um lie der Kampf gewifs haupt-
lachlich und belländig getobt haben wird. Wie unbedeutend Halle noch
in der zweiten Hälfte des io. Jahrhunderts gewesen sein mufs, erhellt daraus,
dafs 961 bei Gelegenheit der Schenkung des Gaues Nelitici (Saalkreifes) an die
Moritzkirche des alsbald zu creirenden F.rzbisthums Magdeburg zwar die
salzigen GewälTer erwähnt werden, aber der Name des Ortes noch nicht.
973 kommt in einer Bellätigungsurkunde diefer Schenkung der flavische
Name vor. Unerwiefen ill zwar die überlieferte Annahme, dafs der Ort qti i
von Otto II. das Stadtrecht bekommen habe, allein es ill möglich, dafs er um
diefe Zeit durch eine Ringmauer zu einem Ilädtifchen Gemeinwefen zufammen-
gefafst ill, da fchon im frühen Mittelalter ein kleineres Stadtgebiet als das
jetzt noch an feinen fpätmittelalterlichen Mauerrellen erkennbare vorhanden
gewefen fein mufs; fchon im 15. Jahrhundert ill von einem alten Markte mit
einem alten Rathhaufe und dem älteflen Heiligthume der Stadt der S. Mi-
chaeliskapelle, die Rede. Das „Thal,“ der Salzquellen oder die „Halle,"
welllieh von der Saale begrenzt, wird naturgemäfs der Mittelpunkt diefer
erilen Häufer gewefen fein, den lie auf den drei andern Seiten hufeifen-
1 Diefes wendifche Wort soll gutes Salz bedeuten.
* Und da* ift aus flrategilchen und anderen Gründen fehr wahrfcheinlich (fiehe vom
Hagen, 1.54).
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. I
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2 DIE STADT HAI.I.E u. d. SAALKKKIS.
förmig umzogen. Allein während (ich nördlich vom Thale die Frankenfeite
Halla erhob, befanden fich die Wohnhäufer Dobrefols, wie man mit
Rücklicht auf die Lage des alten Marktes anzunehmen genöthigt id, in ihrer
HauptmalTe füdlich von den Quellen, vielleicht eben wegen der verhafsten
Burg. Das Bild der Stadt zu ver voll Händigen müden wir noch der Warten
gedenken, jener Ritterfitze der angefiedelten Sachfen, die zur Nieder-
haltung der alten Bevölkerung hierorts Ländereien und Antheil an ilen
Soolgütern bekommen hatten. Zu Anfang des 12. Jahrhunderts ift der
Ort zu einer lebhaften Stadt des Handels zwifchen den deutfchen und
flavifchen Ländern erblüht und fein Gebiet fcheint fchon jetzt durch die
Linie der noch heute in den Reden erkennbaren, fpätmittelalterlichen
Ringmauer umgrenzt gewefen zu fein.
Ueber die Eintheilung der Bürger und übe# die dädtifche Verfalfung
Halles im Mittelalter fei Folgendes bemerkt: Die Herrfchalt in der Stadt
führten die „ Gefchlechter,“ jene aus den fächfifchen Adelsfamilien ent-
dandenen Kaufmannsaridokraten , die „Pfänner“ oder „Salzjunker'' genannt
wurden. Ihnen immer ergeben waren die „Halloren“, das Volk der Salz-
lieder, das noch bis jetzt feine Sondertracht behalten hat und wendifcher
Abkunft zu fein behauptet, wiewohl neuere Forfcher in ihm die Rede der
fränkifchen Colonie fehen wollen. Nach den Pfännern kamen die Innungen,
1162 bedätigt, feitdem aber fehr gewachfen an Zahl und Macht. Alle übrigen
Einwohner gehörten der gemeinen Bürgerfchaft an. (Jeber die Verladung
wäre zu Tagen, das obenan der alljährlich wechfelnde Rath dand, welcher
von Pfännern mit zwei Rathsmeidern an der Spitze gebildet wurde. Nach
mancherlei Kämpfen find auch die Innungen und die gemeine Bürger-
fchaft feit dem 15. Jahrhundert im Rathe vertreten, ja verdrängen die Ge-
fchlechter fchliefslich fogar fall ganz aus den Rathsdellen. Mit der Aus-
übung der weltlichen Gerichtsbarkeit wurde vom Erzbifchhof ein Burggraf
beliehen, welcher dann aus den hallefchen Patriciern einen Schultheifsen an
feine Stelle wählte. Die Criminalproceffe fanden vor dem Rolande datt.
Aulser diefem Gerichte, welches das „Berggericht“ hiefs, gab es noch ein
zweites in der Stadt, das ..Thalgericht;“ vor ihm wurde Recht gefprochen
über die, welche zu dem Thale gehörten. Sind die Streitigkeiten der Par-
teien um die Verfafiung bez. um die Herrfchaft von Einflufs auf die bau-
liche Entwickelung der Stadt geworden, fo hat auf folche die Kirche wie
anderwärts auch hier wohl einen noch gröfseren Einflufs gehabt, und der-
felbe ill namentlich von dem Kloder zum Neuen Werke (1116 gegründet),
delfen Probft in dem Bannus Ilallcnsis, dem Gebiete zwifchen Saale, Elster
und Fuhne, die geidliche Infpection und Jurisdiction hatte, ausgegangen.
Zumeid aber haben zwei grofse Brände die Phyfiognomie der Stadt bedimmt :
1136 wurden fad alle Häufer in Afche gelegt und den 28. September 1312
zum andern Male ; man habe vom Marktplatze zu allen Thoren hinausfehen
können, wird berichtet, ja bis 1542 id zur Erinnerung an diefen Unglücks-
tag jährlich eine kirchliche Feier gehalten worden. Trotz fo fchwerer Schick-
falfchläge entwickelten fich Handel und Gewerbe in der Stadt fort. Gegen
Ende des 14. Jahrhunderts mufs die Stadt überaus mächtig und blühend
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GESCHICHTLICHE F.INLRITfftG. 3
gewefen fein; der Höhepunkt der Gefchlechterherrfchaft war gekommen,
fie artet zu Anfang des 15. Jahrhunderts aus, und die Vertreter der anderen
Volksklafien beginnen fich gegen fie aufzulehnen. Es hatte fich eine
Ariftokratenpartei und eine Demokratenpartei gebildet, und letzterer, von
Demagogen wie Henning Strobart und dem Schulter Weifsack geleitet,
gelang es, die Herrfchatt der Gefchlechter zu vernichten, zugleich aber
fcheute man fich nicht die Selbftändigkeit der Stadt preiszugeben. Am
;o. September 1478 drangen die Kriegsleute des Erzbi fc hofs Er n ft in das
Ulrichsthor und überwanden näch kurzem Kampfe die Bürger; der Erzhifchof
aber erbaute 1484 — 1503 die Moritzburg, die Stadt Itändig in Gehorfam zu
erhalten. Die Regierungszeit des Cardinais Albrecht, die nun folgt und
gewifleimaafsen das Zwifchenglied zwifchen dem Mittelalter und der Neu-
zeit bildet, ilt für die bauliche Entwickelung Halles wohl die allermerk -
würdiglle geworden, einestheils in Folge der grofsartigen Bauthätigkeit
diefes Kirchenfürften , anderntheils eben wegen der Geburt der Neuzeit,
die gerade in diefe Zeit fällt. Die Nachfolger des Cardinais Albrecht, feit
1568 protellantifch und Adminiftratoren des Erzftiftes genannt, haben
keinen befonderen Einflufs auf die bildende Kunft geübt; es ilt jedoch
nicht wahr, dafs aus diefem Grunde die Kunfithätigkeit Halles bereits im
10. Jahrhundert weniger lebhaft geworden fei; diefelbe ilt beltändig, namentlich
aber gegen den Schlufs des Jahrhunderts fehr regfam, aber fie fchafft nicht
mehr grofse, monumentale Kirchenbauten, fondem bringt jetzt zahlreiche
Bürgerhäufer monumentalen Charakters hervor, bis der dreifsigjährige
Krieg ihr wie allen friedlichen Befchäftigungen ein Ende bereitete. Als
wieder geordnete Zultände eintraten, war die Stadt fehr verwültet und
die Bürger waren fo arm, dafs von einer Bauthätigkeit kaum noch die Rede
fein konnte. 1680 wurde das Erzftift Magdeburg ein Herzogthum des
Haufes Hohenzollern-Brandenburg und Halle verlor dadurch auch
den Charakter einer Refidenz. Indeffen, als zu diefer Zeit der alten Be-
völkerung ganz neue Elemente hinzugefügt wurden, nämlich Familien der
nach Aufhebung des Edicts von Nantes fliehenden franzöfifeben Pro-
teftanten und jener reformirten Pfälzer, die vor den Verwüftungen Ludwigs
XIV. flohen, da entftand zwar eine barocke Nachblüthe der Kunftentfaltung
hundert Jahre ^uvor, aber weder an Zahl noch an Gediegenheit wurden die
I-eilfungen von früher erreicht. In der letzten Hälfte des 18., und in der
erden unferes Jahrhunderts entwickelte die Stadt nur fehr wenig Leben;
erd in den letzten Jahrzehnten hat fie fich in ungewohnter Weife ausgedehnt,
weit über ihre alten Grenzen hinaus.
Vororte allerdings hat die Stadt fchon in alter Zeit gehabt. Unter
ihnen wird Glaucha, im Süden vom Steinwege bis zur Saale gelegen, zuerfi
genannt ; namentlich der Ritterfitz derer von Glouch, das Dorf Kli tfchen-
dorf und Bellendorf haben ihn gebildet, 1121 hat er fchon eine Pfarrkirche.
Einige Ritterfitze nördlich von der Stadt und wahrfcheinlich auch die
Wohnungen der Werkleute des Klolters zum Neuen Werke haben die
F.ntdehung Neumarkts veranlafst. Schon im 4. Jahrzehnt des 12. Jahr-
hunderts mufs die Pfarrkirche diefes Vorortes gegründet fein. In die älteften
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4
DIE *TAI1T HAI. LE u. d. SAALKREIS.
Zeiten läfst fich auch die Entftehung des 1493 aufgehobenen Juden-
dorfes auf dem Terrain nördlich um das fchwarze Schlofs (fpäter Moritz-
burg) fetzen; bereits 1013 werden die Hallefchen Juden genannt. Die Dörfer
Petersberg und Ringleben zwifchen dem Stein- und Ulrichsthore werden
fchon 1213 genannt.
Auf dem linken Saalufer und den Saalinfeln liegt der Stroh;-
hof, deffen Name von den ehedem hier befindlichen Strohfcheunen
der Salzfieder hergekommen ift. Der Ort wird fchon früh entftanden
fein, aber erft 1539 erhalten die Bewohner Ortsftatuten. Die eigent-
lich zu ihm gehörige Klausthorvorlladt ift erft im 18. Jahrhundert mit
dauerhaften Häufern bebaut worden. Häufer vor dem Stein- und Leipziger
(Galg-) Thore werden im Mittelalter noch nicht genannt. Im 16. und
17. Jahrhundert find jedoch fchon eine nicht unbeträchtliche Zahl vor
jedem Thore vorhanden gewefen.
N achtrag.
In Halle find folgende Klöfter vorhanden gewefen; das Moritz-
klofter, 1184 geweiht, lag an der Südfeite der Moritzkirche. 1200 wurde
an dem weltlichen Saalarm vor dem Klausthore von den Deutfchherren die
Komthurei St. Kunigunde angelegt und im it>. Jahrhundert wieder
befeitigt. 127t foll das Dominikanerklofter St. Pauli zum h. Kreuz
nördlich von dem fpäter gebauten Dome gegründet fein. Wo jetzt das
Univerfitätsgebäude lieht wurde von Bettelmönchen das Barfüfserklofter
ebenfalls noch im 13. Jahrhundert gegründet. Seit 1306 wohnten die Marjen-
knechte vor dem Galgthore. feit 1339 in der Galgftrafse (jetzt Leipziger-
ftrafse). Als einziges Nonnenklofter von baulicher Bedeutung ift das der
Cifterzienfernonnen „ Marien - K amm er“ anzuführen. Es wurde
1231 bei der Kirche St. Georgii in Glaucha angelegt.
Kapellen gab es in Halle folgende; Die angeblich ältefte aller ift
die Michaeliskapelle, im 16. Jahrhundert zu einem Bürgerhaufe ausge-
baut ; was fich von ihrem Thurme noch erkennen läfst, verweil! allerdings
ihre Entftehung erft in die fpätgothifche Zeit, selbft die Fundamente
fcheinen nicht älter zu fein. tu8, wahrfcheinlicher fchon 1117 wurde von
* dem Markgrafen Wigbert II. von Groitfch die St. Jacobik apelle
an der Ecke des kleinen und grofsen Sandberges geftiftet.
Die zwifchen grofser und kleiner Klausftrasse gelegene Kapelle
St. Nicolai dürfte in Hinficht auf die Angabe der Chroniften, dafs ihr Alter
noch hinter das der St. Gertrudenkirche zurückgehe, ein romanifcher
Bau gewefen fein. Die Kapelle St. Lamperti am Kornmarkte lag auf
dem Häuferblock Markt, Kleinfchmieden, Schlamm, Kühler Brunnen. Sie
wird 1 12 1 genannt.
In eben dem Jahre wird die Kapelle St. Pauli an der Südfeite der
Brüderftrafse erwähnt. Von der auch 1121 genannten Kapelle St. Aegidii
willen wir die Lage nicht mehr. Die Capelle St. Matthiae und der
10000 Ritter war auf dem Ritterhofe derer von Grafshoff erbaut. 1310
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GESCHICHTLICH!-: EINLEITUNG.
s
wird fie zuerft erwähnt. 1326 wird als neu erbaut die Capelle St. Sepulchri,
im Thale gerade vor der Gaffe des Moritzkirchhofes gelegen, erwähnt. 1327
gefchieht der in das Rathhaus verbauten Kapelle St. Crucis zucrlt Erwäh-
nung. Wo die Kapelle St. Nicolai bei der Marienkirche gellanden hat,
weifs man nicht: 146g wird iie erwähnt.
1472 ift die füdlich an die Vorhalle der Moritzkirche ftofsende
St. Eli fabethkapelle geweiht worden.
Ueber die St. Wolf gangskapelle läfst lieh nach dem von ihr
herrührenden Dachreiter auf der Wellecke der jetzigen Ulrichskirche ver-
muthen. dafs fie kaum in das 14. Jahrhundert zu fetzen ift.
Die Kapelle Trium Regum foll auf dem Trödel gleich an der Halle
geftanden haben. Eine Kapelle St. Annae ftand hinter dem Rathhaufe,
wahrfcheinlich hinter d. h. öftlich von dem jetzt in die Wage verbauten Thurme.
Sie wird die bei Olearius als „an der Wage“ benannte Kapelle sein.
Aufserhalb der Ringmauern gelegen und zu den Hospitälern gehörig
find folgende Kapellen: die St. Petri auf dem jetzigen Theaterbauplatze.
Siebeftand fchon 1213.
Die Martinskapelle auf dem im 16. Jahrhundert angelegten Gottes-
acker, wahrfcheinlich ein romanifcher Bau, 1547 abgebrochen. Vor dem
Klausthore lag die Kapelle St. Alexandri.
Auf dem Platze der Ziegelfcheunen erbaute 1476 der hallefche Zinn-
giefsermeifter Nicolaus Schiedeberg die Kapelle SSt. Mariae Magda-
lenae, Wenzeslai et Wolfgangi.
Auf dem Ritterfitze derer von Dieskau auf dem Neumarkte, etwa
an der Ecke der Breiten- und Geiftftrafse , lag die Kapelle St. Andreae;
1400 wird fie erwähnt.
i In dem Deutfchherrenklofter vor dem Klausthore lag die Kapelle St.
Kunigunde, um 1200 genannt.
In dem zum Moritzklofter gehörigen Hospitale, welches am Waller
nördlich der Moritzkirche lag, befand (ich die Kapelle St. Johannis, 1220
gegründet.
In dem Hospitale St. Antonii, welches öftlich von der jetzigen Geift-
llrafse lag. befand (ich die Kapelle St. Spiritus. Das Hospital wurde
1241 zuerft genannt.
1341 war vom Rathe der Stadt das Hospital St. Cyriaci und 1343
eine diefem Heiligen geweihte Kapelle in ihm angelegt; es lag auf dem
Platze der jetzigen Refidenz.
Die Kapelle Omnium Sanctorum wird die 1537 in den Nordflüge]
der Refidenz eingebaute sein.
Endlich fei noch das von dem Erzbifchof Adelgotus nördlich von
der Stadt am rechten Saalufer 1116 — 1121 erbaute Klofter zum Neuen
Werke genannt, in deffen Kreuzgange die Kapelle St. Johannis (1317?)
und auf deffen Friedhofe die Kapelle SSt. Michaelis, Catharinae et
Georgii (1397 ?) lag.
\
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Die Kirche zu U. L. Frauen.
Einleitung.
Geschichte.
Lase.
Bauherr.
\l Tas fich uns im Wefentlichen durch das Baudenkmal der Kirche zu
'y Unfer Lieben Frauen, gegenwärtig' fall nur noch nach ihrer
Lage fchlechtweg „Marktkirche" genannt, fichtbar darlegt, ill wie
im Dome die Kntllehung der KenailTance, das Losringen der modernen Lebens-
zulländg von den mittelalterlichen Hinrichtungen und Anfchauungen. An
keinem zweiten Bauwerke in Halle läfst fich die Art und Weife des Hervor-
gehens, der eigentliche Geburtsact von den erlien Wehen an in feinen ver-
fchiedenen Stadien fo fehr in das Einzelne verfolgen, wie an den Formen, die hier
während des Kirchenbaues gemacht worden find. Klarer denn je liegen auch
die Urfachen zutage, welche das Kunllformale als unmittelbare Wirkung zur
Folge hatten, fodafs leicht erkannt werden mag, warum eine wefentliche
V erfchiedtnheit zwifchen den Erftlingswerken der Renaiflance im Dom und
denen der Marktkirche fein mufs. Aus dielen Gründen wird die Betrach-
tung der Marktkirche von Intereffe sein, mag unfer Auge den Mangel des
Baues an Einheitlichkeit, an guten Verhältniffen und an dem, was sonll
unumgänglich zur Schönheit gehört, noch fo unangenehm empfinden.
Die fonderbare Entllehungsgefchiclue desjenigen Kirchengebäudes,
welches wir heute fehen, ill folgende: Von den vier Pfarrkirchen, die es in
Halle bis zur Reformation oder vielmehr bis zu den Zeiten des Cardinais
Albrecht gab, Händen zwei dicht hinter einander auf dem jetzigen Markt-
platze. Es waren die Marienkirche und die Gertrudenkirche. Sie lagen,
wie die Regel es will, mit ihren Thürmen in Wellen und fall in einer Linie .
fo hinter einander, dafs zwifchen den Thürmen der Marienkirche und dem
Chore der Gertrudenkirche nur ein Raum verblieb, eben grofs genug, dafs
man die Kirchen in Procefiion umfehreiten konnte. Es ill hieraus fchon
erlichtlich, dafs die Marienkirche öftlich von der Gertrudenkirche lag. und
es erübrigt noch hinzuzufügen, dafs beide, umgeben von ihren Friedhöfen,
den welllichen Theil des jetzigen Marktplatzes einnahmen, während ölllich
von ihnen die Budenreihen der Kaufleute aufgefchlagen waren; die Rath-
hausfront fchlofs wie heute den Platz dort ab.
Der Cardinal Albrecht ill es, der in diefem Zuftande der Oert-
lichkeiten und Verhältniffe eine völlige Umwandlung hervorrief. Er liefs
i.szt) die Marienkirche bis auf ihre Thürme abbrechen und ebenfo die Ger-
trudenkirche und verband beide Thurmpaare durch ein neues Langhaus.
So entftand das Gebäude der heutigen Marktkirche mit ihren Hausmanns^
thürmen in Ollen, den Ueberrellen der Marienkirche, und mit ihren blauen
Thürmen in Wellen, den letzten Stücken der Gertrudenkirche. Demgemäfs
änderte der Cardinal auch die Kirchfpiele, fodass nach Befeitigung des
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DIE KIRCHE 7.1' V L. FRAUEN. 7
der Marienkirche, welches wie das Gotteshaus mit der Gertrudenkirche
vereinigt wurde, nur noch drei in der Stadt waren. Die neue Kirche aber
erhielt den Namen lieatae Mariae oder Unfer Lieben Frauen Kirche. Mit
der Zeit wurde fie ihrer Lage wegen kurz als Marktkirche bezeichnet und
diefe Benennung ift auch heute die gebräuchlichlle.
Warum kam der Cardinal auf folchen Plan, der das Jahrhunderte lang Bauvcranlassung
Begehende in radikal Iler Weife befeitigte, ohne erfichtlichen Zwang und
ohne wefentlich BeiTeres dafür zu bieten? Die Chroniken führen mehrere,
»ach fehr plaufibele Gründe auf, die zur Entfernung der Marienkirche Anlafs
worden. Der ,.K ühleBrunnen“ und die zugehörigen Häufer am Markte (an
Stelle der Lampertikapelle eben neu erbaut) waren von Hans Schönitz durch
des Cardinals Mittel zu einem Abfteigequartier für den letzteren pomp-
haft eingerichtet, aber die Marienkirche mit ihrem Friedhöfe und Beinhäufern
bot keinen angenehmen Anblick und hinderte die Ausficht auf den verkehrs-
reichen Marktplatz; auch mochte fie denVerkehr vor diefen Schönitz'fchen
Haufem beeinträchtigen. Es wird dann von einem Geldlchatze mit Briefen
über die Freiheit der Stadt Halle gemeldet, welcher zwifchen den Haus-
mannsthürmen verborgen gewefen und nachher aufgefunden fei; fchliefslich
Men auch Rückfichten auf Gelderfparung für die Unterhaltung der Geitl-
iichen an einer ftatt an zwei Kirchen mitgewirkt haben, um den Cardinal
zu Verhandlungen mit dem Rathe der Stadt zu bringen.
Hs möge dahingeftellt sein, wie viel von dem wahr ift, was er vorgab,
als er 1529 den Rath der Stadt mit feinem Vorhaben Bekannt machte, ficher
fcheint, dafs der wahre Grund auch diefes mal kein anderer gewefen ift,
als der, welcher ihm bereits eine Anzahl anderer schöner kirchlicher Ge-
bäude überflüffig und zum Abbruch geeignet gemacht hatte, und der lediglich in
feinen ftändigen Geldnöthen zu fuchen ist. Ohne Frage war Albrecht auch
«n kunftliebender Mann und llets voll grofsartiger Baupläne, allein be-
I züglich der letztem war er nicht ohne Nebenabfichten. Seine Baupläne
1 durchzuführen verfchaffte er lieh die Gelder auf eine zu barbarifche Art,
und die Ausführung blieb meil’tentheils zu fehr hinter den vollklingenden
Verfprechungen zurück, um nicht erkennen zu lalten, dafs es bei dem Ab-
bruch fchöner und feiler Bauten (ich nicht lediglich um die Gewinnung
des Baumaterials und bei der Umänderung, Einziehung und Aufhebung der
Pfarreien, der Kirchenfchätze und Kloftergüter fich nicht allein um den
Nutzen der Kirche und der Religion überhaupt gehandelt habe. Die Neben-
abficht Albrechts oder wohl feine geheime Hauptabficht war es, auf diefe
Weife feine leeren Tafchen wieder etwas füllen zu können, trab es auch
Verftändige, die fein Treiben durchfchauten, fo machte ihn doch feine
fieberhafte Bauthätigkeit , die Vielen Arbeit gab, beliebt, und, indem fo das
allgemeine Leben zu grofsen Wellen aufgeregt wurde, fifchte er im Trüben.
"er konnte, ja wer durfte nachfehen, wo fchliefslich all das Geld blieb,
welches für die Neubauten bellimmt und dem Namen nach auch ausge-
geben worden war. ,
Sein Vorfchlag über den Abbruch und die Vereinigung der beiden BjuanUng.
Kirchen tand wenig Zuftimmung bei dem Rathe und den Bürgern, nichts
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Beschreibung des
(ri umiriffirs.
Orienliruny.
Die Hausmann*-
thürme.
Die
blauen l hürmc.
8 DIE STADT HALLE u. d SAALKREIS.
defto weniger wufste er es durch einige ihm ergebene Rathsherren dahin
zu bringen, dafs die Angelegenheit trotzdem in F'lufs kam und 152g am
27. Mai die Vereinigung beider Gemeinden wirklich gefchah. Bald darauf
begann man dann auch mit dem Abbruch der Marienkirche, und zu Anfang
des folgenden Jahres wurde, nachdem fich die Mauern der Gertrudenkirche
zur Benutzung untauglich erwiefen hatten, die neue Kirche fundamentirt.
Wie lieh der Bau dann fortentwickelte, werden wir weiter unten fehen,
wenn wir über den Grundrifs orientirt find. Ein Blick auf Figur 1 zeigt
die drei Theile, aus denen die Kirche zufammenge fetzt ift, ganz deutlich.
Das zwifchen die beiden Thurmpaare erbaute Langhaus schliefst fich nur
den blauen Thürmen regelrecht an, während es zu den Hausmannsthürmen
fchiefwinklig und unfymmetrifch lieht dadurch, dafs es in Norden zu weit
vorfpringt. Man fieht hieraus, dafs diu Richtung der beiden alten Kirchen
nicht genau übereinftimmte, wie denn überhaupt in alter Zeit die Orien-
tirung der Gotteshäufer in der Linie von Ollen nach Wellen nur nach
ungefährer Annahme ausgeführt wurde und auf Genauigkeit nicht immer
Anfpruch hat.
Eine reguläre Choranlage tehlt natürlich unter diefen Umftänden:
an deren Stelle find die Hausmannsthürme getreten. Der Raum zwifchen
beiden Thürmen enthält unten die Sakrillei, der füdliche Thurm, von hier
aus zugängig, bildet einen Aufbewahrungsraum, und der nördliche den Trep-
penaufgang zu der llausmannswohnung in den oberen GefchofTen. Man
fieht, dafs auch von dem Kircheninnern ein Zugang zu diefem Treppenraume
llattfindet; da die Wendeltreppe aber doppelt und fo conftruirt ift, dafs
die beiden gewundenen Treppenläufe eine gemeinfame Spindel haben, so
kann man von einem zum andern Laufe, defien Unterfeite man beftändig
fieht, dennoch nicht kommen. Man gelangt hier nur zu dem erden Ober-
geschofs der Thürme. Die tiefe Mauernifche feitlich des letztbefprochenen
Einganges läfst nicht erfehen, wozu fie gedient haben könne, wohl möglich,
dafs hier die Thurmtreppe der älteften Zeit lag, aber Refte find davon
nicht mehr vorhanden. Die Hausmannsthürme haben, obwohl noch in
mehren Gefchofsen zu einem Oblongum — oben mit abgedumpften Ecken
— durch Verbindungsmauern refp. Bögen zufammengefafst, von unten auf
jeder eine selbftändige , quadratifche F'orm, die fich fpäter in ein Achteck
überfetzt. Die Mauerftärke ift da, wo ehemals die Kirche angebaut war,
geringer als da, wo die Thürme vordem ganz frei Händen: das kann man
wenigftens an dem füdlichen Thürme noch fehen, der nördliche läfst durch
die Treppe aus fpäterer Zeit das nicht mehr gleich erkennen. Als nun fpäter
die Kirche fortgenommen war, die öftliche fchwächere Mauer des ftützen-
den Schiffes enbehrte und ein Aufbau die Lall vergröfserte, wurden die kräftigen
Strebepfeiler in Often nöthig, ebenfo entftanden um diele Zeit die fchwachen
(Juermauern unter den Verbindungsbögen der Thürme. Die beiden kleinen
Pfeiler find eine Zuthat unferes Jahrhunderts; wir kommen darauf zurück.
Zeitlich folgen nun die blauen Thürme; ihr Grundrifs bietet kein er-
hebliches Intereffe. weil fie zu Ende des 15. Jahrhunderts recht fchmucklos
gemacht lind. Das Oblongum ihrer Umfassungsmauern wird durch
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DIE KIRCHE ZU U. I.. FRAUEN. 1}
zwei fchwache Wände, über denen hoch oben auf Bögen viel ftärkere
Thurmmauem liehen , in drei Räume getheilt. Vier Strebepfeiler ver-
stärken die Weftfront, in deren Mitte ein Portal liegt. Es führt in
den mittleren Raum; er dient jetzt als Taufkapelle und öffnet fich in
weiter, fehr hoher Oeffnung gegen das Mittelfchiff. Die beiden andern
Räume unter den eigentlichen Thürmen dienen zum Aufbewahren von
allerlei Gegenftänden. In der füdölllichen Ecke des füdlichen bemerkt
man eine Mauernifche; es fcheint unzweifelhaft hier früher eine Verbindung
mit der Treppe, welche jetzt erft im Obergefchofs beginnt und durch das
aufsen angebaute Fachwerksthürmchen zugängig ift, ftattgefunden zu haben.
Das Langhaus zw’ifchen den beiden Thurmpaaren ist eine dreifchiffige Da* Schiff.
Hallenkirche von io Jochen. Ein prächtiges Xetzgewölbe über dem ganzen
weiten Raume ruht auf Pfeilern von regelmäfsiger achteckiger Grundform mit
flachconcaven Seiten ohne jede Gliederung durch Dienlle. Die entfprechen-
den Strebepfeiler haben mit dem Wölbefyflem nichts mehr zu fchaffen ;
fie verllärken nur die Aufsenwände im Allgemeinen. Diefer Verzicht aber
auf das conftructive Princip kennzeichnet sofort im Grundrifs die aller-
fpäteste Zeit gothifcher Bauweife. Die Seitenfchiffe find noch einmal ge-
theilt durch eingebaute, lleinerne Emporen, die auf Pfeilern von der Grund-
form der grofsen zwifchen den Schiffen ruhen und auch netzartige Gewölbe
haben. Auch an der Oll - und Wellfeite ziehen fich die Emporen in etwas
höherer I-age durch. In den beiden weltlichen Ecken der Seitenfchiffe
fpringen Wendeltreppen, die Aufgänge zu den Emporen, in das Kirchen-
innere vor; ebenfo dient die Treppe in dem nordölllich angebauten Thürm-
chen als Emporenaufgang. Im Ollen bei den I lausmannsthürmen lieht
der Altar auf einer 4 Stufen hohen Erhebung des Bodens. Letztere erllreckt
fich über zwei Joche; fie hat aber nur in ihren beiden unterllen Stufen
urfprünglich bellanden, und ihre feitlichen Fortfetzungen unter den Em-
poren find auch zweillufig geblieben; erd vor einigen Jahrzehnten hat
Schinkel in nicht gerade lobenswerther Weife noch zwei hinzugefügt, damit
der Pfarrer belfer zu fehen fei. An feinem füdlichen 1 lauptpfeiler liegt die
Kanzel in der Mitte der Kirche, wenn man den Altarplatz abrechnet. Aus
dem Grundrilfe läfst fich noch erfehen, dafs vier 1 laupteingänge in das
Schiff führen, von denen je zwei einander gegenüberliegen; eine kleinere Thür
jederfeits im Westen macht die Wendeltreppen zu den Emporen von aufsen
zugängig. Eine bei der Marktkirche wohl erhaltene und fehr merkwürdige
Einrichtung, zumeift der Barockzeit entftammend. ift im Grundrifse mit an-
gegeben worden, nämlich die Stübchen, welche den Raum zwifchen allen *
Strebepfeilern einnehmen und durch eine Mauerdurchbrechung in die Kirche
Einblick geftatten. Die Portale hat man dann aufsen ebenfo überdacht,
auch der Uebereinftimmung wegen verbaut und fie dadurch zwar dem An-
blicke für gewöhnlich entzogen, jedoch trefflich erhalten. ,
Da die Kirche aus drei urfprünglich weder zufammengehörigen, noch Da» Acufsere.
der Zeit und alfo dem Stile nach zu einander paffenden Theilen befteht. fc
kann ihr Aeufseres auch keinen einheitlichen Gefammteindruck machen.
Der religiösen Ueberschwenglichkeit im 15. Jahrhundert, die in üppigen
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*
10
!>1K STADT HALLE u. d. SA.U.KRF.IS.
Dip Hausmanns*
thiirmc ;
der romanifphe
Thril.
decorativen Formen zum Ausdruck gekommen war, folgte in der erften Zeit
des 16. Jahrhunderts natürlich eine Ernüchterung. Die religiöfe Zerfahren-
heit, die alfo entlland, weil einer feits die bisherige Lehre nicht mehr genügte,
and’ererfeits dafür noch kein neuer, großartiger und zielbevvufster (jedanke
fich völlig durchgekämpft hatte, rief eine ebenfo zerfahrene und nüchterne
Baukunll hervor. Hier find die Belege. Das Schiff der Marktkirche, das
ohne Chor ift und durch je zwei hohe Thürme eine Fagade in Wellen und
eine in Offen hat, widerfpricht dem Grundgedanken des kirchlichen Bau-
programmes, wie es feither feftftand, und der ganzen nur nach Nützlichkeits-
gründen zufammengeflickten Anlage fehlt andererfeits doch auch noch
jeder klar zu erkennende Gedanke, der eine entwickelungsfähige Form
annehmen könnte. Die Marktkirche fpräche alfo — das Gotteshaus iff
immer das Stein gewordene Loblied auf die Gottheit — das religiöfe Be-
wufstfein ihrer Iintftehungszeit fichtbar aus. Wird fich das im Einzelnen
beftätigen ?
Es find die Hausmannsthürme , an denen die alterten Bauformen auf-
treten. lieber dem Boden erhebt fich auf einem Sockel mit Sims zunächst
ein oblonges, rechtwinkliches Gefchofs bis zu der Höhe, welche die Lang-
hausmauern der alten Marienkirche gehabt haben werden , und geht hier
durch Abfchrägung der Ecken in ein zweites Gefchofs von langer, acht-
feitiger Gertalt über. Sieht man von den fpätern Zuthaten an der Oftwand
ab, von den zwei grofsen und zwei kleinen Strebepfeilern und der Fenfterwand
zwifchen letzteren, l'o ill die Wandgliederung durch Bogenfriefezwifchen Lifenen
im unteren (F'ig. 3 u. 4) und zwifchen Säulchen im anderen GefchofTe bewirkt.
IlausrnannMhürmc: Lisenen und Rügen frics im Ertlgcschofs.
Auch die Bogenfriefe find verfchieden, der untere führt um das reiche Lifenen*
profil herum und ift zumeift rundbogig, der obere dagegen hat ein einfaches
Hohlkehlenprofil und ill durchweg fpitzbogig. Erwähnt mag noch werden, dafs
fich an der Weftfeite des nördlichen Thurmes — jetzt im Innern der Kirche
von der nördlichen Empore aus zu fehen — ein längliches rechteckiges
Fenfterchen mit romanifch profilirtem Gewände an alter Stelle erhalten hat.
Es ergiebt fich aus alle dem, dafs die Hausmannsthürme in dielen Theilen
der Zeit des Uebergangsftiles angehören. Die Urkunden geben von der
Gründung der alten Marienkirche zwar keine Nachricht , doch werden feit
izio die Pfarrer ( f'kbani, ), welche an ihr gewirkt haben, genannt. Dafs die
Kirche um diefe Zeit fpäteftens gebaut wurde, wahrfcheinlich jedoch im
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DIF. KIRCHE ZU U. L. FRAUEN.
YVefentlichen fchon beftanden hat, erweitert die befchriebenen Kundformen
hinlänglich, zumal wenn man dazu erwägt, dafs die Thürme bei den mittel-
alterlichen Kirchenbauten zuletzt, d. h. nach Beendigung des Schiffes in
4*
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lUusmannslhurme : Sockel.
Angriff genommen zu werden pflegten.1 Die folgenden beiden Thurm- liothifckerThcil.
gefchofTe gehören fchon der frühgothi feiten Zeit an. ln dem unteren von
ihnen find die beiden Thürme noch nicht felblländig entwickelt, fondern
durch Verbindungsmauern zufammengefafst, löfen fich dann aber als felb-
ftäodige, ackteckige Prismen los. Auch hier iff eine Gliederung durch
üfenenartige Eckverflärkungen beibehalten, zwifchen denen unten ein
Kleeblattfrics, oben ein rechteckig abgetreppter Zickzackfries umläuft.
Hohe Spitzbogenfenfler mit einfachem (?) Gewände, welche fich hier
befanden, überfieht man leicht, weil diefelben im 16. Jahrh. zum Theil fogar
mit Back deinen vermauert worden und jetzt überhaupt nur noch im Innern
des Thurmes zu erkennen find ; erhalten haben fich jedoch die beiden in der
örtlichen Verbindungsmauer zwifchen den Thürmen. Ebenfalls für die
HrbauungdiefesgothifchenThurmllücks haben wir urkundliche Anhaltepunkte. ,
Im Jahre 1Z75 wurden nämlich Ablafsbriefc ausgegeben für folche, welche
unter anderem auch den Bau der „ecclcsic . . . laudahilitcr inchvate" durch
Geld unterlfützen teilten. Der Ausdruck „inchvate“ kann nicht mehrbefagen,
als dafs die Kirche aus Geldmangel noch nicht ganz fertig war und zwar
nur bezüglich ihrer Thürme, weil diefelben aufser den Formen der eben
vergangenen Uebergangsperiode in den erffen Gefchofsen, folche in diefen
1 Vcrmuthlich wurde die Marienkirche von den hallefehen Kauflcuten, die Gertrudenkirche
von den Salzficdcrn erbaut; «fiefe lag unmittelbar an der Halle, jene bei den Kaufläden. Die
Salzfieder bauten fich eine Kirche in einer Zeit, wo die Kaufleutc noch keine Bedeutung
batten, und ihr Bauwerk war daher weniger gut und ohne Luxus, (etwa in Bruchftcinbahncn-
mauerwerk mit Kckrjuadern, wie die Dorfkirchen der Umgegend), daher denn im 1 5. Jahrhundert
die Gertrudenkirche baufällig wurde. Die Kaufleute dagegen halten Mittel und konnten etwas
in* enden. als auch fie ein Gotteshaus errichteten, die Marienkirche, die niemals fchadhaft
geworden ift und üppige Formen zeigte.
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12
DIK STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Tkeil der Rc-
naifLincc.
beiden Gefchofsen aufweifen , die aus den diefer Zeit zufammengebrachten
Baugeldern hergelfellt fein müffen. Bis zur Endigung diefer gothifchen
Theile beftehen die Thürme durchweg aus folidem Quadermauerwerk und
die Helme, die hier anfingen, wie wir gleich nachweifen wollen, beifanden
wohl auch aus demfelben Materiale, fei es nun als volle Pyramiden oder
als durchbrochenes Maafswerk; jedenfalls umkränzten am Fufse Wimperge
refp. fpitze Giebelchen über jeder Achtecksfeite die Helme, die nun bis
etwa zu der heutigen Knopthöhe emporgingen. Das fo vollendete und
dauerhaft ausgeführte Gebäude, kann man annehmen, hat ohne gröfsere
Reparaturen in diefem Zultande bis 1501 beflanden; über Bauarbeiten
verlautet nichts, und jüngere Formen kommen auch nicht vor. In diefem
Jahre aber, fchreibt -Oleari us, feien „die Spitzen der Hausmanns-Thürme
kegen der Pfarr“ abgetragen worden. Der Plural „Spitzen“ neben dem
Zufatze „kegen der Pfarr" fchliefst aus an einen oder beide 1 leime zu
denken; es kann fich alfo nur uin einige Eckfialen, Thürmchen oder
Giebelchen an der Sohle des Helmes „kegen der Pfarr" handeln. Denn erlf
1551, nachdem die Marienkirche inzwifchen abgebrochen und die neu
angebaute Marktkirche vollendet war, wurden derfelben Quelle zufolge die
„zwo Hausmanns-Thürme bis auf die Simfe abgetragen und wieder auf-
gemauert lampt den zwo Pfeilern gegen den Markt.“ Hier find die Thurm-
helme gemeint, die abgetragen wurden. Die Simfe aber, von denen geredet
wird, waren offenbar diejenigen, auf denen unmittelbar die Thurmhelme
Ifanden, und von denen nun durch den Baumeiller der neuen Kirche, Nickel
Hofman, die jetzige obere Thurmparthie in Backltein aufgemauert wurde.
Da oben verbindet eine kühne F'Iachbogenbrücke , ehemals von Stein, feit
der Reparatur 1837—39 aber von Holz, die beiden Thürme in einer höchil
pittoresken Weife. Die achteckige Thurmform nämlich ilf ohne Gliederung
zu einem hohen Gefchofse weiter hinaufgeführt, wo fie endet, fpringt das
Mauerwerk zurück, um einen freien Umgang zu fchaffen, welcher nach
aufsen gittergefchützt ilf und durch jene Brücke zufammenhängt. Noch
einmal erhebt fich die nun minder Harke Achtecksform zu einem niedrigen
Gefchofse, in welchem fich die Hausmannswohnung befindet, und wird dann
von einem achteckigen kupfernen Kuppeldache überdeckt. Diefes ilf am
Fufse gar zierlich von acht Giebeln umkränzt, die den Seiten entfprechen
und eine knopfgekrönte Efelsriickenform haben. 1 lier mufs bemerkt werden,
dafs 1704 eine gründliche Reparatur diefer Thurmendigungen vorgenommen
wurde, wobei aber die allgemeine Form nicht verändert worden ilf. Bei
genauer Betrachtung lieht man, dafs auch die Kuppellinie fich zweifach,
convex und concav, biegt und auf die Weife in eine verhältnifsmäfsig grofse,
achteckige Laterne gefällig übergeht. Den Innenraum einer jeden Laterne
füllt eine Glocke, die nicht geläutet, fondern nur angefchlagen werden kann,
ganz aus. Die Bedachung diefer Laternen ilf wieder eine giebelkranz-
gefckmückte, doppelt gebogene Kuppel, gleichfam eine Copie im ver-
kleinerten Maafsffabc von der grofsen Kuppel, aul der die Laterne lieht.
Die aufwärts fich biegende Dachlinie läuft in den Mäkler aus und endet
fchliefslich in einem Knopfe. An Stelle des im Mittelalter üblichen Hahnes
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DIK KIKCHE 7X I’. L. FKAl’F.N.
'3
lieht als Wetterlahne über jedem Knopfe ein geflügeltes Kinderfigürchen
aas Blech gefchnitzt, fudlich mit Pfeil und Bogen, nördlichmit einer Fahne(?).
Gleich diefe eigenartige Bekrönung möge den Anknüpfungspunkt bilden,
auf den veränderten Sinn hinzuweifen, derdiefem Hofman’fchen Backfteinbau
innewohnt gegenüber den unteren Gefchofsen; denn hier thut lieh doch
augenfällig die Vorliebe für antike Reminiscenzen kund, die mit der Renaiffance
erwachte. Das Symbol der chriftlichen Wachfamkeit, der Hahn — nicht
ohne Grund faß immer fchreiend d. h. mit geöffnetem Schnabel dargeftellt —
verfchwindet von dem Gotteshaufe, um einer Amorette, einem Windsgotte
einem beliebigen Genius, jedenfalls alfo einer heidnifchen Darßellung Platz
zu machen. An die vorchrillliche Weltanschauung erinnern besonders auch
die Kuppeln und die aufgefetzten Laternen, obwohl ihr Efelsrückenprofil
und die Anordnung der Giebelchen fie andererfeits auch als eine Folge
gothifcher Weife erfcheinen läfst. So entliehen überhaupt die verfchieden-
artigen Formen einer neuen Stilperiode folgerichtig nach den allgemeinen
Gefetzen, nie willkürlich, abhängig von der feither üblichen Art und hervor-
gerufen durch die veränderten Bedürfniffe. Bezeichnend für die mildere
neue Zeit ift auch der praktifche Zweck diefes Aufbaues, nämlich als
Wohnung für den Hausmann zu dienen, welcher zum Nutzen aller Einwohner
der Stadt bei Nachtzeit da oben Wache halten foll, dafs nicht Feuer des
Bürgers Habe gefährde; er bläfet zu Abend mit einer frommen Weife den
Frieden herab über das Häufermeer ringsum.
Dafs Hofman durch feinen Aufbau von Backllein, der, fchwerer als Charakter,
die alten Helme, nun auch jene Mauerverftärkung durch die beiden
ungefchlachten Strebepfeiler an der Oftwand unten erforderlich machte,
das Gefammtbild der Thürme gehoben hätte, kann man nicht fagen.
Letztere erfcheinen zu hoch, ohne Abwechfelung der achteckigen Form,
auch ift es ein Verftofs gegen den Gefchmack, das Material zu ändern »ohne
erfichtlichen Grund. Das Verlländnifs für ein einheitliches Bild fehlte eben der
Zeit, wie ja fchon die Zufammenlloppelung der ganzen Kirche darthut. ln-
deflen giebt es wenige Beifpieje von Thurmabfchlüffen, die die Tendenz der
Renaiffance im Gegenfatze zu der Gothik fchärfer charakterilirten und dabei
gleich keufche Formen zeigten, wie diefer Kuppelaufbau. Statt der immer
dünner werdenden F orm, die bei den Hauptverkündigern der mittelalterlichen
Benkweife, den grofsen Domen, obendrein durchbrochen, alfo ganz durch-
sichtig ift und damit ihre Körperlichkeit vollends verleugnen möchte, ftatt
delTen behält die Silhouette der Hofman’fchen Renaiffancethurmenden bis
oben hinaus eine umfangreiche Maffe voll körperlichen Stoffes, welche fich
in klar erkennbaren, ftark markirten Ablatzen dem unendlichen Nichts des
Himmels entgegenftellt und mitnichten daran denkt, indem blauen Ilimmels-
dunlte fich zu verflüchtigen. Da ift nichts mehr, was durch seine Gellalt an
den mittelalterlichen Spiritualismus erinnert, der lieh fo unvergleichlich fchon
in der pyramidalen F’orm der Thürme, befonders der Helme feither kundge-
geben hat; für diefe Verlinnbildlichung des rein Geiltigen erfcheint jetzt da
oben hoch über dem Getriebe der Menfchen die Achtbare Verkündigung der
Recht der Materie, d. i. der Rechte, welche das irdifche Dafein nun einmal
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Die jfingften Zu*
thuten.
Inneres.
14 DIE STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
natürlicherweife beanfpruchen darf und welche Jahrhunderte lang durch
knechtende Anmafsungen des Geifies nicht waren anerkannt worden. Das
ifl der esoterifche Sinn der exoterifchen Form diefer Kuppeln.
Es erübrigt noch zu bemerken, dafs mit dem Abbruch der alten
Marienkirche auch die bereits erwähnte, bogenausfüllende Wand im Erd-
gefchofs an der Wellfeite fammt ihrem Fenfler für die Sacriftei nöthig
wurde. Unzugehörig und llilwidrig find auch die l'chon genannten kleinen
Strebepfeiler mit einem Blendgiebel dazwifchen zur Umrahmung des Fenllers.
Sie find vor einigen Jahrzehnten gemacht, weil die füllende Wand wahr-
fcheinlich in Folge fchlechter Verzahnung mit dem älteren Thurmmauerwerk
lieh löfte. In diefer Hinficht haben fie allerdings einen conftructiven Sinn,
übrigens aber haben fie mit dem baulichen Organismus der Kirche ebenfo
wenig gemein, wie die grofsen Strebepfeiler diefer Seite; beide find
fteinerne Nothlügen, die modernen ein wenig gefchmückt. Nur unsere Tage
haben das alles noch zu überbieten verllanden: weil ficli die Mittel nicht
hätten finden lafsen zu einer Reftauration in echtem Material, fo find 1882
die Thürme von oben bis unten gleichmäfsig grau abgeputzt worden in —
Cement! —
Befehen wir hierauf das Innere der Thürme. Durch den Eingang an
der Nordfeite des nördlichen Thurmes kommt man zu der Treppe für die
Wohnung des Wächters. Unten als maffive, doppelte Wendeltreppe con-
flruirt, wie bei der Grundrifsbefprechung gefagt wurde, nimmt fie den
ganzen Innenraum ein, indem die verbleibenden Zwickel mit Mauerwerk
ausgefüllt worden find. Sie ill jedenfalls zugleich mit der Hausmannswohnung
entllanden im 16. Jahrhundert als ein recht bezeichnendes Merkmal ihrer
Zeit, eine der ergrübelten Conllructionsfpielereien, an denen die Steinmetzen
damals fo viel Gefallen fänden. Andere Treppen von Stein und Holz fuhren
nun weiter hinauf. Man fieht einige Thüren zum Kirchenboden und die
vermauerten, fpitzbogigen F'enster der frühgothifchen Epoche. Endlich
kommt man zu ‘den Stuben des Hausmannes und damit auch auf den Gang
um beide Thürme und über die Brücke. Da ill denn eine fchöne Ausficht
über Stadt und Feld, über Wiefen und Wald. Tief unten liegt da der
menfchenbelebte Marktplatz; eine gemullerte Pflallerung gleicht von hier aus
einem grofsen, künlllichen Teppiche. Auf der andern Seite, welcher Gegen-
fatz! breitet lieh hin die Halle, ein Platz fo unwirthlich, als ob die ordnende
I Iand der Menfchen hier niemals thätig gewefen wäre , und doch ill gerade
hier die Stelle, wo zuerll Hütten erbaut wurden, die Menfchen durch fried-
liche, wohlgeregelte Handtirung ihr Leben gewannen und fo diefe Stadt
gründeten. Viele Jahrhunderte war hier auch das Herz der Stadt, die, hätte
es feine Thätigkeit eingelleilt, wäre verloren gewefen ; nun liegt alles fchon
Jahre lang llill da; das Herz der Stadt ruht aus, um wohl in nicht mehr
fernen Tagen von Neuem ein Brennpunkt des llädtifchen Verkehrs zu
werden. Doch kommen wir zurück zu unferm Thema und alfo zu den hoch
gelegenen kleinen Stuben des Hausmanns. Eine Oeffnung in der Decke
derfelben leitet auf Leitern durch das enge Sparrenwerk in der Kuppel bis
zu den Laternen, wo die Glocken hängen. Auf dem nördlichen Thürme ifl
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1>1K KIKCHK ZC U. L. FRAL’KN.
15
die Schlagglocke, welche als folche ohne Klöppel im Innern ilt, fie hat Glocken,
eine Harke Rippe und 0,95 m DurchmefTer. Eine Inschrift fehlt ihr; fie
macht den Eindruck, als fei fie für ihren Zweck (und Ort) gegolten. Die
auf dem füdlichen Thurme hängende Sturmglocke mifst 1,35 m im Durch-
meller. Aus ihrer flachen, gedrückten, barocken Form erfieht man, dafs
fiedem 18. Jahrhundert angehört; es ift wohl ihre Vorgängerin, von der
Olearius fchreibt, dafs fie 1570 den 14. Juli auf den Thurm gebracht fei.
Die Ueberbleibfel der andern Kirche, welche in der Marienkirche Bbuc Thiirme.
aulgegangen ift, find die blauen Thürme, ehemals zugehörig zu der Gertruden-
kirche, die auch dem h. Laurentius gewidmet war. Schon 1121 mufs das
Gebäude vorhanden gewefen fein, da in diefem Jahre die Pfarrkirche dem
Klolter zum Neuen Werk unterllellt wird. Darf man annehmen, dafs die
in die jetzigen fpätgothifchon Thürme vermauerten romanilchen Baureife
den erllen Thürmen angehört haben, fo würde man die Erbauungszeit
wohl nicht vor , die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts verlegen können.
Auch 1182 wird die Kirche noch einmal mit Bezug auf jenes Klofter
genannt. Seit 1210 werden ihre Pfarrer angeführt. Um 1295 und 1298 find
es wieder Ablafsbriefe, die mit zur Erlangung von Baugeldern — wohl zu
Reparaturen oder zur weiteren inneren Ausfchmückung — ausgefchrieben
werden. 1332 erweitert man den I-riedhol um fie herum durch den Abbruch
eines Kaufes. 1456 läfst der bekannte reiche, aber unglückliche Nicolaus
Schildberg auf feine Köllen ein ganz neues Dach machen, dennoch war fie
fchon gegen Ende des 15. Jahrhunderts fehr fchadhaft. letztere Bemerkung
der Chronilfen mag fich vornehmlich auf die Thürme beziehen, weil deren
untere Gefchofse der Technik nach in diefer Zeit, alfo nicht fehr lange vor
dem Abbruch des Schiffes, neu erbaut worden find; auffällig dabei ilt
freilich, dafs urkundlich über diefe Thurmveränderung nichts verlautet.1
Den Namen „blaue Thürme" giebt es übrigens erlt feit der F’ertiglfellung
der jetzigen zu Anfang des 16. Jahrhunderts, und er kommt von der dunkel-
blauen Schiefereindeckung der Helme her.
Die unteren Thurmmauern find als ein oblonges Rechteck in Bruch-
(leinen ausgeführt; hin und wieder bemerkt man romanifche und
nichtsfagende gothifche Theile vermauert, abgefehen von einigen
Maafswerksfenltern, die mit dem jetzigen Schiffe zugleich entlfanden fein
mögen; nachträglich lind auch in Norden und Süden einige Fenlter-
täfchen der RenailTance angebracht worden. Die Wellfagade hat in- »
mitten ein unbedeutendes, fpätgothifch gegliedertes Portal und ilt durch
vier ganz häfsliche, lange, langweilige Strebepfeiler ohne Zierrath
verlfärkt. Aufser dem Portal ilt das Sockelfims die einzige Kunltform der
Entlfehungszeit ; es ladet weit aus und ilt von häfslicher Zeichnung. Diefer
hohe untere Theil hat keine wagerechte Gliederung, er fchliefst mit einem
1 Ob die alle Gertrudenkirchc anfangs überhaupt fchon zwei Thiirme hatte, wiffen wit
nicht; zu ihrer Entftehuilgszeit waren die Hallenser zu luxuriöfen Bauten wohl kaum fchon
reich genug. — Von einiger Bedeutung mag fein, dafs ein Manufcript der Magdeburger
Stadtbiblinthek (abgedruckt bei Opel: .M. Spittendorf S. im Jahre 1464) das Zufammengemaucrt
werden der Thürme mit dem Schifl'e erwähnt.
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■6
1>IE STADT HALTE n. d SAALKftKiS.
mageren Gefimfe über den Pfeilern ab. Dann folgen zwei durch ein ähnliches
Sims getrennte Gefchofse, ebenfalls in Bruchfteinen. Das Mauerwerk beider
ift gleichzeitig, aber fpäter als das der unteren Partie. Man erkennt bei
genauer Prüfung, dafs beide Thürme urfprünglich hier fchon eine felb-
ftändige quadratifcheForm hatten, imAeufseren an der Quadratverzierung der
vier Ecken, diefich zumTheil erhalten hat, (auch die beiden WafTerfpeierftnd alt),
im Inneren an dergleichen Mauerftärke der Querwände zu den Außenwänden-
Die Verbindung [lammt erd aus der Zeit des jetzigen Schiffes, welches mit
feinem gewaltigen Dache zu diefer Höhe hinaufreicht. Das gefammte
Gemäuer von unten auf bis hierher ill fehr ungleichmäßig, es finden fich
Partien in grofsen glatten Quadern und andere in kleinen unregelmäßigen
Stücken; es mülfen eben die Steine verfchiedener älterer Bauten, wie man
fie gerade hatte, dazu verbraucht worden fein. Es finden fich auch ganze Fenller-
gewände aus romanifcher Epoche hier hoch oben wieder eingefetzt neben
folchen mit fpätem Maafswerk aus diefer Zeit. Dafs der an den Ecken
befindliche Rundllab auch einmal ein ganzes Gefchofs hindurch jedoch nur
an einer Ecke fehlt, ift eine ebenfolche Sonderbarkeit, wie dafs eben diefer
Rundllab an der Südoftecke des iudlichen Thurmes ohne erfichtlichen Grund
die Ecke verläfst, um fich dann an bezw. in der Wand hinabzuziehen. Das
letzte Gefchofs ift von Backfteinen und hat eine achteckige Geftalt. Die Zier-
rathe gleichen durchaus denen in Sandftein am rothen Thurme; auf dcyi Ecken
nämlich find angeklebt erfcheinende Fialen , welche auf Rundftäben liehen,
und unter dem Dachfimfe läuft ein zierlicher Kleeblatt -Bogenfries um.1
In der That hat denn auch derfelbe Meifter, welcher den rothen Thurm
vollendete, diefe Thürme zu Ende geführt; die in die Thurmknöpfe einge-
legten Infchriften befagen, dafs der nördliche 1507, der Eidliche 1513 fertig
geworden fei: „per providum Michaelem W' olkenstein ad Dei honorem incly-
tcque Gertrudis laudeni ac totins urbis specimen et deeorem." -
Das Dach felbll ift heute nur eine fehr einfache fchlanke, achtfeitige
Pyramide, die fich am Fufse durch Auffchieblinge unter Harkern Winkel
verbreitert, übrigens glatt in einer graden Linie bis zum Knopfe hinaufgeht.
Diefer ift mit 106 Spitzen „jede einer halbe Elen lang“ wie eine Hechel mit
Stacheln befetzt;8 die Spitzen eingerechnet foll der Thurm gerade 100 m
hoch fein. Thurmhelme mit fo profaifchen Umriften können unfere Vor-
fahren zu diefer Zeit , fo hausbacken in vieler l linficht fie auch fein mochten,
unmöglich gefchaffen haben; das entgeht dem nicht, der die Schriftzüge
der Baukunft lefen kann. Das Ausfehen der Helme war denn auch wirklich
* Diese Ornamente find in den vierziger Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts wohl in
Anfchhifs an die ehemalige Form erneuert worden.
- Es mufs indeffen bemerkt werden, dafs Wolkenftein nach dem, was wir über ihn aus
der Knopfinfchrift des rothen Thurmes er fahren (fiehe diefe), nur der Zimmerineifter der Helme
gewefen fein kann. Den Formen nach fcheint unzweifelhaft, dafs der am letzten Gefchoffe des
rothen Thurmes infchriftlich genannte Johannes Rot auch das Mauer werk des letzten Gefchoffcs
der blauen Thürme ausgefühlt hat, doch wird darüber nichts gemeldet.
a Ueber den Zweck derfelben vergl. das, was darüber bei der Befchreibung des rothen
Thurmes gemuthmafst ift.
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DIE KIRCHE 7.V r. L. KRAt'EH,
ein viel gefälligeres. An ihrer Sohle erhob fich über jeder Achtecksfeite je
ein fpitzes, knopfgekröntes Giebelchon zu einem Kranze ringsum, und der
Die ehemalige fieftalt der blauen Thürme (nach einem Modelle
in der Marienbibliothek).
Helm ging nicht langweilig ohne Unterbrechung bis zum Knopfe empor,
fondem war etwa auf */j feiner Höhe — im goldenen Schnitt — getheilt.1
1 Anm. : Vergl. Beschr. Darst. der alteren Bau- u. Kunstdcnkm., Heft 2, Kr. Langen-
salza, Fig, 20 und Seite 48. wo fich an dem alten Slephanskirchthurme zu Langen-
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F* l. 2
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Model!
der Marktkirche.
Charakter der
blauen Thürine.
I«
DIR STADT HALLE u. d. SAAIJiKKIS.
Hier krönte ein zweiter Kranz von Giebelchen (?), Blech- oder Schmiede-
ei fen(?) Ornamenten 1 die Luken, die noch heute vorhanden find. (F'ig. 5). So
gering diefe Zuthaten fcheinen, fie reichen hin der geleckten, alles Schmuckes
baaren Helmform ein reizvolleres und wahrhaft würdiges Ausfehen zu geben!
In der Marienbibliothek wird ein altes, verfallendes und fchon fehr
befchädigtes, aber gutes und werthvolles Modell der Kirche, gehalten
etwa im Maafsftabe von 1 : 100 der natürlichen Gröfse, aufbewahrt und ihm
verdanke ich es, mit Beftimmtheit die ehemalige Thurmform und einiges andere
angeben zu können. Das Modell wird zwifchen 1695 und 1704, jedenfalls
aber vor 1749 entlfanden fein. Die erftere Jahreszahl findet fich am Modelle
felbft, wie wir fpäter noch zu erwähnen haben werden; 1704 gefchah urkund-
lich eine gründliche Relfauration der blauen und der Ilausmannsthürme, bei
der wahrfcheinlich die Krone über den Luken befeitigt ilt, denn 1749, als
v. Dreyhaupt fein Buch (Befchreibung des Saal- Creyfes) fchrieb, wardiefelbe
nicht mehr vorhanden, wie die dort gegebene Abbildung der Kirche darthut.
Es finden fich jedoch dafelbft noch die Giebel am Fufspunkte der Helme rings-
um in fpätgothifcher Art mit etwas concaven Linien abgebildet. Sie haben erll
den Platz räumen müfTen, als die ehemalige deutfche Schieferdeckung an der
untern Hälfte durch die jetzige glatte englifche erfetzt wurde. Man bekam ja
dadurch weniger Kehlen und Firlle ; und der baare Nutzen folcher Conftruction
leuchtete der trockenen erften Hälfte des 19. Jahrhunderts mehr ein, als
alle Poefie der mittelalterlichen Silhouette. Wes Geifies Kind aber ill diefe
Silhouette? Auch jenes, der die Hausmannsthürme, die wir befprochen
haben, vier Jahrzehnte fpäter erzeugte, oder ifl es noch ein anderer? Was
hier greifbare Form angenommen hat, ifl das letzte, helle Aufleuchten
jener romantifchen Idee, die für teuflifch hielt alle irdifche Freude und des-
halb deren Quelle, den irdifchen Stoff, das F'leifch, knechtete. Nun wohl,
konnte man dem Baumaterial, diefem irdifchen Stoffe, ohne welchen die
Idee doch flumm bleiben würde , zumuthen , fich mehr zu verleugnen als
durch fo wunderbar kühne Conllructionen? Auf äufserll geringer Bafis er-
heben die Helme lieh bis in die Wolken, andeutend, indem fie immer fpitzer
werden, allmählich immer mehr von ihrer körperlich fichtbaren Maffe ver-
lieren, wohin der Menfchen Streben gehen foll: abzulaffen von der linnlichen
Welt, fich aufzufchwingen zu den überfinnlichen , himmlifchen Höhen, um
immer freier von irdifchem Wefen zu einem rein geilligen , wiewohl unnatür-
lichen und unerreichbaren Zuliande zu gelangen.
falza dicfclbe Helmtheilung, bewirkt durch „ Schildchen mit verfchiedenen Steinmetz-
Zeichen“ (eine höchst finnreichc Anordnung), findet. Ferner: Heft 4, Fig. 23 und 34,
wo die Blafiuskirche zu Möhlhaufen an den Thurmhelmen fchon zur Uebergangszeil diefe
Theilung aufweift. — Wie mir fcheint, hat das Verhältnifs des goldenen Schnittes fpeciell in
der mittcralterlichen Kunft eine Rolle gefpielt, während die Antike und Renaiffancc das ein*
fächere Quadrat bevorzugte. Der Proportionierung der Bauwerke ift noch zu geringe Auf«
merkfamkeit gefchenkt und jedenfalls das Zahlenmaterial noch nicht genügend, um mit Beftimmt-
heit ein Urtheil fällen zu können.
1 Olearius bemerkt zum Jahre 1599, dafs die Marktkirche von aufsen renovirt fei und
„find die güldenen Croncn umb die blauen Thürmc vcrneucrl worden.“
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DIE KiKCHI /(’ t>. t.. FKAITRN.
'0
Um in die obern Gefchofle der blauen Thürme zu kommen, mufs man Innere«,
durch das an der Südfeite in Fachwerk angebaute Treppenthürmchen
emporfteigen. Man kommt bald zu einer Maueröffnung, die am Fufse einer
im Gemäuer felbll auflleigenden , mafliven Wendeltreppe liegt. Diefe Treppe
beiland fchon zur Zeit der alten Gertrudenkirche und führte damals wohl
bis zu der Eckmauernifche im Innern des ErdgefchofTes hinab. Jetzt ill
diefer Lauf zu Anfang und Ende vermauert, doch lieht man unten noch den
alten fpitzbogigen Eingang. Auch als die Marktkirche erbaut wurde und
hinter der Orgel ein Raum entftand zwifchen der gewölbten Decke des Erd-
gefcholfes und dem Kirchengewölbe, welches Pich in die Thürme hinein
fortfetzt, erhielt die Treppe von hier aus einen Zugang; derfelbe ilf jetzt
ebenfalls vermauert und dient als Schrank; die Treppe aber tritt hier mit
ihrer kreisförmigen Wand in die Ecke des innern Raumes vor. Damit der
Küher fo fpät (zu den Glocken) nicht durch die Kirche gehen müfle, fei im
Jahre 155g, fo berichtet Olearius, der Thurm an der Marktkirche hinten nach
der Halle zu angebaut worden. Eine genaue Unterfuchung der Iteinernen
Wendeltreppe lehrt, dafs Quaderllücke eines romanifchen Baues — doch
wohl der urfprünglichen Kirche — z. B. ein Würfelfries zu den Stufen ver-
arbeitet find.
Die Thurmräume in Höhe des Kirchenbodens find leer, lie zeigen nur Glocken,
die harken Quermauem zu den hier felbftändig werdenden Thürmen. Ill
man zu der Glockenllube gekommen, fo findet man auf dem Südthurm
zunächlt eine grofse Glocke von 1,74 m Durchtnefier. Ihre Infchritt giebt
die Auskunft, dafs fie 1484 zuerll gegolten, 1654 gefprungen und 1(174 von
Jacob Wenzel wieder gegolten fei. Ihr Spruch , neben der Aufzählung der
damaligen Machthaber, Kirchen vorlleher u. f. w. in den' diefer Zeit üblichen
Abkürzungen, lieht unten am Rande und giebt ihre Behimmung an, er heifst:
AD . SACRA . SVMMA . VOCO . GENERALIA . FVNERA . PLANGO . HORAS .
DESIGNO . NOCTVRNAS . ATQVE . DIVRNAS.
Gefchmückt ill fie in barocker Weife mit umfehriebenen Wappen,
behängen und fonlligen Zierrathen diefer Zeit.
Eine zweite Glocke ill die fogenannte Vespergl ocke : .CAMPANA . HAEC .
MATVTINIS . ET . VESPERTINIS . HEBDOMADAE . SACRIS . PAVPERVMQVE .
FVNERIBVS . DICATA heifst es in der langathmigen Auffchrilt. Sie ill 1,10m
im Durchmeffer grofs und, weil ebenfalls von Jacob Wenzel im Jahre 1674
umgegolTen, von ganz ähnlicher Form und Verzierung wie die genannte,
ihr Spruch lautet:
QVOTIDIANA . VOCANS . AD . SACRA . ET . FVNERA . PLANGENS . IN •
PLEBIS . RESONO . NVMINIS . ATQVE . DECVS .
Die dritte Glocke, welche hier hängt, heifst nach v. Dreyhaupt die
Pfänner- oder Particuliergl ocke und füll 14O8 gegofien und aufgehängt
fein. Olearius, der fie Betglöcklein nennt, giebt an, dafs fie 1674 zum
Umgiefsen mit heraligelafien fei, doch fcheint ein gütiges Gefchick fie davor
2 *
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20
die stadt halle u. <1. saalkreis.
Thurmhelme.
bewahrt zu haben. Denn ihre Form ilt länglich und gefällig, lie mifst nur
o,-)8 m im DurchmelTer gegenüber einer Höhe von 0,70 m. Oben, mitten und
unten wird fie von Bändern, aus Riemchen gebildet, umzogen, hat aber
aufserdem keine Zierrathe. Endlich ill die Auffchrift noch ganz im Sinne
des Mittelalters kurz und bedeutend, fie heifst:
VOX . ECO , VOX . VITE . VOCO . VOS . ORATE . VENITE.
Die Buchüaben allerdings find nicht mehr Minuskeln, fondern Majuskeln,
deren Form Itark gothifchen Charakter trägt, die aber gewifs nur als ein
frühes Beifpiel der Renaiffancefchrift (Lapidarfchrift) anzul'ehen find.
In dem nördlichen Thurme hängt nur eine Glocke; fie ilt 1,80 m im
Durchmefler grofs und von fchöner, man möchte Tagen, vornehmer Geftalt.
Oben lieht ringsum die Minuskelinfchrift (Wachsmodelle):
+ anuo int . nr t«(° . n . in . oigilia . |ol|annis . hnütistr . ts t . coplrtu . I|*c .
apus . 9 . tti . ginne . »ti
Durch Einritzen in den Mantel der Glocke ill eine klare, ziemlich grofse
Darltellung mitten auf der Glocke hervorgebracht worden, nämlich Chrilhis
am Kreuz, welch letzteres naturaliflifche Ae fie hat; zu den Seiten liehen
Johannes und Maria beide mit gefabenen Händen. Hinter bez. neben Maria
lieht noch eine weibliche Figur, die fich durch den Nimbus als Heilige kenntlich
macht. Sie hält ein Kirchenmodell und ill daher muthmaafslich die heilige
Gertrudis, der zu Ehren die alte Kirche erbaut und die Glocke gegoffen war.
Der Stil der Figuren ilt gut und die einfache Zeichnung fefi und gefchickt
gemacht, obwohl die Entliehungszeit durch die Eigenheiten in der Haltung
und Proportionirung der Körper fich keineswegs verleugnet.
Hoch über der Glockenltube fetzen fich die Helme auf das Mauerwerk
(iumpf und ohne Verband mit diefem auf. Sie haben durch Blitz und mehr
noch durch die WitterungseinflüfTe mehrfache AusbelTerungen erfahren.
l85j/54 wurde die letzte vorgenommen, weil fich die Helme faß um ein
Achtel einer ganzen Drehung bewegt hatten. Bei hohen, hölzernen Helmen
laden fich folche Drehungen mit den Jahren fad immer nachweifen, ebenfo
ill es gewöhnlich, dafs die Spitzen fchief liehen, indem fie fich dets nach
Süden zu neigen. Der Grund hierfür liegt darin, dafs die Sonne auf der
Südfeite die Hölzer durch Austrocknen verkürzt, während die Feuchtigkeit
auf der fchattigen Nordfeite fie ausdehnt oder doch in ihrer Länge belädst.
Je nach der Conftruction werden dann die Hölzer zum Werfen auf irgend
eine Seite hin gezwungen und fo entdeht eine Drehung. Auch jetzt kann
man bereits wieder eine geringe Neigung beider Spitzen der blauen Thürme
gegen Süden wahrnehmen. Es id anzunehmen, dafs bei allen Auswechfe-
lungen fchadhafter Hölzer der alte Condructionsverband fich bis heute er-
halten hat, denn was an Holzmenge und Stärke verfchwendet zu fein fcheint.
id nothwendig, um das für fo fchlanke Spitzen erforderliche Gewicht zu
erhalten. Würden fich diefelben auch in Hinficht auf Fedigkeit und Material-
erfparnifs vortheilhafter condruiren laßen von uns, die wir über die Leißungs-
lähigkeit des Holzes genauer unterrichtet find als unfere Vorfahren, fo
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WB KIKCHK ZV U. L. FRAUEN.
21
müfste doch eine künltliche Beladung die leichtere Conßruction davor
fchützen, dafs der Sturm fie wegwehen könne.
Das Langhaus der jetzigen Marktkirche wurde von Nickel Hotmail,
wie Chronitten und mehre lnfchriften im Innern der Kirche bezeugen,
vollendet. 1530 am 31. Januar hat man zu den Fundamenten die Erde aus-
zufchachten angefangen, wobei in „Mannstiefe“ ein guter Baugrund, feß-
lagernder Kies, gefunden wurde. Schon nach drei Jahren, im September
1533 , waren die UmfafTungsmauern bis unter das Dach fertig und diefes
wurde den Winter über auch noch theilweife aufgebracht und eingedeckt.
Aeufserlich iß diefes Kirchenfchiff im Ganzen ohne befondere Schön-
heit. Es iß in dem um diefe Zeit hier üblichen Bruchßeingemäuer mit
Quadereinfaflung der Ecken, Fenßer, Thüren u. f. w. aufgeführt, und die
Flächen find nachher mit Putz beworfen, der nicht immer der urfprüng-
lichen Weife angemeffen erneuert worden iß.
Der allgemeine Eindruck iß ein einförmiger. Dafs man es mit einer
Hallenkirche zu thun habe, erkennt man fogleich an dem riefigen Dache
und den hohen Fenßern und Strebepfeilern. Letztere erheben fich über
einem Sockel mit einfacher Schräge als Sims, werden dann von dem Kaff-
gefimfe umzogen und gehen darauf einhüftig bis zum Dache hinauf. Der
obere Abfatz endet nach aufsen durch Abfchrägung der Ecken fcharf-
kantig; nichts deßo weniger iß die concave Abdeckungsplatte wieder als
Rechteck gefchloflen, und ihre aut diefe Weife frei überfpringenden Eck-
theile ruhen auf ausgekragten Gefimfen. Im Uebrigen find fie fchmucklos;
da» Bruchßeimnauerwerk hätte ja auch die zeitgemäfsen Blendarkaturen
mit Maafswerkbildungen , Krabben, Rofetten und dergl. gar nicht einmal
ermöglicht. Die langen Fenßer zwilchen den Pfeilern endigen nicht mehr
wie zur Blüthezeit der Gothik in einem ßolzen, fondern ziemlich ßumpfen
Spitzbogen. Sie find durch zwei Pfoßen getheilt, welche fich überall durch
Rundbögen oben verbinden. Das verhältnifsmäfsig geringe Stück Maafs-
werk darüber iß von fchwacher Erfindung und wenig Reiz; beliebte Maafs-
werksmotive find aufser den kleinen Rundbögen die fogenannten Fifchblafen,
plötzlich und grundlos aufhörende Profile und andere willkürlich wun-
derliche Formen. Das Gewändeprofil, Fig. 6, iß gähnend langweilig, es
Fig. 6.
1:1 1 r r t f ; t'f M«
Fensterprofil.
hat innen und aufsen die gleiche Form und beßeht im Wefentlichen in einer
weiten, flach concaven Schräge, an deren Spitze das Profil der Pfosten
Das Schiff.
Geschichte.
Material.
Beschreibung
der Thcilc.
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22
DIE STAUT HAI.LK u. d. SAALK.KEIS.
fitzt. Letzteres gleicht einem Doppelkeile mit flumpfer Spitze und flach
gehöhlten Seiten.
Auf die Portale, vier grofse und zwei kleinere, ift. bei der Ausbildung
weit mehr Gewicht gelegt als auf die Fenfter. Sie haben fich unter einem
Schutzdache und fpäter unter einem Vorbau vortrefflich erhalten; leider
entzieht fie letzterer dem Auge bis man eintritt. (Fig. 7.) Aul einem Sockel in
verfchiedenen Abiatzen und Quertheilungen , durch Ueboreck Heilung von
Kriftallifationsformen, hier mit concaven Walterfchlägen fetzt fich ein viel-
gliedriges Gewände auf, bellehend aus Rundltäben, Birnen, Plättchen und
tiefen Hohlkehlen. Der Fufs jedes Gewändegliedes und der Zwifchenraum
zwifchen den einzelnen Füfsen ift ebenfalls mit kriftallinifchen Motiven,
welche durch Einkerbungen entftanden find, auch mit kleinem Blenden-
maafswerk, mit Perlen fchnürchen, gedrehten Bändern und dergl. in die
RenailTance überfpielenden Schmuckmitteln reizvoll geziert. Die Gewände-
glieder felbft bilden zwar einen Spitzbogen, überfchneiden fich jedoch und
gehen dergeftalt auseinander, dafs der ganze Raum zwifchen den Strebe-
pfeilern ausgefüllt wird und oben in Höhe des Bogen fcheitels ein gradliniger
Schlufs entlieht. Wenn eine willkürliche, doch wohl durchdachte, zirkel-
richtige Art nun eine gefällige Ordnung erzeugt, fo fliefst diefe Ordnung
doch nicht mit Xoth Wendigkeit aus der Conftruction, der Seele aller
baulichen Schöpfungen, fie verlacht diefelbe vielmehr, beifpielsweife durch
Kreisftücke im Bogen, die nach unten zu gefchlagen find. Hier ift dieKunft
zu Ende und es beginnt die Künftelei. Letztere hat etwas Wunderbares,
beruht fie gleich nur auf dem gemeinen, reflectirenden Verftande, jene
dagegen erfcheint als die felbftverftändliche, naive Aeufserung der Natur-
gefetze und ift doch dem innerften Herzensbediirfnifse einzelner erleuchteter
Geiller entfprungen; ihre Werke begeiftern, gekünftelte lallen kalt. So
herrlich die Thürumrahmungen 'find als Erzeugnifse ihrer Zeit, fo fern liehen
fie dem ureigentlichen Schönheitsbegrifle, der diefer ruhelofen Zeit mangelte;
fie liehen im gleichen, nur umgekehrten Verhältnifse zu ihm, wie die
Renaiffanceportale im Dome; diefe find die noch nicht reife Frucht einer
Zcitidee, jene die überreifte. Merkwürdig ift aber, dafs in der Marktkirche
die Gothik, die am Dome für die Portale bereits im vorhergegangenen
Jahrzehnt verlaffen war, noch einmal wiederkehrt und zwar mit Lebhaftigkeit,
ja mit einem gewilTen Feuer. Die Thürflügel mögen wohl die urfprünglichen
nicht mehr fein, wenigftens haben fie fchon Befchläge der entwickelten
RenailTance. Nur die in Bronce gegoltenen Löwenköpfe in der Mitte mögen
damals gegolten fein.1 Alterthümlich und garllig von Ausfehen rufen fie
doch die Erinnerung an eine milde Sitte in dem fo traurig graufamen
Mittelalter wach. Konnte ein Verfolgter den Ring (auf Fig. 7 zu sehen)
erfaßen, den früher jeder Kopf im Maule hielt, fo war er unverletzlich.
Das Dach, über die drei Schifte wegreichend, war früher in deutfcher
Manier mit Schiefer gedeckt und hatte zwei Reihen kleiner Luken, wie aus
1 Kin Kopf von genau derfelbcn Form befindet sich auch an der Eingangsthur des
Kathhaufcs.
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DIE KIRCIIK ZU U. I„ FRAUEN. 23
dem erwähnten Modelle zu erfehen, jetzt ill die Eindeckung englifch und drei
I.ukenreihen überziehen die Fläche. Im Wellen endigt es, indem es gegen das
Dach Hörst, welches zwifchen die blauen Thürme auf den wegen diefes
Hauptdaches entllandenen Einbau gefetzt ist. Im Ollen dagegen iß es
abgewalmt von der Spitze bis auf das Theilungsgefims der beiden gothifchen
Gefchofse an den Hausmannsthürmen. Das Modell zeigt hier auf dem
Walme noch einen Giebel, der fall die heutige Dachhöhe erreicht und ein
grofses gothifches Maafswerksfenller hat. Nicht unwahrfcheinlich ill, dafs
diefem Giebel ein anderer nach der Wellfeite der Hausmannsthürme ent-
fprach und beide dann um 1275 gemacht find, wie die zugehörigen ’l'hurm-
gefchofse. Wie anders als durch ein folches Satteldach von Wellen nach
Oden follte man auch in gothifcher Zeit diefen Raum zwifchen den
Thürmen abgedeckt haben? Und fo hätten wir noch ein Stück zu dem
Bilde der alten Marienkirche.
Wir wollen an diefer Stelle gleich des Kirchenbodens erwähnen; es
intereffirt, dafs das Gefpärre nicht einheitlich, fondem in zwei Syllemen
hergellellt worden ill. Durch Brand, Witterung und dergl. veranlafste
AusbelTerungen find der Grund hierfür. Das weltliche, leichtere Syllem ill
das jüngere. In conllructiver Hinficht find beide Theile lehrreich.
Als nachherige, äufsere Anbauten an die Kirche find vor allem die Anbauten.
Stübchen zwifchen den Strebepfeilern anzulühren. Sie find nicht alle gleich-
zeitig entllanden, wie man nach dem heutigen gleichmäfsigen Ausfehen
fchliefsen möchte. Ueber einer Wand zwifchen den Pfeilern und bündig
mit ihnen beginnt am Kafffims ihr Pultdach und reicht noch in das Fenller-
lichten hinauf, welches fo weit zu vermauern nöthig wurde. Sie haben
aufsen eine Eingangsthür und oft noch ein kleines Fenller; fonll find lie
völlig fchmucklos und für die Kirche felhlt wenig fchmückend. Bei
der Betrachtung des Kircheninnern wird Gelegenheit fein, auf ihre
Entllehungszeit zurückzukommen; hier fei nur noch erwähnt, was fich aus
dem Modelle in der Marienbibliothek ergiebt. Dort nämlich lieht man, dafs
zur Zeit der Anfertigung des Modelles, Tagen wir etwa um 1700, die erllen
drei örtlichen Stuben an der Südfeite und die erlle örtliche an der Weftfeite
niedriger waren als die übrigen, die um diefe Zeit allelümmt fchon dagewefen
find. Das Pultdach jener niedrigen Stübchen reicht nur bis zur Fenlter-
fchräge, übrigens haben fie eine Thür und ein Fenfterchen wie die andern.
Auch als Verkaufsläden oder Lagerräume find von Alters her Buden
an die Thüren ganz fymmetrifch angebaut gewefen, die jetzt, dem Kirchen-
ausfehen wahrlich nicht zum Nachtheil, allmählig verfchwinden; fo (landen
zwei zwifchen den Strebepfeilern im Ollen; fie wurden befeitigt bei der
Entftehung der kleinen Pfeiler dafelbll, zwei andere lagen an der Weftfeite,
wo fich auch dem Modelle zufolge ein grofses Schutzdach über dem Portale
befand. In der Ecke, welche der füdliche blaue Thurm mit dem breiteren
Schiffe macht, lag ein Brunnen (Plumpe, Pumpe), defsen Erwähnung gefchieht,
weil eine RenaifTanceconfole, dort in die Mauer eingelafTen, noch vorhanden
ill, deren Zweck fonll nicht zu erklären wäre. Bellanden hat der Brunnen bis zur
Anlegung der jetzigen städtischen Wafferleitung. In der gegenüberliegenden
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DIE STADT HALLE u, cl. SAALKREIS.
*4
Ecke, welche der nördliche blaue Thurm mit der Kirche bildet, ift kürzlich,
im Sommer 188 2, der Budenanbau befeitigt worden; dabei ift am Kaffgefims
und zwar unweit der Stelle, wo es am Thurme endigt, nebenflehendes
Zeichen <lcs Monogramm, Fig. 8, in Stein gehauen zu Tage gekommen. Die Form ift eine
Hans Schöniiz.
Fig. 8.
Zeichen des Hans Schönitz. (?)
ungewöhnliche, fowohl für einen Meifter, der (ich zu verewigen gedenkt, als
für einen Gefellen diefer Zeit; fie erinnert nicht nur durch die Buchftaben.
fondern auch durch das Ornament zwifchendiefenftarkandie Renaiftance. Auf
wen kann lieh die Schrift beziehen? Esläfst lieh nur an Hans Schönitz denken,
der eben noch in des Cardinais voller Gunft ftand und wenige Zeit darauf
1535 hingerichtet wurde Er leitete die Unternehmungen des Cardinais, von
ihm hing alles ab, obwohl er nicht felbftthätiger Meifter war; aus letzterem
Grunde nahm man in Verlegenheit, was an Stelle eines Zeichens zwifchen
die Buchftaben zu fetzen fei, jenes verfchlungene Ornament, und ein
gewöhnlicher Gefelle — fein Zeichen befindet lieh unweit am Sims —
meifselte die Infchrift ein. Das Ornament aber llatt des Zeichens könnte,
obgleich es gewifs ganz zufällig ift, den gewandten, biegfamen und
gefchmeidigen, weltmännifchen Charakter des F'avoriten nicht köftlicher
ausfprechen als durch die weichen Liniengänge gegenüber den harten, über-
fcharfen Ecken der Werkmeillerzeichen.
Als ein Anbau an das Kirchenfchiff ift auch der achteckige Thurm
an der Nordweftecke zu nennen, welcher einen Wendeltreppenaufgang zu
der nördlichen Empore enthält. Eine knopfbekrönte, fchiefergedeckte
„welsche“ Haube bedeckt ihn; ein Portal in einfachen Renaiffanceformen
und im Ganzen vier fchräge Fenfter durchbrechen die Mauern. Von der
Infchriit im Friefe des Portals intereflirt nur das Ende: „ HAEC IANVA
CVM COCHLIDE STRUCTA EST DU SEPT A MDCLXVII“ Dem ift allerdings
fo; allein ein Vergleich mit dem Modelle ergiebt, dafs etwa um 1700 nur
zwei Fenfter find zwar die beiden untern vorhanden waren , mithin der
Thurm fpäter erhöht fein mufs; das läfst lieh auch aus andern, noch zu be-
fprechenden Umftänden erweifen, ebenfo dafs vor 1667 bereits eine Treppe
an diefem Platze gellanden hat.
Il.illcrcluo An diefer Stelle ift endlich des hallefchen W ahrzeichens, Fig. 9, zu
" •,l,ricl.ll>c". gedenken. eines ,, Zeichens der Wahrheit,“ welches ehemals Fremde befonders
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DIE KIKCHIl ZU r. I.. KRAUEN.
25
Handwerksburfchen , welche in einer Stadt gewefen fein wollten, zum Aus-
weife kennen mufsten. Es jft hoch oben an der Oftwand des Schiffes gerade
über dem letztgenannten Treppenthurme eingemauert als ein Stein, welcher
in Flachrelief einen fackbeladenen Efel zeigt, der auf Rofen geht, während
ein Treiber ihm folgt. Ueber der Gruppe lieht die Jahreszahl 1583, um
diele Zeit alfo hat man den Stein hier eingefügt. Das RENOVATVM 1758
auf dem unter dem Bilde eingefetzten Steine fcheint nur auf die Wieder-
Kig. 9.
Da» hallcschc Wahrzeichen an der Marktkirchc.
herftellung einer fchlechten Bemalung und guten Vergoldung Bezug zu
haben. Zwei Sagen wollen der Darl'teilung einen Sinn unterlegen. Die erlle
erzählt , dafs der Magdeburgifche Bifchot bei feinem Befuche der jüngll erll
erbauten Stadt des Gedränges wegen auf einem Efel reitend in Halle ein-
gezogen wäre; der Efel fei nun über die dem Bifchof zu Ehren gellreuten
Rofen gegangen. Die andere meldet: Kaifer Otto der Grofse wollte in
Halle einziehen, wurde aber grofsen Walfers wegen verhindert durch das
Rannifche Thor, wofelbft alles felllich gefchmückt war, zu kommen. Während
er nun unerwartet durch das Schifferthor kam, und alle Welt ihm dorthin
•’ntgegeneilte, trieb der Böllberger Müller feine Efel über den rofenbellreuten
Weg zum Rannifchen Thore herein. Diele fpashafte Gefchichte habe zum
Wahrzeichen Halles den Anlafs gegeben. Die erlle Sage hat gar keine
Wahrfcheinlichkeit in Rücklicht auf die Entltehung des Bildes für fich. man
hätte gewifs nicht einen facktragenden Efel und einen peitfehenfeh win-
denden Treiber gemeifselt. Die andere Sage wäre fchon paffender; allein
um die Vorftellung des felllichen Ereigniffes und der telllichen Zubereitungen
zu erwecken, würde man doch nicht unterlaffen haben in der Darllellung
darauf hinzuweifen z. B. durch das Thor und die • felllich gefchmückten
Häufer, auch würden die einzelnen abgefchnittenen Rofen auf dem Boden
geilreut daliegen. Das Bild aber Hellt dar einen Efel, der bedacht fam jeden
Fufs aut eine Rofe gefetzt hat. Die Rofen find nicht abgefchnitten, ihre
Stiele fitzen an einem Zweige, der fich zwilchen dem Treiber und dem Efel
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I»IK Sl'AUI' HAI.I.K u. d. SV A1.K.KKIS.
und wieder mit Blumen und Blättern über den F.fel hinzieht, ihn yleichfam
an drei Seiten umkränzend. Der Treiber endlich Aeht aut einem befondem.
niedrigen (gezierten?) Unterfatze. Diele mehr feierliche Art der DarAellung
hat beffer Bezug auf eine allgemeine Wahrheit, wie fie Hondorff in feiner
„Befchreibung des Saltz-Werkes" alfo ausfpricht:
„Die Arbeit und den Nutz, darinn zu Hall befiehl
Das Saltzwerck, zeiget an, der hier auf rufen geht.“ 1
Fig. io.
Das hallcschc Wahrzeichen im Hause Leipzigerstrassc No. 106 107.
Zum Vergleiche mit diefem Wahrzeichen mufs auf ein ähnliches Bild,
Fig. 10, hingewiefen werden, welches sich in dem (LaufFerTchen) Haufe Leipziger
Strafse Nro. 107 befand und als diefes 1882 neu gebaut wurde, mit Pietät
dort (im Restaurationslocal der Neuen Börfe) wieder angebracht worden
ist. Es ist gleicherweife Hach in Stein gehauen, doch hat es einen Cartufchen-
rahmen, ift der Inschrift nach zwei Jahre jünger als das Wahrzeichen und
stellt nur einen sacktragenden Efel dar ohne Treiber. Hier geht das Last-
thier wirklich auf Rofen, die abgefchnitten von ihren Zweigen naturaliftifch
1 Bei diefem Bildwerke ift cs mir doch zu auffallend hervorgetreten, als dafs ich cs mit-
zutheilcn unterlaffen füllte , welchen Ein Hufs auf die Art der Auslegung Lcbcnsflellung und
perfönlichc Verhallniffe derer geübt haben, die eine Meinung darüber abzugeben hatten. Io
den vorigen Jahrhunderten, wo Halle hauptfachlich durch das Salzwcrk blühte, brachte die
Erklärung das Bildwerk natürlich mit ihm in Verbindung; fo Hondorff und nach ihm
v. Drcyhaupt, die beide, als dem Salzwcrke nahe flehend, den obigen Spruch anführen.
Franz Knauth, mehrfach um die Geschichte von Halle verdient, erzählt in feiner ..Heimathskundc"
jene beiden Sagen, die im Volke leben. Seine Abbildung des Wahrzeichens ift mehrfach,
ungenau; die falfehe Zahl 1533 ist denn auch für andere verhängnisvoll geworden, fo für
v. Hagen, der in feiner Chronik ,,Die Stadt Halle“ I. Seite io7 nicht anftcht, darauf hin eine
neue Auslegung zu bauen. Als Bürgermeister bringt er das Zeichen mit der namentlich in
diefem Jahre 1533 ftattgefuridenen Wohlfeilheit des Getreides in Verbindung. Endlich meint
Otte in den „Neuen Mitthcilungen des thüring.-fächf. Alterthumsvereins Bd. VI. I. 56",
obwohl doch die deutliche Jahreszahl keinen Zweifel Aufkommen läfst, dafs das Bildwerk
fchwerlich älter fei, als das 16. Jahrhundert. Er, der Paftor, deutet cs dahin, dafs unter dem
Efel der chriftliche Kreuzträger zu verftehen fei, der mühfam und unter Züchtigung, aber mit
fichcrer Hoffnung auf hinimlifche Belohnung wandle.
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IMK KIKCHK ZU U. I_ PK AUEN. 27
auf dem Boden verstreut liegen; eine Andeutung der Feftlichkeiten zum
Empfange des Kaifers fehlt aber auch diefcm Bilde durchaus. So kann
auch hier nur an eine Sentenz gedacht werden, und das Wegladen des
Treibers dürfte darin ebenfalls beltärken.
Treten wir nun in das Kirc henfchi ff. Fig. n. Da fchiefsen auf die
fchlanken glatten Pfeiler riefenhoch. Sie tragen das bunte Linienfpiel des Netz-
gewölbes; gleichroäfsig in gleicher Höhe breitet es (ich aus über alle drei Schiffe
der weiträumigen I Iallenkirche. Im Ollen hinter dem Altäre fchliefst lieh der
Raum oben durch eine gerade Wand mit einem Gemälde, darunter fpannt
fich ein weiter Flachbogen und trägt die Empore für eine kleine Orgel.
Im Wellen fchliefst die grofse Orgel oben den Raum ab; fie fleht ebenfalls
auf einer Empore, unter deren Flachbogen hinweg man in die Tautkapelle
zwilchen den beiden blauen Thürmen ficht. Zu beiden Seiten an den Wänden
entlang läuft die Spitzbogenarkade der Emporen und darüber her fenden
die langen Fender reichliches Licht herab in das Schiff. Die Färbung id
jetzt hauptlachlich matt fchmutzig gelb, der Sockel der Pfeiler und Wände
id braun und leider in Oelfarbe gemalt, die Fenllerfchrägen haben Müller
und die Gewölbefender find widerlich blafsblau godrichen. Nach dem
Modelle kann die alte Farbe mit Sicherheit leider nicht angegeben werden,
die der jetzigen voraufgegangene Bemalung blickt aber noch dellenweife
z. B, an den Pfeilern durch die Kalkfarbe durch.
Gehen wir nun auf dieEinzelheiten näherein. Schon bei Be fprechung
desGrundrifTes id gefagt worden, dafs die Pfeiler achteckig find; fie weichen
aber dadurch von der regulären Form ab, die im Dome, in der Moritz- und
L'lrichskirche gemacht worden id, dafs fie datt geradliniger Seiten flach
concave haben. Des Meiders Vorliebe für diele matten Hohlkehlen zeigt
fich durchgängig; nicht nur die Hauptpfeiler, fondern auch die ent-
fprechenden. kaum halb fo dicken Pilader bezw. Halbfäulen, welche an der
Wand zwifchen den Fendern zum Gewölbe hinaufgehen, und die kleinen
Kmporenpfeiler haben folche Canneluren. Bei den Fendern id bereits auf
die Hohlkehle hingewiefen, und an den Gewölberippen wird fie uns eben-
falls entgegentreten. Das allgemeine Ausfehen erhält durch die vielfache
Anwendung der Kehle etwas Uebertriebenes, Gefpendig- Unheimliches. So
erfcheinen die Pfeiler wefentlich länger, befonders da fie zu ihrer Höhe an
fich fchon hinlänglich dünn find, die Fendergewände fehen aus wie fchläfrig
matte Augenlieder, die Rippen wie Sehnen ohne Fleifch. Es id wieder der
formale Ausdruck des die Materie verachtenden Geilles, den man lieht.
Denn, indem der fchlanke, man möchte annehmen bereits auf den geringden
I heil feiner MafTe befchränkte Pfeiler durch die Kehlen noch ein Stück
verliert und dabei keine fchwächere Aufrifslilhouette erhält, verfchärfen fich
Licht und Schatten in verticaler Ausdehnung ganz erheblich, ohne jedoch, wie
etwa bei den tragenden Gliedern der antiken Baukund, den Säulen, ihre Bellim-
mung, eine Lad emporzuhalten, erlichtlicher zu machen. Im Gegcntheil, der
Eindruck einer Ueberanfpannung der Kräfte des Materials id die Folge folcher
wenigen, weiten und fchattigen Flächen, etwa wie wenn ein Greis feine leimi-
gen, doch fleifchlofen und daher fcharffchattigen Arme andrengen müfste, eine
Inneres.
Thcilcfl. Innern :
Pfeiler
und Gewölbe.
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28
DIE STADT HATTE u. <1. SAAI.KRKIS.
La ft hoch zu halten. Die Pfeiler haben einen achteckigen Sockel, der zwei-
geteilt ift, im unteren Theile geradlinige Seiten hat, im oberen aber fchon
die flachgehöhlten annimmt. Aus der Zeichnung des umlaufenden Sockel-
fimfes, Fig. 12, fleht man, dafs auch diefes kaum mehr als eine Hohlkehle be-
Fig. 1 2.
deutet. Ohne irgend eine Unterbrechung, ja ganz ohne Capital oder ein anderes
Gebilde, welches delfen Thätigkeit übernähme, (z. B. eine Confole), gehen
alle Pfeiler bis in das Gewölbe hinauf, thatlachlich, denn es fchneiden die
Rippen und Kappen mit den Pfeilern zufammen, wie es die gewählte
Gewölbelinie und Netzordnung eben mit (ich bringt, bald höher, bald tiefer,
aber natürlich an jedem Pfeiler in gleicher Weife.
Diefe ganze Conftruction macht freilich ein Capitäl kaum wünfchenswerth,
fowie lie die organifche Gliederung des Pfeilers durch alte und junge Dienfte
nicht nöthig hat; könnte man es auch dem GrundrilTe noch nicht anfehen, fo
würde durch die perlpectivifche Innenanficht verdeutlicht werden, dafs nämlich
die Rippeneinen conftructiven Sinn gar nicht mehr haben, fondern nur zur
müfligen Decoration ' dienen. Im Mittelfchiff ift das Gewölbe eigentlich nur
ein Tonnengewölbe von kaum merklichem Spitzbogen oder beffer nur eine
grofse Kappe zwifchen den Pfeilern, in den Seiten fchiffen ift es weniger
llumpf und von Stichkappen unterbrochen. Belebt ift diefe Wölbung nun
von einem ganz beliebigen, vielmafchigen Netzmufter, das fleh in den
einzelnen Jochen wiederholt und von Rippen gebildet wird, deren Profilirung,
einförmig genug, nur in vier Hohlkehlen befteht. Durch ein folches fteinemes
Netz erhält die Kappe wohl eine durchweg gleichmäfsige Verftärkung, der
Gewölbefchub aber überträgt fich nicht auf Rippen oder Grate und dadurch
1 Streng genommen freilich verlangt auch die Decoration, um zu entftehen und gerade
fo zu entftehen, wie fic entfteht, einen Zwang, ausgeübt durch die Conftruction oder das
Beftreben, deren Kräfte erfichtlicher zu machen, abgefchen von den Factoren, die den jedes*
maligen Stil producirt haben.
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t>iE kikCiif. }.v tr. I.. rkAi'F.M. i<)
fchliefslich auf einzelne Punkte, nämlich auf die Strebepfeiler im Aeufseren,
fondem er drückt ziemlich gleichmäfsig gegen die pfeilerverllärkten Aufsen-
wände. Damit aber ifl das Wefen der Gothik aufgehoben. Ks gipfelte ja
gerade in der Möglichkeit der kühnen Gewölbeconftruction fo hoch über
dem Boden nach Regeln, die das Auge erfafst und durch die es beruhigt
ift. Das ill der Conllructionsgrundgedanke, der erll die einzelnen Formen
erzeugt hat. Sobald er verlaßen wird von den Baumeillern, geht es mit
dem gothifchen Wefen — Tagen wir mit der Kunll überhaupt — abwärts,
und fo ifl im vorliegenden Falle die prahlende Gewölbeform ohne tieferen
Sinn nach Uebereinkunft entflandenes, fteinernes Phrafenthum, wohl zierlich
und das Auge gefällig unterhaltend, aber ohne innere Nothwendigkeit und
Wahrheit. Und weil die Baukunlt hier herabgefunken ill zur handwerks-
mäfsigen Fertigkeit, müffen Wunderbarkeiten und Spielereien wieder Erfatz
geben: zu folchen gehört zuerd, dafs man ftellenweife die Rippen loslöll
von den Kappen, fie frei durch die I.uft und über andere Rippen wegführt,
und dann wieder dem Gewölbe fich anfchliefsen läfst, ferner, dafs man aus
ihnen einen Schlufsllein (in F'ig. 1 1 vorn oben zu fchen) formirt, der, wie von
biegfamem Stoffe durch Verfchlingungen geformt, mit einem vergoldeten
Zapfen tief herabhängt und Staunen über die Steinmetzengefchicklichkeit
hervorrufen foll, welche im Stande ill, die natürliche Unfähigkeit des Sand-
fleines zu folchen Schnurpfeifereien wegzuleugnen. Nach Olearius ill ,,1539
mit dem Gewölbe über dem Chor zur Lieben Frauen angefangen.“ Das
Gewölbe pflegte das zuletzt in Angriff genommene Stück des Kirchenbaues
zu fein; es ill deshalb wohl anzunehmen, dafs bis auf den Ausbau durch
Kanzel. Emporen u. f. w. die Kirche im folgenden Jahre fertig gewefen ifl.
Zu der innern Ausllattung gehört zuerll eine Befonderheit der Markt- Emporen,
kirche, der Einbau Iteinerner Emporen an allen Seiten des Schiffes. An
Nord- und Südfeite find es den Jochweiten entfprechende Spitzbögen auf der
Pfeilern, die ein Netzgewölbe tragen; darüber ifl der Fufsboden hergeflellt
und nach vom durch eine Brüllung umfehränkt. An der Oll- und Wellfeite
dagegen fpannt fich im Mittelfchiff ein grofser Flachbogen zwifchen die letzten
Pfeiler, auf dem das Podium der Empore dann etwas höher als in den
Seitenfchiffen ruht.
Die Einzelheiten, Fig. 13, 14 u. 15, verdienen eine befonders eingehende
Betrachtung. Der Fufs der achteckigen Pfeiler, die mit ihren concaven Seiten
mehr einer Säule gleichen, ill ein runder Wulil auf einem fenkrecht cannelirten,
cylindrifchen Sockel. Wo die Archivolten, wenn man das gothifche, graten-
artige Bogenprofil hier fo nennen kann — anfetzen, fehlt eine organifche Ver-
knüpfung durch ein Capitäl. Der Bogen fchneidet ohne Weiteres in den
Pfeiler ein und nur ein kaum merklicher Anfatz von Profildurchdringungen
bezeichnet den Kämpfer. Auch die Bogenlinie felbll fchneidet hier noch
in den Pfeiler ein, fodafs zwifchen ihr und der fenkrechten Pfeilerlinie ein
fchwacher Knick entlieht. Von InterefTe ill die Conllruction des Bogens
felbll (Fig. 13.) Sie ill in den untern Schichten, fo weit thunlich, durch Vor-
kragen der Steinllücke bewerkllelligt , dann erll beginnt man den radialen
Pugenfchnitt und bedient fich dazu folcher Steine, die in der Richtung der
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Wölblinie möglich!! lang find. Die Bogenzwickel werden mit flachem Relief-
ornament ausgefüllt, welches aus Ranken und Blättern befteht, auch allerlei
Gethier, Halbfiguren, Kriegerköpfe, Masken und Schilde mit einflicht. 1
Den Fugenfchnitt in den Zwickelflächen hat man mit Gefchick dadurch tür
das Ornament unfchädlich zu machen gewufst, dafs man die Rankenwin-
dungen ihm angepafst, geradezu nach ihm componirt hat; die Fugen durch-
fchneiden immer nur die dünnen Stengel nicht die breiten Blätter, oder,
wo letztere dennoch getroffen find, geht der Schnitt quer zur Blattrichtung.
Das ganze Ornament aber ift lappenähnlich platt behandelt, es fieht aus,
als fei es aus Leder gefchnitten und dem Grunde aufgelegt, ftatt aus dem
vollen Steine herausgearbeitet; das Plaftifche fehlt den Details noch, ebenfo
ift die Regel für das Relief, das lieh doch gleich einer mit dem Bin fei
aufgemalten Maffe vom Grunde weich abheben Toll, feiten beachtet. So-
wohl in der Compofition — z, B. an der Führung der Ranken in ge-
fchmeidigen, fchwungvollen Linien — als in der Behandlung der Einzel-
formen — z. B. an den flachen Blättern voll frifchen Lebens ftatt der
feitherigen, dürren und in übertriebenem Hochrelief oder durchbrochen
gehaltenen — ift hier von der gothifchen Art nichts mehr zu fpüren; diefe
decorative Flächenbelebung ift für ihre Zeit neu oder doch den heimifchen
Steinmetzen feither unbekannt. Die Renaiffance meldet fich an den deco-
rativen Stücken zuerft und gleich recht lebhaft an , obwohl das Ornament
felbft noch roh gearbeitet und in der Compofition noch keineswegs ausge-
reift ift. Oben werden die Zwickel von einem durchlaufenden, über die
Bogenfcheitel weggehenden Gefimfe, Fig. 15, begrenzt. Meifter Hofman hat
fich abgemüht Kümata, Hängeplatte und Sima in ein fchickliches Verhältnifs
zu ordnen, aber das Glück ift ihm dabei noch wenig hold gewefen; zu fehr
noch ftak er in der gothifchen Gedankenwelt ; wohl fieht man in jeder
Linie den Protell gegen das Ueberkommene, doch das Neue, was der
Meifter vorbringt, ift noch unverftändig. Für das Gewölbe, Fig. 14, hat man
eine paffendem als die Netzform nicht gewufst, ebenfo hat fich die Gothik an
den Rippen nicht verdrängen lafTen; fie find gleich denen am Hauptgewölbe
profilirt. DieBrüftung endlich, die fich wie eine Attika auf das Gefims fetzt,
wird über jedem Spitzbogen durch dockenartige Halbfäulchen in vier Felder
getheilt und oben von einem Abdeckungsfims gefchlolfen, in welches joni-
lirende Säulchenkapitäle halb einfehneiden. Die letztem find, wo fie ganz
zur Entfaltung kommen z. B. an den Ecken der weltlichen Orgelempore,
mit Engelsköpfen zwifchen den Voluten gefchmückt und fo eigenartig wie
reizend entworfen. Während Docken und Sims in die Renaiffance fpielen,
find die Felder wiederum durch knöchrig gothifches Maafswerk — Flach-
kehlenprofil, Fig. 16, — ausgefüllt, aber nicht durchbrochen, fondern zur Blende
abgefchwächt. Beachtenswerth ift, dafs die Steine der Brüftung auf der Rück-
feite mit vielen, grofsen Klammern unter einander forgfaltig verbunden find,
1 Lübbe in feiner Gefchichle der Renaiffance in Deulfchiand macht bei tler ßefchreibung
der Kirche zu Pirna hei Dresden aufmerksam auf die Achnlichkcit ihrer Emporen mit denen
der Marktkirche zu Halle.
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DIE KIRCHE: ZU U. L. FRAUEN.
3'
die keine Spur von Roflbildung zeigen. Die Unterfuchung ergab, dafs fie
alle aus Blei beilehen.
Maafswerksprofil an der nrüstun^ »1er steinernen Emporen. «Marktkirche.)
Im Jahre 1597 Tollen die Emporen „mit Gold auff blau und weifsen
(irundt ftaffiret“ fein, auch Bibelfprüche in goldenen Buch Haben auf blauem
Grunde zogen fich am Briefe des Gelimfes hin. Gewifslich war diefer
Schmuck durchaus harmonifch und gefchmackvoll , da er in den kunll-
finnigllen Jahren gemacht wurde ; fpätere Zeiten haben leider einen eintöni-
gen , fchmutzig gelben Oelfarbenanllrich und weifse Buchllaben auf Itumpf
dunkelrothem Grunde für eine VerbelTerung angefeheti.
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3*
tllK STAUT HALLE U. d. SAALkRKtS.
Emporen*
infchrificn und
Aehnlkks
deren Gewände, F'ig. ly, fchon ganz in der AuffalTung der RenaiPTance ohne
vorherrfchende Hohlkehlen, Profildurchdringungen und dergl. profilirt ift.
Die Treppen find bequem, haben gefchweifte Stufen und endigen oben
mit einem verzierten Sturz (vergl. Fig. 20) über dem Austritt.
Es fetzt fich aber nach einem Podelte die Treppe noch bis zu dem
Sturze fort, um auf die Wellempore zu geleiten; diefe ift heute nicht mehr
in ihrem erften Zuftande, nur der Bogen und das Gefims find noch unter
ftufenartigen Zufätzen und Ueberbauungen von Holz vorhanden. Am meilten
fallt hier auf die im Grundrifs zu erfehende Verbreiterung der Empore,
dadurch bewirkt, dafs der Bogen fich einfeitig verbreitert (im Grundrifs Fig. 1
zu sehen) und alle Simfungen die ausladende Linie begleiten, eine balcon-
artige Form mitten in der Empore bildend. Originell ift, wie der Meifler
hier die Bogenlaibung behandelt, nämlich mit füllenden Ranken und Blättern
gleich den Bogenzwickeln, während er den nämlichen Flachbogen der Oft-
empore in ftarren architektonifchen Gliedern gehalten hat. Unter den hölzer-
nen Ueberbauten kann man da, wo der gelbe Oelfarbenanftrich nicht an das
Gefims gekommen iß, noch die Spuren der blafsblauen Friesbemalung
von 1597 finden; der Fries hatte hier auch keine Schrift fondern ein einge-
fchnittenes Bandornament.
Die Empore in Often liegt ebenfalls fo hoch wie die weftliche und zu
ihr führt von jeder Seitenempore eine fchmale Treppe hinauf. Die (ud-
liche liegt fichtbar an der Oftwand des Seitenfchiffes und hat ein ein-
faches, altes Schmiedeeifengeländer mit einer Thür, die nördliche dagegen
liegt hinter dem Hauptpfeiler und ift unten nicht zu fehen. Auch die
Brüftung diefer Empore baucht, in der Mitte vorkragend, ein Wenig
aus wegen der kleinen Orgel (nicht der jetzigen), für die fie von Anfang an
beftimmt gewefen ift.
Es findet fich nun noch eine Reihe bemerkenswert her Einzel hei ten.
In der Südoftecke will Hofman durch ein conftructives Kun ft ft tickchen glänzen ;
er hat folgende Worte in die untere Simsplatte eingehauen:
ES THVN IHER VIEL FRAGEN WIE SICH DISE 2 STVCK TRAGEN.
Worin überhaupt die Schwierigkeit der Conftruction beftehen toll, ift nicht
einzufehen, denn, wie man an Ort und Stelle lieht, find die beiden in Betracht
kommenden Stücke zunächst in die Pfeiler tief eingelaften, aus denen fie con-
folenartig vorftehen, fodafs fie fchon an und für fich Halt genug haben
müfsten, aufserdem mag eine Verfalzung und Verklammerung mit der viel-
leicht auch confolenartig in die Oftwand eingelalTenen Fufsbodenplatte die
Haltbarkeit vermehren; doch ift das nicht zu fehen ohne eine Unter-
fuchung, die eine zeitweilige Zerftörung des Emporenftückes bedingen würde.
Und in der That ift es auch ziemlich belanglos, welche von den vielen
möglichen Conftructionen hier angewandt ift, weil für Bauleute jetzt nicht
im Minderten Schwierigkeit Vorhänden wäre, die Empore dergeftalt herzu-
ftellen.
• An der Südfeite im 4. Joche von Often her ift am Simfe das Wappen
des Baumeifters, I*ig. 18, angeheftet. Inmitten eines blechernen Rundftückes von
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!>11 KIRCll! zr I'. L. KKAt'IN.
33
einem Rande umgeben befindet fich der Wappen fehild mit Helm und zu
Blattwerk aufgelöfler Helmdecke in erhabener Arbeit. Kino liegende ,\lond-
fichel mit einem Sterne darin erinnert an das ftädtilche Wappen. Auf dem
Fis. >»•
Niekd Ifofman’s Wappen an der Siidempore.
Schilde felbif fieht man von einem Ringe umgeben die Sichel des zunehmenden
Mondes mit einem Geflehte. Als redend das Wappen aufgefafst, könnte
der Mann eines Mondes, welcher zunimmt, allo wohl die Hoffnung auf den
kommenden Vollmond erweckt, vielleicht als Hofman gedeutet werden.
Imt alles dies umfchliefsende Rand ilf durch zwei Wülfte conturirt und hat
jtilser dem Werkzeichen des Meifters folgende Infchrift:
NICKEL . HOFMAN . DER . DISEN . BAW . V0LEN3ET . IM . 54
Dafs das ganze Stück wie jetzt auch früher farbig gefchmückt gewefen
'h. fcheint licher. jedenfalls aber war die alte Farbe nicht wie heute eine
unangenehme, harte, blaue und blanke Oellarbe mit Gold. Untor dem
Wappen in den Gefimsftein eingehauen lieht:
DURCH . GOTES . HULF . HAB . ICH . NICKEL . HOFMAN . DISEN .
BAW . IM . 1554 . VOLENDET.
Beachtenswert!! dürfte fein, dafs lowohl in diefer als in der Infchrift
ftes Rundftückes die Schreibweife des Namens übereinrtimmend Hofman ill
B. D. d. Bau- u. Kuntld. N. F. I. d
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34
DIE STADT HAI-I-F. u. d. SAALKREIS.
ftatt Hofemann, welche fich in der Umfchrift des Portraits auf dem Gottes-
acker findet. Da letztere wohl erft nach des Meilters Tode ent Hand, jene
aber von ihm felber oder nach feiner perfönlichen Anweifung gefertigt ift,
darf man die Lesart Hofman wohl als die richtige anfehen.
Im 6. Joche bei der Kanzel ift ein Rundftück gleich an das Simsftück
angehauen; darauf ift dargeftellt von einem Kranze umgeben Jonas im
Fifchrachen; zu beiden Seiten daneben lieht ein I. Die dem Simfe ein-
gehauene Unterfchrift giebt Auffchlufs, auf wen das Dargeftellte Bezug
hat; fie lautet:
ANNO 1541 DOCTOR JUSTUS JONAS HIC EVANGELIUM REST A/RA/IT.
In den Jahren Jahren von 1541 bis 1547 ift nämlich Jonas der erfte
evangelifche Prediger an diefer Kirche gewefen.
In demfelben Joche an der gegenüberliegenden Nordfeite (Fig. 13) ift
Luthers Wappen, ein Herz mit Kreuz auf einer Rofe, dem Simsfteine der
Empore angehauen und darüber das Bildnifs des Reformators angebracht.
Es tritt als Bruftbild auf einem runden Medaillon , welches wahrfcheinlich aus
geprefstem Leder befteht, in ziemlich kräftigem Relief hervor und ist farbig
gehalten; bedauerlicher weife ift auch hier die alte Färbung unfchün erneuert.
1553
Auf dem freien Raume neben dem Kopfe fleht links vom Befchauer:
I K
rechts D M L, diefes ift wohl als Doctor Martin Luther zu deuten,
während jenes fich auf das Entftehungsjahr und den Namen des weiter
nicht bekannt gewordenen Verfertigers bezieht. Auf dem Rande ringsum
lefen wir:
PESTIS ERAM VIVUS MORIENS ERO MORS TVA PAPA.
Haben fich folche Worte erfüllt?
Im Friefe, zwifchen Wappen und Bild ift eingehauen:
SANCTUS DOCTOR MARTINUS LUTI-ERUS PROPhETA GERMAN l/E
DECESSIT ANNO 1546.
Ferner fleht neben dem Wappen auf der unteren Simsplatte einerfeits
NATUS ANNO 1483, andererfeits DOCV1T ANNO 1517.
Endlich findet fich im Ornamente des rechten Zwickels, Fig. 19, am letzten
Bogen der Südfeite, der wie der gegenüberliegende wegen der vorfpringenden
Treppe kein ganzes Joch fafst , ein Meifterfchild mit Zeichen und den Buch-
Haben T R daneben. Auf einer befonderen Platte weiter unten fleht 1554.
Es kann anders nicht fein, als dafs diefer T. R., deffen Zeichen und Buchftaben
fich auch am Gottesacker wiederfinden, der treue Gehilfe, vielleicht der erfte
Polir Hofmans gewefen ift. Der Name ift leider unbekannt geblieben.1
1 Vergl. H. Heydem an n fs Bemerkungen in der Zeilfchrifl für bildende Kunfi XVII. S. 179
Anm. 4 und im zugehörigen Beiblatt 18. Jahrg. Nrn. 2 auch Orlwein** Hefte über Deutrehe
Kenaiffance VIII. Abtheilung.
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IMF. KIKCilF ZU U. t_ FRAUEN'.
35
An beiden Treppen iß der verzierte Sturz über dem Austritt merkwürdig.
Wir geben in Figur 20 das Bild von dem mittleren Stücke der Ornamen-
tirung des über der füdlichen Treppe befindlichen. Auf dem Schilde liehen
Fig. 19.
die Anfangsbuchftaben N. H. des Namens und zwifchen ihnen befindet fich
das Werkzeichen des Baumeifters, aufserdem die Jahreszahl 1554. Auf der
Zeichnung nicht mehr angegeben ift die Infchrift dicht unter diefem
verzierten Felde des Sturzes, fie heifst:
ICH DANCKE GOT DER MICH BEHVT IN ALER NOT.
Der Sturz über der nördlichen Treppe ift ganz ähnlich gefchmückt.
auch das Wappen lieht bis auf die Jahreszahl, welche hier 1550 ift, ebenfo
aus. Beiläufig mag bemerkt werden, dafs Hofmann diefes Werkftück nicht
«genhändig gearbeitet hat, weil fich daran das Steinmetzzeichen eines
i*
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Entftchungszeit.
36 * DIE STADT HALLE u. d. SAALKHEIS.
Gefellen findet. Die beiden Jahreszahlen gerade an diefen beiden Stellen
können wohl nur auf den Anfang und das Ende der 1 lerllellung der Emporen
bezogen werden. Die Chroniften ftimmen damit infofern nicht ganz überein,
als fie 1551 als das Anfangsjahr angeben. Der Grund liegt vielleicht darin,
Fig. 20.
Sturzftück über der füdlichrn Emporentreppe.
dafs diefe Treppe freilich fchon 1550 gemacht wurde, aber erlf im fol-
genden Jahre „die kleinen Pfeiler der Lieben -Frauen -Kirchen gemauert“
worden find. ‘
Das führt zu weitern Bemerkungen über die Entftehungszeit der
Emporen. Ziemlich unbellreitbar nach den befprochenen Infchriften und
fonlfigen fchriftlichen Ueberlieferungen iß, dafs die Seitenemporen und die
weltliche Orgelempore zwifchen 1550 und 1554 erbaut worden find. Ueber die
Oftempore jedoch berichtet v. Dreyhaupt, dafs 1530 auf fie die kleine Orgel
(eine Vorgängerin der heutigen) gefetzt fei und, da er beifügt, des Cardi-
nais Organift Leonhard Dietzen habe fie geftimmt und gerichtet, fo ilt
fchlechterdings nicht daran zu zweifeln, dafs in dem genannten Jahre hier
eine Empore war. Ob nun aber die jetzige Empore und ihre Ausftattung
diefelbe ift, die 153g vorhanden war, oder ob erft fpäter mit den übrigen
zufammen die Ausftattung, wenn nicht die Herftellung einer andern, gefchah,
ift nicht nachweisbar. Es ift jedoch unwahrfcheinlich. dafs die vielen andern
Emporenbögen nach elf Jahren diefem einen vorhandenen im Stil genau
angepafst worden wären; in den Formen ftimmen fie auf das befte überein.
Ein zu grofser Wechfel der Gefinnungen war inzwifchen durch den Fortgang
des Cardinais und die Einführung der proteftantifchen Lehre vorgegangen,
als dafs nicht eine Stilverfchiedenheit die Folge davon gewefen fein würde.
Eine andere Frage ift die nach dem Zugänge zu diefer Empore. Er mufste
ein directer fein, die Seitenemporen waren noch nicht vorhanden. Nach
Lage der Dinge kann der füdliche Treppenaufgang erft mit der Eidlichen
Empore gemacht fein , auf der er ja feinen Antritt hat. Aber der nördliche
könnte vorhanden gewefen fein, und es ift anzunehmen, dafs er, auf welche
Weife immer läfst fich nicht mehr fagen, mit der in Nordoften angebauten
Wendeltreppe in Verbindung ftnnd. Eine Treppe aber mufs hier fchon vor
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IHK KIKCHK ZI! lT. L. FRAUEN.
37
1667 (vergl. die Infchrift weiter vorn) gewefen fein, weil fich in Höhe der
Seitenemporen, alfo gleich mit der Mauer angelegt (auch aus dem Stein-
verbande geht das hervor), ein Portal zwifchen Nordempore und Treppen-
raum befindet, delTen Gewände wie das der vier bez. fechs andern Portale
des Schiffes ausfieht.
Wir haben bisher nur von den fteinernen Emporen gehandelt, in Wirk-
lichkeit trägt aber die nördliche Empore noch eine zweite von Holz, auch
belleht die Weftempore gröfseren Theiles aus Holz und hat über den Treppen
in den Seiten fchiffen noch eine hölzerne Galerie. I löchlt merkwürdig ill es nun,
dafs diefe hölzernen Zufätze die Details der Steinemporen, fo weit esthunlich
war, nachahmen. Der Aufbau an der Nordfeite ruht auf Pforten in Joch-
weite , die ziemlich roh vierkantig find und oben durch concave Knaggen
fich mit den graden Balken verbinden. Auf die knaggenartige Eckausfüllung
ilf auch eine falop gefchnitzte Akanthusranke aufgeheftet, und die beiden
Pforten des der Kanzel gegenüber gelegenen Joches find mit vorgefetzten
halben Palmbäumen gefchmückt. Der Raum zwifchen der graden, meift
calfettirten Decke und dem Eufsboden der untern Empore ift durch Bretter-
verfchläge logenartig getheilt und fo zu Kirchftuben für die vornehmem
Familien hergerichtet. Das Gelims ift die genaue Copie des fteinernen und
hat wie diefes Bibelfprüche im Fries; ebenfo find. die etwas weniger hohen
Brüftungsfelder, die theilendenHalblaulchen u. f. w. Nachbildungen der untern.
Die Orgelempore hat ihre zu Anfang jedenfalls fteinerne Brüftung ver-
loren, man hat nach vorn weiter hinausgebaut ebenfalls mit balconartiger
Ausbauchung, aber in gebogener Linie, und den Vorbau durch eine Säule
unterftützt. Der Eufsboden liegt ein wenig tiefer als das alte, fteinerne
Podium, welches von der jetzigen Orgel fall eingenommen wird. Die er-
wähnte Galerie, die in den Seiten fchiffen .weltlich über den Treppen neben
der Orgel liegt, hat eine Dockenbrüftung. Uebrigens find fall fämmtliche
andere Stücke wiederum den fteinernen nachgebildet, fodafs eine oberfläch,
liehe Berichtigung zu dem Glauben führt, auch alle hölzernen Stücke feien
mit den fteinernen gleichmäfsig gemacht. Dem ift aber nicht fo. Aufser
den Details, in erfter Linie den Palmbäumen, den angehefteten Schnitze-
reien u. f. w., dann den Caffettendecken, überhaupt der Stubenausftattung, ift
es der unverftändige Gedanke felbft, die Steinprofile in Holz nachzumachen
und die mehr rohe als ungefchickte Holztechnik diefer Stücke, welche die
Mitte des 16. Jahrhunderts als Entftehungszeit ausfchliefsen. Man erkennt
an allem den Stil der Barockzeit; dabei ift es freilich auffällig, dafs diefe
Zeit fich unferer heutigen gleich herbeigelalfen hat, auch einmal im Sinne
einer vergangenen zu fchaffen. Genauer die Entftehungszeit feftzuftellen
ermöglicht das bekannte Modell. Es weift nach, dafs auch die fteinnach-
ahmenden 1 lolzarbeiten nicht gleichzeitig find. Wir fehen nämlich, dafs
1695 die Weftempore und ihre höher gelegenen Galerien bereits vorhanden
waren, dafs aber die nördliche Oberempore noch fehlte. Statt ihrer fteht
mitten auf der fteinernen ein einzelnes Stübchen, goldreich geziert; an
feiner Bekrönung lieft man die Jahreszahl 1O95. Vor diefer Zeit ift alfo die
nördliche Oberempore nicht vorhanden gewefen; aber für wen war das
Holz empören.
Entftehungszeit
der
Holzcmporcn.
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38
IHR STADT HALLE u. d. KAALKRKIS.
r uf-rrc Treppe
n Xordobten.
Sacrifteil liür.
Stübchen beftimmt und wann ift es erbaut? Bei Olearius findet lieh über
das Jahr 1638 Folgendes: „1638 ift das Fürftliche Kirch-Stüblein in der
Lieben -Frauen Kirchen erbauet.“ Fin folches giebt es nicht mehr, wo aber
kann es Fon ft geftanden haben als hier, der Kanzel gerade gegenüber ?
Beweilt doch auch die Loge, die nachdem an diefe Stelle gekommen ift,
durch den fie auszeichnenden Palmenbaumfchmuck , dafs fie für ausgezeich-
nete Perfonen beftimmt war. Die Jahreszahl 1695 an der Bekrönung des
Stübchens beweift nur, dafs es um diefe Zeit vorhanden gewefen ift; viel-
leicht ift es das Verfertigungsjahr des Modelles, welches man hierher gefetzt
hat. Uebrigens ergeben auch die Fehler, die bei der Steinnachahmung in
Holz entftanden, eine Verfchiedenheit , die eine gleichzeitige Entftehung der
beiden Emporen aus Holz nicht zuläfst. Vergl. Fig. 21 und 22 mit Fig. 16.
Fi(f. 31.
Kig. 22.
M.if.swerksprotil an der Brüstung
der hölzernen (obern) Empore nördlich.
Mafüwerksprolil an der Brüstung der
Orgelempore (Holz).
Beftimmtere Zeitangaben laßen lieh nicht machen, die wenigen originellen
Details reichen hin, um darzuthun, dafs die Orgelempore nicht fehr lange
vor 1700, und die obere Nordempore bald nach diefer Zeit gemacht
fein mufs.
Aufser der hölzernen Stiegenfortfetzung über der nordwestlichen Wendel-
treppe fuhrt auch noch die äufsere Treppe in Nordoflen bis zu der
obern Seitenempore hinauf. Wie es wegen des fpätgothifchen , bereits
erwähnten Thürgewändes, in der Höhe der untern Empore klar ift, dafs
fchon vor 1667 ein Thurm hier geftanden hat, fo läfft lieh auch an den Stufen
nachweifen, was bereits äufserlich an den Fenftern erkannt wurde, dafs der
Thurm nachträglich erhöht worden ift, nämlich bei dem Bau der oberen
Holzempore. Die unteren Stufen vom Jahre 1667 lind besser gearbeitet,
die Unterficht zeigt jede Trittftufe forgfältig abgerundet, oben dagegen
begnügt man lieh mit einer ftumpfwinkligen Bearbeitung derfelben. Auch
find die oberen Stufen gröber fcharrirt. Dafs auch ein ausgebildetes Thür-
gewände oben fehlt, ift natürlich.
Unter den andern, weit weniger bedeutenden Stücken des inneren
Kirchenausbaues diefer Zeit mag zuerft das fteinerne Gewände der Thür
zwifchen Kirche und Sacriftei genannt werden. Es ift ein anziehendes
Stück der fpäteften Gothik. Ein tief ausgearbeitetes Gewände, in der
bekannten Weife aus Hohlkehlen, Rundftäben u. f. w. beftehend, geht in
einen Efelsrücken über und bildet durch Abzweigung und Vereinigung
beiderfeits ein Feld, gefüllt mit Laubornamenten, welche als Hochrelief fall
ganz frei vor dem Grunde liehen. Darunter, um das Tympanon zu füllen.
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IHK KIRCHE ZU V. L. FRAUEN. 39
hängt das Schweifstuch mit dem ziemlich ftark vortretenden Kopfe Chrifti.
Der Ausdruck ift nicht übel; die ganze Thürlöfung ift reizvoll und fcharf-
linnig erfunden. Während die Thür an der Kirchenfeite fpitzbogig hoch
hinauf geht, ift fie auf Seiten der Sacriftei viel niedriger und flach korb-
bogig. Die kirchfeitigen, hohen ftark befchlagenen Flügel verdecken fomit
nicht nur das Thürlichten, fondern auch das Tympanon. Weniger von
Jntereffe ift das Gewände in der Sacriftei, weil es ein einfacheres Profil hat.
Wir nennen ferner die Kanzel als eine mit der Kirche entftandene Kanzel,
und den Stil der Zeit gut kennzeichnende Arbeit. Sie ist von Sandftein,
ruht auf einer Säule mit reichem F'ufse, und eine Treppe fuhrt um den
Pfeiler der Südfeite, an den fie fich lehnt (f. den Grundrifs), zu ihr hinauf.
Im Einzelnen betrachtet gewährt das Stück eine Fülle anziehender und,
wenn man will, auch abftofsender Befonderheiten. Der F'ufs der die
Kanzel ftützenden Säule ift ein die Elemente der Gothik, und Renaiffance
innig mengendes Machwerk (Fig. 23 und 24). Unfere Aufmerk famkeit
Fig. 23.
4 f £ £ ^
Grundrifs des Kanzelfufses.
wird im höchften Grade davon gefeffelt, namentlich auch, weil diefe Bafis
der relativ fchönfte Theil des Ganzen ift. Die Motive find fehr mannig-
faltig und deren Compofition ift rein kriftallinifcher Natur. Wie fich das
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DIF STADT HALLE u. d. SAAI.KKKIS.
40
Atlfrifs des Kaiuclfufscs.
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DTK KIRCHE ZT* C. I.. FRAUEN.
4*
Kunftfchaffen hier äufsert, ifl mehr naiv und niedlich, als eigentlich fchön zu
nennen. Der Grundrifs nimmt nach einander die verfchiedenlten Geftalten
an ; er geht aus dem Viereck zum Achteck und zum Kreife über, bricht dann
feine Linien in complicirter Weife, vereinfacht fie wieder, und das mit
Wiederholung in veränderten Figuren, bis er fich zum einfachen, glatt
runden Säulenllamme zufammenzieht, um bald wieder in ähnlichen Bildungen
das Kapital für die Kanzelfufsplatte zu formiren. An der Balis Towohl
wie am Kapitäl kommen fodann noch zahlreiche Kerbfchnitte hinzu, ferner
wagerechte, fenkrechte und felbft fchräge Gliederungen, die das Ganze fo _
bunt, fo fprudelnd von unbändiger Luft am Ornamentiren machen, dafs es
unfere Blicke lange gefangen hält, auch ohne dafs durch Blumen, Blätter,
Thiere und dergl. wachfende und lebende Objecte viel wjrkfamere Mittel
herangezogen find. Ueber dem, was man hierCapitäl nennen mufs, fteigen
Maafs Werks Verzweigungen glatt ohne naturaliftifche Ae de auf als Blende
eines feilen Kernes, der von- wulfliger, weichlicher Bildung id und nach
einer Einziehung fich in die gleicher Weife behauene Kufsbodenplatte der
achtfeitigen Kanzel ausbreitet. Die Felder an der Kanzel felbft fcheidet
ein fchwacher Rundftab mit einem Fufse und Capitäle von Band- und Kerb-
motiven. Alle find reizend erfunden und einige die unverkennbaren Vorboten
der Renaidance; bis zur Blüthe letzterer hat fich diefer Schmuck ja auch
an F'ender- und Thürprofilen gehalten. Jedes F'eld füllt fich durch Blenden-
maafswerk — F'ig. 25 dellt die wenig gothifche Profilirung derfelben dar —
t'ifi. =5-
Maafeprotil der Kanzclbrüftuny.
und diefes zieht fich auch in den Feldern der Treppenbrülfung hinab. Man
hat die Zirkelfchläge, aus denen die geometrifchen Figuren befiehen . von
jedem F'elde in die nebenliegenden hinein fortgeführt, dabei ift die Löfung
(namentlich an der Verbinduugsftelle der Kanzel mit dor Treppe) nicht
immer geglückt.
Am Fufse der Treppe fteht ein mit einer Thür verfchliefsbares
Portal, gebildet durch zwei Pfeiler mit Sturz und einer rundbogigen Ver-
dachung darüber. Hier fieht man das Suchen nach neuen Formen ganz
deutlich: prüft man nicht genau, fo machen die Pfeiler den Eindruck,
als feien fie thatlachlich in Renaiflancegliedem hergeflellt , während fie
doch, wie unfere Zeichnung (Fig. 26) darthut, lediglich verderbte Birnen-
profile und Plättchen haben. Der F'ufs der Birnen hat wieder Kerbfchnitte
und dergl. Zierrathe, über deren wunderliche Unregelmäfsigkeiten wir den
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42
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKRKIS.
Kopf fchütteln möchten. Auch der Sturz, als Architrav behandelt, ift fo
wunderbarer Herkunft, wogegen zum llauptlims fchon die ziemlich richtige
Linie des lesbifchen Kümations mit der doppelt gekrümmten Simalinie
vereinigt ift; zwifchen beiden ift nur ein winziges Plättchen, die breitere
Hängeplatte fehlt noch. Auf dem rundbogigen, tympanonartigen Felde des
Aufratzes über diefem Simse lind in ganz flachem Relief zwei mit den
Fig. 26.
Pfeilerfuf* des Kanzelaufgangcs.
Schwänzen verfchlungene Delphine in Hofman’fcher Manier dargeftellt.
Diefes Motiv der Fifche findet ftch häufig am Tympanon einei kirchlichen
Thür feit den älteften Zeiten und die Deutung ift verfchieden. Hier, wo
als Bekrönung frei auf diefem Auflatze die Halbfigur des fegnenden Chriftus
mit der Weltkugel fich findet, ein befonders für Kanzelthüren ebenfalls oft
angewandtes Bild, hier fcheinen die Fifche als das ältefte und Hauptfymbol
des Heilands keine andere Bedeutung zu haben als die der Unterfchrilt
i/ibi; wobei zu denken ift an die Auflöfung diefes Wortes in: Jefus Chriftus
Gottes Sohn (und) Heiland. Die Fifche sind hier gleichfam das Erkennungs-
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DIE KIKCHE ZU U. L. FRAUEN.
43
Zeichen Chrifti, wie ja auch alle Heiligen folche hatten. An be/.w. auf dem
Giebelauffatze, Chrifto zugewandt, liegt jederfeits ein Engelchen mit zu rammen-
gelegten Händen. Die Darllellung diefer Figuren und der Halbtigur Chrifti
ift nun fo gemacht, dafs (ie nach vom und hinten denfelben Anblick geben,
dafs lie mithin doppelt find d. h. die Figuren haben nur zwei Vorderfeiten
ohne Rückfeite. Auch die Fliehe wiederholen lieh im entgegengefetzten
Felde. Nachholen muffen wir noch die Infchriften des F'riefes über dem
Sturze; fie find erhaben und urfprünglich; aufsen fleht imFriefe: CHRISTUS .
INTROIIT die darunter am Sturz ill gemalt; RENOVIRET MDCLXVI. ImFriefe
auf der Rückfeite lieht:
GLORIE . PSAL
24. ANNO
M . D . XLI.
Aus diefer letzten Infchrift erfahren wir alfo das Entflehungsjahr der
Kanzel, welche gemacht ifl, fobald es überhaupt anging, nämlich fogleich
nach Fertigflellung der Gewölbe. Und fonderbar, als mit der Kanzel die
neue katholifche Kirche zum Gottesdienlle wirklich fertig gewefen ift, hat
fie fogleich dem proteflantifchen Culte gedient; die erlle Predigt von diefer
Kanzel herab ill eine proteflantifche gewefen.
Der Thürflügel des Kanzelportales hat in feinen theil weife abge-
fallenen Leiden die Andeutung einer perfpectivifchen Darllellung, wie es
ja die Renailfance für hölzerne Füllungen liebte. Da aber Thür und
Gewände einen dicken Oelfarbenanftrich erhalten haben, fo find die Intarfien,
welche fich muthmafslich in den Thürfeldern als Architekturperfpectiven
oder auch als vegetabiles Ornament finden werden , nicht mehr zu fehen.
Die moderne Bemalung der Kanzel giebt ein Beifpiel gründlichller
Gefchmacklofigkeit , und der unbehagliche Eindruck, den ihr Anblick
macht, ill nicht zum wenigflen gerade den Farben zu verdanken. Man
denke fich alfo in glänzendem Oelfarbenanftrich den Sockel kaffeebraun,
den Säulenfchaft -grauweifs marmorirt, das Maafswerk weifs mit blauen
F'eldern und die Theilungsfäulchen vergoldet. Auch ohne diefe erfchreckende
F'ärbung kann eine Würdigung der Kunllleiftung an diefem Stücke nicht
gerade lobend ausfallen, weil der Hauptfache nach fich hier noch einmal
die ganz entartete Gothik breit macht; nur der Fufs bildet eine Aus-
nahme und daher das Gefallen , welches wir an ihm finden. Mit Recht
fragt man. warum nach dem glänzenden Kanzelvorbilde des Domes im Stil
der Renailfance Hofman hier noch einmal zur Gothik zurückkehrte; eine
Antwort kann erll weiter unten gegeben werden.
Der Schalldeckel der Kanzel ill nach Infchriften, die man oben Schalldeckel,
von der Südempore aus fehen kann, — fie liehen im Triefe — 1596 ge-
macht und 1784 renovirt. Diefe Renovation ift nicht die einzige, vielleicht
aber die letzte gewefen. Inzwifchen hat man nach Olearius 1666 im
September den Predigtlluhl fchon einmal renovirt und ihn wie andere Holz-
arbeiten der Kirche mit Gold „ausftaffiret." Durch die verfchiedenen
Erneuerungen, die leider in zu gründlicher und umfafifender Weife llattgehabt
haben, find nur noch die allgemeinen Umrifse der erften Gellalt bellehen
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ufshixlcn.
44 1)1E STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
geblieben, während von den fein gezeichneten und gearbeiteten Details
wenig erhalten ifl. Ein Gebälk — niedriger Architrav , hoher Fries und
weit ausladendes Kranzfims — nimmt die Form eines langfpitzig, acht-
llrahligen Sternes an; darüber lieht ein Tempelchen auf acht Säulen ganz
in derfelben, doch kleineren, langfpitzig achtftrahligen Sternform. Unter
dem Gebälk des eigentlichen Deckels entlieht eine grofse Strahlencaffette;
darinnen fchwebt frei die Taube, und hinter ihr lind Strahlen und Wolken.
Am Fries umrahmen Kartufchen längliche, medaillonartige Nifchen, in
denen Engel figürchen liegen. Andere Kartufchen mit Fruchtbündeln und
Gehängen bekrönen auf jeder der beiden Seiten einer Spitze das Gebälk,
und Engelchen, die mit Kreuz, Pfeil und dergl. Gegenlländen (Paffionswerk-
zeugen?) auf dem Ende jedes Strahles liehen, bereichern dielen kraulen
Abfchlufs noch mehr. Im Tempelchen ifl ein Crucifixus autgellellt und die
Statuen der vier Evangelillen fitzen um denfelben her; vor ihnen auf vier
Spitzen des Stylobat.-, hat das Symbol eines jeden Platz. Nur der Engel
des Matthäus fehlt; er fcheint jedoch nicht verloren, fondern jener Engel
auf der letzten Gebälkfpitze gegen Wellen zu fein, der viel gröfser als die
andern ill und nachträglich aus Irrthum oder Unkenntnifs diefen Platz
erhalten haben wird. Ueber dem Tempel ifl die Verklärung Chrifli dar-
gellellt. Ein Felfen ragt empor, auf ihm lieht Chrillus im Glorienfcheine,
etwas niedriger, zu feiner Rechten hält Mofes die Gefelzestafeln , aut der
anderen Seite, ihm entfprechend, fleht Elias. Noch tiefer am Fufse des
Felfens, auf den Gebälkfpitzen liegen die drei Jünger. Wie die architek-
tonifchen Details, fo find auch die Figuren gröfseren Theiles fpäter,
früheilens etwa [666 gemacht; nur die Mehrzahl der kleinen Engel auf
den Simsfpitzen, wohl auch einige andere Figuren (Crucifix?) fcheinen ihrer
ruhigen Haltung und guten Proportionirung nach vom Jahre 1596 zu fein.
Sie haben auch ein paffenderes Verhältnifs zu der Architektur als* die
anderen, die zu grofs find und theilweife fo theatralifche Stellungen annehmen,
dafs ihre Datirung auf diefelbe Zeit unmöglich ill.
Wie die Detailirung kaum geniefsbar ill, fo noch weniger die jetzige
Bemalung, welche in einem dicken, alles verkleckfenden, fchmutzigweifsen
Kalkfarbenanflriche der llauptfache nach belleht; einige kleine, anders
gefärbte Partien kommen kaum in Betracht, und die vielfache Vergoldung
wirkt mit, einen rohen Eindruck hervorzubringen. AlsVerfader des Deckels
nennt v. Hagen den Meiller Henricus Heyden Reitter.
Es wäre noch ein Stück des inneren Ausbaues zu nennen, nämlich der
Fufsboden; allein es ifl der urfprüngliche nicht mehr, welcher wahr-
fcheinlich in einer gemullerten Backlleinpflaflerung befland. Der jetzige
Bodenbelag in Sandlleinplatten, hat ein hierher nicht gehöriges, antikes
Müller, weil er von Schinkel angegeben ill, welcher, dem Geifle nach ein
wiedergeborener Hellene, nie das Gefetz des mittelalterlichen Kunllfchaffens
verflanden hat. Wir würden auch den Fufsboden kaum der Erwähnung
werth halten, wenn nicht mit feiner Entllehung der Altarplatz von zwei auf
vier Stufen erhöht wäre, eine Veränderung von unfeligen Folgen, wie fich
noch zeigen wird.
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DIK KIKCHK ZV V. L. FKAUF.N.
45
Bevor die einzelnen Run ft werke befprochen werden, welche theils
jünger, theils älter find als das Kirchengebäude, dürften einige Worte
über den Stil des letzteren und über die hier fich zeigende Fortent- Slil <•'* SohifTes.
Wickelung der Baukunft in Vergleich zu anderen Baudenkmälern am Platze
fein. Erkennen werden wir zugleich die geiftigen Kräfte, deren meift directer
Ausflufs diefe Formenwelt ift, und eine recapitulirende Umfchau unter den
Bautheilen wird den ftufenweifen Fortfehritt am beften verfolgen laden.
Wir fehen ab von den beiden Thurmpaaren, von denen in das 16. Jahr-
hundert nur noch die oberen Theile fallen, die einen nicht lange vor den
Bauanfang, die anderen mit feinem Ende zufammen, fodafs zwifchen ihnen
wie räumlich, auch zeitlich das Stück liegt, um welches es fich handelt.
Diefes Schiff ift im Wefentlichen noch ein gothifches Werk.
Gothifch ift noch die Gefammtdifpofition, gothifch ift auch die Detailbildung
der Theile. Freilich auf den geiftigen Gehalt hin, mit andern Worten auf
die Conftruction hin, die letzere fehbar darzuthun haben, darf man fie nicht
prüfen. Z. B. thäte ein beliebiges anderes Mufter des vielmafchigen Rippen-
netzes diefelben Dienfte, denn es ift unabhängig von den Kappen und
ohne befondere Beziehung zu den Strebepfeilern, die einen auf Rippen und
Graten übertragenen Gewölbefchub nicht mehr bekommen können, weil
folcher Druck auf einzelne Punkte wegen der Tonnengewölbeconftruction,
die mehr oder weniger gleichmäfsig gegen die ganze Mauer fchiebt,
überhaupt fehlt. Man erlaubt fich mit den Conftructionen zu fpielen im
Bewufstfein der Sicherheit, die man in den vergangenen Jahrhunderten auf
empirifchem Wege erlangt hatte. Wozu alfo eine lebhaft gothifch be-
tonte F'ormfprache der Details, die unwahr und eitel Deklamation wäre?
Wirklich find denn auch, foweit es die Conftruction angeht, die Details
geradezu wie einfilbig in ihren Aeufserungen. Wir nennen die Pfeiler,
Halbpteiler und Rippen, die Strebepfeiler, Gefimfe und felbft das auf
conftructiver Grundlage be'ruhende Fenftermaafswerk. Andererfeits werden
fie übermäfsig gefchwätzig, wo es fich nicht um diefe, londern lediglich um
die Auszeichnung, um die Belebung eines Stückes handelt. Dahin gehören
*die Theile des Baues, welche erftens von dem Hauptconftructionsgedanken
nicht mehr abhängen oder felbltändige Stücke find: das Netz des
Gewölbes, die Portale und auch die Kanzel find hierher zu rechnen, und
zweitens folche, welche als neue Zulatze auftreten; hierher gehören die
Emporen mit ihren Treppen. Jene erfteren find noch gothifch aufgefafst,
weil fich Typen für fie vorfanden, und alfo ein Bedürfnifs, dem Neubildungen
entfpringen konnten, nicht vorlag; bei diefen aber entliehen neue Formen
weil neue Bedürfniffe ihre VeranlafTung find. Es entliehen die Formen,
der Renaiffance, der wiedergekommenen Antike, die fich dadurch von der
Gothik unterfcheidet, dafs fie nicht wie diefe der Natur entgegen, die Idee
eines menfchlichen bezw. göttlichen Dogmas formal ausdrücken will,
londern die abfolute Schönheit zum Zweck hat, welche lediglich nach den
allgemeinen Naturgefetzen entlieht. Zugleich ift damit ein uralter Gegen-
lätz der Beftrebungen einzelner Menfchen, ganzer Völker und grofser
Zeitabfchnitte ausgefprochen, der ewige Gegenfatz im Leben wie in
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46
DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
der Kund, der je nach den Umdänden in diefer oder jener Form
zu Tage kommt und bei uns in Deutfchland zu Anfang des 16. Jahr-
hunderts hauptlachlich auf religiöfem Gebiete zu Tage gekommen ili
durch die Reformation. Genau in diefe Zeit fallt unfer Bauwerk, die
Marktkirche. -Als fie begonnen wurde, gährte fchon der neue Geid in allen
Köpfen der Hallenfer; es erwachfen aber immer erd da, wo die thatlachliche
Macht, wie de auchheifse, in andere Hände übergeht, andere Formen wie auf
focialem und politifchem Gebiete fo auf dem der Kund. An den Macht-
verhältniffen war aber noch nichts geändert, noch hatte der Cardinal kirch-
liche und weltliche Macht in feinen Händen, er gebot über die Mittel, und
wenige nur waren fich des Zieles bewufst, welches für die Zukunft erdrebt
werden müde. Alfo baute man die Kirche noch gothifch, doch haben wir
gefehen, dafs den Formen der alte Geid nicht mehr innewohnt, wie ja der
Bürgerfchaft längd nicht mehr innewohnte der alte gläubige Sinn. Die
fchwankenden Zudände änderten fich gar fchnell, als darauf Dr. Julius
Jonas herab bei der gothifchen, aber fchon auf einem Fufse von halb neuen
Formen dehenden Kanzel die lautere, evangelifche Lehre verkünden konnte.
Nun war es mit der Macht der Kirche vorbei, aller Gedanken wendeten
fich einem bedimmten Ziele zu und liehe da, die neuen Machtverhältnilfe
bringen bei den Emporen, die hierauf noch eingebaut werden, fogleich neue
Kundformen hervor. Schon die Emporenanlage felbd id ein Anzeichen des
Protedantismus’. Eine folche gab es bisher noch in keiner anderen Kirche
zu Halle; nur im Dome hatte man einige Zeit zuvor an der Südfeite durch
hölzerne (?) Emporen den Anforderungen der Zeit Rechnung getragen oder
doch wenigdens durch W endeltreppen in den Ecken den Anfang dazu
gemacht. In der Marktkirche aber id diefer Einbau maffiv und feine
Monumentalität im Einklänge mit der übrigen Ausführung, das will l’agyn.
es id kein Verfuchsdück mehr wie dort, fondern eine nothwendige, aus den
neuen BedürfnilTen erwachfene neue Zuthat in protedantifcher Aufladung.
Was aber macht die Emporen nothwendig für den protedantifchen Gottes-
diend? Die Predigt vor allem id es, welche der Schwerpunkt wird datt
der uralten Ceremonie des MelTelefens, der Darbringung des Opfers am '
Altäre. Erforderlich werden damit viele Plätze für Zuhörer, überflüfsig an
den Wänden die Nebenaltäre der Heiligen, welche letzteren man nicht mehr
verehrt. Die Menfchen rücken gleichfam in ihrer Stellung zu Gott vor, fie
felber treten jetzt in das unmittelbare Verhältnifs der Heiligen zu ihm, und
fo nehmen fie, der fichtbare Ausdruck dafür, auch deren Plätze im Gottes-
haufe ein. Es entdehen die Emporen und darunter lange Reihen bequemer
Sitzplätze. Die Emporen find das erde unterfcheidende Merkmal des felb-
dändigen protedantifchen Kirchenbaues, der erde Schritt zu der theater-
ähnlichen Anlage , die in den protedantifchen Centralkirchen der Barockzeit
(Frauenkirche in Dresden von Baer, oder ein geringeres, doch auch fehr
bezeichnendes Beifpiel: die Georgenkirche zu Glaucha) gipfelt. Das
protedantifche Erdlingswerk in der Marktkirche fpiegelt die Verhältnifle
der gefpaltenen Zeit, aus denen es erwachfen id, getreu ab. Die haupt-
fiichlichden dructiven Theile, die Pfeiler, Bögen, das Gewölbe und die
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DIF- KIKCHE Zf ü. L. FRAl'FN*.
47
ßrüftung bleiben noch gothifch, zur RenailTance gehören dagegen die mehr
decorativen Stücke, der Pfeilerfufs, die Zierrathe der Bogenzwickel, die
theilenden Ballüftres und die Simfe. Reife Kunftgebilde treten uns in den
Theilen noch nicht entgegen; was lieh darbietet, ilt nur der erlle Grad der
begonnenen Umwandlung, die. reizvolle, naive F'rührenaiflance. Allerdings
ilt ein grofser Unterfchied zwifchen diefen Stücken und den etwa dreifsig
Jahre jüngeren Frftlingsformen der RenailTance im Dom (auch an der Re-
lidenz und am „Kühlen Brunnen*'). Diefe find weniger lieber und weniger
frei von gothifchem F.influfs, dennoch ungeltümer, geillreicher und reizender
als jene, welche, abgefehen von der roheren Arbeit einen ruhigen (Linien-
führung, Compofition), nüchternen (Lederfchnitt der Blätter), verlländigen
(Fugenfchnitt), bürgerlich einfachen (Flachrelief) Charakter haben. Die
Gründe dafür müfTen wir jetzt nennen. Was vielleicht für die Mehrzahl
der deutfchen Städte zutrifft, dafs in ihnen die Renaiffancebewegung vom
Volke ausging und nicht von den Machthabern der damaligen Zeit, den
geiftlichen und weltlichen Furften, trifft für Halle nur bedingungsweife zu.
So viel man noch zu erkennen vermag, find die erlten F'ormen der
Kenaiffance durch den Cardinal Albrecht hierher gekommen. Und
nichts ift natürlicher, als dafs ein fo gelehrter Mann , der mit italienifchen
Verhältnifsen vertraut und mit Italien in lleter Verbindung war, fo lange
Gefallen an der modernen Bewegung fand, als dadurch feine Macht und
leine Geldintereffen nicht litten. Albrecht hat die faulen Zullände der Kirche,
die der Auguftinermönch aufdeckte, thatfächlich anerkannt, indem er das
Neue Stift anlegte. Nicht fowohl die eigentliche lutherifche Lehre wollte er
durch die gelehrten Männer deflelben bekämpfen, als vielmehr die voraus-
zufehende Veringerung feiner Macht; es ill das die ganz begreifliche Art
aller Privilegirten aller Zeiten vor dem und nach dem bis auf den heutigen
Tag. Ill nicht der Dom für diefe Gefinnung der offenbarfte Ausdruck ?
ln der Dispolition auf längft vergangene Zeit zurückgehend (einfache Kreuz-
gewölbe) kommen in den Einzelheiten, gleichfam verftohlen, die revolutionär
modemften Gedanken hervor (Portale. Kanzel, Weihtafeln und Figuren)
gewi (Term a Isen Ixckerbiffen für den Erbauer. Um fie zu haben, berief er
die erften Künftler weit her, die an Bildung ausgezeichnete Männer waren,
wohl auch Italien und andere Länder gefehen hatten und jedenfalls wie er
auf der Höhe der Zeit flanden. Im Volke aber war diefer Zeit hier noch
kein Verftändnifs für die neue Weife vorhanden, und die hallefchen Meifter
begriffen davon ebenfalls noch wenig; jene Bürgerhausportale Schmeer-
l'trafse Nr. 31 vom Jahre 1522 und Gr. Ulrichsflrafse Nr. 19 vom Jahre 1548
(f. deren Abbildungen unter den Profanbauten) liefern dazu den Beweis, Doch
begann nun allmählig mit dem Umfchwung der gefellfchaftlichen, befonders
auch der religiöfen Verhältniffe das Verltändnil's dafür zu erwachen. An den
Marktkirchenemporen find die erften Renaiffanceformen eines hallefchen
Meifters nachweisbar, der als ein tüchtiger Steinmetz nicht über, fondern
mitten im Volke ftand, und deffen Werke daher die Stufe der allgemeinen
Volksbildung und der eigentlich eingeborenen, im Volke wurzelnden Kunft
darftellen. Nun begreift man den befchriebenen Charakter, die minder-
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DIE STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
werthige Arbeit und die geringere Schönheit der Stücke in der Marktkirche;
aber man verlieht auch, dafs die jetzt heimifch gewordene Kunftrichtung
den Keim zur Fortentwickelung in lieh trägt, eben weil fie im Volke, fo
zu Tagen im Boden des Landes wurzelt, während die einzelnen Stücke im
Dome gleichfam eine aus Italien über Nürnberg oder Augsburg eingeführte
Waare find, an der anfangs nur Leute wie der Cardinal, Schönitz. kurz die
Gebildeteren Gefallen fanden. Die Renailfance der Meifter des Cardinais ill
denn auch unfruchtbar geblieben trotz ihrer leidenfchaftlichen Sprache und
trotz ihrer reizvollen, geiftreichen und feinen Stücke; I Iofman’s einfache Wfeile
hingegen hatte gerade den Ton getroffen, der feinen Mitbürgern recht war;
durch andere heimifche Künftler wurde fie entwickelt, bis fie gegen Ende
des Jahrhunderts die zarteften und edelften Blüthen trieb (Portal der Waage,
mehrere Bögen am Gottesacker u. f. w.) Das Barock macht ihr ein Ende.
Baumeifter. Es verbleibt noch über den Baumeifter Nickel Hofman einiges zu
Tagen. BeTonders auffällig ift, dafs alle Ueberlieferungen nur melden, er
habe den Bau vollendet, aber nicht auch, dafs er ihn angefangen habe.
Hofman felbft fagt in feinen beiden, bezw. drei InTchriften an der Eidlichen
Empore, dafs und wann er den Bau vollendet habe. Vielleicht ift er alfo
. gar nicht derjenige gewefen, welcher den Entwurf machte, Tondern er ift
erft Tpäter herangezogen worden. Mit Sicherheit ift hierüber nichts auf-
zufinden; indefTen hat es dennoch die gröfsefte Wahrfcheinlichkeit, dafs
Hofman von Anfang bis zu Ende der Baumeifter gewefen ift und zwar in
folgender Weife: Als der Bau berathen wurde, hatte er inGemeinfchaft mit
Hans Schönitz nach den Meinungen des Cardinais den Plan feftzuftellen;
dabei galt er als Techniker wenig neben Schönitz, dem Kämmerer. Dieler
war die maafsgebende Perfönlichkeit, weil er die Gelder zu bewilligen und
auszuzahlen, überhaupt alle gefchäftlichen Angelegenheiten zu beforgen und
die Verantwortlichkeit für alles zu tragen hatte, ln den Chroniken wird er
gelegentlich!! fogarals Baumeifter1 des Cardinais angeführt, was infofern feine
Richtigkeit haben. mag, als er, der erfahrene, weltkundige Mann, von feinen
Reifen (in Italien) den Gefchmack an RenaifTanceformen mit zurückbrachte
und bei dem Bau des „Kühlen Brunnens“, der Refidenz u. T. w. die unbe-
kannten Profile wohl felbft den Steinmetzen vorzeichnete; denn den Ein-
druck machen die hier vorkommenden feinen Motive in - mittelmäfsiger
Ausführung. Jedoch an dem Baufyftem der Kirche zu ändern, kam felbft
ihm damals wohl noch nicht in den Sinn, und das rein Technifche, fowie
die Detailsbearbeitung überliefs er dann ganz dem Werkmeifter.
Von allen Annahmen läfst fich Folgendes beweifen; Hofman war von
Anfang, an bei dem Kirchenbau thätig, weil fein Zeichen an grofsen Werk-
ftücken wenige Schichten über dem Erdboden gefunden wird, z. B. an dem
erllen Eckquader über der Sockelfchräge in Nordweften der Kirche (nicht
des Thurmes). Ferner kann nach dem, was über das Monogramm H ■ä&s S
an eben diefer Kirchenecke fchon gel'agt wurde (Fig. 8), nicht wohl bezweifelt
werden, dafs auch Hans Schönitz, ohne eigentlich Baumeifter zu fein, den
l Bezw. als „oberster Baumeister."
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IWF. KIRCHE ZU t\ L. l'R AUE V.
49
lebhafteften Antheil an dem Baue nahm. Schliefslich mülTen wir noch zweier
K lachbilder gedenken, die hier in Betracht kommen dürften. Zwilchen
den beiden weltlichen Pfeilern und den blauen Thürmen ili in der Höhe des
Gewölbekämpfers jederfeits eine wagerechte Verbindung, deren Unterlicht
in der Weife der Emporen ornamentirt ili. Inmitten einer jeden befindet
(ich ein Medaillon mit dem flachreliefirten Brultbilde eines Mannes. Schärfe,
Sauberkeit und Kenntnifs der Regeln des Reliefs zeichnen die Arbeit aus.
Kaum glaubt man . dafs der Verfertiger der Emporen lie gemacht haben
körnte, doch die Behandlung des PHanzenornamentes läfst daran nicht
zweifeln. Der Kopf im Süden ift der eines fchon älteren oder doch in voller
Kraft flehenden Mannes mit fchünem, langem, fchlichtcm Barte; auf dem
Kopfe hat er eine breit überflehende Mütze und. ein Mantel umgieht ihm
die Schultern; fein Ausfehon ifl ein bürgerliches. Die Gefichtszüge gleichen
auffällig jenen Hofman's auf dem Bilde des alten Stadtgottesackers, nur
fcheinen lie etwas jünger. Wer kann es auch fonfl fein, als diefer Meifter,
der befcheiden diefen verflechten Platz wählte, fein Bildnifs anzubringen?
im Norden ifl der Kopf eines viel jüngeren Mannes dargeftellt; er trägt nur
einen Schnurbart und hat feine, intelligente Züge. Auf dem Kopfe fitzt ihm
ebenfalls eine weit überftehende Mütze (oder ein Hut?) Seine Tracht aber,
fo viel man davon fieht, ifl eine ritterliche. Wer kann es lein? Infchriften
fehlen. Man würde an den Geholfen Hofman’s, den Steinmetzen T. R.
denken können; wozu dem aber die ritterliche Kleidung? Diefe und aufser-
dem die Eigen l'chaften jung, intelligent, fein paffen weit belfer dem Hans
Schänitz. Hätte auch der Cardinal de Ifen Verewigung felbft an diefer Stelle
nicht zugelaffen, fo ifl zu bedenken, dafs diefe Stücke wahrfcheinlich zu
den letzten des Baues gehörten, als längll der Cardinal fort, ja todt und
alle Welt proteflantifch war. Mehres aber fpricht dafür, dafs auch Schönitz
fehon der lutherifchen Lehre zugethan gewefen ift, ein Umftand, der fein
liiidnifs hier um fo mehr berechtigt macht. Das ift es, was der Bau felbft
aufser den Infchriften über den Meifter oder über die Meifter mittheilt.
Es bleibt noch übrig zu verfolgen, welche Aenderungen die bau-
meifterliche Stellung mit der Neuzeit erleidet. Seit 1535 mit der
treulolen Hinrichtung des kirchenfürlllichen Favoriten änderten fich natürlich
die Verhältnifle in der Bauleitung. Hofman bekam dadurch eine felbft-
lländigere Stellung; und als nun gar der Cardinal die Stadt verliefs, als
die Kirche von dem vielköpfigen Rathe allein weiter ausgebaut werden
mulste, wem hätte man da fchicklicher fein Vertrauen fchenken und die
Gefammtleitung übertragen können als dem feither hier thätigen, wohl-
erfahrenen Meifter und wohlgeachteten Mitbürger Hofman? Gewifs hatte
auch er. mit dem Strome der Menge fchwimmend und feinen materiellen
Interelfen Rechnung tragend, an der religiöfen Bewegung Theil genommen;
dadurch wurde in ihm wie in allen eine neue Anfchauungsweife her-
vorgerufen, die dann bei ihm die künftlerifche AuffafTung und bei den
I-euten den Gefchmack änderte. Damit ift die Neuzeit herangekommen
und fogleich giebt fich ihr Geist in der fcheinbar nebenfächlichsten Hand-
lung diefes Meifters hoch bedeutfam zu erkennen, wir meinen in feinen Auf-
Ei. D. ü. Bau- u. Kunstü. N. F. I.
4
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Kmiftwcrkc.
Grftiihle.
50 DIE STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
fchriften. Die Gründe, warum das Mittelalter fo wenig- Künstlernamen
hinterlafTen hat, diefelben, warum auch die Zeit des altägyptifchen Reiches
trotz einer Unzahl von Bau- und Kunstdenkmälern feiten einen Künftler
nennt, lind bekannt: das Volk baute wie das Volk der Ameifen und Bienen,
nicht das Künftlerindividuum. Mit der Renaiflance ändert lieh das, der
Künstler Namen werden unzählige genannt wie zur Zeit der griechischen
Kunstblüthe. Man versteht wieder, dafs das künlilerifche Können auf
individueller, angeborener Fähigkeit beruht, dafs es eine Gottesgabe ist,
und allfogleich nimmt der Künftler unter feinen Mitmenfchen eine hervor-
ragende Stellung ein. Nicht mehr der Befteller, er ist die llauptperfon des
allgemeinen InterefTes, und das berechtigt ihn, feine Pcrfönlichkeit nicht
nur in der mittelalterlichen, geheimnifsvoll fchüchternen Weife durch Wappen
und Zeichen anzudeuten, fondern jetzt auch den Ruhm, die lufse Frucht
feiner Arbeit, zugeniefsen, indem er feinem Wappen und Zeichen die Jahres-
zahl, fein Bildnifs, feinen Namen und was er gemacht hat, durch die jetzt
allen verständliche Schrift hinzufügt. Alfo auch hier die RenaifTance, die
Zurückkunft antik heidnifcher Anfchauung.
Wir gehen zu den einzelnen Kunftwerken über, zunächft zu denen,
die für den weiteren Kirchenausbau gemacht wurden, das find die K i rchen-
ftühle. Auch fie find ganz befonders beredte Zeugen des proteftantifchen
Geistes, der nun für alle Menfchen verlangt, was vordem allein den Heiligen
und der bevorrechteten Geistlichkeit zukam. Die Macht ist eben in andere
Hände übergegangen, in die der Bürg, rfchaft; diefe verlangt nun für fichd.h.
eben für alle die Plätze der Heiligen und besetzt fie mit Stühlen, die diefelbe
Bequemlichkeit bieten wie die Chorfitze der Geistlichkeit, der bisherigen Macht.
So werden denn nach Art der Chorherrenftühle lange, doppelte Sitzreihen
von Eichenholz unter den Emporen angelegt und zwar fo, dafs die hintere
Reihe an der Wand einige Stufen erhöht liegt und die Rücklehne der vor-
deren für fie das Pult abgiebt. Um auch ein bequemeres Stehen zu ermög-
lichen, find die Sitzbretter zum Aufklappen eingerichtet und für die Anne
überall Mifericordien angebracht. Aufscrdcm ist die Wand hinter dem
Stuhlwerke bis unter das Emporengewölbe vertäfelt. Durch folche Möblirung
wird der Eindruck des Kircheninnem nicht unwefentlich geändert. Das
braune Holz an den Wänden (d. h. ohne feinen jetzigen Oelfarbenanftrich)
macht den Raum wärmer, wohnlicher und einladender. Das hatte man
diefer Zeit längft in den hallefchen Wohnzimmern kennen gelernt, in welche
durch die Holzvertäfelung eine traulich gemüthliche Stimmung gebracht
war, die man nun auch nicht in der Kirche entbehren wollte. Und diefer
lebensfreundliche Zug liegt ganz im Wefen der Neuzeit; fie verdammt nicht
mehr die leiblichen Annehmlichkeiten, fondern trachtet durch die Beförderung
auch der leiblichen Wohlfahrt der Menfchen an Stelle des irdifchen Januner-
thales fo weit möglich wieder ein Paradies zu fetzen.
Im Einzeln betrachtet ift über das Geftühl — die Gefammtanordnung
in einem Joche geht aus Kig. 13 hervor — E'olgendes zu lagen: Jeder Sitz
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DIE KIRCHF. Kt' t*. I.. FRAl'KN.
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ruht auf pilafterartigen Beinen, in die hinten ein Brett eingefchoben ilt
und über denen eine gedrechl'elte Säule oder Docke das Brett der Arm-
*''r 2t>-
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DIE KIKCIIK ZI 1'. L. FRAUEN.
53
,um Anbringen <*int‘S Pultbrettes /u erreichen. An die theilenden Bretter
unter den Armlehnen find Zicrruthe gelchnit/t, auch fehen wir dafelbft als
Führung für die Klapplitze eine geringe Vertiefung viertel kreisförmig. Die
Fin. I ig. li-
Vilaficr der Wand Vertafelung. Pilaftcr der Wandvcrtälclung.
(»363) (»S6»-)*
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DIE STADT HALLE u. <1. SAALKKE1S.
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Theilung der Wandverkleidung gefchieht durch gut proportionirte Pilaller
(Fig. 2g, 30, 31, 32 und 33) in einer den Sitzen eines Joches entfprechenden
Anzahl. Die Pilaller haben eine attifche Hafis, die auch als Sockel der Felder
von einem zum andern durchläuft, und oben ein römifch-dorifches Capital:
gefüllt wird ihre Fläche mit immer verfchieden und anziehend componirten
Schnitzereien. Sie tragen ein dorifches Gebälk, bellehend aus einem mehr-
theiligen Architrav, einem Triglyphenfries mit Tropfen und darüber einem
vielgliederigen Kranzfimfe mit Confolen. Die von Rücklehne, Pilallern
und Gebälk umgebenen Felder erhalten durch eine Blendarkade — Bogen
auf kleinern Halbpfeilern neben den grofsen — noch einmal einen Rahmen.
Ob das Füllbrett, jetzt wie alle andern Theile ölfärbenbemalt, früher ein
aufpatroniries Ornament oder gar Intarlien hatte, läfst lieh nicht mehr fell-
llellen, doch wäre eine derartige Dorfalienimitation diefer decorationslufligen
Zeit wohl gemäfs. Beachten wir übrigens bei diefer Architravarchitektur
die genaue Anlehnung an die antik römifchen Vorbilder im Grofsen wie im
Kleinen. Ueber diefem durchgehenden Gebälk fah man ehemals den Refl der
Wand bis zum Scheitel des Jochweiten Blendfpitzbogens überall ausgetüllt
durch eine Holzarchitektur (Fig. 34) von zwei Bögen mit zwifchengefcho-
bener Nifche und abfchliefsendem Sims: die feitlich überbleibenden Stücke
hatten wieder ein gefchnitztes Pflanzenornament; jetzt wird das ganze obere
Wandllück von einem breiten Fenfler für das zwifchen den Strebepfeilern
angebaute Stübchen eingenommen. Dabei ill die Einrichtung allerdings in
ganz ähnlicher Weife wie früher geblieben ; die feitlichen Dreiecke füllen
lieh mit gefchnitzten Delphinen und ein Gefims, unterllützt von Confolen
und mit füllendem Schnitzwerk gefchmückt, ifl über den Fenßern angebracht,
nur trägt die ganze Architektur den viel roheren Charakter der Barock-
zeit, der fie entflammt.
Wenden wir uns nun zu der Einzelbetrachtung des Gellühles, wie es
in Wirklichkeit jetzt noch vorhanden ill, fo wird freilich manche Abweichung
von der eben gegebenen Befchreibung angegeben werden müfien. Zuerll
giebt das bekannte Modell an, — und alte Leute willen lieh defTen auch noch
zu erinnern, — dafs um die grofsen Kirchenpfeiler herum im Achteck fich
ebenfalls ein derartig gefchnitztes Stuhlwerk befand. Die Verwüllung der
Kirche durch die Franzofen zu Anfang diefes Jahrhunderts veranlagte die
Befeitigung diefer Stühle, von denen denn auch nicht ein Stück erhalten
geblieben zu fein fcheint.1 Dafs Kirchenlitze fonll irgendwo an den Pfeilern
in derartiger Anordnung ausgeftihrt worden find, ill nicht bekannt: fie wären,
belländen fie noch, gewifs ein Unicum.
Die Unterfuchung der einzelnen Jochpartien beginnen wir im Ollen an
der Südwand. Dem erllen Joche fehlen fowohl Stühle wie Täfelung jetzt
völlig. Es führt aller eine Thür in das aulsen angebaute Stübchen, das
erfle von jenen dreien, die, wie wir fchon aus dem Modelle fahen, an
diefer Seite ehemals niedriger waren, als alle anderen. Der Barockzeit wird
1 Oilcr füllte vielleicht die als Kanzel der Marktkirche in der Marienbibliothek aufbe-
wahrte achtfeitige Holzfchnitzerei vormals einen Pfeiler über den Stuhllehnen ummantelt haben?
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1)11 KIKCHK /.V V. I.. KRAUEN.
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der Thürfliigel angehören, doch ift das nach dem Stübchen zu ausgebildete,
theilweife erhaltene Thürgewände ganz in Hofmanfcher Art profilirt, fodafs
es ebenfalls um die Mitte des 16. Jahrhunderts wie diefe Kirchenausftattung
gemacht fein mufs. Da aber die Thüröffnung hier ohne das Stübchen über-
Hüffig fein würde, fo mufs auch letzteres fchon in diefer Zeit gebaut fein.
Der Raum felbft hat aufser feinem länglichen, flachen Kreuzgewölbe nichts
Bemerkenswerthcs. Auch im zweiten Joche fehlen die Stühle, wogegen
die Wandvertäfelung bis in den tBogenfcheitel hinauf in anfänglicher Aus-
führung erhalten ift (Mg. 34). Das macht diefes und das ebenfalls erhaltene
F‘k- 34-
H-l — 1— ‘ — 1 — 1 — 1 1 1 <
«•**•*•/> f "
Urfprünuliche Spitzen der Wandveriäfclunß, 2. Oftjoch der Südfeite.
Stück des folgenden Joches befonders wert h voll, weil wir ohne diefelben über
den oberen Theil der Wandbekleidung, der aufserdem in feiner ehemaligen
Ausbildung nicht mehr vorhanden ifl. nicht unterrichtet fein würden. Das
äufsere Stübchen diefes Joches hat diefer Täfelung wegen natürlich kein
Tenfler gegen die Kirche, mit welcher es aber auch durch eine Thür nicht
in Verbindung fleht, noch geftanden hat. Es ift ftets nur von aufsen
zugänglich gewefen; der Zweck feiner Anlage bleibt daher unklar; möglich,
dafs es wie heute immer ein Aulbewahrungsort war. Gemacht ifl die Ver-
täfelung im Jahre 1364, welche Zahl lieh einmal in den Pilafterzierrathen und
ein anderes Mal oben unter der Milche zwilchen den beiden Bögen der
oberften Partie befindet.
Wie gefagt hat auch das dritte Joch feine ganze Vertäfelung im urfprüng-
lichen Zuflande bewahrt und zwar ift diefelbe 1565 gemacht, wie wiederum
zwei Infchriften, eine im Pilafterornament und die andere'unter der kleinen
Mittelnifche oben, angeben. Hier ift auch eine Thür, welche zudem äufseren
>y Googl
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5&
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
Stübchen führt. ]hr Flügel ift barock, während aus der I folzfchnitzerei
kirchenfeits und aus dem Steingewände, in Hofman'fcher Manier profilirt.
auf der Seite der Stube hervorgeht, dafs die Thüröffnung, und alfo auch der
Anbau im Jahre 1565 bereits dagewefen find. Um den fpäteren Thürllügel
anbringen zu können, hat man von der alten Holzfchnitzerei in barbarifcher
Weife weggefcfinitten * foviel dazu nöthig war. An einigen Ueberbleibfeln
z. B. an der Spitze über der Thür fieht man deutlich, dafs die anfängliche
Holzverkleidung einen Efelsrücken bildete. Auch diefes Stübchen ift mit
flachem Kreuzgewölbe überfpannt. Man fragt nun nach dem Zwecke diefer
beiden vom Kircheninnern zugänglichen Räume des erden und dritten
Joches. Sie haben zweien Geifllichen zur Abhaltung der Beichte, anfänglich
noch der Ohrenbeichte, gedient; auch für einen dritten Pallor ift noch ein
Zimmerchen hierzu vorhanden gewefen , es hat in der nordöftlichen Ecke
der Kirche im Innern gelegen, ift aber fchwerlich vor dem Ende des 17. Jahr-
hunderts eingerichtet gewefen. In diefem dritten Joche der Südfeite ift eine
Stuhlreihe vorhanden; fie lieht auf der anfänglichen, zweillufigen Erhöhung
des Altarraumes oder vielmehr auf einer feitlichen Verlängerung derfelben.
Zwei Reihen haben hier wohl niemals geftanden; diefe eine jedoch wird fielt
auch durch die beiden erden Joche ehemals fortgefetzt haben; ihre Befeitigung
ift ficherlich eine fler unfeligen Folgen, die die Schinkel' fche Erhöhung des
Altarraumes nach fich gezogen hat; mit ihr mufsten die Sitze verfchwinden.
fonft wären fie halb eingemauert worden, wie es hier den nicht zu befeitigenden
Emporenpfeilern ergangen ift, die wohl um zwei, nicht aber um vier Stufen
erhöht find, als man fie anlegte. N'eben fachlich fei die Conftruction der
Thürangel erwähnt; ihr Zapfen, um den fich die Ofe der Hefpen legt, ift
konifch und mit einem Gewinde, fodafs fich der Thürflügel beim Offnen
hebt und durch die eigene Schwere fich felbllthätig wieder fchliefst. Im
vierten Joche liegt ein Kirchenportal, daran interefifirt die hier lichtbare innere
Überwölbung. Es befteht der Bogen, falls man von einem folchen reden
kann, aus drei graden Linien, die ftumpfwinklig zu einander im Ifumpfen
Winkel fich auf die fenkrechten Seitengewände fetzen. Die Ilolzbekleidung,
die diefen Linien folgt, ift an allen vier Portalen ganz erhalten und mit
Pftanzenornament gefchmückt. Neben der Portalöffnung ift für Stühle
natürlich kein Platz mehr geblieben. An der untern Holzbekleidung im
F'riefe auf jeder Seite einer Thür fällt die Verzierung durch ein rundes
Medaillon mit flach gefchnitzten Köpfen auf. Hier ift es ein Mann in
Bart und Mütze — es ift der Verfertiger der Stühle, den wir gleich kennen
lernen werden — und eine Frau mit einem derzeitig modigen Kopfputze.
Zum fünften Joche übergehend fchicken wir voraus, dafs von diefer ganzen
Südfeite aul'ser im dritten Joche nur die Wandtäfelung und zwar theilweife
erhalten ift, die Stühle aber fehlen. Dafs letztere anfänglich auch hier in
zweifacher Reihe vorhanden waren, läfst fich annehmen, abgebrochen fcheinen
fie wegen Schadhaftigkeit zu fein zu gleicher Zeit mit dem Stuhlwerk um
die Pfeiler; feitdem haben einfachei umfehränkte Bänke an diefer Seite ge-
ftanden, bis auch lie durch die heutigen Möbel ersetzt lind. Im fünften
Joche trägt die barocke Erfetzung des Theiles über dem dorifchen Gebälk
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IJIE KIKCHK ZU U. L. FRAUEN. 57
die Jahreszahl 1681, welche Zeit mithin als die Entftehungszeit des Stübchens
angefehen werden mufs. Im Friefe des älteren untern Stückes fteht, auf vier
Metopen vertheilt, gTofs gefchrieben wie jene barocke Zahl 1561. Da folche
Weife der fonft üblichen, nämlich die Zahl in befcheidener Gröfse mit in das
Ornament zu verflechten, nicht entfpricht, und da in den Pilaflern hier keine
Jahreszahl fteht, fo wird diele fich wohl vordem, zumal fie die alterte von
allen ift. nur oben etwa unter der Mittelnilche (vergl. Fig. 34) befunden haben
und bei der Befeitigung der oberen Partie 120 Jahre fpäter zum Frfatz hier
eingefchnitten worden fein. Diefelbe Art hat man im fechften Joche
angewandt, deffen Stübchen ebenfalls zufolge der Jahreszahl im oberen
Theile der Verkleidung 1681 angebaut worden ift; wie im vorigen Joche hat
man nun das F.ntftehungsjahr der erften Vertäfelung hier nachträglich den
Metopen eingefchrieben. Aufserdem bemerkt man letztere Zahl auch in
den Ranken eines Pilafters. In gleicher Weife ift das liebente Joch mit
Jahreszahlen verfehen, oben 1681, im Friefe grofs gefchrieben 1564 und diefe
Zahl klein in den Pilaftern. Das achte Joch gleicht dem vierten, weil hier
wieder ein Portal liegt; es hat gleiche Ornamentvertheilung und Medaillons
mit Köpfen im Friefe. Die Frau trägt eine Spitzenkraufe am Hälfe nach
damaliger Mode, der Mann im Spitzbart dürfte wiederum den Verfertiger
darftellen. Das neunte Joch ift 1565 vertäfelt; hier fehlt die Jahreszahl im
Friefe, jedoch erfährt man durch die Infchrift oben, dafs 1687 die Stube
angebaut worden ift. Das letzte, zehnte Joch ift zur Hälfte von der Treppe
eingenommen, fodafs hier ein Bogen, der halb fo grofs ift wie die übrigen,
entlieht, und der deswegen auch eine etwas geänderte Kintheilung der Holz-
zierrathe hat. So find hier nur zwei Pilafter; in jedem fteht 1566. Den oberen
Theil zeigt unfere Abbildung Fig. 35. Links im Ornament endigt eine
Ranke mit einem männlichen Kopfe und dem entfpricht rechts in dem Blatt-
werk ein weibliches Geficht. Aus der Schrift auf dem Bande, an welchem
diefe Köpfe den Schlufs bilden, erfehen wir, dafs es der Meifter ift, wahr-
fcheinlich nebil Gemahlin, welcher uns an diefem unfeheinbaren Eckplatze
lein Bildnifs und feinen Namen überliefert hat. Es fteht links auf dem
flachen Bande um den Kopf:
ANTONIVS . PAVWART
(ein gewifs echt niederländifcher Name) und dann andererfeits um den weib-
lichen Kopf:
VON . YPREN . IN . FLANDREN.
So wie in den Medaillons der Portal joche lieht auch hier der 1 lolz-
fchnitzer aus: er trägt einen etwas fpitzen Vollbart, und auf dem Kopte
eine breite Mütze. Befonders geiftreich find feine Gefichtszüge nicht, obgleich
ihnen der Ausdruck einer gewilTen geiftigen Regfamkeit nicht mangelt.
Mit Sicherheit kann aber hierüber ein Unheil nicht abgegeben werden,
weil für eine derartige Charakteriftik eines Portraits weder das Material
noch im gegenwärtigen Falle die Arbeit fein genug ift; auch hat die Üel-
farbe jedweden feinen, aber bezeichnenden Höhenunterfchied nivellirt bezw.
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5«
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
die conlurircnden Linien ausgefüllt. Pauwart's Frau trägt eine Mütze oder
llaube auf dem Kopfe; lie ift eine volle und. wie es fcheint, energifche
Perfon gewefen, und hat den Typus der Franzöfinnen. Ganz oben in der
Fig. 35-
Spitze der Wand Vertafelung im weftlichftcn Joche der Siulfcitc.
Spitze bemerkt man noch ein Medaillon mit dem Kopfe eines Kriegers, der
ein dummes (ielicht hat. Hin Name ill nicht angegeben; das Hildnifs hat
alfo wohl mehr einen decorativen Zweck, auch möglich, dafs hier der Pro-
tector des Künlllers, ein Kunftmäcen oder eine derartige Perfönlichkeit
dargeftellt ift.
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DIE KIRCHE ZU U. L. FRAUEN.
59
Wenn wir in demfelben Joche zur Nordfeile übergehen, fo kommen
wir im Mittelfchiff an zweige fchofsigen, ftübchenartigen Kirchenlitzen vorbei
zu jeder Seite des Einganges in die jetzige Taufkapelle zwifchen den blauen
Thürmen. Sie mögen erwähnt werden, weil auch fie zu jenen hölzernen Nach-
ahmungen des fteinemen Blendmaafswerkes gehören, welches bei Befprechung
der Emporen charakterifirt ift; hauptfächlich durch ihre Zulatze, Palmbaum-
halbfäulen, Palmzweigbekrönungen, fchwülflige Simfe u. f. w. weifen lieh
denn auch diefe Stübchen als echte Kinder des Barocks aus.
Das zehnte Joch der Nordfeite bietet den unangenehmen Anblick, dafs
hier durch eine Schorn lleinanlage neuerer Zeit der untere Theil der Wand-
bckleidung gänzlich befeitigt ift, während man die oberen Stücke zum Theil
vorn dem Arkadenbogen der Empore eingefugt hat. Man hat dabei
unglaublich unverftäntjig gehandelt; man hat die Theile rückfichtslos ver-
kürzt, fie dann wieder vereinigt und diefe widerlich rohe Zufammenftoppelung
obendrein in gute Beleuchtung gebracht. Die Dispolition glich der an der
gegenüber im Süden gelegenen Täfelung. Im Bogenfcheitel ift erhalten
geblieben das Rundftück mit einem Kopfe, welcher fich durch die Um-
fchrift als der des Meifters kennzeichnet, fie heifst: ANTONIUS (die letzten
Buchftaben lind durch den Arkadenbogen verdeckt) 1 PAUWART . VON .
YPER . IN . FLANDER. Auffällig ift die Verfchiedenheit der Schreibweife
der geographifchen Namen hier und in der vorgenannten Umfchrilt , doch
dürfte das ohne Bedeutung fein. Es verlieht fich, dafs auch diefes Bild
des Meifters dem anderen gleicht, Mütze und fpitzer Bart find auch
hier die bezeichnenden Beigaben Das neunte Joch der Südfeite hat
keine Stühle mehr. Das in feinem oberen Theile barocke Getäfel mit
Stubenfenller ift ganz ohne Jahreszahl, fodafs auch der Stubenanbau
nicht datirt werden kann. Im achten Joche liegt wiederum ein Portal
mit der bekannten Holzvertäfelung. Der männliche Kopf foll auch hier
der Pauwart’s fein. In den drei Jochen zwifchen diefem und dem öftlichen
Portale an der Nordfeite hat fich das doppelreihige Stu'nlwerk noch erhalten.
So im fiebenten Joche, wo fich an der Rücklehne der erften Reihe im
Ornament des Pilafterehen die Jahreszahl 1575 findet. Der nachträgliche
Stubepanbau hat die obere Wandbekleidung barock erfetzt. Genau wie in
diefem, findet fich im folgenden fechllen Joche die Zahl 1575 an der erften
Stuhlreihe, und dos Stübchens wegen fehlt auch die fpätere Holzlchnitzerei
oben an der Wand nicht. Die erfte Stuhlreihe des fünften Joches hat keine
Inlchrift. die barocke Umrahmung des Stubenfenllers ift vorhanden. Nun
folgt ein Portal im vierten Joche wiederum mitder bekannten Ausfchmiickung
durch Ranken und Köpfe. Ob letztere nicht beide Männer darllellen, mag
dahingeftellt fein; der eine ift bartlos, der andere hat nur einen Schnurbart
und ift wohl der eines Kriegers, jedenfalls nicht der des Schnitzers. Im
dritten Joche haben wir der zweiftufigen Erhöhung wegen nur eine Stuhl-
reihe. Eine Jahreszahl fehlt, nicht aber die fpätere I-enfterumgebung oben.
Die erften beiden Joche haben gar keine Stühle wegen der nachträglichen
1 Vergl. Beiblau zur Zeitschrift für bildende Kunst, 1#. Jahr^., No. 3.
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6o
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKKEIS.
Zeit der
Entrtehunj>.
Stil.
Firhöhung des Fufsbodens. Das zweite iß der Jahreszahl nach, welche im
Pilaßer licht, 156z gefchnitzt; der obere barocke Theil hat an Stelle des
Fenders — eine F'enßeröffnung ifl überhaupt nicht oder nicht mehr vor-
handen — eine F'üllung in durchbrochener Schnitzerei. Die äufsere Thür
zu dem unbebauten Stübchen diefes Joches ill jetzt auch vermauert, fodafs
hier ein durchaus unzugänglicher Raum entllanden ill. Ebenfo iß die Stube
des erllen Joches jetzt nach aufsen und innen zugemauert. Von innen
zugänglich ill es, obwohl dem Kirchenmodelle nach ehemals niedriger als
die anderen und daher wahrfcheinlich fchon im 16. Jahrhundert gebaut, nie
gewefen wie das ihm gegenüber an der Südfeite gelegene. Aus der Ver-
täfelung iß das zu erkennen; lie hat lieh bis zum dorifchen Gebälk erhalten
und iß ohne Thür. Oben fehlt jede Wandbekleidung, man fleht den
nackten Putz.
Soviel lieh aus alledem ergiebt, iß die ganze Holzarbeit von 1561 bis
1575 durch Antonius Pauwart ausgeführt worden. Damit flimmt die
Angabe des Olearius nicht überein, welcher lie von 155g bis 1572 fetzt.
Bezüglich der letzten Zahl irrt er offenbar; ob das in Betreff des Anfangs-
jahres auch der F’all iß, wollen wir in Rücklicht auf die vielen bereits
fehlenden Stücke, die Zeitangaben gehabt haben können, in Sonderheit der
Stühle an den Pfeilern, nicht behaupten.
Wie die lnfchriften ergeben, iß auch nicht ein Joch dem andern ange-
fchloffen worden, fondern ganz beliebig bald hier bald dort eines fertig
geßellt, und das erlaubte die Jocheintheilung lehr wohl. Warum das gefchehen.
läfst fleh nicht Tagen; vielleicht liefsen fleh einzelne Familien auf eigene
Koßon Stühle machen und durften dann nach ihrem Belieben ein Joch
wählen.
Zur Würdigung des Stiles diefer Kleinarchitektur in Holz läfst fleh
vief l.obenswerthes Tagen. Es iß hier wirklich die Formenwelt der heid-
nifchen Zeit Italiens von deutfehem Geifle — dals Pauwart ein Nieder-
länder war, fällt dabei wohl nicht ins Gewicht — erfafst und den veränderten
Anforderungen auf das Ungezwungenfle angepafst worden. Die VerhältnilTe
im Grofsen (fo der Säule zum Gebälk) wie im Kleinen find edel; eine Ueber-
treibung in den Sims-, Capitäl- und Bafenausladungen, wie fie an fo. vielen
andern Beifpielen deutfeher RenailTance beliebt iß, findet nicht ßatt ; mit mehr
Recht könnte man von allzuängßlichem Copiren alter Vorbilder fprechen.
Wenn noch nicht die leifeße Spur des Barock ßils fleh einmifcht, fo liegt eben
in der peinlich genauen Befolgung der Regeln antiker Proportionirung der
Grund. Die Proportionen felbll ändern fleh jedoch regelrecht aut Grund der
veränderten Bedingungen. Vornehmlich iß es der eigenartig deutfehe Cha-
rakter, deffen Unterfchied fowohl in den Verhältniffen als auch am Ornament
lichtbar wird. Es kann hier nicht genauer darauf eingegangen werden, wir
wollen indeffen auf einiges hinweifen. Die Architektur iß weniger leicht,
weil Füfse, Capitäle und Simfe ßärker vortreten; dennoch harmoniren die
neuen Maafse. Der allgemeine Charakter wird derber, kräftiger und kerniger,
wenn er auch weniger gefchmeidig und lieblich iß als der italienifcher
Arbeiten. Aehnlich geht es mit der Verzierungsweife, die von der Antike die
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HIE KIRCHE ZU f. I.. FRAUEN*.
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Art der Anordnung, befonders die fchwungvolle üppige Rankenlegung ent-
lehnt: und das hat fie mit der italienifchen Ornamentik gemein, wenn auch
Pauwarts Arbeit noch nicht gleichwerthig ilt mit italienifchen Erzeugni ITen ;
ferner nimmt fie mancherlei Motive: Akanthus, Delphine, Ränder. Gehänge,
Masken, Rültungen, Gerälhe u. f. w. dort her wie Italiens Renaiffance;
das originell de utfche Gepräge aber wird ihr verliehen durch gewifTe Zu-
thaten und ferner durch Eigenthümlichkeiten in Form und Schnitt der
Blätter. Eine Zuthat find beifpielsweife jene dem lllätterwerk entwachfenden
Bänder mit Kerbfchnitten, die fo häufig Vorkommen, lieh jedoch auch wohl
an italienifchen Stücken finden. Sie find eigentlich als Kartufchentheile
anzufehen , rollen fich Ichliefslich auf oder endigen in Masken und dergl.
Zu den RI at t eigen t hü ml ichk eiten mufs das Lederartige oder Hölzerne bez.
Zu-Hölzerne der Technik und die herzartig dreitheilige Form der einzelnen
Blätter gerechnet werden. Gegenüber der einige Jahrzehnte älteren ürna-
mentirung der Emporen in Stein läfst fich immerhin ein beträchtlicher Fort-
fchritt beftätigen. Es giebt zwar noch ungelölle Partien und gezwungene
Linien, dennoch find die Linien im Allgemeinen Hüffiger und die Blatt-
modellirung ilt üppiger. Die Fläche füllt fich nicht mehr gleiclunäfsig mit
belaubten Ranken, fondern verfucht. und meilt glücklich, eine richtig
abgewogene Gruppirung der Schmuckelemente. — Auch über das Schnitz-
werk der barocken Stücke oben an den Wänden mag gefagt werden, dafs
es fich im Allgemeinen der älteren Architektur gut anfchliefst. Die Technik
hält freilich einen Vergleich mit diefer nicht aus, die Einzelheiten find roh
und das Ornament wunderlich kraus und bunt bis zur Verwirrung oder gar
Unkenntlichkeit. Ein Beifpiel bildet das Motiv eines Delphins, der fo
zerriffen auslieht, dafs er als F'ifch kaum noch kenntlich ilt.
Elin anderes Geltühl, in Holz gefchnitzt, fchliefst fich dem befchriebenen BräiniRams-
an (F'ig. 36, 37, 38 und 39). Es befindet fich im Mittelfchiff hinter dem Altäre
und füllt den Raum unterdem weiten P’lachbogen der Oftempore theilweife
aus: während es fich nämlich in zwei gleichen Theilen fymmetrilch zur
Mitte ordnet, ilt die Mitte felblt unausgefiillt, um einen Zugang zurSacriltei
offen zu laden. Die Holztäfelung hat den Zweck, eine prachtvolle Aus-
fiattung für jederfeits drei Sitze abzugeben, welche, wie Olearius meldet,
ehemals „die Bräutigamsltühle“ hiefsen. Sie dienten daher ficherlich
einer alten hochzeitlichen Sitte, die nunmehr mit fammt der Benennung der
Stühle in Vergeffenheit gekommen ilt.
Auch für diefes alte Holzwerk mufste die Fufsbodenerhöhung örtlich
im Schiff verhängnifsvoll werden. Sie hat bewirkt , dafs der F'ul’s der
Sitze in den Boden unter die grofsen Steinplatten gekommen und wahr-
fcheinlich jetzt fchon verfault ift. Solche Behandlung eines Kleinodes der
Baukunft kann fie felblt dem grofsen Schinkel verziehen werden?! Da es
ohne Wegräumen der Aufhöhung nicht möglich ilt, zu erfahren, wie der
Fufs des ganzen Werkes ausfieht, fo fei geftattet anzuführen, wie die untere
Partie der Geftalt der Bräutigamsltühle gemäfs wohl ausgefehen haben kann.
Die Sitze werden von pfeilerartigen Beinen getragen, in deren vertieften
Flächen als Füllung ein platter Knopf (Fig. 30 u. 37) fitzt. Diefer nimmt gerade
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DIE STADT HALLE u. .!. SAAt.KKEIS.
die Mitte ein. von welcher alfö die Entfernung bis /um F'ufsfimfe fo grofs
fein mufs, wie fie bis zum Sitzbrett ifl. Durch das Maafs wäre die Sohle
der zwei flu figen Erhöhung jedoch noch nicht erreicht. Es bliebe gerade
noch Raum für ein Trittbrett, wie es auch die befchriebenen Stühle haben. Der
mittlere Sitz, der um ein geringes höher liegt als die feitlichen, könnte
deren zwei gehabt haben. Giebt es eine feierlichere Weife, die Plätze aus-
zuzeichnen, die die Brautleute unmittelbar vor der Trauung in gehobener,
froh-ernfler Stimmung innehaben, als durch einefolche thronartige Erhöhung?
Die Braut aut der einen Seite des Altars mit ihren beiden Brautjungfern,
auf der anderen der Bräutigam zwifchen Freunden oder Aelteren, fo erwarten
die Verlobten den Prieller. Zum Trauungsacte treten fie vor dem Altäre
zufammen, um fich die Hand zu reichen für das Leben. Gewifs der alte
Name, der ausgezeichnete Platz, eine treffliche Arbeit und diefe wohl über-
legte Anordnung laden über diefen Zweck des Geltühles keinen Zweifel zu:
vor unferem Geilte Hellen fich, wenn wir die Stühle betrachten, auf's Neue
die länglt verraufchten , hochzeitlichen Scenen und Ceremonien an diefem
Platze lebendig dar. Es find die Kunllformen, welche uns wieder von einer
nun vergelTenen, aber tieffinnigen und pöetifchen Sitte unferer Vorfahren
erzählen.
Was nun auch wahr oder falfch fei von unferer Vorltellung, die aus-
gezeichnete Arbeit verdient eine weitläufige Befchreibung. Nach Art der
("horherrenflühle haben die Sitze auch hier im Allgemeinen ihre Gellalt be-
kommen, im Einzelnen hat der Meilter mit Klugheit die Motive aus der
Arbeit feines Vorgängers Pauwart entlehnt (Eig. 36 und 37): die Sitzbretter
ruhen auf viereckigen Pfeilern mit hinten eingefetztem Brette und haben
darüber gedrechfelte Säulchen zur Unterllützung der Armlehnen. Die Rück-
wand in Rahmen und Füllung theilt fich über der Lehne in dreiTheile durch
ionifche, hermenartig nach oben verbreiterte Pilafter auf Pollamenten.
Denkt man noch einen Blendbogen in jedem Theile hinzu, fo haben wir
das gleiche Motiv in einer edlem Ausbildung, welches bei den Stühlen der
Seitenlchiffe verwendet ifl. Das eingerahmte Feld belleht aus hellerem,
linienumzogenem Holze und wird oben durch einen gequaderten und fein
verzierten Bogen abgefchlolTen. Unten im F'elde bauen fich einige Stufen
treppenartig über einander, als ob fie einen Gegenlland tragen Tollten; ein
Haches kartufchenartiges Laubfägellück in flotter Zeichnung hängt darunter.
Die Hauptpfeiler ionifcher Ordnung find von höchll origineller Form
durch ihre Verjüngung nach unten, jedoch in den allerfein llen, obwohl von
der Antike ganz abweichenden Verhältnifsen gehalten. Sie find zu langen
Nifchen ausgehöhlt worden, die ol>en mit einer Mufchel abfcbliefsen; das
üppigfle Blätter- und Früchtwerk birgt fich in ihrer Vertiefung. Ebenfo
nifchenartig ifl ihr Pollament geziert. Die Pfeiler haben das hohe Gebälk
zu tragen, welches fich über fie hinzieht. Bei gothifchen Möbeln diefer
Art hing fchützend ein Baldachin über die Sitze weg. Die überkommene
Weife bildet fich, dem neuen Stile angemefien, um. Das ganze Gebälk
tritt nämlich (b weit , wie die Sitze reichen , vor und wird dabei von zwei
Ichlanken, frei auf Pollamente geflellten, korinthifchen Säulchen vorn an
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DIE KIRCHE ZU U. FRAUEN.
63
den Ecken gellützt. fodafs die Säulchen auf die beiden Endmiferikordien
je einer Partie zu liehen kommen. Das Säulenpollament hat die Ausbildung
derer an den Pilallem. Die Säulen lind auf ein Viertel ihrer Gefammtlänge
mit Kartufchenwerk umfpannt und dann mit vielen Canneluren gereift.
Das Capital ill ein Compolitcapitäl, verhältnifsmäfsig niedrig und weit aus-
ladend. Man fieht, die antiken Verhältnifse lind keck überfchritten, aber
die neuen mit folcher Vorzüglichkeit gellimmt, dafs darin die Meillerhand
eines genialen Künlllers unverkennbar ill. Die Proportionirung des Gebälkes
über den beiden Säulen und den vier zurückliegenden Pilallern lallt noch
weit mehr aus der Rolle in Bezug auf die Anlehnung an die Antike: ein
niedriger Architrav, ein mehr als fünfmal fo hoher Fries, durch vier mächtige
Confolen in Felder mit Kartufchenfchmuck getheilt, und fchliefslich ein weit
ausladendes Kranzsims mit Zahn Ichniit und mächtiger Sima, das find feine
Bcllandtheile , die fehr wohl mit einander und mit den Säulen in Einklang
liehen. In beiden Partien der Vertäfelung lieht im F'riefe die Jahreszahl
der Entllehung 1595 grofs, erhaben auf befonders ausgezierten Feldern.
Da, wo der Emporenbogen anfängt, alfo links am linken, rechts am rechten
Vertäfelungsllück ill dem Simfe eine Vafe zur Bekrönung aufgefetzt.
Zwei Stufen nehmen dann den obern Th eil der Täfelung auf
(Fig. 38 und 39). welcher in den Hauptfachen dem untern lehr ähnelt : drei
ionifche Pilafter mit den bekannten Blendbögen zwilchen lieh und ein Gebälk
ungefähr fo, wie das befchriebene, geben die Haupteintheilung für diefe
Partie ab, die durch die Bogenlinie dreieckig wird. Zur Bereicherung
lind die Bogenfelder mit flachen Mufchelgebilden ausgefüllt, als ob hier
Nifchen vorgellellt werden füllten; Knöpfe beleben die Bogenzwickel und
grofse Schlufslleine helfen den Architrav tragen. Die Pilalter, ihre Pofla-
mente u. f. w. find, weil kleiner und dem Auge ferner als die untern,
auch entfprechend weniger gefchmückt worden. Das Dreieck zwilchen
dem letzten Pilaller und dem Iteinernen Bogen ill von dem Meiller in
ganz aufserordentlich reizvoller Art als Kartulche behandelt. Das kraule
l.inienfpiel und der auffällige Wechfel von Eicht und Schatten, hervor-
gerufen durch die feine Zulämmenltellung von Voluten, Spitzi|uadern, Knöpfen
und Fruchtgehängen, bellrickt ganz das Auge, und man überlieht. dafs durch
die Bogenlinie der Empore das Stück an einer Seite unbarmherzig fchief
abgefchnitten wird. Auch über dem letzten Gelimfe verbleibt ein ungleich-
leitiges Dreieck als Spitze der ganzen Täfelung. Der Meiller hat es ebenfalls
mit gar feinem Gefchmacke zu decoriren gewufst. Er wählt ein Grottesken-
omament und entlehnt dazu wiederum das Motiv den Seitenllühlen : ein
delphinähnliches Meerungethüm fchuppig mit Blätterflolfen und Voluten-
fchnabel fperrt feinen Rachen auf, grimmig blickend und Zähne weifend,
hoch krümmt es den' Körper und windet den Schwanz in Wellenlinien, die
kleiner werdend nachrollen wie die Walferwogen.
Haben wir hiermit die einzelnen Bellandtheile der Bräutigamsllühle Würdigung,
aufgezählt, fo ill es damit doch nicht möglich einen richtigen Begriff von
der Wirkung zu geben, den diefe Stücke in ihrer Verbindung mit einander
machen. Denn mit einer Sorgfalt und Liebe hat der Meiller fein Werk
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Meiner.
64 OIE STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
behandelt bis in die klein llen Einzelheiten, dafs es mußergiltig ill und bleiben
wird. Co lange es Menfchenaugen erfreuen mag. 1 Ja als Vorbild darf man
folche Arbeit betrachten, weil lie die gofunde Fortentwicklung der antiken
Kunßweife auf deutfchem Hoden ill und . nichts mehr gemein hat mit
der etwas copirenden Weife Pauwarts. „Nicht ihren — der Antike
todten Buchftaben narhahmen, fondern ihren .Geiß einfaugen,“ das ill es.
was diefem Meißer meilterlich geglückt ill. Das eben beweifen die ver-
änderten und doch fo edlen Verhältnifse. Wir nennen nur ein Reifpiel, die
Säulen, die von fo eigenem Reiz und fo bewunderungswürdig fein proportionirt
lind, dafs hier jener Vorwurf, die deutfche Renaillänce unterfcheide fich
von der ilalienifchen nur durch die fchlechten Verhältnifse,8 verdummen
mufs. In Deutfchland hat man nicht vorher und nicht nachher fauberer in
Holz gearbeitet und kunlllinniger concipirt als an diefem Werke gefehen
wird. Ein guter Geiß, der eigene, ihm innewohnende, machtvolle Geirt
wahrer Schönheit hat dasfelbe denn auch bewahrt vor dem Mifsgefchick
der andern I lolzarbeiten , die ausnahmslos mit Oelfarbe überßrichen lind.
Hier Hand anzulegen hat feine Schönheit felbß den Zeiten Scheu eingc-
tlöfst, welche die für Kunß verßändnifslofeßen waren; und fo Ipricht denn
auch heute noch , obwohl längß der Brauch , der diefe Stühle gefchaffen
hat, nicht mehr iß, diefe keufche Architektur vernehmlich, anregend, l>e-
geißernd wie ehedem von Sonnenfehein, Freude und Lebensluß.
Blicken wir zurück. Wir haben fo lebensfrohen Sinn in der Markt-
kirche Hufen weife fich entwickeln fehen; an den Emporen regte er fich
zuerß, nahm an den Scitenßühlen einen reinen, aber noch etwas trockenen
Ausdruck an. um an diefer Holzarbeit, die das Genie erdacht und eine
Meißerhand gefchnitzt hat, fich mit tieflinnigßer Poefie und ganz in
deutfeher Eigenart voll zu entfalten. Ein höherer Ausdruck für dielen
Sinn war hier nicht möglich; wenige Jahre fpäter ändert fich die Denkweife,
und ihr formaler Ausdruck, der Stil, wird barock. Für Halle hört fall
genau mit dem Jahre 1600 die reine, edlere Renaifiance auf.
Es bleibt nun noch die F'rage nach dem Namen des treßlichen
Meißers, des Kunßbegabteßen von allen, die jemals in Halle’s Mauern ge-
lebt haben. Den aufzufinden hat leider bisher nicht gelingen wollen, obwohl
mehrere unverkennbar von diefem Meißer herrührende Arbeiten noch vor-
handen find und fogar in der Umgegend gefunden werden.3 Indeßen darf
nicht verfchwiegen werden, dafs fich am obern, nur mitteiß Leitern zu er-
reichenden Theile, lief in eine Fuge eingeklemmt, ein 5 cm. ; 8 cm. grofses.
1 Uebrigcns mufs dazu angemetkt werden, dafs die nördliche Hälfte der tödlichen in
der Arbeit nicht ganz gleichwertig ift ; dan berechtigt anznnchmen . dafs nur letztere von de>
Meifters eigener Hand gemacht und, da doch für diefen genialen Kopf eine Copie nichts Ver-
lockendes haben konnte, die nördliche Hälfte darauf von feinen Gehilfen ausgefiihrt worden ift.
8 Scmper’s Ausfpruch. Vcrgl. : Wiener (Forfterfche) Bauzcilung i 8,
3 Wir nennen das ältere Thalhauszinuner von 1504, die Thür der Vorhalle zur Moritz-
kirche von I bol , die Thür des Hanfes Brüderftrafse Nr. 14 und in der Kirche zu Wetlin die
Täfelung an der Siidfcite des Chores und der Kmporenbriiftung.
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r>IF. KIKClIF ZU 1'. t. WAI'Ktf.
65
zufammengerolltes Papierftückchen fand mit dielen Namen in deutfcher Schrift:
„Friedrich Conrath Lüttich, Johann Lutwig Urban, Frietrich
Chriftian Mathi(e)s, Johan Chriftian Schäfer."
Ein folches Papierftückchen wird wohl von Tifchlern, Zimmerleuten
und andern Handwerkern bei ihrer Arbeit im Holzwerk verlleckt, allein
es ifl nicht wahrfcheinlich, dafs im vorliegenden Falle die Namen lieh
auf die Verfertiger beziehen, weil für jene Zeit und diefe Arbeit eine
derartige Verewigung doch wohl zu kleinlich erfcheint und möglicher-
weife von den Gehilfen, aber nicht auch von dem Meifter gemacht
fein wird.
Abgefehen von dem befchriebenen Kanzeldeckel ilt als die Holzarbeit. Rahmen <!«■
welche (vermuthlich!) der Zeit nach jetzt folgen würde, die Einrahmung f * ’ o r,'«, »n <i* ^ '
desgrofsen Bildes über der Oftempore zu nennen. Von zwei durch
umwundenes Ornament gefchmückten Säulen mit Poftamenten, frei auf vor-
gekragten Con folen behend, wird ein Spitzbogen getragen, welcher der Linie
des Gewölbes folgt, mithin von einem lialbkreife kaum merklich verfchieden
ill. Die Archivolte Hellt fich als grofse Flachkehle mit einigen Gliedern
oben und unten geläumt dar; Ge ift durch fchlulsfteinartige Confolen in
einige lange Theile getheilt und mit Hach erhabenen Zierrathen, in Leder-
und Blechweife gefchnitten, fo wie durch Knöpfe, Spitzquader u. f. w.
Webt. Unten geht von einer Seite zur anderen ein Bandfims, in ähnlichen
Omamenten und mit Sprüchen auf umrahmten Schildern ausgebattet. Die
•Säulen tragen den Bogen mittelb eines Gebälkbückes, auf delTen Vorfprunge
jederfeits ein Wappen beht, wohl denen gehörig, die zu diefem Werke das
Geld gefpendet haben; am Bogenfchlufsbück ib das Wappen der Stadt Halle
angebracht. So wie diefe Wappen heute noch in reichem Farbenfchmucke, der
allerdings aufgefrifcht fein mag. prangen, wird auch die ganze Umrahmung
vielfarbig — man findet noch Spuren — bemalt gewefen fein ; jetzt theilt lie
mit dem Kanzeldeckel das gleiche Loos: weifser Kalkanbrich mit Ver-
goldung aus fpäterer Zeit befchmutzen die Architektur. Das Bild fei 1 503
gemacht worden, wird berichtet; mithin fiele diefer Rahmen in diefelbe Zeit.
Allein, wenn man bedenkt, dafs zwei Jahre fpäter der Meiller der Bräutigams-
llühle hier arbeitete, fo würde es Wunder nehmen, wenn ihm nicht auch
fchon diefe Arbeit übertragen worden wäre. Wilfen wir auch nicht den
Namen des Verfertigers, fo ib ficher, dafs der Meifter der Bräutigamsbühle
fie nicht gemacht haben kann. Die Technik ib zu wenig forgfam, in Folge
defien giebt es ruinöle Partien hin und wieder; die Detaillirung ib nicht
liebevoll genug durchgeführt, und viel Scheinwefen läuft mit unter; der
\ erfertiger hat auch die weife Befchränkung jenes Meibers nicht mehr
gekannt, fondem findet Gefallen an barocken Formen. IndelTen ift noch
keine widerliche Ausartung eingetreten, fodafs, follen wir dem Stile
nach die Arbeit datiren, fie in das erbe Viertel des 17. Jahrhunderts zu
fetzen wäre.
Einerfeits noch zu dem architektonifchen Ausbau, andererfeits fchon zu Die Orceln.
den eigentlichen Mobilien oder doch felbftändigen Kunft werken gehören die
Orgeln. Beider Holzgehäufe ift barock. Die kleine auf der Obempore foll
B. D. d. Bau- u. Kunsid. N. F. ). 5
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DIE STADT HALLE u. <1 SAALKREIS.
Andere Hnlz-
arbeiten und
Kunflwerke.
fchon 153g gefetzt fein; vermuthlich wird fie aus der alten Marienkirche
flammen, woraus fich das Vorhandenfein zweier Orgeln erklärt. 1663 ifl fie
völlig neu gemacht, und diefer Zeit entfpricht der Stil ihrer Schnitzerei.
Schlaffe Linien, überfchwengliches Rankenwerk find die Charakterillica; auch
eine Anzahl Wappen hängen an der Orgel, wahrfcheinlich folchen gehörig,
auf deren Koften fie befchafft worden ift.
Die grofse Orgel auf der weltlichen Empore ift 1715 (nach v. Hagen
17 13 — 16) gemacht worden, und verdient einige Beachtung des grofsartigen
Pompes wegen, den die Ornamente machen. Plumpe, pausbäckige Hermen
tragen einige vortretende Partien, Engel verfchiedenen Alters, meift muficirend
liehen in bewegtefter Haltung auf gebrochenen und gefchwungenen Simfen
oder fchweben in dem Wuft des übertrieben gewundenen Blattornamentes,
welches mit baldachinartigen Draperi<-n, Gehängen u. f. w. durchfetzt, bis
zum Gewölbe hinaufgeht. Dafs die Herftellung derartiger Formen den
Eigenfchaften des Materials, dem Holze nicht entfpricht, ift erklärlich; die
zügellcfe Zierweife bedingt ein Scheinwefen, das hohnlacht jeder gefunden
Holzconftruction. So häfslich nun auch viele Einzelheiten (z. B. dieHermeni
find und fo naturwidrig diefelben hergeftellt worden find — Leim und Nägel
ermöglichen das Undenkbarfte, — fo wirkungsvoll ift der Gefanimteindruck.
Man mifsbilligt diefen Schwall von nichts Tagenden Einzelheiten, hält kaum
eine der Beachtung werth und fchaut doch das Ganze ftaunend an fo etwa,
wie man das mächtige Meer bewundert, ohne die kleinen Wellen zu beachten.
Die Architektur kommt nicht ganz zur Wirkung, weil die eintönige Färbung
ziemlich dunkel ift, was vielleicht anfänglich in dem Maafse nicht der Fall
war; immerhin verdient fie Beachtung als eine der üppigften I.eiftungen des
Barocks in Halle.
Erwähnt mögen noch einige weniger bedeutende Holzarbeiten werden,
die, wie die übrigen noch zu befprechenden Stücke, felbftändige Kunftwerke
find. Zunächli ein fpätgothifcher Schrank derSacriftei von grofsen Maafsen.
welcher 1852 leider renovirt ift. Diefe Jahreszahl ift auf der Stelle angebracht
wo ehedem vielleicht das P'ntftehungsjahr ftand. Trotzdem die Erneuerung
von unkundiger Hand vorgenommen ift, hat man das alles überziehende,
vielmullerige Blendenmaafswerk nicht verändert; es mögen auch die
nämlichen Farben da wieder angebracht fein, wo fie urfprünglich waren, die
F'arbenftimmung und die Technik der Färbung, nämlich durch getärbtes
Papier, ift freilich nicht die alte. Von Werth find die Schmiedeeifenbefchläge,
namentlich die Schlofsbleche und Henkelgriffe ; fie konnten ihrer Natur nach
eine Veränderung glücklicherweife nicht wohl erleiden. Es find Meifterftücke
fies fpätgothilchen Schmiedeei fenftiles und machen vollauf den abenteuerlichen
und gefpenftig - bizarren Eindruck der übrigen Produkte diefer Epoche. Hinzu
kommt, dafs die farbigen Tuchunterlagen fich hier erhalten haben und nicht
durch moderne Surrogate erfetzt find.
Wenn man den mit Zeug und Decken verhüllten Altar der Sacriftei
unterfucht, fo ftellt fich heraus, dafs auch er nichts anderes ift, als ein
reich befchlagener fpätgothifcher Schrank, der nun Altardienfte thun mufs.
Er hat zwar durch Befeitigung und Umänderung einiger Theile gelitten, ift
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DIE KIRCHE 71* C. L. FRACKS.
67
jedoch nicht durch unverfiändige 7-uthaten verunllaltet. In der SacriHci
befinden fich noch einige Stücke von geringer Bedeutung, die wir nennen
wollen, obwohl fie nicht gerade hierher gehören. Ueher dem Altäre hängt
ein barockes Bild, das Abendmahl darllellend; es ill wahrfcheinlich auch
von dem taubHummen Heller gemalt, der für die Moritzkirche und Ulrichs-
kirche ein Abendmahlsbild angefertigt hat (f. weiter unten). Die Apofle!
haben die Gefichtszüge der damaligen Kirchenväter. An den Sacriffeiwänden
hängen auch die Bildnifse der Palloren diefer Kirche; der Kunlfwerth gebt
nicht über die Mittelmäfsigkeit hinaus. In dem füdlichen 1 fausmannsthurme
verfchliefst ein hübfches Gitter bezw. Doppelgitter einen VVandlchrank nach
Art der Sacramentshäuschen.
Das ältefle unter den jetzt noch zu befchreibenden K u n II werken ill der TaiifkelTrl.
Taufkeffel. (Fig. 40). Sowohl aus dem Kirchenmodelle als auch aus den Be-
merkungen der Chronilfen ergiebt lieh, dafs er früher vor dem Altäre leinen
Platz gehabt hat, mit lleinernen (?) Schranken umgeben und mit einem lieh hoch
aufthümienden, holzgefchnitzten (?) und zum Aufziehen eingerichteten Deckel
des it> oder 17. Jahrhunderts bedeckt gewefen ill. Jetzt lieht er im Mittel-
raume unter den blauen Thürmen. Seine Form gleicht der, welche der KelTel
in der St. Ulrichskirche hat. Beide find von demfelben „Grapengehter“ in
Itronce gegoffen. Vier F’iguren auf einer gemeinfam« n, runden und gegliederten
attifche Bafis) Fufsplatte tragen mit den Köpfen einen ebenfalls runden KelTel.
I liefe Figuren Hellen vor; einen jugendlichen Mann in prielh rlichem Gewände
Diacon?), welcher ein Buch im rechten Arme hält und in der linken Hand
noch das Ende eines abgebrochenen Gegenftandes hat. etwa eines runden
Stabes, der ein Kreuz, ein Scepter oder dergl. gewefen fein mag. Dann folgt
eine weibliche Figur mit einer Krone auf dem Haupte; während ihre Rechte
ehemals auch einen runden ftabförmigen Gegenlland gehalten hat, macht der
linke Arm eine Bewegung, die daraufhindeutet, dafs er früher auch ein Buch
gehalten hat. Eine dritte Figur Hellt einen bärtigen Mann dar, deden Linke
noch ein Buch hält, indofTen bezüglich der Rechten fich auch nur noch darauf
fchliefsen lälst, dafs es ein Habförmiger Gegenlland war, den fie hielt. Endlich
ill die genannte weibliche Figur noch einmal wiederholt, ebenfalls ohne die
Stücke, welche fie getragen hat. Wer diefe Heiligen ohne Nimbus fein
folien oder ob ihnen eine behindere Bedeutung beizulegen ill, ill rückfichtlich
der wenigen übergebliebenen Beigaben nicht mehr feHzullellen. Die ganze
Anordnung des Taufkeflels, befonders alter die Anbringung derartiger
Figuren zum Tragen des Keitels, ill uralt, vielleicht ein Ueberkommnifs
deutfch-heidnifcher Vorzeit. Auch an den ältellen Stücken dieler Art weifs
tnan die F'iguren mit Bellimmtheit nicht zu deuten. Fleidnifche Reminiscenzen
lafson fich oft nicht leugnen, z. B. da, WO die vier ParadiesHröme als
Flufsgötter perfonificirt find.1 Um den KelTel felbfi zieht fich unten ein
1 Der angeblich noch aus dem deutfehen Ifcidcnthtimc (lammende viereckige, («»genannte
< »pferaltar de«; Krodo in tler Capelle «les Domes /.u Goslar hat ebenfalls fnlchc tragende
Figuren, die aber mit einem Reine knieen. Erklärlich ift, dafs folchc Vorbilder auf die Tauf-
keffel übergingen und dabei nur ein Perfonenwechfel ftattland.
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DIE STADT HAt.t.E u. cl. SAAMCKEIS.
F>K- 40.
Taufkrffel der M.irklkiulie.
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r>IK KIKCHK ZU U. L. FKAURN 6q
Band, auf welchem fehr deutlich folgende Minuskelfchrift in erhabenen Buch-
flaben lieht:
m« . km . k . uu . xxt . prr . rar . luünlfus . ua . iirnsnik . unör . sin .
fsnr . kirik . $r . glult . to . magrbrbard). 1 * * 4
Die Striche tür I liehen oft aul dem Rundlfabe, welcher das Infchriftsband
oben abfchliefst. Das prr mt fcheint mir weiter nichts zu fein, als eine
Wichtigthuerei des Handwerksmeilters; ein bischen Latein ziert doch den
ganzen Menfchen, mochte er wohl denken, verlland er gleich wenig davon,
wie die Autfchrift ja ebenfalls beweill.8 Ueber dem Schriftbande flehen auf
Confolen kleinere Relieffiguren ohne Nimbus, jede in einem Bogenfelde der
ringsumlaufenden Blendarkade; es find: Chrillus mit fegnender Rechten und
mit dem Kreuzpanier in der Linken, Petrus hält den Schlüllel, in der linken
Hand ein Buch, es folgt Paulus mit Schwert und Buch, dann mit Pilger-
Hab und Mufchel Jacobus der Aeltere, Andreas ift kenntlich an dem fchrägen
Kreuze, auch er hält noch ein Buch, ein folches hält auch Judas Thaddäus,
der an der Keule erkennbar ift. Jacobus der Jüngere ill bartlos und hat
aufser einem Buche den geigenbogenähnlichen Walkerbaum. Ein Beil hält
Matthias, Simon ohne Bart ein Schwert, Matthäus hat eine Axt (Hellebarde ?)
und ein Buch, ein folches und ein Doppelkreuz hält Philippus. Bartholomäus
hat ein Meder, Johannes ifl an dem Kelche in feiner Linken zu erkennen,
auf den er die Finger der Rechten legt. Endlich mit der F'igur der Maria,
welche ihre Rechte auf die Brüll legt und die flache Linke erhebt, fchliefst
die Reihe wieder an die F'igur Chrilli an. Als Abfchlufs baucht lieh
der obere Kedelrand kymationartig aus und hat hier eine Anzahl
angegofsener Oefen , durch die lieh rings um den Rand ein freier,
runder Reit zieht. Der Zweck ill, bei Taufen hier das Handtuch authängen
zu können, in der That eine fehr verfländige und decorativ gut verwerth-
bare Anordnung.
Der TautkelTel war anfangs wohl auch fo reich vergoldet wie der
in der Ulrichskirche: Spuren haben lieh erhalten; fpäter ill er mit Oelfarbe
angellrichen gewefen, underll vor einigen Jahren hat der Kirchendiener ihn
mit Säuren davon befreien müden unter Zuhilfenahme von fcharfen In-
llrumenten; was dabei von der charakterillifchen alten Form geblieben ill,
1 Stellen wir zufammen , was lieh auch fonft noch von diefem Induftriczwcige und feinen
Vertretern vorlindet: Heft 5, Fig. 60 weift einen ähnlichen Taufkeffel muthmafslich aus dein
Anfänge des 15. Jahrhunderts in der Jacobskirchc zu Sangerhaufcn nach, ohne Angabe des
Verfertigers. Fig. 72 desfelbcn Jlcftcs ftellt wiederum einen folchen Keffel dar aus der
LTrichskirche dafeibft. Er ift infchriftlich 1369 von zwei braunfchweigifchen (?) Meiftern gemacht.
1421 Taufkeffel in der Katharinenkirche von Ludolf von Braunfchweig (vergl. Otte’s Kunft-
arcliäologie und Adler’* Hack Hein bauten der Mark Brandenburg), 1434 Taufkeffel in der Petri»
kirche zu Berlin von Hinrik to Magdeborg (jetzt nicht mehr vorhanden). (Nicolai: Nachrichten
von Berliner Kiinftlern 1786). ln Braunfchweig hat fornit von Alters her diefe Technik geblüht,
ihre Meifter zogen umher und wurden auch wohl, wie Hinrik, Ludolf’* Sohn, zu Magedeborch,
in anderen Städten fcfshafl.
4 Vergl, auch H. Hcydemann im Beiblatt der Zeitfeh. f. bild. Kunft, 18. Jahrg, No. 2.
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70
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKKEIS.
Gemälde ;
Vertreibung der
Wechsler aus
dem Tempel.
man dahingellellt fein; indelTen ift auch die Arbeit Mbit nicht von befonderer
Schönheit. Die Figuren, fowohl die gröfseren freillehenden unten, als auch
die kleineren gleichfatn halbirten um den KefTel herum, lind für lieh einzeln
gegofTen worden und darauf dem Keflel angelöthet. Dem Relief ift diefe
1 lerftellung nicht günllig, auch nicht, dafs die Perfonen, als ftänden lie frei
in einer Xifche, ihre Bewegungen nach vorn und rückwärts machen und
damit aus der Fläche herausfallen. Das Figürliche lelbft wird faft überein-
ftimmend bei den Autoren als handwerksmäfsig und roh bezeichnet. Das kann
nicht wohl zugegeben werden . weil dadurch eine flache Aufladung der
Charaktere und ein matter Ausdruck der Pofen unterftellt würde. Mit Rück-
licht aut den Maafsftab und das Material kann von beiden Eigenfchaften
nicht die Rede fein. Ich meine, die Ausführung fei flott fkizzenhaft zu
nennen und zeuge entfehieden von Gefchick. Beifpielsweife lind die
Gelichter nicht ohne Individualilirung, ja, fo weit es das Material zuläfst,
ott von feiner Nüancirung der Charaktere (z. B. Petrus). Die ftililiifchen
Eigenheiten der Zeit und des Broncematerials kommen l'charl zum Aus-
druck. Meifter Ludolf hat wahrfchejnlich diefe F'igürchen lieh von
einem tähigen Modelleur billig — daher das Skizzenhafte — modellircn
kiffen, lie dann handwerksmäfsig durch Abgiefsen vermehrt, und an vielen
feiner KefTel wiederholt.
Von den Tafelbildern, welche die Kirche belitzt, ift das ältefte jenes
an der Wand im Ollen des nördlichen Seiten fchiffes. Es ift in Oel auf
Leinwand gemalt und Hellt dar, wie Chriftus die Krämer und Wechsler aus
dem Tempel vertreibt.1 Er kommt in ein einfaches, langes, braunes Ge-
wand gekleidet von links her und hält in der erhobenen Hand eine Knute
aus Stricken. In gar auffällig bunte Gewänder mit hebräifch befchriebenen
Bordüren ftnd die Verkäufer gekleidet, unwillig und beforgt raffen lie ihre
llabfeligkeiten zufammen, um nach rechts hin fortzueilen. Der Maler hat
die Verwirrung unter ihnen lebhaft darzullellen gewufst, in jeder Miene
fpricht lieh aus, nur an dem klingenden Gelde und der baarenWaare hänge
ihr ganzes Herz. Es verleugnen die Gelichter nicht, dafs wir hier den
Pöbel, und zwar den jüdifchen Pöbel2 gegen 1500 vor uns haben; dazu
bietet dann der Kopf Chrilli mit feinem ruhig emlien und idealen, doch
wenig anziehenden Ausdrucke den wirkfamllen Gegenlatz. Die Scene fpielt
fielt in einem als gothilche Kirche dargellellten Tempel mit ganz goldenen
Wänden ab. Links unten nimmt die Ecke des Bildes eine fchwarze Talei
ein, auf der in weifsen Minuskeln lieht :
1 Sicht das Bild vielleicht im Zufammcnhang mit der Nie. Schildberg'fchcn Stiftung;
von Dreyhaupt I. 1034?
- Ich kann nicht umhin bei diefer Charaklcrilirung des Judcnpobcls an jenes Bild von
Charles Verlat ,,nous voulons Barabas •• in der Abtheilung Relgitjuc auf der Parifcr Weltauv
ftellung 1878 zu erinnern. An Werth zwar ftcht das moderne Bild ungleich höher, cs war dem
Kindruckc nach, den es auf alle Bcfucher machte, das bedeutendfte der Ausftellung; indeffen
gleicht der Ausdruck der Judcnphyliognomien in beiden Bildern lieh völlig. Ein Vergleich der
Charakterifirungsart der beiden Künftlcr ift zu inftructiv für das Verftändnils ihrer Zeiten, alt»
dafs dcrfelbc nicht empfohlen werden follte.
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IHK KIRCHE ZU U. L. FRAUEN.
7»
SJfin ifitvs ist ein JfrlljHvs IR!J8.
Der Stil des Hildes il't noch rein gothifch; die Farben lind etwas
hart, wenig' gebrochen und lebhaft : die K örpertheile lind unter den grofsen
Gewandfalten kaum angedeutet; von Knitterfalten ill noch keine Spur
bemerklich: die Haltung und Bewegung der Figuren ill lleif und eckig, auch
ihre Froportionirung — kurze Arme, lange Hände u. f. w. - mittelalterlich.
Dabei aber macht lieh fchon ein gewifser Realismus bemerklich. indem
die Charaktere der Perfonen trotz aller Stilbefangenheit durch die Bewegungen
und vornehmlich durch den Gefichtsausdruck fehr wohl gezeichnet lind.
Der Künfller hat lieh nicht genannt; ich vermuthe. dafs es ein alter, ein-
heimifcher war, weil er von der RenailTancebewegung noch wenig ahnt,
während bereits nach drei Jahrzehnten an einer Reihe von zufammengehörigen
Bildern für die Kirche die entwickelte Kenaiffance auftritt. Fine Uebergangs-
llufe fehlt. Diefe letzteren Bilder aber gehörten zu dem ehemaligen Altäre.
Fs ill der Altar überhaupt noch nicht erwähnt worden, weil der
jetzige vom Jahre 1841 ill. ein Werk1 Schinkels, mit einem Bilde von Hübner.
Der frühere Altar llammte aus der alten Marienkirche und zwar war es ein
Wandelaltar mit Holzfchnitzerei. Wie feine Architektur ausgefehen haben t>,c B,ld?r d*.
mag. läfst lieh nicht mehr fagen, weil lieh von ihr nichts erhalten hat. Das Aluro.
gefammte Holzwerk fei wurmllichig und zum zerbrechen mürbe gewefen,
wird gefagt. Die Bilder jedoch lind noch alle vorhanden und von unfehätz-
barem Werthe. Sie hängen aufser der Predella, die an der Ollwand des
füdlichen Seitenfchiffes Flat/, gefunden hat, zu zwei Gruppen vereint — jede
bildet jetzt einen Schrein in dem jetzigen Taufraume unter den blauen
l'hürmen. Aus den Hintergründen der einzelnen Bildtafeln und anderen
Merkmalen läfst lieh die vormalige Anordnung reconllruiren, wie folgt:
Di&politinn.
Darnach find vier Flügel doppelleitig bemalt und beweglich, das grofse
Mittelbild, die Predella und zwei andere Flügel liehen teil und brauchen
alfo nur auf einer Seite bemalt zu fein.-’
* Uncniuicklichfte SpiHg'illlik.
2 Es ift nicht ausgcfchloffcu . dafs Urfula und Erasmus die Kückfeite des Schreines bei.
des grofsen Mittclbildcs gebildet haben.
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
72
Ganz gelchlofsen zeigt der Schrein folgende Bilder — die Predella
ill Händig zu fehen — :
Oeffnen wir die beiden mittleren Flügel, fo ergiebt lieh folgende
Wandlung:
Wir öffnen wiederum das mittlere Flügelpaar und erhalten die letzte
Verwandlung:
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DIE KIRCHE ZU U. U FRAUEN.
•J
Die Flügel find im Lichten 2,71 " hoch und 1,01 ■ breit; das Mittelbild M"rsf-
und die Predella find 2,22“ breit und letztere hat eine Höhe von 0,88“,
erlteres die der Flügel. Da jede Seite eines eigentlichen Flügels nur von
einer Figur eingenommen wird, welche überlebensgrofs ilt, fo offenbart (ich
fchon durch die Maafse eine Bedeutung, die über das Gewöhnliche hinaus-
geht. Dahinter bleiben denn auch die Grofsartigkeit der AuffalTung und die
Feinheit der technifchen Ausführung nicht nur nicht zurück, fondernfie erheben
lieh vielmehr zu der Höhe jener ewig mutterhaften Werke, die nur das
Genie eines befonders ausgezeichneten Künltlers hervorbringen kann. Und
fo wollen wir die Bilder einzeln einer genauen Befprechung unterziehen.
Wir beginnen mit der. Predella. (Fig. 41). Sie ilt bei allen Wand- Predella,
lungen der F'lügel gleicherweife zu fehen und (Feilt die Maria mit dem
Kinde dar, um welche die vierzehn Nothhelfer verfammelt lind.
Diefe Figuren haben nur halbe Geflalt und find in einem bedeutend
kleineren Maafsltabe gehalten, als die auf den Flügeln; fie find etwa
halb fo grofs. Von Interelfe ilt es, zuvor auf die gefchickte Com-
pofition des Bildes einen Blick zu werfen ; denn es findet eine wohl
durchdachte, geradezu raffinirte Anordnung in Hinficht auf die Abwägung
und Vertheilung der Muffen llatt, obgleich dem Befchauer (der das
Metier nicht kennt) folche Berechnung gar nicht auffällt: die Bild-
mitte nimmt natürlich Maria mit dem Kinde ein. Um fie herum find vier
F rauen gelteilt, und zwar fo, dafs jederfeits zwei lieh befinden, von denen
die eine im Vordergründe, die andere im Hintergründe lieht und zwifchen
beiden jederfeits der Kopf eines Heiligen fichtbar ilt. Es folgen dann jeder-
feits wieder zwei Heilige in perfpectivifcher Anordnung, die eine Gruppe
bilden, während dann zwei andere ebenfo geordnet auf beiden Seiten den
Abfchlufs geben. Durch die Verfchiedenartigkeit der Figuren in Haltung
und Ausfehen ilt diefes Schema dem Befchauer nicht bemerklich, aber fehr
gut fühlt er das Wohlgeordnete des Ganzen, ohne lieh vielleicht den Grund
Tagen zu können. Das und anderes mehr, z. B. das Verhältnis der Länge
zur Breite des Bildes, welches Verhältnifs lieh im vorliegenden F.-lle an-
nähernd als eine Reduplication des goldenen Schnittes erweilt, bedingt
die Wirkung des Kunltwerkes wefentlich, obwohl felblt der Künltler (ich
feiten darüber Rechenfchaft zu geben vermag oder doch giebt, warum er
feine Anordnung gerade fo und nicht anders getroffen hat.
Die Hauptperfon, Maria, hält in der Linken das Scepter auf der
Rechten das Kind, welches nach links gewandt eine Beere von der Traube
pflückt, die ihm die h. Katharina darbietet. Maria ilt in ein ideales tantikes)
Coltüm gekleidet, fie trägt ein tunicaartiges Unterkleid und einen Mantel
darüber. Die anderen vier F'rauen haben das Modecoltüm des Tages, die
Männer das ihres Amtes bez. Standes.
Die Reihenfolge der Heiligen ilt nun von links her: 1. Der Diacon
Cyriacus mit einem Drachen an der Kette und einem Buche in der Linken.
2. Der Bifchof Blalius mit einer Kerze. 3. Für Eultachius ilt der h. Hubertus
in weltlicher Kleidung und kenntlich an den zwei Pfeilen, die er hält,
gemalt, 4. der Arzt Pantaleon, dem die Hände auf den Kopf genagelt find,
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DIE STADT HALLE U. <i. SAAI.KRKIS.
Cyriacus.
Blau uv.
Hubertus.
Pantaleon.
Katharina.
Acgidiuv.
Dorothea.
Chriftkind.
Maria.
Barbara.
Dionyfiuv.
Margaretha.
Achatius.
Vitus.
( hriftophoruv.
Erasmus.
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Dispofition der Figuren an der Predella des vormaligen Altarfchreine».
DIE KIRCHK ZU U. L. FRAUEN. 75
5. Katharina, gellützt auf das zerbrochene MefTerrad, 6. ein Heiliger mit
einem Baume, wahrscheinlich ilt es der Einfiedler Aegidius, Dorothea
mit Rofen in einem Korbe; — nun folgt die Jungfrau mit dem Kinde,"
dann — 8. Barbara, welche einen Kelch mit Ilofiie hält, i). der Bifchof
Dionyfius Areopagites (?), man lieht nur ein Stück feines Geflehtes und
feine geldliche Kopfbedeckung, io. Margaretha mit einem gefelTclten
Drachen und einem Kreuz; ti. Achatius (>), da er kein Attribut hat und in
Diaconentracht (?) id, mag es Aegidius fein, und der als Aegidius bezeichnete
Heilige Achatius, u. Vitus mit einem Buche, auf dem ein Hahn lieht, in der
Rechten und mit einem Zweige in der Linken, 13. Chriltophorus, das Chrill-
kind auf der rechten Schulter tragend, und mit einem Baumdamm in der
linken Hand, 14. der Bifchof Erasmus, der eine Winde mit feinen Därmen
hält. Unter den vierzehn Xothhelfern fehlt äll'o der Ritter Georg', der durch
Dorothea bez. Elifabeth erfetzt ill, welche fond nicht zu den Nothhelfern
gezählt wird. Es ill möglich, dafs auch die als Aegidius, Dionyfius und
Achatius angegebenen Heiligen durch andere erfetzt find, weil ihnen folche
Attribute, aus welchen fie mit Sicherheit erkannt werden könnten, fehlen.
Alle Heiligen haben einen leichten, runden Nimbus; in dem der Maria lieht:
SANCTA MARIA.
Bei gefchlofsenein Zultande des Schreines geben die beiden mittlerenge-
fonderten Tafeln ein Bild, die Verkündigung Mariae. Die Jungfrau
kniet nach links zu an einem Pulte. Ein Buch liegt vor ihr, aus dem fie
foeben gelungen hat, denn man liell darin das Wort magnificat. Sie legt
die Hände betend zufammen und wendet den Kopf ein wenig nach rechts,
weil Gabriel auf der andern Tafel ihr von dort her den englifchen Grufs
bringt. Ihres dunkelblauen Gewandes lange Schleppe und eine gelbe Decke
reichen in vollen, weichen Falten bis in die andere Tafel hinein. Das hold-
felige Mädchenangelicht umkränzen goldblonde, fanftlockige , lofe Haare,
üppig fchwellend lind die Lippen, fie machen den Mund unbefchreiblich
reizend und laden nicht mehr den heiligen Ernli zum Ausdruck kommen-
wie die gleichen Darllellungen des Mittelalters. Ein lächelnder Zug um die
Lippen bezeugt Verliändnifs für die Situation. Dennoch giebt die hohe
Stirn keiner leidenfchattlichen Regung Raum, fie erfüllt mit Würde das
kindliche, mehr naive Antlitz der entwickelten Jungfrau. Der Kopf neigt
fich dem Engel etwas zu, doch fenkt fich der Blick zur Erde. Auf folche
Weife zeichnet der Maler gar treffend das Weib in ihr, das ohne eigentlich
hinzufehen, doch jede Gelle des Engels bemerkt. Den Befchauer wird
diefer Blick lange felfeln, man deutet ihn fchwer, weil er fo vielfagend ill.
Diefes Meillers Vorllellung von der göttlichen Jungfrau Maria weicht
wefentlich ab von der feiner mittelalterlichen Vorgänger; fie ill durchaus
realillifch; fie gleicht vielleicht nahezu dem wirklichen Ausfehen einer
fchönen Zeitgenoffin, welcher er diefe himmlifche Rolle zutheilt, weil fie ihm
Modell gefeffen hat, mit andern Worten, es liegt in dem Gelichte etwas
Portraithaftes und das um fo mehr, als naturalillifche Zufälligkeiten, wie das
vor den Ohren tief auf die Wange herabgehende, zart gemalte Haar, diefen
Eindruck nur noch verllärkeh. Die Kleidung allein ill eine ideale, mehr
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DIE STADT HALLE u. d, SAALKREIS.
antike, mantelartige. Ihr Haupt umgiebt ein leichter Nimbus, der ausfieht,
als fei er von einem Goldfchmiede gemacht; er belleht aus zwei feinen Gold-
reifen, dazwifchen Ifelit SANCTA MARIA, leichte Ornamente füllen den übrig
gebliebenen Raum. — Ein folcher Nimbus mit Namen geht auch um die
Köpfe der andern Heiligen. — Von rechts her kommt der heilige Geil! in
Gellalt der Taube, umhüllt von einem gelben, ovalen, ziemlich compacten
Scheine, herab auf die Gebenedeite. Den Engel Gabriel Ilellt die zugehörige
Tafel in fchreitender Bewegung dar. Sein dunkelrothes Gewand, die Dal-
matica, ill priellerlich gefchlitzt an den Armen; das weifse Untergewand
bildet weite Aermel. Er erhebt die Rechte zum Segen und feine Linke
hält ein weifses Blatt, darauf lieht fein Grufs alfo:
AVE GRACIA PLENA DOMINUS TECUM.
Die Scene geht in einem bürgerlichen (?) Renaiflancezimmer vor, defTen
Decoration theilweife den Hintergrund bildet ; man fieht prächtige Draperien
mit runden Zacken, noch fpätgothifch profilirt ill ein Tifch; ganz im Stile
der Renaidance dagegen hält fich eine Truhe von mehrfarbigem Holze und
das Betpult der Maria. Oben an der Truhe nahe am Kleide der Maria
lieht deutlich hell auf dem dunklen Holze die Jahreszahl 15^9.’
Diefen beiden Flügeln des Schreines zur Seite befinden fich zwei andere
Flügel, die nureinfeitig bemalt find und alfo fellflehend gewefen fein müfTen.
l.inks ill die heilige Urfula gemalt, kenntlich an einemPfeile, den fie hält.
Es ill eine ziemlich zierliche Perfon, ohne bedeutenden Gelichtsausdruck,
gekleidet nach der Mode der damaligen Zeit (Puffenärmel, Schnürleib u. f. w.).
Die Farbe desKleides ill roth (fall zu knallroth). Ein Perlennetz umfangt
ihr Haar. Im Ganzen trägt fie lieh einfacher als die beiden andern weib-
lichen Heiligen Magdalena und Katharina. Königliche Abzeichen fehlen
ihr. Das Gemälde auf der andern Seite Ilellt den h. Erasmus dar; er ill in
vollem Bi fchofsomate, mit prachtvollem Mantel angethan und hat eine Mitra
in reichller Goldausllaffirung auf dem Kopfe. Er hält ein offenes Buch und
in der Linken als kennzeichnendes Attribut fein Marterwerkzeug, die darm-
umwundene Winde. Den Hintergrund auf diefer und der vorgenannten Tafel
bildet eine F'lachbogenarkade; man fieht davon je eine Marmorfäule mit
broncenem F'ufs und Capitäl in den Formen der RenailTance. Die Bogen-
zwickel füllt ein rundes Medaillon mit Kopf aus.
ZweiterPfofpcci. Oeffnet man die beiden Mittelflügel, fo verwandelt fich der Profpect;
wir feiten vier Heiligenbilder. Ganz links lieht S. Maria Magdalena.
Ein weifses Unterkleid und ein dunkelrothes darüber bekleidet fie. Breite
Goldränder befetzen den Rock unten, die Taille ill wiederum gefchnürt und
die Arme Hecken in Puffenärmeln. Das Kleid iH nicht ausgefchnitten,
fondern geht bis zum Hälfe hinauf, dem eine breite Goldkette mit Gehänge
eng anliegt, während noch ein zweites weiteres Collier lofe um Hals und
Brüll hängt. Ihr Haar ill lang, fie trägt es in einem Perlennetze und zwar
1 Manche Aulorcn geben 1528 an; ilas ift falfcli.
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MF klkCIIK ZI' ('. !.. FKAI'KN.
77
nach der Tagesmode an den Seiten des Kopfes volutenartig’ aufgerollt.
Ein feiner, kaum fehbarer Schleier bedeckt die Stirn bis dicht über die
Augen. Herrlich und kunltreich geziert, ein Mufterftück kunllgewerblicher
Art (befonders für unfere Zeit mulfergiltig !), ift das elfenbeinerne, gold-
befchlagene und bemalte Salbbüchschen, welches fie hält. Im Gegenfatze
zu* der h. Urfula ift Ile eine kräftige Figur mit individuellem Gelichtsausdruck
undhaternfte, angenehme Züge. In der nach ften Tafel lieht Joh an nes. der
Evangelill. Er ift baarfufs; übereinem dunkelen, braunen Unterkleide trägt
er einen rothen Mantel, I.oekenhaar blond und ftark umgiebt ihm (len Kopf
Er hält einen Kelch, aus dem zwei Schlangen lieh winden, und auf den er
feine Rechte legnend legt. Bartlos und blafs ift das Gefleht, das Porträt-
hafte darin fällt auf Es ift ein ruhiges, deutfehes Gefleht, das einen durchaus
klericalen Stempel trägt. Im folgenden Bilde lieht man den h. Auguftinus;
als Bifchof trägt er ein langes, weifses Untergewand, darüber eine rothe
Dalmatica bis unter die Knie und dann einen fahlgelben, gemufterten Mantel
mit vielfachem Goldbefatze. Goldgeziert ift auch die Mitra auf feinem Kopfe
und derKrummftab, den er hält. Kenntlich ift der Heilige durch die Beigabe
eines pfeildurchbohrten 1 lerzens, welches er auf einem Buche mit fchön befchla-
genem Einbande in feiner Rechten hat. Er ift ein älterer, weifshaariger Mann,
deflen Gefleht dadurch, dafs er die Unterlippe hochzieht, einen etwas herben,
fanatifch-energifchen Ausdruck bekommt, als fetze er wohl durch, was er
wolle. Diefe;Reihe fchliefst mit dem Bilde der h. Katharina (im Heiligen-
fehein um ihren Kopf liefet man Santa Catherina). Eine mächtige Figur
in prachtvollem, rothen Kleide llützt fie fleh auf das zerbrochene, melferbefetzte
Rad und hält in der Linken ein Schwert. Breiter Goldkantenbefatz, Schnür-
leib, Puffenärmel kennzeichnen ihre Tracht als modern, ebenfo das Gold-
gefchmeide um Hals und Brüll und Leib. Als Prinzeffin aus Alexandria
bekrönt ihre Stirn ein Diadem, von dem Haupte herab fliefst das blonde,
lofe I.ockenhaar, und lang geht auch auf der blühenden Wange gar reizend
eine feine Haarlocke herab, die das hübfche Modell zufällig wird gehabt
haben. Das Gefleht ift zwar weich, allein es erhält durch das Kinn, welches
mehr eckig als rund ift, einen energifchen Ausdruck. Der Blick ift vielleicht
etwas fchielend.
Den Hintergrund zu diefen vier Bildern giebt wie bei den beiden
unbeweglichen Tafeln wiederum eine F'Iachbogenarkade ab, deren Säulen
fo geordnet find, dafs auf jeder Tafel lieh davon eine mit einer Bogenhältte
befindet ; bei den beiden mittleren Flügeln formirt fleh dann ein ganzer
Flachbogen, allerdings durch die Hplzrahmen durchfchnitten, bei den feit-
lichen aber bleibt der Bogen, nach aufsen weifend, halb liehen. Dunkele
Draperie fchliefst die Bogenöffnungen. Diefe gemalte Architektur bewegt
fleh bereits im entwickelten Renaiffanceftile echt füddeutl'ch derbenCharakters.
Die Fliefsen des Fufsbodens bei Johannes und Auguftinus, die Bordüren und
Mufterungen der Vorhänge, die goldglänzenden Säulenkapitäle und die
Medaillons mit Köpfen in den Bogenzwickeln bezeugen eine ftaunenswerthe,
unerfchöpliiche Phantafie des Künltlers in der Erfindung fchön gezeichneter
Details. Denn fie find gleicherweife, wie die Colliers, Berloques, Spangen,
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Letzter Profpeet.
78 DIF. STADT HALLE u. <b SAALKRK1S.
Ringe u. f. w. alle verfchieden und Mullerllücke der Goldfchmiedekunll find,
alle verfchieden geformt und als nachahmenswerlh je in ihrem Stoffe zu
bezeichnen. Vereinigte lieh doch in den grofsen Meillerti jener Epoche
gar oft mit Leichtigkeit das Verftändnifs für alle diefe Einzeltechniken der
Baukunfi und des Kunllgewerbes, und fo wurden ihre Bilder erwiefener-
maafsen zur unverfiegbaren Fundgrube für die gleichzeitigen Kunllhandwerker
und fo find fie es heute wieder geworden, wo aufs Neue die Denkweife
jener Zeit gefällt.
Oeffnet man wiederum die mittleren Flügel, fo verwandelt fich der
Profpeet zum letzten Male, und es erfcheinen drei Bilder, nämlich je
eines auf der Kehrfeite der geöffneten Flügel, und ein mittleres, von der
Gröfse diefer beiden Flügel, die es bedeckten. Links lieht der h. Moritz,
ein jugendlicher, nicht häfslicher Mohr ohne Bart. Er ill als Ritter angethan
mit kollbarer, glänzender, perlenbefetzter Rültung; feinen Kopf bedeckt ein
breiter Hut, ringsum befetzt mit weifsen, gold- und perlenbefetzten Federn.
In der Hand hält er die F'ahne, die von gelber Seidp ill und einen fchwarzen
Adler zeigt. Es fällt die Schwert fcheide befonders auf, weil fie ganz mit
erhaltener Goldarbeit verziert ill. Den Hintergrund bildet eine Landfchaft.
Dafs diefem Heiligen der Nimbus fohlt, ill wohl durch den grofsen Hut ver-
anlagt worden. An der anderen Seite des Mittelbildes ill ebenfalls ein Ritter
in voller, doch nicht so flrahlender Rüllung, nämlich der h. Alexander
dargellellt, ein bärtiger Mann mit kriegerifchetn Geficht. Auch er hat eine
Fahne, und zu feinen F'üfsen niedergetreten liegt der gekrönte Kaifer. der
noch das Scepter (ihm hin-?) hält. Diefe Darftellung ill wohl eine Hyperbel
der Legende, nach welcher Alexander nur in Gegenwart des Kaifers einen
heidnifchen Opferaltar umfiiefs. Den Hintergrund bildet auch hier eine
Landfchaft. Man gewahrt in der Ferne eine hochliegende Burg, deren
Partien bis ins Einzelne klar zu erkennen find , wohl möglich . dafs wir die
bildliche Wiedergabe eines derartigen, thatlachlich damals vorhandenen
Baues vor uns haben. Diefe beiden letztbefchriebenen Bilder find, weil fie
lange verdeckt gewefen find, belfer erhalten als alle übrigen.
So kommen wir zu dem mittleren, grofsen Hauptbilde, es ill zugleich
das werthvollfte. Den obern Theil des Bildes nimmt mitten die thronende
Himmelskönigin ein; ihre E'üfse ruhen in der Mond liehet, leicht hält fie auf
dem Schoofse das Itehende C h ri (1 k i n d ; es beugt fich nieder, um dem Cardinal
Albrecht, der links unten auf der Erde kniet, ein Büchlein zu reichen.
So die allgemeine Anordnung. Die reine Gottesmagd trägt ein dunkel
mattblaues Kleid und ein rothes Untergewand mit gelbem Futter. Auf
dem Haupte fitzt ihr die goldene Krone; fie neigt es voll Hoheit gegen den
Cardinal; langes, lofes, blondes Haar fällt über Schultern und Rücken herab.
Ihr Geficht ill von lieblichller Bildung, fehr ebenmäfsig, aber keineswegs
ausdruckslos oder von jener kalten, objectiven Schönheit antiker Kopie;
nein, namentlich ill es wieder der Mund, der voller Liebreiz die llreng edlen
Züge uns menfchlich näher bringt und ferner der geiftige Ausdruck des
Gefichts, den man verlieht. Diefer Ausdruck ill nicht mehr mädchenhaft,
fondern mütterlich, bcforglich. Das Kind auf ihrem Schoolse ill ganz unbekleidet,
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mr KIRCHE XV V. I,. FRAUEN'.
79
feines Körpers Formen find zart und fehr fein proportionirt. Aus dem
Geflehte leuchtet Freude und Klugheit hervor. Der Cardinal kniet auf
einem Kiffen, betend legt er die Hände zufammen und blickt ernft , fall zu
emll, zu der reinen Gottesmutter empor. Sein rother Cardinalsmantel bildet,
indem er rings um ihn die Erde deckt, viele Falten. Statt feines breiten
Hutes, der neben ihm auf dem Boden liegt, hat er eine rothe Mütze auf
dem Kopfe. Sein Geficht zeigt ganz den Typus eines Prälaten voll
unerfchütterlichen facerdotalen F.rn fies und felbllverftändlicher Würde.
Individuelle Eigenthümlichkeiten tragen dazu nicht wenig bei, fo eine lange,
gebogene und Heifchige Nafe, eine kurze Oberlippe und eine Harke
vortretende Unterlippe, welche letztere den geiltlicnen Herrn als anfpruchs-
vollen Mann erscheinen läfst. Energie und Kraft fpricht im Uebrigen
weniger aus dem Gefichte, als die Vorliebe für einen behäbigen Lebens-
genufs. Auf Askese oder Fanatismus deutet in dem Gefichte gar nichts
hin, wohl aber auf Geill. Während die untere linke Ecke von dem Cardinal
eingenommen wird, fchaut man unten rechts in eine weite I.andfchaft hinaus
über Wiefen, Berge, Hütten und Ruinen. Darüber entlieht durch ganz
fchablonenhaft behandelte Wolken, die in ihren stark verblafsten blau-grau-
weifsen Farben jetzt befonders mifsfallen, ein mandorlenartiger Kranz um
die Maria, und diefen füllt als Hintergrund für die Jungfrau fchimmerndes
Gold aus. Durch die Wolken blic ken rings viele F’ngelsköpfchen hervor
je zwei Erzengel nehmen die beiden oberen F.cken ein, fie find in ganzer
Figur aber in kleinerem Maafsllabe als die Hauptfiguren dargeltellt und
tragen wie immer Diaconentracht. Der eine von ihnen (Gabriel) legt die
Hände zufammen. der andere (Michael?) kreuzt die Arme, der dritte (Raphael)
hält die Hände gefalten und der letzte (Uriel) erhebt die offenen Arme zu
Gottes Preis. Dafs die ganze Anordnung des Bildes auf Effect berechnet
ifl, kann man leicht erkennen. Wirkungsvoll wird namentlich im Gegen-
fatze zu den mittelalterlichen Bildern die weife Befchränkung des Meillers
in dem Gebrauche des Goldgrundes. Ihn verwendet er lediglich für die aur-
gezeichnetlle Partie, um den durch die Wolken hindurch fichtbaren Himmels
glanz nel>en und hinter der Königin des Himmels in Gegenfatz zu allen
irililchen Dingen zu fetzen, deren Stofflichkeit durch die Farben gekenn-
zeichnet wird.
Es fei noch darauf hingewiefen, dafs auf diefem Bilde keine Figur
einen Nimbus hat.
Der Befchreibung Tollen nun noch folgende allgemeine Bemer-
kungen über das ganze Kunllwerk zugefugt werden:
Der Stil ifl grofsartig, jede F'igur ill bedeutend und der Eindruck, Der Stil,
den man empfängt, erinnert mehr an einen Künlller im Geilte des gewal-
tigen Michel Angelo als des milden Raphael ; indeffen ill die Gelichtsbildung
der Frauen trotz aller Klarheit, der Farben fchmelz trotz aller F'arbencon-
tralle und anderes mehr doch zugleich auch von unfäglicher Lieblichkeit.
Reminiscenzen an die vorigen Jahrhunderte find nirgend mehr. Die Ent-
wicklung zu einer natürlichen Kunlt hat llattgelunden, infofern inan als
Gegenlätz zu letzterer die mittelalterliche Kund anfieht, welche, was fie
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So
t)lK STAI11 IIAI.tR II. it. SAAl.KRRlS.
malte, nur aus Ideen, nicht aus der objectiven Anfchauung natürlicher Dinge
nahm. Daher ift auf unfern Bildern die Haltung und Bewegung der Figuren
ganz wie die Natur lie bietet, die Zeichnung ift oorrect, die Färbung dem
Wefen der Dinge entfprechend und nicht mehr durch Goldglanz derartig
beherrfcht, dafs der Totaleffect ein wunderbarer wird, welcher unfere Sinne
gefangen nimmt und unfere Gedanken aus einer natürlichen in eine über-
natürliche Sphäre leitet. Trotzdem wirken die Bilder um nichts weniger
prächtig durch die verftändige Compofition der F'arben; ja die F arbengebung
ift eine wahrhaft glänzende, beftechliche; fie erinnert da, wo die Töne nicht
allzu fehr verblafst find (wie es leider im Hauptbilde der F'all ift) an das
Colorit Makart'fcher Gemälde. Wirfinden nämlich wie in diefen die nämlichen
verfchiedenartig fchmutzig gelben Töne zur Hervorbringung fchimmernder
Pracht an Gewändern (Mäntel, Futter, Befatz), Möbeln (Truhe, Tifche).
Architekturtheilen (Fufsbodenplatten, Säulen fchäfte, Bafen und Capitäle)
u. f. w. mit Vorliebe verwendet und aufserdem diefelbe Tiefe und Kraft der
übrigen , kaum gebrochenen Farben, namentlich des verfchiedenen dunkeln
Rothes für die Zeuge. Niemals aber find die F’arben im Geringften unhar-
monifch oder grell, ein Umftand, der fchwer erreichbar fcheint, wenn man
an die vielen rituell gebotenen Farbenzufammenftellungen z. B. bei der
priefterlichen Kleidung, oder auch an das öfter in gröfseren Partieen vor-
kommende Weifs denkt. Der Meifter kannte fehr genau feine Kunft und
die Mittel derfelben, eine beftimmte Wirkung zu erzielen; wir haben bereits
auf die verftändige Art der fparfamen Verwendung des Goldes als Hinter-
grund hingewiefen und wir wollen nur noch hinzufügen, dafs der Maler
neben jenen fchimmernden gelben Tönen vielfach dunkeles Roth in gröfsern
Partieen und verfchiedenen Nüancen wählt, ohne Frage, weil er lieh deffen
Wirkung, eine feierliche Stimmung hervorzubringen, wohl bewufst ge wefen ift;
das lichte Rofenroth, welches heiter ftimmt, findet fich hingegen nur auf den
Wangen und Lippen der fchönen Frauen. In Hinficht auf die Zeichnung
ift zu fagen, dafs fie, als von der Natur direct genommen, gleichfam copirt,
jene mittelalterliche Mangelhaftigkeit nicht mehr haben kann: nicht die
Phantafie des gläubigen Gemüthes führte den Stift, fondern die aus der
objectiven Betrachtung erwachfene Kenntnifs der ftofflichen Formen, vielleicht
kann man fagen, das pofitive Wiffen leitete ihn. Dafs unter folchen Um-
Händen das Portrait, alfo die bildliche Reproduetion des Ausfehens einer Perfon.
beliebt ift, verlieht fich; wir fanden fie ja in den Köpfen; beachtenswerth
ift dazu auch, dafs nach mündlicher Ueberlieferung im hallefchen Volke die
Maria des Hauptbildes des Cardinais Liebfte darltelle (ob die fchöne Mainzer
Bäckerstochter Magdalena Rüdinger oder eine namentlich nicht be-
kannte andere, liefse fich durch einen Vergleich mit dem Afchaffenburger.
jetzt Münchener Bilde ermitteln, welches der Cardinal Albrecht von dem-
felben Meifter malen liefs, und welches ebenfalls Portraits enthält). Nichts
wäre wahrfcheinlicher, als diefe überlieferte Annahme. Bedenkt man, dafs
der Cardinal an fchönen Frauen nicht Mangel litt, dafs er fich deren fogar
aus Italien holen liefs und dafs er ein Mann von gar fehr höflich ritter-
lichem Betragen gegen die Damen feines Hofes bez. feines Herzens war, fo
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IMF. KIRCHE ZU Ü. L. FRAUEN.
8l
verlieht man eine Courtoifie, durch welche die gefeierten Schönheiten auch
unter die anbetungswürdigen Heiligen verfetzt werden. Und die göttliche
Schönheit auch zur fchönen Göttlichkeit zu machen, darin kam der Belteller
den Abfichten und der Neigung des Malers diefer Zeit nur entgegen.
Diefem war ein Modell durchaus genehm: was letzterem fehlte, konnte oder
mufste er bei der bildlichen Wiedergabe aus eigenem Geilte zuthun und es
vermeiden die etwaigen fehlerhaften Bildungen, unzuläffig auf folchem Ge-
mälde, in ihrer wahren Schärfe anzudeuten. Dafs auf folche Weife ein
Gefleht voll Hoheit und Adel im Ausdruck, andererfeits auch voller Lebens-
wahrheit entliehen mufste, begreift lieh, vorausgefetzt, . dafs der Maler ein
geborener Meilter feiner Kunlt war. In unferem Falle war er es ohne Frage;
er war einer der wenigen, die das Glück begabt hatte, durch Farben und
Formen zu den Mitmenfchen verltändlich, überzeugend und erhebend zu
fprechen. Der Vergleich zwifchen feinem Werke und den Bildern feiner
Vorgänger an den Altären zu S. Ulrich und S, Moritz thut das hinlänglich
dar. Durch ihn gewinnen wir auch fogleich den richtigen Maafsltab zur
Beurtheilung und Würdigung der künlllerifchen Leillung; wir wollen aber
nicht näher darauf eingehen in Hinlicht auf das, was bei Befprechung jener
Altäre gefagt werden Coli.1
Wer war diefer grofse Meilter? Der ältelte Schriftlteller. der über diele Der Meiner.
Frage etwas mittheilt, ilt Zeilerus in feinem itinerario Germaniae, wo es p. 144
heifst, dafs der Altar fechs Flügel habe, „daran fchöne Gemälde liehen, die
I.ucas Cranach, der berühmbte Mahler gemacht hat.“ Natürlich könnten sie
der Jahreszahl 1529 nach nur von dem altern herrühren. Seine Nachfolger
berichten, weil einer von dem andern abgefchrieben hat, iibereinltimmend,
die Bilder habe I.ucas Cranach gemalt. Zeiler fchrieb 1632, alfo etwa 100
Jahre nach der Entftehung des Altares, und hat wohl nur, was man ihm
Tagte, niedergefchrieben ohne eigene Unterfuchung. Werth ilt demnach
feiner Angabe nicht gerade beizulegen und mithin auch der von Olearius,
v. Dreyhaupt u. f. w. nicht. Es fällt auf, dafs fie alle 1528 als das Ent-
Itehungsjahr angeben, der klare Beweis ihrer Abfchreil>erei. Was von den
älteren gilt, ilt leider auch von den neueren Forfchern zu lagen, lie fchreiben
ab. Nachdem Jofeph Heller in feiner Schrift: „I.ucas Cranach's I.eben und
Werke“ S. 71 die Arbeit unter den Originalen diefes Meiltcrs aufgeführt
hat, jedenfalls auf die urtheilslofe Behauptung der Alten hin, findet Palfa-
vant im Kunltblatt 1846 Nr. 48 nach einer fcheinbar wenig gründlichen* Unter-
fuchung, dafs aufser Cranach auch Matthaeus Grunewald neblt einem feiner
Schüler daran Theil haben und zwar, dafs Grunewald der Hauptmeilter ilt.
1 Der Hauptaltar in der Kirche zu Bitterfcld hat auf feinen Flügeln und feiner Predella
Gemälde von ganz ähnlichen Eigenfchaften. Leider find die Flügel noch nicht hinlänglich
beweglich, um ein gutes Betrachten und ficheres Urthcilcn zu ermöglichen, doch fteht eine
baldige, würdige Reftauration des Schreines in Auslicht.
2 Deswegen nämlich, weil er fich gar nicht die Mühe giebt oder daran denkt, auf-
zufinden, wie die Tafeln ehemals zu einander gefeffen haben muffen; ohne Bedenken nimmt er
die Ordnung fo an, wie fie lieh jetzt bietet, wobei dann die Abfonderlichkeit der Bemalung
durch drei Leute weniger auffällt.
B. D. d, Bau* u. Kunstd. N. F. I, £
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82
DIE STADT HALLE u. d. SAALK.RE1S.
Erfichtliche Gründe führt er indellen nicht an. Rugier1 in feiner „Gefchichte
der Malerei" Bd. II S. 2 n> nimmt diefes neue Ergebnifs an; er befpricht
die Arbeitstheilung nur mit ein bischen andern Worten auch ohne Gründe.
Ein Kenner, delTen Namen wir nicht willen, hat bei einer Beurtheilung
des Heller’fchen Buches bereits 1826 in der Hallefchen Literaturzeitung
(Band IV. S. 3(10) meines Willens als der erde gefagt, dafs die fraglichen
Bilder von Cranach nicht wären, freilich bringt er für feine Behauptung
keine Gründe vor. Geftützt aber auf folche kommt Chr. Schuchardt im
II. Theile S. 72 feiner Schrift über Cranach zu dem nämlichen Refultate.
Er führt folgende durchaus plauflbele und von Jedermann controllirbare
Gründe auf: „Der Typus lammtlicher Kopie" linde lieh in keinem Cranach-
fchen Bilde, „die Zeichnung der Augen, der dicke, volle Mund bei allen, der
beftimmtere Earbenauttrag in den Eleifchpartien, mit fcharf begrenzten
Lichtern, die praktifchere, lichere, aber etwas handwerksmäfsigere Be-
handlung“ das alles fei bei Cranach anders; „die Zeichnung der Gewänder,
die Behandlung der llaare mit den abftehenden Locken bei den weiblichen
Köpfen, der Schnitt der Haare bei einigen Engelsköpfen der Glorie, Zeich-
nung und Farbe der Ornamente unterfcheiden fich von dergleichen in
Cranach’s Bildern.“ Nirgends fände man bei Cranach „Goldgrund und
runde, gemalte und eingedruckte Heiligenfcheine wie hier.“ So fchliefst er
denn, dafs nach allem, was er von Mathaeus Grunewald nach der Annahme
anderer kenne, die fragliche Malerei ganz delfen Werk fei, „das er (Grune-
wald) mit Gehülfen. aber nicht mit Cranach's Beihülfe ausgeführt“ habe,
obgleich es einen andern Eindruck mache als z. B. die zwei Bilder von ihm
in der Münchener Pinakothek, die, wie Schuchardt meint, dem Stile nach
älter erfcheinen. * Ich kann nicht umhin mit folcher Ausführlichkeit über die
Altarbilder zu fprechen, weil fie die bedeutendften Gemälde alter und neuer
Zeit find, die es in Halle’s Mauern überhaupt giebt, und weil über den
Meifter noch nichts gewifs ift. Die eigene Meinung refumirt fich in der
Schuchardt's, der ich noch einige Bemerkungen beifüge: An und für fich ift
es höchfl unglaubwürdig, dafs zwei fo tüchtige, allbekannte Meifter wie
Cranach und Grunewald, von denen jeder eine grofse Werkftatt mit vielen
Gehilfen und „Molerjungen“ hatte, an diefem Werke gemeinfchaftlich
gearbeitet haben füllten. Bellimmte, unterfcheidende Merkmale würden lieh
unter allen Umftänden angeben laden, was jene Verfechter der Arbeits-
theilung nicht thun oder können, weil eben folche Unterfchiede fehlen. Zwar
ift es richtig, dafs die Arbeit nicht gleichwerthig in allen Bildern ift. allein in
allen herrfcht doch derfelbe Geift der einheitlichen Compofition , der grofs-
artigen AuffalTung und der harmonifchen Färbung. Nur die Zeichnung bcz.
1 Nur die tonangebenden Schriftftcllcr werden genannt, denen zahlreiche andere auf gut
Glauben nachgcfchrieben hnben.
2 Wenn ich nicht erwähne, dafs man neuerdings auch wohl dem von dem Cardinale viel
bcfchaftigtcn Meifter Simon von A fchaf fenburg die Autorfchafi an den Bildern zufchreibtn
will, fo gefchieht es, weil fich für diefc Annahme fchwcrlich ein anderer Grund als eben die
Befchäftigung diefes Künftlers feiten* des Cardinais unfühmi lüfsl.
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DIE KIRCHE ZU U. L. FRAUEN.
83
die Ausführung des Bildes in technifcher I liniicht , nicht die Erfindung ill
an den Flügeln und der Predella weniger forgfältig behandelt, als am
Mittelbilde und vielleicht auch noch an den fehr gut erhaltenen BildnifTen
des h. Moritz und Alexander. Die Verkündigung, welche von Kugler und
anderen einem Schüler Grunewald’szugefchrieben wird, fleht den übrigen Flügel-
bildern durchaus nicht nach; Maria namentlich ill fchön gemalt. Die an
den Grunewald'fchen Malereien bekannten Characteriflica gehen aus unlerer
voraufgefchickten Befchreibung zur Evidenz, hervor (Grofsartigkeit. tiefe
Farbe, weiche Formen) nicht aber die Cranach'fcher Bilder (Anmuth,
Schüchternheit, phantaftifche F'ormen, volksthümliche Darftellung und wohl
auch Disharmonien unter den Farben). Die weniger gute Arbeit an den
Flügeln erklärt fich fodann dadurch, dafs Grunewald, nachdem er lieh an
der Erfindung der Gefammteompofition und an der Conturenzeichnung der
Einzelheiten1 ergötzt hatte, die Ausmalung feinen Gehilfen oder Schülern
überliels; nur das Hauptbild wird er eigenhändig und ganz ausgeführt
haben. Eine folche Arbeitstheilung findet fich allerdings gewöhnlich in
allen Ateliers der grofsen Meiller jener Zeit, und ihr würde ja auch heute
nichts im Wege liehen , wenn unfere Maler nur ebenfo zahlreiche Aufträge
hätten wie jene alten Meiller.
Die gröfselle Wahrfcheinlichkeit ill immerhin noch keine Gewifsheit;
ill der Autor Mathaeus Grunewald, fo hat er auch hier feine Art, fich weder
durch Namen noch Zeichen erkennen zu geben, nicht verleugnet; nur aus
der beigefügten Jahreszahl 1529 erfehen wir, dafs diefes Werk wohl eines
feiner letzten gewefen fein mufs, da er im folgenden Jahre Harb.
Das letzte Bild der Marktkirche, welches erwähnt werden mufs, ill Gemälde an der
das an der Wand über der örtlichen Empore. Von der Breite des Mittel- oftwand,
fchiffes und über der Empore bis zum Gewölbe fcheitel hinautgehend. um-
rahmt von der bereits befchriebenen, in den F'ormen der RenailTance aus-
gelührten Holzarchivolte fällt es gar fehr in die Augen. Allein einestheils
die höchft ungünllige, doppelte Beleuchtung, nämlich von Norden und Süden,
anderntheils die verblafsten E'arben und der Jahrhunderte hindurch angefetzte
Staub laffen kaum noch Details erkennen. So viel allerdings lieht man, dafs
nicht eine Handlung allein dargellellt ill, fondern verlchiedene Vorgänge
auf dem Bilde gefchickt vereinigt find, und dafs alles in einem grofsartigen
Stile angelegt ill. J-eider verdeckt die kleine Orgel der Empore nach ihrer
Erneuerung im 17. Jahrhundert die mittlere, urfprünglich lichtbare Partie
des Vordergrundes. Die Malerei felbft ill in Oel auf Leinwand ausgeführt,
welch letzterer eine Holzvertäfelung als Unterlage dient. Der Stoff zu
den Darftellungen fcheint der Apollelgefchichte entnommen zu fein. Vorn
inmitten der Wand gröfstentheils hinter der Orgel befindlich hat fich die Schaar
der Jünger um den Fleiland, der allein einen Nimbus hat, verlämmelt. Es
lind herrliche Charakterköpfe und die Gruppirung fowie die Einzelpofen der
Apoltel geben einen Meiller von nicht geringer Begabung zu erkennen.
1 Diefc kann ihrer Schönheit. Mannigfaltigkeit und zugleich Einheitlichkeit wegen nur ein
grufser Mcifter eifonncn haben, deffeii i’hautalic glcichfam ein unerfchüpflichcr Born war.
6*
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84 DIR STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
An diefer Stelle des Bildes ilt auch noch das Meifle von der Detailzeichnung
und der fonil ganz abgeblafsten Farbe zu fehen; es läfst lieh über beides
durchaus Befriedigendes Tagen. Links lieht man zwei Perfonen, von denen
eine lieh nach links wendend kniet; ein Pilgerftab und andere Gegenliände
liegen auf der Erde daneben ; vielleicht ili die Bekehrung Pauli oder die
Taufe des Kämmerers der Königin Candace in Mohrenland durch
Philippum (Apolielgefchichte 8, 27 — 39) dargeftellt, denn nach derfelben
Seite des Bildes geht auch ein Strahl nieder von Gott Vater (vielleicht
aber auf den Hintergrund bezüglich), welcher halb in Wolken gehüllt
ganz oben im Bilde die Rechte hoch haltend als Greis gemalt ilt;
auch kommt von der linken Seite her, jedoch mehr der Mitte zu hinter
diefer Gruppe ein fchimmel (?) befpannter Wagen gefahren, delTen InfalTen
ein Mohrenfürft (?) und noch ein Mann (?) zu fein Rheinen. Dem gegen-
über an der rechten Seite glaube ich die Heilung eines kranken Mannes
dargeftellt zu fehen. Dahinter lieht ein Haus, auf delTen Balcon (?) hinter einer
Dockenbrüllung viele Männer (die Apoftel?) nach einer Taube autblicken,
die im Glorienfcheine fchwebt. Was man von dem Haufe oderPalafte fieht,
ift delTen Seitenanlicht , während man von der links hin gewandten Haupt-
front nur die von vorgelegten Stufen umzogene Terrafle zuGelicht bekommt.
Sie bildet etwa den Mittelgrund des Bildes und ift von allerlei Leuten
belebt. Etwas hinter ihr mehr nach links lieht eine Ruine mit einem
grofsen Bogen. Sie erinnert an die Trümmer der antiken Backfleinbauten
zu Rom. Es lind hier auch Menfchen verfammelt und hinten von links her
kommen deren noch dazu. Im Hintergründe fällt zuerll ein See auf; viele
Menfchen gehen an feinen Ufern hin; dann fchliefsen die Berge einer
weiten, fchönen Landfchatt das Bild ab. Den Himmel beleben Vögel, die
in Reihen und einzeln dahin fliegen.
Diefer Befchreibung läfst fich kaum noch etwas über die Arbeit felbll
fowie über das Colorit der genannten Gründe wegen hinzufügen, es fei
denn, dafs wir noch auf die vorzügliche Linien- und Luftperfpective, die in
dem Ganzen herrfcht, aufmerkfam machen und auf die lall unzählige Menge
von Perfonen, die auf der Fläche hat Platz finden müfTen. Ehemals hat
das Bild gewifs einen nicht unbedeutenden Werth gehabt, jetzt aber ift es
zumal an diefer Stelle völlig unanfehnlich. Die Chroniken bezeichnen
übereinllimmend Heinrich Lieh tenfel fe r aus Leipzig als den Maler,
und 1593 als das Entftehungsjahr. Eine darauf bezügliche Infchrift läfst
fich nicht auffinden.
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Die St. Moritzkirchc.
Im Jahre 1856 ilt in einer „Gedenk fchrift an da» fiebenhundert jährige Einleitung.
Jubelfell der St. Moritzkirche zu Halle“ durch ProfefTor l)r. Hähne
und Diac. Ür. Wolf unter Beibringung der vorhandenen Zeugnifse in
gelehrter Weife verfucht worden, fowohl das Bellehen einer abgefonderten
Gemeinde, als auch das einer alten erllen Pfarrkirche zu St. Moritz in die
früheile Zeit hallefcher Gefchichte zu verlegen, und zwar etwa in die Mitte
des 10. Jahrhunderts. Ob dem fo ilt, und wo dann diefes Kirchengebäude,
welches farmet einer Schule 50 Schritt von der Moritzkirche entfernt gelegen
haben foll, wirklich geltanden hat, kann hier nicht weiter unterricht werden.
IndelTen, da die VerfafTer haupt fachlich auch die Frage über die Fntflehung
der einzelnen Partien des jetzigen Baues u in Händlich und höchll fcharffinnig
erörtert haben, aus Mangel an baulichen KenntnilTen aber nicht im Stande
gewefen lind, immer zu einem richtigen oder überhaupt zu einem Relültate
zu gelangen, fo ilt unfererfeits aufs Neue eine Bauanalyfe zum Zweck
einer detaillirten Baugefchichte erforderlich.
Zuvörderft foll aus der Betrachtung des Grundrifses(Fig. 4z) die Local- Gründer»,
kenntnifs gewonnen werden. Im Vergleich zu den GrundrilTen der anderen
hallefchen Kirchen macht der der Moritzkirche auf den erllen Blick einen
angenehmeren Eindruck als jene, weil feine ziemlich reguläre Form fall wie
nach einem Plane entllanden ausfieht. Die drei fchiffige Hallenkirche wird im
Wefentlichen durch acht vollltändige Joche gebildet, denen im Ollen gegen die
Stadt zu eine herrliche Chorpartie und im Welten bis dicht an einen Arm
der Saale heran eine Thurmanlage zugelügt ilt. Prüft man nun den Bau
im Einzelnen, fo gewahrt man befonders an den Pfeilern und Gewölben gleich,
dafs er in zwei Haupttheile zerlällt und dafs genau in der Mitte der acht
Joche die Scheidung liegt; man lieht im ältlichen Theile mit dem Chore eine
reiche, architektonifche Durchbildung, während der weltliche mit der Thurm-
vorlage einen viel fchlichteren Charakter trägt. Der Chor ill in den
Nebenfchiffen durch fünf Seiten eines Achtecks, im Mittelfchiff hingegen
durch ein neuntes Joch mit halbem Zehneck gebildet ; er erhebt lieh ein-
fchliefslieh des erllen vollltändigen Joches feitlich um drei, mitten um fechs
Stufen über den Fufsboden der Kirche. Die Pfeiler des örtlichen Theiles
find in den Profilen fehr entwickelte über Eck gedeihe Vierecke und laden
im Verein mit der Chorausbildung fogleich die noch lebensvolle, aber bereits
niedergehende Gothik erkennen. Die Wölbung entfpricht dem Pfeiler-
grundriffe höchllens noch in den Seitenfchiffen . wo auch an der Wand
zwischen den Fenltern eine Säule herabgeht, die mit dem alten Dienlle des
zugehörigen Pfeilers durch eine Rippe an Stelle eines Gurtbogens cor-
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86
DIE STADT HALLE 0. d. SAALKREIS.
refpondirt. Das Netzgewölbe im Mittellchiff entwickelt fich aber nicht mehr j
aus der Pfeilerform, fondern i 11 ein felbdändiges, unabhängiges Gebilde,
lediglich nach dem Belieben des Herdellers gern u Iler t. In der weltlichen
Hälfte der Kirche find die Pfeiler ganz fchlicht achteckig. Das Gewölbe ill
wiederum ein Netzgewölbe nur mit etwas veränderter Rippenmufterung.
Von einer Entwickelung aus den Pfeilern oder von einem fehbaren Ab-
hängigkeitsverhältnilTe diefer zu dem Gewölbe kann natürlich deswegen
nicht die Keile fein, weil zu folchen nichtsfagenden Pfeilern jede beliebig-
Rippenordnüng pafst, oder auch weil die Pfeilerform nicht mehr durch ein
Rippenfydem hervorgebracht wird, welches Bedeutung ha». Dazu find be-
fonders im füdlichen Seitenfchiffe noch dark im Grundriffe auffallende
Unregelmäfsigkciten des Gewölbes vorgekommen, von denen man kaum
glaubt, dafs fie nöthig und möglich waren. Die Thurmmauern fetzen eine
Errichtung von zwei Thürmen voraus, welche letztere in dem Palle,
dafs fie hätten ausgeführt werden Tollen, nur durch eine gekündelte Con-
druction eine quadratifche Perm erhalten haben würden, weil ihr Grund-
rifs in der Richtung von Oden nach Weden oblong id. Die Mauern ruhen
kirchenfeits auf Bögen mit Harken kreuzförmigen Pfeilern unter den Ecken,
fodafs der untere Thurmraum mit zur Kirche gezogen id. Die Stärke der
Thurmmauern id unten durchaus ungleichmäßig, aber rationell, im Weden
am gröfsedon, im Süden bei dem Südthurme, und im Norden bei dem Nord-
thurme geringer, dann im Norden bei dem Südthurme und im Süden bei
dem Nordthurme wiederum geringer, am fchwächden endlich an der Oft-
feite. Die Ueberdeckung gefchieht ebenfalls in Höhe der Schiffsgewölbe
durch Netzgewölbe in höchd gefuchten Müdem. Das Mittelfchiff fchiefst
rifalitartig ein Wenig zwilchen den beiden Thürmen vor. Zu den oberen
ThurmgefchofTen führt eine Wendeltreppe in der Südwedecke des Süd-
thurmes; fie liegt bis auf ein kleines Stück, welches in die Ecke des
Kircheninnern vortritt, im Mauerwerk. Da die Saale fad die Fundamente
der Wedfeite befpült. fo geht hierher keine Thür, jedoch bemerkt man gen
Süden und gen Norden zwei einander gegenüberliegende Nifchen; es waren
zuvor Thüren, die vermauerten Gewände find noch zu fehen. Aufserdem
führen in die Kirche zwei Portale an der Nordfeite, dann eine wohl nicht
urfprüngliche, kleine Thür unter dem Odfender der Apfis des nördlichen
Seitenfchiffes — im Grundrifs, Fig.42 nicht zu fehen — und zwei grofse
Portale an der Südfeite; diefe kann man wohl beffer bezeichnen als
eine zu zwei Bögen gedaltete Wandauflöfung zu dem Zwecke, die hier an-
gebaute Vorhalle gegen die Kirche möglich!! zu öffnen. Diefe Vorhalle
mit drei einfachen Kreuzgewölben überdeckt, hat nach Oden zu ein Portal
und deht durch eine Thür gen Süden mit der alten Elifabethkapelle, der
jetzigen Sacridei, und letztere wieder mit der Padorenwohnung in Ver-
bindung. Eine Thür in der Wedwand der Vorhalle führt in das Sitzungs-
zimmer des Kirchen vordandes. Schließlich muß noch die Wendeltreppe
erwähnt werden, welche in der Nordodecke der Vorhalle an die Kirche und
jedenfalls gleich mit ihr gebaut id. Heute hat fie nur einen Zugang von
außen, ehemals communicirte fie auch mit dem Kircheninnern, wie eine
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DIK ST. MOKITZKIKCHK.
«7
vermauerte Thür in das ludliche Seitenfchiff beweift. Die Treppe fuhrt auf
den Kirchenboden.
Wir kommen nun zu der Unterfuchung über die Ent lieh ung des
Bauwerkes zurück.
Wie fich das Vorhanden fein einer erften, an einem andern Platze
gelegenen Moritzkirche nicht mehr mit Sicherheit fellftellen läfst, ebenfo ill
es auch nicht mehr möglich, das Jahr bellimmt anzugeben, in dem dann ein
Neubau auf der Stelle der jetzigen Kirche llattfand. Dafs es 1156 gefchah,
wie die Chronillen fchreiben, hat fehr viel Wahrfcheinlichkeit, allein es hat
lieh nur ein einziges Stück1 der Kirche, das etwa auf diefe romanifche Zeit
fchliefsen läfst, erhalten, der Altartifch. 1184 mufs lie aber bellanden
haben, weil es gewifs ill, dafs in diefem Jahre der Erzbifchof Wichmann
von Magdeburg bei der Pfarrkirche zu St. Moritz ein Klo Iler für re-
gulirte A ugullinermönche errichtet und demfelben die Kirche in-
corporiret hat.2
In der That tragen die ältellen erhaltenen Bauformen in unmittelbarer
Nähe der Kirche, fo wenige es auch lind, unzweifelhaft den Charakter diefer
fpätromanifchen Zeit. Erhalten hat fich nämlich an der Südwellecke der Kirche
im Pfarrgarten dicht an der Saale ein Mauerllück, defTen Technik fchon
auf die romanifche Zeit hinweifen würde, in welchem fich aber auch noch mehrere
Kunllformen in ihrer urfprünglichen Lage befinden. Zunächll ill es ein Säulen-
llück mit Capitäl in einer Ecke. (Fig. 43.) Ob von demfelben ein Gewölbe oder
eine Balkendecke getragen wurde, ifl nicht mehr feltzullellen; man fieht
jedoch trotz der zerllörten Einzelheiten des Capitäls, dafs feine Form die
unmittelbare Vorllute bildet für die fünfzig Jahre fpäteren, frühgothifchen
Capitäle; noch ill der Abakus breit und Hark über den Kelch vortretend,
obgleich fchon von einer Profilirung, die kaum noch an die umgekehrte
attifche Balis erinnert, vielmehr bei etwas llärker gedrückter Form als
gothifch gelten könnte, die lleinerne Vegetation des Kelches hingegen
bedarf gewiflermafsen nur noch der Zeit, um in unauthaltfamem Wachs-
thum mit ihren Trägern in gothifcher Art über den Abakus hervorzutreten.
Ein zweites romanifches Stück unweit von diefem Capitäle ill eine Wand-
* Die noch zu erwähnenden romanifchen Gefimsftücke zur Abdeckung eines Theiles der
Nordwand der jetzigen Kirche gehörten vielleicht auch zu diefer romanifchen Kirche, doch ift
das zu ungewifs. Mit mehr Gewifsheit läfst lieh feiner Form nach ein Steinfarg im Mufcum des
thüring.-fächiifchen Alterthumsvereins in diefe Zeit fetzen, da er in der Kirche an der Stelle
ausgegraben worden ift, von welcher ab etwa der Chor der romanifchen Kirche öftlich gewefen
fein müfstc.
2) Die chronica monlis serrtu (Petersberg) berichten, und nach ihnen melden alle fpäteren
Chroniften Folgendes über die Veranlaffung zum Klofterbau : Es war zu den Zeiten des Probftes
Heidenricus 1163—1182, ats im Kiofter zum Neuen Werk vor Halle der Mönch Kudolfus
das Schulmcifteramt innehatte. Nun vergafsen lieh einmal feine erwachfenen Schüler fo weit,
dafs lie ihn prügelten. Sic wurden daher vom Kiofter beftraft , was jedoch von den reichen
Leuten, die Brüder unter den Beftraften batten, übel genommen wurde. Um lieh zu rächen,
gingen lie den Erzbifchof Wichmann an, ein neues Kiofter in der Stadt zu errichten, zu dem
lie die Mittel hergeben wollten. Ihr Wunfch gcfchali, und das Moritzklofter wurde 1184 gebaut.
Untcrfuchung
über die Ent-
ftchungszeiten.
Klufterrefte.
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IMF. STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
lifene. (Fig. 1 1.) Sie trilt fo kräftig vor, dafs daraus fchon auf die fpät-
romanifche Zeit zu Ichliefsen ilf; ihre l'rofilirung ill üppig; engagirte
Vi«. 43-
Eckfäule im We ft (heile des Moiitzkluflers.
Säulen bez. Rundftäbe mit mehreren Plättchen verbrechen ihre beiden
licken. Diel'es Gemäuer gehörte zu dem 1 184 angelegten Kloller, das
F'R- 44-
wie überhaupt die meiden Klüller an der Südfeite der Kirche an-
gebaut war, und es fragt lieh, was wir noch von feiner Gefchichte
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DIR ST. MORITZKIKCHK. 8q
und Bauart wiffen. Vorrathskammern und Kellereien, die gewöhn-
lich den weltlichen Hügel der Klöfler einzunehmen pflegten, fcheinen
dafelbft im Wellflügel des Moritzkloliers nicht gelegen zu haben; vielleicht
der Nähe des Wallers wegen finden lieh hier keine Keller angelegt, und
Vorrathskammern hätte man fchwerlich derartig ausgeziert, wie der Raum
gewefen fein mufs, dem die befchriebenen Bauformen angehört haben. Man
darf nach letzteren auf ein gröfseres Zimmer, etwa auf einen Verfammlungs-
faal fchliefsen.
Es hat lieh von dem ganzen Kloflergebäude fonft kaum noch
etwas erhalten, es fei denn, dafs Theile feiner Subliructionen für die
Pallorenhäufer benutzt worden lind, welche aus dem Baumateriale der
Klolierruine beftehen. Denn zu einer folchen war das ehemals fo prächtige
Klofter geworden, als der Cardinal Albrecht die Mönche fortgenommen,
die Kloftergüter für das Neue Stift eingezogen, die Bettelmönche des auf-
gehobenen Klofters St. Crucis hineingefetzt hatte, diefe es aber wegen der
flark evangelifch gefinnten Hallleute der Moritzparochie wieder verliefsen,
und als es dann feit 15*2 im Belitze des Rathes der Stadt, der überwiegend
evangelifch war, ohne InfalTen blieb. Ermitteln läfst fich jedoch über die
vormalige k 1 ölterliche Ei nrich t ung noch, dafs im Glien, an Stelle der
Pfarrhäufer, neben der Kapelle der h. Elifabeth die Wohnung des Problies lag.1
Im Süden, möglichli entfernt von der Kirche werden (ich dann wohl die
Vorrathsräume und die Küche befunden haben und als Efsfaal, Wärme-
und Schlafzimmer die foeben befprochenen belferen und gröfseren Räume
der Welifeite am Walfer entlang eingerichtet gewefen fein. Ich fchliefse
Letzteres aufserdem daraus, dafs mit dem Klolier feit 1220 das Hospital
S. Johannis verbunden war, welches ebenfalls unmittelbar am Walfer,
der Gerberfaale, alter auf der Nordfeite der Kirche an dem zugehörigen
Friedhöfe lag, jedoch von den Mönchswohnräumen leicht und schnell er-
reichbar fein mufste. Nur wenn diefe Wohnräume im Wellen des Klolier-
hofes lagen, war das möglich, indem man fei es zwifchen der weltlichen
Kirchenfront und der Saale oder durch die Wellpartie der Kirche felbli den
Weg nahm. Dafs die letzte Art der Verbindung im 15. Jahrhundert wirk-
lich liattgehabt hat, dürfte der Grundrifs ( Fig. 42) erweifen. Wir haben bei deffen
Befprechung auf die beiden nach Süden und Norden einander gegenüber-
liegenden Nifchen in den Thürmen mit der Bemerkung aufmerkfam gemacht,
dafs fie eigentlich durch Vermauerung von Thüren entllanden feien. Ihrer
Tage wegen können folche aber in mehrfacher Rücklicht keinen andern
Zweck gehabt haben, als das Klolier mit dem Hospitale auf dem kürzellen
Wege zu verbinden. Verfchlofs man nun klölierlicherfeits die Spitzbogen-
Öffnung in dem der Thür nahe gelegenen Strebepfeiler, fo blieb der offene
1 v. Drcyhaupt T. p. 745 Tagt: «»dicht am Clofter bey des Probftcs Wohnung die Capelle
zu St. Elifabeth*4 während v. Hagen I. S. 214 angiebt, dafs die Prediger- und Küfterwohnung
„an der Stelle des alten St. Moriubrauhaufcs" fländen. ohne jedoch anzufuhren. woher er diefe
Notiz nimmt. Denkbar wäre allerdings, dafs das Brauhaus an der Süd-, die Prohftwohnung an
der Weftwand der Elifabethkapellc gefunden hätte.
Klofter-
cinricblung.
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9°
DIF. STADT HALLE u. d. SAALKRKIS.
Kreuzgang an der Kirche hin ganz getrennt von der abgefchlolTenen
Wohnung der Mönche, geleitete aber, eine Fortfetzung der Vorhalle zwilchen
Kirche und Elifabeth- Kapelle bildend, als ein wahrhaft großartiges, (lets
fonniges Veltibül von Ollen her in grader Linie zu den Mönchswohnräumen.
Das Hufpit.d. Ueber das Johannishospital, mit dem die Johanniskapelle verbunden war,
ifl noch zu Tagen, dafs, als 1529 „die Englifche Schweifsfucht oder Schweifs-
Krankheit in diefen Landen und auch zu Halle regieret“ hat und man das
St. Cyriacushospital abbrach, um es mit dem St. Johannis zu vereinigen,
dafs in diefem Jahre ein neues Hospital auf „St. Morit/kirchhof zwifchen
der Pfarr- und St. Johanniskirchen an der Mauer (Stadtmauer oder
Thalsmauer?) zu bauen angefangen“ wurde und leitdem diefe beiden
1 lospitäler hier unter dem Namen des I lospitales St. Cyriaci vereinigt
blieben, bis 1570 — 1576 ihre Verlegung nach Glaucha erfolgte. Diese
Notizen giebt Ölearius; es wird aus ihnen die Situation erlichtlich : 1 dem-
nach lag die Johanniskapelle an der Saale am Ende der Reihe jener alten
lläufer, welche lieh noch bis jetzt äufserlich ziemlich in der Bauweife er-
halten haben, wie fie 1529 zu 1 lospitalszwecken errichtet worden find*. Das
Johannishospital mochte seit 1520, als an die Stelle der reichen Augulliner
die armen Dominicaner traten, wenn nicht überhaupt eingegangen, fo doch
fehr vernachläffigt fein.
Wenden wir uns nunmehr der Betrachtung des eigentlichen Kirchenge-
(lothifcherChur- bäudes wieder zu. Weder aus den Chroniken noch aus Baureifen ill zu er-
anbau. fehen, welche Geftalt die alte romanifche Kirche von 1156 gehabt hat. Siebe-
iland bis zum Jahre 1388 unberührt. Dann baute man die ganze Otlhälfte
der heutigen Kirche an. Ungefähr bis zu der Scheidung der beiden
Kirchenhältten erltreckte fich alfo von Ollen her die erste Kirche in ihrer
Längenrichtung, während lie in der Breite wahrfcheinlicherweife die Ab-
melTungen der heutigen Kirche nicht hatte, die für eine romanifche Pfarr-
kirche doch etwas zu grofsartig gewefen fein würden. 3 Zwei Minuskel-
infehriften an den beiden füdlichen Chorllrebepfeilern des Mittellchitfes
berichten über den Verlängerungsbau; die erlle lautet;
Mille . trete nt . anno . post . octuagosies . octo .
Dum . canit . ecclesia . raisericor . carminc . pascha .
Tune . lapis . est . primis . ad . chorum . jactus . in . ytnis .
Hoc . per . prepositum . pauluin . fuit . initiatuin .
Nunc . ope . multorum . struitur . pietate . bonorum .
Sar.cte . nunc . patet . hie . sua . munera . qui . dedit . illic .
1 Es ändert auch nichts, ob zuvor das „an der Mauer" lieh auf bauen oder auf St. Johanms-
kirchen bezieht. *
2 Vergl. v. Dreyhaupl I, p. 951.
3 Int Anfchlufs hieran vermuthe ich oltne gerade einen Beweis dafür erbringen zu können,
dafs die alle Kirche etwa die Breite des jetzigen Mitlelfchifles gehabt habe und ihr yucrfchilf
auf die Gefaimutbreite der jetzigen Kirche zu beiden Seiten heraustrat, fodafs der .Anbau sei)
1588 die Fortfetzung der nördlich und füdlich abfchliefsenden yuerfchiffsmauern, nicht der des
Langhaufes bildete.
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niE ST. MOR1TZKIKCHR.
9>
Cujus . rectores . structurae . sunt . amatorrs .
I)e . mortal . pelrus . eonradus . in . Kinbcke . natus .
Conciliuni . vvl . o|M’m . <|tii . ilant . ad . opusqut: . favoretn .
Dictis . vel . fa« tis . faduni . ad . hoc . siraul . actis .
I.ongius . O . deus . hos . terris . da . vivcre . sanos .
liys . finemque . bonum . valct . id . su]»:r . omnia . donum .
l’ost . hcc . in . celis . et . cis . dare . preinia . velis .
Weil diefe Infchrift ihrer kleinen Buch Haben wegen fchwer lesbar ge-
gewefen fei. habe man die zweite in gröfseren gehalten; auch hat man fie
vergoldet gehabt. Dem Schriftcharakter nach fcheint fie nicht gleich-
zeitig angebracht, fondern wenigftens einige Jahrzehnte fpäter ausgehauen
worden zu fein als jene erfte und längere. Sie heifst:
fll . tria . ccc . scripto . post . octuagin . dabis • ooto •
Stante . die • lune . misericor . dum . canis • alte .
Tune • fuit . iste • Chorus • primo . saxo . renovatus-
Ohne Zweifel betagt tune fuit iste chorus primo saxo renovatus und tune
tapis es/ prtmts ad e hör um jaetus in ymis ganz dasfelbe, dafs 1,388 der erde
Stein zur Verlängerung der Kirche, alfo zum Bau der Chorpartie gelegt
worden ift.
So beftand denn feitdem die Kirche aus einem romanifchen Weft-
theile und einem lichten, gothifchen Chor im Oden. Diefe A rt , die
mäfsig grofsen, emd dunkeln, alten Kirchen durch den prächtigen
Chor einer hellen Hallenkirche zu erweitern — hier bot die Geidlichkeit
befonders durch ihre prachtvollen Gewänder dem Volke einen pomphaften
Anblick — ill eine nicht feltene im 14. Jahrhundert, und ebenfo diefer
Zeit gemäfs find die baulichen Formen an diefer Odhälfte der Moritz-
kirche, nur nimmt es einigermafsen Wunder, dafs die Infchriften nicht
etwa innen oder aufsen da dehen, wo der Anbau muthmafslich an-
gefangen wurde, alfo bei der Scheidung beider Hälften des Gebäudes. Hs
fprechen nun mehrere Gründe dafür, dafs der Choranbau nicht mit dem
Abbruch des Chores der alten Kirche anfing, um von hieraus odwärts
iortzufchreiten: man begann vielmehr im Oden den gothifchen Chor ganz
felbdändig aufzubauen, fchritt nach Weden fort und fchlofs wahrfcheinlich
die Nordfeite, die wegen des Kirchhofes frei lag. zuerd dem alten Baue an.
Aufserdem, dafs die auf den Bauanfang bezüglichen Infchriften im Oden
angebracht find, findet lieh auch, dafs die Südwand des gothifchen Theiles
nicht unwefentlich bis zu ihrer Vereinigung mit dem romanifchen Theile
gegen die inneren Pfeilerreihen divergirt, wohingegen die Nordwand, ganz
parallel aufgeführt, die gerade Verlängerung der entfprechenden alten Mauer
gewefen fein wird. Bedenken wir, dafs im Süden die Klodergebäude — ob
auch fchon vor der 1472 geweihten Kapelle der h. Klifabeth dafelbd ein
älterer Bau beftand, ift fraglich — lagen, die Kirche wohl auch theilweife
umfchlofsen, im Norden aber wie heute noch der Friedhof war, fo erklärt
lieh diefer Umltand; denn jener Anbauten wegen war ein genaues Mellen
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<)2
DIE STADT HA1.LK u. <1. SAAlJtRKlS.
dort fchwiorig, während man hier direct zu allen Punkten gelangen konnte.
Weiter unten aus den Details werden wir ferner erfehen, dafs überhaupt
(liefe Südwand, wenn auch mit jener iin Norden ungefähr gleichzeitig auf-
geführt, doch nicht wie diefe ohne Unterbrechung vollendet, jedenfalls
läfsigerhergeftellt worden und fpäter nicht gleicherweife unberührt geblieben
ill. Fis lag auch in der Natur der Sache, ganz abgefehen von der mittel-
alterlichen Kirchenbauregel, mit dem Chore zu beginnen, dafs rnan im Ollen
den Bau anting, um das alte Gotteshaus fo lange als möglich ohne Störung
durch den Neubau zum Gottesdienlle benutzen zu können, und dann erfl den
romanifchen Chor niederrifs, als der neue Bau foweit gegen Wellen vor-
gerückt war, dafs der zum Anfchlufs nöthige Abbruch des romanifchen
Chores nicht wohl länger lieh auffchieben liefs. Noch ein Umftand, wenn-
gleich von fehwacher Beweiskraft für die Zeitlolge der Bauarbeit, kommt
hinzu. Oben auf der nördlichen Mauer des Anbaues von 1 3S8 liegen hinter
dem Ilauptlims zur Abdeckung nach innen die Steine eines romanifch ver-
zierten Gefimfes;* (F'ig. 45) man hatte diefe Nordwand eben fchon fertig gellellt.
I'C- 15-
Aniicht und Schnitt des romanifchen Simfes aul der Xordwand
der Oftpartie.
als man die Chorpartie der alten Kirche abbrach und die alten Simslleine
wurden nun fogleich zur Abdeckung diefer fertigen Mauer hinaufgefchafft
denn nur auf der zunächll gelegenen Nordleite linden wir lie, nicht mehr
am Chor und natürlich nicht an der Südwand, die vermuthlich noch gar
nicht fertig war. -
Wohl möglich, dafs man lieh zu Finde des 14. Jahrhunderts mit dem
Gedanken trug, dereinll einmal, wenn man Geld haben werde, auch den
Wi-ruhcil. romanifchen Welltheil der Kirche abzubrechen und den Bau fo zu vollenden.
wieer im Chore warangefangen worden: aber darüber verging noch geraume
Zeit, wenigllens hören wir von keiner Bauveränderung bis zum Jahre 1454.
Den erlien Bericht giebt Schubart in feinem Memorial«* oder Denkmahle
von der Kirchen zu St. Moritz in Halle (1670) alfo:
1 Der ßaumeifter Stapel fand 1841 noch die in der Zeichnung angegebenen Farben*
(puren, die ich allerdings nicht habe fehen können in dem Halbdunkel des Dachbodens und bei
der U nsugänglichkeit der Steine.
- Warum nach Dähnc’s Schrift diefe Steine von einer nachbarlichen, verfallenen Kapelle
herrühren füllen, ift nicht einzufehen; ihre Zahl ifl nicht größer, als die für die damals als*
gebrochenen T heile der romanifchen Moritzkirche hinreiehen würde.
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D1K ST. MOKITZKIKCHE.
93
Anno 1454 hat man angefangen das Schiefer-Dach auf die ganze Kirche
zu fetzen; welches aber, wie ein altes ms. Chronicon berichtet, erft An.
1409 in rechten Stand gebracht worden.“
Dann erzählt Olearius1 vom Jahre 1466:
„wurd auch das Tach uff St. Moritz-Kirchen und ein gut Theil der
Mauer an derfelben Kirch auffgebauet.“
In beiden Citaten wird über das eigentliche Mauerwerk nur wenig und
Beftimmtes überhaupt nicht gefagt, fodafs wir die Steine felblt befragen
muffen, um Auffchlufs über die Erbauungszeit des jetzigen Wefttheiles der
Kirche zu erhalten; denn dafs derfelbe nicht mehr aus romanifcher Zeit
llammt. bedarf wohl keines Nachweifes. Ja, bei eingehender Unterfuchung
wird lieh zeigen, dafs von der romanifchen, muthmafslich 1156 gebauten
Kirche nichts mehr übrig geblieben fein kann als etwa einige nicht ficher
nachweisbare Fundamente. Wenn die beiden citirten Stellen nun auch
nicht lägen, wo an den Umfaffungsmauern gebaut wurde, fo geht doch aus
ihnen ohne Zweifel fo viel hervor, dafs im 6. und 7. Jahrzehnt des 15. Jahr-
hunderts an der Kirche in erwähnungswerther, alfo wohl umfangreicher
Weife gebaut worden ilt. Der Chor bis zur Kirchenmitte war jedenfalls fchon
im 14. Jahrhundertim Wefentlichen fertig;er ill zu vollkommen in einem Guffe
von noch blühender Gothik gemacht, ein Zeitunterfchied von liebenzig J ahren
würde lieh zu fehr markiren in der formale!» Durchbildung, als dafs wir glauben
könnten, an ihm fei jetzt nach 1450 noch gearbeitet worden.* Es mufs alfo
der weltliche, romanifche Theil gemeint fein. Wenn es nun auch nahe liegt
zu glauben , dafs man die alten romanifchen Mauern einfach erhöht habe,
wie Dähne die Worte: „es wurd ein gut Theil der Mauer auffgebauet“ ver-
lieht, fo ilt doch diefe Anlicht nicht haltbar. Der allgemeine Eindruck, den
der ganze weltliche Theil heute macht, entfpricht vollkommen und aus-
fchliefslich der Spätzeit des 15. Jahrhunderts. Die Pfeiler gleichen denen
der Ulrichskirche, die Eenlter lind nüchtern in Maafswerk und Protilirung,
jedoch noch nicht von fo zweifelhafter Gellalt, wie die des Domes oder der
Marktkirche; ebenfo zeigt das Aeufsere überall die verfallende Gothik ohne
romanifche Reffe oder Renaiffancezuthaten. Auch das Gewölbe, welches
bei einer Renovation diefer Kirchenhälfte ein Jahrhundert fpäter gemacht
fein loll, thut diel'em Eindrücke nicht Abbruch. Wenn nun Dähne auf den
t Er feheint feine Notiz auch aus früheren Aufzeichnungen amlerer genommen zu haben
L B. ans der Münchener Chronik Halle’s.
2 Das Mauer werk der ganzen Chorpartie befiehl im Wefentlichen noch heute fo, wie es
13SS erbaut worden ift; das ift aus der Einheitlichkeit der Formen erweislich und Dähne irrt,
trenn er meint, dafs nur „ein noch wohl erhaltener Theil des alten, im Jahre 1388 erbauten,
hohen Chores mit dem Altarplatze in das neue Werk aufgenommen" fei, nämlich in einen ver-
meintlichen Reparaturbau etwa von 1504 — 15M. Ueberhaupt nimmt Dähne ganz willkürlich
eine „durchgreifende Reparatur des örtlichen Theiles“ an, von der doch durchaus nicht in
4cm von ihm citirten Documente, welches 184! im Altar gefunden worden ift, geredet wird.
E- heifst dafelbft nur, dafs 1511 diefes Werk (der Chor?) vollendet und um diefclbe Zeit ein
Theil der Wölbung des Chores hergeftclll worden fei. Wo die fpätcre Zeit reparirt hat, wird
weiter unten bemerkt werden.
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94 DIE STADT HALLE tt. d. SAALKREIS.
Mauerabfatz an der Südfeite aufmerkfam macht, bis zu welchem von Boden
auf die Wand noch romanifch fei, fo mul's eingewendet werden, dafs diefer
Abfatz aus Gründen des hier anliegenden Kreuzganges bez. als Mauer-
verllärkung unter dem Kaftfims gemacht worden ilt. Freilich gaff es un-
gefähr hier bereits feit Anlegung desKlolters einen Kreuzgang, allein wäre
das untere Stück der heutigen Kirchenmauer deflen Nordmauer, fo würden
die geringen Reife der Wölbungsanfänge (abgemeifselte Kämpferconfolen .
die lieh in der Kirchenmauer linden, doch nothwendigerweife romanifchen
Stiles fein, während, foviel fich überhaupt erfehen läfst, lie fpätgothifch find.
Ferner haben nicht nur die tür alt gehaltenen Fenfternifchen in dem frag-
lichen Mauerftück keine romanifche Form — fie find in Bruchlfeinen flach-
bogig überwölbt — fondem auch das Mauerwerk l'elbit zeigt nicht einmal
romanifche Technik. Wie befchaffen letztere ili im Vergleich zu der fpät-
gothifchen, kann an Ort und Stelle verglichen werden, wo fich der romanifche
Reit klöfterlicher Mauer daneben befindet. Auch die Strebepfeiler liehen
in gleich gutem Verbände mit diefer untern wie mit der etwas rück-
fpringenden obern WandHäche. find alfo, da man eine nachträgliche Ein-
fügung der Binderlteine in eine alte Mauer beltimmt erkennen würde, gleich-
zeitig mit der ganzen Mauer aufgeführt; ferner zieht fich dicht über dem
Erdboden ein rein fpätgothifches Sockelgefims an der ganzen Seite entlang
und um die Strebepfeiler, ein Umftand, der beweift, dafs hier, wenn über-
haupt etwas, höchltens die Fundamente noch aus romanifcher Zeit (lammen
können. Wäre das aber der Fall, wäre einfach eine Aufmauerung aut die
romanifchen Subltructionen gemacht, fo müfste der Bau als romanifche
Pfarrkirche verhältnifsmäfsig grofs dimenfionirt gewefen fein. Im Anfchlufs
hieran ill es vielleicht gerechtfertigt , anzunehmen , dafs der romanifche
Kreuzgang an der Stelle des jetzigen Seitenfchiffes lag und nachgehends
als gothilcher gen Norden um das Maafs der Kirchenverbreiterung parallel
verfchoben wurde. In Ermangelung anderer Nachrichten ill nach alle
dem wahrfcheinlich, dafs der Abbruch der erllen Kirche und die F'ort-
fetzung der Mauern nach Wellen feit der Mitte des 15. Jahrhunderts gefchah.
wenngleich das Anfangs- und Endjahr weder beltimmt angegeben wird, noch
fich vielleicht überhaupt beltimmt angeben läfst. Denn fchon der Ausdruck:
„es wurd ein gut Theil der Mauer auffgebauet" giebt die Art an, wie man
wohl je nach den gerade vorhandenen Mitteln den Fortgang förderte, näm-
lich theilweife; und das bellätigt auch die bisher von allen E'orfchem
unbeachtet gebliebene Jahreszahl 1481, (Fig. 46) welche fich am Schlufsltein der
weltlichen Thür in der Nordwand befindet. Bis zu diefem Portale alfo war man
1481 gekommen und zwar von Ollen her. Da nämlich weltlich von diefem
Eingänge nur noch ein Joch liegt und dann der Thurm folgt, der erfl um
mehr denn zehn Jahre fpäter begonnen wurde, fo mufs das „gut Theil der
Mauer“, welches 1466 erbaut wurde, öltlich davon gelegen haben. Mit dem
fchrittweifen E'ortgange des Kirchenbaues von Olten nach Welten llimmt
denn auch die in diefer Richtung immer fchlechter werdende Formenbildung1
* Vergl. auch Stapels Auffälzc im Hallifchen patriot. Wochenblatt, Jahrg. 1838.
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WE ST. MORITZKIRCHE.
95
ganz ülserein. Zugleich ift aller auch erfichtlich, dafs dasjenige, was über
die Errichtung des Daches in den Jahren 1454 — 1469 gefagt worden ift. lieh
nur auf das Dach über dem öftlichen Theile beziehen kann, der in feinen
Mauern fertig war.
Zum Entfchlufie die noch fehlenden Thür me — ob die romanifche
Kirche Thürme hatte , ift nicht bekannt — zu bauen , gelangte man erft
1491 und zwei Jahre darauf ward auch in festlicher Weife der Grundftein
dazu gelegt. Ein Carl Drachftädt wird uns als Baumeifter genannt. Es
müden indeffen (vergl. Dähne S. 18, Anm. 1) Gründe Vorgelegen haben, welche
den Thurmbau fchliefslich doch nicht weiter gedeihen liefsen als etwa bis zum
Kirchendache. Hier hatte man von Eachwerk eine Glockenftube gegen
Norden (vergl- die Abbildung in der Halygraphia des Olearius) ähnlich, wie
de heute noch an der Ulrichskirche ift. erbaut und dabei verblieb es zwei
Fig. 46.
Srhlufsftein am Weftportlle 4er Nordwand.
Jahrhunderte lang.’ Dann mufste fie der Schadhaftigkeit wegen ab-
genommen werden und „des Ra ths Zimmermann A dam Gerber" erhielt
nun den Auftrag, einen Thurm zu errichten, den er aus Fachwerk herrteilte
und 1697 vollendete (vergl. v. Dreyhaupt’s Abbildung, Befchreibung u. f. w.)
Diefer Thurm, obwohl unconrtructiv gebaut, ftand dennoch bis 1789. Da
aber war er fo baufällig geworden, dafs es die höchfte Zeit wurde, ihn herabzu-
nehmen; allein noch während feines Abbruches ftürzte er zufammen, theil-
weife den .Saalarm verfchüttend. Seit 180z lieht die jetzige Glockenftube,
das übriggebliebene, maffive Gefchofs des Thurmes von 1697.
Ift hiermit der Hauptfache nach klar gelegt, wie die heutige Moritz-
kirche entllanden ift, fo verbleiben doch noch einige Punkte der Entllehungs-
1 Außerdem befand fich noch ein fchlankcr Dachreiter von ziemlicher Hohe ungefähr in
der Mitte des Daches. Er haue, wie man auf allen Bildern ficht, fpXlgothifche Form. Mit der
Irlockcnftube wurde er gleichzeitig feiner Schadhaftigkeit wegen abgenommen.
Die Thürme.
Die Zahlen an
den Pfeilern.
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96
DIE STADT HA IXE u. d.' SAALKREIS.
gefchichte im Befonderen zu befprechen. Dahin gehört zunächlt. warum lieh
an den Pfeilern, welche gerade aut der Grenze der beiden Hauptgebäude-
theiie liegen, die Jahreszahlen aut dem nördlichen 1 504 (Fig. .,7),. auf dem
FiR. 47-
Jahreszahl am mittleren Nordpfeiler.
füdlichen 1508 (Fig. 48) auffällig angebracht finden, alfo gerade an der
Stelle, wo, wie wir zuvor nachgewiefen zu haben glauben, um die Mitte
Ki«. 48.
Jahreszahl am mittleren Sudpfeiler.
des 15. Jahrhunderts die weltliche Kirchenhälfte gegen Wi llen fortfebreitend
zu bauen angefangen wurde.
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DIE ST. MORITZKIRCHE.
g;
Ich geftehe nun vorweg, dafs es mir nicht gelungen ift, ficher zu be-
gründen. worauf diefe Jahreszahlen (ich beziehen. Indeflen wird es doch mög-
lich fein, nachzuweifen, dafs auch die bis jetzt hierüber aufgeftellten Anfichten
unhaltbar find. Wir übergehen die älteren und diejenigen neueren Forfcher,
die mit jenen gemeint haben, das verkehrt — als Spiegelbild — ftehende
Zahlzeichen der 5 in 1508 fei eine z, die alfo 1208 lefen und dann in Anbetracht
diefer alten Zahl die viel neuere 1504 gar nicht weiter berückfichtigen.
Heute kann über diefen Punkt fchon angefichts der fpätmittelalterlichen
Form der anderen drei Zahlzeichen kein Zweifel mehr obwalten.
Wir haben es darnach nur noch mit Stapel’s und Dähne's Meinung zu thun.
Da die beiden Zahlen fo aulfällig angebracht find, nämlich beide in gleicher
Höhe unter dem auf fimsartiger Confole flehenden örtlichen Pfeilerdienfte, 1504
an hochreliefirtein Schilde und 1508 an einer flachen, länglich rechteckigen
Tafel, fo beziehen fie fich wohl auf eine umfangreichere Arbeit an dem Kirchen-
gebäude und beweifen wenigftens fo viel, dafs, wenn auch nicht die beiden
Pfeiler, an denen fie flehen, um die genannten Jahre ganz hergeftellt find,
wie Stapel meint, doch an den Pfeilern zu diefer Frift gearbeitet worden ift.
Freilich wurde nicht, wie Stapel aufserdem meint, an dem Aufbau der ört-
lichen Hälfte bis zu diefer Zeit, mithin 120 Jahre gearbeitet; wir verweifen
auf die fchon oben angeführten und in der Befchreibung noch anzuführenden
Gründe über die ftiliftifche Einheitlichkeit des ganzen öftlichen Theiles als
einen fchlagenden Beweis, den Stapel, der Baumeifter, erkennen mufste;
was aber an den Pfeilern gearbeitet wurde, werden wir fehen, nachdem
wir Dähne’s' Meinung kennen gelernt haben. Er läfst mit Bezug auf
ein 1841 im Altäre gefundenes Document, welches in einer vorauf-
gegangenen Bemerkung fchon erwähnt ift, um jene Zeit den öftlichen Theil
durchgreifend reparirt werden und zwar von Wellen d. i. von den
Pfeilern mit den Jahreszahlen 1504 und 1508 an nach dem Chore zu, wo
man dann 1510 mit der Reparatur des Gewölbes fertig gewefen fein foll.
Es fleht nämlich die Zahl 1510 mit goldenen Zeichen auf fchwarzem Grunde
in dem Schlufsfteine einer Rippe ganz ölllich über dem Altäre. Im folgenden
Jahre habe man dann das ganze Werk nach Inhalt des erwähnten Documents
fertig gehabt. Dafs mit keiner Silbe von einer Reparatur des Ofttheiles in
dem Schriftflück gemeldet wird, haben wir oben fchon gezeigt; fleht man
fich den fraglichen Theil des Textes,1 den Anfang, nun aber im Wortlaut
an, fo fällt Dähne's Irrthum fogleich in die Augen : „Anno domini millesimo
quingentcsimo undecimo perfedum est hoc opus per quendam Georgium
lhcner de orlamunde sub regimine vencrabilis domini praeposiii Theoderici
Opperhausen anno sui regtminis viersimo oefavo de sumptibus monasterii.“
Darnach ift es nicht möglich, das hoc opus anders als auf den Altar zu
beziehen. Vollends irrig zeigt fich der Bezug auf den K irchenb au, weil der
Text alfo fortfährt; „Kt circa idem (leg. eadem) tempora perfecta est pars
testudinis chon usque ad gradus sanctuarü“ ; denn zuerft wäre das Ganze
1 Siebe auch Eckftein: ,,/ ncerti auctoris chtonioa montis screni " pag. 58 und 59, An-
merkung.
ß. D. d. Bau - u. Kunsld. N. F. I. 7
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DIE STADT HAI.LF. u. d. SAALKREIS.
und dann noch ein befonderer Theil erwähnt ohne jeden Grund. Klarer aber als
alle Documente führt die fteinerne Formenfprache des Gewölbes den Beweis,
die Dähne allerdings nicht verftand. Ihre an Wölbweife und Rippenprofil
fichtbaren Redewendungen find vor dem 16. Jahrhundert kaum möglich,
ganz undenkbar aber fchon im 14. Jahrhundert zur Entflehungszeit der ältlichen
Mauern und Pfeiler. Die Zahl 1510 im Schlufsltein kann fich alfo nicht auf
die Reparatur, fondern nur auf die Herltellung des Gewölbes beziehen, wie
ja das Document auch ganz einfach das und nichts anderes befagt.
Auf diefe Weife ift nun zwar nachgewiefen, dafs Stapel’s und Dähne's
Meinungen über die Zahlen 1504 und 1508 irrig find, zugleich ill die Zeit der
Einwölbung des Chores beltimmt, allein wir liehen trotzdem immer noch
vor der Frage, was denn eigentlich die Zahlen hier befagen follen. Bis jetzt
ift es allein möglich anzunehmen, dafs durch fie die Beendigung des „theil*
weife“ und in vielen Jahren entltandenen Welttheiles angegeben wird. Wie
aber käme es dann, dafs fie gerade da liehen, wo doch die Bauarbeit der
Wellhälfte erweislich ihren Anfang genommen hat, um gen Welten fort-
zufchreiten? Warum alfo liehen fie nicht vielmehr an den Thürmen? Während
der langen Bauzeit der weltlichen Partie wurde, deffen darf man ficher fein,
die örtliche zum Gottesdienlie benutzt und war deshalb durch eine proviforifche
Wand weltlich, d. h. alfo gerade zwilchen den jene fraglichen Jahreszahlen
tragenden Pfeilern gefchlofsen. Als nun die Wefthälfte fertig und das
Thurmmauerwerk zu einer Höhe gekommen war, die zum Abfchlufs des
Schiffes im Werten hinreichte, was vermuthlich gerade 1504 bez. 1508 gefchah,
mufste natürlich, um endlich beide Theile der Kirche zu vereinigen,
die proviforifche Wand entfernt werden.1 So kam es, dafs die Jahres-
zahlen der Baubeendigung nicht an den Thürmen, fondern an diefen Pfeilern
angebracht wurden, denn der Act der endlichen Vereinigung beider Kirchen-
hälften war für die Baubeendigung das eigentlich wichtige Ereignifs, wichtiger
jedenfalls als die Aufführung der Thürme zu einer gewilTen nothwendigen
Höhe. So kommt es auch, dafs durch das Niederreifsen diefer Zwilchenwand.
welche ihrer beträchtlichen Höhe wegen mit den Pfeilern gewifs im Ver-
bände Hand, eine umfangreichere Arbeit an den Pfeilern um diefe Zeit vor-
zunehmen war. Hierdurch wird wiederum verrtändlich , weshalb jene die
Infchriften tragenden Quader in durchaus regulärem Verbände mit den
nachbarlichen Steinen liehen und nicht etwa die Kennzeichen einer nach-
träglichen Einfügung zeigen, wiewohl doch die Pfeiler felblt fchon feit dem
14. Jahrhundert vorhanden waren. Das läfst fich namentlich vom Sockel
und von den unteren Schichten fagen, wo ohne Zweifel anfänglich der örtliche
Dienft an beiden Pfeilern bis auf den Fufsboden herabging, dann aber, als
man den Sockel im Gefchmack der Zeit des anfangenden 16. Jahrhunderts
1 Dafs wir es hier mit zwei Daten in einem Zeituntcrfchiede von vier Jahren zu thun
haben, fcheint unwefentlich, weil ja der Abbruch der Scheidemauer aus irgend welchen Gründen
verzögert oder ftückweife erfolgt fein kann; dafür fpricht auch, dafs eine grofse Feierlichkeit
bei diefer Gelegenheit wahrfcheinlich nicht futlgefunden hat, weil fonft wohl von einem
Chroniftcn irgend welche Aufzeichnung darüber gemacht und auf uus gekommen wäre.
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DIR ST. MORITZKIRCHR.
99
umänderte, auf einige Meter Höhe befeitigt wurde und, weil er höher hinauf be-
lieben blieb, zur Unterftützung eine fimsartige Confole erhielt, unter welcher
die Jahreszahl angebracht iß.
Wollte man aber das anfängliche Vorhandenfein eines bis zum
Boden herabgehenden Dienftes in Zweifel ziehen und formt die Entftehung
des ganzen Pfeilers in feiner heutigen Geftalt in den Anfang des i6. Jahr,
hunderts legen, weil nämlich die nach ft örtlichen Pfeiler in gleicher
Höhe ebenfolche Confolen zur Unterftützung ihres weltlichen Dienftes haben
und diefer Dienft fich oben capitällos als Arkade fortfetzt wie der örtliche
Dienft der Theilungspfeiler, um mit letzterem im Scheitel zufammen-
zutreffen. fo wäre das nicht richtig und der Irrthum dadurch zu erweifen
dafs diefe Confolen der nächft örtlichen Pfeiler , die keine Infchrift haben,
thatfächlich erft nachträglich, vielleicht erft zur Barockzeit, eingefetzt lind,
um dem Arkadenbogen Symmetrie zu geben. Urfprünglich ging auch hier
der Dienft vermittelft eines Sockels bis zum Fufsboden herab, allein, da an
diefe Pfeiler nicht angebaut war, fo war nur nöthig, einerlei wann immer
das gefchehen fein mag, eine Confole einzufügen, nachdem man die
unterften Theile des Dienftes abgemeifselt hatte. Ganz deutlich erkennt
man denn auch die nachherige Einfügung des Confolfteines in das fchon
vorhandene Mauerwerk an den Fugen diefes Steines; fie lallen erfehen,
dafs er in einen anderen, greiseren, glatten Quader einfach eingefchoben
ift, alfo ein Verband mit dem Mauerwerk nicht ftattfindet.
Unmittelbar an diefe Erörterungen knüpfen fich noch folche über die Zeit der r,e-
Entftehungsfrage des Kirchengewölbes. Als Carl Drachftädt die wtll,>cent('c,n,",;
Thurmpartie bis zum Dache geführt hatte, mithin auch im Werten ein monumen-
taler Abfchlufs vorhanden war und der nunmehr fertige Welltheil des Baues
mit dem älteren örtlichen ein grofses Schiff bildete, da mag es den Mönchen
und Kirchenvätern zu St. Moritz doch wohl befter erfchienen fein, anftatt
dieThürme durch koftfpielige und luxuriöfe Helme zu vollenden, erft einmal
die Einwölbung ihres herrlichen Kirchenraumes zu bewirken. Man begann
natürlich am Chor und war damit, wie wir bereits gefehen haben, im Jahre
1510 bis an die Stufen des Sanctuariums gekommen. Es frägt fich nun,
wann der übrige, bei weitem gröfsere Theil der Kirche fertig eingewölbt
wurde. Nachrichten find darüber gar nicht vorhanden, nur befand fich bis
in das fünfte Jahrzehnt unferes Jahrhunderts die Jahreszahl 1557 am welt-
lichen Theile des Gewölbes. Sie ftand dicht neben dem Gurtbogen zwifchen
den beiden Gewölbehälften und bezog fich einer Nachricht Schubart’s
zufolge auf eine Renovation der Kirche durch Nickel Hofman.1 ln der That
1 Dähne fchreibl, dafs die Zahl bei der letzten Hauptreparatur „verwifcht“ fei- Es fragt
lieb nun, ob fie damals nur iiberputzt , oder ob fie abgemeifselt worden ift. Im erfleren Falle
wäre fie noeb vorhanden, und es liefse fich vielleicht aus der Art und Weife ihrer An-
bringung u. f. w. noch einiges mehr erfehen, namentlich was aus allen Erwähnungen diefer
Zahl nicht hervorgeht, ob fie allein fiand, oder noch von irgend welchen Notizen begleitet war;
denn gerade Hofman fügte gern fein Zeichen, feines Namens Anfangsbuchfiaben oder einen
Spruch bei. Bei einer Renovirung des Gewölbes wäre jedenfalls auf diefe Zahl zu achten.
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IOO
DIE STAUT HALF. u. d. SAALKREIS.
ift auch, wenn man die Steine befragt, der Umtang diefer Hofman'fchen
Arbeit fehr wohl ausfindig zu machen. Das Gewölbe hat nämlich zwei
Rippenprofile. Das eine, Fig. 4g findet man vorwiegend und es hat eine
Form, die allerdings eine ganz fpäte Gothik, aber doch noch eine etwas
frühere Zeit verräth als die des anderen, Fig. 50, welches fich nur im erften
Joche örtlich (hier nicht einmal in den beiden Seitenfchiffen) und in den
beiden erften weltlich von dem trennenden Gurtbogen, alfo nur da befindet,
wo Nickel Hotman's Infchrift ftand und wo er alfo das vorhandene, aber
fchadhaft gewordene Gewölbe wieder hergeftellt haben mufs. Diefes
Profil (Fig. 50) ift bezeichnend tür den Meifter Hofman; 1 er hat es überall,
am ausgedehnteften in der Marktkirche verwendet. Eine Gewölbereparatur
wurde an den genannten Jochen nothwendig, weil an diefer Verbindungsftelle
der beiden verfchiedenzeitigen Bauten die Mauern und Strebepfeiler nicht
folid genug waren und dem Gewölbefchube nachgegeben hatten: denn auch
auf das Fenftermaafswerk hat fich die Reparatur erftreckt, weil dasfelbe in
diefen Jochen Hofman'fche Art zeigt. Aufser jenen Stücken, die (durch
ihr Rippenprofil fich als 1 lofman's Reftaurationsarbeit von 1557 kennzeichnen,
ift alfo das Gewölbe, zu dem man 1510 am Chor den Anfang machte, in
den nächften Jahren wohl von demfelben Baumeifter — ob es Carl Drachftädt
war, ift nicht bekannt — fortgefetzt und ganz fertig geftellt worden ; denn
das bezeugt das erde Profil (Fig. 4g) deutlich, welches durchweg vorhanden
gewefen ift und fogar unter den Thürmen vorkommt gleicherweife wie ara
Chor bei der Jahreszahl 1510.
Anfuhren müffen wir noch, dafs auch das Gewölbe der Vorhalle
im Süden der Rippenzeichnung nach durch Hofman, wenn nicht fpäter,
gemacht ift.
Den Schlufs der Entftehungsgefchichte des Gebäudes foll die Aufzählung
Reparaturen, der h au p t fächlichften Reparaturen bilden; denn auch diefe haben
das Bild, welches das Bauwerk in heutiger Zeit gewährt, nicht unwefentlich
mit beftimmt. Nachdem fich die Annahme einer Reparatur zu Beginn des
16. Jahrhunderts als irrig erwiefen hat, dürfte zuerft Nickel Hofman die
1 Damit ift nicht gefegt, dafs er cs zuerft oder allein in Halle gebraucht hat; es kommt
hier vielmehr fchon vor feiner Zeit vor.
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DIE ST. MORITZ KIRCHE. IOI
Kirche 1557 reftaurirt haben; die Art und Ausdehnung feiner Arbeit ill
foeben näher befchrieben worden, bei der Befchreibung der Details wird
darauf zurückzukommen fein. 1612 und 1758— 1770 erneuerte man das Dach;
es bleibt jedoch ungewifs, ob diefe Wiederherllellungen fich nur auf die
Schiefereindeckung oder auch auf das Gefpärre erllreckten. ln den beiden
folgenden Jahren erhielten die Fenfter neue Verglafung ; die vormalige beltand
aus Butzenfcheiben; Glasmalerei wird nicht erwähnt.1 1782 wurde das
Kircheninnere geweifst und renovirt, ohne nachweisliche Spuren zu hinter-
lafTen. Es finden fich aber unter der jetzigen Tünche an den Kreuzpfeilem
der Thürme und an dem Pfeiler, der der Kanzel gegenüber liegt (auch fonft
wohl noch z. B. über der Moritzftatue ?) Spuren von Malereien, die fpätellens
um diefe Zeit entbanden find, falls fie nicht fchon in das 17. Jahrhundert fallen.
1810 und 1811 find aufser Dachreparaturen Erneuerungen an den Strebe-
pfeilern der nördlichen und örtlichen Seite vorgenommen, weil diefe Pfeiler
theilweife einftürzen wollten. Diefe Reparatur hat denn auch die deut-
lichften Spuren dadurch hinterlalfen. dafs die Ornamente an jenen Stücken
befeitigt worden lind, aut welche fie lieh erftreckte. Ein Vergleich der
Strebepfeiler auf unferer Zeichnung Fig. 51, mit denen auf der Abbildung
von Dreyhaupts läfst jene reparirten Theile erkennen. Doch diefe
Rellauration , wenn man eine lediglich auf die Haltbarkeit rückfichtigende
Ausbelferung fo nennen darf, war nur ein erfter, unabweisbarer Schritt
zu den Arbeiten, die feit den Verwüftungen durch Sturm 1833 vor-
genommen werden mufsten. 1838, nachdem fchon ein Vorfchlag zum
gänzlichen Abbruch der Kirche feitens des Bürgermeifters gemacht war,
konnte man am Aeufseren weiter repariren. Vor allen waren es die
Strebepfeiler an der Apfis des füdlichen Seitenfchiffes, die jetzt fall ganz
unter Weglaffung jeden Zierrathes erneuert wurden; in gleicher Weife
befferte man das Hauptfilms aus; an dem Fehlen der Zierrathe erkennt man
denn auch hier fehr gut, welche Ausdehnung die Herftellung hatte. Zwifchen
die Strebepfeiler an der Nordfeite waren, wie heute noch in der Markt-
kirche, Stübchen (im 17. Jahrhundert?) mit einem Einblicke in das Kirchen-
innere eingebaut worden. Auch fie wurden jetzt fortgenommen und die Mauer-
öffnungen wieder gefchloffen. Unfer Jahrhundert übertrifft durch feinen
Reftaurationsbarbarismus zumeift feine Vorgänger; im Inneren der Kirche
hat man 1841 den ehemaligen Ausbau völlig befeitigt, namentlich die
herrlichen, eichenholzgefchnitzten Emporen; dafür find die jetzigen Sitze
hcrgeftellt und ift der Fufsboden fowie der Altarplatz erneuert.
E« ift erklärlich, dafs aufser diefen uns durch fchriftliche Nachlaße
bekundeten Reparaturen noch manche kleinere unbekannten Datums vor-
gekommen find; fo hat man unter anderen die Fenfterpfoften mit ihren Maafs-
werk fall in allen Fenftern erneuert und, da das ftückweife und zu ver-
Ichiedenen Zeiten gefchehen ift, haben fie ihr altes Ausfehen bewahrt;
manches verwitterte Pfeilerftück, mancher Abdeckungsftein ift neu eingefetzt,
ohne dafs die Zeit zu ermitteln wäre. (Anzumerken ift hier als Bauver-
1 Die jetzige Verglafung mil Glasmalereien am Chor ill 1881 und 1882 gemacht.
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102
DIE STADT HALLE n. d. SA.VLKK EIS.
änderung, wenn auch nicht als Renovirung, dafs 1806 — 1808 bei Gelegenheit
der Pfarrhausbauten der Kreuzgang, fo viel fich davon an der Südfeite der
Kirche entlang erhalten hatte, abgebrcohen wurde).
Bcfchreibungder Von der Unterfuchung der eigentlichen Baugefchichte kommen wir zu
tfoman'ifche der Befchreibung der Bautheile und der Würdigung der kiinft-
Siücke. lerifchen Leiftungen.
Wenn wir annehmen, dafs die romanifchen Simsllücke auf der Xord-
wand der Oftpartie der Kirche ehemals zu dem alten Baue von 1156 gehört
haben, fo kündigt fich darin eine eigene, abweichende Verzierung diefer
erften Kirche an. Unfere Zeichnung, Fig. 45 zeigt eine flache Kehle, die
mit fcheibenartigen, erhabenen Ovalen und länglichen, fchrägen Vierecken
■n einfacher , rhythmifcher Ordnung belebt ift. Diefer Schmuck ift offenbar
romanifch, aber man findet ihn in hiefiger Gegend nicht weiter: fpürt fich
in ihm vielleicht wendifcher Einflufs?
Der Ofuheil. Nach diefen Stücken find die Formen des oft 1 ichen, ganz in regelrechtem
Quadermauerwerk erbauten Kirchentheiles die älteften. Fig. 5 1 . Zur Zeit ihrer
Entftehung 1388 begann der gothifche Stil fchon feine ftrengen, lediglich von
conftructiven Gedanken ausgehenden Gefetze zu verlaffen, um fich mehr
und mehr in decorativer Pracht und conftructiven Spielereien zu ergehen.
Immerhin liegt noch viel wahrhafte Schönheit, man kann hier auch Tagen
fchöne Wahrheit, in der Architektur diefer Zeit fpeciell in der unferer
Kirche, fo weit fie aus diefer Zeit flammt. Abgefehen von der klaren, ver-
flandesmäfsigen Einfachheit, die jeder Hallenkirche eigen ift als der Aus-
druck jenes bürgerlich deutfchen Sinnes, der fie erzeugt hat, liegt in der
architektonifchen Gruppirung, in dem Abwägen der Mafien, in der Pro-
portionirung der Theile, kurz in den eigentlichen architektonifchen Linien
diefes Gebäudetheiles noch der volle, poetifche Zauber mittelalterlicher,
romantifcher Kunft. Die erwähnte Einfachheit legt fich hauptfächlich im
Grundrifs dar: ein Querfchiff fehlt, alle drei Langhausfchiffe fchliefsen im
Often durch einfache regelrechte Apfiden, die durch zwei undurchbrochene
Wände getrennt find. Das Mittelfchiff hat öftlich eine Jochlänge mehr, ohne
fich jedoch zu verbreitern oder ohne eine gefuchte Löfung zu erhalten,
wie man fie derzeit liebte.
Dem entfprechend ift der äufsere Aufbau ebenfalls einfach, klar
und verftandesmäfsig, weil eine reichere Gruppenbildung durch
Querfchiff, Kapellenkranz u. f. w. wegfällt und Perfpectiven durch hohe,
kühne Strebebögen, womöglich doppelt und maafswerkdurchbrochen
wie an den grofsen Kathedralen, das Auge weder reizen noch ver-
wirren können ; felbft die Harken Strebepfeiler haben nicht einmal eine ganz
freie und hoch in die Luft ragende Fiale als Bekrönung; das Auge wird
nur durch den Rhythmus von Pfeiler und Fenfter befchäftigt, und diefer-
Wechfel von hell und dunkel reicht auch mit einigen Aenderungen in den
Breitenmaafsen der F'enfter zur Geftaltung der drei Apfiden an der Chor-
partie aus. Gleich ungefucht bildet lieh im gothifchen Sinne das Dach,
welches, wenn man es felbft über ein halbes Jahrhundert fpäter als die Mauern
gemacht hat, doch von Anfang an fo entworfen war, wie es ausgetührt ift.
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DIE ST. M0K1TZKIKCHK.
I°3
Das Satteldach der Kirche walmt (ich am Chor, den freiliegenden Seiten
der drei Apliden entfprechend, ab; alleWalme gehen bis zu derfelben F'irft-
höhe empor, mit Rückficht auf ihre verfchiedene Lage aber treffen ihre
Spitzen nicht in demfelben Punkte zufammen, fondern in zweien von einer
durch den Vorfprung des Mittelfchiffes hervorgerufenen Entfernung. Für
das Mittelfchiff, fo weit es örtlich vortritt, ift die Dachneigung wegen der
gleichbleibenden Firfthöhe fteiler als die für das dreifchiftige Langhaus
hinter dem Punkte, wo durch die von Norden und Süden zufammenlaufenden
Wahne der Nebenchöre das Dach des Langhaufes entlieht. 1
Es ift alfo noch überall eine Anordnung der hauptfächlichften Gebäude-
theile nach gefunden, weil aus conftructiven Bedingungen entftandenen
Grundlatzen erfolgt, und darin liegt unbedingt die Haupturfache einer reiz-
vollen Wirkung für diefe fowie für jede Architektur , falls dabei nicht blofs
die nüchterne Nützlichkeit zu Tage tritt. Namentlich ift die Gothik von der
Conftruction abhängig; fie geht zurück, fobald fie fich über diefelbe hinweg
hebt oder auch ohne conftructiven Zwang fchafft. Letzteres hat bereits an
der Moritzkirche ftatt, und damit kennzeichnet ihre Architektur den Verfalls-
anfang des gothifchen Stiles; den Anfang, denn noch liehen die Strebe- Strebepfeiler
pfeiler in verftändiger Ordnung neben einander, fchlank aufftrebend, aber in
compacter Made, die fichtbarlich dem auf die Rippen übertragenen Gewölbe-
fchube (falls der, für den fie bemefTen lind, vorhanden wäre) widerftehen
kann. Wie der deutfehe (hallefche) Bürgersmann jener Zeit erheben fie fich
auf einem engbegrenzten Raume zu gemeinfamem Werke himmelan; ihre
Bildung ift kraftvoll, aber in Grofsem, in der Silhouette, doch von ziemlich
einfacher Art. Diese Einfachheit geht jedoch keineswegs auf die zierenden
Details über, im Gegentheil fie verwandelt fich hier in Ueppigkeit, und es
nimmt die Omamentation eine Ausdehnung an, die die Grenzen des guten
Gefchmackes fchon durchbricht und damit die erften Merkmale des Ver-
falls liefert. Schon dafs das Kafffims fich nicht feitlich an den Strebe-
pfeilern durchzieht und einen Mauerrückfprung markirt, fondern fich ohne
Abfatz nur an der Vorderfeite durch ein Simsftück andeutet, ift auffällig.
Die Pfeiler erheben fich dann zweihüftig. Bis zum erften der Ablatze be-
halten fie ihre rechtwinkliche Grundform, die mit einer Fläche nach vorn
endet. Letztere wird durch eine Blendarkade mit Maafswerk belebt. Es
find zwei je mit einem fpitzen Giebelchen bekrönte Bögen, an deren ge-
meinfamen Mittelpfoften, dicht über dem Kafffimfe auf Confolen und unter
Baldachinen Statuen flehen. An den Pfeilern des MittelfchifFchores, die
fchon feit den firüheften Zeiten chriftlicher Kunft in der Regel decorativ be-
vorzugt wurden, fetzt fich diefe Arkade auch feitlich fort. Der Pfeilerrück-
fprung über der Arkade ift, da er durch eine Abfchrägung der Ecken ge-
fchieht, der eine fcharfe Pfeilerendigung nach vorn zur Folge hat, für die
Silhouette nicht bemerklich; fie bleibt auf diefe Weife vom Sockelgefims
1 Die Dachbildung am Chor ift auf v. Drcyhaupt’s Bilde verzeichnet. Es findet fich
dafelbft auch noch ein thurmähnlich überdachter Glockenftuhl gezeichnet, der heute durch einen
plumpen Knopf erfetzt wird.
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104 niF STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
zum zweiten Rückfprunge eine fenkrechte Linie, die nur durch einige Vor-
fprünge (Giebel, Kreuzblumen, WafTerfpeier) unterbrochen wird und an Ein-
fachheit nichts zu wünfchen übrig läfst. Es ilt das Pfeilerftück bis zum
zweiten Abfatze ebenfalls mit Blendarkaturen belebt und mit Giebelchen
über den Seiten bekrönt. Aus ihnen fteigt der Riefe einer Fiale, zu deren
Laibe alfo diefer Pfeilertheil wird, bis über die Abdeckung des Strebe-
pfeilers auf, wo ihn dann eine frei gearbeitete Kreuzblume abfchliefst,
Uebrigens liegt er fammt dem Laibe dem Pfeiler an und iß nur halb ge-
meifselt. An der Sohle des Riefen hat der zweite Pfeilerrückfprung flatt,
und fo lehnt er felber fich gegen das letzte Pfeilerftück, welches wieder
eine nach vorn gekehrte Fläche zeigt, aber um das Maafs der Abfchrägung
d. i. um die halbe Pfeilerbreite zurückfpringt. Der Pfeiler endet feitlich
mit halbem, vorn mit einem vollen Giebelchen. Es ift gleichfam eine Blend-
fiale, durch welche die Pfeilerabfätze maskirt werden und die fenkrechte
Silhouettenlinie entlieht. Erft über dem zweiten Pfeilerabfatze wird letztere
durch die krabbenbefetzte Schräge des Riefen aufgegeben, um, wo der
Riefe endet, — abgefehen von der geringen Malle der freien Kreuzblume —
den Pfeiler durch die wagerechte Linie des Abdeckungsgiebels ftumpf zu
fchliefsen. Trotz diefer Einfachheit der Pfeiler in den Umrifsen bekommt
ihr Ausfehen doch eine gewifle Lebhaftigkeit durch die Menge, Gruppirung
und Form der Details, welche gefällig wirkt. Alle Giebelchen der Blend-
arkaturen haben leicht concav gebogene Linien, alle find mit zahlreichen
Krabben befetzt und endigen in Harken Kreuzblumen; die Blendbögen find
mannichfach gezackt und mit vielerlei Maafswerksmuftern gefüllt, die Con-
folen unter den Figuren beftehen aus tief .ausgehauenem Blätterwerk; die
fchützenden Baldachine find äufserft zierlich und prächtig in durchbrochener
Arbeit mit zahllofen Einzelheiten ausgeführt ; an der Sohle der Riefen fpringt
darr ein WafTerfpeier nach vorn vor und an den Kanten derfelben laufen
Krabben empor, bis eine fchwere Kreuzblume die Krone bildet. Von allen
diefen Einzelheiten wird das Auge natürlich immerwährend befchäftigt, aber
da die wenig zerriffene Silhouette eine gewiffe monumentale Ruhe erzeugt,
erwächft ihm keine Verwirrung und kein peinliches Bedenken ob der Halt-
barkeit der ganzen Herrlichkeit.
Wie die Geftalt der Pfeiler eben befchrieben ift, findet fie fich in Wirk-
lichkeit nicht mehr; es fehlt an allen Pfeilern die Kreuzblume auf der Fiale
und die Spitze des Baldachins überden Figuren, aufserdem find manche Stücke,
z. B. mehrere WafTerfpeier, verwittert und herabgefallen. Ferner weicht
eine Anzahl Pfeiler von diefer Geftalt ab, ohne dafs fich immer beftimmt
die Urfache dafür angeben lielse: Die drei weftlichften Pfeiler an der Nord-
wand der Kirchenhälfte von 1388, von der allein wir jetzt fprechen, alfo die
beiden Pfeiler, zwifchen denen das örtliche Portal diefer Seite liegt, und der
davon nächft wörtliche Pfeiler find heute aufser ihren Ablatzen ganz fchlicht.
Dafs fie urfprünglich wenigftens bis zum Riefen der Fiale fo durchgebildet
waren , wie wir befchrieben haben , zeigt das v. Dreyhaupt'fche Bild der
Kirche; darnach fcheint es — denn diefes Bild ift in den Angaben ziemlich
genau bei aller Mangelhaftigkeit der Darftellungsweife, — dafs der letzte
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DTE ST. MORITZKIRCHE.
>05
Abfatz der Pfeiler, falls er überhaupt in gleicher Form, wie bei den anderen
Pfeilern vorhanden gewefen ift, 1557 durch Nickel Hofman geändert wurde,
und dafs erft nach von Dreyhaupt's Zeit, alfo muthmaafslich bei der Reparatur
von 1810— 1811 diefe Pfeiler auch ihren übrigen Schmuck verloren und die
heutige Form bekommen haben. Der öftlichfte freie Pfeiler des Chores am
nördlichen Seiten fchitf hat eine abweichende Proportionirung der Fiale,
deren Laib niedriger ift als fonft, während die Giebelchen darüber und der
Riefe um fo viel höher find. Den Grund hierfür habe ich nicht auffinden
können; der Quaderverband ergiebt, dafs diefe Abweichung aus einer
fpäteren Aenderung nicht hervorgegangen ift.
Die Mauer des Mittelfchiffchores ift ein wenig höher, als die übrigen
Aufsenmauern find; man hat nun den Unterfchied nicht auf ie deinzelnen
Pfeilertheile proportional vertheilt, fondern ihn den Fialen gegeben und oben-
drein deren Verhältniflfe durch Verkürzung des Riefen und Verlängerung des
Laibes geändert. Die Proportionirung ift dadurch nicht gerade verbeffert.
Auch hier ift ein Grund dafür nicht erfichtlich: vielleicht hat man Verhielte
über die befte Eintheilung gemacht. In diefer Form ift nur ein Pfeiler
erhalten, der nördlichfle, die drei anderen haben Veränderungen erfahren.
So weicht der zweite gegen Norden freiftehende dadurch ab, dafs ihm
die Fiale fehlt. Die beiden Ablatze markiren lieh durch einfache, fchräge
Deckplatten mit Sims und find an ihren Vorderflächen mit Blendarkatur
und Maafswerk verziert. Die Abweichung wird die Folge einer frühen
Reparatur fein, die billig fein mufste; wir haben jedoch darüber keine
Nachricht. Die beiden füdlichen Pfeiler diefes Chores find im wefentlichen
gleich. Ihre Fialen profiliren fich in ganz anderer Weife als die befchriebenen,
in den Einzelheiten find fie reicher und zierlicher durchgebildet; für die
Giebelchen ift der Efelsrücken genommen. Ich fchliefse daher, dafs hier eine
frühe Reparatur ftattgefunden hat, etwa gegen das Ende des 15. Jahr-
hunderts.
An den Chorpfeilern des füdlichen Seiten fchiffes ift von der alten Aus-
fchmückung bei der Reparatur vor 40 Jahren nichts mehr übrig geblieben.
Abgefehen von den Rücklprüngen lind fie glatt. Wegen der Anbauten an
der Südfeite haben die Pfeiler dafelblt keiner künftlerifchen Ausbildung be-
durft, ja drei derfelben haben, wie man im Grundrifse erfieht, da, wo die
Vorhalle fleht, wegfallen können bez. müden. Die hier von Fenftern nicht
durchbrochene Wand leiftet dem Gewölbefchube hinlänglichen Widerftand.
Es ift aber nicht unmöglich, dals zu Beginn des Baues hier Strebepfeiler
angelegt und fchon zu einer gewiflen Höhe mit aufgeführt gewefen, dann
aber, als man die Vorhalle erbaute, wieder befeitigt worden find; wenigftens
könnte man fowohl in dem Stücke, um welches der Pfeiler zwifchen den
beiden grofsen Thüröffnungen in die Vorhalle hinein flärker ift als die Wand,
als auch in der Wand zwifchen Vorhalle und Sitzungszimmer Ueberbleibfel
von Strebepfeilern vermuthen. Bis zum Dache haben diefe Pfeiler indeffen
nie hinaufgereicht, weil der obere Theil der Umfaffungsmauer hier aus vor-
züglichem Bruchfteingemäuer befteht, ein Umftand. der darauf fchliefsen
läfst, dafs diefes Wandftück erft im 15. Jahrhundert vielleicht als das letzte
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
des 1388 angefangenen Baues zur Ausführung gekommen ift zu einer Zeit,
wo die Vorhalle fchon gebaut, oder doch ihr Bau vorherzufehen war.
Die Fenficr. Die Fenfter zwifchen den Strebepfeilern lallen für die Wand keinen
Platz mehr. Sie find durch zwei Pfoften dreigetheilt , nur die der Neben-
apfiden find fchmäler und haben daher nur zwei Theile. Oben unter dem
l'pitzbogigen Scnlufle gehen die Pfoften in geometrifche Maafswerksfiguren
über. Das Gewändeprofil und das der Pfoften, welches ja aus jenem als
ein Theil hervorgeht, ift immerhin noch von guter Zeichnung, wiewohl die
vorherrfchende Hohlkehle befagt, dafs es der Blüthezeit des gothifchen
Stiles fchon nicht mehr angehören kann. Fig. 5 Dasfelbe ift natürlich bei dem
Maafswerk der Fall. Dem tragenden Rundftabe des Pfoftens fehlt daher das Ca
Fig. 52.
AiMaen
innen.
Fcnfterprofil im Oftiheile (1 388).
pitälchen, bevor er in das getragene Maafswerk übergeht; der Conflict zwifchen
Stütze und Laft findet keinen Ausdruck mehr. Das Füllwerk der geometrifchen
Figuren kann auch nicht mehr als die Folge logifch richtiger Entwickelungs-
grundfätze angefehen werden; es kommen bereits Rund- und Flachbögen,
Fifchblafen und andere bedenkliche Bildungen vor. Dennoch lieht man.
dafs die Figuren nicht lediglich dem Verftande entflammtes Zirkelwerk,
fondem die Schöpfungen einer feinfühligen Architektenhand find. Man mag
mit diefem Maafswerk das des Fenfters über dem örtlichen Nordportale von
Nickel Hofman oder überhaupt die Fenfter der wörtlichen Kirchenpartie (!• ig. 53)
vergleichen, und das Gefagte wird klar werden.
Es verlieht fich, dafs das Maafswerk jedes Fenfters ein anderes, mehr
oder minder gefälliges Müller hat. Als Befonderheit ift anzuführen, dafs die
beiden Fenfter zwifchen den von Hofman an der Nordfeite ausgebefterten
Pfeilern auch Maafswerk im Stile diefes Meifters haben. Im Vergleich mit
der flotten, fchwungvollen Zeichnung der befchriebenen älteren Maafswerke
wirkt diefes eckige und trockene Produkt einer Gothik, die fich völlig
überlebt hatte, in hohem Grade abllofsend. In der Ausfchmückung find
die Chorfenfter des nördlichen Seiten Muffes bevorzugt; ihr Spitzbogen hat
aufsen an der Vorderkante des Gewändes eine freihängende Zackenumrahmung ;
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DIE ST. MORITZK1KCHE.
I°7
es id ein durch brochener Kleeblattbogenfries, der, frei gearbeitet, fich hell
von der dunkelen Fenderöffnung abhebt und die Wirkung der Fender,
die hier bei gleicher Höhe fchmaler find, verdärkt, indem er ihr etwas
Fabelhaftes, ja wunderfam Anziehendes verleiht. An dem öftlichden F'ender
des Chores ill diefer Zierrath nicht vorhanden, doch wird er auch hier ur-
fprünglich gewefen, aber verwittert fein, um dann gelegentlich!! abgemeifselt
zu werden, denn auch an den beiden anderen Fendern fcheint er erneuert.
An den gothifchen Kirchen verfchwindet die Wandfläche fad gänzlich, Die Wand,
fie löfi fich in Pfeiler und F'enller auf; nur das Stück unter dem WafTer-
fchlage der F'enller bis zur Erde herab und über dem Spitzbogen bis hinauf
zumDachlims bleibt übrig. Während das untere Stück nur im Inneren der
Kirche decorirt zu werden pflegt, erfahrt das obere meid eine reichere Aus-
bildung durch Wimperge, die zum Zweck der Mauerbeladung dienen, be-
fonders da, wo die Gewölbekappen deigen und immerhin einen geringen
Schub auch auf die Mauer übertragen. Die Odpartie der Moritzkirche läfst —
ein Zeichen des Verfalles, — diefen Condructionsgedanken fchon völlig aufser
Acht. Statt eines Wimperges erhält die Wand eine vielgliedrige Blend-
arkatur von bogenfriesartiger Wirkung, eine nichtsfagende Spielerei. Den
Fenderbogen begleitet, einer Augenbraue gleich, 'ein Abdeckungslims, bis
auf welches die Stützen der Arkade herabgehen. Gegen die ßogenfcheitel
zu theilt fich diefes Gefims und bildet, um durch einen Bund in eine kräftige
Kreuzblume auszulaufen, in fad fcheinlofer und ganz ungekündelter Weife
einen Efelsrücken. Diefes Architekturmotiv der Spätzeit läfst fich hier noch
als das Conllructionsmittel, die fchwere Kreuzblume zu tragen, und im Verein
mit diefer als Erfatz für den Wimperg anfehen. Der Efelsrückenbogcn
tritt noch zaghaft gleichfam unbeabfichtigt auf und erhebt hier allerdings
fchon Anfpruch, ein Decorationsmittel von Bedeutung zu fein, aber nicht,
die Conflruction des tragenden Bogens feiner llerrfchaft unterzuordnen, wie
gegen das Ende des 15. Jahrhunderts. Seine Ausdehnung erdreckt fich daher
auch noch nicht dergedalt aut die feineren Details, wie es an den Giebelchen der
beiden füdlichen Strebepfeiler des Mittelfchiffchores der Fall id; allein fein
Vorhandenfein id doch Thatfache; fein fch&chternes Auftreten kennzeichnet
genau den Standpunkt der Stilentwickelung als Anfang des Verfalles. Die
meid etwas überkräftige Kreuzblume liegt nur halb oder dreiviertel frei
vor der Wandfläche und nimmt das mittlere F'eld der drei Arkadenbögen
ein. welche fich als Blende über jedem F’ender befinden. In den beiden
feitlichen F'eldern kragen Confolen, Köpfe bildend, aus der Wand vor, um
frei gearbeitete F'iguren aufzunehmen. Oben wird die Wand mit einem
Simfe abgefchlofien von einer hinlichtlich der Gliederung ziemlich un-
bedeutenden Form. Es bedeht aus einer flachen Kehle, die mit Rofetten
von verfchiedener F'orm in gleichen Abdänden befetzt iit. Viele Stücke find
erneuert aber ohne Rofetten, fodafs ein recht unfchöner Anblick entlieht.
Vor vierzig Jahren wurde an den alten Stücken noch Vergoldung gefunden
(wahrfcheinlich an den Rofetten, die fich von einem dark roth oder
blau bemalten Grunde abhoben); auch heute würden fich davon noch Spuren
auffinden laden, wenn man eine Berichtigung der Steine aus der Nähe vor-
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io8
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
nehmen könnte. Stapel, der die intereffante Mittheilung macht, verdient
Glauben, weil er bei den derzeitigen Reparaturen zu eingehender Unter-
fuchung die Gelegenheit gehabt hat. Es wird hierdurch ein neuer Beweis,
falls es delTen noch bedürfte, erbracht, dafs auch die mittelalterlichen Bau-
werke, wie die aller andern Blüthezeiten der Kunft, aufsen farbig zu denken
lind. In den meiften Fällen fcheint es der Mangel an Geld gewefen zu fein,
und desgleichen wohl bei der Moritzkirche, der die Polychromirung nur
theilweife zur Ausführung kommen liefs. Warum die UmfalTungsmauer der
Seitenfchiffe etwas niedriger ift als die des Mittelfchiffchores läfst lieh nicht
beftimmt Tagen. Es gefchah vielleicht, weil der Baumeilter wegen der
projectirten Gewölbeconliruction, wenn diefe ausgeführt worden wäre, diefe
Erhöhung nöthig gehabt hätte.
Damit find wir zu den Unregelmäfeigkeiten der Wandbildung ge-
kommen. Dafs die Wand in Süden aus gutem Bruchfleinmauerwerk befiehl
ili fchon gefagt, |dem mufs hinzugefügt werden, dafs aus diefem Grunde
denn auch eine Verzierung durch Blendbögen unterblieben ift. Diefer Zier-
rath fammt der F'enfterverdachung und den Confolen fehlt auch dem Chor
des (udlichen Nebenfchiffes, delTen Wand über den Fünftem 1840 zugleich
mit den Pfeilern und ebenfo wie diefe allen Schmuckes baar erneuert
worden ift. Schliefslich find noch im Norden drei Joche, nämlich das des
Portales und das diefem jederfeits anliegende zu nennen, deren Wand jetzt
ebenfalls ohne Blendbogenfchmuck ift. Aus der von DreyhauptTchen
Zeichnung ergiebt fich, dafs die Wand auch hier ehemals die befchriebenen
Verzierungen hatte, - wie das ebenfalls aus dem erhaltenen, um dieBlendeu-
ftärke erhabenen Rande jedes Joches zu fchliefsen ift, — durch die Nickel
Hofman’fche Renovation eine Aenderung nicht erfuhr und erft iSiofii
zugleich mit den Pfeilern ihre heutige Geftalt bekam, die ohne Arkatur
theils auch ohne Confolen ift, aber die F'enfterverdachung fammt der Kreuz-
blume erhalten hat. Da die Blendarkade überall nur fchmücken Toll, fo
nimmt fie einen fpielenden Charakter an, indem ihr Stabprofil fich maafs-
werksmäfsig durchdringt, und zwar nicht über allen Fenftem gleichartig;
das ift im gothifchen Stil nicht gerade auffällig; warum man aber über den
drei C.horfenftern des nördlichen Seitenfchiffes plötzlich ein ganz anderes,
viel einfacheres Profil zu diefer Blendarkade gewählt hat, bleibt unklar.
Hier haben auch, wie fich erfehen läfst, gleich von Anfang an nur über dem
mittleren der^drei F'enfter Confolen für F'iguren fich befunden; die beiden
anderen Felder fcheinen zu fchmal für figürlichen Schmuck gewefen zu fein.
Auffällig ift auch, da alle Confolen Köpfe darftellen, dafs die beiden über
dem füdlichften F'enfter des Mittelfchiffchores pflanzlichen Schmuck haben.
Zuletzt ift es nöthig zu bemerken, dafs nur eine aller Confolen thatfächlich
eine Figur trägt, nämlich links über dem nördlichen Fenfter des Mittelfchiff-
chores; doch wird hierauf zurückzukommen fein.
Das Portal. An der Nordfeite des ölllichen Kirchenftückes hat fich die Portal-
anlage ziemlich erhalten. Die mittelalterliche Portalausbildung gefchieht.
indem man durch Abfchrägung der Gewände eine möglich!! breite Um-
rahmung der Thüröffnung zu gewinnen fucht dergeftalt, dafs das Auge ge-
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DIE ST. MORITZKIRCHE.
IOQ
felTelt und auf letztere als die Uauptfache hingeleitet werde. Um die Wirkung’
zu verftärken, fügt man einen vor der Mauer liegenden, den Thürbogen
überdachenden Wimperg hinzu und nimmt fogar für die viel gegliederte
Gewändefchräge die nachbarlichen Strebepfeiler in völlig conllructions-
widriger Art mit in Anfpruch; dadurch erreicht man eine tiefere Nifche,
die durch ihre llärkeren Schatten- und Lichtpartien feffelnder wirkt. Alle
diefe Mittel find gegen Ende des 14. Jahrhunderts den Bauleuten der Moritz-
kirche nicht mehr wirkungsvoll genug gewefen, (ie haben daher zwifchen
die der Thür benachbarten Strebepfeiler bündig mit deren Vorderkante einen
Spitzbogen gefchlagen, den Raum bis zur Kirchenmauer mit einem eben-
solchen fpitzbogigen Tonnengewölbe überdeckt und fo eine offene Vorhalle
erbaut, die natürlich geradezu eine lochähnliche Schattenwirkung erzeugt.
Mehr noch, man hat den Bogen mit einem zierlichen Kranze von Iteinernen
durchbrochenen Zacken, die in das Dunkel der Oeffnung hineinragen, befetzt.
So entlieht durch wohlgeordnete Lichtpartien eine gefällige Vermittlung
Zivilehen dem dunllblauen Dunkel der Vorhalle und den farbreichen Lichtem
des Steinmaterials, doch fo, dafs beide, Licht und Schatten, fich gegenfeitig
noch verllärken. Es ill durch dasfelbe Mittel eine reizvolle Wirkung erftrebt,
wie an den Chorfenllern des nördlichen Seitenfchiffes. Obwohl durch das
Zurücktreten des eigentlichen (iewändeprofiles zu Gunllen eines Licht- und
Schattencontrafles die Grenze für den guten Gefchmack l'chon überfchritten
ill. fo unterliegt es doch keinem Zweifel, dafs diefes Portal dennoch von dem
kölllichen. unvergleichlich poetifchen Reize ill, den die mittelalterlichen
Kircheneingänge gemeiniglich haben. Sein ernlles, ja geheimnifsvolles
Dunkel fällt fchon fernher auf und feflelt, je näher wir kommen, um fo
mehr unferen Blick; es winkt uns gleichfam zu, und wir treten unter den
Bogen. Da fehen aus einer grofsen Hohlkehle des Thürgewändes, getragen
von Confolen und von Baldachinen überdacht, Beinerne Statuen herab. Die
beiden unteren bis zur Kämpferhöhe find lange fchon verfchwunden; nach
der Stelle ihrer Confolen zu fchliefsen, waren fie von Behender Haltung.
1 lieber dem Bogenanfange fitzt links ein Heiliger (?) mit einem Buche, rechts
ein anderer mit einem Spruchbande in den Händen. Haben fie in Gemein-
fchaft mit den fehlenden unteren und anfangs mit ihren Symbolen die vier
Evangelillen dargeflellt, oder haben die oberen für fich eine Bedeutung
z. B. Bezug auf das alte und neue Tellament, während dann in den unteren
Nifchen Adam und Eva wie fo oft an den Kircheneingängen gellanden
hätten? das ill nicht zu ermitteln. Es folgen (liefen Figuren jederfeits zwei
über einander zwifchen Confole und Baldachin fitzende Engel, die linker
Hand mit Guitarre und Geige, zur rechten mit Harfe und Orgel muficiren.
Am Schlufsllein hält ein Engelchen das Schwei fstuch ausgebreitet, auf dem
in erhabener Arbeit feierlich ernll das Angeficht des Heilandes umgeben
von einem runden Nimbus mit flachem Kreuz dargellellt ill. Während im
Laufe der Zeit die Heiligen zum Theil verfchwunden find und ihre leer-
gewordenen Stellen einer neuen Befetzung warten, während die Engel durch
Mishandlung vielen Schaden erlitten haben, hat der Schlufsllein von allem,
Chrillus, die Jahrhunderte überdauert und wenngleich das edle Antlitz be-
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I IO
DIE STADT HALLE u. d. SAALKRFIS.
Stil und Werth
des Ornaments.
ßäubt und verdunkelt iß, fo fcliaut es doch immer noch _ wie vordem, milde
und friedlich und trößend herab auf alle, die zu diefer Thüre eingehen
wollen. Es kann uns auch nicht entgehen, dafs dem Chrißuskopfe die Pracht
lebhafter Färbung und dem Heiligenfeheine der Goldglanz nicht fehlte.
Darnach lind wir berechtigt zu fchliefsen, dafs die Vorhalle mit allen Sculpturen
anfänglich durchweg farbig gewefen iß. Auf von Dreyhaupt's Abbildung
hat der vordere Bogen der Vorhalle durch eine bekrönende Kreuzblume
eine Efelsrückenform, die den Giebel für ein ebenfo gebogenes Dach abgiebt.
Es fcheint demnach in Folge der Abmeifselung diefer Bekrönung der heutige
einfache Spitzbogen übriggeblieben zu fein, ln feiner Scheitelhöhe legt fich.
nachdem die Bogenzwickel mit neuen Steinen ausgefetzt find, jetzt ein Haches
Pultdach bis in das Fenßer.
Nachdem wir fo die architektonifchen Details von 1388 kennen gelernt
haben, kommen wir auf deren Gefammtwirkung für das Bauwerk und aut
den äßethifchen Werth derfelben als Decoration zu fprechen. Die Aus-
dehnung der Zierrathe auf ihrer Natur nach fchlicht zu belalfende Theile,
z. B. der Blondarkaden auf Pfeiler und Wand, kann dem Bauwerke keinen
Nutzen bringen; fie hat aber die gute Wirkung, dafs die geringe Gruppen-
bildung weniger in's Auge fällt und der Wechfel von Pfeiler und Fenfter
lebhafter erfcheint. Wohl bewahrt die leicht überfichtliche Eintheilung des
Ganzen dem Monumente die nöthige Ruhe, es wendet lieh aber die Aut-
merkramkeit weniger auf die harmonifchen VerhältnifTe und die Art, wie
die Thätigkeiten der Bautheile ausgedrückt find, als aut den Reichthum
und die Vertheilung der Einzelheiten. Diefe dürfen die ernße Sprache der
Strebepfeiler fchwatzhaft unterbrechen und die von Natur fchweigfame
Wand unnöthigerweife beredt machen, felbß ob ihre Ausfprache gefällig ilt,
d. h. ob fie von fchöner Zeichnung find, fcheint ziemlich nebenfächlich ihrer
Menge gegenüber. Es liegt das Beßreben zu Grunde die decorative
Wirkung zu verßärken, mit anderen Worten die Conßruction architektonifch
ausdrucksvoller zu machen. Dafs man folches durch die \ erntehrung des
Schmuckes zu erreichen fucht ßatt durch die wohlbedachte, kunßfinnige
Anordnung desfelben, das eben iß für den Rückgang des Stiles bezeichnend.
Der Umßand, dafs auch jede ornamentale Einzelbildung darnach trachtet,
fich in ihren natürlichen Eigenfchaften zu überbieten, wirkungsvoller zu
fein, als ihre Natur zuläfst, führt uns darauf über den Charakter der Blätter
und der Figuren an der ößlichen Kirchenhälfte noch einige Bemerkungen
zu machen. Selbß von den jüngeren Stücken abgefehen, iß ihr Charakter
nicht gleich. Meiß find die Blätter der Krabben, Confolen u. f. w. länglich,
fcharf und fpitz, dabei fchlaff, doch gefällig, nicht aber fo gebuckelt, als
feien fie bereits verdorrt. Daneben giebt es andere, die wegen ihrer knolligen
Form gar nicht zweifeln laßen, dafs fie nach welken Blättern gearbeitet
find. Im Allgemeinen kann man von einer geißreichen oder auch nur liebe-
vollen Behandlung nicht fprechen, vielmehr iß nicht feiten bei flüchtiger und
nachläfsiger Ausführung Schablonenhaftigkeit und Handwerksmäfsigkeit zu
bemerken. Man hat für die Linien fchönheit der Blätter keinen Sinn mehr.
Dem Mei ßer liegt hauptfächlich an der energischen Wirkung der Omament-
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DIE ST. MORITZKIRCHE. III
gruppen oder der flofflichen MafTe der Einzelform. Als Beifpiel folcher
(iruppen würden die freien, gleichgiltig wie geflalteten Statuen über den
Fenlfern in Verbindung mit der meid zu Harken Kreuzblume zwifchen ihnen
genannt werden können; als Beifpiel folcher Einzellormen genügt die Gehalt
einer Kreuzblume zu befchreiben. Ihr Bund ilt fad tellerförmig flach, ladet
unverhältnifsmäfsig weit aus und hat doch dabei eine plump unfchöne und
matte Zeichnung ; die Kreuzblumenblätter find mager, zerrilfen und dabei un-
förmig, der Mitteldiel endet kurz, indem er dadurch das vierfchrötige Aus-
rehen noch erhöht. Es id gewifs, in der gefammten Ornamentation pafst
eines zum anderen, aber alles leidet bereits an Uebertreibung. Letztere
findet lieh andererfeits auch da, wo es aut Zierlichkeit der Ornamentik an-
gekommen id. was fich namentlich an den Bruchdücken der Baldachine
noch fehen läfst.
Der figurale Schmu ck zeigt ähnliche Charakteridica; bei der Beurthei-
iungifl jedoch von anderen Gefichtspunkten auszugehen. Noch lediglich als
Architekturtheile lind die beiden Confolen über jedem Fender anzufehen, die
aufser zweien über dem Eidlichen F'ender des Mittelfchiffchores Köpfe
bilden, ferner fünf WafTerfpeier, die fich theilweife an den unverändert in
erfler Geflalt gebliebenen Strebepfeilern erhalten haben. Fis find Engel mit
Mufikindrumenten oder Giefsgefäfsen, (?) fie find alfo hier nicht als von der
Kirche überwundene und ihr diendbar gewordene Dämonen anzufehen;
folchen Sinn haben aber auch jene Confolenköpfe nicht, welche, fo viel man
bei der Höhe, in der fie fich befinden, erkennt, Heilige dardellen Pollen, denn
es finden fich hin und wieder kennzeichnende, wenn auch feiten erkennbare
Beigaben. Zwei Confolen, die beiden am Chor des nördlichen Seitenfchiffes
(hier hat ja nur eines der drei F'ender Confolen), laden fich bedimmt deuten:
Der weibliche Kopf rechts id der der Maria, und links id datt eines Kopfes
das ganze Chridkind gemeifselt. welches von realidifcher Körperbildung id
und in fprechend naturwahren Bewegungen fich abmüht, zu feiner Mutter
hin zu kriechen. Von den freidehenden Statuen, welche auf ihren Con-
folen dadurch gehalten werden, dafs ein eingemauerter Eifendab von der
Wand her durch jede hindurchgeht und vorn mit einem Splint verfehen id, und
welche etwa in dreiviertel Lebensgröfse ausgeführt find, haben fich nur fünf
erhalten. Vier davon, Apodel dardellend, flehen unten an den vier Strebe-
pfeilern des Mittelfchiffchores, die fünfte id der h. Moritz, der als Ritter
in voller Rüdung und mit einem Schilde über dem nördlichden Fender des
Mittelfchiffchores fleht und allein von allen diefen oberen Statuen übrig ge-
blieben id. Zu von Dreyhaupt’s Zeit hatte diefer h. Moritz noch ein Gegen-
flück auf der zweiten Confole desfelben F'eldes; To viel man aus von Drey-
haupt’s Zeichnung lieht, war es ebenfalls ein Ritter mit einem Schilde,
vielleicht der h. Alexander. Alle andern Statuen hier oben fehlten auch
damals fchon, fo dafs annehmbar id, es feien mehr als diefe beiden über-
haupt nie ausgeführt gewefen. Nicht fo wird es mit den Apodelfiguren
unten an den Strebepfeilern der Fall gewefen fein, von denen die noch
vorhandenen auf dem von Dreyhaupt’fchen Bilde durch eine an dem ödlichen
freien Chorpfeiler des nördlichen Seitenfchifles und durch je eine an den
Befchreibungund
Charakteriitik
dos figürlichen
Schmuckes,
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112
DIE STADT HALLE n. d. SAALKREIS.
Strebepfeilern, die das Portal flankiren, vermehrt find. Sie waren daher
anfänglich wohl vollzählig, d. h. 12 oder mit Chriflo 13; denn genau diefe
Zahl ergeben intereflanterweife die freien, mit Plätzen für Statuen verlehen
gewefenen Strebepfeiler bis zum Anfang des weltlichen Kirchenfchiffes alfo
bis zu der ehemals romanifchen Hälfte; aufser den vier noch jetzt befetzten
Plätzen am Mittelchor gab es zwei am Chor des Siidfchiffes. delTen Pfeiler
übrigens verbaut waren bez. fehlten, und lieben an der Nordfeite der Kirche.
Die vier Apollel find, wenn wir füdlich anfangen : Andreas, kenntlich an dem
fchrägen (Andreas-) Kreuz, das hier aus Eifen befteht und theilweife fchon
durchgeroftet ift; Bartholomäus, der in der Rechten ein eifemes Melier, in
der Linken ein Buch hält, fein Geficht ift recht hübfch. Der dritte hat ein langes
Schwert und in der Linken ein Buch; ein langer Bart fchmückt fein Geficht:
es wird Paulus fein. Der letzte ift Jacobus der Aeltere: er hat in der
Rechten den langen Pilgerftab, während die Linke ein Buch (?) mit einer
daranliegenden Mufchel (?) emporhält.
Die ftiliftifchen Eigenthümlichkeiten der Zeit find an allen diefen
figürlichen Sculpturen wie an denen des vegetabilen Ornaments, vielleicht
fogar noch ftärker und mehr in die Augen fallend ausgeprägt Die Statuen
find lange, fleifchlofe Figuren, deren Körperformen von den faltenreichen
Gewändern ganz verhüllt werden. Dennoch ift der Faltenwurf felblf
richtig tfnd gut geordnet unter „finnreicher Benutzung antiker Momente"
(Otte), fo dafs leidliche Statuen entftanden fein würden, wenn die Körper-
haltung nicht bis zur Uebertreibung deinem ftarr und eckig fteif wider
alle Natur wäre. Die Anatomie ift unbeachtet geblieben. Der Meifter dürfte
überhaupt eine ziemlich felbftändige Stellung unter den Bildhauern feiner
Zeit einnehmen ; nirgends tritt Manierirtheit aut. die an eine Schule erinnert,
es findet (ich auch die S -Linie nicht, jedenfalls nicht vorherrfchend. Die
Geflehter find vorzüglich charakterilirt und von trefflicher Arbeit, auszu-
nehmen ift die Statue des Jacobus major, die in allen Stücken un-
gefchickter ausfieht als die übrigen; fie ift vielleicht eines Schülers Mach-
werk. Auch die WalTerfpeier, als Engel dargeftellt, in diefer Zeit allo
bekleidete (Diaconentracht?) und geflügelte Jünglinge, zeigen, foviel man
erkennt, diefelbe eben befchriebene ftiliftifche Behandlung und ingleichen
die Confolenköpfe über den Fenltem. Sie find fehr realiftifch aufgefafst
dabei von dramatifcher Wirkung im Ausdruck; jedes Geficht offenbart den
feelifchen Zuftand fall in der Uebertreibung. Als Refultat aus diefen Be-
merkungen ergiebt fich : wie bei den pflanzlichen Details, fo herrfcht in den
figürlichen die Uebertreibung; aus ftatuarifcherRuhe ift Starrheit geworden
der Gefichtsausdruck verftärkt fich da, wo es auf das Pathos ankommt
(z. B. bei den Confolenköpfen . nicht aber bei den Apofteln) fall bis zur
Carricatur; wie dort, ja wie in der ganzen Architektur ift auch in den ein-
zelnen Figuren auf malerifche Wirkung hingearbeitet.
ner Weftihcii. Das Aeufsere der weftlichen Kirchenhälfte hat bei weitem
nicht die Beachtung des der örtlichen zu beanfpruchen. Man findet die un-
veränderte Fortfetzung des Syftemes im Orten mit WeglalTung der Zierrathe
oder auch, was fo ziemlich dasfelbe fagt, mit der Detailbildung der gegen
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DIE ST. MORITZKtRCHE. 113
ein Jahrhundert fpäteren Zeit. Es find im Ganzen vier Joche und die
Thurmpartie. Diefe kennzeichnet lieh im Grundrifs durch die Verdärkung
der Mauern nach aufsen gegen Korden und Süden, durch das rifalitartige
Vortreten des Mittelfchiffes im Wellen und durch die Harken Kreuzpfeiler
im Kircheninneren. Die Strebepfeiler find aufser durch die beiden
Rückfprünge über dem Kaffgefimfe gar nicht verziert. Im Norden bellehen
fie aus Quadern gleich der Wand zwifchen ihnen; im Süden hingegen, wo
fie durch den Kreuzgang verbaut waren, find fie wie auch die Mauer in
Bruchdeinen hergeflellt. Oben ill Ichon einmal von dem Pfeiler der Südfeite
gelprochen worden, welcher von einer Thür durchbrochen ift; dazu mufs
auch angegeben werden , dafs fich feitlich über diefer Oeffnung noch eine
zweite kleinere befindet, wohl zum Zweck der Verbindung der Dachräume
an der Nord- und Wellfeite der Claufur; oder lag hier über dem Kreuz-
gange der Kapitelfaal?
Die Fen (lerp r ofil ir ung Fig. 53 verglichen mit der im Ollen ill ungleich
einfacher und nüchterner, ingleichen die Maafswerksmullerung. Hier kommen
natürlich alle fpätgothifchen Elemente, Fifchblafen, alle möglichen Bogen-
formen, unglaubliche Curvaturen und Brechnungen als die kindifchen
Aeufserungen einer greifen Kunfl vor; dennoch kann man nicht fagen. dafs
Müder und Profile fchon den Grad des Verfalles erreicht hätten, welchen
die Domfender und die Hofman's, feien es die reparirten hier oder die der
F'g- 53-
auMo».
innen.
Fenfterprofil im Weftlhoilc.
Marktkirche, aufweifen. Im Süden reicht das Fenderlichten der ehemaligen
Anbauten wegen nicht fo tief wie im Norden herab. Man bemerkt jene
oben befprochenen, niedrigen, fenderfornugen Nifchen unter den Südfendern.
Wie alles Gemäuer hier, find fie in Bruchdeinen ausgeführt, verjüngen fich
nach der Tiefe zu ein wenig, find flachbogig überwölbt und gehören bedimmt
nicht mehr der romanifchen Zeit an.
Hierdurch wären wir fchon auf die Ausführung der Wände zu
fprechen gekommen. Dem, was über Material und Technik der nördlichen
und (udlichen Seite gefagt ill, braucht kaum hinzugefügt zu werden, dafs
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 8
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1 *4
DIE STADT HALTE u. d. SAALKREIS.
eine Wanddecoration wie im Orten fehlt; weder Blendmaafswerk , noch
Kreuzblume, noch Confolen mit Figuren find vorhanden, felbft das Haupt-
gefims, als matte Kehle gebildet, ift un verziert.
Die Th ü r der Nordfeite in diefem Wefttheile kann auch nur befchränktes
IntereHe erwecken. Ihr Gewände befteht aus einer Schräge mit Rundftäben
Hohlkehlen, Plättchen u. f. w., welche Glieder, auf einem etwas verzierten
Sockel rtehend, über dem Kämpfer (ich durchfchneiden, und in einen Efels-
rücken auslaufen. Das Gewände bleibt völlig in der Wand liegen und wird
auch durch kein Sims überdacht. Sein Schlufsftein ift für die Baugefchichte.
wie wir fahen, wichtig, weil er flach erhaben die Jahreszahl 1481 trägt, die
feither nicht beachtet wurde.
DieThurmpariie. Das T h u r m mau er w e r k befteht von unten auf aus Bruchfteinen und
ift wohl auch mit einigen Eckquadern verleiten. Nur ein grofses,
dreitheiliges Fenfter im vorfpringenden Mitteltheile der Weftfront an
Stelle eines Einganges, der der Oertlichkeit wegen lieh hier nicht anbringen
liefs, belebt diefe Partie. In. der unfehönen Weife feiner Entftehungszeit
durchgebildet und jetzt fall ganz vermauert verdient diefes Fenfter behindere
Beachtung nicht; dasfelbe gilt von den beiden Thüren hinter den Nifchen
gen Norden und Süden ; die nördliche geftattet der bewohnten Anbauten
wegen keine Unterfuchung und von der füdlichen ift nur die äufsere Ge-
wändelinie zu erkennen, lieber dem Mittelftück der W eftfront baut fich die
Glockenftube auf, das Ueberbleibfel des Thurmes von 1697, dem greisere
F'enfteröflhungen eingebrochen find. Ihre Bruchfteinmauern weichen durch
hellere Farbe und andere Ausführungsart fichtbar von den unteren, älteren
ab ; fie heben fich etwas aus dem Dache, welches fich hierher den Vorfprüngen
gemäfs abwalmt und auf feiner F'irftecke über der Glockenftube einen
wenig fchönen Dachreiter für die Schlagglocke trägt.
Diefe Befchreibung ergiebt, dafs die ganze wertliche Kirchenpartie mit
Einfchlufs des Thurmes nur einen langweiligen Eindruck machen kann, weil
die Sprache ihrer Bauformen fall ausdruckslos, jedenfalls ohne Wohlklang,
ja da, wo das Material aus Bruchfteinen befteht, fogar roh oder rauh gleich-
fam heiler ift. und man begreift, dafs dieler Eindruck noch weniger angenehm
fein wird durch den unmittelbaren Vergleich mit der fall allzu redefeligen
Oftpartie.
Um uns im Inneren der Kirche umzufchauen, durchfchreiten wir die
Die Vorhalle, füdöftlich angebaute Vorhalle. Ueber ihre Entftehungszeit haben wirkeine
Nachricht, und das wird begreiflich, wenn man erwägt, wie diefer Anbau
muthmaafslich entftanden ift, nämlich weniger von vorn herein geplant als
durch die veränderten Verhältnifle hervorgerufen. Um 1388 mufste das
Kloller einen anderen Eingang bekommen, weil der gothifche Kirchenbau
die Situation etwas veränderte. Im Südoflen trat der örtliche Flügel der
Claufur bis an die Kirche, hier aber fand der Eingang in das Kloller llatt
jetzt wie vordem. Wenn es nun richtig ift, was ich annehme, dafs die
Elifabethkapelle, die 1472 geweiht ift, bereits lange vorher vorhanden war.
fei es auch nur als irgend ein profanen Zwecken dienender Klofterraum —
hierauf fowie auf ein höheres Alter Ichliefse ich aus den verhältnifsmäfsig
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DTK ST. MORITZKIRCHK.
"5
Harken Mauern, aus der tieferen Lage des Fufsbodens, aus dem Mangel
fall jeder Kunflform und aus der nicht geplanten, fondern offenbar erfl 1472
eingebrochenen Thür — wenn alfo die Annahme eines höheren Alters
des Kapellenraumes richtig ifl, fo hatte lieh eigentlich die Vorhalle
fchon durch die nachmalige Kapelle im Süden, den Kreuzgang im Wellen
und die Kirche im Norden fo weit von felbfl gebildet, dafs ihr nur noch
die Oftwand fehlte. 'Nichts natürlicher, als dafs man dazu gleich den
öftlichllen, winkelrechten Strebepfeiler des SüdfchifFes benutzte, indem
man ihn verlängerte, und dafs man eine verbindende Mauer in die Lücke
fügte, welche auf folche Art zwifchen Oftwand und Kapelle entftand. Wenn
diefe Verbindung in einer zur Kapelle unorganifchen Weife gefchah, fo findet
das in Hinficht auf die Anlage eines zweiten Fenders für die Vorhalle mitten
unter ihrem mittleren Kreuzgewölbe wohl feine Erklärung. Den Formen
nach ift die Vorhalle durch diefe beiden Wände auch noch zur Zeit der
Erbauung der örtlichen Kirchenhälfte angelegt, mag das auch erft im
15. Jahrhundert gefchehen fein, als der Kirchenbau ziemlich fertig war
gewifs ift, dafs die Kunftformen noch ganz die Art derer am Chor zeigen
und das gilt namentlich von der in Quadern erbauten Oftwand mit ihrem
Portale. Wir fehen da als Belebung des oberen Wandftückes wieder eine
Blendarkatur, welche fich auch über den eigentlichen Strebepfeiler bis an
die Kirchenwand ausdehnt. Der Strebepfeiler, unten ganz in der Wand
verfchwindend, geht bis zum Kirchendache hinauf und wird über dem Pult-
dache der Vorhalle erft als Strebepfeiler kenntlich. Unten ift er, da die
Mauer der Wendeltreppe für den Kirchenboden ihn berührt, von einer Thür-
öflfnung durchbrochen, die jetzt den Treppenzugang abgiebt, während diefe
Treppe ehemals nur vom Kircheninneren betreten werden konnte. Freilich
ift das vermauerte Gewände diefer Innnenthür nicht gothifch, wenigftens
(lammt der grade Sturz fowohl der undeutlichen Buchffaben und Zahl-
zeichen (1722?) als auch feiner fchlichten Form und der Scharrirtechnik nach
aus der Barockzeit; das will jedoch nichts lägen gegenüber der Thatfache,
dafs die alten Wendelflufen an diefer jfhür beginnen und nicht an der,
welche jetzt von aufsen her den Zugang abgiebt. Dafs die Wendeltreppe
etwas mehr als halbkreisförmig aus der Kirchenwand tretend fich über der
Vorhalle bis zum Dach der Kirche hinaufzieht, unbekümmert darum, was
für ein Ausfehen die Wand auf diefe Weife erhalte, ift durchaus im Sinne
der Gothik. Letztere erachtet die Treppe nie wie nachmals die Renaiffance
einer architektonifch monumentalen Ausbildung für würdig, fondern fieht in
ihr nur das einmal nicht zu entbehrende Mittel der Verbindung von zwei
Räumen in verfchiedener Höhe. Der Gothik ift nicht eine abfolute Schönheit,
gleichgiltig, an welchem Objekte, fondern eine bedingte Zweck, eine auf
einem gewiffen Syftem beruhende. Zu diefem Syftem fleht aber eine Treppe,
die lediglich praktifchen Rückfichten zu dienen hat, nicht in Verbindung,
daher ihre unbequeme F'orm und ihre fichtbare Unzugehörigkeit zu dem
Gebäudefyftem.
Das fpitzbogige Portal der Vorhalle liegt am Austritt einer Freitreppe,
welche neuefter Zeit angehört und dem Ausfehen des Einganges nur Vor-
8*
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n6 I >! K STADT HALLE u- <1. SAALKKEIS.
theil bringt.' Die Thüröffnung wird durch einen Steinbalken in der Höhe
des Kämpfers rechtwinklig geftaltet, während oben ein Tympanon verbleibt,
das jetzt durch ein Fender gefchloft-en, vormals aber wrohl durch ein fteinemes
Hochbild mit Bezug auf das Klofter ausgefüllt gewefen ilt. Die Portalaus-
bildung gefchieht durch ein mäfsig profilirtes Gewände, zu deffen Seiten fich
je eine auf fchwachem Säulchen ruhende Confole befindet, beftimmt eine
Figur zu tragen. Diefe Confolen haben die Form eines kurzen, achtfeitigen
Prismas, und deffen Seiten find mit Maafswerk überzogen, fodafs die ganze
Confole über der ftützenden Säule im Kleinen einer Kanzel, wie die der
Marktkirche ift, nicht unähnlich fleht. Der Uebergang vom Säulchen zur Con-
fole wird durch zwei Wappen verdeckt, die in ftarkem Hochrelief ausgeführt
find, eine Verzierungsart. die fich auch an einer Anzahl von Capitälen der
Pfeilerdienfte im Innern vorfindet. Ueber bez. hinter jeder Confole ift für
die jetzt fehlenden Figuren eine lange Nifche und an deren Ende kragt ein
ornamentreicher Baldachin vor. von dem fich nur der unterfte Stein erhalten
hat. Der einfache Portalfpitzbogen wird oben von einem krabbenbefetzten
Simfe umlaumt und derartig abgedeckt, dafs fich wie bei den Kirchen-
fenftern eine FTelsrückenform bildet, die dann in einer halb vor der
Wand freiliegenden Kreuzblume endet. Der Giebel des Pultdaches ift bereits
ein Erzeugnifs der ausgebildeten Renaiffance. Er belicht aus geputztem
Backfteingemäuer und obwohl eraufser einigen horizontalen Gefimfen fchlicht
ift, erhält er doch durch die fehr bewegte, aber gut gezeichnete Giebellinie
ein nicht unintereffantes, malerifches Ausfehen.
Im 1 nneren der Vorhalle fallen die beiden grofsen Thüröffnungen der
Kirchenwand auf. Olearius fchreibt, dafs 1488 „die grofse Thür oder Ein-
gang in die Kirchen auff Seiten der Pfarrwohnung angelegt und erbauet“ fei.
eine Notiz, die auch Schubart bereits giebt und die fich am wahrfcheinlichllen
auf diefe beiden Thüren beziehen läfst. Denn aufserdem wäre es des
Singulars „Thür“ wegen noch möglich, fie auf das Portal der Vorhalle zu
beziehen , wodurch dann die letztere datirt fein würde. Wahrfcheinlicher
ift jene erfte Auslegung, weil, war? die Vorhalle erft nach der Herftellung
diefer gekuppelten Thüröffnungen entftanden, diefe Oeffnungen unterweilen
in das Freie geführt hätten; fie find nämlich nicht wohl fchliefsbar, da ihr
Gewände keinen Thüranfchlag hat und beiderfeits fo profilirt ift. dafs über-
haupt nur an einen leichten, lofen Verfchlufs etwa durch Teppiche, nicht
aber an einen feilen, wie er doch nöthig gewefen wäre, gedacht werden
kann. Da die Profilirung der Gewände diefer beiden Oeffnungen ungleich-
mäfsig ift, ja einzelne Rundftäbe plötzlich authören. fo fcheint überhaupt von
Anfang an geringe Sorgfalt bei der Herftellung beobachtet zu fein, was
fchwerlich gefchehen fein würde, wenn die Oeffnungen und Gewände gleich-
zeitig mit dem Mauerwerk entftanden und nicht erft nachträglich in fertigem
angelegt wären. So grofse und doppelfeitig profilirte Thüren konnte man
aber mit Rückficht auf eine vorhandene, überdachte Vorhalle ausführen,
welche dann nicht nur ein würdiges Veftibulum für das Klofter, fondern
auch lür die Kirche felbll und nach 1472 auch für die Elifabethkapelle ab- I
gab. Es mag erwähnt fein, dafs letztere durch einen alten Thürflügel aus
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niK ST. MOKITZKIKCHK.
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Eifenblech mit Rofetten, die ehemals wohl vergoldet waren, heute durch
Oelfarbenanflrich ganz unlcheinbar geworden lind, verfchlolTen wird; von
einigen» Intereire ilt die Schmiedeeifenarbeit indeffen doch noch. In der
jetzigen Gellalt mag. abgefehen von einem Relief und der Statue Chrifti,
die noch befprochen werden füllen, die Wellwand auch nicht von Anfang
an gewefen fein. Als Eingang in das Klofter Icheint die jetzt in das Ver-
fammlungszimmer führende Thür doch etwas gar zu unbedeutend; es ifl
nicht möglich gewefen Genaueres darüber zu ermitteln.1 Für die Vorhalle
war eine gewölbte Decke in Ausficht genommen und die Kämpferfchichten
auch fogleich mit angelegt , die Einwölbung jedoch unterblieb einllweilen.
Jene erden Wölbfchichten lind nämlich noch gut erkennbar, da fie einfach
flehen blieben, als nachher 1588 durch Ilofman (?) die Wölbung nicht ganz
in projectirter Weife gefchah. Diefe Jahreszahl lieht auf jedem der drei
Wappen an den Kreuzungspunkten der Diagonalrippen des dreitheiligen
Gewölbes. Das mittlere Wappen (teilt ein Schiff — die Arche? — dar, die
beiden anderen tragen Meifterzeichen in den Linien diefer Renaiffancezeit,
alles in Gold auf dunkelblauem Grunde; auch zwei Buchftaben finden lieh auf
jedem Schilde, wohl die Namensanfänge der Wappeninhaber, welche hier
nicht die Werk- oder Baumeiller. fondern die zu fein fcheinen, die für diefe
Einwölbung das Geld fpendeten. Wir werden theils denfelben , theils ähn-
lichen Wappen an einem Gemälde und an der Kanzel wieder begegnen,
alfo an Werken ganz verfchiedener Technik. Es fcheint, dafs fich eine
begüterte Familie derzeit durch folche Schenkungen hervorgethan hat.
Bevor noch die Befprechung der Vorhalle abgefchloffen wird, ifl ein
beachtenswerthes Kunllwerk zu befchreiben, welches zur Ausflattung des
Raumes gehört , aber wie das Gewölbe und der Giebel auf der Oflwand aus
der Blüthezeit derl Renaiffance datirt, ich meine die Thürflügel des Por-
tals der Vorhalle Fig. 54. Es liegt uns hier eine keineswegs üppige, aber aufser-
ordentlich tüchtige Tifchlerarbeit vom Jahre 1601 vor. erfunden und gemacht
durch denfelben trefflichen Meiller, der leider namentlich unbekannt geblieben
ifl. während wir mehrere feiner Werke, das ältere Thalhauszimmer, die Bräu-
tigamsllühle der Marktkirche und andere kennen. Man kann diefen Künlller
nicht genug bewundern weil er, in feinen Arbeiten nie feine Eigenart verleug-
nend, doch niemals fich felbfl copirt, fondern an neuen Gedanken unerlchöpflich
ifl. Man kann ihn nicht genug preifen, weil feine Werke, alle edel bis in das
Kleinfte, nicht angefchaut werden können ohne edler zu machen und uns
mit glühender Begeiflerung zu erfüllen für die Werke echter Kunfl. Der
Meiller hat durch drei Pilaller von römifch dorifcher Ordnung, die mit
einem reizvollen Bandmotiv gefüllt find, zwei Theile zur Bildung der Thürflügel
gefchaffen. Sie flehen auf einem zweitheiligen Sockel, der in beiden Theilen
ein wenig vorfpringt und fich auch um die Pilaller als deren Bafis kröpft.
Oben giebt den Flügeln das von den Pilaflern getragene Gebälk den Ab-
1 Aus dem, uas von Dreyhaupt I. 1085 fagt, (wo er übrigens den Chriftus an der Marter-
fäolc für ein ,, Aliserere-Iiild oder Ecct-Homo** ausgiebt) fcheint hervorzugehen, dafs das Ver«
faramlungszimmer die alle Sacriftei war.
Thürrtügel des
Vorhallen-
portales.
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Fic- 54*
Thiirßügcl des PoriaU der Vorhalle.
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HIF. ST. MOKITZK1KCHE. 1IQ
fchlufs. Sie lind in Rahmen und Füllung und zwar jede in zwei verfchieden
grofsen Theilen gearbeitet. Auf den Füllungen der beiden unteren kleineren
Theile fteht leicht eingefchnitten iboi mit S-törmigen Trennungszeichen
zwifchen den einzelnen Ziffern. Das Gebälk ill unverhältnifsmäfsig niedrig,
befteht aber trotzdem aus Architrav, Fries und Kranz. Man lieft in dem
durch blattgezierte Confolen viertheilig gewordenen Friefe, dass ein Dr. Bal-
thafar Brunner der Donator diefer Thür gewefen ift, und die Chronißen
fchrciben auch über die Gründe seiner Schenkung. Das Gebälk dient als
feiles Losholz, welches die beweglichen unteren Flügel von dem unbeweg-
lichen oberen Theile fcheidet und diefen trägt. Den unteren Flügeln ent-
fprechend ift auch der obere Theil durch Pilafter in zwei Hälften getheilt,
jede davon ill wieder in Rahmen und Füllung doch eintheilig gearbeitet
und dann durch ein erhabenes Wappen — wohl das Brunn er ’s und das
feiner Frau — gefchmückt. Die trennenden Pilafterchen haben eine hohe
gliederreiche Balis, die beiden feitlichen lind mit gut gezeichneten und
relielirten Blatt- und Blumenornamenten gefüllt, der mittlere aber, unter dem
Hälfe breit, verjüngt fich nach unten, wo metallförmig flaches Ornament ihn
überzieht, welches nach oben fich zu einer blattgefüllten und mufchelüber-
deckten Xifche umbildet, ßefchlagen ift die Thür äufserlich mit breitköpfigen,
tlachrunden Nägeln in fymmetrifcher Ordnung. Der Thürgriff, dieSchlüffel-
bleche und die Griffe mitten in den Füllungen der Flügel gehören wie das
Hauptftück des Befchlages, das ganz außerordentlich fchön und prachtvoll
verzierte Schlofs auf der Rückfeite der Thür, der Barockzeit an. Von
fo vorzüglicher Arbeit und Erfindung ift die fes Schlofs, dafs es als ein wahres
Mufterftück barocker Schlofferei gelten darf ; um fo auffälliger dabei ift, dafs es
unbedenklich aut die fonft ganz roh beladene Rück feite der Thür genagelt ift.
Es fcheint hier nicht unpaffend befonders im Interefle der Bauleute,
die Gedanken des Meifters diefer Thür während dem Acte der Erzeugung
des Kunftwerkes aufzufpüren, ihn gleichläm in feiner Geifteswerkftatt bei
küttlUerifchem Schaffen zu belaufchen, um zu erfahren, welche Regeln und
Kunftgriffe er bewufst oder unbewufst anwendet, damit die herrlichen Ver-
hältniffe denn in ihnen liegt der Grund des Gefallens — entliehen. Im vor-
liegenden Falle waren die llauptmaafse gegeben, die zu füllende 1 hür-
öffnung hat ein etwas fchlankeres Verhält nifs als das nach dem goldenen
Schnitte gebildete ausmachen würde. Darauf hat der Meiller in feiner
Eintheilung wohl Rücklicht genommen, indem er die Hauptcäfur durch das
Gebälk ein Wenig höher legt, als wohin bei genauen Nachmeffen die Theilungs-
linie des goldenen Schnittes lallt ; diefe liegt nämlich gerade in der Architrav-
oberkante. Durch die Simfe, Pilafter u. f. w.. welche die Unterfchiede aus-
gleichen, fteht aber von nun an alles im Verhältniffe des goldenen Schnittes
oder in einem folchen, das durch fernere Anwendung derfelben Theilungsregel
als Unterabtheilung fich ergiebt und wohl dem Auge weniger aber dem Ver-
llande fafslichift. So fteht genau im goldenen Schnitt die Höhe zur Breite
des ganzen oberen d. h. über dem Gebälk gelegenen Stückes : genau in dem
nächllen complicirteren Verhältniffe (Höhe: Unterfchied der Breite und
Höhe = Unterfcbied der Breite und Höhe: Breite) fteht jederThürflügelzwifchen
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Das Kirchen-
innerc:
Vcrhältniffe des
O fitheiles.
&
Befchrcibungde»
Ofttheiles.
120 DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
den drei Pilaftem , und fo kann man an diefer Thür vielleicht bis in das Kleinfte
weiter theilen; wir begnügen uns nur noch die Sockel, die Füllungen und
unteren Pfeiler zu nennen. Befieht man den oberen Theil der Thür, fo ent-
geht nicht, dafs der Meifter bei feinem Entwurf durch eine hohe Balis der
Pilafter, ebenfo dadurch, dafs der Rahmen für die Füllung unten, alfo dicht
über dem weit auskragenden Simfe, bedeutend breiter als oben ift, Rücklicht
auf das Ausfehen in der Wirklichkeit genomn.en hat, wo hinter der weit vor-
tretenden Sima ein gutes Stück der Höhe für das Auge verf«hwindet.
Warum andererfeits der Rahmen zwifchen dem Sockel und den unterften
Füllungen mit der Jahreszahl fchmäler ilf als fonft, dafür weifs ich keinen
anderen Grund anzugeben, als dafs es mir fo gelallt und der Meifter hat
vielleicht keinen anderen gehabt für diefen wie für alle übrigen Fülle und das
eben wäre meifterlich.
Hiernach treten wir in das Kircheninnere F'ig. 55, wo natürlich derfelbe
Unterfchied wie im Aeufseren zwifchen Oft- undWefthälfte fogleich auffällt;
fogar die gerade auf der Scheidung belegenen Pfeiler nehmen an diefem
Unterfchiede dergeftalt Theil, dafs fie gen Often das Ausfehen der örtlichen,
gen Werten das der weltlichen haben. Es ift nach einem beftimmten Plane
und unter einheitlicher Leitung nur die Ofthälfte ausgeführt, die Herftellung
der weltlichen gefchah „theilweife“, wie wir wiften, und der langen Bauzeit
wegen wohl unter mehreren Meiftern; mithin können, wenn zunächft die
Raumverhältniffe unterfucht werden füllen, als beachtenswerth nur die des
Ofttheiles in Betracht kommen. Beltimmend für folche find hauptfächlirh
die beiden Pfeilerreihen, deren Stellung den ganzen Raum in feine drei
Schiffe zerlegt. Wenn die kleinen Ungenauigkeiten abgerechnet werden,
fo hat das Mittelfchiff die doppelte Breite jedes Seitenfchiffes im Lichten
d. h. ausfchliefslich der Pfeilerftärke , bei welcher wiederum die Dienlto ab-
gerechnet find. Eine Jochlänge d. h. die Entfernung von Mitte zu Mitte
eines Pfeilers in der Richtung von Often nach Werten ilt der Seitenfchitl-
breite gleich. Die lichte Breite der ganzen Kirche gleicht genau der Ent-
fernung von der örtlichen Mauer der Nebenapliden bis zur Mitte der Pfeiler,
die gerade auf der Scheidelinie der örtlichen und weltlichen Kirchenhälfte
ftehen; der 1388 gebaute Theil bildet alfo ohne die Apfis des Mittelfchiffes
ein Quadrat. Ueber die Höhenverhältnifife läfst fich Beftimnnes nicht an-
geben, weil das Gewölbe, wie wir unten feilen werden, erft in viel fpäterer
Zeit und nicht in der von dem Meifter 1388 projectirten Weife zur Aus-
führung gekommen ift. Nach dem Platze di r Kämpfer zu fchliefsen fcheint
ungefähr die doppelte Breite des Mittelfchiffes für den Gewölbefcheitel des
Mittelfchiffes angenommen gewefen zu fein; indeffen ift es keineswegs aus.
gemacht, dafs die Höhe nicht auch völlig gleich der Breite und Länge des
Baues hat fein follen , auf welche Weife dann ein Cubus entftanden fein
würde, der von fo einfachen und glücklichen Verhältniflen ift. dafs man fich
feiner an den namhaften Beifpielen antiker Kunft z. B. am Pantheon zu
Rom in ähnlicher Weife bedient hat.
Die Mauer der erhöhten Chorpartie ift im Mittelfchiff durch eine nifchen-
förmige Arkatur rings bis zur F’enfterfchräge gefchmückt. Eben diele
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55'
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DIE ST. MORITZKIRCHE. 12 I
Blendarkade, lieh gleich fam zu den Pforten eines Blendfenfters ausbildend,
belebt auch die gegen das Mittel fchiff gerichteten Seiten der Wände zwifchen
den drei Apliden. Hier fällt auf, dafs nördlich und füdlich das erfte Bogen-
feld breiter als die folgenden ift; dann ift auch die Ausbildung einer maafs-
werksmäfsigen Bekrönung über dem Sims in Höhe der Fenllerfchräge füd-
lich magerer und weniger flüfsig als die der gegenüberliegenden. Aufmerkfam
zu machen ift auch auf den Efelsrücken mit in Boflen liehen gebliebenen
Krabben, der fich oben im Mittelfelde diefer Nordwand befindet und wohl
das Gemälde eines Heiligen (Moritz?) überdacht haben wird. Während diefe
Trennungswand gegen die nördliche Apfis ein tiefes Blendfenller, oder, wenn
man die Eckpfeiler zwifchen grofser und kleiner Apfis hinzurechnet, deren
zwei ausfpart, ift fie gegen die füdliche voll und fchlicht. Aufser den
llatuarifchen Arbeiten, die noch zu befprechen find, und dem fpäter ein-
gebrochenen Eingänge läfst fich über die Nordapfis nichts Tagen. Vor der
Tödlichen in der Wand des erften Joches ift die genannte, vermauerte
Treppenthurmthür bemerkbar, über der in grader Richtung man ein fpitz-
bogiges Fenfterchen findet zu einem Einblicke von der Treppe aus in die
Kirche.
Ander Bildung der Pfeiler, befonders an dem intereflanten Grundrifse
derfelben. fpiegelnfich wiederum recht deutlich ab dieUenkweife jener Zeit
und die Verhältnifse, unter denen fie hierorts entftanden find. Wohl liebten
die begüterten Klofterinfaften , die nur für fich zu forgen brauchten, die
Pracht, doch hatten auch die Kirchenvorfteher aus der Moritzgemeinde bei
dem Baue mitzufprechen, und da diefe als Bürger einer Handelsftadt vor-
nehmlich von praktifcher Sinnesart waren, fo gewann auch diefer Bau ein
von Nützlichkeitsrückfichten beeinflufstes Ausfehen, indem lichtbarlich mehr
auf eine klare, denn auf eine durch feine Abftimmung reizvolle Wirkung
der Formen Werth gelegt ift. Solcher Sinnesart verdankt das Hallenkirchen-
fchema überhaupt feine Entftehung, und bei der Moritzkirche haben wir
fchon fowohl am Aeufseren, als auch an den inneren Raumverhältniffen
darauf hinzuweifen Gelegenheit genommen. Auch die Pfeiler an fich find
geeignet, dadurch dafs fie; alle einzeln bis zum Gewölbe Ichlank aufgehen
und drei fall gleich hohe Schiffe bilden, die klare Ueberlichtlichkeit überdie
ganze Anlage zu vermehren. Indem diefe Klarheit gewinnt, kann natürlich von
jenen eigenthümlichen, malerifch wirkungsvollen Eicht und Luftperfpectiven
nicht viel mehr übrig bleiben, welche an den grofsen Kathedralen aufsen
und innen das Auge beftricken und hervorgerufen werden durch die
Höhenunterfchiede in den Schiffen, durch die Pfeilerunterbrechungen und
Gruppirungen, kurz durch die fo entftehende, ganz andere Beleuchtung. Das
Schiff der Moritzkirche ilt durchweg gleichmäfsig erhellt, überall geht der
Blick bis hoch zum Gewölbe auf ohne Unterbrechung durch reizende Licht-
und Schattenintervalle, und er richtet fich unwillkürlich auf den Ort der
Kirche, der durch gröfsere Lichtfülle als der vomehmfte ausgezeichnet ift.
auf den Chor. Gleichfam inftinctiv verftand der Meilter diefe BedürfnilTe feiner
Bauherren; feine Pfeilerform zeigt eine gewilfe Pracht zugleich mit dem
Streben nach verftändiger, wenn auch nicht eben reizender Anordnung
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122 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Der Grundrifs gleicht durch die vorgelegten Dien de einem zur Längs-
achfe der Kirche übereck gedeihen Quadrate, welche Gedalt lieh
dadurch gebildet hat, dafs einem quadratifchen Pfeiler die Ecken hohlkehlen-
förmig gebrochen und jene Diende feinen Seiten mitten vorgelegt worden
lind. Diefer Grundrifs ilt eigenartig, denn er weicht durchaus von dem
gewöhnlichen ab, der fich aus dem Rundpfeiler gebildet hat und fich durch
alte und junge Diende in vielerlei Profilirung zwilchen tiefen Hohlkehlen
kennzeichnet. Er id dabei durchaus richtig in Bezug auf das Gewölbe,
dem er dienen Tollte. Er trag, ferner durchaus das Gepräge feiner Zeit,
wie die vier langweiligen und fogar finnwidrigen Hohlkehlen auf den Ecken
darthun, und endlich id er durchaus klar und verdandesmäfsig, da kein
Plättchen, Kehlchen oder Stäbchen an ihm id, welches der nüchterne Ver-
band für die Thätigkeit der einzelnen Theile (Diende, Hohlkehlen; entbehrlich
halten könnte; die rechnenden Kirchen(dief) väter (vitritl) hätten dt-mMeifter
keinen Pfennig für ein folches etwa überdülsiges Gliedchen bewilligt.' Der
Pfeiler von fo überfichtlichem und doch recht ausgebildetem Grundrifse hat
einen zweitheiligen Sockel; Diende und Kehlen haben befondere, noch
mehrfach getheilte und in andere Formen kridallinifcher Art fich umfetzende
Sockel. Ein wagerecht umlaufendes Sims fcheidet den lebhaften Fufs vom
Schafte des Pfeilers, welcher in grader Linie bis zum Gewölbe hinaufgeht
und selbd hier nur die zur Gewölbeaufnahme bedimmten Diende gegen
Norden und Süden mit einem Capitäle verlieht, während die Arkaden-
Dienste mit allen Hohlkehlen fich ununterbrochen bis in den Scheitel der
Arkadenbögen fortfetzen und durch diefe Capitällofigkeit ein Zeichen für
den Stilniedergang liefern. Den Pfeilerdienden gegen die Seitenfchiffe zu
entfprechen gleichartige Wandfiiulen , einzeln an der breiten Wand hoch-
gehend ; natürlich gehen auch in den dumpfen Winkeln der Apfiden Säulen
empor theils einfache theils doppelte und fogar dreifach gegliederte. Der
Capitälfclimuck aller diefer Gewölbeträger bedeht aus Ptlanzenwerk oder
bildet fich durch verfchiedene Wappen (unter denen auch das der Stadt lieh
befindet,) ohne pflanzliche Zuthat fo, wie an den Confolen der Yor-
hallenthür. Die lJlätterkapitäle find um diefe Zeit freilich nicht mehr
gut gezeichnet, fondern wie die pflanzlichen Zierrathe am Aeusferen
kräftig und im Allgemeinen wohl etwas plump. Sehr unterhöhlt und frei-
liegend bilden die Blätter aus der Ferne gefehen meid ein Gewirr. Eine
Entwicklung aus dem Stamme fcheint übrigens immer dattzuhaben und
nicht durch jene Weife der nur angehefteten Zweige mit abgefchnittenen
Stielen ersetzt zu werden.
Nicht erklärbare Unregelmäfsigkeiten kommen auch an den Pfeilern
vor, fo verfchiedene Höhen der Sockel, verfchiedene Sockelprofile und dergl.
Hinzukommt, was alles die Zeit zerdört hat. und da ist nicht ein einziger
1 Das Plättchen mitten an den Dienften der Arkadcnhögen könnte man freilich für über-
lliifsig erklären; cs Toll (liefen Dienften jedoch ein ßirnenprotil geben, eine Form, die den
Meifter noch nicht geläufig ift — wir finden fie fonft nie — und durch deren plumpe Ausbildung
hier fo recht der Verfallsanfang fich zu erkennen giebt.
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DIE sr. MORITZKIKCIIE. 123
Pfeiler unberührt geblieben. Die Sockel der Dienfte find weggefchlagen,
und die Sockelgellalt ift aufserdem noch verändert, die Dienfte bis zu
einer Höhe von einigen Metern über dem Sockelfims find ebenfalls abge-
meifselt und hier auf ganz formlofe Confolen gefetzt, (in Fig. 55 erkennbar)
eine Veränderung die der Confolenbildung nach warscheinlich 1782, wer
tveifs aus welchem Grunde, vorgenommen ift.
Bevor wir uns zur Beschreibung des Wefttheiles der Kirche wenden,
fei noch einmal auf die Südwand unsere Aufmerk famkeit gelenkt, welche
bei genauer MelTung gegen die Pfeilerreihe eine Divergenz ergiebt und
zwar fo, dafs ein unschöner Rückfprung in der Wand (auch auf unferer
Grundrifszeichnung Fig. 42 zu feheni hat gemacht werden miilTen, als man
den Wefttheil anbaute. Dafs diefe abweichende Mauerrichtung wahr-
scheinlich eine Folge der klöfterlichen Anbauten ift, haben wir oben bereits
erwähnt, aber man hat auch fichtbarlich aut die Ausführung des hier
fenfterlofen Bruchfteinmauerwerks fo wenig Accurateffe verwendet . dafs fie
nicht in einem Fortgange gefchehen zu fein fcheint, und darin bellätigt
das öftlichfteF'enfter, welches an diefer Seite noch in der Kirchenhälfte
von 1 388 liegt. Es hat nämlich nicht das Gewändeprofil diefer Zeit, fondern
der F'enfter im Wefttheile. Das noch aus dem 14. Jahrhundert dämmende
kennzeichnet fieh durch einen Rundftab, der auch, wo eine Erneuerung
ftattgefunden hat , fehlt (vergl. F'ig. 52 und 53) z. B. an den Fenftern der
Nordfeite, welche in der örtlichen Kirchenhälfte liegen und von Hotman
reilaurirt worden find. Da hier nur das Maafswerk wiederhergeftellt wurde«
fo hat der Reftaurator die Gewände belafTen, an denen fich denn auch
der Rundftab genau bis auf die Höhe findet, von welcher aus neue
Steine eingefugt worden find.
In der weftlichen Kirchenhälfte unterbrechen nur die Fenfter die Wefttheil.
ganz fchlichten Wände, deren (udlichc in ihrem unteren Theile wegen der
kurzen, hochliegenden Fenfter zu einer grofsen. leeren Fläche wird. Die
Pfeiler find von fchlicht achtfeitigem Grundrifse und flehen auf eben-
folchem Sockel, mit dem fie ein Rundftab über einer Schräge verbindet.
Sie gehen ohne jede Vermittlung in das Gewölbe hinein. Es find einige
Unregelmäfsigkeiten auch hier nicht wohl zu erklären; zunächst die, dafs
das welllichfte Fenfter der Nordfeite bedeutend fchmäler ift als die anderen.
Möglich, dafs dies aus Stabilitätsgründen inBezug auf den Thurm ge-
fchehen ift; denn auch das Joch, welches hier am Thurme liegt, ift breiter
als die übrigen. Die Unregelmäfsigkeiten in der Stellung der F'enfter-
pfeiler fammt ihren Strebepfeilern an der Südfeite zu den Innenpfeilern
können nicht wohl nur als Verfehen erachtet werden, lallen fich aber auch
nicht erklären, (Vergleiche den Grundrifs F'ig. 42.)
U nter den Thürmen find die kreuzförmigen Pfeiler wegen der ungleichen
Stärke der Mauern, die fie tragen, auch nicht von gleicher Armftärke.
Die Thurmwände find nur durch das weltliche, vermauerte Fenfter, die
Xifehen gegen Norden und Süden und die Halbpfeiler, die den kreuzförmigen
entfprechen, unterbrochen. In der Südweftecke tritt noch die im Mauerwerk
ausgefparte Wendeltreppe nach den oberen ThurmgefchofTen ein wenig
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKKK1S.
in die Hcke des Kirchenraumes vor. Ueber dem Gefimfe, welches fich
oberhalb der Thür zur Treppe ebfindet und tür den fpätgothifchen Stil wegen
feiner langweiligen l lohlkehlenwiederholung recht charakteriftifch ift.'liegt eine
vermauerte Thür, die ehemals auf die hier befindliche Empore gefühn
haben mufs. Noch lieht man die confolartigen Steine aus der Weftwand
hervorkragen, die zur Stütze der Empore gedient haben. Die jetzig«
hölzerne Orgelempore hier liegt vielleicht etwas höher; unter ihr ift der
Raum theilweife zu zweiftöckigen Stübchen ohne jede Bedeutung ausgebaut
Von dem Fufsboden der Kirche, der am Chor aus Sandfteinplatten,
übrigens aus Backiteinpflaflerung in Müllern befteht, läfst fich nur Tagen,
dafs er neu ift und dafs von dem urfprünglichen fich nichts erhalten hat.
Die Kemalung. Ueber die innere Ausmalung fei erwähnt, dafs aus gothifcher Zeit
an den Wänden und Pfeilern mit Sicherheit keine Spur mehr nachweislich
ift. An der Arkatur unter den Fenftern im Chor fleht man geringe Relle
von dunkelrother oder rothbrauner Quaderung mit fchwarzen etwa t ■
breiten Eugen direct auf den Sandßein gemalt, eine Färbung, die fehr
wohl in den gothifchen Stil paffen würde. Unter der Tünche fpäterer Jahre
mag noch manches E'arbenftück an den Wänden und Pfeilern befonders
aber an den fculptirten Theilen z. B. den Capitälen und Confolen der Oft-
hällte vorhanden fein; das fcheint gewifs, da nicht angenommen werden
kann, dafs der aufsen gefärbte Bau nicht auch anfangs in feinem Inneren
und zwar durchweg im frifcheften E'arbenglanze geftrahlt habe. Die nach-
folgenden Jahrhunderte haben dann viel übermalt und ihre Malereien lind
von den darauf gekommenen wieder übertüncht worden. Spuren barocker
Malerei an den Thurmpfeilern gehören etwa lebensgroßen Figuren in
bew-egtefter Stellung an. An den Pfeiler, welcher der Kanzel gegenüber
liegt, ift Luthers Wappen — Rofe, Herz, Kreuz — angemalt und mehrere
Meter darüber das ftrahlenumgebene Dreieck, welches die Trinität bedeutet.
Ueber der Statue des h. Moritz am zweiten freien E'elde der tödlichen Reihe
von Ollen her fcheint eine barocke (?) Jahreszahl (1788?) durch die Tünche
hindurch, jedoch zu undeutlich um ftcher lesbar zu fein!
Das Gewölbe. Das Gewölbe der Kirche zu befchreiben, ift zu einem befonderen Ab-
fchnitte bis jetzt hinausgefchoben worden, weil es mit den beiden Kirchenhältten
nicht gleichzeitig, fondern. wie nachgewiefen wurde, in und nach dem Jahre
1510 und wohl ganz unter eines Meillers Leitung gemacht worden ift, und weil
fein Auslehen noch zu einer Unterfuchung Anlafsgiebt. Letztere ift die, wie
es kommt, dafs im örtlichen Theile über den Capitälen vom Jahre 1388 ein
Zwifchenraum von etw'a 1 " Höhe bis zu dem Rippenantange liegt. (S. E’ig. 55-1
Die Rippen felbft gehen durch eine Brechung an diefer Anlangsllelle
plötzlich in die Wand über, würden aber, wenn fie ihre Bogenlinie nicht
abbrächen, fondern regelrecht weiter hinab verlängerten, fich richtig auf die
Capitäle auffetzen. Diefer Zwifchenraum ift durch die Verlängerung des
Dienftes oberhalb feines Capitäles in einer roh behauenen oder vielmehr
zerhauenen Form ausgefullt, und folche Bearbeitung dehnt fich auch nicht
feiten auf die nachbarlichen Wandtheile aus. Eine Erklärung diefer an faß
lalen Stellen durchgeführten Weife, ausgenommen find die Stücke in dem
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DIE ST. MORITZKIRCHE. 125
in der Wölbung’ bevorzugten nördlichen Seitenfchiffe, Icheint nur möglich
dadurch, dafs wir uns den Gang der Bauarbeiten bei mittelalterlichen Kirchen
vergegenwärtigen. Wenn man die Umfaflungsmauern und Pfeiler
emporgeführt hatte, war, um Gottesdiendj abhalten zu können, die fo-
fortige Einwölbung nicht unbedingt nöthig, es reichte hin, wenn anden Pfeilern
durch ausgekragte Stücke für die fich aus einander löfenden Rippen und
Gurten auf ein Gewölbe Bedacht genommen war, während einltweilen die
Pfeiler und ihre Arkadenbögen zu einer Dachbalkenunterdützung dienten.
Nun war die Einwölbung immerhin auch nicht billig und der Säckel nach
Herftellung des Baues bis zur Benutzung meid nicht mehr gerade voll, fodafs
dann das Wölben verfchoben wurde. Wenn nun endlich an die Einwölbug
gedacht wrden konnte, lebte der alte erde Meift er nicht mehr und fein
Nachfolger begnügte fich nicht, das in den erden Wölbfchichten vor-
gezeichnete Sy dem im Sinne feines Vorgängers auszuführen, fondern er
wich nach eigenem Belieben d. h. nach dem Gefchmacke feiner fpäteren Zeit
davon ab und erfand eine neue Wölbweife. Entweder vermittelte er dann
die Verfchiedenartigkeit, wenn folche nicht zu grofs war, durch allmähliges
Ineinanderführen der alten und der eigenen Profile — dazu haben wir in
der Ulrichskirche ein Beifpiel — oder er kümmerte fich gar nicht um die
vorhandenen Schichten und fchlug, wenn er das Gewölbe nach feinen Angaben
fertig gedeih hatte, die nunmehr unpaffenden Schichten weg. Das gefchah
in der Moritzkirche. Hätte der Meider es nicht fo gemacht, fo mufste
er die erden Wölblteine entweder wieder wegnehmen, was aus condructiven
Gründen bezüglich der Dachunterdützung mit Schwierigkeiten verknüpft
war. oder aber er hätte diefe Steine im Sinne des ausgeführten Gewölbes
umarbeiten müden, was vielleicht das gegebene Profil nicht erlaubte oder
was auch zu umdändlich war. jedenfalls fchien diefer Zeit die Rohheit des
Ausfehens und die Unnatürlichkeit, das Alte einfach zu befeitigen, wenig
andöfsig. Nur im nördlichen Seitenfchiffe hat man allerdings fich die Mühe
gemacht die Rippen bis auf die Capitäle herab zu führen, weil diefer Partie
eine bedere Ausbildung zu Theil werden Tollte. In den Seitenfchiffen des
ödlichen Theiles id das Rippenmuder überhaupt in einer Weife hergedellt,
die der nicht allzu fern liegt, welche anfänglich projectirt fein mochte.
Wie verhält es fich nun aber im Weden? Man mauerte die acht-
feitigen Pfeilerprismen hoch und verband fie in Höhe der ödlichen durch
Arkadenbögen unter einander ebenfalls zur Dachbalkenunterdützung, allein
man liefs, da die rückfichtslofe Pfeilerform hier keineswegs an ein bedimmtes
Rippenfchema gebunden war, vielleicht Kämpferdeine, aber nicht die eines
angenommenen Gewölbes, dehen, fo dafs dem fpäteren Meider eine ziemliche
Freiheit für feine Wölbung blieb. Diefer fpäten Zeit war ein lichtbarer Ar-
kadenbogen — er id nämlich über der Gewölbekappe vorhanden — wie im
ödlichen Theile, wo er wegen der unverrückbaren alten Kämpfer nicht zu
verdecken war. nicht mehr fympathifch. Sie liebte es, das Gewölbe wie ein
ungeteiltes Netz über den ganzen Raum weg zu fpannen, und das wurde
denn auch der Anlafs zu der Verfchiedenheit des Rippenmuders und der
Höhenlage beider Gewölbetheile. Es liegt nämlich das Gewölbe der wedlichen
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IZÖ
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
Hälfte um etwa 1,0" niedriger als das der örtlichen ; wo beide Theile zufammen-
treffen ift ein Gurtbogen in Höhe des unteren angeordnet, der mit einer Auf-
mauerung bis zum oberen hinaufreicht und lo die Lücken auslullt. Dafs dafs
Gewölbe in einem äfthetifchen d. h. conftructiv fichtbaren Zufammenhange mit
den übrigen ßauthcilen ftehen müfTe, daran dachte man längft nicht mehr: wie
keine Arkaopnbögen mehr nöthigwaren, fo konnte man auch eine Scheidung
der conftructiven Theile in Gurte und Rippen entbehren. Das Ganze erfcheint
wie in der Marktkirche mehr oder minder wie ein Tonnengewölbe mit Stich-
kappen, dem die Rippen, zu einem Mufter geordnet, als Belebung dienen. Und
das bezieht fich auf beide Kirchentheile. Im örtlichen kommtes dann vor.
dafs die Rippen fich auch einmal gänzlich von den Kappen löfen und frei
durch die Luft gehende Stützen bilden, ja noch mehr, man treibt die Con-
ftructionsfpielerei fo weit, dafs man die Rippen gleich Ranken fich verfchüngen
und fich zu einem wunderbaren, lang herabhängenden Schlufsfteine formiren
läfst. Das weltliche Gewölbe macht durch die capitällofen Pfeiler, aus denen
nun die Rippen mit den Kappen fich ganz unvermittelt entwickeln . einen
noch weniger erfreulichen Eindruck als das örtliche; auch beginnen die
Rippen hier nicht einmal immer in einem und demfelbcn Punkte, fondem
überfchneiden fich, indem fie einen Zwifchenraum zwilchen ihren Anfangs-
punkten lallen. Unter den Thürmen hat der Meifter feiner Luft am Er-
finden abfonderlicher Rippenmufter die Zügel vollens fchiefsen laden. Im
Südthurme bildet er einen Stern, deften fich kreuzende Mittelrippen die
halbe Länge der kürzeren Seite des oblongen Grundriftes haben, im nörd-
lichen haben fie die der längeren Seite. Namentlich der Raum zwilchen
beiden Thürmen zeigt ein Mufter von gefuchtefter. aber regelrechter An-
ordnung. Wir müden dem Lefer die complicirte Regel für diefelbe aufzu-
finden überladen.
Aufser der HofmanTchen Renovation find auch fchon die Unregel-
mäßigkeiten im weltlichen Theile des füdlichen Nebenfchiffes befprochen
worden, aber es giebt deren noch mehr; fo ift die Apfis diefes Schiffes viel
einfacher gewölbt, als die im nördlichen Seitenfchifte. An den Rippen irt
häufig eine recht auffällige Brechung in der Nähe der Kämpfer zu fehen.
die mit Fleifs ausgebildet ift. Sie fcheint zu bewerten , dafs es hier ausge-
kragte Kümpferfteine gab. zu denen dann die Rippe bei der thatfächlichen
Einwölbung nicht recht paden wollte, fodafs ein derartiger Compromifs ge-
fchloden werden mußte. Die Rippen tragen auf ihren Kreuzpunkten im
Gewölbefcheltel als Schluslleine verfchiedentlich Rofetten oder Wappen, fo
aufser jenem Rundtheile mit der Jahreszahl 1510 noch einige andere über
dem Altäre, ebenfo findet fich eine Anzahl in den letzten Jochen amThurme.
Wahrfcheinlich gab es aber deren noch viele andere, die dann bei den Re-
novationen. namentlich bei der Uofman's, verloren gingen; fie fehlen gerade-
fo weit, wie diefer Meifter von feinem Gerüft hat reichen können. Könnte
man die vorhandenen von der Tünche reinigen und einer Berichtigung aus
der Nähe unterziehen, fo, glaube ich, würden fich an ihnen über den
Meifter oder über die Zeit der Vollendung des Gewölbes Angaben vor-
finden.
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DIR ST. MOR1TZKIRCHK.
«27
Intereflant zu erfahren wird es fein, dafs auch das Gewölbe Spuren von
Malerei bewahrt hat. Diefelben finden fich über dem Hauptchore etwas
nördlich und würden fich kaum als ehemaliger Schmuck erkennen lalfen,
wenn fich nicht befTer erkennbare und gröfsere Relle von genau derfelben
Art der Bema'ung an Gewölbefeldern in der Ulrichskirche erhalten hätten.
(Siehe weiter uuten im Abfchnitt über die St Ulrichskirche.) Das Orna-
ment ifl einfach in Schwarz auf den hellgelblich grauen Putz gemalt
und befiehl in unregelmäfsigen graden und geflammten Strahlen, die
von einem Kreuzpunkte der Rippen ausgehen, welche eine fall weifse Farbe
gehabt zu haben fcheinen. Wenn man fich das ganze Gewölbe derartig
ausftaffiert denkt, fomufses einen fall unheimlichen Eindruck, der allerdings
nach fpät mittelalterlichem Gefchmacke war, gemacht haben.
Fall in Widerfpruch damit lieht, was man diefer Zeit in coloriftifcher
Hinficht da geleiftet hat, wo es darauf angekommen zu fein fcheint, nämlich
bei der Ausfchmückung des Gewölbes über dem Chor des nördlichen
Seiten fchi ffes. Hier fehen wir auf den Verknüpfungspunkten der Rippen
Wappen angebracht, wahrfcheinlich die der hauptfachlichften Geldfpender,
und inmitten als der Centralpunkt ift Chrillus zu fchauen in halber Figur
mit der kreuzbekrönten Weltkugel in der Hand. Alle diefe Stücke find
kunllreich ausgemeisfelt und völlig polychromirt. Völlig erhalten in ihren
ehemaligen Formen und in all ihrer Gold- und Farbenpracht, bilden fie zu-
fammen ein gar kollbares Mufterftück fpätmittelalterlicher Decoration. Leider
dem Auge etwas zu weit gerückt, um noch gut zu allen Theilen erkennbar
zu fein, ift eine Detailbefchreibung nicht möglich.
Das Kircheninnere nunmehr verlaflend, begeben wir uns auf den
Kirchenboden. Man lieht zwei verfchiedene Syfteme des Gefpärres getrennt Der Kirchcn-
nach den beiden Theilen der Kirche. Das örtliche ift augenscheinlich das boden.
jüngere und (lammt wohl aus einer der Hauptreparaturen, fei es nun von
1612 oder 1758-1776. Aufser dem rein conftructiven Interefle, welches der
Verband des Sparrenwerkes folcher rieligen Dächer fall immer beanfpruchcn
kann, bietet fich fonft nichts Bemerkens werthes hier. Die Deckung der
Heilen und coloflalen Dachflächen ift in Schiefer hergeftellt und zwar feit
Alters her in deutfeher Art.
Westlich in der Glockenftube hängen zwei Glocken. Die erlle von Die Glocken.
o,8om DurchmefTer ifl länglich geformt und gehört wohl dem Anfänge des
15. Jahrhunderts an. Den Hals umziehen zwei kräftige Schnüre, welche
wenig forgfam gelegt find und die Verknüpfungspunkte ihrer Enden genau
erkennen laften. Als Schmuck dient aufserdem das kleine und kräftige
Relief eines Crucifixus mit Maria und Johannes (?) zu den Seiten; einelnfchrift
ift nicht vorhanden. Die andere Glocke mifst 1,54" im Durchmefler. Sie ift
ihrer doppelreihigen Halsumfchrift nach, unter der ein F'eftonkranz umläuft
ANNO CHRISTI M . DC . XCV . MENS . AVG . SVB SCEPTRO . SERENISS .
AC. POTENTISS. ELECTORIS FRIDERICI III ... . gegoren. An beiden Seiten
dienen der Glocke als Schmuck die Namen und Titel derer, die damals in
näherer oder fernerer Beziehung zur Gemeinde ftanden (Pallor, Syndicus,
Cullos, Senator u. a.m.) Die eine diefer Infchriften fchliefst: H/EC CAMPANA
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128
DIE STADT HALLE U. d. SA ALK. REIS.
Die Baumeifter.
Ausbau durch
Emporen.
CUM ANN. XXXII SONVISSET REFVSA ET EX LIBERALITATE CIVIVM ET PA-
ROCHIALIUM ADAVCTA AB ARTIFICE IOHANN . IACOB . HOFFMANNO . CIV
HALL . Dem Wolfe ift eingefchnitten M . A . G . 1696; ohne Zweitel iß der-
felbe (und auch wohl der Glocken ftuhl) vom Meifter Adam Gerber, der eben den
barocken Thurm herftellte, gemacht worden. Es liegt in diefem Glocken-
raume auch ein maafswerkverziertes Uhrgewicht, das urfprünglich wohl
einem anderen Zwecke gedient haben wird. Die Schlagglocke, zu von Drey-
haupts Zeit in einem Thürmchen über dem Chor, jetzt in einem folchen
auf der weltlichen Firftfpitze , hat eine breite Form, ilt von ftarker Rippe
und ohne Schlägel. Oben fchmückt fie ein Band mit wenigen Rund-
theilen zwifchen Schnüren; aufserdem finden lieh an ihr zwei Crucifwe
und ein Heiliger (?) in faltenreichem Gewände reliefirt. Ihr DurchmefTcr
ift o,o, s". Sie gehört muthmaafslich in die erften Jahrzehnte des ib. Jahr-
hunderts.
Zum Schlufs der eigentlichen Baubefchreibung fei über die in der In-
fchritt des Chorftrebepfeilers genannten Baumeifter, Peter von Mortal
d.i. Morl ein Dorf nördlich von Halle, und Conrad von Einbeck erwähnt,
dafs jener gewifs der eigentliche Techniker war und diefser die decorative
Ausftattung mit Sculpturen leitete 1 Wie wir noch fehen werden, ift feine
Büfte erhalten. Dafs es eine Nachricht über die Bauleute des Wefttheiles
nicht giebt, erklärt fich mit Rück ficht auf die lange Bauzeit und die ver-
fchiedenen Meifter, die nach einander die Leitung gehabt haben mögen.
Carl Drachftädt, der Baumeifter der Thurmpartie bis zum Dache, deflen
an anderen hallefchen Bauten diefer Zeit keine Erwähnung gefchieht, fcheint
einer Künftlerfamilie angehört zu haben; 1487 ift nämlich auch ein Johannesde
Drachfted am Bau der Barfüfserkirche befchäftigt gewefen. Der Herfteller
der Gewölbe ift unbekannt. Eine eingehende Unterfuchung der Steinmetz-
zeichen an den Rippen und ein Vergleich mit denen anderer gleichzeitiger
Bauwerke hierorts würde Auffchlufs geben können.
Als Uebergang zur Befprechung der einzelnen Kunftwerke
der Moritzkirche mufs einiges von der inneren Ausftattung bezw.
Möblirung gelägt werden. 155g ift eine „ Schülerbohrkirche “ angelegt
worden, aber noch in demfelben Jahre wiedereingefallen. Darnach fcheint
es. als ob eine folche, die an der Stelle der jetzigen Orgelempore lag, vor-
her noch nicht vorhanden gewefen fei. Die vermauerte Thür in der Wand
der füdweftlichen Treppe und die confolartigen Bruchftücke unter den
Thürmen find erfichtlicherweife für eine Empore und um fünfzig Jahre früher
gemacht: fie hätten inzwifchen zwecklos dageftanden. 1580 find dann in
beiden Nebenfchiffen ebenfalls Emporen angelegt und fpäter durch einen
Maler, Johann Treber, mit bibli fehen Bildern gefchmückt. Sie haben bis
in das fünfte Jahrzehnt unferes Jahrhundert geftanden und find dann fammt
den „doppelten eichenen Männerlitzen ,“ die 1504 unter der nördlichen an-
gelegt waren, befeitigt. Da diefe Stücke einer gar kunftfinnigen Zeit an-
gehören, fo wird ihr Ausfehen demgemäfs gewefen fein. Nach einem Pi-
1 Oleanus fagt : „Der Werk- und Baumeifter-* bei Anführung der Namen beider.
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DIF. ST. MORITZKIRCHE.
izg
^afterfchafte 1 mit hübfch gezeichneter und reliefgefchnitzter Pflanzenfüllung
Eig. 56 wäre, da er von diefen Emporen bez. Stühlen herftammen foll,
die Arbeit unzweifelhaft dem Antonius Pauwart, dem Verfertiger der Seiten-
ftühle in der Marktkirche, zuzufchreiben; denn derPilafter ftimmt nicht nur
in den Maafsen, fondern auch im Charakter der Zierrathe ganz mit jenen
der Marktkirche überein (vergleiche Eig. 29 bis 33). Der niederländifche
Meifter hätte demnach wenigftens bis in das letzte Jahrzehnt des 16. Jahr-
hunderts in Halle verweilt.
Die im Befitze des Herrn Baumeifier Keferftein im Hofe feinesliaufes
llerrenftrafse 12 hier befindlichen zwei acht fei tigen Holzfäulen lind an-
geblich ebenfalls Reite der Emporen der Moritzkirche. Eine Platte mit Hohl-
kehle und darüber ein Wulft bilden den Eufs, die Seiten des Schaftes find durch-
aus ornamentirt und zwar die des einen völlig mit auffteigendem Ranken werk,
die des anderen fo, dafs nur vier Seiten pflanzlichen Schmuck tragen,
während zwei weitere fielt diametral gegenüberliegende aufrechtgerichte
Schuppen und die beiden letzten ein Bandornament zeigen. Der Schaft
endigt oben vierfeitig, indem die vier gewiffermaafsen den Diagonalen des
urfprünglich quadratifchen Schaftholzes entfprechenden Seitenflächen oben
über einem volutenartigen Wülfte nach Art einer gothifchen E'afe auslauten.
Ueber dem Schalte folgt ein vierfeitiges, vorn und hinten flaches, feitlich
in fchlaffen Linien profilirtes, capitalförmiges Zwifchenftück, über welchem
nach zwei einander gegenüberftehenden Seite Confolen auskragen. Auch
alle diefeTheile find zweifeitig mit flachem Ranken fcfintuck überzogen und an
der einen Säule erblickt man oben das hübfch gezeichnete Stadtwappen den
Ranken mitten eingeordnet. Nicht unintereffant ill die conllructive Verbin-
dung der als Sattelholz dienenden Confolen mit dem Schafte, auf welchen
ihr mittleres Stück hinabgeht, feitlich erkennbar, nach vorn und hinten
aber von der Verlängerung des eigentlichen Schaltholzes, dem es mithin
fo tief eingezapft ift, maskirt. Diefe Ausbildung und der unfer Auge be-
ftrickende E'ormenreichthum , der ehemals wohl durch eine feine E'ärbung
unterftützt worden ift, macht es zum wenigflen unwahrfcheinlich, dafs die
Säulen einem profanen Zwecke, etwa als Stütze eines Ganges in einem Privat-
haufe, gedient haben. Der Ornamentcharakter weicht von dem der Pau-
wart’fchen Arbeiten ab, indem weder in der Compofition die Formenfchön-
heit, noch in der Ausarbeitung der einzelnen Blätter die Gefchicklichkeit
und Sauberkeit diefes Künftlers zu finden ift. Abgefehen von zahlreichen
Ungenauigkeiten find die Blätter viel lappiger, lederner und oft ganz ohne
plaftifche Modellirung genau fo, wie an zahlreichen Bogenzwickeln des
Gottesackers bemerkt wird. (Siehe deffen Befchreibung weiter unten.)
Mit Sicherheit kann man daher annehmen, dafs nicht Pauwart, fondern ein
von Nickel Hofman befchäftigter Gefell wohl nach des Meifters Angaben
diefe Säule im 6. oder 7. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts verfertigt hat. Ein
Werkzeichen ift nicht aufzufinden.
1 Diefes zierliche Stuck jener Holzarbcit befindet sich im Privatbcfitzc des Herrn
Profeffors Dr. II. Hcydetnann in Halle, der mir die Publication giiligft geftattet hat.
B .D. d. Bau- u. Kurftd. N. F. I o
Holzfäulen im
Haufe Herren-
ftrafse 1 2.
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*3°
DIE STADT HALLE “• d. SAALKREIS.
Kunftwerke:
Sculpturcn Con
rad’s v. Einbeck
Moritzftatue.
So kämen wir zu den erhaltenen Kunft werken der Kirche.
Aufser einigen Steinplatten des Altares find die Steinfculpturen Con-
rad's von Einbeck, des einen der beiden Baumeifier die älteften. Unter
Kie- 56.
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Pilafter der ehemaligen ,, Männer,
fitze." (Im Befitzc des Herrn Prof.
Dr. H. Heydemann.)
f'E- 57-
Statue des h. Moritz. (Schellcnmoritz.)
ihnen ift wiederum zuerftzu nennen die Statue des h. Moritz infchriftlich
1411 gemacht. Fig. 57. Sie fteht von Orten gerechnet am zweiten freien
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DIB ST. MORITZKIRCHE. 131
Pfeiler der ludlichen Reihe auf einem etwa mannshohen Poflamente
gegen Abend und wird von einem Baldachin überdacht. Sie ift von
überlebensgrofser Figur und lireng genommen ein Hochrelief, doch hängt
nur ihr Mantel noch etwas mit dem Pfeiler zufammen. Moritz ill als ein
Kriegsmann in der Tracht der Zeit um i ,oo dargeflellt. Seine Prüft um-
fchliefst ein eifemer Harnifch; quer über diefem liegt ein breites Band mit
der Auffchrift : JSailtfiiS Hl a tl rilillS. Unter einem mit Schellen1 behangenen
Gürtel für das Schwert an der linken und den Dolch an der rechten Seite
fetzt fich der Brullhamifch durch einen maskenverbrähmten Schurz bis zur
Körpermitte fort, wo dann der languettierte l.endner zum Vorfchein
kommt. Trotzdem lieh fchon der ausgebildete Brullhamifch vorfindet und
auch Beine und Füfse von Eifenfchienen gefchützt werden, ift auch das
Panzerhemd noch vorhanden, welches etwas unter dem Lendner hervorfieht.
Durch ein weites Halsgehänge und einen Mantel, am Hälfe zufammen-
gehalten und hinten herabwallend , wird die ritterliche Kleidung vervoll-
ftändigt. ln der herabhängenden Linken hält der Heilige einen kleinen
viereckigen Schild mit Kreuz darauf, mit der anderen umfafst er die Stange
der jetzt nicht mehr vorhandenen Fahne. Der Kopf hat wohl Harke
Backenknochen und volles, lockiges Haar, aber dabei ganz abendländifche
Züge. Ein fcheibenförmiger. dicker Nimbus umkränzt das Haupt, in dem
oben eine Oeffnung ift, die darauf hinweift, dafs hier irgend ein Gegenltand
beteiligt gewefen ift. An der Platte unter den Füfsen lieht in Minuskeln
(an- ist überputzt) no • bomini • tu” • tttt° • ri° tonrabus • bf
Jiinlirkr • nif • |irrffril • in uiji“ (= vigilia) fti • tmitljei
Wen das kräftig gehaltene Relief auf der Vorderfeite des Poltamentes
vorftellen foll, befagt die Unterfchrift: ÖQiniminuus ^tljffr. Mit Bezug
auf die Legende des h. Moritz ill der Chriftenverfolger hier gellürzt und
überwunden dargeltellt. Er trägt einen Brullhamifch und einen kurzen
Waffenrock darunter mit weiten lappigen Aermeln. Ein Schwert hängt
ihm am Gürtel und auf dem verdrehten Haupte fitzt noch die Kaiferkrone,
die einer langzipfligen Schlafmütze nicht unähnlich ift. Während er eben
zufammenbricht, fucht er diefelbe mit der linken Hand noch auf dem Kopfe
feflzuhalten : in der Rechten hat er auch noch das Scepter, aber kraftlos
fenkt er es zur Erde. Auf den Seiten des Pollaments ifl unten etwas
Blendenmaafswerk eingehauen, auf der dem Mittelfchiff zugekehrten fehen
wir darüber kaum mehr als eingeritzt eine unheimliche Teufelsgellalt; un-
1 Die Sitte Schellen 211 tragen ift uralt und zwar orientalifchen Urfprtmgcs. Sie war
z. B. auch bei den Juden im Gebrauch (vergl. einen Auffatz in der Zeitfchrift Europa 1883
^*r. 38 Das Gold im Alterthum von Clemens Fleifcher); durch die Kreuzfahrer fcheint fie
dann auch im Abendlande bekannt geworden zu fein; etwa 1240 trat Islung von Schiullich
f° , .geziert mit viel hundert Schellen" dem Ulrich von Lichtenftein entgegen (Weifs: Coftiimc-
kunde II S. 645), um diefe Zeit freilich noch eine fcltcne Ausnahme, zu Ende des Mittel*
alters bei ausgezeichneteren Perfonen ‘und fcftlichen Gelegenheiten beliebt.
9*
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132 DIE STAUT HALLE »■ <1. SAAI.KRKIS.
säglich abfcheulich , mit langen Bockshörnern verfehen ill ihr Kopf, die
Arme greifen nach dem Kaifer um die Ecke herum, dem alfo in de-
\V ortes voll Iler Bedeutung hier vom Teufe das Genick umgedreht wird.
Aulser den Seiten des Poffamentes und dem jetzt getünchten Baldachin
ist alles in Oelfarbe bemalt: das Mohrengeficht dunkelbraun (nicht
rchwarz), Bart und Iiaar fchwarz und die vielfarbige Kleidung gemullert
und geblümt, wie es eben derzeit Mode war; auch an Vergoldung ill nicht
gefpart. Ob diefe Färbung urfprünglich ist, werden wir fpäter be-
antworten.
Eingehen müden wir indeffen aut den St il und den ällhetischen Wert h der
Arbeit. Die VerhältnilTe der Figur des Moritz find äufserll gedrungen, man
kann fic geradezu als falfch bezeichnen. Der Kopf, die Arme und die Hände
find im Vergleich zu den übrigen Körpertheilen zu grofs. Dasfelbe gilt von
der Figur des Kai fers. Die Haltung des Moritz, ifl ruhig, aber ungemein Reif.
Somit kann die Sculptur keinen angenehmen Eindruck machen um so
weniger, da ihre Behandlung, im Einzeln oft naturalillisch , voller Fehler
und fo roh ifl, dafs fie das Auge beleidigt. Bei alledem wird doch der An-
blick unfer InterelTe erwecken und unteren Geill einige Zeit befchäftigen.
Warum? Was wir fehen, ill der gefchickte Ausdruck der Vor Heilung
welche lieh Meiller Conrad von dem Ausfehen des h. Moritz machte. In diefem
feinen Werke bellätigt er auf fichtbare Weife nur die Thatfache, dafs Moritz
ein Heiliger von einer ge willen Befchaffenheit ill, und er fügt die Dar-
llellung des Ereignilfes hinzu, dafs den chriltenfeindlichen Kaifer der Teufel
holt. Wie untere voraufgegangene Schilderung ergiebt, erhebt fich feine
Vorllellung nicht über die, welche er durch den Anblick fehr vornehmer
Rittersleute feiner Zeit bekommen hat und welche ihm bezüglich der Hal-
tung und Bewegung der Perfonen aus dem wirklichen Leben geworden ilt.
Nichts natürlicher, als dafs diefe realillische Wiedergabe, fo unvoll-
kommen auch die Einzelheiten fein mögen, doch eine Harke Wirkung aus-
übt namentlich auf die roheren, ungebildeteren Leute, denen jedes Idealifiren
unverlländlich ifi. Die DarHellung desKaifers z. B., fo falfch oder unfehön
auch die Körperproportionirung und fo unmöglich die Bewegung fein mag, läfst
doch keinen Augenblick zweifelhaft, was eigentlich vorgeht. Was hin-
gegen Conrad nicht darllellen konnte, war die Idee, deretwegen die Heiügen-
llatue dalieht (den Begriff in der Perfon), jenes Etwas, das fich nur durch
die Wirkung befchreiben läfst, welche das Kunllwerk an fich auf uns machen
mufs, indem es eine warme Begeillerung hervorruft, die bildend (hier wohl
auffordernd zur Nacheiferung) fortwirkt. Von diefem poetifchen Zauber,
wie er noch hundert Jahre vorher den gothifchen Sculpturen eigen war,
ruht kein leifer Hauch mehr auf der Bildlaule des h. Moritz. Als
Beweis diene der Eindruck, den fie auf das Volk gemacht hat, als nach
der Reformation die Urfache ihrer Errichtuug unverfiändlich wurde. Sein
unverderbtes Urtheil, mich dünkt ein Prüffein für das unferer überbildeten
Kunflkenner, fpricht deutlich genug aus der Sage, mit der feine naive Dicht-
kunfi das Steinbild umwoben hat. Unbekümmert alfo um die wahre Bedeutung
der Statue hat es ihr wegen des Ichellenbefetzten Gürtels den Namen „Sc hell en-
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DIE ST. MORITZK1KCHE. 13.?
moritz“ gegeben1 und erzählt von ihr, wie folgt: Schellenmoritz war ein finfterer
Mann , aufbraufend und jähzornig: er hatte eine Schwerter, die war milde und
gut. Und zu der Zeit, als er die Moritzkirche baute, lief» fie lieh die Moritzburg
errichten. Als nun beide einmal bei einander waren, machten lie unter fich eine
Wette, wer feinen Bau zuerrt fertig haben würde. Schellenmoritz trieb
nun feine Werkleute übermäfsig zur Arbeit an, und in feiner Heftigkeit er-
fchlug er immer gleich den. der fich einmal ausruhen wollte, weshalb ihm die
milde Schwerter den Schellenrock machte, dafs die Arbeiter hören und fich
hüten könnten, wenn er käme. Sie aber war gegen ihre Werkleute immer
freundlich, und fo wurde wirklich die Burg fchneller fertig als die Kirche. Da-
rüber ärgerte fich Schellenmoritz fo fehr, dafs er die Schwerter, als fie ihn
in ihrer fertigen Burg umherführte, ergriff und aus einem Fenfter hinab-
rtürzte. Aus Aerger erfchlug er auch feinen Baumeister mit jenem Stabe,
den er auch auf feiner Bildfäule hält, wo am Portamente der arme Bau-
meifter dargeftellt ilt, wie er zufammenbricht.2
Drei andere fteinerne Arbeiten Conrad’s befinden fich in der Apfis
des nördlichen Seitenfchiffes. Von ihnen nennen wir als die zweite datirte
Statue die eines miserere die in mehr als l.ebensgröfse gehalten ift. Die Ecce hnmu.
Minuskelinfchrift an der Fufsplatte lautet:
nnnn • bni . ra° • ttcr° • rui' • tonrabiis • br • rinbrkf • mr • frtii*
(Olearius lügt noch eine nähere Zeitbeftimmung hinzu die ehemals auch dage-
llanden haben mag). Chriftus, die Dornenkrone auf dem Kopfe, mit einem Pur-
purmantel bekleidet und mit den Wundenmalen gekennzeichnet, fleht in ganz
gebrochener Haltung da. Er hält einen Spiefs, eine Knotenpeitfche, eine
Ruthe und Nägel; die Linke weili auf den tiefen Speerilich in der Seite
hin : das dicke Blut quillt aus der Wunde hervor und Hiefst fchon geronnen am
Körper bis in einen Kelch hinab, der mit Oblaten an der Erde steht.
Hier liegen auch die Würfel und Silberlinge. Die Geliatt felbft ist ftark-
knochig und derb und überall mit willkürlich angenommenen Adern be-
deckt. Der Gefichtsausdruck ift herzzerreifsend. Mit gebrochenen Augen und
verzerrtem Munde fenkt fich das Haupt des Gottesfohnes feitwärts todtmatt;
ein Schmerzensfchrei fo unendlich qualvoll ertönt fichtlich aus diesem Stein-
bilde, dafs uns graut. Wir fehen nichts als ein Bild m en fehl ic he n Jammers,
ein Bild der Hinfälligkeit des menfchlichen Körpers, und wenn auch der
Künftler durch einen grofsen Maafsftab, durch starken (fliederbau , durch Bei-
fügung eines grofsen. goldenen Heiligenfcheines (radförmig und mit Kreuz-
andeutung) und dgl. hierüber uns hinwegtäuschen möchte, den leidenden
Gott zu meifseln, ift ihm doch nicht gelungen. Was uns alfo in der Statue
geboten wird, ift eine baarrealiftifche Darftellungdes Abftofsend-F.ntfetzlichen.
1 Nach einer mir zugehenilcn mündlichen Miltheilung full in Kloftermansfeld eine Slaiue
von ähnlichem Ausfehen vorhanden fein, die im mansfelder Volksdialekt „Schellmurz" genannt wird.
• Die Varianten diefer Sage find lediglich wie andere Kleider, in denen das mirsfalligc
Unheil des Volkes über dicTcs Bildwerk auftritt.
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Mater dolorosa.
ßüftc Conrad's
von Einbeck. •
Christus an der
Marlcrfäule.
134 DIR STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Eine folche Bildnerei ist natürlich nur unter gewiffen Bedingungen möglich,
fie ill an eine beftimmte Zeit geknüpft und hört auf zu gefallen, fobald die
Idee diefer Zeit fich ändert. An dem Benehmen unferer Zeit ill das erficht-
lich; da fie das Entfetzen nicht Händig vor Augen haben will, verfehl iefst
fie diefe Figur in einen Wandsfehrank.
Dicht neben diesem ecce homo in demfelben Schranke lieht kleiner
im Maafsftabe gehalten eine mater dolorosa. An der Sockelplatte lieft
man in Minuskeln:
tnnrabtis • me • fetil •
Darunter ill einem befonderen Sockelfteine noch eine drachenartige
Schlange eingerit/t. Maria von unfehöner Haltung und Figur hat ihren Mantel,
den fie als Schleier benutzt, über den Kopf gezogen. Sie weint über ihren
Sohn, an jedem Augenlide hängen drei Thränentropfen. Die Darllellung
lieht der vorigen an Schauderhaftigkeit nicht nach, ill aber in technifcher
Hinficht noch derber, ja fie ill roh zu nennen. Auch die totale Bemalung
der beiden Statuen dieses Schrankes mildert ihren abftofsenden Eindruck
nicht, fie zeigt nur noch mehr, welche Wollull es dem Künlller gewefen
ill, folche Jammerfeenen bis in die Details realiftifch — nicht naturalistifch 1 —
auszuarbeiten.
Die dritte Sculptur in diefer Apfis, eine Büfte Fig. 58, ill dicht neben dem
Wand fchranke in etwas mehr als Manneshöhe der Wand zwifchen Haupt- und
Nebenfchiff eingemauert und giebt in natürlicher Gröfse das Portrait eines
Mannes in der bürgerlichen Tracht damaliger Zeit wieder. Eine Inschrift ill
nicht zu entdecken, aber zweifellos rührt diefes Stück ebenfalls von Conrad her ;
die Tracht, die Technik und die Auffaffung bezeugen das unumftöfslich ficher
Wie allgemein angenommen wird, foll es des Me i Hers eigenes Bild fein
Auf dem Kopfe trägt er eine Mütze von einer oben etwas breiteren Form.
Sein Haar ill wohl gekämmt und grade abgefchnitten. Sein Rock, vorn
aut die Länge eines Schlitzes mit kleinen Knöpfen gefchlolfen, ill kittela. rtig.
An und für fich ill das bartlofe Gefleht nicht eben interelTant, es erweckt
aber unfere Aufmerk famkeit durch die realillifche Art der Behandlung.
Hier bei einem Portrait kam folche dem Meifter fehr zu Hatten, fodafs, da
die Farben die Wirkung noch verftärken , ein Eindruck entlieht, als ob das
Gefleht nur der Bewegung bedürfe, um zu leben. Offenbar ill diefe Küste
von künftlerifchem Standpunkte aus das werthvolllle Stück, welches Conrad's
Hände gemacht haben.
Zwei andere Arbeiten des Meifters finden (ich an der Weftwand der
Vorhalle. Die erde ftellt lebensgrofs Chrilfum an der Marlerfäule dar.
Aus der fonft unbedeutenden Infchrift ganz unten an dem niedrigen FVilla-
mente erfahren wir, dafs diefes Bildwerk urlprünglich an einem anderen
1 Es ift falfch, hier von Naturalismus zu reden, wie ICuglcr (kleine Schriften) und andere
thun, weil der Begriff des Naturalismus die copiale Richtigkeit natürlicher Formen in (ich fchliefst,
die unferer Bcfchreibung nach allen diefen Theilen fehlt. Nach Kugler’s eigenen Worten ift
das Blut, das aus der Seitenwunde ChriAi am Körper zur Erde hinabfliefsl „völlig wie ein
Flechtwerk.4*
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DIE ST. MORITZKIRCHE.
135
Platze (fland ANNO MDCLXXIV . . . HAEC STATUA RENOVATA ET IN HUNC
LOCUM POSITA EST) nämlich, wie von Dreyhaupt fchreibt, bei jenen
Fig. 5*.
Btifte Conrad’s von Einbeck.
Statuen im Chor des nördlichen Seitenfchiffes. An der Fufsplatte fleht
in Minuskeln nur:
ronnibus • bc riubtkr • mr • {irrftril
ohne eine Jahreszahl.1 Aufserdem finden fich noch folgende Infehritten:
> Dafs Olcarius, der 1460 als das Entftehungsjahr für diefes und die anderen Bilder an-
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DIR STADT HALLE ll. d. SAALKREIS.
136
an der mehreckigen Platte mit concaven Seiten über dem Kopfe der
Figur fleht:
+ Jir • bis tmo • tthm abbita • f£}' • qünq< • Toi (T t'pr • p
nobis- uulnr (Das Steinstück fehlt jetzt.)
dann rechts am Stamm hinab :
+ Ijjagrlliirio • tf/risli • iffiribilur • qfair • 'pmo : a plnnla •
psbis • nfq< • ab • urrtitr • nö • fuil • in ro • fatiilas.
Die erfte Infchrift wird von den verfchiedenen alten und neueren Autoren
verfchieden angegeben. Ich führe von jenen die Lesart Schubart 's an:
\
+ Jir bis bno rt super abbila in . quinquf: Toi |l . rpt . pro
nobis uulnrra passa .
von den neueren nenne ich die von H. Heydemann und W. Schum1:
+ Jit bis bno tt super abbila 0) qtiinquE . Tot rsl Clji iflus pro
nobis uninera (passus)
Des Oeltarbeanflrichs wegen ifl die InTchrift überhaupt Ichlecht lesbar; heifsm
aber die Zeichen zwifchen c und addita wirklich super — ich kann nur ein
I, möglicherweife ein f mit vier fenkrechten Strichen erkennen — und fpricht
man die Zahlbuchflaben mit ihrem alphabethifchen Kamen und fiQ' als Hilf
aus, Io bildet das ganze einen leoninifchen Vers. (Siehe auch Otte: Hand-
buch der Kirchl. Kunfl-Archäologie S. 8iy und 82z).
Das Steinbild felbft ifl wiederum möglich!! grauenerweckend. Dem überall
blutenden Heilande find die Hände über dem Kopfe mit Stricken an einen Baum-
ftamni gebunden (ein I lahn fcheint nicht auf lezterem geftanden iu haben), eben-
fo werden feine Füfse durch einen Strick gefelTelt. Unter den Qualen ill
feine Lebenskraft gebrochen , feine Glieder find fchlaff, es wollen die Beim
den Körper kaum noch tragen, leife fchon biegen lieh die Knie, und wir
erwarten jeden Augenblick mit Sicherheit den Zufammenbruch des Dulders
unter der Schmerzenslaft.2 Vor allem zeigt lieh dieles Erliegen im Gefleht»-
ausdruck. So Achtbar umfpielt der Tod das fchmer/entllellte Menfchenant-
litz, dafs uns ein Schaudern ergreift. Wir wenden uns weg nicht mit dem
Gefühle, das war Chriftus. der gefolterte, aber liegreiche Gott d. h. die
fchwer geprüfte, doch unendliche und unbeliegliche Liebe, fondern das war
das betrübende Bildnifs eines armleligen Menfchen, der feinen Martern er-
liegt. Die Behandlung lehnt lieh unmittelbar an die der befchriebenen
giebt, irrt, feheint gewifs, weil Conrad fchon 1388 als Baumeifier bezeichnet wird, alfo um
kaum noch gelebt haben kann.
1 Beiblatt zur Zeitfchrift für bildende Kunft 18. Jahrg. Nr. 2.
2 Man ficht oben im Kopfe Christi drei Löcher in einer Stellung, di* über die Bc-
ftimmumng dcrfclbcn zur Aufnahme der drei metallenen Lilien zu einem Kreuznimbus nicht
zweifeln läBt.
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DIE ST. MOKI I'ZKIKCHE.
■37
Statuen an, doch will mich bedünken, es fei hier einTröpflein weniger Roh-
heit und ein anderes mehr Stil zu bemerken.
Das zweite Werk der Vorhalle ill ein Relief, das der Wand dicht
neben diefem Chriftusbilde eingefügt ilf. Von Dreyhaupt hat diefes fowie
die Bulle des Meifters nicht erwähnt; wir find nicht gewifs, ob fein Platz
llets hier war, oder ob es auch erll fpäter hier in die Mauer eingelaflen ill.
Dargellellt ill die A nbetung der Weifen aus dem Morgenlande. Ohne die
ringsumlaufende, etwa handbreite Bordüre und die architektonifchen Glieder,
welche die Kante mit dem Bilde verknüpfen, ill die lichte Gröfse 46 cm : 58 cm.
Unten auf der Bordüre lieft man:
Relief der An-
betung der
Weifen.
tonraöns • br rinbrkr • mr • frtif •
Rechts fitzt Maria mit dem Kinde, welches ein fcheibenförmtgen Nim-
bus mit flachreliefirtem Kreuz hat, während das Haupt Mariens lieh von
einem grofsen radartigen 1 leiligenfeheine abhebt. Die Weifen find hier als
drei Könige dargellellt. Der erfte reicht feine goldene Gabe dem Kinde
in einem Kelchgefäfse dar , in welches es hineingreift. Erfurchtsvoll hat er
feine Krone abgelegt, während feine beiden Genoffen hinter ihm die ihrige
noch tragen. Der eine hat fein Gefchenk in einem Hörne, der andere in
einer Büchfe bewahrt. Hinter den Königen warten ihre drei Diener oder
Knappen, jeder mit einer Fahne: auf der erften Fahne ill ein Ritter mit
Fahne (S. Moritz) zu fehen, auf der anderen der Mond, auf der dritten
lind Sterne. (Vergl. auch Virgil Solis Wappenbüchlein vom Jahre 1555).
Einen grofsen Stern fieht man auch am Himmel über dem Stalle (eigentlich
auf dem Dache), in dem Maria lieh befindet. Im Hintergründe lieht Jofeph
/ufammen mit einem Ochfen und Efel hinter einer Wand von Flechtwerk,
über welche her die Köpfe diefer drei dem Vorgänge ruhig zulchauen.
Dafs hier keine Marterfcene zur Darllellung zu bringen war, kommt
diefer Arbeit Conrads zu Hatten. Der Befchauer wird wenigftens nicht
unangenehm berührt. Die realillifche Art des Vortrages erreicht zuweilen
gute Wirkungen, wenn auch der nicht immer glücklichen Zeichnung wegen
und namentlich wegen der Vernachläfsigung der für Relietbilder gütigen
Regeln* noch gerade keine Begeifterung entliehen kann. Durch die I-'ärbung Färbung >lcr
wird der gute Eindruck diefes Reliefs noch gehoben; denn diefelbe ill nicht Scnlpturcn
wie bei den anderen Sculpturen in Oel- fondem in Temperafarben bewirkt.
Hier ill mithin die urfprüngliche Färbung unverändert geblieben, während
i lie an den übrigen Sculpturen unter Beibehalt der Müller und Farbenzu-
lammenllellung (?) durch Oeltarben überdeckt ill. Nach von Dreyhaupt find
die Conrad'fchen Sculpturen 1674 renoviret worden, was lieh nur aut die
Bemalung beziehen kann, weil eine Veränderung durch den Meifsel den
mittelalterlichen Eindruck, den jede der Arbeiten doch macht, völlig zerllört
1 Statt des cingehaucneo rar freit ifl jetzt in Schwarz aufgcmall u rrrfJt*. Durch die ge-
naue Untcrfuchung von II. Heydentann und W. Schum ift diefer Irrthum berichtigt woiden.
* Vebrigens ift in diefer Beziehung zu berücklichtigen, was Viollct-I.c-Duc unter sculp
ture in feinein Dictionnaire raisonnd de l'architccture über-das Relief der Golhik fagi. Das
über das ^Relief des h. Michel am Portal der Notre-Darae Gefagle trifft freilich nicht mehr
ganz zg, weil hier fchon die Uebcrireibung hcrrfcht.
I
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Kunftwerlh
dicfer Arbeiten.
Zwei Grabfteine.
Der Altar:
Die Mensa.
138 DIE STADT HALLE u. d. SAALKRKIa.
hätte. Natürlich giebt der Oelfarbenanftrich keineswegs dasfelbe gute Aus-
fehen wie die anfängliche Bemalung in Temperafarben , welche überall vor-
handen gewefen lind, weil der farbige Ueberzug, wie die Unterfuchung
ergiebt, fich als eine doppelte Schicht darllellt.
Was diefe Conrad’fchen Arbeiten von dem allgemeinen Charakter der
Zeit an fich tragen und was an ihnen auf Rechnung der individuellen
Fähigkeit oder Unfähigkeit des Meillers zu fetzen iß, mag hier nicht unter-
fucht werden, weil ihre Zulämmengehörigkeit mit den Statuen amAeufseren
der Kirche erfichtlich ift und wir bei deren Befprechung bereits das Nöthige
erwähnt haben ; nur über den Werth der K un ft lei Itung, der in allen diefen
Bildhauerarbeiten Conräd’s vorliegt, ift noch ein Wort zu Tagen, nämlich,
dafs er denn doch ziemlich gering ift. Gering, weil diefen Arbeiten die
Kraft fehlt, die fie erft zu wahren Kunftwerken machen würde, die Kraft
zu veredeln. Wir fahen gleichfam fteinerne Schaufpiele und Tragödien,
in denen die ftärkften Mittel gebraucht wurden, die aber am Schluffe unfere
Gefühle nicht erheben, nicht verföhnen konnten. Wie anders, wenn wir
den Apollo im Belvedere des Vaticans oder die Niobiden in den Ufficien
verladen! Wer nicht mit erhabenen Gefühlen von dem edelften der Götter,
nicht mit verlohntem Herzen von jenem göttergleich duldenden Menfchen-
gefchlechte fcheidet, von dem wird auch hier nicht begriffen werden, dafs
die Stufe künftlerifchen Werthes, welche die Werke Conrad's von Einbeck
einnehmen, trotz der Effectmittel doch nur eine niedrige ift deswegen, weil felbft
von den Göttlichen nicht mehr als menfchliche Eigenfchaften gezeigt werden.
Unter den Kunftwerken der Moritzkirche folgen der Zeit nach zwei
der fpäten Gothik angehörige Grabfteine, welche jetzt unter dem Thurme
an der Nordweftecke zu Fufsbodenplatten Verwendung gefunden haben
urfprünglich aber ficher einen ausgezeichneteren Platz hatten. Es läfst fich
vermuthen, dafs es die Grabfteine von zwei Pröbften des Moritzkloflers find.
Die in ganz flachem Relief gehaltenen Figuren Hellen folche vor, fo viel
man noch fehen kann. Vielleicht ift ein Stein der des doctor decretorum
Paulus Bussius oder Bussenius der 1478 ftarb und am Chor begraben
wurde. Der andere Grabflein ift beffer gemacht und jünger, wenn auch nicht
viel: Es ift vielleicht der des Theodoricus von Quittickhaufen (oder
Oppershaufen), der 151t» ftarb und am Chor begraben wurde. Von Drey-
haupt führt die Umfchrift an dem Steine diefes Probftes an; beide Stein« find
aber zu fehr abgetreten, um ihre Schrift mit Sicherheit lefen zu können.
Von Intereffe an den Buchftabenvertiefungen ilt, dafs fie urfprünglich jene
Maftixausfüllung hatten, die an folchen Grabfteinen namentlich im nörd-
lichen Deutfchland fich vielfach findet.
Wir kommen nun zur Befchreibung des Al tares, derfreilich, wie fchon
erwähnt worden ift. auch fpätromanifcher Zeit angehörige Theile enthält Es
find das die Steinplatten zur Bekleidung der vorderen Seite des Tifches. E'ig-. 5g
Sie und vielleicht auch die eigentliche Deckplatte find bei dem Chorabbruch
der romanifchen Kirche hierher in den gothifchen Verlängerungsbau verletzt
worden. Die Ausbildung diefer Stücke zeigt eine fo grofse Unregelmäfsigkeit,
dafs es fchwer wird, zu glauben, lie fei gleich anfänglich in der heutigen
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»IE ST. MOKl TZKIKCHK. 1.50
Form gefchehen. Ein Oelfarbenanftrich läfst eine erfolgreiche Unterfuchung
über die fpäter abgemeifselten Theile nicht zu. Die Altarplatte ift jetzt
fehr zerftört; man fleht noch das alte scpulchrum mit einem mächtigen
sigillum von Marmor darüber, aber die Vertiefung ift längft ausgeleert.
Bei fernerer Unterfuchung ftellt fleh heraus, dafs im Altäre auch noch zwei
Grabkammern (?) parallel in der Richtung von Often nach Werten liegen.
Sie öffnen fleh gegen Often und find jetzt ebenfalls leer. Ob es Glauben
verdient, dafs fleh jemand in ihnen verborgen hielt, wie man erzählt, zum
Zweck der Täufchung. wenn hier hinter dem Altäre in einem gefchlolfenen
Raume Ohrenbeichte gehalten wurde, mag dahingeftellt fein.
Fig- 59-
Vorfeite des Altarlifches.
Von wirklicher Bedeutung in Hinficht aut die künftlerifche Geftaltung ift der
hölzerne Altar fch rein mit feiner fleh hoch aufthürmenden ornamentalen Holz-
fchnitzerei, den holzfculptirten Figuren und den Malereien feiner Tafeln Von
den Flügeln diefes Wandelaltares lind die beiden äufserften feftftehend und nur
Altarfchrcin.
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Profpcct.
\
140 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
auf ihrer Vorderfeite bemalt.1 Die übrigen vier Flügel find beweglich und
beiderfeits mit Heiligenbildern gefchmückt. Der Schrein felber enthält in
Holz gefchnitzte Figuren, ebenfo das bekrönende Ornament. Die Lichten-
maafse jedes Flügels find i.tz m Breite zu 1,70 m Höhe. Durch die vier
beweglichen Flügel werden nun die Verwandlungen möglich, wie fie aut
Seite 14 1 dargellellt find.
Bei völlig gefchlolTenem Zullande fehen wir links beginnend auf dem
erllen Bilde (fellfiehender Flügel) die h. Kämpferin gegen den Teufel, Urfula
mit dem Pfeile, ihrem Attribute, in der Hand. Ihr Haupt umgiebt ein
Heiligenfehein. das blonde Haar hängt unter der Krone lofe herab, ihr
Geficht ili nicht gerade intelligent; indefTen find die Einzelheiten des
Bildes, welches ftark gelitten hat, zu fchlecht erkennbar, um mit Sicherheit
urtheilen zu können. Die Wände des Zimmers, die den Hintergrund abgeben,
find unten teppichbehangen. Der F'ufsboden hat helle und dunkele Fliefen.
Auf den beiden folgenden Bildern (Aufsenfeite der beweglichen äufseren
Flügel) find die vier grofsen Kirchenlehrer dargellellt und zwar auf dem
erllen der Papll Gregor und der Cardinal Hieronymus, auf dem anderen
Ambrofius, der Erzbifchof, und der Bifchof Augullinus. Der Papll.
die Tiara auf dem Haupte und in prächtigen Mantel, hält Doppelkreuz und
Buch in der Hand; diebehandfc’nuhte, ring- und edelfteingefchmückte Rechte
erhebt er zum Segen. Sein Geficht itl würdig, aber es hat einen eigen-
tümlichen Zug, der nicht wohl befchreiblich ifl. Neben ihm lieht der
Cardinal in rother Sutane über weifsem Untergewande, ein grofser rother
Hut bedeckt fein Haupt. Das Attribut des Hieronimus, der Löwe, ili hier
von ziemlich mittelalterlicher, unverlländiger Zeichnung, weil der Künliler
fein Lebtag wohl keinen lebendigen gefehen hatte. Das Geficht des Car-
dinais ifl verzeichnet, übrigens von lanftem, nachgiebigem Ausdruck.
Es folgt der Erzbifchof in feiner Tracht mit Krummllab und Mitra
und mit ringverzierten Handfchuhen; er hält ein Buch. Sein Geficht
fieht man von vorn; es ill länglich und fall jugendlich, fchön und
ruhig im Ausdruck und von echt deutfehem Schnitt. Zuletzt kommt
der Bifchof in feiner Tracht; auf dem Buche, welches er hält, liegt ein
pfeildurchbohrtes Herz, fein Kennzeichen. Er hat unangenehme, weinerliche
Züge. Diefe vier Heiligen find ohne Nimben.
Auf der letzten Tafel (anderer fellllehender F'lügel) diefes Profpectes
ill der h. Moritz dargellellt. Hinter feinem dunkelfarbigen Kopfe ill wieder-
um ein Heiligenfehein zu fehen. Seine Figur Heckt völlig in einem Hamifch.
nur der Helm liegt vor ihm auf dem Boden. In feiner Rechten hält er eine
F'ahne. auf der ein Adler zu fehen ill. Er lieht in unfehöner, Heiter Haltung
in einem Raume, delfen Ausfiattung dem entfpricht, in welchem die h. Urfula
fich befindet. Auch diefes Bild hat aufserordentlich an Deutlichkeit ein-
gebüfst, während die beiden mittleren mit den Kirchenlehrern etwas befler
erhalten find.
1 Es ili anzunehmen , dafs diefe beiden Flügel, weil lie eben nur einteilig bemalt lind,
ehemals die Rückfeite des Schreines bekleidet haben.
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IHK ST. MORITZKIRCHE.
141
Gefchlofsener Zuftand: (erllcr Profpect).
1 Gregor |
I Hieronymus
Ambrosius
luyustinus
\
Moritz
1
i|
Erfte Verwandlung': (zweiter Profpect).
Augustinus
1 Heilige
Petrus Paulus
Christ iis
Marin
C athnrina
Heilige
'
1
Zweite Verwandlung: (dritter Profpect)
(geöffneter Zuftand).
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142 CIF. STADT HALTE u. d. SAALKRF.IS.
Zweiter Profp. Durch das Oeffnen der beiden mittleren Flügel gefchieht nun die erde Ver-
wandlung. Links auf dem erden Bilde dehen drei Figuren, Petrus und Paulus
und zwifchen ihnen, doch etwas zurück, derh. Alugudinus. Diefer in feiner
Amtskleidung id an dem durchpfeilten Herzen auf dem Buche in feiner
Linken zu erkennen; feine Rechte erhebt er zum Segen. Der Gefichtsaus-
druck id ernd, würdevoll und angenehm. In dem hübfchen Geflehte fällt
der kleine Mund auf. Petrus in einem rothen Mantel und baarfufs id
durch Schlüffe) und Buch gekennzeichnet, er hat das gewöhnliche,
nicht fchöne Petrusgeficht , eine kahle Platte, kraule Stirn, grofse Augen,
kurze Nafe. Paulus hingegen mit grünlichem Mantel umhüllt, ebenfalls
baarfufs und ein Schwert und Buch haltend, hat ein hübfeheres Gelicht mit
langem Barte. Den Hintergrund diefer Gruppe bildet ein Zimmer; die Luft,
welche man durch die Fender hindurch fieht. id goldig. Von Gold id auch
der runde Nimbus eines jeden.
In dem folgenden Bilde deht Chridus in feiner Herrlich-
keit, die goldene Krone auf dem Kopfe, in der Hand eine durch-
fichtige Kridallkugel. Er id mit einem grauweifsen Kleide und einem
braunroth gemuderten Mantel, den eine reiche Edeldeinkante umgiebt, be-
kleidet. Zu feinen Seiten und hinten um ihn dehen fechs Engel in Jüng-
lingsgedalt. Von den beiden vorderen in weifsen Kleidern und gemuderten
Mänteln hält der linke die Schleppe des Mantels Chridi ; die hinteren vier
haben Kreuzpaniere, daran oben ein bandartiges Tuch befedigt id baldachin-
ähnlich. Den Hintergrund bildet ein Kircheninneres mit goldener Luft in
den Fendern. Ein runder Goldnimbus mit rothem Kreuz umgiebt da«
Haupt Chridi, deffen Gefichtsausdruck unfehön id. Dies wird namentlich
durch eine weinerliche Miene und durch gefchlitzte Augen mit hochgezogenem
Unterlide bewirkt. Auch die Hände find plump, und haben dabei lange,
dünne Finger. Der Kopf id im Vergleich zu dem übrigen Körper ziemlich
dark, fodafs eine gedrungene Gedalt entdeht. Der Gefichtsausdruck der
Engel id ähnlicher Art und vornehmlich durch diefelbe Bildung der Augen ent-
banden ; aufserdem id das Geficht des erden Engels rechts offenbar verzeichnet
Es folgt ein Bild mit der Dardellung der Maria alsmater amabilis.
Sie hält das Chridkind auf dem Arme und in der Rechten ihr goldenes
Scepter. Auf ihrem Haupte fitzt eine zierliche, goldene Krone, ihre Füfse
dehen in filberner Mondfichel. Schlichtes dunkelblondes Haar hängt lofe
herab. Blaugrau id ihr Kleid und darüber der Mantel etwas dunkler. Sie
wird von dämmender Mandorla umgeben, die fich von einem röthlichen Hinter-
gründe abhebt. Umkränzend füllen fich die Ecken mit blaugrauen Wolken,
aus denen gleichfarbige, gefiedert oder behaart fonderbar wolkenhafte Engel
von unfehönem Ausfehen hervortreten. Maria hat die Haltung der
S-Linie; fie id edel in der Zeichnung, ebenfo id ihres Geflehtes Ausdruck
edel und hoheitsvoll. Auch ihre Gedalt hat ähnliche Proportionen wie die
Chridi. Mit Zärtlichkeit blickt fie auf das Kind, welches langleibig und
unfehön id; es hält ein ägyptifches Kreuz. Auch der Faltenwurf der
Gewänder der Maria id edel und fchön, nur ihre Hände, wiewohl richtig
gezeichnet, haben auffällig lange Finger.
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DIE ST. MORITZKIRCHE.
'43
Das vierte Bild diefesProfpectes enthält drei weibliche Heilige; unter ihnen
ift die h. K a t har ina in einem gemutterten Kleide und mit einer Krone an dem
Schwerte in ihrer Rechten und dem zerbrochenen mefTerbefetzten Rade zu
ihren FuCsen kenntlich. Die zweite trägt eine nonnenhafte, weifse Kopf-
bedeckung. von welcher eine Taube (?) (ich emporhebt, übrigens ift fie dunkel
gekleidet und hält ein Getäfs. Es ift nicht erfichtlich , welche Heilige ge-
meint ift, vielleicht Scholaftica. Auch, wer die dritte fei, ift aus den Attri-
buten nicht klar; lie trägt ein grünes Kleid und einen rothen Mantel, auf
dem Kopte hat fie eine Krone und in der Hand ein Buch. Alle drei haben
ziemlich gleichen Gefichtstypus und Ausdruck; letzterer ift zart und lieblich
wenngleich die Zeichnung nicht immer ganz richtig fein mag. Auch hier
finden fich bei allen drei Heiligen lofe herabhängende Haare. Von Gold ift
der Nimbus jeder, ebenlo die Luft der Fenfter in dem Gemache, das den
Hintergrund bildet.
Die letzte Verwandlung gefchieht durch das Oeffnen der beiden mittleren Letzter Proip.
Flügel, alfo des zweiten beweglichen Flügelpaares. Mit Malerei fehen wir nur
noch die Rückfeiten diefer Flügel geziert, während der Schrein in der Weise
getheilt ift, dafs in der Mitte ein grofses Fach mit drei in Holz gefchnitzten Fi-
guren entlieht und an den Seiten je zwei kleinere, über einander gelegene
Fächer, jedes mit einer kleineren Holzfigur fich bilden.
Der Flügel links zeigt eine Gruppe von drei weiblichen Heiligen. Es
ift die h. Urfula, die ein goldgelb gemuttertes Kleid und einen blaugrauen
Mantel trägt ; an dem Pfeile in ihren Händen ift fie zu erkennen. Die mitt-
lere von den dreien hält in der Linken einen Rofenkranz und weift mit der
Rechten auf das Buch, welches die dritte Heilige geöffnet hält. Es ift von der
mittleren, die ein rothes Kleid mit Goldborde trägt, nicht aus ihren Attributen
zu erfehen, wer fie fei. Auch die dritte bleibt namentlich unbekannt ; 1 fie ift
mit einem goldgemusterten Unterkleide, einem rothen verbrämten darüber
und mit weifsem, rothgefütterten Mantel angethan. Gemeinfam ift allen eine
eigenartige Barettform als Kopfbekleidung, von der auf der Stirnmitte ein
: kleiner dunkler Zapfen herabgeht. Alle drei haben lofe herabhängendes
Haar. Die Proportionirung ift wiederum fo. wie die Chrifti und der Maria
auf der Kehrfeite diefer Flügel, nämlich der Kopf ift verhältnifsmäfsig stark
zu dem übrigen Körper. Die Geflehter find voll und weich, dabei ziemlich
blafs und nicht fehr verfchieden von einander. Es ift nichts Individuelles
j in ihnen, ihr Ausdruck gleicht etwa dem, den drei brave Bürgermädchen
in einem feierlichen Augenblicke machen würden. In der Behandlung liegt
etwas Naturaliftifches und das um fo mehr, als wir hier jene gefchlitzten
Augen mit etwas hochgezogenem Augenlide wiederfinden, welche an dem
Gefichte Chrifti mifsfielen; aber auch in der Darftellung der Kleiderftoffe,
der Haare, der Hände, die wiederum langgliedrige Finger haben, tritt
(blche Behandlung zum Vorfchein. Den Hintergrund bildet ein ganz goldenes,
flach in das Holz reliefirtes Teppichmufter. Für die Nimben find drei grofse
Kreife aus diefem Müller ausgefpart, von dem fie fich jedoch, da fie gleich-
' vom Hagen bezeichnet <liefc drei heiligen Frauen als Urfula, Sibylla und Victoria.
I
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144
DIE STADT HALLE U. d SAALKRKIS.
Vergleich der
Bilder zur Be-
ftimmung des
Stiles u. Kunft-
werthes.
falls golden find, nicht abheben. DadiefesBild lieh gm erhalten hat. fo läfst
fich die vorzügliche Farbengebung namentlich der Gewänder mit ihren
Müllern und die gefchickte Darftellung der Haare und dergl. noch wohl
Iludiren und bewundern. Weniger gut id die Zeichnung, die wohl fcharf.
aber nicht immer richtig ifl, was hauptlachlich an den Köpfen auffällt.
z. B. an dem der mittleren Figur.
Auf dem anderen Flügel find drei Mohren dargeftellt. Der erde
mit der Fahne, in filberblankem Harnifch und mattgelbem Mantel wird
der h. Moritz fein. Der zweite trägt gelblederne Stulpendiefel und
einen rothen Mantel , unter dem man noch ein Panzerhemd fieht , als
Kopfbedeckung dient ihm ein turbanartiger, bänderumfchlungener F'ilz-
hut. Seinen Namen kennen wir nicht. Auch den des dritten nicht,1 welcher
einen bis an die Knie gehenden , blaugrauen Rock mit langen Aermeln
trägt. Darunter gewahrt man den Harnifch. Seine Beinkleider find roth
die kleinen Schuhe fchwarz. Jeder von diefen dreien trägt einen Filzhut
mit F'edern bedeckt, ein Schwert an der linken und einen Dolch an der
rechten Seite wie die Ritterum 1500; ferner id jeder reichlich mit Goldfachen
gefchmückt. mit goldenen Halsketten und mit Ringen an den Händen und
Ohren. Der Hintergrund entfpricht dem des letztbefchriebenen Bildes auch
in Bezug auf die Nimben, ebenfo hat diefelbe Proportionirung durch zu
darke Köpfe datt. Die Geflehter find vortrefflich in der Aufladung und
Färbung. Dafs auch Moritz ein wenig gefchlitzte Augen hat, bemerkt man
kaum. In der genauen Dardellung mancher F.inzelheiten , z. B. der kurzen
Barthaare diefer Heiligen, macht fich auch hier ein gewifles naturaliflifches
Streben bemerklich. Da auch diefes Bild befonders gut erhalten id, läfst
fich dergleichen noch eingehend fiudiren.
Aus unferer Befchreibung diefer Malereien id wohl fchon klar ge-
worden, dafs die Bilder in Hinficht auf Abladung und Durchführung nicht
gleichartig find. Es gehören zufammen die vier auf den inneren Flügeln
einerfeits und andererfeits die vier auf den beiden äufseren beweglichen
F'lügeln; ob zu letzteren auch jene beiden Gemälde auf den feddehenden
gehören, id wegen des befchädigten Zudandes derfelben nicht befiimmt zu
fagen; der Technik nach id es wahrfcheinlich, nur die häfsliche deife Stellung
des h. Moritz flöfst Bedenken ein. Hiernach haben alfo wenigdens zwei
Maler an den Altartafeln gearbeitet. Wir wollen beider Eigentümlichkeiten
vergleichen um zu fehen , in welchem Verhältnifs fie zu einander dehen.
Ob der Verfertiger der inneren Tafeln der Meider und jener der äufseren
der Gehilfe gewefen id, wie fich nach der Stellung der Tafeln von vom
herein annehmen läfst, id dabei für uns weniger von Interefle, die Abficht
ld vielmehr, die Charakteridica anzuführen und die Unterfchiede klar zu
iegen, um fo zu einem richtigen Urtheile über den Stil und den künfl-
lerifchen Werth der Malereien zu gelangen.
Was die vier Bilder auf den inneren Tafeln kennzeichnet, id
besonders die Proportionirung der F'iguren, die alle durch ihre grofsen Köpfe
1 vom Hagen fchrcibl, dafs tliefe drei Heiligen Moritz, Victor und Kupertue feien.
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D1K ST. MOKITZKIKCHK.
115
gedrungen oder doch klein ausfehen; dann fällt auf „die nationeile Bildung
der Köpfe“ (Kugler). Sie entlieht in erfter Linie durch die gefchlitzten
Augen mit den hochgezogenen unteren Lidern. Diefe Eigentümlichkeit
findet man allerdings nicht bei allen Figuren, wenigllens nicht in gleicher
Schärfe ausgeprägt, z. B. nicht bei der Maria, allein in folchen Fällen hat
die zufällige Stellung des Gerichts bez. der Augen den Meiller diefe Form
auffällig darzuftellen verhindert. Auch eine grade. Harke Nafe fällt in den
Köpfen auf, die durch fie einen etwas gleichartigen Schnitt bekommen.
Dann mufs die Bildung der Hände erwähnt werden, die an fich plump find,
aber langgliedrige Finger haben, fodafs fie gewiffermaafsen eine Familien-
eigenthümlichkeit der Gefchöpte des Kiinfllers bilden.
Die charakterifirenden Eigenfchaften der Bilder auf den äufseren
Flügeln find, dafs ihre F'iguren eine richtigere oder doch befTere Pro-
portionirung zeigen, dafs der Gelichtsausdruck , weil gefchlitzte Augen
niemals Vorkommen und die einzelnen Züge, namentlich der Mund der
Weiber, zierlich und lieblich find, anmuthiger und edler wirkt und dafs
überdies die Geflehter, vielleicht mit Ausnahme der weiblichen, beilimmte
Charaktere zum Ausdruck bringen. Auch find die Hände hübfeher, fchlanker
und an fich ebenmäfsiger. Ueberhaupt kann man wohl fagen. dafs in diefen
Bildern ein mehr idealillifcher Zug liegt, womit für jene nicht gerade der
Realismus angenommen zu werden braucht. Beiden gemeinfam ift die Art
der technifchen Ausführung, ich möchte fagen der Pinfelführung. So kommen
bei beiden ähnliche Zeichenfehler namentlich an den Gefichtern vor, während
andere Einzelheiten, fo die Haare, bei beiden mit Fleifs, Sorgfamkeit und
Gefchick gemalt find. Verftändig ift auch der Faltenwurf geordnet und die
Mufterung der Kleider mit Genauigkeit durchgeführt; beiden ift jedoch oft
eine matte Schattengebung derP'alten und eine skizzenhafte, faft flüchtig zu
nennende Zeichnung oder nur Andeutung vieler anderen Details, z. B. der
Rüllungstheile der Mohren, der Befatz an den Gewändern u. f. w. gemeinfam,
nur mit dem Unterfchiede, dafs der Verfertiger der äufseren Tafeln meift
noch weniger forgfam. noch fkizzenhafter und flüchtiger gearbeitet hat als
jener andere. Er erreicht wohl die beabfichtigte Wirkung, aber in der Nähe
fieht man der Arbeit an, dafs es fich dabei um das Schnellfertigwerden ge-
handelt hat. Ich fpreche hier nur von der eigentlichen Arbeit des Malens;
man darf fich bei der Beurtheilung des Werthes der Bilder nicht täufchen
laflen dadurch, dafs die Farben jetzt verblafst find, fie waren ohne F'rage
ebenfo glänzend und harmonifch, wie jene der beiden noch in urfprünglicher
Frifche beftehenden Bilder. Nach diefen Darlegungen läfst fich fagen, dafs
die Bilder der inneren F'lügel ein „eigenthümlich gebildeter Meifter" gemalt
hat, deflen AuffalTung und Malweife der böhmifchen Schule am nächften
flehen würde, während der Meifter der äufseren F'lügel eine ächt deutfehe,
vielleicht eine fächfifche Empfindungsweife an den Tag legt. Dabei glaube
ich feflllellen zu dürfen, dafs in der Technik des Malens jener diefem ein Wenig
überlegen gewefen ift, und es ift wahrfcheinlich, dafs letzterer jenes Gehülfe
oder Schüler war; woher fich dann auch die Gleichartigkeit der eigentlichen
Mache erklärt. Wir willen, dafs folche Altäre fabrikmäfsig und mitArbeits-
B. D. d. Bau« u. Kunsld. N. F. I. iu
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146
DIU STA 1 1 1 IIAI.I.K u. il. SAALKRKIS.
Die Sculpturen in
Hol*:
Dir Figuren im
Schrein.
theilung hergeftellt wurden. Wenn alfo gewifle Eigenfchaften des Meifters
oder Atelierchefs, namentlich eben die Technik, lieh auf die Gehilfen über-
trugen, wie wir es hier bemerken, To ill das begreiflich; allein die indivi-
duelle Aufladung konnte fich denn doch nicht fo einfach übertragen, und fo
kommt diefe bei fpielsweife in den deutfehen Geflehtem undKörperverhältniffen,
die von dem muthmaafslichen Gehilfen herrühren, zur Erfcheinung. Mag die
gröfsere Flüchtigkeit in feinen Bildern als Schülerhaftigkeit hingehen, oder
mag fie und das wird das Wahrfcheinlichere fein — in Folge einer durch viele
Aufträge gefteigerten Thätigkeit und in Folge von Gewinnfucht entllanden
fein — wir laden es dahingeflellt, wie es auch ununterfucht bleiben mag, ob noch
ein dritter oder ebenfalls diefer Gehilfe jene beiden feftftehenden Flügel be-
malt hat. An Kunftwerth flehen die Bilder der inneren Flügel — fchon weil
zwei von ihnen fo untadelig erhalten find, dafs fie die eingehendfte Unter-
fuchung und eine richtige Würdigung ermöglichen — voran trotz ihrer uns
unangenehm berührenden Eigeiithümlichkeiten. Die Anlehnung an die
gothifche Ueberlieferung ifi noch fo vorherrl'chend, dals allerdings ein Vergleich
mit jenen zwei Jahrzehnte jüngeren Altarbildern der Marktkirche nicht
ftatthaben kann, wie denn auch die Fähigkeit des immerhin fehr tüchtigen
Meifters mit der eines Grunewald nicht auf gleicher Stufe fleht. Der Ver-
fertiger der äufseren Flügel würde feinem Chef oder Mitarbeiter überlegen
gewefen fein, davon bin ich überzeugt, wenn er fich ohne deffen Einflufs hätte
felbftändig entwickeln, vielleicht fich noch auf anderen Ateliers hätte umfehen
können , weil feine Auftaffung eine weit edlere und idealere ift und weil
feine Eigenart fich nicht bei Dingen wie die exacte Ausmalung von Bart-
haaren u. f. w. authält.
Der Schrein des Altares ftrahlt in üppiger Vergoldung, die durch
ein Teppichmufter, das in das Holz eingedrückt ift, belebt wird, gerade fo
wie es fich als Hintergrund hinter den gemalten Figuren der beiden Bilder
hinzieht, welche zu dem letzten Frofpecte gehören. Jetzt ift die Eintheilung
der F'elder ganz fchlicht durch pfeilerartige Stützen bewirkt; wir können
aber mit Sicherheit annehmen, dafs an letztere anfangs noch ein kunftreiches,
vergoldetes Schnitzwerk geheftet gewefen ift, um wo nicht alle F'elder. fo
doch das grofse in der Mitte vorn zu umkränzen.
In diefem Felde befindet fich nun mitten der gekreuzigteChriftus, nur
mit einem weitabflatternden Lendenfchurz bekleidet. Sein Körper ift nicht
fchön, aber nicht wie meiftens in fpätgothifcher Zeit zu mager, fondern zu
dick, als wäre er aufgebläht ; 1 auch find die Proportionen nicht die edelllen.
Zu den Seiten fleht Maria und Maria Magdalena, wie an den Sockeln unter
den Füssen einer jeden durch eine Aufschrift befagt wird, die bei letztge-
nannter S . Jlutria . Jllcio, bitk’ttc oru . p . no . lautet. Beide find in pracht-
voll gefärbte Gewänder gekleidet. Magdalena trägt ein roth mit Gold bor-
dirtes Unterkleid, ein blaues, mit Sternen befetztes darüber und einen rothen
goldgeränderten Mantel. Auf dem Kopfe hat fie ein weifses Kopftuch.
Kenntlich ift fie auch an den Salbbüchschen in den Händen. Obwohl die
1 Ift diefe
Figur vielleicht et fl int
17. J.dit hundert hinzugelügt ?
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nn-: st. moritzkikchk. >17
Taille dem Stile der Zeit gemäfs viel zu hoch liegt und die Brüll verhält-
nifsmäfsig viel zu klein ift, erfcheint das Gefammtbild jeder diefer beiden
Statuen doch vortrefflich. Die (gewundene Haltung wirkt hier nicht unan-
genehm; fie giebt den weiblichen Figuren , was fie (oll. etwas Bieg-
fatnes, .Gefchmeidiges und ein gewilTes Pathos. Die bei beiden wenig
verfchiedenen Gefichtszüge find ebenmäfsig und lieblich. In den zwei
kleineren Abtheilungen links fleht oben, das Kind auf dem Arme haltend,
Maria in rothem Kleide und goldenem Mantel, unten fehen wirChriftum.
der. nur mit einem blauen Schurz umgürtet, in l'chreitender Stellung (die
ausfieht, als ob er tanze) feine Wundenmale zeigt. Er ill aufserordentlich
unfchönin den Körperverhältnifien — der Leib ift zu den Beinen zu lang —
und feine Haltung mifsfällt ebenfalls. Im oberen Fache der anderen Seite
fehlt die Figur jetzt, unten fieht man den h. Moritz in etwas kleinerem
Maafsftabe als die anderen beiden Figuren gehalten: er i!l gehamifcht und
auf feinem Schilde fieht ein Kreuz, lieber alle diefe Figuren mufs gefagt
werden, dafs fie nicht feil im Schranke liehen, fondern beliebig verfetzt
werden können, was auch gefchehen zu fein fcheint. Es will mich außer-
dem bedünken, dafs nur die drei bezw. zwei Figuren in der Mitte für diefen
Schrein befonders hergeftellt find, die anderen aber unter denen, die im
Atelier vorräthig waren , ungefähr paffend ausgefucht wurden. 1 Ob über,
haupt ein Gedanke in ihrer Auswahl und Zufammenftellung liegen mag
und welcher, ift zu erkennen nicht möglich.
lieber dem Schreine hoch hinauf erhebt lieh geTchnitztes Holzwerk
in dem eine Anzahl Statuen, ebenfalls aus Holz beftehend, Aufftellung ge-
fundenhat. Zu unterft inmitten fieht Chri ftus mit den Wunde nmalen. Ein
Liliennimbus umftrahlt fein Haupt; nur ein Mantel bekleidet ihn. Er ift
gröfser gehalten und lieht ein wenig höher als die nachbarlichen Figuren.
Es folgt rechts J oha nnes. d er Ev angeli ft, mit einem Buche, dann Paulus
ebenfo mit einem Buche. Auf der anderen Seite neben Chrifto (alfo zu feiner
Rechten) fleht eine weibliche Füg ur, die wohl nicht Maria fein foll; fie hebt
die Hände zum Beten empor. Es fallt auf. dafs fie befier als die männlichen
Figuren gefchnitzt ift. Neben ihr erblicken wir Petrus mit dem SchlüfTel.
In dem baldachinartigen Aufbau über Petrus und Paulus bemerkt man je
eine Gruppe von Figuren, die in kleinerem Maafsftabe ausgeführt find. So fleht
über Petrus der h. Georg, der als Ritter gekleidet ift und einen Drachen zu
feinen Füfsen mit dem Spiefse tödtet, und ein Bifchof, den Krummftab
und ein Buch haltend, auf dem Kugeln oder Steine liegen; vielleicht ift
es der h. Nicolaus. Diefen beiden Figürchen entfprechend liehen
über Paulus auf der anderen Seite im Holz werke der h. Chrifto'ph mit dem
Chriftkindlein auf der Schulter und mit einem Baumftamme in der Hand :
ferner die h. Barbara, mit Krone, Kelch und Buch. Wiederum höher
im Aufbau der Ilolzfchnitzerei lieht mitten der Schutzpatron der
Kirche, der ritterliche h. M o r i t z mit der Fahne; auf feinem Schilde bemerkt
man einen gekrönten Adler. Zu feiner Linken fleht ein Bifchof mit Stab
1 Oder aber fpdlrre Hinzufügungcn find.
io«
Die Figuren im
Aufbau.
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148
IHK STAUT HALLK u. d. SAALKKKIS.
und Mitra, aber fein Attribut, wohl ein Buch, in der Rechten fehlt ihm
jetzt. Auf der anderen Seite ill die h.Urfula, die mit beiden Händen einen
Pfeil hält. Mitten über dem h. Moritz ill ein auffälliges, blaues Wappen
angebracht. Darauf erblicken wir in Gold einen Krummllab mit Pfeil und
Schwert gekreuzt. Die zugefügten Buchlfaben lind wohl als Jefus Chrillus
und Mauritius zu deuten. Als Bekrönung lieht ganz zuoberlt unter einem
Baldachine und von einer Mandorla umllrahlt Maria mit dem Kindlein.
Die Ornamente Durch Befchreibung einen Begriff der holzge fchnitzten Oma-
des Aufbaues. . “
mente zu g“eben, in welchen alle diele rigfuren ftehen, ill kaum
möglich. Die ornamentalen Formen theils architektonifcher, theils pflanzlicher
Art find fo gewunden und geradezu gekünllelt, dafs das Material des
Holzes kaum mehr zu leiden vermag. Aus mehreren krabbenbefetzten Stäben
find Fialen gebildet, die fich dann winden und umbiegen, fodafs die ab-
fchliefsende Kreuzblume nach unten herabhängt. Man löll und verknüpft
in fpielender und ganz beliebiger Weife die einzelnen Theile ohne R ückficht
auf ihren Sinn, ja man fcheut fich oft nicht dicht an der Grenze natura-
lillifcher Behandlung herzugehen. Allein alle diefe Ueberfchreitungen
unumflöfslicher Schönheitsregeln lind mit folcher Gefchicklichkeit . man
kann Tagen Bravur gemacht, dafs wir mit Vergnügen dem leichten,
phantaflifchen Linien fchwunge folgen oder unfer Auge auf den aller-
liebllen, fcharf gefchnitzten Einzelheiten ruhen lalfen. Denn es begreift fich
wohl, dafs eine folche Arbeit nur zu llande kommen kann wenn der Ver-
fertiger des Materials vollkommen Meiller ill. Das braune Holz war an-
fangs wohl nur an den ausgezeichneten Stellen matt vergoldet, aber als
die Altarfchnitzerei im vergangenen Jahrhundert rellaurirt worden ill, fcheint
auch die der Kirche zugekehrte Seite ihren heutigen Oelfarbenanllrich
erhalten zu haben, nämlich ein Braunroth mit mattgelber Umränderung.
F's ill natürlich, dafs von diefer feinen llolzarbeit mit der Zeit Stücke ab-
gellofsen wurden, oder von felbft abfielen und verloren gingen, und es ill
anzunehmen, dafs fich unmittelbar über dem Schreine eine gefchnitzte Be-
krönung befand, wie in demfelben anfangs ranken- und blättereiches
Ornament gewefen fein wird, jene nämlich um die unfehönen Anfänge der
Zierrathe des Aufbaues zu verdecken, diefes die F’iguren zu umkränzen. Man
hielt fich demnach im vorigen Jahrhundert veranlafst, Ergänzungen zu machen
und, obwohl man fonderbarenveife beabfichtigte, im alten, einmal gegebenen
gothifchen Stile zu ergänzen, ill doch die Entllehungszeit diefer Ergänzungs-
flücke nicht zu verkennen. Jetzt freilich find diefelben wieder befeitigt
(fie liegen hinter dem Altäre) und mit Recht, aber fo roh ihre Arbeit
auch ill. fo ill fie doch nicht ohne Interelfe, ein geillreicher , an fich nicht
häfslicher, aber mifsglückter Rellaurationsverfuch des vorigen Jahrhunderts
und zwar vermuthlich des Jahres 1782, als das Kircheninnere renovirt wurde.
Wir erwähnen diefe nicht mehr beachteten Stücke auch deshalb, weil fie
fo wie die ältere Schnitzerei bemalt find, fodafs die ganze Bemalung
ebenfalls auf diefe Weife datirt wäre. Fis find auch die Figuren im Schnitz-
werk bei diefer Renovation nicht verfchont geblieben; wohl mag dir
Zufamnu nlh llung ihior alle n Färben beibehallcn fein, aber in den, wenn
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DIE ST. MOKIT7.KIRCHE.
'49
auch glanzlofen Oel färben machen fie keinen guten Eindruck mehr. Ob
die Wirkung- der alten Polychromirung (ich noch an den Figuren im Schreine
erkennen läfst, i ll nicht fichcr. Man kann nicht Tagen, dafs diefelbe durch-
weg gut fei, z. B. die ftark rothen Wangen der Frauen, der glänzende
Fimifs, der alles überzieht und anderes deuten vielmehr auf eine fpätereZeit.
Es verbleibt noch einiges über den Stil und den Werth der gelammten
Arbeit in Holz zu Tagen. Dafs der Grund lür die willkürliche Zufammen-
llellung der Figuren im Schrein nicht angegeben werden kann, ill gefagt.
Anders verhält es lieh mit der Anordnung der Figuren des krönenden Schnitz-
werkes. Sie ift eine verltändige, wie, ohne dafs wir hier noch einmal darauf
einzugehen brauchten, aus der Befchreibung fchon erfichtlich geworden fein
wird, und fo wenden wir uns der Befchaffenheit der Arbeit felber zu. An den
Standbildern ill diefelbe von verfchiedenem Werthe und im Allgemeinen
nicht bedeutend. Magere, eckige Körper mit Harkern Kopfe bilden die
Regel. Das gilt hauptlachlich von den männlichen Figuren. Petrus und
Paulus im Auflätze und im Schreine der nackte Chriflus mit den Wunden-
malen find ohne Proportionen und ohne jede Feinheit in der Bewegung
und Haltung. Auffällig ift, dafs dagegen die weiblichen Figuren durchweg
beffer gerathen lind, fo im Aufbau namentlich die, welche zur Rechten
Chrifti lieht, im Schreine Maria und Magdalena unter dem Kreuze. Von
der Ornamentik läfst lieh im Allgemeinen das Gegentheil fagen, wie von
den F'iguren. Mag man die fichtliche Hintenanfetzung aller Regeln, die
ein aus Holz gefertigtes Kunllwerk feiner X'atur nach fordert, billigen oder
nicht, mag man demnach das Ganze oder die Einzelheit fchön finden oder
nicht, es ift unbeftreitbar, dafs die technifche Leiftung hier Lob verdient.
Es hat vielleicht wenige Künlller gegeben, die mit den Eigen fchaften des
Materials, in welchem fie arbeiteten, fo vertraut gewefen find, wie die
Holzfchnitzer diefer Zeit, im Befonderen wie der Verfertiger der
Ornamentik des Moritzaltares, aber es hat denn auch und wohl in Folge
diefer Meifterfchaft wenige Zeiten gegeben, in denen man die natürlichen
Eigenfchaften des Materials fo fehr mifsbraucht hat. Selblt unter der
Rückfichtnahme darauf, dafs das Holz eine weit freiere Bewegung im Ge-
brauch der derzeitigen ornamentalen Elemente geftattet als der Stein, ift
hier doch das Unglaublichfte in der Umformung geleiftet. Ein ungefähres
Unheil uns zu bilden, mag ein Vergleich mit den Ornamenten des Altar-
autbaues in der Ulrichskirche am Platze fein. Der Unterfchied in der Arbeit
ill auffällig. Auch bei der Schnitzerei zu St. Ulrich mufs lieh das Holz
zu manchen Zugelländniffen herbei laffen; wie im Raufche taumeln die
Linien hin und her, aber Mattigkeit der Erfindung und Rohheit in der
Durchbildung, vielleicht auch eine gewiffe Aermlichkeit , 1 die dort unver-
kennbar find, bewirken doch, dafs man die Herllellung aus Holz nicht in
das Reich der Unmöglichkeit fetzt. Am Altäre zu St. Moritz indeffen fcheint
1 Da* bezieht fich nicht fo fchr auf tlas Innere des Schreines, der ja weit reicher an Oma-
menten ift als der zu St Moritz, wie auf den Aufbau, welcher aber auch mit barocken Stücken
ftark durchfetzt ift.
Stil und Kunft-
werth der Holz-
fehnitzereien.
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liefi'hichte des
Alurfthrcincs.
Meiflcr.
150 HIK STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
jede Linie der Zerbrechlichkeit des Holzes Hohn zu fprechen. Der Meifter
läfst feiner DecorationsluH die Zügel fchiefsen und voller Uebermuth bewegen
(ich die Linien in äufserfler Zierlichkeit und Gefchmeidigkeit, gleichfam mit
ritterlicher, obgleich ganz hohler Höflichkeit meiflerlich zu einer gefälligen
Verwirrung durch einander. Es i!l das Rococo der Gothik.
Als der Verfertiger des Altars wird, wie wir fchon bei Gelegenheit
der baugefchichtlichen Unterfuchungen erfahren haben, Georgius Jhener
von Orlamünde urkundlich genannt und als das Jahr der Fertig-
Hell ung 15 1 1 angegeben, welche Angaben lieh natürlich nur auf den Schrein
und nicht mit auf die romanifche tnensa beziehen können. Im Jahre 1640
waren die Bilder des erllen und zweiten Profpectes, die mehr als die des
letzten beständig mochten dem Staube ausgefetzt gewefen fein, wohl fchon
etwas verblichen, fo dafs der Altar in diefem Jahre „mit Gemälden von
Michael Bayern renoviret" ward. Diefem Umflande verdanken wir
die treffliche Erhaltung der beiden Bilder auf der Innenfeite der inneren
Flügel, welche letztere feit diefer Zeit, äufserlich überzogen von der Leinwand
der barocken Bilder, bis in unfer Jahrhundert ungeöffnet blieben. Auch
die anderen Bilder haben lieh unter einer derartigen langjährigen Verdeckung
beffer gehalten, als es ohne diefelbe der Fall gewefen fein würde. 1601 hat
die Predella, von deren anlänglichem Ausfehen wir nicht mehr K unde haben,
ein Bild von Johann Volkmar Heller, einem taubflummen Sohne des
derzeitigen Adjunctus an diefer Kirche, erhalten. Es Hellt das heilige Abend-
mahl dar unter Benutzung der Portraits der damaligen „Prediger, Kirchen-
VorHeher und Achtmanne.“ Jetzt hängt es im Verfammlungszimmer des
Kirchenrathes. Es iff ohne befonderen Werth. Erinnern wir fchliefslich
noch einmal an die Renovation und Bemalung des Schnitzwerkes im vorigen
Jahrhundert und an die Beteiligung der Beyer' feiten Gemälde in dem gegen-
wärtigen, fo find die bemerkenswerthen Momente in der Gefchichte des
Altares genannt.
Nur auf den Meiner Georgius Jhener von Orlamünde müffen wir noch
einmal zurückgreifen, um hervorzuheben, dafs es von Wichtigkeit iH, ihn
zu kennen, weil wir über eine fächlifche Malerfchule bezüglich der MeiHer
und Werke noch gar unvollHändige Kenntnifs haben. Allerdings find wir
rückfichtlich deffen, was diefer MeiHer perfönlich gefchaffen hat, im Un-
klaren: war er Bildlchnitzer oder Maler? und wenn letzteres, welcher von
den beiden, die lieh durch ihre verfchiedene Aufladung unterfcheiden. wie
wir fahen? Läfst lieh hierauf auch mit Sicherheit keine Antwort geben, fo
gewinnen wir doch die Kenntnifs, dafs den Altarfchrein der Moritzkirche
ein fächfifcher Künfller gemacht hat, weil Georgius Jhener von Orlamünde
gebürtigt, wenn er auch bei Herflellung des Altares dort nicht gerade an-
fäfsig war, und dafs diefer Künfller bekannt und gefchickt war, weil eine
hallefche Gemeinde ihm das Vertrauen zu einem folchen immerhin nicht
unbedeutenden Werke fchenkte. Hieraus läfst fich ferner entnehmen, dafs
Georgius in Halle, in Orlamünde oder wo es immer fei, ein Atelier
und mehrere Gehilfen hatte, fodafs auf eine ausgedehntere Thätigkeit
gefchlofsen werden kann, von welcher fich in häufiger Gegend möglicher-
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DIE ST. MOKITZKIRCHE.
■5'
weife noch andere, bisher unbeachtet gebliebene Beweile erhalten haben
werden.
Das bedeutendfie Kunfiwerk in der Moritzkirche ill die Kanzel F ig. 60, Kamel,
ein Werk der Steinbildhauerei ausdem Jahre i 592 von Zacharias Bogen-
krantz. Sie liegt an dem Pfeiler der füdlichen Reihe, welcher nach Ab-
rechnung des erhöhten Chores gerade die Mitte des für die Gemeinde be-
llimmten Schiffes bildet, und zwar ill fie ihrer 1593 abgebrochenen Vor-
gängerin gegenüber erbaut.1 Ein Portal vermittelt bez. verhindert den Zugang
zu einer fchmalen Steintreppe, die fich um den Pfeiler windet und zu der
eigentlichen Kanzel hinauffuhrt. Letztere wird von einer Säule noch be-
fonders getragen. Die Gefammtanlage weicht alfo nicht von der gewöhnlichen
(Marktkirche, Dom) ab. auch die Eintheilung durch Säulchen in Felder mit
Relief bildern entfpricht der bisher üblichen Weife, die Ausbildung erll
Rempelt diefe Kanzel zu einem wirklichen KunlUverke, wir dürfen Tagen, zu
einem der ausgezeichnetften Kunllwerke der Renaiffance.
Der Stoff zu den Darftellungen in den Feldern ill an der Treppen der bar-
, .„ , ftrilungcn.
brullung dem alten, oben an der Kanzel dem neuen lellamente entnommen
Wohl bemerkenswerth erfcheint auch, wie die Reihenfolge der altte nament-
lichen Scenen llattfindet nämlich abwärtsgehend; und ich glaube darin
eine Anfpielung auf die Gedanken finden zu dürfen, die zur Darllellung
gebracht worden find.
Das erlfe Bild an der Treppe oben unmittelbar neben der Kanzel- Bilder des allen
brüffung Hellt die Schöpfung Eva’s dar. Auf der Seite und zwar nach Teftamenies.
vom gewendet liegt Adam ganz unbekleidet, auf den linken Arm lieh flützend
Gott Vater, als ein vollbärtiger alter Mann dargellellt in Ober- und Unter-
kleide und mit einem Heiligenfeheine, der nicht fcheiben- hindern discus-
törmig auslieht, hebt die F.va an ihren Händen aus der Seite Adams empor.
Diefer fchlafbefangen fcheint nichts davon zu merken, während lie halb
fchon fichtbar mit noch etwas unbeholfener Bewegung ihre Hände dem
Allmächtigen reicht, um völlig hervorzutreten. Einige Bäume und ver-
fchiedene Thiere im Hintergründe kennzeichnen das Paradies. Das folgende
Bild, ein Feld abwärts an der Treppe, Hellt die Scene zwifchen Adam und
Eva am verbotenen Baume dar. Sie ill ein MeiHerHück der Compofition
Inmitten Heht der fatale, fruchtfchwere Baum, links lehnt fich Adam gegen
felliges GeRein, rechts Heht Eva. Indem lie mit einer Hand die verbotene
Frucht dem Adam giebt, der, faH fcheint es, etwas zögernd zugreift, und
ihre andere Hand um eine zweite F rucht zu brechen emporhebt, befindet lie
fich in einer gar reizenden Pofe, die der Künlller unzweifelhaft fo beabiiehtigt
hat. Um den Baum aber durch die Aefie hin windet lieh die Schlange bis
zu dem Apfel, den Eva gerade bricht. Neben Adam ruht das Einhorn und
zwischen Adam und Eva ein Hund, neben Eva aber bemerkt man einen
1 Ich erwähne (liefen UmAand, um auf eine Regel zu verweifen , die man in Halle —
ob auch fonft? — bei der Anlage der Kanzel proteftantifcher Zeit beobachtet zu haben fcheint,
nämlich die proteftantifchen Kanzeln denen aus katholischer Zeit, die immer an der nördlichen
Pfeilcrreihe lagen (flehe die des Domes) gerade gegenüber an die füdliche zu fetzen.
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'5^
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
abgebrochenen Baum (den des Lebens?). Im Hintergründe lieht ein Hirfch.
Das folgende Relief — ein weiterer Schritt abwärts — zeigt uns die Ver-
treibung aus dem Paradiefe. Oben in der rechten Ecke wird durch
Strahlen angedeutet, woher der Engel gekommen, der mit einem Flamraen-
fchwerte jetzt gerade über Palmen und Pinien aul einigen Wolken herab-
fährt und vor lieh hertreibt das erfte Menfchenpaar famrnt feiner Verführerin,
der Schlange. Diefe ift im Laufe die vorderlte. und in ihren gleichfam
halligen Windungen giebt fich unzweideutig ihre Scheu und Eile zu erkennen
Dann kommt Eva; ihr Schurz hat fich gelöft. aber fie hält ihn ganz nach
Weiberart gegen die Brüll gedrückt feil. Auch ihre Haare find aufgelöll
und flattern der fchnellen Bewegung wegen nach ; doch auch hier, als wolle
fie die Unordnung nicht zugellehen, legt fie fellhaltend die Hand daraut.
Das Weib trefflich kennzeichnend ill es auch, dafs fie in voller Eile
noch zurückblickt. Will fie fehen, ob bei aller Schuld doch noch ein Ausweg
möglich fei? Adam aber, lang ausfehreitend, llreckt feine Hände voraus
und drängt fie zur unaufhaltfamen Flucht fort.1 Im Hintergründe lieht man
wieder die Paradieslandfchaft mit allerlei Getliier Hafe. Hirfch, Kamee!.
Straufs u. f. w. belebt. Das unterlle nnd letzte Treppenbild Hellt das
jünglle Gericht dar; es ill zu ihm mithin der Stoff nicht dem alten
Teflamente entnommen. Offenbar fpricht fich hierdurch die freiere An-
fchauung in protellantifchem Sinne aus, der ja diefes Werk gefcliaffen hat.
Der Gedankengang der drei anderen Bilder kann doch nicht paffender ab-
gefchloflen werden als durch diefe Hinweifung auf die ewige Vergeltung,
wenn das fündige Erdenleben vorbei ill. Das Relief ill fo componirt, dal's
mitten Chrillus fitzt von Wolken und Heiligenfehein umgeben, hinter ihm
llrahlt die Sonne, rechts und links fchweben fchlanke. geflügelte Pofaunen-
engel. Er ill oben nur mit einem Mantel umhängt, während ein zweites
Gewand ihn unten umhüllt. Auf der Erde unter ihm fehen wir im Vorder-
gründe r’ie Todten erllehen; fie ringen fich mühfam und fchlaftrunken aus
den Gräbern los und Chrillus blickt auf fie herab, fegnend die Rechte er-
hoben. Im Mittelgründe treibt ein bocksbeiniger Teufel ein Weib zur Hölle,
während ein Engel fich von ihr, die er verloren giebt, abwendet. Links
(alfo zur Rechten Chrifli) im Hintergründe gehen die Gerechten zum Himmel-
reich ein. Diefes gleicht einer runden Itrahlenumgebenen Oeffnung. Die
letzten, uns näher flehenden Seeligen find noch in ganzer Figur fculptirt,
während man von den Vorautgegangenen nur noch die Köpfe, viel un-
gezählte, in perfpectivifcher Verjüngung hinter einander bis in das Flimmel-
reich hinein dicht fich drängen fieht. Auf der entgegengefetzten Seite lodert
auf das Flammenmeer der Hölle , und zur ewigen Pein hin werden von
' Wenn vom Hagen I. 213 An in. berichtet, dafs Adam 1813 durch einen franzölifchen
Kriegsgefangenen den Kopf verloren habe, fo irrt er infofern, als er meint, das fei ihm bei dem
Sündenfalle paflirt. Ich conftatire, dafs ihm bei der Gelegenheit nie der Kopf gefehlt hat.
wohl aber bei der Vertreibung aus dem Paradiefe. Der rohe Spafs des Kriegsinannes veilicrt
daduich keineswegs an Gcift. Ucbrigens ift jene fatale Zeit für Adam längA vorbei ; heute ift
er nicht mehr ohne Kopf, obwohl ihm derfelbe immer noch nicht wieder feft auf den Schul-
tern iitzt.
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niF, ST. MORITZKIRCHE. 153
teuflifchen Gefellen die Verdammten geführt. Doch fonderhare I.aune des
Künlllers! lind es wirklich nur Weiber, die er /.ur Hölle fchickt, während
lieh das männliche Gefchlecht der ewigen Seligkeit erfreuen darf?
Die Zeitfolge in den neute Hamen t liehen Darllellungen an der Bilder au* <lem
Kanzelbrüllung fordert ebenfalls, dafs wir rechts beginnen, wo das erlle ncut'n I'rumcI"-
Flachbild die Verkündigung M ariae darllellt. In einem Gemache, welches
vun einem calfetirten Tannengewö'be überdeckt wird, fitzt die Jungfrau auf
einem Stuhle am Lefepulte, auf und an dem je ein geöffnetes Buch ruht;
auch eine Blumenvafe lieht daneben. Die fchün geformte Gellalt. in ein
faltiges Gewand gekleidet und vom Heiligen fcheine umllrahlt, blickt zudem
feeptertragenden Kngel (iabriel auf, der eben von Wolken umwallt herab-
*chwebt und über dem man in Strahlen die Taube lieht. So lieblich, fo
voll von wirklich heiligem Geille ifl diefe einfache Compofition, dafs es
eines gläubigen Gemüthes , wie es das Betrachten mittelalterlicher Werke
vorausfetzt, nicht erll bez. nicht mehr bedarf, um des Befchauers Herz fo
zu erfreuen, dafs trotz der Bedenklichkeit der Materie eine erfalTende, in
rein menfchlichem Sinne veredelnde Wirkung die Folge ill. Der Geilt der
Renailfance tritt hier klarer denn je hervor. Die Darltellung hat nicht
mehr den Zweck, einer Schrift gleich Eingeweihte an etwas ihnen Bekanntes
lebhaft zu gemahnen, fondem im Gegentheil für ihren Gedankeninhalt, hier
ein viel umllrittenes Stück der chriltlichen l-ehre. vermag lie den Befchauer
einzunehmen lediglich durch die Kraft, durch den Zauber ihrer Ausdrucks-
weife, nicht durch die chriltliche, fondem durch die göttliche Schönheit.
Wenden 'wir uns zu dem folgenden Bilde, der Geburt Chrilti. liier ill
die veränderte Denkweife der Neuzeit, abgefehen von den Formen, ebenfalls
lögleich an der AuffalTung erfichtlich. Ein architektonifcher Hintergrund
läfst durch die Dachfparren hindurch den Stern fehen, welcher die heilige
Stätte hell leuchtend weithin bezeichnete. Aut diefem Grunde hebt fich mitten
ab die junge, aber mütterliche Maria. Vor ihr liegt das Kindlein, es
klammert fich mit der Rechten ganz nach Kinderart an ihrem Gewände feil.
Sie legt die Hände zulammen und lieht mit Freude auf die holdfelige
Creatur herab. Die Hirten vom Felde find anzubeten hereingekommen;
zwei fehen wir rechts, und zwei andere links, von denen einer ein Lamm
hält, während der andere in Ehrfurcht niederkniet. Ein Ochs, der hinten
hereinblickt, bezeichnet die Oertlichkeit als Stall. Jofeph fehlt in der
Scene, zufällig oder mit Abficht ? Ich muthmaafse das Letzere aus Gründen,
die mir in der Eigenartigkeit zu liegen fcheinen, mit der unfer hochgebildete
Künfller alle feine bibli fehen Stoffe feinfühlig zur Darllellung bringt. Maria
und das Kind ziehen natürlich als die I lauptperfonen diefes Bildes unfere
Blicke befonders auf fich und wirklich kann man fich nichts Lieblicheres
denken. Zumal das Chrillkindchcn ill fo zart geformt und, was das Be-
zeichnendlle ill, feine kindlichen Bewegungen find fo naturwahr zum Vor-
trag gebracht, dafs fich uns unmöglich die eingangs erwähnte Denkungs-
umwandelung verfländlicher, beredter, ja einfchmeichelnder kundthun kann.
Die Taufe Ch rilli imjordan giebt denStoff für die folgende Darllellung.
Der bis auf den Schurz entkleidete Chrillus lieht im F'lulTe, und der Täufer
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•54
DIF. STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
( Tcdankcn^^ii^
der Reliefs ini
Allgemeinen.
Johannes giefst ihm mit einem Schalengefäfse WalTer über den Kopf. Mitten
über dem Täuflinge fchwebt die Taube in einer Glorie, noch höher llrahit
eine ovale Sonne, in deren Peripherie man lieft:
DIS IST MEIN LIEBER SON, DEN SOLT IR HOREN.
Links etwas zurück lieht man noch einige Männer, die, ebenfalls die Taufe
zu empfangen, lieh entkleiden. Das letzte Bild, zu dem wir nun kommen, ftellt
die Auferftehung Chrifti dar. Der Sieger über den Tod, Chriftus, fteht.
mit einem Schurz und einem Tuche bekleidet, mitten im Bilde aufrecht auf
feinem Steinplattengrabe. Ein Glorienfchein in Form der Mandorla umlfrahlt
feine ganze Figur und einige Wolken, von feinen Füfsen ausgehend, vor-
flnnbildlichen den fchwebenden Zuftand, in welchem der nunmehr Lieber-
irdifche (ich gerade befindet. Die Rechte erhebt er bedeutfam zum Segen,
feine Linke aber hält als Siegeszeichen ein Kreuzpanier. Vorn vor dem
Grabe liegen zwei Kriegsknechte, die foeben erfchreckt aulwachen und im
Hintergründe liehen andere zwei Bewaffnete, die zu ihm aut'blicken; ein-T
hält die Hand über die Augen, der Glanz blendet ihn vermuthlich, der
andere macht, indem er die Iland ausftreckt, eine Bewegung, die den Schreck
bezeichnet.
Schenken wir nun dem Gedankengange des Künltlers einige Be-
achtung: wie er denken ja auch die erleuchtetllon unter feinen ZeitgenoUen.
Einen Sprung in der Zeit, wie ihn die Darftellungen der altteliamentlichen
Scenen machten, indem lie ausführlich durch drei Bilder fchildeften , wie
die Menfchheit das Paradies d. i. die Schuldlofigkeit verlor, und dann un-
mittelbar zum Weltgericht übergingen, einen ähnlichen Sprung machen auch
die Schilderungen aus dem neuen Teftamente, indem lie zunächft in drei
Bildern ausführlich die Entwickelung Chrifti d. i. der chriftlichen Lehre,
erzählen, dann aber mit Uebergehung der Lehrthätigkeit und der Kreuzigung
fofort in dem letzten Bilde den Sieg Chrifti über den Tod vorführen. Von
wie hohem Interefle für jedermann und von wie praktifcher Bedeutung für
die modernen Künftler immerhin eine weiter eingehende Befprechung gerade
der Dispofition diefer Beinernen Dogmatik, namentlich auch eine Unter-
fuchung der Gründe des Künftlers für diefelbe fein mag, — wir müden uns
begnügen, darauf hinzuweifen, welche Fülle von Gedanken in diefem Werke
aufgefpeichert liegt. Je nach dem Bildungsgrade oder vielmehr je nach
der Bildungsempfänglichkeit des Befchauers wird wie der Roman, wie das
Schaufpiel, wie jedes Kunftwerk auch diefes feinen Eindruck machen und
zu immer tieferem Eindringen anregen. Wie alsdann eine Stufe der Bildung
fich kaum fo niedrig denken läfst, dafs Jemanden der Anblick diefer
Schildereien in Stein gleichgiltig liefse, fo ift andererfeits auch gewifs, dafs
die ausgezeichnetften Geifter aller Zeiten noch mit Staunen emporblicken
werden zu der Höhe, in der die Gedanken diefes Meifters gewandelt find.
Die Kunft ift ein göttlicher Funken;1 die Künftler, die fie pflegen, find ge-
1 Ausfpruch C. W. Hase’s in einem Vortrage des Jahres 1878 über mittelalterliche Baukunft.
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IHR ST. MOKUZKIKCHT.
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weihte Prieller gleich wie die , welche von der Kanzel herab Gottes Geift
verkünden; ihre Sprache ilt gleich der der Apollei zu Pfingllen allen ver-
lländlich, fie veraltet auch nicht und ihrer Rede Sinn, erhaben über Fanatismus
und Sectenllreit, gilt ewig.
Von diefer Befchreibung der Reliefs, die eine abgefonderte Gedanken-
folge in lieh fchliefsen, gehen wir unverzüglich zu der einzelner Theile und
des fonlligen meill ornamentalen Beiwerkes über, welches bellimmt ill . die
dargellellten Gedanken zu vervollftändigen und zu verknüpfen, kurz das
Vielerlei harmonifch zu einem Ganzen, zu einem Kunllwerke zu vereinigen.
Das Portal Fig. 61 ill durch Steinpfeiler mit einer Gebälküber- Kaiudporul.
deckung gebildet. Zwei korinthifche Säulen, jede auf einem Piedellal
und unter einer Verkröpfung des Gebälkes, liehen, die Thür Hankirend. vor
den Pfeilern. Ueber dem Kranzfimfe dient ein Kartufchenfchmuck mit
Figuren als krönender Auffatz. Auf der Spitze desfelben fehen wir eine
weibliche F’igur des Donators Wappen halten.' Diefe Stücke im Einzelnen
zu befchreiben, fchicken wir voraus, dafs lie alle in jener Blech- oder Papp-
ornamentenweife der entwickelten RenaifTance mit Nieth- und Nagcl-
imitationen. Voluten, Bändern, Masken u. f. w. auf das Reichlle verziert
lind, jedoch, das mufs ausdrücklich bemerkt werden, wenn auch der Meiller
lieh diefer Motive feiner Zeit bedient, fo bildet er lie durch oder componirt
lie mit einem Gefchmacke, der den bedeutenden Künlller fogleich erkennen
läfst. Das Wort „geillreich“ trifft am bellen den Charakter, der den guten
Werken der RenaifTance eigenthündich ill, und hier linden wir überall diefen
feinen, modernen Gefchn.ack : die Erfindung jeder Volute, jedes Frucht-
bündels, jeder Maske verdient das fchnuickende Beiwort „geillreich.“ Das
Kartufchenornament bildet nun die F'üllungtür die Vertiefungen am Piedellale
der Säulen, umkleidet das untere Drittel des Säulenilammes, belebt die
Pfeiler und den Fries und überträgt lieh felbll auf den hölzernen Thürtlügel,
indem deflen beide Füllungen in Laubfägearbeit gleicherweife behandelt find
natürlich mit den für das Holz nöthigen Umänderungen. Der Künlller verlieht
es eben, lieh auch mit Leichtigkeit in die Eigen Ichaften anderer Stoffe hinein-
zudenken und ihnen llilgemäfs zu 1'chafTon. Es liefern auch die Formen des
Eifenbefchlages an diefer Thür dazu den Beweis; fie find von höchll tlü (Tiger
Zeichnung und wahrhafte Mullerllücke der Schmiedewerkllatt diefer Zeit.
Auffällig ill eine Anordnung, die der Künlller lieh erlaubt hat dadurch,
dafs er zwifchen jedes Säulencapitäl und den zugehörigen Gebälkkropf ein Eigenilmmlich.
Gebälkllück einfchaltet, welches aus Architrav, verziertem F'riefe und den *c,teM-
Kranzgliedern belleht, fodafs zwei Stücke, jedes ein völliges Gebälk dar-
Ilellend, über einander liehen. Zu diefer Häufung der Theile, die geradezu
eine Tautologie ill, fcheint unferen Meiller das Bellrehen verleitet zu haben,
möglichll zierliche Säulen und einen gewilTen Reichtum der Ausdrucksweife
zu gewinnen, und in der That man empfindet den Verftofs durchaus nicht
unangenehm.1
1 l)a der Tbürttiigcl wahrlcheinlicherweife erfl erfunden und gemacht ill, als die Stein-
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DIF. STADT HALLE a. d. SAAI.KRFIS.
i hürbckrönung. Die Theile der Bekrönung- endlich find componirt wie folgt : Die Mitte
nimmt als das Hauptmotiv ein kreisrunder, deiner ner Reif ein. welcher von
Voluten unter ftützt wird und in dem nur der fegnende , die Weltkugel
haltende C hri ft us in halber Figur und frei gearbeitet feinen Platz hat. Ein
Bihelfpruch (ICH BIN DER WEG, DIE WAHRHEIT u. f. w.) verziert die Peripherie
diefes Steinreifes. Die vier Kvangelillen mit ihren Symbolen und mit Büchern
fitzen zu je zweien auf beiden Seiten der Mittelpartie und zwar fo, dals
Matthäus links über der verkröpften Säule und Johannes hinter ihm
etwas höher auf einem volutenunterftützten Poftamente gefehen wird, während
rechts den Gefitnskropf Lucas krönt und höher hinter ihm Marcus fich
befindet. Mit richtigem Gefühle find diefe Kvangelillen in einem entfprechend
kleineren Maafsftabe gehalten als Chriftus; ebenfo ill die weibliche Figur,
die auf einem Poftamente mitten über dem Reifen ein Wappen hält, kleiner,
etwa von der Gröfse der Kvangelillen. Das Wappen, hinter dem fie fitzt,
ill wie es fcheint, die Vereinigung zweier, da die obere Hälfte die Burh-
ftaben S T. die untere A K trägt. Wir werden an einem noch zu erwähnenden
Epitaphium dasfelbe Wappen wiederfinden. Muthmaalslich ift es eben da>
der Familie (Mann und Krau), welche zu dielem Predigtlluhle das Geld oder
doch das nteifte Geld hergegeben hat. An dem Poftamente des Johannis
und Marcus befindet fich nämlich auch je ein Wappen. Das eine davon
mit der Arche findet fich an einem Gewölbefchlufsfteine der Vorhalle. Diefe
beiden Wappen würden fich alfo auf zwei andere Geldfpender beziehen.
Klar ift nicht, weifen Namensanfangsbuchftaben G. T einerfeits und I R
andererseits in der erften Frieskartufche über den Säulen find. Ich vermuthe,
dafs die Namen der Gehilfen des Meifters damit angefangen haben. Letzterer
Meifterzcichen. hat lieh zwar fehr befcheiden. weil klein und wenig auffällig, aber doch an
ausgezeichneter Stelle ganz oben mitten am Poftamente der Wappenhalterin
auf einem ovalen, hervorfpringendem Stücke verewigt. Wir fehen zwifchen
den Buchllaben Z und B fein Künlllerzeichen, zwei aufrechte gekreuzte
cfcllenzeiclicn. Schwerter. Das Steinmetzzeichen mit den Buchllaben W G. welches unten
an der Seite des rechten Portalpfeilers ziemlich auffällig lieht, würde man
vielleicht geneigt fein für das des Meifters zu halten, weil eben jenes Z. B. an
der Bekrönung fo fehr wenig in die Augen fällt, wenn nicht alle Chroniken
einmüthig bezeugten, dafs Zacharias Bogcnkrantz der Meiller gewefen
fei, was um fo mehr glaubwürdig ift, als fie auch, die Summe von 500 Thalern
nennen, die er „blos vor feine Arbeit, ohne das Gold, Bley, Eifen und Reife-
kollen" bekommen hat. Wir müden alfo annehmen, dafs es eben einer
feiner Gehilfen war. delfen Zeichen und Namensanfangsbuchftaben wir hier
eingehauen fehen. über den wir aber weitere Nachricht nicht haben. Dem
Orte und der Art feiner Verewigung nach zu fchliefsen, hätte diefer Mit-
arbeiter die einfachllen Sachen ausführen müffen, für den regelrechten Verband
ft ticke fertig zufaminengebaut daftanden, fo wäre auch nicht ausgefchlofsen, dafs der Mcifter fich
in den Maafsen geirrt hätte, fei cs nun bei dem Beftellen der Sandfteinftücke im Steinbruch
oder bei feiner Arbeit, fodafs er dann thatfächlich zu einem Einfchiebfel gezwungen war. Der
Fugcnfchnitt weift darauf hin.
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IMP. ST.MORITZKIRCHE. 1 57
mit dem Pfeiler zu forgen, oder auch die ebenen Flächen zu bearbeiten
gehabt.
Die Haupttheilung an der Treppenbrüflung ill durch die vier be- Architektur «lei
fchriebenen Reliefbilder gegeben. Sie werden unten an der Wange von Treppenbrültunc
einem durchlaufenden, bandartigen Friefe mit einigen architektonifchen
Gliedern gefäumt und oben von einem kleinen, doch ganz ausgebildeten
Gebälke überdeckt; feitlich werden fie durch befonderszart verzierte Säulchen,
welche frei aul Confolen liehen und Confolen flatt der Gebälkverkröpfung
tragen, von einander gefchieden. Auch diele Säulchen von etwas gedrungenem
Verhältnis find korinthifcher Ordnung und ungefähr auf ein Drittel ihrer
Höhe kartufchenartig umkleidet. Ein richtiger Begriff läfst lieh durch Be-
fchreibung von der Sauberkeit und dem Charakter der feinen Ornamente
fchwer geben, ja kaum durch Zeichnung veranfchaulichen, befonders wenn
man erwägt, dal's die Kartufchen an jedem Säulchen von neuer Erfindung
find. Zur Sicherheit wird die Treppe noch von einem Pollamente unter-
llützt, welches an feinen Seiten vortretende Masken trägt. Der Ausdruck
diefer bildet gewifiermaafsen eine Klimax, indem er fielt zum Scheufslichen
lleigert. Während nämlich die eine noch einem Engelskopfe gleicht, lieht
die zweite fchon viel weniger unfchuldig, die dritte aber ablcheulich aus.
Cnterfucht man auch die vierte Poflamentfeite, fo findet fich dort ebenfalls
eine Maske, die indefien fo dicht gegen den Kirchenpfeiler flöfst, dafs ihr
Ausdruck nicht angegeben werden kann. Diefer Umfland, fo wie der, dafs
durch ein dem Pollamente aufgemauertes, unausgebildetes Stück die ebene
Schräge der Stufenunterficht erreicht wird, die Unterllützung alfo auch nicht
organifch iß, fo wie endlich dafs in den Köpfen (Haar, Flügel) fich fchon
leichte Spuren des Charakters des 17. Jahrhunderts finden, führt auf die
Frage, die wir allerdings nicht bellimmt beantworten, alter doch hiermit an-
regen wollen, ob nämlich das Pollament wirklich noch vom Meifler Bogen-
krantz für diefen Zweck und Platz gemacht oder erll nachträglich, wenn
auch bald, fertig untergefchoben fei. Auch an der Kanzelbrüßung ift die
Theilung wie am Aufgange beibehalten, nur dafs die Bilder kleiner find und
jedes noch einmal durch eine befondere Bogenarchitektur eingerahmt wird.
Der Rundpfeiler unter der Kanzel (fiehe Fig. 60) — denn die originelle RumJpfeilcr.
Unterllützung diefer kann wohl als Säule nicht eigentlich gelten, — fleht
auf einem kubifchen Pollamente mit kräftigen Füllungskartufchen. Ueber
f-iner zierlichen attifchen Balis erhebt er fich nach oben zu mit hermen-
artiger Entafis, die bis dicht unter das Capitäl geht, wo wiederum eine
geringe Zufammenziehung flattfindet. Von einem Capitäle kann man
kaum fprechen ; flatt feiner fieht man eine Häufung von allerlei tlüflig ge-
zeichneten, über einander vorkragenden Gliedern, die fchliefslich den Boden
der Kanzel bilden und fo den Conflict zwifchen Stütze und Lall vermitteln.
Wiederum in hohem Grade geiflreich ill der Schmuck diefes Rundpfeilers,
ln dem Kartufchenomamente. welches denfelben umfpannt, hat der Meifler
die gefeffelten Geflalten von Sünde, Tod und Teufel angebracht. Recht
sympathisch dürfte der individuellen Denkweife gerade diefes Künstlers ge-
wefen fein, die Sünde in Gellalt eines Weibes darzullellen; liebreizend
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Färbung.
I58 ÜIF. STADT HALLE “• <•• SAALKKKIS.
ill der obere Theil ihres Körpers, doch der untere hat an Stelle der Beine
einen weichen, welligen Schwanz, der das Viehische in ihr verlinnbildlicht.
Nicht im Mindesten find ihre weiblichen Attribute übertrieben, ein Vorbild
den heutigen Künftlern, denen leider eine folche Übertreibung Bedürfnifs I
zu fein fcheint. Das Geficht ill mehr von klaffifcher Strenge als finnlich im
Ausdruck; die Brülle find nicht üppig, fondern mit anatomifcher Richtigkeit
proportionirt und placirt, auch die Hüften fchwellen nicht 'durch eine zu
feine Taille überllark hervor, und doch, giebt es einen Poeten, d elfen
Phantafie ein trefflicheres Bild für die Sünde erlinnen möchte, für die fufs
verführerifche und zugleich abfcheuliche Sünde?! Beide Eigen fchaften hat
der Bildhauer dem weiblichen Ungethüm beigelegt, aber er hat die Sünde
hier gleichfam an den Pranger gestellt, fie ill nun gebunden und machtlos.
Ueberwunden ill auch der Tod, ein gefeffeltes Gerippe, das gespenftig
von feinem Pranger herabgrinll, dann kommt des Teufels fcheufsliche Ge-
llalt mit Bocksbeinen und einer unbefchreiblich viehifchen Phyliognomie;
aber auch mit feiner Macht ill es nun vorbei, er kann lieh nicht mehr
regen. Lange verfunken in die Betrachtung diefer tieffinnig erfonnenen
und meillerlich gemeifselten Allegorien wenden wir uns endlich ergriffen,
doch beruhigt von diefen Unholden ab, wenn der Zauber, in den des
Künlllers Werk uns eine Zeit lang bannte, vergeht und mit Macht die
fittlichen Gefühle in unferer Brüll erwachen. Was über die ornamentalen
Details im Allgemeinen gefagt ill, gilt auch hier; befondere Aufmerkfamkeit
verdienen die ausdrucksvollen Masken an den Gürteln der drei gefelfelten
Gellalten und das architektonifch höchll reizvolle Profil der bofehriebenen
Ueberführung des Rundpfeilers in den Kanzelboden. Schliefsen wir hiermit
unfere Befchreibung, indem wir zufammenfalfen, was alfo über diefe Kanzel
in Bezug auf den Sinn ihrer Zierrathe gefagt worden ill, fo dünkt uns kein
Vergleich paffender als der, fie felber fei eine Predigt fo inhaltreich und
erbaulich, wie nur je eine, die von ihr herab gehalten wurde. Ihre ficht-
baren Worte ermahnen ergreifend ernll und fordern fanft überredend zu
allem Menfchlich -Edlen auf. Zum Unterfchiede aber von ähnlichen Arbeiten
des Mittelalters tritt hier weniger — wir haben mehrfach darauf hingewiefen -
eine chrilllich kirchliche als vielmehr eine chrifllich menlchliche AuffafTung
aller Dinge zu Tage, und das ill die Idee der Renailfance.
Es ill, bevor wir zu einer Würdigung der an der Kanzel vorliegenden
Kun Illei llung übergehen, über die Polychromirung noch Einiges zu Tagen.
Wie die Antike nichts von der Schönheit einer blendenden Weifse, die ihren
Bau- und Bildwerken durch die Kunilforfcher1 angedichtet war, gewufst hat.
so hat auch die Renailfance in ihren belTeren Werken keinen Gefallen
daran gefunden, fondern in keufcher Weife lieh der Farbe durchweg be-
dient, um das Material vollens zur Dienerin des idealen Zweckes zu machen.
So ill denn auch der helle, feinkörnige Sandllein, aus dem unfere Kanzel
belleht, überall zunächll mit einem matten gelblich- oder grünlich grauem
t Semper hat lie {Kurier, Hcttncr und andere) ad absurdum gefühlt, indem hr die Leicht-
fertigkeit ihrer Untcifuchungen nachuies.
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IHK Sr. MOK1IZKIKC1U.
150
Farbenüberzuge verfehen, der dellenweife durch die Bearbeitung des Steines
z. B. durch das Spitzen oder Krönein des Grundes der Ornamente abge-
tönt worden ilt. Dann find einzelne Theile z. B. die Spitzquadern . Rund-
theile, Knöpfe u. f. w. durch eine Aärkere, doch gebrochen blaue oder gelb-
liche Färbung hervorgehoben und andere, wie die Säulencapitäle , Reifen,
Masken u. f. w. matt vergoldet. Darin fcheint in der That der ganze Farben-
fchmuck bellanden zu haben, der fich mithin nur in gebrochenen und nicht
lebhaften Tönen hielt, vermuthlich mit Rücklicht auf die fo reiche plallilche
Ausbildung. Ob nun das Jahr 178z oder erd diefes Jahrhundert die wider-
lich rohe Erneuerung der Farben, die wir jetzt fehen, vorgenommen hat,
mag dahin geftellt fein. Die Keulchheit der ehemaligen Totalwirkung
mufste durch eine liellenweife Broncirung des alten Goldes und durch Ueber-
malen der bläulichen und gelblichen Stücke mit giftig glänzenden Oelfarben
verloren gehen, weil fich dadurch die decenten Contrade der matten Farben
zu einer unerfreulichen Disharmonie verdärken und fo namentlich der
pladifchen Wirkung zum Schaden gereichen.
lieber den Stil und Kundwerth der Kanzel zu einem richtigen Ur- si
theile zu kommen, id nur möglich, wenn man den einfeitigen Standpunkt auf-
giebt, von dem aus die nicht profanen Zwecken gewidmeten Arbeiten der
Renaiffance gemeiniglich bourthcilt zu werden pflegen. Nicht was fie lagen
Pollen d. h. der geifiige Stoff darf beurtheilt werden, das Urtheil müfste ja
immer ein fubjectives fein, fondern wie fie etwas Pagen d. h. die Befchaffen-
heit der Ausdrucksweife, in welcher irgend ein geidiger Stoff in Formen ver-
ftändlich gemacht wird; und in diefer Hinficht id unl'ere Kanzelficherlich ein
hervorleuchtendes Stück der Bildhauerei. Wie befchaffen id denn nun an ihr
(liefe Ausdrucksweife? Dasjenige, was für eine Reliefdardellung als unor-
läfsliche Regel gilt, dafs fie einem Bilde gleicht, welches llatt durch Farbe
durch einen je nach dem Platze der Objecte höheren oder flacheren Auf-
trag von pladifcher Made entdanden id, diefe Regel id hier mit Strenge
iteobachtet; dabei id nicht ausgefchlolTen, dafs folche aufgetragene Made
fich je nach den Umdänden bis zu ganz frei gearbeiteten Stücken loslöfi.
Im Gegemheil hierdurch wird die Wirkung bedeutend kräftiger, fo lange
die hochreliefirten Theile die Fläche nicht verladen. Wir geflehen zu, dafs
Meifler Bogenkrantz in diefer Hinficht ebenfo wie mit den architektonifchen
Gliederungen und Zierrathen allerdings bis an die Grenze des Erlaubten
fich gewagt hat. aber er war ficher, dafs fein guter Gefchmack ihn bewahre,
diefe Grenze zu überfchreiten. In den Einzelheiten id eine genaue Kennt-
nifs der Natur bemerkbar, die Bewegungen der Figuren, ihre Muskulatur,
der Faltenwurf, das alles id völlig der Natur abgelaufcht, auch die Köpfe
find trefflich charakterifirt und dabei fad von jener gleichmäfsigen Ruhe im
Ausdruck, die wir an den antiken Bildwerken bewundern. Die Figuren
find lämmtlich Idealgedalten voll Lebenskraft und Wahrheit, wiederum wie
alles andere in geidreicher Auffaflung. Damit id fchon ausgefagt, dafs keine
natural i di fche, fondern eine fiiliflifche Behandlung flaufindet. An
einigen Stücken wird diefe zVrt befonders auffällig z. ß. an den Wolken,
mehr noch an den Bäumen. Sie fehen aus wie nach einem gewilfen
il und Knnft
wcrtli.
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Kanzeldcckcl.
lÖO - - DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Schema behandelt, welches nichts weniger als naturaliftifcher Art, aber
vorzüglich geeignet ift. den von dem Künstler beabsichtigten Eindruck
auf den Befchauer zu machen. So unmöglich es nun fcheinen mag,
aut solche Weife d. h. durch eine naturunwahre Darßellung eine nicht un-
natürliche Wirkung zu erzielen, fo ift es dennoch der Eall, und es entlieht
die Frage nach dem Grunde. Hier enthüllt lieh uns das Geheimnifs de-
Stiles, der als ein Product der Bedingungen angefehen werden kann, welctn-
das Material, die Zeit und in der RenailTance auch die Perfönlichkeit des
Künlllers dem Kunllfchaffen auferlegt. In unferem Falle diefe Bedingungen
zu unterfuchen, würde zu weit führen; aber da es gerade Baumfchlag ift,
an dem die Eigenfchaften vornehmlich auffallen, fo wollen wir auf ein
Analogon in der Malerei verweilen, nämlich auf jene Claude (Gelee) Lorrain-
fchen Landfchaften, an denen alle Welt, obwohl heute von ihrer ehemaligen
Farbenpracht wenig geblieben ilt, die Fähigkeit bewundert, den Befchauer
in eine gewifse Stimmung zu verfetzen. 1 Dabei find ihre Bäume und Blätter
nichts weniger als wahre Baum- und Blattportraits, wenn ich einmal fo
fagen darf. Wie die fchematifch behandelten Typen hier mit Sicherheit die
beabfichtigte Stimmung hervorbringen, fo auch die unferes Meifters. Es ift
eben die nicht wohl erklärliche Weife des Stils, die folchen Zauber bewirkt,
indem fie flatt des Zufälligen den allgemeinen Charakter darllellt.
Noch eine zweite Eigenschaft mufs als von befonderem Ein Hufs auf den
Stil genannt werden. In dem klaren Bewufstfein von dem Begriffe der
Plaflik formt der Künftler alle Einzelheiten — nicht nur die Bäume und
Wolken — als feien fie wirklich auf plaflifchem Wege z. B. aus einer
reichen, bildfamen Wachs- oder Thonmalfe entllanden, eine Weife, die den
Eigenfchaften des Steinmaterials Rechnung trägt , indem fie die Härte und
Sprödigkeit desfelben für das Auge unfchädlich macht. Sie ordnet den
Stoff feinen Eigenfchaften gemäfs, nicht ihnen zuwider den höheren Zwecken
der Kunff unter, und wir haben gefeiten, wie durch die Bemalung diefe
Zwecke vollens erreicht worden find.
Es genügen diefe Ausführungen, um den Platz, den die grofsartige
Arbeit unter den Erzeugniffen der bildenden Kunll einnimmt, zu bestimmen.
Sie fleht gewiffermaafsen auf dem Culminationspunkte der Entwicklung
des Renaiffanceftiles; fchönere lflüthen hat diefe F.opche nicht erzeugt.
Wirklich barocke Elemente — das will Tagen rein willkürliche — find an
der fteinernen Kanzel noch nicht vorhanden, obwohl es nur noch eines
kleinen Schrittes bedarf, damit die Grenze des wirklich Schönen über-
schritten werde.
Interelfanterweife fehen wir nun an dem K an zel deckel, der in-
fchriftlich um 1604, alfo nur zwölf Jahre fpäter gemacht worden ift, die
K unfl diefen erften Schritt zum Verfalle thun, fodafs ein Vergleich die feinen
Unterfcliiede darthun mufs. Das Ausfehen dieses Schalldeckels ift folgendes:
Ein in der Unterficht cafTettirter Ring mit einer tiefer liegenden Füllung
mit Wolken und Sonnenftrahlen in der Mitte bildet nach aufsen ein Ge-
1 Man fpricln daher vun einer Stimmung im Bilde.
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DIE ST. MOKITZtKCUE. l6l
bälk. welche- aus einem sehr niedrigen Architrav, hohem, durch Consolen
triglvphenartig gegliedertem Friese und einem Kranzfimse befiehlt. Die Con-
folen liehen auf einem Kropfe im Architrav, haben in den überbreiten Metopen-
feklem fchnörkelumgebene, aus der Fläche vortretende Engelsköpfe /.wischen
fich und erheben fielt mit einer kühnen Volute über das Kronenfims. Die
Gliederung desfelben belleht in einigen Plättchen und einer mächtigen
tiacheoncaven und mit Flachomamenten verzierten Sima, eine eigentliche
1 fängeplatte fehlt. 1 lieber diel'em Gebälke erhebt fich zwifchen den genannten
Confolen. auf denen Figuren liehen, bekrönendes Kartuschenwerk und da-
hintereine Kuppel, die wieder einem kleinen Achteckstempel als Bafis dient.
Die acht Säulen des Tempelchen nehmen Bögen auf und darüber läuft
ein consolengetheilles Gebälk mit F'lachkuppel und Figurenbekrönung
ringsum ; alles giplelt in einem bergartigen Gebilde, auf dem der von Wolken
umwallte Chriltus lieht. Die zahlreichen Figuren find freillehcnd. Es lieht
auf dem unterllen Ringe inmitten Chrillus. Er nimmt eine ausge-
zeichnetere Stellung ein als die anderen Figuren über den Confolen, da er
zwifchen zwei einerfeits abgebrochenen andererfeits volutenartig aufgerollten
Simsltücken lieht, die einen Giebel bilden. Engelein tragen und mit frei
herabhängenden F'ellons. Zeug nachbildend, gefchmückt find. Chrillus leibst
regnet mit der Rechten und hält in der anderen Hand die Siegesfahne.
Unter feinen Füfsen aber windet fich die Schlange und als Gerippe liegt der
überwundene Tod machtlos da. Am Pollamente hier unter diefer Gruppe
lieht auch die Jahreszahl 1O04. Von den Engeln auf den Confolen links
hält der erlle ein Kreuz, der andere eine l.eiter und der letzte einen
Spiefs (?). auf der anderen Seite feilen wir den erden mit einer Säule, den
zweiten mit einem jetzt nicht mehr erkennbaren Gegenllande, den dritten mit
dem Schweifstuche der Veronica. Flier ill alfo das Leiden und der Sieg
Chrilli über den Tod in einer ausführlichen und pomphaften Weife vorge-
führt. Darüber in dem Tempelchen folgt die Anbetung derilirten. Die
noch fehr junge, kindlicne Maria fitzt hinter einer Krippe, in di r das Chrill-
kind liegt. Jol'eph lieht rechts neben ihr mit einem Lichte und hinter ihm
ein Ochs. Auf der anderen Seite befinden lieh zwei Hirten, zwifchen ihnen
lieht ein Efel. Unter der tlachkuppellörmigen Decke fchweben über der
Sonne zwei Engel mit Bändern in der Hand. Auf dem Bande des einen
liest man die Worte GLORIA IN, auf dem des andern ECCELSIS DEO. Auf
dem Gefimfe diefes Tempelchens flehen neun Figuren, Frauen und Männer
(Jünger), alle mit unmittelbarem Bezug aut Chriltum. der hoch in ihrer Mitte
aut Felfengellein lieht und von Wolken umgeben gerade zum Himmel
auffahren will.
Nach diefer Befchreibung handelt es (ich um den Stil der Arbeit siil.
bez. um den Unterfchied zwifchen jener Blüthe der Kund und dem erllen
Schritte zu ihrem Niedergange. Es ill zunächll das Material, welches einen
Verllofs gegen die Bedingungen eines guten Stiles bekundet. Nicht als ob
* Diele Simsform feheint eine Zeit lang von jetzt ah beliebt geworden zu fein, wie die
Epitaphien zu St. Ulrich und im Dome erweifen.
B. D. d. Bau- u. Kunsld. N. F. I. II
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IMF. STADT HALLF u. d. SAAUCKEIS.
IT nbcdcutciulerc
Kiiiiftuerkc'.
162
es ungerechtfertigt wäre, eine fleinerne Kanzel mit einem Schalldeckel von
Holz zu verfehen; nichts ill natürlicher rückfichtlich des Zweckes und ck-r
Conflruction; aber heilig fei dem Künfiler vor allem die Wahrheit, verfucht
er wie hier seinem Holzwerke das Ausfehen einer Steinarchitektur zu geben,
fo verflöfst er gegen diefes Grundgesetz und feine Kunll (leigt herab. Die
Formen felblt find mit Verltändnifs und Gefchick denen der Kanzel ange-
pafst, allein fie thun den verhängnisvollen Schritt wirklich , vor dem jene
Halt machten: fo die Confolen. die den lleinernen ganz ähnlich find, hier
aber fchon herabhängende Zipfel haben und frei gearbeitet über das Ge-
fims als Volute hinaufgehen ; fo auch das Gefims, welches Hängeplatte und
Unterglieder durch eine pomphafte Sima im Steincharakter erfetzt; fo
endlich die giebelbildenden Simsllücke zu den Seiten des fiegreichen
Heilandes, die ihre Holznatur verleugnend, einerfeits willkürlich abbrechen
und andererfeits volutenartig endigen. Auch die tüchorvorllellenden Holz-
gehänge an ihnen überfchreiten fo frei hängend offenbar die Grenze des
Erlaubten. Wenn wir nun auch die mehr malerifche als plaftilche Weife,
in der die Engelchen auf den Giebelllücken ruhen, als bedenklich erwähnen,
fo gelangen wir damit zu den Figuren überhaupt. An und für lieh lind fie
wohl in guten Verhältniffen gebildet, aber in der Haltung schon zu bewegt,
um einen gleich würdigen Eindruck zu machen . wie die an der Kanzel
unten. Dals die Köpfe in den Kartufchen ganz, frei find, alfo aus der
Fläche fällen und dafs jede Figur ein lelbftftändiges Stück bildet und ein
Geräth auffällig hält, ünterllützt den unruhigen Eindruck wefentlich. In be-
fonders bewegter Stellung befinden lieh die Figuren der Himmelfahrt: dir
Affecte äufsern fich in den Bewegungen fo Hark , dafs der llatuarifche Cha-
rakter ganz verloren geht. Der wolkenumfchlungene Chriflus fcheint fchon
zu fchweben. Zu alledem kommt noch, dafs die figürlichen Darllellungen
an dem Schalldeckel dem Sinne nach eigentlich nur wiederholen , was an
der Kanzel bereits und zwar beffer gefagt worden ilt. Trotz der angeführten
Kennzeichen einer eben herablteigenden Kunll kann man doch nicht umhin
dielen Schalldeckel noch als eine tüchtige Arbeit anzufehen. Das gilt
namentlich von den einzelnen Figuren, von der Silhouette und den glück-
lichen Verhältniffen des Ganzen; weniger die Ausbildung der einzelnen
Formen als die Malfenvertheilung ill zu loben.
Die Chroniflen fchreiben, dafs Valentin. Sil her mann aus Leipzig den
Deckel gefchnitzt und Johann de l’erre auch aus Leipzig ihn „auf Ala-
baller-Art weifs gemahlet und mit Glantz-Gold verguldet“ hat. Auch diele
Bemalung zeigt unzweifelhaft den Rückgang der Kunll, llatt der gebrochenen
Farben mit matter Vergoldung, wird jetzt glänzendes Weifs und glänzende
Vergoldung zulämmengellellt. Durch mehrmaligen Anflrich mit Kalkfarbe
und durch neue Vergoldung ill jene anfängliche Färbung jetzt ganz über-
deckt und dabei viel von der Schärfe der Formen verloren gegangen.
Hinter den Stübchen unter der Orgelempore befindet fich ein werth-
lofes Epitaphium von 159,5 (Oelbild auf Holz.) Einfach aber gut gemalt ill
dagegen ein zweites zur Zeit dort aut einem Schranke flehendes. Es ill
auch in Oel auf Holz gemalt; man lieht mitten einen Crucifixus und zu
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DIE ST. MORITZKIKCHE.
IÖ3
deffen Seiten eine betende Familie (Mann. Frau und Kinder.) Es ift diefes
das Stück , welches wir bei Befprechung der Kanzelthür erwähnt haben.
Die hier gemalten Wappen ftimmen mit den plaftifchen an jener Portalbe-
krönung überein. Es wird alfo die hier portraitirte Familie die Geldfpenderin
zur Errichtung des Predigtftuhles gewefen fein, denn auch die Malerei trägt
ganz den Stil der Zeit um 1O00.
Unter den Thürmen wird auch ein Taufllein vom Jahre 1662 autbe-
wahrt, der aber ohne Werth ift.
Ohne Werth ift durch Renovation auch der fteinerne Lutherkopf
geworden, der weltlich an der Nordwand der Kirche im Innern fich findet.
Erwähnt mag auch ein lebensgroßer Crucifixus oben an der Weftwand
werden. Ein verfilberter Schurz, natürliche Haare und das verzerrte Geficht
ver weifen das Stück in das 17. Jahrhundert.
An heiligen Geräthen befitzt die Moritzkirche: einen filbernen Kelch GerSthe.
mit Vergoldung, der eine glatte t'upiia und einen eckigen, mit flachem
Maafswerk gezierten Nodus hat: an letzterem finden fich die Minuskeln m t|
p i a p, deren Sinn nicht klar ift Eingravirte barocke (?) Ornamente zieren
den Fufs. unter welchem man alfo lieft: anno dni: CID " ID • CXXXIII
spolium pontificium in pium coenaedominicae convertit usum m: Lucas
Rudolphi: aedis hujus mauritian: pastor ann : XVII aetatis suae LXIX : Den
Formen nach kann der Kelch nicht lange vor der Reformation gemacht
fein: fpäter hat er eine Renovation erfahren. Die Patena ift ohne Bedeutung.
Zugehörig ift ein fiebartiger Löffel, um die HoftietI mit ihm zu nehmen.
Sein Stiel ift eckig. Die allgemeine Form ift nicht fchön.
Ein anderer K el c h ift etwas beffer. Erträgt auf feinem fechsblättrigen
Fufse als Signaculum einen Crucifixus in Relief gearbeitet. Der Nodus hat
fechs ftark ausfpringende, flach gedrückte vierkantige Zacken, und zwifchen
(liefen ift fpätgothifches Blattwerk. Die Zacken tragen vorn die Minuskeln:
i f S II S. Der runde Stilus hat über dem Nodus die Infchrift:
+ Ijitr gol s imör unter demfelben : gol • ii II • um • Ijilr.
I las ft »II wohl beide Male ,, heiliger gott und maria“ heifsen. Die zugehörige
Patena trägt ein reirh gebildetes Weihkreuz.
Hiernach find zwei meffingene Taufbecken zu erwähnen, zu deren
geftanzten Ornamenten die Stempel fchon um 1500 gemacht fein mögen,
während die Anfertigung der Becken um zwei Jahrhunderte fpäter fallen
kann. Beide Beckenformen finden lieh auch in den Kirchen der umliegenden
Dörfer, befonders des Saalkreifes. Die Mitte des Bodens der erlten Schuftel
Fig. 62. nimmt die Darftellung der Verk ü ndi gung Mariae ein. Die Jung-
frau kniet betend an einem teppichbehangenen Pulte; hinter ihr lieht ein
Blumentopf mit Lilien. Darüber fchwebt die Laube und Strahlen gehen
von ihr auf die Jungfrau herab. Links neben dem Topfe läfst fich Gabriel,
mit dem Scepter in der Linken und die Rechte zum Segen erhoben, ehr-
furchtsvoll auf ein Knip nieder. Die Auffaffung und Zeichnung des flachen
Reliefs ift noch ftark mittelalterlich. Die erfte (innere Minuskel-?) Schrift,
1 1 *
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164
DIE STADT HALLE u. <1. SAALEREIS.
Fig. 62.
Anficht und Durchfchnitt eines meffingenen Taufbeckens.
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DIE ST. MOK1TZKIKCHK.
65
Fig. 63. von der das Bild im Kreife umzogen wird, iß überreich verziert
und bellimmt nicht zu lefen. Die meille Wahrfcneinlichkeit hat noch, dafs
lie in vier- und einhalbmaliger Wiederholung 111 I- Y t H f I 111 f bedeutet,
wobei dann freilich die letzten Buchllaben des Stempels in f nicht zu er-
klären fein würden. Vor der Reformation könnte demnach dieler Schrift"
Itempel nicht gefertigt fein. 1 Die folgende kleinere Majuskel- bez. Lapidar-
fchrift zeigt in ihrer Form, dafs lie fpäteßens den erden Jahrzehnten des
F'g. 6.5.
! 16. Jahrhunderts angehört. Der lieh wiederholende Stempel iß gut leferlich:
IE H : BART : AL : ZEIT : GELVEK. F.s folgt ein Ipätgothifcher Blätterkranz
und fchliefslich ein Rand, der. wie es feltener vorkommt, nur fchmal ist.
Seine kleinen Zierrathe lind eingeßanzt. Die zweite TauffchülTel hat keine
Infchrift aber als Schmuck ein üppiges und interelTantes Blattwerk der
fpäteßen Gothik im Boden.
Nicht ohne Werth iß eine Hoßienbüchfe aus Elfenbein mit vergoldeter
, Silberfaffung b ig 64 ; fie iß freilich nicht befonders gut gearbeitet. Ueber ihre
Entßehungszeit u. f. w. geben die Infchriften Auffchlufs. Am unteren Rande
lieht: Jumpfer Magdalena Lcuders ist gestorben den 16. Marti anno 1578.
Inmitten des Bodens fieht man ein Wappen, welches umfehrieben iß: Hans
Deuder anno 1578. wigt 2 61/* lot. Im Inneren des Deckels iß das Abend-
mahl eingravirt. Im Boden der Schachtel lieht man, wie Chrißus(?) mit
einem Kreuzpanier einen Drachen tödtet, dahinter ßeht ein ägyptifches
Kreuz.
Eine vergoldete, in Silber getriebene Kanne iß von guter Renaißance-
arbeit, doch mifchen lieh fchon barocke Schmuckelemente mit unter. Die
bekrönende Figur auf dem Haubendeckel fehlt jetzt. Sonll finden wir dar-
, gellellt eine weibliche Figur mit drei Nägeln und einem Spiefse und eine
andere mit Zange und Hämmert?). Diefe Geßalten lind von guter Zeichnung,
1 Auf anderen Taufbecken (liefet Art timtet lieh in Wiederholung nur III 1. V t H P r
auf wieder anderen aber noch längere, unverfiändliche Hinzufugungen zu dem Namen.
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t66
DIE STADT IIAU.K u. d. SAALKRKIS.
ebenfo die Ornamenttheile, Baldachine, Gehänge, Kartufchen, Engolsköpfe
und Masken an Henkel. Urner dem Buden lieht, dals „Peter Lange Beirger
unt Einwohner (hier hat ehemals ein anderes Wort gellanden, welches, wie
man lieht, durch dieles erleut worden ill) in Halle“ und fein „weib Elisabetd“
Fik. 1.4.
(liefe Kanne zu St. Monte- verehrt hat am „n May an tön"; auch hat
der Geber fein Zeichen beigefügt , weswegen er der Verfertiger wohl nicht
/u fein braucht.
Kino andere Kanne hat der Kirche verehrt der Bürger und Seilet
Christian Rost, delfen Handwerkszeichen mit der Jahreszahl 1683 eingravirt
ist. Drei kreisrunde, unbedeutende und zerltörte Medaillons mit Bibelfpruch-
umfehriften werden von guten Ornamenten zierlich umrankt.
Jiine dritte Ka nne in getriebenem Silber und vergoldet il't auch barock.
An ihr ili dargeflellt die V erk ii ndi g ung Mariae und die Geburt Chrilii.
Ovale Formen und Blätterwerk zieren das Gefäfs.
Eine vierte Kanne ili humpenartig und barock und ohne Bedeutung:
lie zeigt zweimal ein und die feilten Bilder der K v angeli ften.
Ein Taufbecken von 1085 hat llark erhabenes Ornament am Rande
durch Medaillons unterbrochen, auf denen Sprüche liehen. Den Boden
nimmt mitten die Darftellung der Taufe Chrilii ein; er kniet im Jordan
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DIE ST. MORITZKIRCHE.
167
und Johannes tauft ihn. Zwei grofse und zwei kleine Engel halten Hand-
tücher. Am Ufer fehen wir einen Ritter und einen bärtigen Mann, deren
Bedeutung nicht recht klar ill. Die Darltellung ilt gut und wie das ganze
Becken pomphaft.1 Es gehört ein lilberner und vergoldeter Crucifixus ohne
Werth dazu.
Eine crucifixbekrönte llollienbüchfe unter deren Boden Schlangen, ein
Sternenwappen und der Name Johann August Schubart an: 1689 zu fehen
lind, hat wenig Bedeutung.
1 Alfo ähnlich dem Bilde im Buden de* iilheinen Taufbeckens eu Sl. Ulrich.
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Die St. Ulrichskirche.
Gefchichtliche
Einleitung.
A
1 \.uf der Stelle der jetzigen Ulrichskirche mit ihren Pfarrhäufern
Hand im frühen Mittelalter eine jener Warten, die von den Deutfchen
(Sachfen) gebaut waren, welche die alte forbifche Bevölkerung des Land«»
überwunden hatten, und deren edle Gefchlechter zur fortwährenden Nieder-
haltung der Befiegten im Befitze diefer Warten blieben. Die Warte, die
an der Stelle der Ulrichskirche lag. gehörte denen von Hagedorn und
kam. als 1 33g ihr Befiizer kinderlos Itarb, delTen Beltimmung gemäfs an die
Marienknechte zu Halle. Es waren dies Bettelmönche nach der Regel der
Augulliner. Schon zu Anfang des 13. Jahrhunderts hatten fie lieh zunächlt
bei Giebichenltein niedergelalTen, dann auf dem Galgenberge d. i. bei dem
Bahnhofe gewohnt, und nun ergiffen lie die Gelegenheit, fich in der Stadt
felbft anfällig zu machen, indem lie nämlich die los von Hagedorn’fche Erbe
zum Bauplatze für ein Kloller nebll Kirche beftimmten. Nachdem fie für
„80 Schock Grorchen“ die erzbifchötliche Erlaubnifs dazu erhalten, lieh
auch mit dem Rathe der Stadt „verglichen" und fimllige HemtnnilTe1 be-
feitigt hatten, begannen fie den Bau zur Ehre der heiligen Jungfrau autzu-
führen. 1 Nachdem für eine behagliche Wohnung der Mönche einigermaafsen
geforgt und das Baufyllem der Kirche am Chor und dm nächflen Jochen
feflgelegt war, fcheint man fich bei der Bauausführung wahrfcheinlich, weil
die Mittel fehlten, Zeit genommen zu haben; erll 1390 wurde das Kloller
fertig und die Kirche vierzehn Jahre fpäter eingewölbt. Bald darauf trat,
wie in fo vielen auch in diefem Kloller eine grofse Veränderung ein. Die
lautere Lehre Luthers fand auch hier Eingang und fiel, ein fruchtbares
Samenkorn, auf empfänglichen Boden. Von den Mönchen verliefs einer
nach dem anderen die Hillen Klofterräume. um in das gefchäftige bürgerliche
Leben überzugehen, das fich diefer Zeit fo mächtig hob. 1337 entfchlofs fich
der Convent, das Kloller fammt der Kirche an den Cardinal Albrecht für
„5«jo RH." zu veräufsern, nachdem jeder der letzten Mönche davon 40 RH.
bekommen hatte, zogen fie mit ihrem Prior in die Welt hinaus. Der Car-
dinal aber, fortwährend mit Bauplänen und in diefem Augenblicke auch mit
der Umänderung der Kirchfpiele zu Halle befchäftigt, wie wir bei der
Marktkirchenbefchreibung umlländlicher berichtet haben, fand fogleich eine
pullende Verwendung für fein neues Belitzthum. Er hatte nämlich die
Abficht, die fchöne Pfarrkirche zu St. Ulrich, die auf dem Häuferblocke
1 Siehe von Drcyhaupt I, S. 771.
2 Da nach Olearius etliche manuscripta das Jahr 1352 als den Bauanfang angeben, fo
dürfte das Jahr 1339 wohl nicht ganz lieber angenommen werden können.
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DIR ST. L'LRICHSKIRCHE. |6()
zwilchen der grofsen und kleinen Ulrichßrafse und der Jägergaffe lag, ab-
zubrechen. Dazu hatte er ein Recht, feitdem ihm auch das Kloller zum
Neuen Werke gehörte, dem die Pfarrkirche zu St. Ulrich incorporirt war.
Er bedürfe der Materialien des Bauwerkes zur Errichtung des Neuen Stiftes
mit dem Dome, (flehe delTen Befchreibung), fo gab er vor, und wirklich
fcheinen die Steine diefer alten Ulrichskirche, welche, weil fie des brauch-
baren Baumaterials wegen abgebrochen wurde, folide, wenn auch nicht
grofs gewefen fein wird und fpäteßens der Bliithezeit der Gothik angehört
haben kann, im Dome verbraucht worden zu fein.1 Für die Ulrichsgemeinde
mufste natürlich ein anderes Gotteshaus befchafft werden, und dazu kam
dem Cardinal die Erwerbung diefer Kloßerkirche der Marienknechte eben
recht. Im Jahre 1 53 1 den 20. November fand die Ueberliedelung ßatt und
feitdem dient bis heute das Bethaus des Klolters der Bettelmönche für die
Ulrichsgemeinde als Pfarrkirche.
Von den gefchichtlichcn Notizen zur Baube fchreibung übergehend
fchicken wir letzterer voraus, worüber nach ihr weitläufiger zu reden fein
wird, dafs die Kirche als Bau von Bettelmönchen auf das Sparfamße aus-
geführt werden mufste, ein Uinßand, der die merklichßen Spuren überall
hinterlalTen hat.
Die Ulrichskirche Eig. 05 ill eine acht Joch lange Hallenkirche mit
nur zwei Schiffen, nämlich einem Hauptfchiffe. welches im Ollen mit fünf
Seiten eines Achtecks apfidial fchliefst, und einem Nebenfchiffe an der Nord-
leite mit ßumpfem Schluffe im Offen. Beide Schiffe werden in Weßen
durch eine grade Giebelwand gefchloffen; ein Thurm fehlt. Im Süden und
um die Südweßecke bis zu dem Portale der Weßwand war dasKloßer ge-
legen, während der Chor frei gegen die kleine Brauhausgaffe, die Nordfeite
gegen die Leipzigerßrafse und der Reß der Weßfeite gegen die Strafse
„Hinter der Ulrichskirche“ zugekehrt liegen. An der Nordoßecke iß ein
achtfeitiges Treppenthürmchen aus Fachwerk angebaut als Aufgang zum
Kirchenboden. Zugänge führen in das Innere: ein Portal von Weßen,
zwei andere von Norden nämlich im zweiten und fünften Joche von Weßen
her, ein viertes auf der ößlichen Schlufsmauer des Nebenfchiffes und ein
letztes von Süden her aus dem ehemaligen Kreuzgange. Anführen könnte
man auch die fpäter eingebrochene Thür, welche im erßen Oßjoche
in die dort gegen Süden gelegene Sacrißei führt. Im Inneren iß der Fuls-
boden der beiden ößlichen Joche um eine Stufe und der des eigentlichen
Chores um fernere drei Stufen erhöht. In diefer Kirche giebt es natürlich
nur eine Pfeilerreihe. Diefe Pfeiler haben einen fchlicht achtfeitigen
Grundrifs und tragen die Netzgewölbe beider Schiffe. Auf die zahlreichen
Ungenauigkeiten in den Jochweiten fowie in der Stellung der Strebepfeiler
und der Fenßer fei hier nur im Allgemeinen hingewiefen; endlich mag noch
die Divergenz der Pfeilerreihe mit der Südmauer erwähnt werden. Das
1 Diefe Kirche hat nach von Dreyhaupt fchon 1210 als Pfarrkirche einen Plebanus
gehabt, doch wiffen wir über das Gebäude felbft namentlich in Bezug auf feine Entftchungszeit
nichts Beftimratcs.
Bau-
befchreibung:
Grundrifs.
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DU STATT HALLE u. d. SAALKREIS.
170
Acufsere der Kirche macht, da die Mauern aus Bruchlleinen mit Eckquadem
und Kalkbewurf bellehen , keinen befonders vortheilhaften Eindruck. Aus
ilem Grundrilfe geht hervor, dafs auch eine reichere Gruppirung fehle
allein im Ganzen geben die ["heile, die man zuineill nicht aus der Entfer-
nung. fondern von dem günftigllen Standpunkte, nämlich von der Leipziger-
llrafse aus. zu fehen bekommt, eine malerifche Wirkung von einigem Reiz.
Autors. I )ie äufsere An ficht Fig. 60. zeigt über einem Sockel mit einfacher
Schräge Ichlichte Strebepfeiler und Wandllächen bis zum Kopfgelimfc,
welches aulser am Chor, wo es lieh wirklich um die Strebepfeiler kröpft
und unter der Fenllerfchräge an der Wand hinläuft, lieh nur durch ein Ge-
linis an der Vorderfeite der Pfeiler kennzeichnet, übrigens ehemals überall
durchlaufend gewefen fein dürfte, wie die alten abgemeifselten Steine er-
Strebepfeiler, kennen lallen. Die Pfeiler lleigen nun einhüftig — die Theilung liegt
etwa im goldenen Schnitt der Strecke vom Kafffims bis zum Dach — bis
zum llauptgefims empor ohne eine andere Verzierung als die Abdeckungs-
platte des Rückfprunges, deren Sims nach der von Dreyhaupt’fchen Ab-
bildung der Kirche lieh ehemals an den Seiten aller Pfeiler fortfetzte fo,
wie es lieh an denen des Chores bis jetzt erhalten hat. Die beiden Eck-
pfeiler der Wellfeite lind unten durch eine fpitzbogige Oeffnung durchbrochen,
fo dafs (ie fall zu drehenden liögen werden. Die Wellfeite gellaltet fich
auffällig unregelmäfsig durch den einen Strebepfeiler, der zur Aufnahme
des Arkadenbogenfchubes dient, (vergleiche auch den Grundrifs Fig. 65.I
und der daher nicht in der Mitte diefer Seite liehen kann. An der Südfeite
lind die Pfeiler höchll ungleich. Die drei welllichflen , von verfchieden
grofsen Dehnungen, durchbrochen, lind zu Strebebögen geworden, die nun
auch unter lieh ungleich lind. Der vierte hat nur durch ein im Bogen mit
ihm verbundenes Anhängfel ein flrebebogenartiges Anfehen bekommen, ur-
fprünglich ill er den anderen örtlichen Pfeilern diefer Seite gleichartig ge-
wefen. Dafs der zweite von Ollen her überhaupt fehlt , hat feinen Grund
darin, dafs der örtliche Klollerflügel hier gegen die Kirche lliefs und
aufserdem oder vielmehr deswegen die Wand im erften und zweiten Joche
von Fendern picht durchbrochen ill, fodafs lie auch in lieh fchon dem Ge-
wölbefchube Widerrtand genug bieten kann.
i'enftcr. Die Fen Iler haben eine fall zweieinhalbmal fo breite Wandfläche zwifchen
fich, wie ihr Lichtenmaafs ausmacht: dadurch tritt auch im Aeufseren zu beiden
Seiten der Strebepfeiler noch ein Stück Wandfläche zur Erfcheinung. Freilich
nur an der Nordfeite find diefe dem Syflem zu Grunde liegenden Maafsverhält-
nilTe wirklich ausgeführt mit Ausnahme des erften Wertjoches, in welchem
anfangs überhaupt kein Fender fich befand, fondern wahrfchcinlich erd im
1 7. J ahrhundort das jetzige runde zur Erhellung des Emporenaufganges angelegt
wurde. An dem mehreckigcn Chor wird der Fenfterpfeiler natürlich fchmäler;
die Fender bleiben jedoch ebenso grofs; nur jenes am Ortende des Neben-
fehiffes ill breiter und nicht wie die anderen am Chor und an der Nordfeite
durch zwei gleiche Pforten getheilt, fondern durch drei. Der Emporenanlage
wegen lind alle diefe Fenller auf eine gewilfe Höhe vermauert, auch am
Chor ill diefe Vermauerung durchgeführt, hier jedoch, wo Emporen ja nicht
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DIE ST. I'LKICHSKIKCHE.
'71
vorhanden find, wohl der Beleuchtung' wegen. Ganz zugemauert i fl auch
ein fchlankes, zweitheiliges Fender über der Thür in Werten; es liegt wie
die Thür nicht in der Achse des Hauptfchiffes. Südlich konnten die Fenller
der klöfterlichen Anbauten wegen nicht bis aut das Kaffgefims herabgehen,
fondern mufsten mit ihrer Unterkante über den anliegenden Pultdächern
bleiben. Wiewohl nun die Fenller mit Rücklicht hieraul wirklich viel
kürzer lind, hat doch eine Zeit lang ein lehr Heiles Dach der Anbauten,
wie man noch an den Seiten der Pfeiler fleht, bis hoch in die Fenfteröffnung
hineingeragt. An diefer Seite ill die Breite der Fenller noch geringer als
an der nördlichen und ihre Theilung gefchieht nur durch einen Pfollen mit
Ausnahme jenes F'enllers über dem Portale im fünften Joche von Wellen her.
Im erden Wertjoche fehlt wie ebendafelbll im Norden ein Fenller überhaupt;
ebenfo haben, wie bereits gefagt wurde, die beiden öftlichlten Joche diefer
Südfeite keine F’enfter in Folge des anllofsenden Klollertlügels. Die Profi-
lirung der Gewände und Pfollen ill einfach. Die der erlleren belleht aufsen
und innen aus einer Schräge ; llatt der Spitze derfelben fehen wir zur Faflung
des F'enllers die Hälfte eines Pfoßens, der ziemlich fchmal aber tief ill und
aufsen wie innen aus zwei leicht gekehlten Schrägen mit dumpfer vorderer
Hndigung lieh formt; inmitten diefer beiden Keilformen befindet lieh eine
Platte mit Falz für die Verglafung. Die F'enftermaafswerke, die aut Fenller.
den Pfollen ruhen und unter dem Spitzbogen des F'enllers aus ihnen er- l"a,fs',cr ’
wachfen, lind im Allgemeinen von guter Erfindung, aber fie tragen alle
fchon die Markmale der gothifchen Spätzeit, Willkür in der Zulammenfetzung
der Müder, verfchiedene Bogenformen, F'ifchblafen, rechteckige Gebilde
u. f. w. Im Wellen werden die Müller einfacher, die am Chor bieten das
meide Interefle; unter ihnen ill namentlich jenes gegen Südoll gerichtete in-
terefTant. Jedwede F'enfterverdachung im Aeufseren etwa durch ein bogen-
förmiges Sims oder einen Wimperg fehlt.
Die Wandflächen find über dem Sockel- bez. Kafflims bis zum Dache WandBSeh*.
glatt und fchmucklos ; auch das Hauptgefims ill unbedeutend undroh gearbeitet.
Das beiden Schiffen gemeinfame Dach ill ein reguläres, hohes Sattel- L).ich.
dach in Schieferdeckung, delTen F'irll alfo nicht über der Mittel fchiffmitte
liegen kann. Gegen Ollen wird der Giebel durch einen fall fenkrechten Walm
gefchlolTen, dem fich füdlich noch das Chordach vorlegt. Da diefes bei kürzerer
Grundfläche diefelbe Dachneigung hat, fo liegt fein F'irll natürlich tiefer als
der des Hauptdaches und gegen den des letzteren nach Süden verfchoben,
ohne jedoch die ludliche Fläche des Hauptdaches zu verladen. Die Dachflächen
über der Nord- und Südleite des Chores legen fich zu einem Satteldache
zufammen, gegen deden örtliche Firftfpitze die anderen drei Chorfeiten ihre
Dachflächen als Walme autgehen lalfen. Auch im Wellen ill es ein fall
fenkrechter Walm, der den Giebel fchliefst. Hier baut lieh über der Nord-
wellecke eine Glockenllube aus verlchaltemJFachwerk mit Schieferbehang Glockcnltulic.
als ein Gefchofs mit abgewalmteml Dache und grofsen Schallöchern heraus.
Der Sturz der letzteren hat eine ganz gedrückte Kleeblattform, die uns
zeigt, dafs diefer Ausbau erll einer fpäteren Zeit angehören kann; er ent-
lland nämlich, wie die Chroniken fchreiben, 1665. Zu diefer Zeit (limmt
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
denn auch feine ehemalige Dachform mit doppelt gekrümmten Flächen,
doppeltem Hauptfimfe und verfchiedenen Dachluken, wie wir diefelbe auf
der von Dreyhaupt’fchen Abbildung fehen. Die Firltecke des Hauptdaches
Dachreiter, hier in Weden trägt zu rein decorativem Zwecke einen Dachreiter. Auf
ihn beziehen fich die M orte von Drevhaupt’s: „ . . . und (die Kirche) hat
auf dem Dache eine kleine Thurm-Spitze, die mit einem zinnernen Knopfe,
fo An. 1005 von der bei diefer Kirche olHvärts ehedem geflandenen und
diefes Jahr abgetragenen S. Wolffgangs Capelle abgenommen und dahin
verfetzet worden.“ Die Kntllehungszeit des Thürmchens fällt alfo viel
früher als fein Vorhandenfein auf der Ulrichskirche und durch fein Aus-
fehen, welches dem 1;. Jahrhundert entfpricht, bellätigt fich das. Ein feiner
Holzconflruction entfprechender, ungemein fchlanker, achteckiger Helm mit
Auffchieblingen fetzt fich auf einen achtfeitigen, fchieferbehängten Unterbau,
der, foweit er über dem Dachfirlle liegt, zwifchen den Eckpfoflen von
Oeffnungen ganz durchbrochen ill. Den alten, ililgemäfsen, achtfeitigen.
platten (discusförmigen) Knopf hat man bei der diesjährigen Eindeckung
leider durch einen plumpen, (tilwidrigen erfetzt, fodafs dadurch die höchii
charakterillilch mittelalterliche Silhouette des kühnen Dachreiters ungemein
gefchädigt worden ifl. Ein anderer Dachreiter von achtfeitiger ebenfo
durchbrochener Geftalt aber mit einer „welfchen Haube“ als Dach und mit
einem hübfehen Hauptgefimfe, von Holz gefchnitzt, befindet fich etwa über
dem zweiten örtlichen Joche auf dem Kirrte und neben ihm gegen Norden
eine gröfsere Dachluke, an deren Vorderfeite das Zifferblatt der Uhr ange-
bracht ill. während in dem Dachreiter die Schlagglocke hängt.
Auch diefe beiden Zufügungen werden 1665 entbanden fein, ebenfo wie
Treppenthurm, das achtfeitige T reppenthürmc hen an der Xordoftecke, welches aut den
Dachboden geleitet. Sehr wahrfcheinlich diente vordem eine Thür an der
Nordfeite des errten Welljoches. die nach Anlegung des Thürmchens vermauert
bez. durch jenes genannte runde Fenfter erfetzt wurde, als Zugang zu einer
Treppe für die Orgelempore, von wo aus man dann weiter zum Dachboden
kommen konnte. Die Fachwerksconllruction des Treppenthurmes unter
einem doppelt gebogenen, knopfbekrönten Zeltdache bietet, weil alle Kunil-
formen fehlen, kein Intereffe; nur in technifcher Hinficht machen wir darauf
aufmerkfam, dafs das Thürmchen, mit der Kirchenwand durch Eifenbänder
verbunden, durch das Werfen der Stiele im Laufe der Zeit eine etwas ge-
wundene Form bekommen hat. Unerwähnt wollen wir auch nicht laden,
dafs zu den Stücken, welche etwa um diefe Zeit der zweiten Hälfte des 17.
Jahrhunderts entbanden find, die Anlage von Stübchen zwifchen den Strebe-
pfeilern aufsen unter den Fendern der Nordfeite zu rechnen fein wird.
Diefe Kirchlluben find zwar jetzt befeitigt und die für fie in die Kirchen-
mauer eingebrochenen Fenfter ausgemauert, indeffen bellanden fie zu von
Dreyhaupts Zeit, wie aus feiner Abbildung hervorgeht, und waren wohl bis
in diefes Jahrhundert noch fo, wie fie fich ja bis heute an der Marktkirche
erhalten haben.
Pönale. Die Portale find alle fpitzbogig und haben gothifch profilirte Gewände.
Das Portal der Weftfront liegt auffälligerweife nicht in der Achfe des
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DIE ST. ULRICHSKIRCHE.
'73
Mittelfchiffes, fondem mehr nördlich. dieUrfache läfst fich mit Beftimmtheit
nicht angeben; wir werden darauf zurückkommen. Das Profil des Gewändes
ilt überaus kräftig und belleht im Welentlichen aus zwei grofsen, tief-
fchattigen Hohlkehlen mit einem fie fcheidenden Birnenprofile.
Die weltliche Thür der Nordfeite hat ein weniger kräftiges, dafür um
fo gliederreicheres Gewändeprofil. Das Verdachungsfims über ihr in Efels-
rückenform und krabbenbefetzt ilt, wie es fcheint, neu oder doch fo Itark
reltaurirt. dafs kein Unheil darüber möglich ilt. ob die Herltellung wirklich
den ehemaligen Formen entfpricht.
Auch die zweite Thür diefer Seite hat ein gliederreiches Gewändeprofil
von ähnlichem Charakter wie das vorgenannte. Sie ilt von belonderem
Intereffe als die ältere Thür 1 in Halle mit einem fculptirten Tympanon, zu
deflen Unterltützung ein die Thüröffnung theilender Pfeiler dient. Diefe
Anordnung ilt von echt mittelalterlichem Geilte und verfehlt auch hier ihre
architektonifch vorzügliche, auf Licht- und Schattencontralt berechnete, an-
ziehende Wirkung nicht, wiewohl die Einzelheiten nichts weniger als fchön
find. Aut der Dreiviertelfäule, die fich vorn am Pfeilerprofil bildet, fitzt
oben ein Blättercapitäl in bizarren, fchon fpätgothifchen Linien, während an
den Seiten des Pfeilers und an der Laibung der Thür Confolen, zu Unthieren
ausgehauen, das Tympanon unterltützen. Letzteres wird aus drei Steinbalken,
die übereinander liegen, gebildet. Das hochreliefirte Bildwerk bezieht fich
auf die ursprüngliche Kirchen- und Klosterpatronin, die h. Maria, und
zerfällt in drei unterlchiedliche Darltellungen. Zu unterlt vorn über dem
Säulchencapitäle des Pfeilers fitzt, wie fo oft an diefer Stelle, Maria mit
dem Kinde, ganz frei gearbeitet und kleiner im Maafsltabe gehalten als die
hinter ihr befindlichen Figuren, welche die zweite Darliellung ahgeben,
nämlich das Begräbnifs der Maria durch die Apoltel. Ihrer zwölf, fechs
vorn und fechs hinten, tragen die Maria auf einer Bahre; der Zug bewegt
fich nach links. Unter den Voraufgehenden erkennt man Petrus mit dem
Schlü(Tels und Paulus mit dem erhobenen Schwert (?), der hinter ihnen
Icheint Andreas mit dem Kreuze zu fein. Von den Nachfolgenden ilt Bar-
tholomäus ficher an dem Meder in feiner Hand kenntlich. Ueber diefem
Leichenzuge folgt die letzte Darliellung. Chrillus litzt in einer mandorla-
formigen Nifche, fegnend erhebt er die Rechte, während feine Linke ein
weibliches fitzendes P'igürchen hält, eine Perfonification der zum Himmel
aufgefahrenen Seele der Maria. Neben Christo befindet fich jederfeits
die Jünglingsgellalt eines Engels mit langen Flügeln: das Geräth, das jeder
hält bez. fchwingt foll wohl bellimmt ein Räucherkedel fein. Der Gedanken-
gang liegt zu klar, um noch einer befonderen Erörterung zu bedürfen.
Der Stil diefer Sculptur ilt geradezu abfcheulich; ohne Zweifel hat hier
eine Ueberarbeitung llattgefunden, die. wie mir dem Charakter anderer
Sculpturen diefes Bauwerks (z. B. der Confole unter dem Arkadenbogen an
der Wellwand nach) glaubhaft erfcheint, in der zweiten Hälfte des 17. Jahr-
* Die Kirche auf der Moritzburg hat ebenfalls eine folche Portaldispofnion.
* Oder war der Gegenftand das Doppelkreuz des Philippus?
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'74
DIF. STADT HALLS u. (), SAALKREIS.
hunderts gefchehen ift. Die Anordnung1, Haltung und Proportionirung der
l-iguren, der Faltenwurf und anderes verweil! auf eine nicht allzu fpäle
Zeit der Gothik, aut eine Zeit, die noch vor der liegt, in welcher Conrad
von Einbeck an der Moritzkirche arbeitete; durch die Ueberarbeitung aber
lind fall alle Einzelheiten verändert, und zwar erfcheinen fie fo ungemein
roh, dafs Compofition und Ausarbeitung unmöglich gleichzeitig fein können-
Zum Beweife machen wir auf Einiges aufmerkl’am. Vor allen konnten die
Augen nur von einem ganz handwerklichen Arbeiter fo gebildet werden,
wie es meill gefchehen ill, nämlich gefchlitzt nach beiden Seiten Die Xafen
lind faß eckig und ohne Modellirung, verfchiedene Arme und Hände er-
Icheinen ganz formlos und eben fo die übrigen Details bald mehr, bald
weniger. Eine Würdigung der Arbeit mufs daher unterbleiben.
Diele Hauptthür der Kirche und die vor ihr belprochene haben Ge-
wände von fehr ähnlicher Behandlung, während andererfeits die Thür der
Welllront und die jetzt zu befchreibende an der Oftfeite des Neben fchiffes
im Profil ähnliche Auffüllung kundgeben. Das Gewände der Oftthür belleht
der Hauptsache nach in einer grofsen kräftigen Hohlkehle, die von einigen
Gliedern gefäumt ift. Die fpitzbogige Thür lieht unter einem flachen Ent-
lallungsbogen, welcher gegen das Innere mit zwei Hohlkehlen verziert ill
und eine Nifche dadurch forniirt, dal’s die Ausmauerung hier fchwächer ge-
halten ift als die Wand; nach aufsen zu bleibt jedoch der Bogen mit dem
Mauerwerk bündig und ift wie diefes nur in Bruchlleinen ausgeführt.
Seine Schlufslleine lind, wie es fcheint. einmal herausgebrochen gewefen
und dann wieder eingefetzt worden, und zwar nach aufsen unter Zufügung
einer barock verzierten Taiel , auf welcher man lieft ; TRANSLOCATIS ET
ELEVATIS HUly TEMPLI TRIBy CAMPANIS PACEQ/ SENATy UT HUly
/Edis PATRONI MAIORIS FORMOSITATIS ET CONGRUENTIAE ERGO.
QUASSATIS ET DESTRUCTIS VICINI SACELLI WOLFGANGIANI RELIQUIIS
CUly CONCAMERATIONI ANTE AERAMENTA ERANT IMPOSITA DIS
PONENTIBy ANTISTITIBy ET OCTOVIRIS DNIS CONSULIBy
folgen die Namen) APERTA ET STRUCTA EST HAEC PORTA DIE
XXVIII JUL. Ab Ml . DC . LXVI. Wir bemerken hier dielen infchriftlichen Angaben
gegenüber nur, dafs die Formen des Thürgewändes gothifch lind und nicht im
Jahre i ooo gemacht fein können ; wir werden auf (liefen Punkt zurückkommen.
Die vier befchriebenen Portale haben in künftlerifcher Hinlicht nicht
riliici-l. uninterelTante Thürflügel l'ig. (>; . die in Rahmen und mehrfachen Fül-
lungen gearbeitet find und der Renailfance angehören. Als Schlagteille
dient eine über Gebühr kräftige, cannelurte, toscanilche Säule mit einem
Triglyphengebälkllück über und einem Pollamente unter lieh. Ueber
dem Losholze bez. zwilchen den beiden im Bogenfelde der Thür- Oeftnung
befindlichen Flügeln baut lieh aui diele untere Säule eine zweite ähnliche
mit Poftament.und Gebälkftück in verjüngtem Maafsftabc auf. Der Arrhi-
tectur entlprechend find auch die Belchläge zu gefälligen Formen ausgehildet.
Schon wegen der verlchiedenen Grölsen find die Einzelheiten der vier
Thüren nicht übereinftimmend, der Thür im Wellen fehlt jetzt die Schlagleifle
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ThürAügel des weltlichen Portals an der Nordfeite,
DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
Inneres.
'roporlionen.
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auch der örtlichen von deren an der Nordfeite mufste lie wegen des fteinemen
Mittelpteilers fehlen. Die Ausbildung diefer Flügel läfst übrigens nicht
zweifeln, dafs alle aus eines Meifters Hand hervorgegangen find. Leider
find diefe zart profilirten Holzarbeiten mit grüner Oelfarbe fchon zu ver-
fchiedenen Malen angeftrichen und büfsen dadurch viel von ihrer Schönheit
ein. auch die an und für lieh hier fchon grofse Schwierigkeit, die Ent-
ftehungszeit zu bertimtnen und den Stil zu beurtFeilen, wird- dadurch ge-
fteigert. Abgefehen davon, dafs die Ortthür erll tt<>(> entftanden fein folL
mithin ihre Flügel und alfo auch die der anderen drei Thüren frühellens
um diefe Zeit gemacht fein könnten, gewinnt man aus den Formen nicht
den Eindruck, als feien fie erH nach dem dreifsigjährigen Kriege gemacht,
wo die Verwilderung der Lebens* und Kunftformen denn doch zu grols
war, als dafs fo einfache, rtreng in gutem Gefchmaeke gehaltene Details,
wie fie hier gefunden werden, hätten entliehen können. (Vergl. die Thür-
flügel der beiden Südportale im Dom). Andererfeits läfst lieh nicht leugnen,
dafs hier den guten Details jene glückliche Compofition fehlt, die wir an
den Werken der MochrenailTance z. B. an denen jenes I halhausmeifters be-
wundern. Im Vergleich zu der Harken Schlagleilie find die umrahmenden
Profile zu zart; der Totaleindruck ift etwas lleif und nüchtern. Denfelben
Charakter haben die Befchläge; fie können errt nach der Blüthe der Re-
naifTance gemacht fein. Demnach dürfte mit Sicherheit auf den Anfang
des 17 Jahrhunderts gefchlolTen werden, ob jedoch auch um iüb6. dem an-
geblichen Hntftehungsjahre der Thür im Orten, folche Formen noch möglich
waren, ift zu bezweifeln.
Die Eingangsthür aus dem Klofter in Süden ift nur klein; ihr rund-
bogiges Gewände von gothifcher Profilirung ift gegen das Kircheninnere
gekehrt, während der Thürflügel nach aufsen fchlägt. Da wir aufsen noch
Ueberrefte eines gothifchen Gewändes in dem Charakter der beiden Nord-
thüren bemerken, fo ift die Möglichkeit nicht ausgefchlolTen . dafs diefes
rundbogige Gewände gegen das Kircheninnere nicht urfprünglich ift. Der
anfänglich ficherlich fpitze Bogen einer höheren Kirchenthür ift durch die
Ipäteren Veränderungen der Anbauten befeitigt, und zwar wird das llatt-
gefunden haben, als man in Folge der Auflöfung des Klollers von dielet
Seite einen grofsen Hingang nicht mehr brauchte, und dann fpäter allhicr
Kirehftuben anlegte.
Das Kircheninnere F'ig. 08 hat glückliche Raum verhältnifle-
dadurch wird hier wie überall auf den Befchauer, mögen die Einzelheiten
auch keineswegs ein anziehendes Ausfehen haben, ein angenehmer, ruhiger,
ich möchte lagen . beruhigender Eindruck hervorgebracht. Die Breite des
Uauptlchifles lieht zu der des Nebenfchiffcs fall genau in dem Verhältnis
des goldenen Schnittes; mithin hat das Nebenfchiff hier eine Breite, die im
Vergleich zu der anderer hallefcher Kirchen bedeutend ift. Durch folche
Abmeffungen macht der Raum der Kirche einen weicheren, weniger herben
Eindruck, die Gegenlatze von Haupt- und Nebenfchiff find milder, und
bei einem Vergleich mit den übrigen Kirchen fühlt man den Vorzug wohl
heraus. Die Höhe des llauptfchiffes ift etwas mehr als das Fäneinhalbfache
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am* iS* |ll
Inne
Propur
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DIP. ST. fLKICMSKIRCHF..
'77
feiner Breite, wobei die Höhe bis zu den Confolen, auf welche (ich das
Gewölbe an den Pfeilern und Wänden fetz,t, der Breite gleicht, während
bis zum (iewölbefcheitel etwas mehr als die Hälfte davon verbleibt: alfo
auch hier ill nahezu der goldene Schnitt in den Abmelfungen zu finden.
Vom Ende des Chores bis zur Welfmauer beträgt die Länge ein Wenig
mehr als das Fünffache der Hauptfchiffbreite, bis zu der Mitte des dritten
Pfeilers von Welfen her, alfo bis dahin, wo das Gewölbe eine Theilung hat,
ill die Länge genau dreieinhalbmal fo grofs wie die Breite des Mittelfchiffes.
Das erflere diefer beiden Maafse ili offenbar zufällig; ob auch das andere
ohne Abficht entllanden ilf, wird noch zu unterfuchen fein.
Die Pfeiler von fchlicht achteckiger Form (feigen über einem eben- Pfeiler
falls fchlicht achteckigen Sockel auf, welcher verfchieden hoch (bef. der des
dritten Welfpfeilers) ilf, aber überall das gleiche, wenig gothifche Sockelge-
fims hat. Oben gehen fie gegen Olten und Welten direct in die Arkaden-
bögen über, wobei die Seite der Bogenunterficht glatt bleibt, während lieh
die beiden feitlichen Schrägen durch eine grofse Hohlkehle profiliren. Gegen
Norden und Süden find als Gewölbeträger Confolen eingelaflen an Stelle
der fehlenden Dienlte mit ihren Capitälen. Nur in den vier Itumpfen
Chorecken unterlfützen Dreiviertel faulen , die zum Boden herabgehen, das
Gewölb e.
Letzteres hat aufgelfelzte, rundbogige Gurte, zwifchen denen fich das Gewölbe,
gleiche Rippennetzmulfer wiederholt. Im Hauptfchiff entlieht dadurch eine
vielfach gebrochene Tonnengewölbeform mit Stichkappen gegen die Fenlter
und Arkaden, und an den Stützpunkten wird es fächerförmig. Im Neben-
fchiff bildet fich ein regelrechtes Kreuzgewölbe mit Kippentheilung. Man
fieht, dafs die Kappen mit den Rippen in gutem Verbände liehen, erliere
haben überall etwas ßufen. Conlfructionsfpielereien, wie in der Markt- und
Moritzkirche, wo z. B. die Rippen fich von den Kappen löfen, um eine
Strecke frei durch die Luft zu gehen, kommen hier nicht vor. Als einzige
Abweichung von der gewählten Schablone ilf die von einem Rippenkreife
umgebene Oeflfnung inmitten des vierten Nebenfchiffjoches von Olfen her
zu nennen. Kaum verzeihliche Ungenauigkeiten an den Ausgangslfellen
der Rippen find auch hier wie in den anderen Kirchen häufig, gewöhnlich
bedingt durch die ungleichen Jochweiten. Das Rippenprofil Fig. Oy hat
durchweg die Geltalt eines Keiles mit grade abgefchnittener Spitze,
deffen beide Schrägen zwei flache Hohlkehlen zeigen,
eine Form, die fich feit dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts in Halle fo häufig findet. Die Ein-
wölbung der Kirche gefchah nämlich erlt oder wurde
beendet 1510, wie die Chronilten fchreiben. Der
Augen fchein lehrt, dafs die Kirche längere Zeit ohne
Gewölbe, aber mit den erlten Wölbfchichten angelegt,
dageffanden haben mufs, und dafs fie jetzt nicht
das Gewölbe trägt, welches diefen Kämpferfchichten Rippenprofil,
gemäfs für fie projectirt gewefen ilf. Etwa ein Meter
über den Confolen, da, wo die Rippen beginnen fich von einander zu löfen,
B. D. d. Bau- u. Kunftd. N. F. I. 12
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DIE STADT HALLE n. d. SAALKKK1S.
Hnlz-jr
.78
verändert fich ihre Profilform plötzlich; während zu unterlt deutlich dir
befTere und ältere Birnenform für die Rippen und ein anderes Profil t*~
ftehend aus zwei keilförmig' gellellten Elachkehlen mit llumpter Vorderkante
für die Gurten angelegt war, fetzt fich dann ohne architektonifche Ver-
mittelung, doch möglichlt wenig auffällig zu lammengearbeitet, jenes fpä.ere
vierfach gekehlte Profil fowohl auf die Diagonalen und Rippen, als auch
auf die Gurten. Diefelbe Weife wie in der Moritzkirche und im Dom zeigt
fich auch hier bei der Einwölbung befolgt, man verlchob letztere, nachdem
die Kämpferfchichten angelegt waren, bis auf fpätere Zeiten, und es wurde
dann freilich zumeilt ein anderes, der fpäteren Zeit gemäfses Wölbe ly item
zur Ausführung gebracht. Zu erwähnen ill noch der Schmuck aller Kreuz-
punkte der Rippen durch eine knopfartige Rofette. Ein Vergleich zwilchen
den Gewölbemullern der Ulrichskirche und der Moritzkirche ergiebt eine
nahe Verwandtfchaft namentlich in Bezug auf den weltlichen Theil der
Moritzkirche. Da beide gleichzeitig find, ill das vielleicht mehr als zufällig,
wenn auch in der Moritzkirche die Rippe anders, nämlich durch eine
gröfsere Kehle mit darüber liegendem Rundltab zwilchen zwei Plättchen
jederleits profilirt wird.
Auch die Bemalung der Kappen, der einzige alte 1-ärbenfchmuck.
der an dem eigentlichen Gebäude überhaupt erhalten ilt, liimmt in beiden
Kirchen überein und ill im Seitenlchiffe zu St. Ulrich noch Io weit zu er-
kennen, dafs lieh über das ehemalige Ausfehen eine klare Vorltellung
gewinnen läfst. Die Rippen haben einen hellen, gelblichweifsen Anllrich
erhalten und von gewiffen Kreuzpunkten derfelben gehen theils grade,
theils flammende Strahlen aus, direct auf den gelbgrauen Putz der Kappen
und nur in Schwarz gemalt Eig. ;o. Man kann nicht Tagen, dafs Iblches
todtfarbene Ornament und diefe wunderliche
Zeichnung einen fympathifchen Eindruck macht;
es liegt etwas Gelpenlliges in der Total-
wirkung, die dem Geichmacke kurz vor d>-r
Reformation entfprach, doch nicht mehr mit
un lerer gegenwärtigen, färben- und formen-
frohen Zeit in Einklang fleht.
Die Spuren der Malerei erlfrecken fich
nur über die fünf Olljoche, nicht mehr über
die drei anderen weltlichen, deren Ueber.
deckung nämlich viel fpäter entflanden ill und
bei völlig gleicher formaler Ausbildung nicht
aus Stein, fondern aus Holz belleht. vonDrev-
haupt giebt die Notiz, fie fei „an. 1674 nur von
kiefernen Iloltze autgeführet, gekleibet, und
gegipfet." Diefe Conllruction ill hüchll merkwürdig; fie zeigt, wie dieBau-
kunfl, der formale Ausdruck der Idee einer Zeit. Ichon damals nicht zurück-
fcheute vor I.ug und Trug. Blofs um der leeren Form zu genügen, griff man
zu billigen Surrogaten, und es gelang die Täufchung; das auf merk fam prüfende
Auge entdeckt fie freilich dennoch unfehwer ; wo die Wahrheit mit der Lüge
Fi«. 70.
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!>1K ST. URICIISKIKCHF.
70
lieh unmerklich vereinen foll. wo das ächte Gewölbe mit der Scheinconflruetion
zufammenftöfst, da ifi die verrätherifche Stelle, da mufste ein Bruch entliehen.
Wir fügen hin/.u. dafs auch dieConfolen an den Wänden und Pfeilern diefer
drei Weltjoche nicht mt hr aus gothifcher Zeit flammen, fondern der RenailTance
angehören. Allerdings hat man den Verfuch gemacht, fie den gothifchen
unter dem maffiven Gewölbe ähnlich zu geltalten, aber das iß zu plump
gefchehen, um nicht erkannt zu werden; jene - die Capitäle im Chor, bis
zur Unkenntlichkeit zerftört, haben kein InterelTe mehr — find zu Maafs-
werksgebilden, vertrocknetem, fchematifch behandelten I,aubwerk, zu einem
Hedermausartigen Drachen, big. 71, einem fcharlkantig modellirten l.üwen-
Fig. 71.
Confole i in OfUheile,
köpf* und dergl. ausgehauen und alle find von verfchiedenem Ausfehen.
diefe aber, olt ganz gleichförmig, haben überall die gleichen gothifirenden
Abaken , find mit Fruchtbündeln geziert, ein I.öwenkopf mit Mähne und
ganz natürlichem Ausdruck F'ig. 7 2 und dergl. mehr findet lieh, fodafs über
<lie fpätere Entftehung kein Zweifel fein kann.
lieber das Kircheninnere ilt nun noch zu bemerken, dafs der Fufs- Fufsbodenu.f.w.
boden wohl immer wie heute aus Itacklleinen belland; die Erhöhung um
* Streng genommen ift es freilich kein Löwenkopf, fontlern tler Kopf eines Gefrböpfes
der mittelalterlichen, höchfr phantaftifchen Denkweife, eine Schöpfung gleich der. von welcher
Viollel*Lc*Duc (unter sculplurc) bemerkt: 11 est tlillicile de potisser plus loin IV-tudc de la
nature applirpi6e \ un etre tpii n’ reifte p.ts.
II*
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i8o
»IE STAIrr HALLE <1. fl. SAALKRKIS.
eine Stufe am zweiten Oftpfeiler ifl eine Anordnung, wie lie auch im Schiff
des Domes ftattfindet . wohl um diefe Partie auszuzeichnen. Die dreiftufige
Erhöhung des Altarplatzes ifl erwähnt.
In die Südwand des Schiffes lind drei breite Fenfteröffnungen ein-
gebrochen fo hoch wie erforderlich, um hinter ihnen über dem alten Kreuz-
gange Kirchftübchen einrichten zu können. Solche Anlage wird mit
F'R- r2-
einer der erwähnten, nicht mehr vorhandenen Stübchen an der Nordfeitr
gleichzeitig etwa in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gemacht worden
lein. Bei der Befeitigung diefer Stuben im Norden wurde, wie es fcheint.
die Empore im Seitenfchiff nöthig und überhaupt er II möglich. Die Orgel-
empore indelfen dürfte bereits im 16. Jahrhundert gemacht, wenn auch viel-
fach verändert worden fein. Schliefslich fei noch über den Dachboden
gefagt, dafs er durch das hohe, in zweierlei Weife conftruirte Sparrenwerk
mit feiner Ueberfülle an Stielen, Streben und Balken technifch Merkwürdiges
bietet. Die Conllruction des örtlichen Stückes wird die ältere fein, welcher
fpäter der weltliche Theil zugefügt wurde; in letzterem befindet fich nord-
weftlich die fchon befprochene Glockenrtube.
Nachdem hiermit das Gebäude der Ulrichskirche befchrieben ift , mufs
Datirung. über die Datirung feiner Theile nachgeholt werden, was darüber
feft oder zu vermuthen fteht. Erft durch die von Hagedorn’fche Erbfchait
gewannen die Marienknechte in der Stadt Halle eine nennenswerthe Be-
deutung; fie verfügten dadurch über Mittel nicht allein zutn Bau einer an-
genehmen Wohnung. fondern auch einer Kirche, die wie man fieht lediglich
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»II! ST. 1,'l.KlCHSK.IRCtlK. 1 8 1
zum eigenen Gebrauche der Bettelmönche über Gebühr grofs gewefen fein
würde. Sie war fogleich für den Vulksbefuch mit berechnet, und die Lage
der Hauptthür gegen dieStrafse fo wie^die Ausflattung derfelben weifen ja
darauf ebenfalls hin. Wenn man nun auch die Kirche und die klöfterliche
Wohnung 133g zugleich zu bauen anfing, fo lag den Mönchen doch wohl
mehr daran ihr Klofter beziehen zu können, als die grofse Kirche fertig zu
Bellen. Einige fculptirte Steinftücke im Pfarrgarten (Schlufsfleine mit Drei-
pafsverzierung, Stern u. a.), die, wenn nicht von der S. Wolfgangskapelle
übrig geblieben, nur von der Klollerausftattung herrühren können, find denn
auch etwas älter, als im Allgemeinen die Kunllformen der Kirche. Man
erkennt, dafs lieh die Klofterräume um einen Kreuzgang gruppirten, deffen
nördliche Seite an der Kirche fich hinzog, und der etwa den jetzigen Pfarr.
garten und Hof umfchlofs. Jjj Von den Räumen felbft aber (jetzt ohne be-
fonderes Interefle) find wahrfcheinlich die ältellen erhalten, jene, die in die
Sacriftei 'eingebaut find und ehemals das Wärmhaus mit darüber gelegenem
Schlaffaale der Brüder gewefen fein mögen, weil folche bei den Klöftern
diefes Ordens hier im Ollen der Claufur angelegt wurden.1 Mit dem Baue
desKlollers ill es übrigens auch nicht fehr fchnell gegangen, oder aber man
hat im Laufe der Zeit durch Anbauten das Klostergebäude vergröfsert;
wir finden nämlich bei Olearius/lie Notiz, dafs an „Schneiders“ Haufe —
wo dasfelbe lag, ill nicht mehr ficher feflzullellen — folgende Infchrift in
Bezug auf ein Stück des Klofterbaues gellanden hat: Ifritlinaiit tsl stfllt-
liira islncr frafrinn järruonun JSanrlaf @};iiiae 14-83. Dafs der Kloflerbau
erll 1406 wirklich beendet wurde, ill eingangs fchon gefagt worden,
und zwar gefchah das an der Wellfeite der Kirche, wo wir un-
mittelbar neben dem Portal rechts das Mauerwerk des alten Kloflers und
über einer fall ganz vermauerten, fpitzbogigen Thür ein grofs reliefirtes,
etwa quadratifch umrahmtes Monogramm finden. Ein S (=sancta) in einem
dämmenden fli (= Maria) , darüber eine Krone und inmitten ein aufrecht
llehender Lilienflengel find, in dem Felde ausgemeifselt. Um diefe Zeit ill
das Vorkommen eines folchen Monogrammes auffällig; die Arbeit ill roh
gemacht, man möchte fie einer fpäteren Zeit zufchreiben, wenn nicht Olearius
derfelben Erwähnung thäte mit der Hinzufügung folgender Infchrift, die
darunter gellanden hat, jetzt aber verfchwunden ill: 811110 salnlis 14-98 in
öif j5. Ifrminaht csl ijart slnithira fralrum snuormu JS. QQariae.
Durch diefe Infchrift willen wir alfo, wann und wo der Kloflerbau
beendet wurde, ein Umlland, der auch für den Bau der Kirche nicht ohne
Bedeutung ifl. Die Kirche wurde, was das Syllem anbetrifft, 133g am
Chor ohne Zweifel fo begonnen, wie fie dafleht, aber zunächll nicht ganz
fondern nur bis zum fünften Joche von Ollen her gebaut. Bis dahin ifl
ihr Syllem ohne wefentliche Abweichungen durchgeführt, während folche
alsdann bis zur Wellfront zahlreich Vorkommen und zwar als Abweichungen,
1 Unmittelbar an der Kirche fcheint, fo viel man an dem erhaltenen Mauerwerke erkennt, der
Eingang zum Klofter belegen gewefen zu fein wie zwilchen der Moritzkirche und ihrem Klofter.
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l8’ DIE STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
die nicht wie die Ungenauigkeiten der örtlichen Joche zufällige, fondem
abfichtlich gemachte find und auf eine fpätere, ziemlich planlofe und jeden-
falls vielfach verzögerte Baufortfetzung fchliefsen laffen. Obwohl lieh aus
dem, was in diefer Hinficht über den Plan und die Kunftformen gefagt
werden kann, nicht gerade viel für die Datirung licher folgern läfst, ift doch
eine Zufammenltellung des Wefentlichften nöthig. Der Grundrifs zeigt, dafs
am fünften Pfeiler von Olten her jedenfalls eine Unterbrechung der ßauar-
beit Ilattgehabt haben mufs: das fünfte Oftjoch ift merklich gröfser als die
anderen vier, die einander gleich lind. Muthmaafslich befand lieh nämlich
am fünften Pfeiler eine Querwand, die den Kirchenraum nach der Weihung
in erfter Zeit hier abfchlofs. Denn diefer Pfeiler fteht genau in der Flucht
einer folchen Wand und demgemäfs ift diefes Joch um die Hälfte einer
folchen Mauerftärke gröfser als die anderen. In Rückficht hierauf wird nun
auch das Maafs vom Grunde des Chores bis zu diefer Grenze, auf welches
Maafs wir aufmerkfam machten, von Bedeutung, weil die Urfache feiner
Wahl fieh wohl erklärt. Ferner weifen wir daraufhin, dafs die Vorfprünge
der Strebepfeiler bis zu diefem fünften Joche einander gleich, wenn auch
nach den beiden Seiten gemäfs ihrer verfchiedenen Inanfpruchnahme durch
den Gewölbefchub verfchieden grofs find. Dabei ift unwefentlich, dafs der
zweite Pfeiler eigentlich fehlt — den Grund haben wir ja angeführt - und
dafs der fünfte noch einen Zufatz nachträglich bekommen hat. Alle welt-
lichen weichen davon ab: im Süden zu Strebebögen durchbrochen, find lie
höchft unregelmäfsig in ihrer Stellung und Ausbildung, im Norden gleichen
lie allerdings den anderen derfelben Seite, haben aber merklich verfchiedene
Zwifchenräume. Zu den Grundrifsverfchiedenheiten kommt noch, dafs es
doch auch eine VeranlafTung haben mufs, warum 15 10 die maflive Einwölbung
gerade in den drei Weftjochen unterblieben ift und warum im Dachgefpärre
fich zweierlei C'onftructionen linden. Dazu kommt die StilverfchieJenheil
der Confolen beider Gebäudepartieen und die verfchiedene Sockelhöhe,
namentlich die am dritten Weftpfeiler. Wenn nun auch aus alle dem lieh
zwei gefonderte Baupartien ergeben, fo ift in dem Mauerwerke und felbll
in den übrigen Kunftformen doch kein wefentliclier Unterfchied bemerklich.
Die Fenfterprofilirung und Maafswerksbildung ift durchweg golhifch, nur ift
letztere je mehr weltlich um fo einfacher; decorativ bevorzugte man aber
bekanntlich die Ghorfeite in allen Kirchen; auch die Pfeiler haben die
gleiche Achtecksform und dasfelbe Sockelprofil ; alle Thürgewände lind
gothifch, und mehrere Kunftformen giebt es ja nicht Obwohl nicht mit
Gewifsheit fo erhellt doch mit gröfser Wahrfcheinlichkeit aus dielen An-
gaben, dafs, als man den gröfseren örtlichen Theil feinen Formen nach
früheftens um 1400 vollendet hatte, die Fortfetzung bald gefchah, jedoch fu
läffig betrieben wurde, dafs der weltliche Theil in feinen Mauern erft zur
Zeit der Einwölbung des örtlichen fertig wurde. Die Chroniken melden
daher auch nichts über ihn1. Ob er 15 10 fchon unter Dach war ift zweifei-
* Otte in feiner Kunftarchäologie fayl S. 370, dafs die Ulrichskirche 1516 vollendet fei;
ich habe darüber nichts auffinden können.
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DIE ST. l'LKICH. KIKCHE
<83
haft; warum hätte man alsdann nicht auch die drei Weltjoche mit eingewölbt,
und warum hätten nicht wenigllens die Pfeiler auch hier gothifche Confolen
mit Iteinemen Kämplerfchichten, wenn fie bis zu diefer Zeit gemacht worden
wären? Indeflen waren fie ohne Frage angelegt, wie das Sockelprofil be-
weilt, und es wäre ja auch nicht unmöglich, wenn auch unwahrfcheinlich,
dafs die Confolen fpäter eingefetzt wurden. Hier ift alfo ohne weitere An-
gaben oder Merkmale eine fichere Datirung nicht zu geben und um fo
weniger, wenn noch Folgendes berücklichtigt wird: 1496 wurde das Klolter
an der Wellfront der Kirche vollendet; wäre nun diefe weltliche Kirchen-
front früher erbaut, alfo zu einer Zeit, in welcher der Platz vor ihr doch
noch unbebaut dalag. fo würde die gegen die Achfe des Schilfes nach
Norden verfchobene Lage des Portals und Fenlters fchwer zu verliehen
fein, gegen eine fpätere Zeit fprechen aber die gothifchen Formen. Freilich
könnten nicht mehr zu erkennende Gründe zu diefer Abweichung gezwungen
haben z. B. könnte fchon die Grenze des klölterlichen Terrains maafsgebend
gewefen fein, aber das ilt doch nicht wahrfcheinlich.
ln Ermangelung anderweitiger Nachrichten lafTen wir diefe Fragen,
nachdem fie angeregt worden find, auf lieh beruhen, um noch über die Thür
im Olten eine Vermuthung auszufprechen Zunächlt fcheint mir. dafs in
der vorhin mitgetheilten Infchrift über diefem Portale der Ablativus abfo-
lutus, TRANSLOCATIS ET ELEVATIS TRIBUS CAMPANIS und QUASSATIS
ET DESTRUCTIS RELIQUIIS nicht nur temporal, fondern auch caufal auf-
zufafTen ilt, weil im anderen Falle das APERTA EST ohne befonderen Sinn
wäre. Dem Techniker wird fich das überdies aus den thatfächlichen Ver-
hältnifTen ergeben ; denn was konnte überhaupt die Veranlagung gewefen fein,
um 1 666 in dem alten Mauerwerke noch eine Thiir, deren es wohl genug gab, und
gerade hier anzulegen? Wir erinnern uns. dafs dieöltlich von der Ulrichs-
kirche flehende Wolfgangskapelle im vorhergehenden Jahre 1665 abgebrochen
wurde und die in ihr befindlichen Glocken aus der alten Ulrichskirche in die neue
Glockenltube der jetzigen zu bringen waren. Der kürzelte Weg und die
einfachlte Art, die riefigen Glocken an ihren ßeftimmungsort zu fchaffen,
war ohne Frage, in die örtliche Wand des Nebenfchiffes eine hinreichend
grofse Oeffnung zu brechen, die Glocken durch diefelbe im Nebenfchiffe
entlang zu walzen und fie dann grade empor in den Glockenftuhl zu ziehen.
Die Vortheile die fes Transportweges gegenüber dem mittfelll eines befonders
Harken Gerüftes zum Emporziehen weltlich am Kirchenäu fseren find fo
einleuchtend, dafs darüber nichts weiter gefagt zu werden braucht. Da nun
in der That eine fo grofse, in die Oftwand eingebrochene Oeffnung, von
einem F'lachbogen überwölbt und jetzt als Nifche ausgemauert, vorhanden
ift und ihre Entftehung fich mit keiner anderen Zeit und Gelegenheit in Ver-
bindung bringen läfst, fo fcheint diefer Punkt damit erwiefen. Wie aber
um diele Zeit das gothifche Thürgewände in diefe ausgemauerte Oeffnung
kommt, erklärt fich dadurch, dafs dafselbe wahrfcheinlich aus der ab-
gebrochenen Wolfgangskapelle (lammt und hier fogleich unverändert wieder
eingefetzt ift. (Eine derartige directe Verwendung von einem Stücke der
Wolfgangskapelle haben wir fchon erwähnt, nämlich die des Dachreiters
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DIE STADT HALLE u. <!• SAALKREIS.
184
auf der Weftecke des Daches.) Ob aber das diefem im Charakter ähnliche
Gewände der Thür in der Weltwand auch von dort genommen ift, mufs
dahingeflellt bleiben.
Untere Bemerkungen über die Datirung der Bautheile fchliefsen wir
mit dem, was lieh über die llerftellungszeit der hölzernen Ueberdeckung der
drei Weltjoche Pagen läfst. von Dreyhaupt fchreibt darüber ausdrücklich
im i. Theile feiner Chronik S. 1054, dafs folche 1Ö74 gemacht fei, allein auf
der vorhergehenden Seite hat er fchon erzählt, es fei aus dem Glockenlhihle
eine Steife herabgefallen „auf das Kirchen-Gewölbe über der Orgel, fo da-
felblt höltzern ilt'1 und zwar den 8. Augult 1669. Wir find demnach nicht
völlig im klaren über das Entftehungsjahr, welches dem Stile der Confolen
nach Ipäter jedenfalls nicht fallen kann.
1 Den Stil der Formen an diefer Kirche zu würdigen, erinnern wir im
Voraus, dafs es Bettelmönche waren, die den Bau unternahmen. Die
Armuth wollen und füllen lie zur Schau tragen, und das ift es, was
denn auch deutlich aus jeder Form ihres Bauwerkes fpricht. Es ilt der
Grundrifs, der dazu den Hauptbeweis liefert, indem er uns eine nur zwei-
fchittige Hallenkirche zeigt, eine Anlage, die bei den Bettelmönchen in Folge
ihres Strebens nach Sparfamkeit Regel geworden war. In unterer Kirche,
wie es fcheint, hat man das eine Nebenfchiff gewiflermaafsen als Erlätz nach
Möglichkeit breiter geftaltet, doch mufs das unentfehieden bleiben. Die Spar-
famkeit erfleht man ferner an der thunlichft einfachen Oftpartie ; kein Ouer-
fchiff, kein Umgang, kein Kapellenkranz ift vorhanden, auch nicht ein hier
fo paffendes Marienkapellchen ift an der Hauptapfis herausgebaut, und da:
Nebenfchiff fchliefst fogar llumpf. Die an fich immerhin nicht kleine Kirche
zeigt im Grundrifs keinerlei Rückfichtnahme auf eine Thurmantage, weil
auch ein Thurm bei den kirchlichen Bauten diefer Mönche regelmäfsig er-
fpart wurde. Im Inneren ift es befonders der Pfeilergrundrifs, aus deften
fchlicht achteckiger Geftalt fogleich die Rücklicht auf Erfparung erlichtlich
wird. Denn das urfprünglich projectirte Gewölbe hätte eigentlich alte und
unge Dienfte um den Pleilerkern gar nicht entbehren können, weil es, fo
dürfen wir von jener Zeit vor 1400 annehmen, noch nach den llrengen
gothifchen Conftructionsgefetzen erdacht war, die verlangen, dafs der Ge-
wölbefchub auf die Rippen und von dielen auf die Pfeiler (bez. Strebepfeiler
übertragen werde und zwar für das Auge auf die Dienfte an den Pfeilern.
Die fparfamen Bettelmönche erlauben fich diefe Dienfte einfach durch Con-
folen zu erfetzen, die ja auch ausreichen, den ilructiven Gewölbetheilen
eine Unterftützung zu bieten und den Gewölbedruck dem Pfeiler zu vermitteln,
ln der Ulrichskirche kommt diefer ebenfo bequem herzuftellende wie nüchterne
Pleilergrundrifs zum erften Male in Halle vor und auf Grund jenes Spar-
famkeitsgrundfatzes mag er ja auch feine Berechtigung haben im Verein
mit ähnlichen Formen, die von derfelben Mutter Sparfamkeit zur Welt
gebracht find, aber leider waren die Vortheile eines folchen Pfeilergrund-
riffes zu erfichtlich, als dafs die rohe Spätzeit der Gothik ihn nicht hätte
bereitwillig!! copiren follen, fodafs wir ihn in der Moritzkirche, im Dom und
felbll in der Marktkirche, wenn auch hier fchon in der Uebertreiburg,
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DIE ST. IJLRJCHSKIRCHE.
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wiederfinden. Auch im Aulrifs tritt die Befchränkung in allen Formen zu
Tage. Vielleicht zeugt davon fchon, dafs man um das Jahr 1339 fich zu
Bruchlleinen als Baumaterial entfchlofs. Solches Material verbietet an lieh
fchon jedweden reicheren Schmuck im Aeufseren. und ganz wenig gegliederte
Strebepfeiler und kahle Wandtlächen (als Gegenfatz vergl. die der Moritz-
kirche) find die Folge; aber auch die Sand fleinllücke haben eine nur mäfsig
reiche Durchbildung erhalten, fo die verfchiedenen Gefimfe, die meift nur
WalTemafen find aufser dem rohen aber gänzlich bedeutungslofen llaupt-
limfe. dann die Fenflergewände mit den Pfolten, aus denen für die Zeit des
14. Jahrhundert gerade kein üppiges Maafswerk erwächll und nur am Chor
reichere Formen hervorgegangen find; vielleicht war auch Sparfamkeit der
Grund, dafs die Fenfter der Südfeite aufser einem nur zweitheilig find. An
den Portalen merkt man die Aermlichkeit weniger, befonders ift das Haupt-
portal mit den lleinernen Mit'telpfollen und feinem Tympanon als Ausnahme
anzuführen, jedoch ein folches Stück gegenüber der Finfchränkung bei
allen anderen Stücken will wenig heifsen. Im Inneren find die fculptirlen
Confolen verhältnifsmäfsig zu klein* und in den Einzelheiten recht einfach.
Die Confole in der Ecke des halben Arkadenpfeilers und der Oftwand des
Nebenfchiffes ift zu einer kleinen männlichen Figur ausgehauen; verdeckte
nicht ein dicker Kalkanftrich die feineren Theile, fo könnte man vielleicht
erkennen, ob es derBaumeifter von 133g fei. Wenn das Gewölbe von 1570
eine ziemlich fchmuckreiche Durchbildung erfahren hat, fo dar! man darin wohl
fchon eine Vernachläfsigung der Grundlatze der Mönche erblicken. Nach alle
dem begreift es fich, dafs der Stil diefer Kirche, wie wohl die Entftehungszeit
der Kunftformen noch eine verhältnifsmäfsig frühe genannt werden mufs,
uns doch kein Gefallen erwecken kann, weil eben die Dürftigkeit zu fehr zur
Schau getragen wird. Die Raumverhältniffe hingegen find gute, nur die
der Oftpartie der Kirche zu St. Moritz kommen ihnen gleich.
Wir gehen zu den einzelnen Kunftwerken bez. zur Möblirung
der Ulrichskirche über. Unter den Glocken finden wir die alterten
Stücke, und zwar Hammen letztere noch aus der ehemaligen Pfarrkirche in
der Ulrichsllrafse , bei deren Abbruch lie, weil die Bettelmönchskirche
thurmlos war. in der nahegelegenen W ol fgangsk apel.c. aufgehängt wurden.
Der Glockenlaft war aber die Kapelle nicht gewachfen und» daher 1665 fo
baufällig geworden, dafs, wie fchon bemerkt ift, ihr Abbruch gefchehen
irufste. Die Glocken kamen nun in die neue Glockenftube über der Nord-
weftecke der Kirche. Die kleinfte Glocke mit einem DurchmefTer von 1,35"
ift wahrfcheinlich die ältefte. Eine Maiuskelumfchrift zwifchen Reifen ziert
ihren Hals und ift durch fchwaches Einritzen in den Glockenmantel ent-
llanden; die Buchftaben find reich verziert, treten aber nicht eben ftark
nervor. Die Schrift lautet:
0 (Medaillon mit Crucifixus) 0 • REX • GLORIE • VEI?I - (IVfll • PAOE.
Darunter an der Glocke befindet fich dreimal dasfelbe Relief, auf dem durch
* Man vergleiche fie in diefer Hinlicht mit denen im Dom.
Kunftwerkc :
Glocken.
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r86
DIR STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
drei neben einander unter drei Bögen fitzende Perfonen vielleicht die Trinität
dargeftellt fein foll. Die Form der Glocke ift gefällig; ihre Entftehunir
dürfte beliimmt noch in die erfte Hälfte des i 4. Jahrhunderts fallen. Die zweite
Glocke hat 1,55 “ im unteren DurchmeCfer und ill vielleicht mehrere Jahr-
zehnte jünger als die erftgenannte. Auch fie hat oben eine Umfchrift in
Maiuskeln. die durch eine in den Glockenmantel lehr kräftig eingeritzte
Zeichnung entftanden find, auf der Glocke alfo erhaben erfcheinen. Man lieft-
+ 0 • Rex • GLORie • cmiSTE • vem • nv • wine >.
Unter diefem Infchriftsftreifen zieht fielt ein anderer von gleicher Breite her.
welcher wie der obere von zwei kräftigen Schnüren begrenzt wird F.r ift
durch dem Glockenmantel fchwach eingeritzte Zickzacklinien in mehrere
Felder getheilt und in diefen befinden lieh folgende ziemlich kräftige Reliefs:
ein Medaillon, welches Simfon mit dem Löwen darftellt, ein zweites, au!
welchem man einen Reiter erblickt, vielleicht den h. Georg, ein drittes mit
den Figuren des Erzengels Gabriel und der Maria, alfo die Verkündigung'
bedeutend, ein viertes etwas kleineres muthmaafslich das Opfer Ifaaks dar-
Hellend ein fünftes ebenfalls kleiner mit einer fitzenden unbeftimmbaren
Figur. Dann folgt ein Crucifixus mit Maria und Johannes zu den Seiten:
es fällt aut die ägyptifche Form des Kreuzes, die fchlaffe (nicht wagerechte
Haltung der Arme Chrilli und, dafs die Füfse des Heilandes neben einander
auf einem Suppedaneum liehen. Hierauf lieht man Maria mit dem Kinde
in fitzender Haltung, und dann folgt wiederum ein Crucifixus von etwas
kräftigerem Relief, zu deflfen Seiten Maria und an Stelle Johannis eine
Heilige mit einem Thurme alfo wohl Barbara lieht. Auch hier treten Chrilii
Füfse auf ein Fufsbrett. Nun folgt eine kleine fitzende Maria mit dem
Kinde und fchlielslich ein anderes fitzendes, doch nicht kenntliches F'igürchen.
welches an das erftgenannte Medaillon anfchliefst. Ein Sinn liegt diefef
Zufammenftellung von Reliefs nicht wohl zu Grunde; diefelben dienen
lediglich als Zierrathe oder auch gewiflermaafsen als Amulette fiir die
Glocke. Der Stil diefer kleinen Sculpturen ill mittelmäfsig und trägt im
Allgemeinen die Kennzeichen einer früheren Zeit, als die ill, in welche wir
den Gufs der Glocke fetzen möchten. Es fei beifpielsweife nur die Bildura;
der Crucifixe genannt, an denen man im 14. Jahrhundert kein Suppedaneum
mehr erwarten Tollte.2 Die dritte Glocke hat den gröfseften Durclimefler.
nämlich 1,60 m und trägt unter der Haube die Umfchrift:
0 EN • EGO O CAMPANA • NVNQVAM • DENVNCIO • VANA • LAVDO
DEVM • VERVM . VOCO ■ PLEBEM • CONGREGO • CLERVM - V
D • M ■ IA • E.
Mitten an der Glocke find zwei reliefirte Wappen in fchöner Zeichnung und
prächtiger plaftifcher Durchbildung, über ihnen lieht:
1 Das letzte E fteht klein im C.
2 Dafs lieh dicfelbrn Anomalien auch an anderen Glocken finden, geht aus dem hen'ftf-
was Dr. J. Schmidt im >. Hefte der Bau- und Kunftdeukiniiler (Sangcrhaufcn) Seite 117 über
Glocken in Lengefeld, HaackptilKl und üornftedt Tagt.
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DIE ST. ULRICHSKIRCHE.
87
AEDILES ■ SACRI • FVERE und unter ihnen lieft man die Namen: IACO-
BVS . MICHAEL • CONSVL und IOHANNES • KOEHLER • CAMMERARIVS.
Ein vertiefter Streif umzieht den unteren Rand mit den Worten:
HAEC • CAMPANA - REFVSA • EST • IN • SEDIS • VACANTIA •
ANNO • CHRISTI . MDC • MENSE JVLIO Geohg Wolgast •
ZV • HALL • GOS8 - MICH.
Die Buchltaben der letzten Wörter find aufser G und W nicht wie die
übrigen erhaben, fondern nur leicht eingeritzt und viel kleiner. Die Glocken-
form hat über dem Hälfe einen fcharfen Knick als Uebergang zur Haube
und biegt lieh erft ziemlich weit unten ftark aus, um dann mit fcharf abwärts
gehendem Kranze zu fchliefsen. Das ift die diefer Zeit beliebte Form. Das
Ornament am Streifen der Halsumfchrift befteht aus Blättern und kleinem
Kartufchenwerk in Wiederholung, aufserdem finden wir verfchiedene
Trennungszeichen zwilchen den einzelnen Wörtern, kleine unkenntliche Fi-
guren. Münzen und dergl.1 Die Technik ift eine ganz vorzügliche und lieht
weit über der, welche die heutige Glockengiefserei durchfchnittlich liefert,
ebenfo wie die Form eine weit edlere ilt. als die, welche der Fabrikbetrieb
jetzt erzeugt.
Aufser diefen drei Glocken zum Läuten hat die Kirche noch eine
Schlagglocke, weichein dem örtlichen Dachreiter hängt. Sie mifst 0,75" im
Durchmelfer, ift von breiter häfslicher Geftalt und flammt aus der Ro-
cocozeit. Ihrer langen, bedeutungslofen Infchrift entnehmen wir, dafs
Friedr. Aug. Becker in Halle fie gegolten hat.
Im Chor der Kirche ift eine Anzahl von bemerkenswerthen alten
Chorftühlen Fig. 73 erhalten. Je eine fechsfitzige Reihe lieht an der chorfiühlc.
Xordwand und Südwand, an welch letzterer fich noch eine zweite Reihe weiter
weltlich befindet. Mancherlei Veränderungen haben von der Form der
alten, aus Eichenholz gefchnitzten Stühle nur wenig geladen. Die Rück-
lehnen mit den Baldachinen find erneuert, zugleich auch die Sitzbretter: die
Mifericordien und Füfse find befchädig.t und verändert. Immerhin erkennt
man noch, dafs die Anfertigung in eine Zeit fällt, in der die Gothik noch
nicht ausgeartet war. Jedenfalls haben wir hier die alterten ihresgleichen
zu Halle. Sie gehören muthmaafslich dem Ende des 14. Jahrhunderts an.
Man bemerkt an ihnen keinerlei den Eigenfchaften des Holzes zuwider
laulende oder übertriebene Beanfpruchung: allerdings mag das Gellühl als
das einer Bettelmönchskirche nicht reich gefchnitzt worden und alfo in diefer
llinficht eine besondere Gelahr nicht vorhanden gewefen fein. Für Holz-
profilirungen im gothifchen Stile find die Reite diefes Stuhlwerkes brauch-
bare Vorbilder.2
Unter den Kunftwerken folgt dem Alter nach das Taufgefäfs, ein raufkeffel.
broncener Keffel, der in der Achfe des llauptfchiffes des um eine Stufe er-
* Vcrgl. auch von Dreyhaupt I, 1053.
- Ein folcher, aber rieht ungiftrichcner Sit* befindet fich im Privalbefiu des Herrn Pro-
feffor H. Hcydcmann hier.
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DIE STADT HALLE u. d. SAAI.KKEIS
F'R- 7»-
Choiftiihlc.
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DIE ST. ILRICHSKIRCIIE.
189
höheten Theiles aufgellellt worden ill, in der Form jenem der Marktkirche
ganz ähnelt und nur durch das Fehlen der Oefen mit dem Mandtuchreifen,
in den Figuren und in der Umfchrift ein Wenig abweicht. Indem wir daher
l>ezüglich der allgemeinen Gellalt auf das bei der Marktkirchenbefchreibung
Gefagte verweilen , haben wir hier nur diele Abweichungen zu befprechen.
Unter den vier kefleltragenden Figuren giebt es dreimal diefelbe weibliche
Gellalt, die in der Marktkirche zweimal vorhanden ill. Eine vondiefen dreien
hält auf dem linken Arme ein Kind und kennzeichnet fich dadurch als
Maria; in ihrer rechten Hand befand fich demnach wohl urfprünglich ein
l.ilienfcepter. Den beiden anderen fehlt gleich denen der Marktkirche jetzt
jede Beigabe. Die vierte F igur ill die eines hübfchen jugendlichen Bifchofs mit
lockigem Haar. Eine Mitra (line circulo et titulo) bildet die Kopfbedeckung.
F.in fchlichtes Mefsgewand und darunter die Alba dient als Bekleidung. In
der Rechten hält der Bifchot ein Buch, in der hinken, die er geöffnet vor-
hält, ill jetzt nichts mehr. An dem Marktkirchenkeffel findet lieh diefe
Figur überhaupt nicht. An ihr fallen die wunderlichen Verhältniffe. diedem
Stile diel'er Zeit eigen find, befonders Hark aut, z. B. ill namentlich der linke
Oberarm viel zu kurz. Aus diefen Figuren und den vieren der Marktkirche
fcheint hervorzugehen, was lieh freilich mit Gewifsheit nicht fagen läfst,
dafs der Meifter eine Anzahl Modellfiguren befafs und diefelben nur mit
anderen Beigaben verfah, je nachdem er eine bellimmte Heiligenfigur dar-
llellen wollte; an beiden Keffeln kommt ein und diefelbe weibliche Statue
zufammen tüntmal vor; die männlichen find zwar verfchieden, aber beifpiels-
weife ill die des Bifchots fo allgemeiner Natur, dafs lie je nach den Attri-
buten jeden beliebigen Bifchof verliehen könnte. Ein gewiffer fabrikmäfsiger
Betrieb diefes Grapengehterhandwerks kann aus alledem erfehen werden
um fo mehr, da auch die kleinen Statuen unter der Blendarkade um den
Keffei diefelben in beiden Kirchen find. Die Reihenfolge ill aber in der
Ulrichskirche folgende, wenn wir mit Chriili Statue beginnen und nach
rechts herum gehen: Chrillus, Johannes, Andreas , Simon — es ill nicht
mit Gewifsheit zu fagen, ob diefe Figur Simon oder Thomas fein foll; ob-
wohl ihr tlie Beigaben beider lehlen und lie llatt deffen ein Schwert hält,
kann fie nur einen diefer Apollei darltellen, tla fich die übrigen durch ihre
Beigaben ziemlich licher beltimmen laffen — Jacobus der Altere, Philippus,
Matthäus (?) Mathias, Judas Thaddäus, Jacobus der Jüngere, Bartholomäus,
Paulus, Petrus, Maria. Die Minuskelumfchrift unter diefen F'igürchen lautet
hier alfo:
j fliio t bni < tu 1 rrrc 1 jrr i jp t mr 1
lubolfus 1 na ( brüryifc / nbr < rin ( ronr 1 fjiriß 1
tjr 1 ttlioft ) fo 1 ntflflifiifliorrf! t’
1 Wir vc r weifen auf das, was über diefe Infchrift bei der Bcfprcchung des Marktkirchen*
kirffels gefugt ift, namentlich auch bezüglich des . mf.
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Altar.
1Q0 DIF. STADT HALLE ti. d. SAALKREIS.
Auch diofer KefTel iß wie jener der Marktkirche anfangs vergoldet
gewefen und zwar wohl an denfelben Stellen, welche noch heute eine Ver-
goldung haben. Die jetzige iß indeflen eine Erneuerung wahrfcheinlich des
17. Jahrhunderts und durch einen Firnifs von folcher dicken Maße, dafs lie
den feinen Linien fchadet.'
Wir kommen zu der Befchreibung des Altares. SeinTifch aus Sand-
ßein. wie es die Regel will, iß vielleicht noch älter als der Tauf kelfel, nämlich
vom Jahre 1339 oder doch aus den nächßfolgenden Jahren. Des nicht-.
Vorderfeite, durch fünf niedrige Kleeblattbögen in Blendenmaafswerk belebt,
zeigt, wenngleich neuerdings nachfcharrirt. wohl den Stil jener Zeit, eben io
die Profilirung der Deckplatte. Das ehemalige Grab für die Reliquien iß
noch erhalten aber jetzt leer; es zeigt hier infofern eine abweichende Form,
als vorn ein kleines sigillum liegt und nach hinten ein ungewöhnlich
grofses daranßöfst, während unter beiden das eigentliche Loch für das Rc-
liquiengefäfs gleich grofs iß. Es gewinnt den Anfchein, als habe man mit
der hinteren grofsen Marmorplatte prunken wollen ; vielleicht lagen unter
ihr die Heiligthümer der alten Ulrichspfarrkirche, nachdem diefelbe ab-
gebrochen war, und unter der vorderen kleineren die des Kl öfters der
Marienknechte. Aufserdem iß ein verfchlofsenes Loch, von hinten in den
Altar hineingehend, belafsen wohl nicht zur Bergung von Reliquien. Hinten
auf derTifchplatte erhebt lieh über der Predella ein hölzerner Wandl'chrein
ein Wandelaltar mit zwei feiten2 und zwei beweglichen Flügeln, ge fc hm Geht
mit Tafelmalerei und farbigem Schnitzwerk und ebenfalls mit bemalter
Holzfchnitzerei bekrönt. Die Anordnung, aus der die Verwandlungen
zu erkennen find, iß nun folgende:
1 Der von von Dreyhaupt erwähnte gefchnitzte Deckel zu dem TaufgefäfsC, welcher wahr-
fcheinlich aus dem 16. Jahrhundert flammte, ift nicht mehr vorhanden, gleicherweife der eben
da erwähnte Crucifixus, der vielleicht dem 17. Jahrhundert angehürt haben wird und ebenfo
merkwürdig wie widerwärtig ausgefehen haben mufs.
2 Es ift möglich und wahrfcheinlich, dafs diefe feft behenden Klügcl anfangs beweglitb
und fo an der Vorderkante des Schreines angebracht waren, wie die äufscren, beweglichen Jet
Altares zu St. Moritz, auf deren Aufsenfeite ebenfalls die vier grofsen Kirchenlehrer gemalt find.
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DIR Sr. ILR1CHSKIKCHK.
IQI
GefchlolTenPr Zuftand:
/
1
1
1
Verkündigung
Mariae
Gtburi
Christi
\ Anbetung
! der Könige
Darrtellung
iniTempd
t
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C-*
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Maria
^ ^
ri?i2 1
1
An der Predella find in halber Figur auf Holz in Oel gemalt die BildnilTe
von Pechs heiligen Frauen jede mit feiner Goldkrone auf dem Haupte. Es
lind, wenn wir links anfangen: die h. Agnes, an einem Lamme vor ihr
erkennbar; fie blickt in ein offenes Buch, welches fie hält. Ihr folgt die
h. Margaretha mit einem Kreuz in der Linken; darauf kommt die
h. Maria mit dem Kindlein, welches ohne Nimbus ift; die folgende ift die
h. Dorothea, fie hat vor lieh ein Körbchen mit Rofen. Die vorletzte, die
h. Urfula, hält einen Pfeil, und die letzte ift die h. Barbara, kenntlich an
einem Getängnifsthurme, in deften Thür ein Kelch mit der Hoftie fteht, weil
ihr das Sacrament von einem Engel in den Kerker gebracht wurde. Zu
von Dreyhaupt's Zeit ift, wie aus feiner Befchreibung des Altares fich er-
giebt. die Predella durch drei neuere dem 17. Jahrhundert angehörige Bilder
verdeckt gewefen, die jetzt in einem Kirchftübchen der Südfeite fich
befinden.
Der Profpect, den der Altar bei gefchlofTenem Zuftande feiner beweg-
lichen Flügel darbietet, fetzt fich aus folgenden vier Bildern zufammen:
links am feftftehenden Flügel ift Mariae Verkündigung gemalt. Von
links her naht der Engel Gabriel in ehrfurchtsvoller Haltung der Maria,
die rechts vor einem Pulte mit aufgefchlagenem Buche fitzt. Er ift in ein
weifses Gewand und einen rothen, befetzten Mantel gekleidet; er ift blond
und hat mädchenhafte Züge. In der Hand den fcepterähnlichen, oben kreuz-
förmigen I.ilienftengel kündet er der Jungfrau den himmlifchen Grufs: ÄVH
MARIE • GRATIA • PL€I?Ä • DOfllllPVS ■ TedVfll, welcher zum Theil
lesbar in traditioneller Weife auf ein Spruchband gefchrieben fteht. Diefesgeht
von feinem Munde aus und umfchlingt das Scepter. Maria, die Linke noch
auf dem Buche, wendet fich nach ihm um und erhebt dabei ein Wenig die
Rechte. Hier wie in den drei anderen Bildern trägt fie ein carminrothes
augenfcheinlich verblafstes) Kleid, einen dunkelen Mantel undlofes, blondes
Haar. Das nächlle Bild auf dem linken F'lügel des eigentlichen Schreines
zeigt nun die Geburt Chrifti. Links kniet Maria betend über dem Kinde,
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1Q2 IMF. STADT 1IAI.IE u. d. SAALKREIS.
das vor ihr auf ihres Mantels Spitze, — eine Krippe fieht man gar nicht —
liegt und ganz von einem goldenen 1 Ieiligenfcheine hier fo paffend in der
Form der Mandorla umflrahlt wird. Hin Goldreifennimbus mit Kreuz um-
giebt aufserdem noch das Haupt des Kindes. Von der anderen Seite her
kniet auch Jofeph, ein älterer Mann in grauem Kleide und rothem Mantel
und beforgfam ernfl blickt er aul den Heiland nieder. Zwifchen Maria und
ihm wird im Hintergründe ein Efelskopf fichtbar. Hinter Maria treten von
links zwei Hirten, der erlle mit Kapuze und Tafelte angethan, in die Thür.
•Sie blicken zu den drei Engeln auf, die. ein Buch haltend, über der Scene
fchweben und fingend die frohe Botfchaft verkünden. Letztere find in lange
Gewänder gekleidet und ihre Flügel zeigen noch ganz gothifchen Schnitt.
Nun folgt auf dem nächften Bilde die Anbetung der heiligen drei
Könige. Inmitten fitzt die Gottesmutter und hält auf dem Schoofse das
Kind, vor dem von links her Cafpar, der ältefie der Könige, entblöfsten
Hauptes anbetend niederkniet. Er trägt einen rothen, feitlich gefchlitzten
Talar, unter dem eine prachtvolle Rüftung zum Vorfchein kommt. Vor ihm
liegt feine mit goldener Krone umgebene Mütze. Ihm gegenüber fleht der
junge Mohrenkönig Melchior und hält feine Weihrauchl'pende in einem kelch-
artigen Gefäfse von Gold. Sein Aeufseres macht einen fremdartigen
Eindruck, er hat fpitze Sandalen an den Füfsen, enge rothe Bein-
kleider, einen weifsen gemufterten Mantel, ein dunkeles fonderbar häfsliches
Geficht und über einem um den Kopf gefchlagenen Tuche die Krone.
Hinter Cafpar fleht der dritte König Balthafar, ebenfalls mit einem kelch-
artigen Behältnifs in den Händen. Eriflmit einem langen, gemullerten Mantel
bekleidet und hat über einer turbanartigen Kopfbedeckung die Krone. Die
Darltellung Chrilli im Tempel fieht man auf dem letzten Bilde desPro-
fpectes. Um einen altarartigen Tifch, der auf einer Stufe fleht, teppichbehangen
und von einem weifsen Tuche überdeckt ifl, gruppiren fich die Figuren; vom
links fleht Maria mit zufammengeleglen Händen, ein weifses Tuch umhüllt
ihren Kopf, auch geht der Mantel hinten hoch am Kopfe hinauf. Hinter
ihr fleht Hanna und Jofeph, der das Taubenpaar auf den Tifch fetzt. Hinter
Jofeph lieht noch eine weibliche Figur (eine Dienerin?) Mitten hinter dem
Tifche lehen wir den Hohenpriefler mit einem Lichte, ein rothes Koptband
mit hebräifcher Auffchrift umgiebt fein Haupt. Neben ihm befinden fich
noch drei Schrittgelehrte und Priefter mit häfslichen Gelichtern. Vor ihnen
an der rechten Seite des Bildes bringt der greife, bärtige Simon, bekleidet
mit roth gemullertem Mantel, das Kind, welches ohne Nimbus ifl, dar: an
der Tifchtuchkante lefen wir feine Worte:
i?ai?a • DimiTTis • seRvam.
Vorn an der Stufe, auf welcher alle diefe Figuren liehen, liefl man als
die Jahreszahl der Kntllehung der Bilder I 1 / Ä I 8 f 8 I, fie ill grofs und fo
gemalt, als fei fie in den Stein eingehauen. Alle diefe vier Bilder haben
einen gleichartigen architektonifchen Hintergrund in der Form eines ge-
wölbten gothifchen Chores; durch die offenen F'enller fieht man ein wenig
von unbedeutender I-andfchaft und darüber goldene I.ult. Die beiden mittleren
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DIF. ST. ULRICHSKIRCHE.
193
Bilder zeigen ganz vorn im Pflaßer an Stelle eines ausgehobenen Steines
eine mehrblätterige Pflanze, angeblich das Zeichen des unbekannten Malers.
Auf der Rückfeite der beiden feltßehenden Flügel find die vier grofsen
Kirchenlehrer gemalt;1 2 auf dem nördlichen Flügel erblicken wir den Papß
Gregorius im Mantel und auf dem Kopfe die hohe dreifache Krone; er
hält ein Doppelkreuz und Buch. Rechts neben ihm fleht Hieronymus in
feiner rothen Cardinaistracht, der cappa magna, und mit dem gelerus nuber
auf dem Kopfe, hier mit nicht mehr als drei Quarten an jedem Kinnbande.
Ein Löwe, der an ihm auffpringt und zu dem er niederfieat, ifl fein Attribut.
Die Rückfeite des füdlichen feilen P'lügels enthält das Bildnifs des Erz-
bifchots Ambro fius, der ein Buch mit einem runden Gegenftande hält,
auf dem eine Taube fitzt, er blickt in das offene Buch des Bifchofs
Auguftinus. Beide tragen einen rothen Mantel, eine weifse Mitra und den
Hirtenftab.*
Geöffneter Zultand:
Nach derOeffnung der beweglichen Flügel erblickt man fowohl in den
Flügeln als im Schrein lebensgrofse, ho Izgefc h ni tzt e St a tuen, umrahmt
von kraufen Schnitzornamenten auf Säulen; den Hintergrund bis zur
Schulterhöhe hinauf giebt ein goldgemufterter Teppich ab, darüber ifl ein
blauer Himmel mit goldenen Sternen. Die Mitte des ganzen Profpectes
nimmt ein Maria, auf einem Throne zur Rechten Chrilli fitzend,
der fie fegnet und in der Linken die kreuzbekrönte Weltkugel hält,
während fie die Hände betend zufammenlegt. Beide tragen hohe Kronen
auf dem Kopfe, gemufterte Kleider und wie alle anderen Figuren fchlicht
goldene Mäntel. Man bemerkt an der Wand des Hintergrundes drei Engels-
1 Dicfe Bilder find nicht mit Firnifs überzogen und bereits ziemlich unfeheinhar, jeden-
falls aber der Erhaltung werth.
2 von Dreyhaupt nennt ftatt Gregor und Ambrofius den Paplt Clemens und den Bifchof
Wolfgang. Warum ift nicht erkennbar ; letzterer pflegt eine Kiiche oder auch ein kurzes Beil
als Beigabe zu haben, und Clemens macht fleh als fulcher auch nicht kenntlich. Ebcnfo fehlt
dein h. Auguftin hier das durchpfcilte Herz, und Ambrolius hält Attribute, die bei ihm un-
gewöhnlich find. Auch unfere Bcftimmung ifl mithin nicht ganz licher.
B. D. d. Bau- u. Kunstd. K. F. 1. 1 j
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
köpfe mit Klügeln über der zu Maafswerk durchbrochenen Thronlehne.
Neben diefer Gruppe lieht auf jeder Seite ein Bifchof im Ornat, links der
h. Ulrich; er war Bifchof zu Augsburg und hält, weil er in den Fallen
Fleifch in Fifch verwandelte, zugleich mit einem Buche einen Fifch. Sein
Mantel iß golden, die Dalmatica gemuftert, die Alba filbern mit rothem
viereckigen Befatz. Rechts lieht der h. Ludger (?) mit einem Buche in der
Linken. Er trägt eine goldene Cafel, dieMitra und den K rumnillab. Der
linke (nördliche) P'lügel enthält links die h. Katharina mit dem Rieht-
fchwert und mit dem vom Blitz zerfchlagenen Rade zuPüfsen. Eine Krone
fchmückt ihr den Kopf, ihr Mantel ill golden und ihr Kleid gemuftert. Die
andere ill wohl die h. Genovefa: fie ill ebenfo bekleidet wie die vorige
und mit einer Krone gefchmückt; ein Buch hält fie in der Rechten und in
der Linken ein Licht. In dem anderen Flügel (füdlich) befindet Pich links
der h. V i c tor 1 (?): er ill blond und bärtig und in goldenem 1 lamifch, über dem
nach hinten fein Mantel herab lällt; er hält einen Schild und eine Lanze. Sein
Nachbar ill der h. Moritz, der auch in voller Rüllung dalleht, eine I-an/e
(wohl P'ahnenftange) und einen kleinen Schild mit einem Kreuz darauf
haltend.
In dem holzgefchnitzten, pyramidalen Aufbau über dem Schreine lieht
unter Baldachinen eine Anzahl kleinerer Statuen, mitten die gekrönte Maria
mit dem Kinde auf dem Arme und das Lilienfcepter haltend. Neben ihr
links (vom Befchauer) die h. Barbara, gekrönt und mit dem Ilollienkelche.
Sie lieht ein Wenig niedriger als Maria und ebenfo etwas niedriger auf der
linken Seite der Maria lieht eine weibliche Heilige mit einer Krone, die
aus ihren Beigaben, einem Schwerte und Buche, nicht beftimmt zu ermitteln
ill. Die Gruppe diefer drei Frauen wird auf jeder Seite noch durch eine
männliche Figur, die wiederum niedriger als jene lieht, abgefchloflen; links
ill Mo fes mit den Gefetzestafeln und aut der andern Seite Johannes der
Täufer,* zu defTen bis zu den Knien blofsen Füfsen das Lamm liegt; feine
Stellung ill äufserft bewegt, tlieatralifch. Die beiden letztgenannten Figuren
haben einen flammenden Nimbus. Höher im Aufbau über der Maria lieht
im Mafsllabe kleiner C hriftus mit der Dornenkrone und wiederum über
ihm als oberfter Abfchlufs des Ganzen noch einmal etwas kleiner Chrillus
triumphirend mit der Siegesfahne in der Hand.
Obwohl man aus den Darftellungen am Altäre zwar den haupt-
fächlichllen Zweck, die Verherrlichung der Maria, erkennt, fo ill doch
der Gedankengang nicht überall klar. Vielleicht lag es von vornherein gar
nicht in der Abficht, einen beftimmten Gedanken in der Zufammenflellung
der einzelnen Heiligen auszulprechen , fondern nur fie durch Aufftellung
ihrer Bilder an diefer geweihten Stelle verehren zu können; das bezieht fich
auf die fechs Heiligenbilder der Predella und alle Sculpturen. Mir fcheint
1 Nach von Drcyhaupt** Angabe.
2 Nach von Drcyhaupt’s Angabe wäre es „Chriflus mit dem Evangclio“, das ift nickl
richtig, weil Mofes und Johannes als erfter und letzter Prophet eine beliebte ZufammeD'
Heilung bilden.
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U1K ST. ULRICHSKIRCMK.
•95
indelTen, dafs in der Schreinbekrönung anfangs die Maria drei mal über
einander flehend lieh jedes Mal herrlicher und vollkommener wiederholte an
Stelle der (zweimaligen) Ge Halt Chrilti (aus protellantifcher Zeit.) Jetzt ift
unter den verfchiedenzeitigen — darüber wird gleich gefprochen werden —
Figuren kein rechter Zufammenhang. Dagegen ift in den Gemälden das
Verdien (1 der Maria klar und umftändlich dargethan, und auf der Rückfeite
der feftftehenden Flügel die Ermahnung an die Klofterbrüdcr gerichtet, den
grofsen Lehrern der Kirche nachzufolgen.
Die Beurtheilung des Stiles bezw. des Kunllwerthes diefes Altares Slil «"<• "’«rih.
iß um deswegen erfchwert, weil fich nicht überall beftimmt fagen läfst,
welche Stücke bei den verfchiedenen Renovationen, die der Altar erlebt
hat ..fonderlich iCbo1', verändert worden find.1 In den gefchnitzten Ornamenten
erkennt man folche allerdings unfehwer an dem Charakter der Formen,
trotzdem die erneuerte blanke Vergoldung alle gleichartig überzieht. Die
Ornamente im Schreine find am bellen erhalten und von grofser Zierlichkeit.
Auf dünnen, gewundenen Säulen zwifchen den Statuen bildet fich über
efelsrückenförmigen Bögen ein maafswerkliches Geflecht aus, in welches fich
auch naturaliftifche Blätter und Zweige einflechten. „Die Pelicane in denen
Windflügeln, fo das Wapen Provinciae Saxoniae Ordinis Servorum Mariae
gewefen", die von Dreyhaupt erwähnt, find nicht mehr vorhanden, folche
finden fich aber aufTälligerweife im Ornament des Moritzkirchenaltares. An
den Scheidewänden neben der Mittelgruppe (Maria und Chrillus) und über
diefer find fünf baldachinüberdeckte Plätze, in denen anfänglich fich ver-
muthlich kleine Statuen befanden, die jetzt aber ein Ornament des 17. Jahr-
hunderts ausfüllt in der Form eines Reliquienbehältniffes, aber aus Holz
gemacht und nur für das Sehen aus der Feme berechnet. Die erwähnten
drei geflügelten Engelsköpfe an der Wand hinter diefer Mittelgruppe find
ebenfalls beftimmt erft aus dem 17. Jahrhundert und desgleichen die Laub-
fägezierrathe und Knöpfe im Aeufseren auf den Flügelrahmen. Ob das
gothifche aufgeheftete Maafswerk oben in den Bildern des erllen Profpectes
alt oder fpäter nachgemacht ift, mufs unentfehieden bleiben. In der auf-
gebauten Bekrönung fieht man fogleich, dafs die Baldachine über Mofes
und Johannes plumpe Nachahmungen find, während das übrige zierlich
gothifche Schnitzwerk wohl alt ift, aber fich mancherlei Umänderung nament-
lich vielerlei Befeitigung von ganzen Partien hat gefallen laffen müffen.
Die Statuen im Schreine dürften fämmtlich alt fein, wenn auch mit einzelnen
neuen Theilen (Schwert, Licht, Lanze, Kreuz) und neuer Bemalung und Ver-
goldung mancher alten Theile; im Aufbau jedoch find nur die drei weib-
lichen Figuren alt, welche noch gothifche Proportionirung, die conventionelle
S-linienftellung und grofsfaltige Gewandung haben, während die übrigen
dafelbft fowohl durch ihre bewegte Haltung als auch durch die fehr natur-
richtige Bildung des Nackten und der Gewänder, fich (fo viel man erkennen
kann bei dem entfernten Standpunkte) als gute Arbeiten der RenaifTance
1 In der Renovation der Heiligenfiguren an diefer Stelle und zu diefer Zeit bekundet fich
eine Toleranz, über welche man fich heute leider wundert.
»3
DIK STADT HALLS u. d. SAAI.KRF.IS.
iq6
kennzeichnen. Die alten Figuren find in grofsartigem Stile gehalten, wenn
auch in den F.inzelheiten nicht fo durchgeführt dafs fie als vorzügliche
Werke der Kunft gelten dürfen.1 Bei allen ift noch die unnatürliche
S-linienhaltung angenommen und die fpätgothifche Proportionirung durch-
geführt; namentlich wirkt das Verhältnifs der Körpertheile bei den Frauen
durch viel zu hoch liegende Taillen und eine dadurch viel zu kleine ßruft,
über welcher dann der wohl proportionirte Kopf fitzt, anflöfsig, wiewohl der
Künftler auf folche Weife das Zarte, Weibliche zu charakterifiren in Abficht
hatte. Glücklicherweife verhüllt diefe zeitgemäfsen Verftöfse gegen alle
gefunde Empfindungsweife der Mantel fo fehr, dafs 'fie in ihrer wahren
Schärfe nicht leicht gefehen werden können. Die männlichen Figuren haben
gut charakterifirte Kopfe und befonders die der beiden Bifchöfe machen
einen guten Eindruck. Chriftus ifl mager und nicht fchön. Die Gefichtszüge
der Frauen find wefentlich gleich und nicht häfslich, wenn auch nicht eben
fein z. B. nicht von der Feinheit der beiden Marien im Altar der Moritz-
kirche. Die Gewandung aller ift gut und noch ohne Knitterfalten. Wir
bezweifeln, dafs alle Statuen von Anfang an einen goldenen Mantel hatten,
die gemufterten Kleider werden ihrem Mufter nach in urfprünglicher Weife
belaßen fein. Trotz aller Reilaurationen haben die alten Statuen, wie aus
unferen Bemerkungen erfehen wird im wefentlichen noch einen gothifchen
Charakter; dafs die Formen weniger bizarr, hingegen fchmiegfamer und
weicher find als die der Hochgothik, kann nicht verkannt werden, von
wirklichen Anzeichen der Renaiflance ift jedoch noch nichts zu bemerken.
Die Gemälde find unverändert geblieben. Sie find auf Holztafeln von
2,12® Höhe zu 1,13“ Breite (im Lichten zwilchen den Rahmen gemeflenl in
Oelfarbe ausgeführt und wenn auch etwas verblafst bez. verdunkelt doch
unbefchädigt, ohne Renovationszufätze und bis in die Einzelheiten gut er-
kennbar. Ihr Stil ift dem der Sculptur ähnlich, befonders der Gefichtsaus-
druck, nur, da die Farbe dem Maler eine gröfsere Freiheit in der Be-
wegung geftattet als das Holz dem Bildhauer, ift in den Bildern eine feinere
Beftimmung vornehmlich der Gefichtszüge möglich gewefen. Uebrigens
haben die Frauen auch hier im Wefentlichen nicht fehr verfchiedene Köpfe,
deren fchlichter Ausdruck nicht hervorragend fchön, aber auch nicht häfslich
ift. Die Männer dagegen find je nach ihren Eigenfchaften vortrefflich natur-
wahr gezeichnet. Wir erinnern an das beforgliche Gefleht des Jofeph in
dem Bilde der Geburt, an die Hirten ebendafelbft, hauptfächlich aber an die
fprechend wahren Phyfiognomien der Priefter auf der Tafel mit der Dar-
bringung Chrifti. Wie gefagt ift das Material von Einflufs aut den Stil, aut
welchen Umftand es denn auch zurückzuführen fein mag, wenn in den Ge-
mälden fowohl die Körperformen als auch die Bewegung und Haltung
* Kuglet: kl. Schriften II. 30 Tagt, dafs die Schnitxwerke „hoch ft bedeutend“ feien.
Wir ftitnmcn keineswegs mit ihm durchweg überein, namentlich nicht darin, dafs er meint , der
Kindruck des Ganzen fei klar und harmonifch: denn die Zuthaicn aus fpälcrcr Zeit, Figuren
und Ornamente, verleugnen ihren fpatcien Stil nicht und disharmoniren alfo trotz der faibigen
Uebereinftimmung mit jenen urfprünglicheu Stücken.
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Sacramentsh.’luschcn.
DIE ST. CT.RICHSKIKCHF..
IQ7
weniger unwahr und die Falten der Gewandung noch weicher erfcheinen
als in den Sculpturen. Die Farbenzufammenftellungen find hin und wieder
vielleicht etwas hart, im Allgemeinen aber gut, wenngleich nicht mit dem
Gefchmacke gewählt, der fich in den beiten Bildern des Altares der Moritz-
kirche gefchweige denn in denen der Marktkirche kundgiebt. Die Technik
ilt forgfamer als die zu St. Moritz, die befonders in den äufseren Flügeln
eine (lottere, leichtere Pinlelfiihrung zeigt und dabei dennoch falt effectvoller
ilt. Die Auffaffung und Behandlung des geiltigen Stoffes zeigt mancherlei
Abweichungen von dem traditionellen Arrangement. Wir können hier näher
nicht darauf eingehen, machen aber einige Abweichungen namhaft. Vor-
nehmlich tritt in der Auffaffung jeder Scene das lliltorifche Hark hervor,
woher es vielleicht kommt, dafs die F'iguren aufser dem eben geborenen
l'hriltkinde ohne Heiligenfehein find. Allerdings finden die Scenen alle in
gleichen Räumen flatt, die mit nichten zu einer rein hillorifchen Auffaffung
paffen (Chor einer gothifchen Kirche anllatt des Stalles), ln diefer Hinficht
ilt es auch auffällig, dafs das Kind nicht aut der Streu einer Krippe, die
gänzlich fehlt, fondern nach der Geburt auf der Schleppe Marias liegt. Der
Meilter fucht, das erkennt man hieraus fowie aus der Haltung der Figuren etc.,
nach Neuerungen, doch ohne fich felblt fchon über das Ziel klar zu fein.
Namentlich ilt der Meilter nicht bekannt ; hat er auch nicht wohl
beides, Schnitzereien und Gemälde, eigenhändig ausgefuhrt, l’o tragen
beide doch zu fehr übereinltimmende Fiigenfchaften , als dafs wir nicht
denfelben Geilt und diefelbe Oberleitung bei der Herllellung darin erblicken
müfsten. Der Altar wird eben aus einer jener fabrikartigen Werkftätten
des fpäten Mittelalters, in denen Maler und Bildhauer befchäftigt wurden,
hervorgegangen fein. Den Kunltwcrth des urfprünglichen Werkes mag
man erkennen, wenn man bedenkt, dals fich hier eine der Renaiffance fchon
näher kommende Auffaffung zeigt, als in den Bildern der inneren Flügel
zu St. Moritz, welche doch um mehr als zwei Jahrzehnte fpäter entbanden,
während dann bereits nach weniger als abermals zwei Jahrzehnten die Re-
naiffance in den Bildern der Marktkirche fich mächtig durchgerungen und
prächtig entfaltet hat. Nach unferen Erörterungen dürften der Altar zu
St. Ulrich und St. Moritz an Kunftwerth etwa mit einander concurriren.
Das Sacramentshäuschen Fig. ill nicht nur als das einzige zu
nennen, deffen Schmuck fich in den hallefchen Kirchen ziemlich erhalten
hat, fondern es verdient auch eben feiner Ausbildung wegen Beachtung.
Es ift ein höchft wunderliches Gebilde der Kleinarchitektur in Sandftein und
könnte in lUliffifcher Hinficht gewiffermaafsen als ein Gemifch von gothifchen,
Renaiffance- und naturalillifchen Formen angefehen .werden. Nördlich in
der erften ftumpfen Chorecke erhebt fich über fchlicht vierkantigem Steine,
der neu ift als Erfatz eines wahrfcheinlich reich gegliederten l-ufses oder
einer Stufe, ein Baumftamm mit ganz kurz abgelagten oder abgefchnittenen
Aeften naturaliftifch in Stein gehauen. Zwei Aefte wiederum mit ab-
gefchnittenen Zweigen gehen feitlich ab, um eine der beiden vielgliederigen
Säulen aufzunehmen, von denen das verkröpfte Verdachungsgefims des
eigentlichen Schrankes unterftiitzt und letzterer fiankirt wird. Der Schrank
Sacramenls-
häaschcn.
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DIE STADT HALLE »• J- SAAI.KKKIS.
108
liegt bündig im Mauerwerk der etwas abgeftumplten Ecke und hat eine
halbrunde, tifchartig vorgekragte und von dem Hauptflamme unterftützte
Platte vor lieh, deren vielgliedrige Profilirung fich auch an den runden
Zwifchenftücken zwifchen den Säulen und den unterllützenden Aeflen um-
zieht. Die Schranköffnung ift von einem Gewände in noch halb gothifcher
Profilbildung umgeben, oben das Verdachungsgefims tragend und flachbogig
gebildet. Ein eifernes Gitter mit vergoldeten, zierlich zu Rosetten aus-
gebildeten Knöpfen Eig. 75 und dahinter eine Eifenblechthür mit aus-
gefchlagenen Ornamenten (Dreiblatt. Kreuz) in Eeldern dienen als Verfchluls
der Oeffnung. Ueber dem Häuschen fetzen lieh die freigearbeitelen Aefte
fort, theilen, durchflechten und vereinigen fich wieder, um aufs Neue aus-
einander und durcheinander zu gehen und fchliefslich im Gipfel zufammen
zu laufen in das Nell eines Pelikans, der feine Jungen mit dem eigenen
Blute nährt. Diefes Symbol findet fich neben wenigen anderen gewöhnlich
an den Sacramentshäuschen und ili hier gewifs auch mit Bezug auf das
Wappen provinciae Saxoniae ordinis Servorum Mariae angebracht. Ift nun
auch manches von der gekünftelten Arbeit diefes Schreines zerftört worden
im Laufe der Zeit, fo kann man fich den Totaleindruck doch noch fehr wohl
vorftellen, fogar in der farbigen Ausftattung, die lediglich in einer ftellen-
weife angebrachten, matten Vergoldung beftanden hat.
Da hauptfächlich die Säulenform und die Profilirung der Simsplatten
unzweifelhaft machen, dafs der Meifter der erften Renaiffancearbeiten in
F>g- 75-
Gitter der Thür des Sacramenlshäuschens.
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DIE ST. ULRICHSKIRCHE.
99
Halle, deren wir in der Dombefchreibung unitländlicher Erwähnung thun,
auch diefes Saeramentshäuschen verfertigt hat, — das Entllehungsjahr ill
treilich nicht bekannt — fo können wir bezüglich des Stiles auf das dort
Gefagte verweilen. Einige Worte über diefes befondere Stück find aber
doch nicht überflüITig, weil hier klarer denn je fich die Art des Uebergangs
zur RenaitTance und zwar durch das ZufammentrefFen fcheinbar von ein-
ander unabhängiger Factoren zeigt. Wiewohl derMeitler etwas Neues, der
Gothik Entgegengefetztes fchaflen will, bedient er fich dazu doch unbewufst
und naturgemäfs eines Motivs des formbildenden Ideenkreifes, in welchem
er während feiner Lehre und feiner Gefellenzeit gelebt hat; feine Er-
findung knüpft alfo unmittelbar an die Formen an, welche der fpäteften
Gothik geläufig find, fucht nun aber diefelben d. h. ihren geiltigen Gehalt
gewilTermaafsen noch zu überbieten; hatte man bisher dürres, todtes Laub-
und Allwerk als Vorwurf zu bauomamentalen Sculpturen genommen, fo geht
unfer Künlller noch einen Schritt weiter, nimmt unbedenklich einen ganzen
Baum, wie ihn die Natur gefchaffen hat, fchneidet ihm die Blätter
alle, die Zweige bis auf wenige ab, verfchlingt, verbindet, trennt kurz ordnet
folche ganz nackten Aefte und Zweige nach feinem Gefallen, fetzt hinein
das fchreinförmige Behältnifs des Sacraments und als Bekrönung ein
traditionelles Symbol, das Nell eines Pelikans, bildet alles getreulich in Stein
nach und das ill fein Kunllwerk. Zu folchem Gebilde kommt dem Künlller
der fymbolifch darzullellende Gedanke in jeder Ilinficht entgegen: Das
Leben der Serviten fei gänzlich der opferwilligen Liebe (Pelican) geweiht,
alle anderen Triebe werden befchnitten, es grünt nicht und blüht nicht, ill
traurig und freudlos. Dadurch aber, dafs der Baum — vielleicht ein Wein-
llock — das Behältnifs für die Himmelsfpeife birgt, ill aut den Werth eines
folchen entfagungsreichen Lebens hingewiefen. Ueberhaupt liegt der Dar-
llellung ein tiefer Sinn zu Grunde, fie ill die fichtbare, bis in das Einzelne
wohl durchdachte Ermahnung an ein gottfeliges Leben hier auf Erden.
Die Kanzel diefer Kirche fordert in mehrfacher Hinficht Beachtung. Kanzel.
Gleich ihre Stellung im vierten Joche von Wellen her an der Südwand und
ihr Zugang mittelll einer Thür in diefer Aufsenmauer aus dem Obergefchofs
des Klollerganges find merkwürdig. Ihre Vorgängerin in katholifcher Zeit
Itand ihrem Platze gegenüber an einem Pfeiler der Nordfeite. Laut einer
Infehrift über ihrer Thür in der Kirche ill fie 1588 gemacht; ob diefe Infchrift
noch aus eben diefem Jahre flammt, ill zweifelhaft; fie wird wahrfcheinlich
für eine ältere hierher gefetzt fein, als 1645 der Schalldeckel, der „allzu
fchmal" war1 ganz neu gemacht und im Uebrigen die Kanzel fo gründlich
renovirt wurde, dafs ihr heutiges Ausfehen im Wefentlichen diefer fpäteren
Zeit entfpricht. Sie belleht fammt dem Schalldeckel ganz aus bemalter und
vergoldeter Holzfchnitzerei. An die Wand fich lehnend, fodafs drei Seiten
ihrer Achtecksform fehlen, wird fie von einer korinthifchen Säule getragen,
welche auf einem Pollamente lieht und über fich Confolen zur Ueberleitung
in die Kanzelbrüllung hat. Die fünf Seiten des unvolllländig achteckigen
1 Vergl. von Dreyhaupt I. 1054.
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200
DTE STADT HAI.LF. u. d. SAAI.KRFJS.
Grundrifles der letzteren find durch vorgekragte Säulchen gefchieden und
tragen in tiefer liegenden Bogenfeldem Reliefbilder, denen jederfeits noch
eine ausgekragte, flügelförmige Relieftafel an der Wand liegend zugefügt
ifl. Und fo finden lieh hier folgende mit Unterfchrift > erfehene Darftellungen,
wenn wir links beginnen: am Seitenflügel die Geburt: Maria und hinter
ihr Jofeph befinden lieh links, das Kind liegt in einem ftreugefüllten Korbe,
rechts knien zwei Hirten anbetend, im Hintergrund flehen Ochs und Efel.
Das erfte Feld an der Kanzel enthält den Evangeliften Matthäus, er hat
einen Stift zum Schreiben in der Hand; fein Symbol der Engel hält einen
Kelch. Es folgt im nächften Felde Marcus, dem der Löwe das Buch
trägt. Als mittleres Kanzelbild ifl die Kreuzigung dargeftellt. Neben
dem Kreuze links (alfo zur Rechten Chrifti) fleht Mofes (facies cornuta) und
legt die Rechte auf ein offenes Buch, aut der anderen Seite weift Johannes
der Täufer, halb bekleidet, mit erhobener Rechten aut den am Kreuze
Hangenden hin; alfo wie am Altäre der Ulrichskirche findet fich auch hier
eine Darftellung des erften und letzten Propheten, die übrigens unter dem
Kreuze häufig nicht Vorkommen dürfte, und dafelbft vielleicht erft in
proteftantifcher Zeit gemacht worden ifl. Die Unterfchrift lautet „Gefetz
und Evangelium.“ Unten amFufse desKreuz.es fitzt auf einem Todtenkopfe
mit Knochen, dem Befchauer fich zuwendend eine gänzlich unbekleidete
weibliche Figur mit aufgelöftem Haar. An eine Perfonifieation der Erde ill
hier wohl diefer Zeit nicht mehr zu denken, indeflen macht die unbefangene
Haltung diefer Figur auch zweifelhaft, ob lie Maria Magdalena fein könne.1
In dem nächften Felde fitzt Lucas der Evangelift mit feinem Symbol, dem
Stier. Dann folgt der Evangeliftjohannes, mit feinem Adler unter einem
Baume fitzend. Die letzte Darftellung wiederum an einem ausgekragten
Flügel ift die Auferftehung; inmitten fteht Chriftus fegnend aut feinem
Grabe und von Wolken umwallt ; neben ihm etwas zurück fchwebt ein weifs
gekleideter Engel, auch bemerkt man in den Wolken Engelsköpfe, drei
Kriegsknechte mit lebhaften Gellen fahren erfchreckt empor. Hinter der
Kanzelbrüftung wird die Wand neben und über der Thür bis zum Schall-
deckel von Täfelung bekleidet. Ueber dem Thürfturz find zwei Felder mit
je einem Wappen und den Buchftaben links I R rechts A S zu fehen, aufser-
dem vertheilt lieh auf diefe beiden Felder die Jahreszahl 1588 dergeftalt. dafs
15 im linken 88 im rechten floht. Ueber den Feldern fehen wir noch zwei tür
eine Kanzel wohl paffende Bibelflellen. Ob die Buchftaben und Wappen
fich aut Donatoren oder auf die Verfertiger beziehen, ift ungewifs. Es wäre
jedoch nicht unmöglich, obwohl die Täfelung mit Wappen Zahl und Schrift
den F ormen nach erft 1645 entftand, dafs man in den Buchftaben I. R. jenen
Meifter wiederfände, der am Gottesacker und den Marktkirchenemporen
nach der Mitte des 16. Jahrhunderts gearbeitet hat, hier aber fich in Holz
verflicht hätte, während alsdann mit Ä S der Name des Meifters von 1645
begonnen haben könnte.
Der Schalldeckel von der der Kanzel entfprechenden Grundrifs-
1 von Dreyhaupl Tagt es fei „ein fündiger Mcnfch.“
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DIE ST. IXRICHSKIRCHF..
201
form bildet lieh durch ein Gebälk, welches auf den Ecken als Bekrönung
kleine, graziöfe. muficirende Engel und zwifchen denfelben Kartufchenwerk
trägt, während die Unterficht als CalTette mit der Sonne inmitten aus-
gebildet ift. Ueber dem Kran/.fimfe erhebt fielt das Dach abfatzweife und
in gefchwungenen Linien auch mit freien Voluten verziert; auf feiner Spitze
trägt es die Figur des verherrlichten Chriftus; er fitzt auf einem Reifen,
der den Regenbogen darftellt. unter feinen F'üfsen liegt die Weltkugel und
fegnend erhebt er die Rechte.1 Unfere Befchreibung vervollftändigend fügen
wir nach, dafs alle Theile, Podament, Säulen, Confolen, Wandflächen,
Simfe u. f. w„ mit Kartufchen auf das Zierlichfte und Reichfte ausgeführt
lind ; und nicht genug, dafs die Gliederungen und vegetabilen Stücke bis in
die zarteften Einzelheiten fielt tlteilen, diefe Einzelheiten felblt find meill noch
weiter verziert mit eingeritzten Flach- und Bandmuftem, welche nur in der
Nähe erkannt werden können. Die ganze Kanzel ill gefärbt. Zwar dominirt
eine tveifse Grundfarbe mit goldenen Ornamenten, aber diefe duldet neben fich
doch noch eine folche Menge von andersfarbigen Knöpfen, Rofetten Spitz-
quadern fowie die lichten Farbentöne der Reliefs, dafs eine immerhin be-
friedigende Wirkung entliehen möchte, wenn nicht, fei es durch den I-'arben-
lloff felbft, fei es durch den I.acküberzug. jede Feinheit der Sculptur an
Gebilden in fo kleinem Maafsflabe verloren gegangen wäre.
Einer Erläuterung des erfichtlichen Gedankenganges der Bilder an
diefem proteftantifchen Kunllwerke bedarf es nicht.
Ueber den Stil bemerken wir. dafs er trotz der Zeitdifferenz von Stil.
Kanzel- und Deckelherftellung durch die Renovation der Kanzel kaum
verfchiedenartig ift. Es fcheint. als ob man 1045 fich den alten F'ormen
nach Möglichkeit angefchlofsen habe, wenigftens find andere Werke diefer
Zeit meill fchon bedeutend barocker. Die Reliefbilder find in ftrengen,
edlen Linien gehalten und keineswegs überftark vortretend, auch werden
di- l’erfonen nicht mit übertriebenem Pathos dargeftellt, wie es z B. fchon
an , en vier männlichen Figuren namentlich den beiden oberen der Altar-
bekrönung wahrgenommen werden mag.
Der Kun ft werth der Bilder ift nicht zu unterfchätzen, weil der F'arben-
überzug jetzt die F'einheiten der Sculptur verdeckt ; er liegt weniger in einer
idealen als geiftreichen Aulluftung der darzuftellenden Gedanken und in der
gefchickten und (luftigen Zeichnung der Details. Letzteres gilt auch von
den Ornamenten; fie find meiftentheils laubfägeartig flach und nicht eigentlich
fie felbft fondern aufgefetzte Knöpte. Quadern u. f. w. geben die Silhouette.
An dem ganzen Kunllwerke zeigt lieh keine Spur mehr von Befchränkung
nach mittelalterlichen Satzungen, wohl aber dasBeftreben die nunmehr über
ein Säculum als Richtfchnur anerkannten Schranken der Natur fchon wieder
zu durchbrechen.
Im Chor der Kirche befinden fich einige Epitaphien, die Interefte Epitaphien,
haben. Das bedeutendfte unter ihnen ift das örtlichere der beiden an der
1 von Dreyhaupt meldet, dafs hinter ( hrifto „in einem von Wolken vermengten Sonnen*
Uboa der Nähme Jehovah" gefunden habe, eine Verzierung, die jetzt nicht mehr vorhanden ift.
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
Südwand. Es ift ganz in weifsem Marmor (AlabafterV) mit gelblichen Figuren
und röthlichen Säulen, auch mit ftellenweife angebrachter Vergoldung aus-
geführt und bei allem Reichthum der feinen Details auch höcltft fauber ge-
arbeitet. Unten fleht man über einem Todtenkopte mit F'lügeln und Stunden-
glas (jetzt abgebrochen) auf einem fchwarzen, ovalen Medaillon eine goldene
Infchrift, die nur noch ftellenweife zu lefen ift. Zu jeder Seite daneben
wird von je zwei Confolen mit Löwenköpfen ein Gebälkftück getragen,
delfen weit ausladendes Kranzfims mittelft Verkröpfung auch über der In-
fchriftstafel durchläuft. Den Gebälkfries über den Confolen ziert jederfeits
eine Kartufche mit einem Wappen darauf. Das Gefims befteht imWefeni-
liehen aus einer convexlinigen Sima mit üppigfter Verzierung und hat nur
ganz unbedeutende Unterglieder, eine F'orm, die vor 1600 kaum Vorkommen
dürfte, dann aber fehl beliebt wird (vergl. den Schalldeckel der Kanzel in
der Moritzkirche). Die weite Ausladung des Gefimfes hat zum Zweck, fünf
freigearbeitete F'igürchen, drei Männer und zwei F'rauen, im Coftüm der
Zeit und in knieend betender Haltung zu tragen. Hinter ihnen baut fich
die Architektur in dem durch die beiden Kröpfe gegebenen Schema weiter
auf. Ueber jedem Kropfe fteht auf einem Pollamente von gefuchter Zeichnung
und vor einer leeren Nifche eine Säule; lie trägt ein verkröpftes Architrav-
ftück, welches mittelft Confole das weit ausladende Gefims darüber ftüut.
Die Säule vor einer Nifche ift ein beliebtes Motiv der RenaifTance, fchon in
ihren erften Regungen zu Halle kommt es vor z. 11. in dem ehemaligen
Prunkfaale des Kühlen Brunnen, hier aber ift die Anordnung durch zwei
Karyatiden (Allegorien), die jede Nifche tlankiren und das Gebälk anPilailer-
ftelle tragen, viel prächtiger gebildet. Die Mitte zwifclien diefen beideD
architektonifchen Gruppen nimmt eine reliefirte Darftellung der Auf-
erftehung ein, während rechts und links von den Gruppen länglich runde
Medaillons mit Relieffüllungen ausgekragt find und zwar links „die drei
heiligen F'rauen zum Grabe Chrifti gehend'* rechts „die £r-
fcheinung des Herrn den Jüngern zu Emaus." Die Gebälkkröpfe
über den Säulen haben Nifchen- und Volutenbekrönung und ehemals ohne
Zweitel einen Figurenauffatz als Abfchlufs gehabt; letzterer mufs auch über
den feitlichen Medaillons kleinen Poftamenten zufolge als F'igurenfchmuck
vorhanden gewefen fein. Am Friefe des Mittelftückes bemerkt man noch
ein Wappen. Den Abfchlufs des Ganzen bildet ein fich über der Mitte er-
hebendes, kartufchenumrahmtes Medaillon, welches die Himmelfahrt
Chrifti darftellt. Das ganze Werk, wenn es vielleicht auch fchon vor den
ftrengften Schönheitsgefetzen nicht mehr beftehen könnte, ift doch noch ein
Kunftwerk und von fo hoher Vorzüglichkeit, dafs es in der That weit mehr
Beachtung verdient als man ihm. wie den Arbeiten des 17. Jahrhunderts im
Allgemeinen, entgegenbringt. Es ift aber auch noch ganz zu Beginn diele,
Säculums gemacht worden, da der Tod Henning Hammel ’s,1 dem es
Stil, gewidmet ift, 1602 fällt. Die Einzelheiten der Reliefs find zu wenig erkennbar
an dem jetzigen Platze — zuerft war diefes Epitaphium über der „fchwarzen
1 S. von Dreybaupt 11.627.
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L)IE ST. IXKICHSKIKCHK. 20j
Thür“ d. i. der kleinen Thür in der Südwand des Hauptfchiffes angebracht —
und leider auch zu fehr zerftört. als dafs eine Detailbefchreibung möglich
wäre: fo viel aber läfst (ich fehen, dafs diefe Stücke von aufserordentlich
guter Compofition und Ausarbeitung find und. wiewohl völlig zu Hochreliefs
ausgemeifselt, doch das richtige Maafs kaum irgendwo überfchreiten. Maafs
gehalten hat der Künftler auch in der Darftellung der Bewegungen; man
mufs geliehen, dafs die Hand eines Meifters fie abgemeffen hat, der freilich
bis an die Grenze des Erlaubten zu gehen wagte, aber lie doch wohl noch
nicht überfchritt.1 Genau dasfelbe gilt von den architektonifchenGruppirungen
und Ornamenten ; es find üppige, faft überreiche Gebilde, fehbare Superlative,
aber in höchft edlen Verhältnifsen durchgebildet und mit Liebe bis in die
feinden Details ausgeftattet. Um nur Eins zu nennen, machen wir auf die
Kartufchen aufmerk fam ; wohl haben fie fchon Anfätze zu jenen unförmig
kaldaunenartigen Gebilden, die charakteriftifch für das 17. Jahrhundert find
und bei einem dicht neben diefem Epitaphium hängenden zweiten in ihrer
Häfslichkeit vollauf kennen gelernt und zu einem intereflanten Vergleich
herangezogen werden können, aber wir finden ihre Ausbildung hier noch
nach dem Gefetze des Rhythmus, der Steigerung, kurz nach Schönheits-
regeln geordnet, alfo nicht finnlos d. h. formlos wie in dem nachbarlichen
Stücke. Hiernach mag der Stil und der Kunftwerth des Werkes gefchätzt
werden, nachdem wir hinzugefügt haben, dafs diefer Architektur doch nicht
im Allgemeinen das Wort geredet werden full, weil feiten ein Meilier fein
möchte, deffen Kunft bei fo lebhaften Aeufserungen auch gleicherweife
Maafs zu halten wüfste.
Das hierauf zu befchreibende Epitaphium ilt foeben fchon erwähnt; es
befindet (ich an derfelben Wand weltlich neben dem genannten und befteht
aus veifsem und fchwarzem Marmor mit röthlichen Säulen und einiger Ver-
goldung, eine Farbenzufammenftellung, die etwas trifte und jedenfalls härter
wirkt als die des anderen Werkes. Auch hier ift zu unterft ein fchwarzes
oval s Medaillon mit goldener Schrift; zwei hermenartige, fifchfchwänzige
Engel rahmen es ein. Darüber folgen Confolen und das weit ausladende
Gefims von der bekannten flachconvexen Profilirung für Figuren bellimmt,
die jetzt verfchwunden find. Während fich auf diefes Sims zu den Seiten
je eine gewundene Säule mit Gebälkkropf aufbaut, bildet fich mitten durch
zwei Figuren auf runden Poftamenten ein Rifalit. Die fo difponirte Ar-
chitektur dient nun mit zahlreichen Kartufchen und Ornamenten als Um-
rahmung für Reliefs, die fo erhaben gearbeitet find, dafs fie fich ftellenweife von
ihrem Grunde zu freien Gebilden ablöfen und den Charakter des Reliefs mithin
illuforifch machen. Das Hochbild in der Mitte ßellt das Martyrium des
h. Laurentius dar, welcher aut einem Rolfe gebraten wird. Das Bild
rechts foll nach Olearius — jetzt ift die Zerftörung fchon fo arg, dafs man
es nicht entziffern würde — „die Steinigung Stephani", links St. Johannes
1 Allerdings ifl für das Erlaubte und Unerlaubte hier ein anderer Ma-if.flub anzulegen
wie an die Werke des 16. Jahrhunderts: werden doch auch diefe nach andern Kückfichtcn be-
attkiit als die der Antike.
Zweites
Epitaphium.
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204
DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
Hölzerne Kefle
von Epitaphien.
in Oel gefotten" vorllellen und das ganz oben befindliche foll „die
ltiltoria der unfchuldigen Kindlein“ fein. Die Unterfchriften diefer
Reliefs theilt Olearius (Coemeterium Hallenfe S. 1O9) ebenfalls mit, fie find
hier ohne IntereflTe. Dagegen ilt noch zu erwähnen, dafs zahlreiche Einzel-
figuren auf Confolen und Poftamenten neben und über den Hochbildem
Itehen und den unruhigen Eindruck des Ganzen verftärken. Neun aufser
kleineren, rein ornamentalen Engelchen haben fich erhalten; vier davon füllen
fcheinbar die Evangeliften fein, die übrigen haben allegorifche Bedeutung.
Diefes Epitaphium hat 1O30 Laurentius Hoffmann für fich machen lallen.
Wir wundern uns, diefer Zeit hier noch einmal Darftellungen zu finden, die
fich doch eigentlich auf katholifche Lehren beziehen. Da Hoffmann' in
Italien lludiert hatte, mögen katholifche Anfchauungen bei ihm Eingang
gefunden haben und feines Vornamens wegen mag er dem h. Laurentius
befonders als feinem Schutzpatron zugethan gewefen fein. Durch die An-
bringung eines folcherweife gezierten Kunllwerkes in der proteftantifchrn
Kirche tritt die religiöfe Toleranz jener Zeit wieder in recht intereffantrr
Weife zu läge. Schon in der Befchreibung haben wir auf die Verftöfse
gegen einen guten Stil aufmerkfam gemacht; es geht daraus hervor, dafs
das Maafshalten hier nicht mehr llattfindet. Sowohl die einzelnen Figuren
als auch die der Reliefs find von fo bewegter Haltung, dafs fie ein
malerifches Ausfehen bekommen, und dasfelbe gilt von der Omamentation,
in der von Gefetzmäfsigkeit nichts mehr zu finden ift. Vor allem widert
uns an das weichlich tormlofe und doch bizarre, gar nichts Tagende
Schnörkelwerk, welches fich mit Gedärmen am beiten vergleichen läfst. Die
Kunft ilt hier bereits aul erlchreckliche Wege gerathen und die Itaunens-
werthe Bemeilterung der technifchen Schwierigkeiten, die die Ausarbeitung
folcher Reliefs und Schnörkel fordert, bietet keinen Erfatz für den Rück-
fchritt. Wir bewundern , aber ohne Begeilterung. Wirkungsvoll ift die
architektonifche Gruppirung trotz der vielen widerlichen Details, ebenfo die
auf den Itärkften Eindruck berechnete Compofition der Reliefs, aber es
mifslällt, dafs das Material in einer feinen Eigen fchaften unzulä fügen und
übertriebenen Weife beanfprucht ilt, mit einem Worte es mifsfällt die
Künftelei.
Aufser diefen Marmorepitaphien lind noch Reite von einigen hölzernen
vorhanden. Hinter dem Altarfchrein und zwar an ihm felbli hängt ein um-
rahmtes Gemälde, die Taufe darltellend; es ilt vermuthlich der Reit des
Epitaphiums Johann Trautenbuhl’s (oder Trauterbuhl*) welches ehemals über
derSacriltei hing und 1587, zwei Jahre nach dem Tode diefes Mannes gemacht
ilt. Gegenüber an der Oltwand des Chores find noch zwei lnfchrifttafeln
mit Kartufchenwerk aufgehängt, ebenfalls die Ueberbleibfel von Epitaphien.
Rechts ilt das Balthafar Brunner’s,3 der 1610 geftorben ilt und links das
1 S. von Drcyhaupt 1 1 . 640.
2 S. von Drcyhaupt 1 1 . 740.
3 S. von Drcyhaupt ll. 595.
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IMF ST. Ur.RICHSKIRCIIE.
205
von Georg Laurea.1 welches der eben genannte Brunner, fein Schwieger-
fohn. ihm hat fetzen laffen. Aus diefem Umftande erklärt fich die Aehn-
lichkeit beider Bruchtlücke: die Ornamente find flott gezeichnet, doch fchon
zu barock, auch ift die Technik nicht mehr fo vorzüglich wie zu Ende des
vorhergegangenen i(>, Jahrhunderts.
Anden Wänden hängen noch verfchiedene Portraitsin Oel von Paftoren Portraits.
und Gelehrten feit dem 17. Jahrhundert. Der Kunftwerth derfelben ift zwar
verfchieden, aber wohl nicht ganz ohne Bedeutung.
Schliefslich kommen wir auf die fchon genannten Bilder der Predella Abendmahl von
zurück, die im Jahre 1661 gemalt find und bis in die neuefte Zeit die jetzt Heller,
nieder fichtbaren alten Heiligenbilder verdeckt haben. Ein Gemälde ßellt
das Abendmahl dar und wird wie diefelben Bilder der Moritz- und Markt-
kirche von Johann Volkmar Heller gemalt worden fein, weil auch hier
Portraits der Kirchenvorfteher und Prediger zu den Gelichtern der Jünger
verwendet worden find; ein eigentlicher Kunftwerth ift dem Bilde nicht
beizulegen.
Man fieht in den Kirchenftübchen verfchiedene lederüberzogene Seffel, Stühle,
die als kunßgewerbliche Arbeiten nicht zu unterfchätzen find. Das Leder
ift durch Prellung verziert worden und zwar find es zumeift Wappen mit
reichlichem Laubwerk umgeben, die als Motive dienen, aber auch Engelchen
und Bänder mit Sprüchen wie z. B.: die Gnadenkrone bey Gott zum lohne,
bemerkt man. Die Entftehungszeit diefer Lederarbeiten reicht von der
fpäteren Renaiflance bis zum Rococo.
Bekannt ift zu Halle, dafs die Ulrichskirche in ihren heiligen Gefäfsen Gcfäfse.
das fchönfte „Gefchmeide" befitzt unter den drei alten Pfarrkirchen.2 Hat
fie folchen Ruf auch in erlb-r Linie einem unfehätzbaren Kelche des 17. Jahr-
hunderts zu verdanken , fo würden doch vielleicht auch fchon ihre anderen
Geläfse als meift vorzügliche Arbeiten der Goldfchmiedekunft hinreichen,
ihr diefen Ruf zu fichern. Das ältefte Stück ift ein fpätgothifcher Kelch
aus vergoldetem Silber mit einem fechsblätterigen Eufse, welcher von einem
aulrecht flehenden Bande belebt, mit einem Maafswerksmufter umgeben
wird. Ein frei gearbeiteter Crucifixus ift dem Eufse als Signaculum auf-
geheftet. Unter und über dem Nodus, welcher ziemlich platt ift, durch-
brochenes Maafswerk als Füllung feiner Fifchblafenzierrathe hat und an
der Vorderfläche feiner fechs Zapfen die Buchftaben des Wortes i ? S II S
trägt, befindet fich ein Band von flach erhabenem fpätgothifchen Blätter-
werke. Die Cuppa ift glatt. Eine Patena mit Signaculum und ein fiebartiger
Löffel gehören zu ihm.
' S. von Dreyhaupt 1 1. 657.
2 Und zwar nach folgendem Reime, aus welchem man das fchöne „Teutfch" beurtheilen
möge, welches, wie Zeillcrus (in feinem itinerario Geimaniac MDCXXXII) pag. 145 fchreibl. in
diefer Stadl geredet wird:
„St. Moritz hat das fchönfte Gebäude,
St. Marien das fchünHc Gcleutc,
St. Ulrich das fchunftc Gefchmeide.*'
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ftölffis
I
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DIE ST. ULRICHSKIRCHE.
207
Der Zeit nach folgt eine gut vergoldete Hoftienbüchfe aus Silber.
F'ig. 75 und 76. Ihre runde Form ift oben und unten von unbedeutenden
Gliedern um/.ogen. Der Deckel ift ganz platt mit einem elegant geformten
Knopfe inmitten, auf dem eine mit einem Fufse kniende, unbekleidete
Kinderfigur als Bekrönung angebracht ift. Da ihr die Hände, und was (ie
darin gehalten haben mag, fehlen, fo läfst fich ihre Bedeutung nicht mehr
erfehen. Sowohl um die Gefäfswandung als auch imKreife auf dem Deckel
ift ein Bandgefchlinge mit Ranken in der Niellomanier des Peter Flötner
eingravirt , in welchem Ornamente fich feitlich und oben je drei umkränzte
Rundtheile jedes mit einem Crucifixe eingravirt befinden. Unter dem Boden
lieft man in einem von zwei concentrifchen Kreifen gebildeten Bande:
DIE • ZEIT • DIE • ALTER • LEVTTE ■ DAVIT • KOGE • HANS .
SCHMIT -10 5.830.
Im Deckelinneren ift ein ornamentumkränztes Bild, die Hochzeit zu Cana
darftellend, eingravirt; die Gruppirung in demfelben, nicht aber feine Zeich-
nung ift zu loben.
Die Weinkanne, Fig. 77, 78, 79 und 80, die jetzt zu befchreiben ift, Kanne,
gehört mit der eben genannten Büchle in die gleiche Zeit, wiewohl auf der
Infchrift, die fie trägt, fich gerade die Zahl ihrer Verfertigung verwifcht hat,
fodafs fie mit Sicherheit nicht mehr datirt werden kann; jedenfalls ift fie der
Ornamentation nach aus derfelben Werkftatt hervorgegangen, aus welcher
die Büchle ftammt; der Name des Meifters ift leider unbekannt geblieben.
Ueber einem kräftigen und originell profilirten, runden Fufse fleht ein
vafenartiger Hals, über welchem alsdann das eigentliche Behältnifs von
becherartiger Form mit unten einem Harken Wülfte fich aufbaut. Die Gefäfs-
form zieht fich oben ein wenig ein, um darüber mit einem fich verbreiternden
Rande abzufchliefsen, an welchem einerfeits ein kleiner Ausgufsanfatz.
andererfeits der Griff befindlich ift. Der Deckel, mit einigen Ausbauchungen
verfehen. ift flachgebogen und hat in feiner Mitte denfelben Knopf, wie die
vorbefchriebene Hoftienbüchfe. Ein Crucifixus bildet die Bekrönung. Aufser-
dem befindet fich an der oberen Endigung des Griffes die reliefirte Dar-
ftellung der Dreieinigkeit; Gott Vater, ein langbärtiger, alter Mann mit
einer hohen, (tiaraförmigen) Kronenmütze aut dem Haupte, fitzt auf einem
prächtigen Throne mit reiflichen Engelsfiguren und hält einen Crucifixus
vor fich, auf dem oben eine Taube befindlich. Diefe Darftellung ift fahr
glücklich, fie erinnert, wenn man von den fpeziell chriftlichen Symbolen z. B.
dem Crucifixe, der Mütze Gott Vaters u. f. w. abfieht, ftark an die heidnifche
Auffaffung der Statue des thronenden Zeus z. B. der chryselephantinen
Statue von Phidias zu Olympia, von der wir freilich nur Befchreibungen und
variirende Copien haben.1 An dem Bauche des Behältniffes lieht man drei von
erhabenen Kränzen umgebene, runde Reliefs, das eine ftellt eine fitzende Figur
dar, die in der Rechten eine Wagfchale, in der Linken ein blankes Schwert
1 Diefelbe Daiftcllung an einer gleichzeitigen Kanne ilcr Keumaiklkirchc Ul etwas
kräftiger modellirt.
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Z08
DIR STADT HALLE u. SAALKREIS.
\C\
i;
hält, das andere zeigt eine Figur mit einem runden Gegenflande (Kugel
Apfel r) in der Hand, zu ihren Seiten bemerkt man je eine Kindergellalt
die Figur des dritten Rundftückes hält einen Kelch mit Oblate in der
Hand und vor ihr liegt ein Kreuz. Hin viertes Relief von runder Form,
das eine diefen dreien gleiche Conception hat, befindet lieh im Inmren
des Deckels und zeigt eine aut oder vor einem Löwen
Hg-"8- fitzende Figur, die in den Armen das obere Stück
einer Säule hält, während um den unteren Säulentheil
der neben ihr lieht, lieh eine Schlange windet. Diele
offenbar allegorifchen Bilder licher z.u deuten, ver-
mag ich nicht ; in der erft genannten wird jedoch die
Gerechtigkeit, in der dritten der Glaube perfonificirt
worden fein. Oben auf dem Kannenfufse fehen wir
als knopfartig vortretende Rundtheile die vier Evan-
gelillen mit ihren Symbolen reliefirt. An der Kanne
kommen aufserdem noch eine Anzahl Figuren vor, fo
zwifchen Gefäfs und F'ufs Hermen, am Behältnifs und
auf dem Deckel Köpfe, am Griffe unten als Endigung
ein hiibfcher, geflügelter Frauenkopf, darüber nach aus-
wärts zwei unbekleidete Figuren in Nifchen flehend mit
verfchiedenen faunartigen Masken dazwischen, alle diele
jedoch dürften irgend welche allegorifche oder fymbolifche
Bedeutung nicht haben, hindern lediglich ornamentaler
Natur lein , wie lie denn auch zumeiil mit dem Kar-
tufchenwerk, von dem beinahe alle gröfseren Flächen
überzogen werden, auf das Inniglle zufammengehrn.
Die Zeichnung der Kartufchen ill fchon etwas wild oder
wenigflens falopp ausgeführt, doch veriäfst die Modellirung
die Fläche nur in einigen Fruchtbündeln und Masken,
die ein kaum nennenswerthes Relief bekommen haben.
Zweimal ill eine Ausnahme gemacht worden; man ficht
an dem Hälfe zwifchen Fufs und Behältnifs und at.
der Aufsenfeite des Henkels Hochreliefs. Indefien hier-
für erklärt fich der Grund fogleich; man lieht, der Meilier
Goldfchmidt war auch ein feinfinniger Künfller in feinen.
Handwerk: denn es find gerade diefe Theile nicht glatt,
weil an ihnen, die für die Handhabung beftimmt lind,
die Finger weniger leicht abgleiten (ollen. Das Yer-
lländnifs des Meifters für eine Ililgemäfse Bildung der
Kunftform d. h. für diejenige Bildung, welche vornehm-
lich den Eigenfchaften des Materials und den An-
forderungen des Zweckes Rechnung trägt, läfst lieh noch mehrfach zeigen
z. B. an der Ornamentirung des Fufses, der mit einer einfachen, (Irene
rhythmifch geordneten Verzierung anfängt und dann von einer breiten,
gänzlich fchmucklofen Zone umgeben wird, wodurch fich das Ausfehen aut
das wirkungsvolllle hebt, ferner an der zweckentfprechenden Form des Bi-
ll
Vordcranficht des
Griftes der Wcinkannc.
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niE ST. ULRICHSKIRCHE.
2og
hältniffes, fowie überhaupt an dem Contur der Kanne, allein es mufs ge-
nügen , hier ohne ein weiteres Eingehen darauf hinzuweifen, wie fruchtbar
L'ig, 79.
Deckel «ler Weinkanne.
es fein wird, aus diefen äflhetifchen Gefleht spunkten die Kanne eines ein-
gehenderen Studiums zu würdigen. Es erübrigt noch hervorzuheben , dafs
B. D. d. Bau- u. Kunful. N. F. I. 14
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DIE STADT HALLE u. <1. SAAl.KKP.tS.
210
auch die plafiifchen Stücke lammtlich von fchöner Zeichnung und Modellirunir
find bez. gewefen find; denn durch die Benutzung haben gerade diefe viel
gelitten. Eine Infchrift findet fielt unter dem Eufsrande eingravirt; fie heilst:
DIE • ZEID • DIE • ALDERLEVDE • DAVID • KOGE • HANS •
SCHMID
Das Letzte der Infchrift, ohne Frage die Jahreszahl, ift leider bis zur Un-
Fit: 80.
kenntlichkeit abgefcheuert. Auch diefe Infchrift bezeugt, dafs die Kanne
in der Entftehungszeit der HolVienbüchfe alfo um 1580, ob nun einige Jahre
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die st. ijlkichskirche.
21!
fpäter oder früher ift ohne Belang, angefertigt iß. ln kunftformaler Hinficht
ift fie eine der fchönllen, vielleicht die fchönfte in Halle, und ficherlich ein
würdiges Vorbild für ähnliche kunftgewerbliche Arbeiten der heutigen Zeit.
Das werthvollfte aller hallefchen Kirchengeräthe ift der eipaillirtc Emailkelch,
goldene Kelch nebft zugehöriger goldener Patena diefer Kirche,
weniger allerdings durch den abfoluten Kunftwerth als vielmehr durch die
llaunenswerthe technifche i.eiftung, die die Herftellung erfordert hat. Die
Form lehnt lieh wie die aller Kelche des 17. Jahrhunderts, dem er angehört, an
die voraufgegangene mittelalterliche an, wird jedoch nicht edler, fondern
erhält durch Abfchleifung der Kcken und fcharfen Kanten einen wefentlich
weicheren, ja plumperen Charakter. Hierdurch ift nicht gefagt, dafs der
Fufs, Schaft, Knauf und die Cuppa unter einander im MifsverhältnilTe
liehen müfsten , im Gegentheil diefe MafTenvertheilung ift eine durchaus
glückliche, nur die Einzelheiten find weniger fchön. Kin breiter, fechs-
blätteriger F'ufs, aus einem Plättchen, dann einem Harken, doch mart pro-
filirten Wülfte und wiederum einem Plättchen beftehend, geht mit concaver
Biegung in einen fechsfeitigen Stilus über, an dem der nicht fehr Harke
und etwas plump runde (gegenüber dem mittelalterlichen ziemlich platten)
Nodus mit fechs Zacken dergeftalt fitzt, dafs unter und über ihm durch je zwei
l’chwach erhabene Rundftäbe ein Band eingerahmt wird, gleichfam die Ver-
bindung des Knaufes unterleits mit dem Fufse, oberfeits mit der Cuppa ver-
iinnbildlichend. Die Profillinie der Cuppa ill unten rund und geht dann
jederfeits fo in eine Grade über, dafs beide mit einander divergiren. Diefe
Form des Kelches hat nun eine Ausfchmückung von vielfarbigem Glas Aufs
bekommen, die in der That unfere Bewunderung in hohem Grade erweckt.
Der Wulft des Fufses ift mit zwei gleichen Bandmotiven fo umzogen, dafs
zwifchen denfelben noch ein breiterer Streif verbleibt, auf dem man die
Worte lieft:
Nehmet hin Und trincket Das Ist das Blut Unsers Herren Jesu
Christi für Euhre Sünde in Todt gegeben.
Auf drei F'ufsblättern ift je ein Frucht bündel in üppig Her F arbenpracht und
basreliefartiger Ausbildung angeordnet, auf den drei anderen mit jenen in
abwechfelnder Ordnung fieht man je ein Wappen mit der Unterfchrift derer,
denen diefelben zugehören, nämlich:
— ANNA RAVSCHEN BACHIN — ANNA SEIFFARTIN - MATH/EVS
MVLLER OBERBORNMEISTER.
Noch eine Infchrilt erwähnen wir, die ganz unten am Rande des Fufses
lieht und fall nur mit der Lupe gut zu fehen ift; fie befteht aus dem hallefchen
Stadtwappen mit den beiden Buchilaben C • K . Nun ziehen lieh, als Mitte
die Kanten des Schaftes annehmend, blaltreiche Ranken empor bis an das
Band unter dem Knaufe, welches auch mit Blattwerk gefchmückt ill. Der
Knauf felber trägt an den emaillirten Vorderfiächen feiner fechs Zapfen,
die quadratifch, nicht wie an den gothifchen Kelchen breiter als hoch, find
und die zur Wagerechten übereck liehen, in Gold die Buchilaben des Namens
•4*
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212
H1F. STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
[£S VS, fodafs aul jedes Feld ein Buchllabe kommt und das feehfte Feld noch
für ein Kreuz mit der Jahreszahl iOj4 in diefer Anordnung
verbleibt
Der Knauf ifl übrigens unterhalb, wohin kaum ein Blick fallen kann, mit
wenig Blattwerk, hingegen oberhalb wie der F'ufs wiederum mit den Üppiglien
basreliefirten Fruchtbündeln geziert. Auch das Band zwifchen Knauf und
Cuppa hat wie das entfprechende am Schafte unter dem Knaufe etwas
Blätterfchmuck. Die Cuppa felber trägt die wohl am fchönften gezeichneten
Ornamente. Es find vier in der fenkrechten Richtung ovale Medaillons
zunächll mit einem Bande umzogen und weiter nach aufsen mit einem Krame
von immer verfchiedenen, vielblumigen Ranken eingefafst. Zwifchen diefen
Gruppen lleigt überall eine fich nach ohen verbreiternde Ranke, ebenfalls
an Blumen und Blüthen reich, auf, fo jedoch, dais zwifchen jedem Medaillon
und ihr ein unornamentirter gleichbreiter Streif verbleibt, wie denn auch
der ganze Ornamentgürtel der Cuppa nach oben gegen den Rand und nach
unten gegen den Schaft einen gewilTen Ab Hand von gleicher Breite bewahrt.
Dem glatten Charakter der Cuppa entlprechend tritt auch ihre Emailver-
zierung nicht eigentlich reliefartig vor die Fläche, fondern ifl derfelben nur
dünn autgemalt. ln den Medaillons find Gegenltände, die in der Leidens-
gefchichte Chrifti eine Rolle fpielen, und die Marterwerkzeuge dargellellt.
ln einem: Schweifstuch, Beutel, Silberlinge, Kanne und Becken; in einem
anderen: der Hahn auf der Säule, Schwert, Ohr, Ruthe, Spiefs, Stange.
Fackel, Laterne und ein mir nicht erklärlicher Gegenftand;1 in dem dritten
Kreuz (der Titulus ir.ri ift nur angedeutet nicht gefchrieben) I^eiter. Spiefs
Schwamm, Zange, Hammer, Nägel; in dem letzten; Dornenkrone, Rock.
Würfel und Kelch mit Oblate.
Der Befchreibung des Kelches möge gleich die der Patena folgen.
In ihrer Gellalt weicht auch das Oblatenfchüffelchen von der diefer Zeit
allgemein üblichen, einfachen Tellerform nicht ab. Zierrathe finden fich
ausfchliefslich auf feinem Rande, und fie find nur eingedrückt aufser dem
Signacu um , welches wieder in farbenprächtigem Schmelz ausgeführt ill.
Das Randornament belicht in folgender lnfchrift, die von drei Wappen in
gleichen Ablländen unterbrochen wird:
Nehmet hin und esset das ist der Leib Jesu Christi für Eure Sünde
in den Todt ge — .
Ktben.
MM OB
Dem einen Wappen find die Buchllaben A R, dem anderen ^
dem letzten A S hinzugefügt. Auch an der Patena finden fich nebll
dem hallefchen Stadtwappen die Buchllaben C K und zwar an der Unter-
reite eingeflempelt.
1 L. Hildenhagen halt ihn in der Extrabeilage des Hallefchen Tageblattes (als Beilage tu
No. 28 des Anzeigers für die cvangelifchcn Gemeinden der Stadt Halle und des Saalkrcifc*)
für eine umgeftürzte Papftkrone (tiara?).
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1J1F. Kl. IIKICIISKIKCIIK.
DieGedanken, welche fielt in den bildlichen Darllellutigen am Kelche
auslprechen füllen, bedürfen einer weiteren Erklärung nicht ; findet man doch
genau diefelben Gedanken in Bildern an den Gefäfsen diefei Zeit mit Vor-
liebe wiederholt, auch find fie hier keineswegs in irgend einer befTeren Weife
vorgetragen als gewöhnlich. Wenn 1 lildenhagen in feiner Befchreibung des
Kelches (flehe oben die Annt) meint, der Künlller habe mit tief religiöfem
Gefühle „vorherrfchend Todten- und Baflionsblumen, auch Nelken“ gemalt,
fo bezweifle ich doch, mögen auch die Blumenformen mit den genannten
Blumen zumeill Aehnlichkeit haben, ob derzeit bereits eine Blumenfprache
oder Symbolik in Anwendung der Blumen ausgebildet gewefen ill, auf Grund
deren der Künlller hier feine Auswahl getroffen hätte. Zuerfl fleht im
Widerfpruch damit, dafs zugleich auch die reizvollflen Gebinde der volle
Lehensluft athmenden Blumen und Früchte als „Aepfel, Birnen, Ananas,
Melonen. Kirfchen. Vergißmeinnicht. I.ilien, Tulpen“ Vorkommen, und dann
dafs man neben den vielen Naturalismen doch ebenfo viele Detailformen
lieht, die noch der ftreng flilgemäfsen Art der helfen deutfchen Renaiflance
entfprechen und mithin kaum etwas mit wirklich in der Natur vorkommenden
Gebilden zu thun haben. Diefe Todten- und I’aflionsblumen und Nelken
lind meines Trachtens mehr das aus der fpätgothifchen Zeit überkommene
Granatäpfelmoliv in feiner allmählichen mannigfachen Umgeftaltung : das
ganze Ornament hat überhaupt mit Ausnahme der Fruchtbündel in feiner
Maffenvertheilung und felbfl in der Weichlichkeit der Rankenlinien mit den
fpätgothifchen manches gemein; feine Details natürlich find artmuthiger,
weniger fcharf. aber ebenfo mit naturaliftifchen Elementen durchfetzt.
Wir haben hierdurch bereits angefangen den Stil der Ornamentik Sill,
zu charakieriliren bezüglich der Zeichnung, die hier durch die Färbung
eigentlich erll fchön wird. Ja daskann man wohl fagen, denn die Erfindung
der Zierrathe würde ebenfo wenig wie die der ganzen Kelchform unter
lnt-refTe in befonderem Maafse erregen ohne diefe colorilfifchen Zuthaten,
welche allerdings überreichen Frfatz. bieten für die weniger vorzügliche
Ornamentcompofition. Wir fagen damit nicht, dafs die Compofition unfchön
ill, fondern nur, dafs lie lieh über das Niveau derjenigen diefer Zeit kaum
erhebt und dafs in diefer Zeit die Zeichnung felbfl der bellen Ornamente
nicht mehr auf der hüchllen Höhe Hellt, fodafs eine üppigere Colorirung
wie zum Erlätz dafür gewilferntaafsen nöthig wurde. So wird denn auf
Köllen der F'ormen die F'arbe bevorzugt, ein Umfland, der allerdings zu
mufterhaften Farbencompofit tonen führt, indeffen dem oberflen Gefetze der
Schönheit zuwiderläuft. Die Blüthezeit der Renailfance war eben fchon
vorüber und daher war wie zu allen Verfallszeiten bedeutender Kunflepochen
das Beftreben vorhanden, durch Quantität die Qualität zu erfetzen. Hier-
durch hat es gefchehen können, dafs, wie auch fl. Heydemann in feiner
Befprechung des Kelches1 fehr richtig bemerkt, der Maafsllab für die
1 H. Heydemann in I.iitzow’s Zeitfchrift für bildende Kunft 1882 S. 207. Dafelbft findet
lieh auch eine Abbildung dt » Kelches und einiger Details der Ornamentik. Eine Abbildung
fleht auch in Ortwein: Deuifche Kcnaiffance, Heft: Halle.
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214
I>IE STADT HALLE u. d. SAAI. KREIS.
Technik <lcs
fcmails.
Ornamentation zu klein angenommen ift. Und das ift das zweite Bedenken,
welches wir hier der Meinung gegenüber ausfprechen müden, als hätte man
es mit einem Kunstwerke erden Ranges zu thun. Gerade der verfehlte
Maafsdab macht uns klar, dals der Verfertiger bereits. — ein Symptom des
Verfalls, — die Kündelei für die Kund gehalten hat.
Um uns hiervon völlig zu überzeugen, id es nöthig, noch einige Worte
über die Technik zu Tagen. Von den verfchiedenen Arten des Emails
find hier drei zur Verwendung gekommen: i. der G rubenfchmelz , email
cloissonne, (Nodus/.aplen, Signaculum der Patena, doch könnte man letzteres
auch als Zellenfchmelz anfehen, fodafs wir alsdann fogar vier Arten hätten'
2. der Kelieffchmelz, email translucide (die durchfichligen Blätter und Blumen
am Fufs, Knauf und an der Cuppa), 3. der limoliner Schmelz, email limousin,
(die undurchfichtigen reliefartig aus der Fläche tretenden Fruchtbündel und
Blumen). Man fieht. dem Verfertiger find eben alle Schinelzarten bekannt
und geläufig gewefen, ein Umlland, der ihn von vorn herein als einen der
tüchtigften Leute feines Faches erfcheinen läfst. Sieht man lieh nun fein
Werk in Hinficht auf die technifche Ausführung an. fo will es uns kaum
glaublich dünken, wie es möglich, eine fo durchaus untadelige Arbeit in fo
kleinem Maafsfiabe herzuflellen , und was noch mehr Tagen will, in diefem
Stoffe fo nach Belieben die teinllen Farbennüancirungen mit Sicherheit
hervorzubringen. Denn gerade dies ift dem Verfertiger fomeifterlich geglückt,
dafs es vielleicht überhaupt kein Stück giebt, an dem diefe fchwierige
Technik in gleich tadellofer und umfangreicher Weife nachweisbar ift. Und
in diefer llinficht zollen wir dem Werke auch unfere höchfte Bewunderung,
jedoch mit dem Bedauern, dafs fo viel Mühe, die faft nur unter der l.upe
völlig erkannt werden mag, allerdings wohl unter Firftaunen erregen, aber
das Herz nicht erwärmen, uns nicht begeiftern kann. Und gewiflermaafsen
weil man die Lupe gebrauchen mufs, damit es möglich lei, den F’leifs und
das Gefchick des Fierftellers anzuftaunen, kann die künftlerifche Aut-
faffung und Conception über das gewöhnliche Maafs nicht hinausgehen d. h.
eine folche fein, die nicht allein den Geift, fondern vielmehr die Sinne ge-
fangen nimmt. Wir halten es für geboten, an diefer Stelle den wahren
Werth der Kunftleiftung. die diefer Kelch bietet, um fo mehr uns klar zu
machen, als derfelbe bei weitem überfchät/t zu werden pflegt, weil man ihn
für den Werth der allerdings einzig daftehenden technifchen Leiftung
nimmt. Diefe hat in der That unfehätzbaren Werth, und keineswegs etwa
nur für den Liebhaber, der Unica fammelt, fondern für die gefammte
WifTenfchaft und Kunft, die ein lntereffe daran nehmen mufs, dafs die
Technik der Emailmalerei nicht verloren gehe, fondern uns in folchen
Stücken erhalten bleibe, an denen lie das Vollkommenfte geleiftet hat.
Was wir noch über den Kelch zu Tagen haben ift. dafs die drei Wappen
die des Donators und feiner beiden Frauen find. Wie aus chronicalen An-
gaben erhellt, hat Müller das Gold, „fo er an goldenen Ketten und andren
Gefchmeide von feinen 3 (wohl ein Druckfehler für 2) Weibern ererbet "
wie von Drevhaupt Ichreibt, zu dem Kelche und der Patena hergegeher
Die unverblümte Art, in der er fein Andenken dafür auf feinem Gefc henke
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IUE ST. IMUCHSKIKCHE.
2>5
hat verewigen laffen, wirft ein interefTantes Licht vielleicht weniger auf ihn
als auf feine Zeit; und ebenfo charakteriftifch ift andererfeits die iibor-
befcheidene Art, in der der Verfertiger des Kelches auftritt; denn auf ihn
find die Buchftaben C K bei dem hallefchen Stadtwappen zu beziehen, wie
fich aus einem amtlichen Inventarium der Kirche vom Jahre 1668 erweifen
läfst. aus welchem wir glücklicherweife auch den vollen Namen des braven
Goldfchmiedes kennen lernen. Es heifst dafelbll; der Kelch „ift zu Malle
allhier von K . . . . Knitteln Goldfchmieden gemacht worden.“ Ueber
diefen Io tüchtigen Mann ift leider weiter nichts bekannt. Hildenhagen fagt.
dafs er wahrfcheinlich ein Schüler von (r. Strauch in Nürnberg fei, doch ift
darüber nichts nachgewiefen , fodafs wir uns einftweilen damit begnügen
muffen, feinen Namen zu kennen.
Eine filberne Kanne in der im 1;. Jahrhundert gewöhnlichen Seidel- Amlere Oefifse
lorm mit Ausgufsanfatz hat unter letzterem nebil einem Wappen die Infchrift: uml l,e,a'll<
„Arnold Christoph Neffe D. Anno 1668“ und ift werthlos.
Eine ähnliche, aber kleinere K anne von Silber trägtauf dem Deckel
die Jahreszahl 1673.
Ein filberner Crucifixus von 1675 hat auch keinen Werth.
Das Ende des Jahrhunderts hat der Kirche noch einige gute, beachtens- Barocke
werthe Stücke geliefert; zuerft nennen wir ein mächtiges Tautbecken, raiiffchaalc.
welches von Silber mit ftellenweifer Vergoldung gemacht ift und 0,65 “ im
Durchmeffer hat. Sein Rand zerfällt in zwei fchinale, glatte Streifen und
einen breiteren mit üppiglter Ornamentik, der von jenen beiden eingerahmt
wird. Der äufsere fchmale Streif ift gewellt oder etwa fo unregelmäfsig
geknickt, wie untere Frauen den Kleiderbefatz falten; wir finden an gleich-
zeitigen Arbeiten (Kanne) zu St. Lorenz in Halle diefelbe Weife. Der breite
Miltelftreit hat zwifchen feinen fehr kräftig vorgetriebenen vegetabilen
Ornamenten vier ovale Medaillons mit Bibelfprüchen, während der fchmale
zweite Streif folgende Infchrift trägt:
Dem Allerhöchsten Gott zu Ehren und der Kirchen zum Zierath,
hat Herr Christoff Sander, Raths Verwantder und Pfänner
100 Rthl. und eine Gott bekante Weibs Person 20 Rthl. Wie
auch die Sei; Fr. Margrets Hambsterin 32 Rthl. und die Sei;
Fr. Catharina Heinin 35 Rthl. aus guten Gemüthe zu diesen
Silbern Giesskan und Tauffbecken Ver Ehrt, das übrige aber die
Kirche zu St. Ulrich alhier in Halle Von ihren eignen Mitteln
dazu gethan A 1682.
Den Boden verziert ringsum ein erhabener Kranz als Rahmen zu der Relief-
darftellung inmitten, der Taufe Chrifti. Chriftus fleh*, mit einem Schurz
bekleidet im Jordan, Johannes kniet rechts mit einem Beine auf das Ufer-
geftein und träufelt ihm mitlelft hohler Hand das Walter auf den Kopt; er
hält in der andern Hand ein Kreuz mit Fahne (?). Unweit liegt ein Lamm
mit einem Engelchen: auch zwei Schriftgelehrte (?) liehen als Zufchauer auf
diefer Seite etwas zurück, der eine ift bärtig und angethan mit einer turban-
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Dil STAUT MAIXfc u. d. SAAI.KKKIS.
artigen Kopfbedeckung, der andere tränt eine Mütze und bürgerliche
Kleidung. Auf dem gegenüberliegenden Jordanufer halten zwei grofso und
zwei kleine Engel das Handtuch bereit, Ueber der Scene lieht Gott Vater
als Greis mit der Weltkugel atts den Wolken , unter denen die Taube von
Strahlen umgeben fchwebt. So kraus die ornamentalen Formen im Einzelnen
auch find, fo wirken fie doch durch ihre wohl abgewogene MalTenvertheilung
gut ; gleicht rweife ilt das Reliefbild von guter Compofition und auffälligerweife
haben die Eiguren keine befonders theatralifchen Stellungen, wie man diefer
Zeit erwarten follte. Es verlieht lieh, dafs die Harke Silhouette des Beckens
keineswegs zweckentfprechend ill und darin liegt ha upt fachlich der geringere
Kunftwerth diefes barocken Erzeugnifses in Vergleich zu den Arbeiten der
IIochrenailTance begründet.
Ttaiocke Kanne. Wie aus derfelben E'ormengebung hervorgeht, gehört zu diefem Becken
eine filberne und theilweife vergoldete Kanne. Ihr runder Eufs verbindet
lieh mittelll eines kräftigen Schaftes dem Behältnifse. welches etwa eiförmig,
jedoch im Grundrifs nicht rund, fondern in der Richtung zwifchen Henkel
und Ausgufs etwas oval ill. Ein Wappen am unteren Ende des Griffes ill
ohne lnfchrift. Der Deckel hat einen gewellten Rand und belleht wie der
Eufs hauptfächlich aus einem Harken Wul He. An inm fowie an dem Gefäfs-
bauche lieht man wiederum volles, llark erhabenes Pflanzenornament, in
dem lieh jederleits ein in der Senkrechten ovales Medaillon für eine Dar-
Heilung auslpart. Man fleht einerfeits die Verkündigung. Maria (itzt
links hinter einem Pulte und hält in der Rechten ein auf demfelben liegendes
offenes Buch, während fie die Linke betroffen auf die Brüll legt. Sie blickt
geradeaus auf den Engel Gabriel, der ihr in Diaconenkleidung naht und den
l.ilienfiengel reicht: flrahlen verbreitend fchwebt die Taube darüber, ein
llärkerer Strahl fällt herab auf Maria. Man bemerke wohl den wefent-
lichen Unterfchied der Aufladung diefer biblifchen Scene im 17. Jahr-
hundert von der im 15. Auf unferem Bilde wendet Maria dem Engel nicht
den Rücken zu, um fich nach ihm umzufehen, wie auf alten Bildern, Hindern
fie ifi von vorn herein fo placirt, dafs fie ihn bei feinem Eintritt direct anfehen
mufs. Meines Erachtens hat der Vorgang dadurch an Natürlichkeit ge-
wonnen und an Innigkeit nichts eingebüfst. Man wird indeden darüber
verfchiedener Meinung fein können. Auf der antleren Seite des Behältnifses
ill die Geburt reliefirt. Maria beugt fich rechts über ihr Kind, welches
in einem Korbe liegt, während links ein anbetender Engel kniet und ein
zweiter hinter ihm herzutritt. Jofeph fehlt. Ochs und Efel liehen im Hinter-
gründe hinter Maria. Die Aufladung und Ausführung beider Bilder ill zu
loben und diefelbe natürliche Einfachheit, die an dem Bilde des Beckens
bemerkt wurde, mufs auch hier erwähnt werden.
Leuchter. Ebenfalls zu dielen beiden Stücken gehören zwei filberne Leuchter
von gleicher Form. Ueber drei etwas zu plumpen Pulsen erhebt fich ein
nicht übel filhouettirter Schaft. An vielfachen Gliedern mit erhabenge-
arbeiteten Ornamenten und angehefteten Blättern ill nicht gefpart worden,
auch Engelsköpfe fleht man am Schatte lowie über den E’üfsen, zwifchen
denen in vollem Rankenwerk je ein kleines Medaillon ausgefpart ilL Eins
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D!K ST. CLKICHSKIKCIIK.
2,7
derfelben an jedem Leuchter trägt folgende Infchrift: Diese beiden Altahr
Leichter hat Fr. Maria Cathar. geb. Drachstetin Herrn Oberbornm. Philip
Wesners Seel. Witbe in die Kirche zu St. Ulrich alhier in Halle verehrt
A. 1683.
Eine filberne lloftienbüchfe, die vergoldet gewefen und von einem Andere Geflihc.
Crucifixe bekrönt ifl, hat auf der Unterfeite ihres Bodens ein Wappen mit
diefer Ueberfchrift:
JOHAN AUGUST SCHUBART Ao. 1689.
Eine Kanne mit der Infchrift: Verehret Dorothea Sophia Kettnerin Gebohrene
Drachstedtin Halle den 2. Sept. 1726 ifl werthlos; ebenfo eine andere vom
Jrhre 1762.
Wenn wir /.um Schlufs noch drei ganz gleiche meffmgene Taufbecken
erwähnen, die im Boden die bekannte, noch in mittelalterlicher Aufladung
gehaltene Darftellung der Verkündigung zeigen, während die ebenfalls
bekannten, aber unleferliehen Minuskeln dazu die Umrahmung bilden,
fo gefchieht es, um darauf hinzuweifen , dafs diefe Becken nicht Originale
fein werden, weil das wenig fcharfe Gepräge, welches nicht etwa eine
Folge von Abnutzung ift, zeigt, dafs fie mit nachgemachten und zwar
von bereits abgegriffenen Becken abgeformten Stempeln verziert fein
niülfen.
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Die Domkirche.
Kinleitung.
Gcfchichie.
D ie beiden Kirchen, die in ihren baulichen Formen den großartigen
Kampf zwifchen dem niedergehenden Mittelalter und der entfiehendwi
Neuzeit zur Schau Hellen, der Dom und die Marktkirche, unterfcheiden
fich nicht unwetentlich. Die Marktkirche ifi der formale Ausdruck der
Wirkung reformatorifcher Ideen auf das Volk, die Domkirche der auf die
Gebildeten. Dafs von letzteren die Neuerungen einige Jahrzehnte früher
begriffen werden als von der Malfe des Volkes, iff erklärlich, ebenfo daf-
ihre formale Ausdrucksweife dieler Neuerungen im Allgemeinen geifireicher
fein mufs. IndefTen, was die Gebildeten hei-vorgebracht haben, gleicht noch
zarten Treibhauspflanzen, deren Samen zu Hark wurzelnden Bäumen erft in
dem natürlichen Boden ausfchlagen konnte, den die breite Volksmenge
bildet. Diele Vorbemerkungen zur Hinweifung auf die Befchaffenheit deffen.
was in der Befehreibung der Domkirche InterefTantes zu erwarten ifi.
Schon der Erzbifchof Ernst, der Vorgänger des Cardinais Albrecht '
trug fich mit dem Gedanken zu Halle ein Collegiatftift anzulegen d. h. rin
klofterähnliches Vereinshaus nebft Kirche für gelehrte Männer (canonici
communis vitae) zum Zwecke des Unterrichts befonders in theologifchen
Sachen. Seinen Bemühungen Hellten fich feitens des Domcapitels in
Magdeburg Schwierigkeiten entgegen, und er Harb 151.5, ohne feinen Plan
verwirklicht zu haben. Jedoch hatte er die Angelegenheit foweit gefördert,
dafs bei feinem Ableben die päpHliche Zullimmung von Rom her fchon
unterwegs war und Albrecht bei feinem Amtsantritte fie fogleich in Empfang
nehmen konnte. Einfiweilen richtete diefer nun das Stift in der Kapelle
auf der Moritzburg ein mit dem Gedanken, es bald möglichfi an einen
anderen Platz zu verlegen. Er betrieb die Sache um fo eifriger, weil er in
ihr das wirkfamfie Mittel fah gegen die namentlich zu Halle fchnell fich
ausbreitenden Lehren Luthers. Weit beffer als dieKlöfier voll unwitfender
und fittlich verkommener Mönche vermöge ein Inllitut von Gelehrten durch
die Macht der theologifchen WifTenfchaft diefe neuen, das Beflehende um*
Hürzenden Lehren zu widerlegen, fo vermeinte der gebildete und von Herren
wohl friedliche Mann. Dazu kam noch ein wichtiger, vielleicht der einzig wahre
Grund zu all feinen vielfachen Neuerungen — Geld brauchte der Cardinal und
wiederum Geld für feine luxuriöfer. BedürfnilTe, und das fand er in denun-
liebfamen KlöHern. Diefe alfo umändern zu dürfen, erllrebte er vor allem, und
natürlich fand man fowohl Gründe als auch Eürfprecher, die bei den weltlichen
undgeiHlichen Machthabern, bei Kaifer und PapH, ihm die Erlaubnifs dazuthal-
fächlich erwirkt' n. Wir zählen die Klöfier nicht auf, deren Exillenz oder Ein-
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DIE DOMKIRCHE.
2tg
richtung er nun auf hob, für den vorliegenden Zweck iß es nur erforderlich zu
wifTen, dafs hauptlächlich das begüterte Moritzklofter feine Blicke auf fich zog,
fodafs er deffen Mönche, fofern er fie nicht zu Collegiatftiftlern brauchen
konnte, irgendwie verforgte, uni das leer gewordene Gebäude den Dominikaner
Predigermönchen zur Wohnung überweifen zu können, deren Klofter zum
h. Kreuz fein Collegiatftift werden follte. Gelegen war diefes Klofter an
der Saale bei der Neumühle auf der Stelle der jetzigen Klinik und zwar fo.
dafs feine Kirche zum h. Kreuz, die als das Gotteshaus von Bettelmönchen
weder grofs noch mit Luxus ausgeftattet gewefen fein wird, im Norden der
Claufur fich befand, während im Wellen am Walter hin fich die Wohnräume
anfchlolTen, von denen noch Refte (liehe im Grundrifse die Nordweftecke
des Domes) zu fehen find. Ob im Oden nur ein Kreuzgang etwa an der
Stelle einer hier noch erhaltenen Arkade die Claufur bildete, oder ob auch
hier Gebäude gelegen haben, mag dahingeftellt bleiben, ebenfo wie die Süd-
feite ausfah und wie weit füdlich fie gelegen haben mag. Im Allgemeinen
wurde die Nordfeite des Hügels, den das Terrain hier bildet, von dem
Klofter occupirt, während auf der Südfeite desfelben fich das alte Hofpital
S. Cyriaci am Wafier entlang zog. So war die Situation, als Albrecht das
Klofter räumen und zur Wohnung für die Collegiatftiftler einrichten liefs.
Die unfeheinbare Klofterkirche genügte natürlich nicht mehr. Albrecht
beablichtigte durch ein grofsartiges Bauwerk der Bedeutung feines Stiftes
Ausdruck zu geben, und fo wurde der Dom an der Südfeite der Claufur
zwifchen dem Klofter und dem Hofpitale am 28. Juni 1520 zu bauen an-
gefangen. Schon nach drei Jahren war man foweit damit fertig, dafs am
23. Auguft des Jahres 1523 von Albrecht felber die Einweihung vor-
genommen werden konnte. Das Stift fammt der Kirche wurde hauptlächlich
dem h Moritz und der h. Maria Magdalena geweiht: es erhielt ferner
den Zunamen „zum Schweifstuch des Herrn" (ad velum aureum sive
ad sudarium domini) und endlich war auch der Bifchof Erasmus Mit-
patron.1
Nicht lange währte das mit fo viel Aufwand ins Werk gefetzte neue
Stift, aus dem fogar eine Univerfität erwachfen follte. da zudiefem Zwecke
152g an Stelle des Hofpitals, deffen Schmutzwalfer, unter den Eenllern der
Stiftsherrn vorbeifliefsend , letzteren zu unangenehm roch, das „neue Ge-
bäude" (die jetzige Refidenz) gebaut wurde. Ueberall fchon hatte die
evangelifche Lehre Eingang gefunden, und fonderbar, gerade diefe Kirche
erlebte es ein Jahr nach ihrer Weihung, dafs ihr Pfarrer Georg Winkler
als der erde zu Halle das Evangelium rein predigte und bei dem Abendmahle
den Kelch reichte. Bis zum Jahre 1341 blieb das Stift beftehen, dann aber
unmuthig über das Mifslingen feiner Einrichtung liefs der Cardinal Albrecht
die Kirche fchliefsen, nahm alle ihre vielen Schätze an fich, gab den
Predigermönchen ihr altes Heim wieder, zog felber nach Mainz, feinem
anderen F.rzftifte, und kam niemals wieder nach Halle. Geraume Zeit
blieb die Kirche mit nicht nennenswerthen Ausnahmen unbenutzt. 158g ( 1 546 ?)
* Die Gründe der Wahl Tür diefe Patrone fiehe bei von Dreyhaupt !. p. 847.
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IMF. STADT HÄUF u. <1. SA'iLKKKtS.
hat dann feiner Frau /.um Gefallen der Adminillrator Joachim Friedrich
fie „repurgiret“ und „zur heiligen Dreifaltigkeit” genannt.1 Dann kam der
dreißigjährige Krieg und es gefchah, daß die Kaiferlichen fie wieder aut
I einige Tage katholifch machten, „wobei die Kantzel und Altar mit
Ruthen gelirichen wurde.“ Erft 1644 machte der Adminiftrator Herzog
Auguft, der auf der Relidenz wohnte, fie zur Hofkirche, fchmückte lie nach
dem Gefchmacke jener Zeit reich aus, und fortan blieb fie bis heute in
Benutzung.
Cirundrir». Der Grundrifs des Domes F'ig. 81 ift der einer dreifchiffigen Hallen-
kirche von acht vollftändigen Jochen. Dem Mittelfchiff ift zur Bildung
eines um zwei Stufen erhöhten Chores örtlich noch ein neuntes Joch zugefügt ,
und ihm dann durch fünf Seiten eines Achteckes ein polygonaler Schluf» I
gegeben, während die Seitenfchiffe mit dem achten Joche von Wellen her
rechtwinklig endigen. Die Weftfront entbehrt jetzt der Thürme. Sie ift
durch eine gradlinige Giebelwand gefchlofsen, in deren Mitte unten ein ver-
mauerter Eingang liegt. Uebrigens follen bis zum Jahre 1541 hier zwei
ftattliche Thürme geftanden haben, doch find fie fo fchlecht fundamentirt
gewefen, dafs fie im genannten Jahre wieder abgetragen haben werden
müffen.* Das ift denn fo gründlich gefchehen. dafs heute nicht einmal mehr
die Fundamente zu fehen find. Die weltliche Kirchenfront und die Südwand
des erden Joches werden jetzt von den Predigerhäufern umgeben, an welche
lieh gegen Norden Räume der Gebäude des alten Klofters bez. deren
Hinzufügungen unter Albrecht anfchliefsen. Ein Kreuzgang führte an der
Nordfeite der Kirche hin; fowohl Ueberrefte als auch die durchbrochenen
Strebepfeiler laffen diefen Gang noch erkennen. Oeftlich am Ende der
nördlichen Kirchenwand liegt die Sacriftei, ein hübfeher, kapellenartiger
Anbau mit einem Kreuzgewölbe überdeckt und mit einer aus fünf Achtecks*
feiten gebildeten Aplide örtlich gefchloflen. Weltlich vor der Sacriftei und
von ihr aus zugängig liegt bis zum nächften Strebepfeiler aufsen an der
Kirchenmauer ein fchmaler niedriger Raum. Seine ehemalige Beftimmung
ift nicht klar.
Das Kircheninnere wird durch zwei Reihen von fchlichl achteckigen
Pfeilern in drei Schiffe zerlegt und zwar fo, dafs das Mittelfchiff über zwei-
einhalbmal fo breit ift wie jedes Nebenfchiff. Die Joche lind nicht glcich-
mäfsig weit wohl in Folge einer unachtfamen Ausführung. Dafs das zweite
* Oleariu* meldet, daf» eine Infcriplion hinter der Kanzel die» befat-e, welche laute:
Repurgat et renovat cnn»ecralum,|iic S. Trinitali A. C. MItl. XXXIX. XV Cal. Septemb.
Diefe Infchrift ift nicht aufznhndcn gewefen.
- Oleariu* macht die Bemerkung, dafs „die von Magdeburg** bei dem Herabholen der
grofsen Glocke Susanna den Domthurm zu Grunde gerichtet hätten. Das hätte alfo fchon 1 533»
als diefe Glocke herabgelaflcn fein full, gefchehen fein muffen. Allein feine Angaben find
un/.uverläfsig; er fprichl von einem Thürme auch von einem neuen Thürme und ift nicht
licher, ob die Beendigung feiner Hcrftcllung auf 1525, t «uler 1 535 zu fetzen ift. Es hat
hiernach den Anfchein, als ob nur ein Thurm wirklich fertig geworden ift. — Der Dachreiter,
«len die Kirche flau der Thürme alsdann gehabt hat, ift nach Oleariu* Angabe 1626 durch den
grofsen Wind abgeworfen.
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DIE EOllKIKCHE.
221
Joch von Werten her fo auffällig grofs ift im Vergleich zu den anderen,
dürfte darin begründet fein, dafs man nördlich die Wand des Klofters gleich
als Strebepfeiler mitbenutzen wollte. Auf eine wenig forgfame Ausführuug
läfst auch die Unregelmäfsigkeit der Joche an und für lieh fchliefsen, welche
durch die Stellung der Pfeiler zu einander und zu den Strebepfeilern, die
fich einander ebenfalls nicht entfprechen, bedingt ift. ln die Südweft-,
Südort- und Nordoftecke find Wendeltreppen, die zu den Emporen hinauf-
führen, eingebaut. Die Nordweftecke ift innen ein wenig abgefchrägt, ohne
dafs ein zwingender Grund dafür erfichtlich wäre. Aus unferer Grundrifs-
zeichnung (Fig. 8 1 ) ift auch die Art der Ueberwölbung erfichtlich. Sie er-
innert an die frühgothifche Einfachheit in der Ausbildung. Die Joche, durch
Gurten getrennt, haben nur von Diagonalrippen getragene Kreuzgewölbe-
kappen. Ein complicirtes netzartiges Rippenmufter, wie es doch fo beliebt
war um diele Zeit (f. Ulrichskirche, Moritzkirche und Marktkirche) findet
fich nicht. Welcher Grund Vorgelegen hat, im Schiffe örtlich den Eufsboden
um eine Stufe zu erhöhen, ift unbekannt.
Zwei llaupteingänge führen auf der Südfeite in das Innere; fie liegen
im dritten und fiebenten Joche von Werten her gerechnet. Anfangs wirklich
von aufsen zugängig, jetzt in die Pfarrhäufer eingebaut giebt es noch eine
dritte Thür an diefer Südwand und zwar ini errten Joche, wo fie zunächll
in den Raum der füdweftlichen Wendeltreppe geht, welcher dann durch eine
zweite Thür mit dem Kirchenraume communicirt. Die Nifche auf unferer
Grundrifszeichnung, welche im zweiten Joche liegt, ift die einer vermauerten
Thür, die alt ift und einem auf die alte Empore vermitteln einer aufsen an-
gebauten Treppe führenden Separataufgange gedient hat. Es hat den
Anfchein. als ob ein Eingang durch die vermauerte Thür der Weftfeite nie
ftattgefunden hat, wohl aber kann man auf die weltliche Empore auch jetzt
noch von den Paftorenhäufern durch eine darüber gelegene Thür gelangen.
Gegen Norden ift ein fpitzbogiges Portal im erften Joche vermauert; es ift
wohl jenes, welches ehemals den Stiftsherren als Kircheneingang diente. Die
klein*-, daneben befindliche Thür wird wie die unweit der Kanzel befindliche
er ft l'päter eingebrochen fein; dagegen liegt im dritten Joche von Orten her
an diefer Nordfeite eine vermauerte Thür, welche urfpriinglich fein dürfte
und wohl noch einen Eingang für die Laien abgab.
Ohne zunächft über diefen Grundrifs die Bemerkungen zu machen, die Aeufsert*.
für das Verftändnifs nöthig find, gehen wir zu der Betrachtung des
Aeufseren der Kirche über. Fig. 82. Die Umfaffüngsmauer des Domes
lüft fich. wie aus dem Grundrifse hervorgeht, nach gothifcher Art in Strebe-
pfeiler und Eenfter auf, wobei zwifchen den Fünftem eine Wandfläche von
durch fchnittlich der doppelten Gröfse des Fenfterlichten verbleibt, eine felbft
für Hallenkirchen ungewöhnliche Anordnung. Ueber einem Sockel- und
K affgelimfe, hinter denen beide Male das Mauerwerk fowohl der Wand als
auch der Strebepfeiler zurückfpringt, erheben fich letztere einhüftig und
ohne zierende Gliederungen bis zum Dachfimfe. Hier hat anfangs an den
meiften die etwas concave Abdeckungsplatte einen nach vorn weit vor-
tretenden Waflerfpeier gehabt, es find jetzt davon nur noch zwei erhalten
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222
niF. STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
an der Südfeite. Die Strebepfeiler an der Wedfeite, die den Schub der
Arkadenbögen bekommen, und die ihnen benachbarten Eckpfeiler find
breiter, unten fämmtlich und theilweife auch oben von Thüröffnungen durch-
brochen. Wo an der Nordfeite der Kreuzgang lag, mufsten die Pfeiler zu
drehenden Bögen werden, die (ich frei über das Pultdach des Ganges hinweg
gegen die Mauer wölbten, wo fie fich dann als Pfeiler bis zum Dache hinauf-
zogen. Keiner diefer Bögen id intact geblieben ; bis auf einen find fie der
Hauptfache nach ziemlich unverdändlich erneuert d. h. nicht in der höchft
rationellen urfprünglichen Art, von der wir vielleicht nichts mehr willen
könnten, wenn man jenen einen Pfeiler zu erfetzen nicht für überflüfTig er-
achtet hätte. So blieb das obere an der Wand gelegene und in guten
Quadern ausgeführte Pteilerdück bedehen, während der zufammengedürzte
Bogen entfernt wurde; aber auch von diefem blieb der Empfänger' als da-
unterde Quaderllück der erhaltenen Partie an feinem Platze. Die rationelle
Condruction bedeht nun darin, dafs der Pfeiler vom Dache bis zur Abdeckung
des Bogens vorn eine Rinne hat. in welche das grade über ihr vom Dache
zufammendrömende Wader hineinfiiefst und bis auf die Deckdeine des
Bogens gelangt. Diefe. nach beiden Seiten abgefchrägt, haben oben wiederum
eine am Empfänger erhaltene odene Rinne, in welcher das Wader über das
Pultdach des Kloderganges weg wahrfcheinlich durch einen vorkragenden
Waderfpeier weit ab vom Gebäude zur Erde geleitet wurde. An allen
Pfeilern fcheint diefe Waderableitung indeden nicht dattgehabt zu haben
z. B. nicht an folchen, welche nicht genau unter dem Zwifchenraume von
zwei Giebeln danden, wo eben eine Waderanfammlung dattfindet. Der
Kreuzgang mit feinem Pultdache und die Strebebögen darüber hin müden
dem Dome vom Kloder aus in etwas das Ausfehen einer Kathedrale gegeben
haben.
Die Fender, meidens der Emporen wegen (aber auch am Chor) etwas
vermauert, gehen an der Nordfeite bis auf das des dritten Joches von Olh-n
her nicht /ur K aftfimshöhe herab wegen der Anbauten, die hier lagen.
Deretwegen fehlt im wedlichden Joche das Fender an diefer Seite über-
haupt; weshalb es aber auch feit Anfang in dem zweiten Joche von Oden
her gefehlt hat, id nicht zu erweifen. Alle Fender find durch zwei Pfoften
dreigetheilt und gehen oben in ein Alaafswerk über, welches auf den erden
Blick an frühgothifche Anordnung erinnert. Denn es bedeht über den Spitz-
bögen der Pfolten aus drei fich tangirenden Kreifen Fig.fQund im nächden Fender
datt deren aus drei (kleeblattförmigen) DreipäfTen; aber merkwürdig, diefe
beiden Müder wiederholen fich der Gothik ganz zuwider in Alnvech fei urig
durch fämmtliche Fender bis auf das ödlichde im Chor, welches allerdings
ein reicheres Maafswerk aber von fchwacher Erfindung hat; hier ruht über
den Pfollenbögen ein grofser dernartiger Kreis, welcher in feiner Bildung,
z. B. durch treppenförmige Zacken, eine ebenfolche Geidloligkeit documentirt,
wie fie fich in der Wiederholung von Maalswerksmullern zu erkennen giebt.
' So nennt man den in der Wand gelegenen yuader, gegen den lieh der Strebebogen
wölbt, der a!fo deffen Widerftandskraft (Gegenfchub) empfangt und dem Gewölbe mitthcilt.
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niK domkikche.
22}
Uebrigens verlauft fich der mittlere der Pfollenbögen unter den dreiteiligen
Maafswerken kaum merklich als Efelsrücken, hierdurch fowie durch andere
hin- Sj-
Ken ftermaafs werk.
Details feine wahre Geburt, nämlich in fpätgothilcher /.eit, nur /.u deutlich
verralhend.
Das Profil des F'enftergewändes F'ig. 8j uml fotnit der Pforten
belicht in einfachen, glatten Schrägen, und damit auch hier die verkommene
Kunlt lieh nicht verleugne, haben die Plollen eine zu ihrer Breite lehr geringe
Tiefe, wodurch von den drei Lichtweiten viel verloren geht und die Pforten
an Kraft gegen den Winddruck verlieren. Wenn wir Ichliefslich noch er-
wähnen. dals dem Fenrterbogen jede Abdeckung durch ein Sims oder durch
einen Wimperg fehlt, fo kommen wir damit fehon zu der Bildung der
Wand.
Letztere ill ohne irgend eine Decoration und belicht wie die Strebepfeiler
bis zum Hauptlimle, fo weit es anging, aus Bruch Iteinmauerwerk von nicht allzu
forgfältiger Ausführung. Dabei lind die Fenftergewände, die Pfeilerecken
und andere, der Haltbarkeit wegen nicht wohl in Bruchfteinen auszuführende
Theilein Quadern bergertellt. Das 11 a uptgefi ms ill am Chor F'ig. 8j anders
geformt als am Schiff und auch hier nimmt es wunderlicher Weife ver*
Ichiedene Formen an. Fig. 80 und 87.
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224
ME STAUT HALLK U. d. SAALKREIS.
Das Merkwürdigde am ganzen Kirchenäufsereti idnun der Kranz von
cbelkranz. Giebeln, die aus Backfteinen gemacht, über dem Hauptfimre, das Dach
fad verdeckend, rings um den Bau laufen. An fich unglaublich häfslich und in
ihrer Gefammtheit den Dom ebenfalls nicht fchmückend find fie doch, weil für
das Weichbild der Stadt nicht minder als für die Silhouette des Domes fo charak-
teridifch, intereflant. Ihre Anordnung id fo, dafs über je einem Fenfter ein
Giebel lieht; ausgenommen find die beiden Fender füdlich und nördlich am Chor,
über die zufammen jederfeits nur ein Giebel gefetzt id. Der einzelne G'n-bel id
derart gebildet, dafs über dem llauptgefimfe ein rechteckiges Stück mit
zwei verhältnifsmäfsig kleinen, rundbogigen Fendern mit geringer Eckver-
Hr 84.
t-m f \ T--r r i ? r r--r
Fenfterprofil.
brechung als Gewände aufgemauert id und zwar fo dicht neben den beiden
nachbarlichen dafs dasGefims, welches diefes Stück oben abdeckt, ununter-
brochen über die Zwifchenräume hinwegläuft, ln den engen Zwifchenraum
etwa in der Mitte eingeklemmt id ein Hachbogiges Steinllück; auf zweien
derfelben am Chor liegt eine runde F’rucht mit Blättern von barockem Aus-
reiten. In den Giebeln am Chor gefeilt lieh zu den beiden Fendern noch
ein etwas darüber gelegenes, kreisrundes Fender. Ueber je fo eit»em vier-
eckigen Mauerllücke erhebt lieh ein mit einem dreitheiligen Blendenfender
belebtes, halbkreisförmiges Mauerdück als Bekrönung. An der Wedfeite,
wo fich das Dach nicht abwalmt, fondern mit einem Giebel fchliefst . hat
man denfelben aus fünf diefer kleinen Giebelchen in dufenformiger An-
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|>IF. nOMKIKL'IIK.
2*5
Ordnung’ ohne Zwifchenräume hergeffcellt Eine etwas vor die Fläche tretende
I )ecoration in Rundbogen untl Kreifen belebt diefe Giebelchen. Das durch-
gehende Gefims fallt hierbei weg und mithin die horizontale Theilung. Da
etwa, wo die Unterkante der Dächer hinter den (riehein das Dach des
Fig. 85. Hig. KO. Fig. 87.
fatllrh. wwtlirh
Hatiptgcliimprolil am Chor. l*rolilc <lc* H.iupIgOimfos.
Schiffes trifft, ill die Fläche des letzteren concav geknickt. Ks entlieht
diefer Knick dadurch, dafs man eigentlich nur iiher dem Mittelfchiffe ein
Satteldach conllruirt hat. wie es über dem Chore ja auch zum Vorfchein
kommt, und dafs dann die Nebenfchiffe mit Satteldächern lieh dem Haupt*
dache anlegcn. Die Kindeckung ill ganz in Ziegeln bewirkt. Man kann
nicht leugnen, dafs der Giebelkranz pomphaft wirkt, andererleits aber ilt
feine Ausbildung roh und lieht befremdlich zu der übrigen Architektur.
Sind alle diefe Backlteingiebel urfprünglirh oder wann hat man fie auf*
jgefetzt? Die an ihnen befindlichen Bauformen lind in der That’fo wenig
charakterillifch. dafs es fchwer wird, fie zu datiren. Unmöglich kann ihre
heutige Gellalt noch aus dem dritten, vierten oder fünften Decennium des
16. Jahrhunderts Hammen, das ift wohl z.u fehen; allein es kann nicht daran
gezweifelt werden, dafs der Dom gleich anfangs ringsum Giebel gehabt
hat. denn alle Chroniften find darin einig und Olearius führt l'ogar das Jahr
1525. '531 oder 1 535 als das ihrer Fertiglteflung an. Nun willen wir aus der
Cielchichte des Baues, dafs nach dem Eingehen des Stiftes die Kirche
hundert Jahre lang fo gut wie unbenutzt blieb. Zwar hatte der Adminillrator
Joachim Friedrich fie repariren lallen, es kam aber der dreißigjährige Krieg
und was- er . zerllört hatte, wurde dann gegen fein Ende durch den Herzog
Augull wieder, fo gut es möglich war. erneuert. Aufser dem Dache werden
natürlich hauptfächlich die Giebel fo fchadhaft gewefen fein, dafs keine
Rellauration, fondern eine totale Erneuerung und zwar in den zeitgemäfsen
Formen vorgenommen werden mufste. Für die Erneuerung des Daches
B. D. d. Buii* u. Kimstd. N. F. I. 15
Inneres.
22Ö l>Ih STAflT HALI.E tl. <f. SAAI.KKK.1S.
um (liefe Zeit fpricht die geringe Dachhöhe, die Conftruction des Gefpärres
und die Ziegeleindeckung', für die der Giebel zunächll nur die allgemeine
Form derfelben: namentlich find ihre grofsen, unbelebten Flächen und die
langweilige Form der rundbogigen FenfteröfTnungen oder Blenden bezeichnend.
Das fie horizontal theilende Sims ill nichtsfagend, auch die den Zwifchen-
räumen eingeklemmten Bögen würden nicht entfcheidend fein, wenn nicht
wenigfiens zwei erlichtlich der Barockzeit ar.gehörige Stücke, jpne Früchte
auf zweien diefer Bögen am Chor, lieh erhalten hätten. Sie find nicht zufällig
hierher gefetzt, londern es find die letzten Ueberbleiblel einer completen
barocken Decoration wie man aus der Abbildung des Domes bei von Dreyhaupt
lieht, wo folche Stücke als Bekrönung lieh nicht nur auf allen dielen Bögen,
fondern auch überall auf den Ecken der Giebel und aut deren Gipfel finden.
Ueberdies lieht man bei einer Unterfuchung der Giebel im Dache noch die
unterllen Schichten der älteren Giebel, wenn auch keine Kunflform mehr
übrig geblieben ift. Auch die erften Giebel find von Backfleinen gewefen
und haben zweifelsohne eine ähnliche Ausbildung gehabt wie der Rathhaus-
giebel vor feiner diesjährigen Erneuerung und die der Häufer welllich am
Moritzkirchhof. Was die Bogenfriefe auf der von Dreyhaupt'fchen
Zeichnung anbetrifft,1 die unter dem horizontalen Simle hin und um die
1 lalbkreislinie der oberen Stücke laufen, fo find fie bei einer fehr durch-
greifenden Renovation um 1839 befeitigt worden; damals hat man die halb-
kreisförmigen oberen Theile ganz und die unteren zum gröfseren Theil neu
gemauert.
Am Kirchenäufseren wären noch die Portale zu befchreiben. Nur die
beiden an der Südfeite haben eine beachtenswert!«- Ausbildung. Uebor das
örtliche wird heller weiter unten zu handeln fein : das weftliche hat ein viel-
gliederiges. fchon der fpäteren Golhik eigenes Gewände, das aber, ohne
Profildurchdringungen zu formiren, glatt bis zum Scheitel des ziemlich ftolzen
Spitzbogens hinaufgeht.
Aus unferer Befchreibung geht wohl fo viel hervor, dafs das Gefammt-
bild vom Aeufseren des Domes, ob mit oder ohne jenen Giebelkranz gedacht,
kein erfreuliches ift. Die Architektur greift auf Formen zurück, die dem
tö. Jahrhundert bereits fremd geworden find. Ihr Sinn ift ihm nicht mehr
verftändlich und fo reproducirt es fie in einer fichtlich unverftändigen Art.
Das gilt hauptlachlich von den Fenrtern, die noch die meirten Kunftformen
zeigen, während die Wände und Pfeiler fchon ihres Bruchfteinmateriales
wegen auf eine belfere Ausbildung verzichten und die Kunft ihrer Ent-
ftehungszeit als eine ziemlich herabgekommene kennzeichnen. Mehr, als
durch diefe Bemerkungen gefchieht, wollen wir über das Aeufsere einftweilen
nichts Tagen, fondern zuvörderft noch die Befchreibung des Inneren folgen
lallen. Fig. K8.
Nicht minder unerfreulich als aufsen ift der Anblick der Kirche innen.
Abgefehen von den barocken Einbauten bietet fich dem Auge ein Quodlibet
von Formen, zu dem wenigftens drei Jahrhunderte derZeit vor der Kirchen-
t Sic füllen von Stuck eewefen fein.
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DIE DOMKtKCHE.
erbauung beigetragen haben. Wir wiederholen nicht, was bezüglich der
Einfachheit der ßispofilion des Grundrißes, der Pfeiler, der Gewölbetheilung,
der Fender u. f. w. gefügt id. fondern wenden uns zu der Conllruetion und
Ausbildung der Details, zunächd zu denen der Gewölbe. Die Gewölbe,
bedehen aus Bruchfleinen in reichlichem Mörtel, fodafs fie lad ein Gufswerk
bilden. Das Profil der Diagonalrippen und Gurten id verfchieden wie an
älteren gothifchen Bauten , aber felbd wenn noch das einfache Birnenprofil
der Grate Fig. 8g an einen belferen Stil erinnern könnte, .fo doch gewifs
nicht das der Gurten, F'ig. 90 welche, gebildet durch eine flache Unterficht
mit zwei feitliclvn fchrfig flehenden Hohlkehlen, nüchtern ausfehen. In den
Xebenfchiflen haben die Diagonalen eine andere Form Fig. gi; ihr unfchünes
Profil gleicht etwa einem Keile mit gerade abgefchnittener Spitze, über
dolfen oberem dicken Ende jederfeits ein Plättchen hervortritt, um die Kappen
zu tragen. Wo die Gurten und Rippen an den Pfeilern und Wänden
zufammentreffen, bemerkt man die Verbind ungsflelle zwifchen den erden
gleich bei der Herdellung der Pfeiler augelegten Wölbfchiehten und dem
fpäter ausgelührten Gewölbe. Da die Pfeiler keine Dienfle zur Aufnahme
Kitt. 9i.
Fig. 89.
Fig. <10.
Profil der Grate in Profil der Grate im Profil der Garten,
den SeitenfchiiTcn. MitlcirdiifT.
der Aructiven Gewölbeglieder haben, fo hat man fowohl an ihnen als auch
an den Wänden dazu Confolen vorgekragt, fo wie es die fparfamen Bettel-
mönche in ihren Kirchen wohl zu machen pflegten, und an den verfchiedenen
Fixem plaren diefer Confolen fieht man wunderbarerweife die Stilformen der
Jahrhunderte vom 13. bis zum (6. In dem Theile des Octogons am Chor, wo
ausnahmsweile einfache Dreiviertel faulen an tler Wand bez. in den Ecken
herabgehen, finden wir diefelben mit frühgothifchen Capitälen (Aatt der
Confolen) gefchmückt, deren noch nicht gebuckeltes Epheublattwerk aus dem
Stamme hervorwächfl und (ich zu einem gefälligen, frifchen Kranz«' gruppirt.
Aehnlich id der Gurt über dem Anfänge des Chores unterflützt, F'ig. 92. nur
dafs hier die Säule dreigetheilt id und nur aut eine gewifle Länge an der
Wand herabgeht, oben ein Capitäl der befchriebenen Art trägt und fielt
auf eine diesem ähnlich gebildete Capitällorm aut fetzt. Letztere läuft unter
>5*
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.NiSfci&S
1)1 K DOMKIKCIIK.
229
«lern Fpheukranze in drei gabelförmige, halb aus der Wand vortretende,
lang«; Zinken aus. Bezüglich der letzten Form geht fowohl aus der ab-
Ibnderlichen Gellalt wie auch aus der technifchen Behandlung die fpätere
Umgellaltung der frühgothifchen Capitäle hervor. Daslelbe fehen wir an
den Abaken dieler Capitäle bez. Confolen, welche, weit entlernt zu dem
Blattwerke in Verhältnifs zu liehen, oft ganz fchief, zu grofs oder zu klein
darübergefetzt find. Fig. 9,3 (vergl. auch Fig. 92.) AuftäUigerweife geht diefe
Art der Unterflützung der Gewölbeglieder durch ein dreitheiliges Halbfäulen-
llück auch an der ganzen Südwand entlang, allerdings mit Capitälen und
Confolen aus den verfchiedenen gothifchen Zeiten, während fie lieh an der
Nordwand und an den Pfeilern nicht findet, liier find nur wirkliche Confolen
angeordnet, deren Stil fo verfchieden ilt, wie es eben in den voraufbezeich-
neten Zeitgrenzen fein kann. Wir haben darunter noch an das Romanifche
l-'ie- ot-
Ffcilerconfolc im Hauptfchillc.
erinnernde Rankengewinde, trifche. frühgothifche Blätter, dann llärker
gebuckelte aus der Blüthezeit der Gothik, Fabelgethier bizarrer Art. Fig. 94.
nüchternes llalaktitenartiges Maafswerk. Fig. 93, unheimliche Fratzen und
endlich fchablonenhaftes, geilllofes Pflanzengewirr von ganz roher Arbeit.
Uebcr die Pfeiler möchte noch zu fagen fein, dafs ihr glatter, achtfeitiger
Schaft unter den Confolen bis auf einen nicht hohen Sockel von derfelben,
doch etwas breiteren Form herabgeht und diefem lieh durch ein fchwächlich
gebildetes Sockelgefims verbindet. Ueber den Confolen geht der Schaft
örtlich und weltlich unvermittelt in die Arkadenbögen über, wobei in die
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beiden fehrägen Seiten des Bogenproliles eine rechtwinklige falzartige Ver-
tiefung eingehauen iil, die hart wirkt. Die Wände lind völlig fchmucklus
Mit dem Baul'ylleme haben die m den Ecken angelegten Wendeltreppen
eigentlich nichts gemein; die in der Nordolteck«, ilt wohl 1644 mit den
jetzigen Emporen angelegt, aber die beiden anderen find mit dem Bau
gleichzeitig ent Randen; (ie tragen die Zeichen des Stiles diel'er Zeit. Die
lüdölllichlte , nur von dem Schiff aus /ugängig, hat von künltlerifch
unbedeutenden Hifengittern gefchlofTene Fenlter und Thüröffnungen. Da-
Ausfallen ihrer protilirten Sandltein Rücke /. 15 der EenRerptoften und -gewandt-
ilt der öden, fchattigen Kehlen wegen ein gar fchauerliches, aber es verrätli
recht die altersfchwache Gothik. An der füdwefllichen Treppe hat nur die
Thür von der Kirche aus einige Kunllformen. nämlich einen Efelsriicken.
der (alt zur wagrrechlen Linie wird und ein matt gezeichnetes Gevvände-
protil. Diele beiden Treppen betveifen. dafs über dem Tödlichen Seitenfchiffe
Fi«. 9>
l'fcilcrconfolc im ftitllichcn Miltclfchiff.
gleich anfangs eine Empore angelegt worden ilt, und es hat InterePTe zu
beobachten, wie man dadurch unbewufst dem BedürtnilTe derZeit d. h. hier
dem proteRantilehen BedürtnilTe nach Emporenanlagen Zugeltändniffe macht.
Ehe Empore felbll war freilich noch kein organifcher Theil des BaulyRemes
und ilt daher auch noch von Holz gewefen, aber fie bekommt hier feiern
tnaffive Aufgänge, um nur wenige Jahre fpäter. als die proteltantifchen
Ideen im Volke mehr Platz gegriffen hatten, an dem Bau der Marktkirche
in mafliv monumentaler Ausbildung gleichfam exillenzberechtigt aulzutreten.
Ueber dem nördlichen Nebenfchitfe wird lieh keine Empore befunden haben.
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Olli UOMKIKCHK.
-31
Die Sacriftei ift ein gar herrlicher Raum. Ihren Formen nach glaube Sacriftei.
ich, dal’s in ihr eine der alten Kapellen Halle 's, die Albrecht, um Bau-
material /u gewinnen, abbrechen liefs, mutatis mutandis erhalten ist. Die
Fenlterge wände (Fig. 96). sind durch eine Hohlkehle belebt, die Gewölbe-
rippen haben ein gutes Birnenprofil, die Capitälchen. denen oft die Säule
fehlt, fodafs fie zu Confolen geworden lind, haben gut geordnete, flark be-
wegte und mit einem abgelchnittenen Alle an den Stamm geheftete Blätter,
ein Schlufsftein ift mit dem Relief, welches das Lamm mit der Fahne dar-
llellt, gefchmückt — alle diese Stücke lafTen auf die Mitte des 14. Jahrhunderts
als Fntstehungszeit fchliefsen. Einige Abaken mögen jünger oder bearbeitet
sein. Ob der Schlufsftein der beiden lieh kreuzenden Diagonalrippen,
welcher als tlachreliefirte Rofette ausgebildet ift, auch dem 14. Jahrhundert
angehört, will ich bestimmt nicht sagen.
Fig. 06.
Fenfterprotil der Sacriftei.
lieber die farbige A usfeh mückung des Kircheninneren läfst sich Färbung,
aus alten Beschreibungen, die freilich ftark übertreiben,1 fchliefsen, dafs fie
eine üppige war. Bis in diefes Jahr hatten fielt davon Spuren erhalten,
nämlich an den Capitälen im Chor; die Farben mochten gleich den Formen
fchon der frühgothischen Zeit entllammem. Sie waren kräftig und dabei
harmonisch, die Blätter vergoldet, der Grund (Hals) indischroth, der Abakus
1 Was der Dichter Sabinus in diefer Hinlicht leiftet, indem er die Herrlichkeiten des
Domes bcfmgt, gefchah, um dem Erbauer zu fchmeichcln und kennzeichnet vielleicht ziemlich
gut den Ton am erzbifchöflichcn Hofe. Sein Gedicht beweift imleffcn klar, dafs der Dom im
Innern ein durchaus farbiges Ausfehen (pavimento versicolore ultet u. f w.) gehabt haben mufs.
Dafs der Dichter in feiner Befchreibung hinzuzufugen für nöthig halt:
Nulla sed effigies iftic obscoena nec ullutn
Spurca locum turpis matcr amoris habet.
ilürfte auch nicht unwefcntlich fein. Vermehrt wird der farbige Eindruck des Innern nament-
lich durch die Gemälde an den Altären und Wän len fein, die von Meiftcrn wie Dürer, Kranach,
Gruncwald, Bcham, Holbein, Burckmcler, Hans Baidung Grün u. f. w. gemalt gewefen fein
follcn.
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IHK STADT II ALI, K u, d. SAAI.KKKIS.
|)ci Stil uml feine
llc^riinüung.
|iM^ 'v
dunkelblau (etwas gebrochen). Alle Zeiten, felbft die des Barocks, haben
Verftändnifs genug für die Schönheit diefer Stücke gehabt, um iie zu
fchonen, im letzten Sommer aber lind fie geweifst worden ! ! —
Diefer Befchreibung des GrundrilTes und Aufbaues der Domkirche
lind einige erläuternde Bemerkungen zuzufügen, nämlich über die durchgängig
erfichtliche architektonifchc Einfachheit, ja Roheit, in der fchliefslich alle
auffälligen Einzelheiten begründet find. Die Architektur des ganzen Bau-
werkes, d. h. die das Conffructionsprincip ausfprechende Eormengebung ill
geilfig inhaltlos; denn fie bietet nicht Selbfterfundenes, sondern Compilation
sowohl in Bezug auf die Conllruction als auch auf die Ornamentation; in
erllerer zeigt Iie fich reactionär, indem Iie ihre Inhaltsloligkeit hinter einer
nur zu durchfichtigen Maske von gothischen Conllructionen verftecken
möchte, in letzterer befchränkt fie lieh auf ein Minimum in der Verwendung
von Kunlfformen , und die unentbehrlichen entlehnt fie meill ebenfalls ver-
gangenen Zeiten. Die Gründe hierfür au-tzufuchen liegt uns ob; fie finden
fich wie immer in den Verhältniflen der Zeit, des Orts, der Perfoiten
u. f. w., von denen der Bau fein Dafein hat. Der Cardinal Albrecht begrift
als ein an Bildung aut der Höhe feiner Zeit Ifehender Mann fehr wohl,
dafs das Mittelalter fich nunmehr überlebt hatte, und die Anlegung dis
Stiftes ill dafür ein Beweis, andererfeits ill diefelbe aber auch ein Beweis
dafür, dafs er nicht begriff, es fei eine Wandlung der Dinge nöthig. weil
die thatfächlichen Machtverhältnifle lieh geändert halten. Die wirkliche
Macht lag nicht mehr in der lland der Geilllichkeit, die allmählich von
ihrer ehemaligen durch Sittlichkeit und Bildung erworbenen oder doch
berechtigten Stellung herabgekommen war, fondern in der des Volkes, das
in eben diefer Zeit fich auf eine ebenfo hohe Stufe der allgemeinen Bildung
gehoben hatte. Alorecht aber wollte jener die Autorität wahren und das
grofsartige Bauwerk, der Dom, follte Zeuge deffen fein. Dazu bedurfte es
freilich der Mittel, und wir haben gefehen, wie er folche durch die Auf-
hebung der Klöller und Kirchen und durch die Einziehung ihrer Güter zu
liefchaffen wufste. Ohne Abficht kam er dem Zeitgeille dadurch entgegen,
die mannigfachen Veränderungen riefen bei Vielen Unzufriedenheit hervor.
Die Mifsllimmung wurde einerfeits niedergehalten . indem Albrecht das
öffentliche Leben durch die lebhafte Bauthätigkeit aufregte, andererfeits
dadurch, dafs er in der kurzen Zeit von drei Jahren ein mächtiges Bauwerk
vor aller Augen erlichen liefs. Wohl war der Dom bei feiner Einweihung
noch nicht lertig. aber zum wenigllen war der öllliche Thcil unter Dach
und nun fah man doch den Eortgang, man fah vor allem — und darauf
kam es eben dem Cardinal an wie nützlich die Mittel verwendet wurden,
die aus fo tief greifenden und fo fchwer zu rechtfertigenden kirchlichen
Veränderungen in feine Tafelte geflofien waren. Es follte fo fchnell als
möglich feinen Namen zu verherrlichen ein Bauwerk vor aller Augen da-
liehen , das nach etwas Grofsem aus Iahe, aber nichts oder doch möglichll
wenig körten durfte, das ill der geheime Gedanke Albrecht’s, den alle Bau-
theile ausfpreclien und den wir jetzt in der Dispolition, in den Details und
in der technilchen Ausführung nachweifen werden.
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DIE upMKIKCHK.
-33
Von allen hallefchen Kirchen hat der Dom fogar noch ohne die Ihürme
die bedeutend fte Länge (68,50” ), während er andererfeits die geringde Breite
hat (wobei die Ulrichskirche noch durch ein füdliches Seitenfchiff vervoll-
fiändigt gedacht ill). Mich diinkt, die Abficht ifl wohl zu durchfchauen, es
war auf die Wirkung der Längenperfpective abgefehen. Dabei ifl die Dis-
|x>lition die denkbar einfachlle. Im Gegenfatze zu den gefuchten Choraus-
bildungen an anderen Kirchen fpätgothifcher Zeit bildet hier nur das
Mittelfchiff eine Apfis, die im gothifchen Sinne kaum einfacher gemacht
werden kann. Ein Querfchiff, ein Kapellenkranz, ein Umgang der Neben-
fchiffe, felbll ein aplidialer Schluls der letzeren fehlt. Sie fchliefsen dumpf
und erfcheinen durch ihre geringe Breite fad nur wie Gänge. Der grofse
Kaum der Kirche id durch verhältnifsmäfsig wenig Joche gegliedert, wo-
durch weniger Pfeiler und Fender nöthig werden. So entdehen auch die
ungewöhnlich grofsen Wandflächen, die folort den Verfall der Gothik ver-
rathen, da fie deren Geide fo wenig entfprechen. Eine einfachere Pfeiler-
form ifl auch kaum denkbar, doch lag diefelbe an voraufgegangem n Bauten
bereits vor; fie wurde hier wiederholt, obwohl der Gewölbeausbildung wegen
eine vielgliedrige Gellalt mit Dienden erforderlich gewefen wäre; da aber
Zeit und Geld gefpart werden füllten, fo genügte es ja wie in den Bettel-
mönchskirchen Rippen und Gurten auf Confolen zu fetzen; aber felbll diele
Confolen Hellte man nicht neu her, fondern fuchte (ich folche, die etwa
paffend erfchienen. aus denen älterer Bauten heraus und richtete fie lall immer
roh für ihren neuen Platz zu; nur wenige und zwar die fchlechtellen find
Machwerke diefer Zeit. Dafs Albrecht das Material älterer Bauwerke
hierzu fowie zu feinen übrigen Neubauten z. B. zur Refidenz verwendet hat,
wifTen wir aus den Chroniken; es braucht nur an die Lampertikapelle am
Kornmarkte, an die alte Ulrichskirche zwifchen der grofsen und kleinen
Ulrichsdrafse, an das prachtvolle Kloder zum Neuen Werk erinnert zu
werden, um begreiflich zu finden, wie hier die verfchiedenartigen Form-
gebilde vereinigt werden konnten. Freilich wäre möglich, einzuwerfen, dafs
der Abbruch der genannten Bauwerke doch zumeid erll lange nach der Ein-
weihung des Domes flattfand, aber wie wir nicht bedimmt willen, was alles
auf den Willen Albrecht’s abgebrochen wurde und welcher Zeit es ange-
hörte, fo id es auch nicht ficher, ob bei der Einweihung des Domes 1523
alle Gewölbe fertig waren; vielmehr find diefelben und mit ihnen die Ein-
fügung der Confolen und Capitäle aller Wahrfcheinlichkeit nach erd viel
fpäter in Angriff genommen, zu einer Zeit, wo eben der Abbruch jener
Bauten die palTenderfcheinenden Stücken geliefert hatte. Das Streben nach
Erfparung in Arbeit und Material durch Anlehnung an frühgothifche Con-
llructionen id befonders an den Gewölben erlichtlich; ganz im Gegenfatz
zu der zeitgemäfsen Netzform find fie auf die einfachlle Art von zwei Dia-
gonalrippen mit einem runden Schlufsdeine belebt. Nur die Rippen im
llauptfchiff haben ein ziemlich gutes Profil, die der Nebenfchiffe und alle
Gurten, fowie namentlich die der Arkadenbögen fprechen den rohen
Charakter der Bauweife deutlich aus. Bei den E’enflern fehen wir in der-
selben Abficht die Profile und Maafswerke möglichst einfach nach früh-
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DIE STADT HALLE o. d. SAALKREIS.
gothil'cher Art gebildet, aber weder die Profil/eichnung noch die Maaf-
werkscompofition trägt hier den wahren Character jener Epoche; völlig
ungothilch aber ilt die Weife, nur zweierlei Maafswerksmulter in rhythmifcher
Ordnung fich wiederholen zu lalfen, und alles nur, damit auch hierin Müh*
und Zeit zum Erfinnen neuer, verfchiedener Compolitionen gefpart werde.
Dasfelbe gilt von dem befchriebenen Portale; vielleicht lind deffen Steine
fämmtlich einer anderen Kirche entnommen. Die Details des Aeu (seren
find kaum nennenswerth. Die der krönenden Giebel würden zumeifl Beach-
tung verdienen, wenn von ihnen noch etwas erhalten wäre. Allerdings
find die Giebel an und für fich eine überflüffige, rein decorative Zuthat.
wenigllens ist nicht anzunehmen nach der fonltigen Conftructionsweife, dafs
fie in dem Bewufsifein ihrer thatlachlichen F'unction, als Beladung zu
dienen, gemacht worden find, aber fie Tollten eben dem Baue durch ihre
Menge ein pomphaftes Ausfehen geben, und dabei tritt doch auch an ihnen
die Sparfamkeit zu Tage; man mufste ihren Flächen doch irgend welche
Ausbildung geben und fo nimmt man nicht Anftand hier plötzlich ein
anderes Material zu verwenden, ftatt in Quadern Hellt man eine Decoration
billiger und fchneller in Backftein her, unbekümmert, dafs dadurch die
Einheitlichkeit des Baues verloren geht und dafs diefer Stoff feiner Natur
nach fo viel plumper ilt. Solche Weife ilt diefer Zeit hier gewöhnlich, in folchem
Umlänge und an einem fo hohen Zwecken dienenden Bauwerke aber dürfte
fie nicht wieder Verwendung gefunden haben.1 Aul'ser den beiden übrig-
gebliebenen WafTerfpeiern, die wir hier unberückfichtigt laffcn kpnnen. weil
fie fpäter zu erwähnen fein werden, ilt es, abgefehen von den unbedeuten-
den Fufs-, Kaff- und andern Simfen nur das Hauptfims, welches am Aeu-
fseren der Kirche einige Kunitformen zeigt; aber feine verfchiedenen
Partien, die unvermittelt an einander gelegt find und die nach Welten zu
an Werth geringer werden, befagen offenbar, dafs die Steine dazu von ver-
fchiedenen Bauwerken herrühren. Nur die letzten, weltlichlten haben viel-
leicht befonders hergellellt werden müffen. Zahlreichere Kunitformen am
Aeufseren find fchon wegen des Materials ausgefchloffen. das aufser der
Quaderung an den Ecken und einigen anderen exponirten Stellen durchweg
und fogar mit Einfchlufs der Gewölbekappen aus Bruchlleinen belteht, den
Geilt verrathend, der diefen Bau getrieben hat: denn einfacher, billigerund
fchneller als in diefem Material war allerdings die Herltellung wohl nicht
möglich. Auch dafs die Thürme fobald wieder abgebrochen werden mufsten.
ilt einBeweifs, dafs „der Bau übereilet worden" ilt, wie von Dreyhaujtt
fchreibt, und die ziemlich faloppe Technik des Bruchlteinmauerwerkes be-
itätigt das. Doch ilt es ungewifs, ob es der Eile oder der technifchen Un-
kenntnifs zugefchrieben werden mufs, wenn z. B. die zu Strebebögen ge-
wordenen freien Pfeiler an der Nordfeite unten von nicht gerade groben
Bruchlteinen hergellellt waren, fodafs ihr fchneller Ruin vorhergefehen
werden konnte.
1 Natürlich ilt das über diele Giebel Gefaxte nur zutreffend, wenn deren Ausfehen Io
war, wie wir zuvor als am wahrfcheinlichften hingcflelll haben.
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I
HIE DOMKIKCHK. 235
Aus alle dem dürfte man wohl die Triebfeder erkennen können, die
(liefen Hau veranlafst und feine Ausführung geleitet hat. Wahrlieh der
Cardinal gleicht Leuten, wie fie durch das Hauunternehmerlhum unferer
modernen Grofsllädte alltäglich erzeugt werden; wie dielen dient ihm das
Hauen dazu, Geld in die Hände zu bekommen, und indem er fortgefetzt
bauliche Unternehmungen mit dem unausgefprochenen Wahlfpruche „billig
und fchlecht" entrirt, gelingt es ihm. fich gleichfam eine /eit lang über
WafTer zu halten, bis endlich der Bankerott über ihn hereinbricht, den wir
hier nicht weiter zu befprechen haben.
Dafs Alhrecht nebenbei ein Feinfchmecker in künlllerifchen Dingen
war, foll keineswegs geleugnet werden, und im weiteren Verlaufe unferer
Befchreibung des Domes werden wir hinlänglich (ielegenheit haben, ihn als
folchen kennen zu lernen. Gerade .liefe feine Eigenfchatt ill es, die dem
Dome interelTante. originelle und werthvolle Stücke gegeben hat. jene Stücke,
auf die fich unfere einleitenden Bemerkungen allein beziehen, da nur fie
erkennen lalfen, was die Kunll diefer Zeit am Dome im poßtiven Sinne d. h.
durch felblt erfundene Gebilde leiftet. während fie fonft nur im entgegen-
gefetzten Sinne producirt hat, indem fie an Stelle von Neugebilden einfach
ältere, fertige Stücke wieder verwendet (Capitäle, Confolen u. a.) oder fich
mit fchlecht vorhandenen Copien behilft (Eenfter. Gewölbe u. f. w.)
Bevor wir zu der weiteren Befprechung fchreiten, mufs gefügt werden, Allere Korrelier,
dafs bisher diefe älteren Bauten entnommenen Stücke den l'orfchern fatal
geworden find. Alle1 find der Meinung, der Chor gehöre wirklich einer
älteren, der frühgothifchen Zeit an, das Schiff fei etwa aus dem 1 1. Jahr-
hundert und 1520-23 fei die Kirche von Albrecht nur durchweg rellaurirt;
das fei der Grund ihres jetzigen unfehönen Ausfehens. Was nach unferer
bisherigen Befprechung hierüber bez. dagegen noch gefagt werden foll, ill,
dafs es rückfichtlich der anderen chronicalen Aufzeichnungen über hallefche
Bauwerke einfach als unmöglich angefehen werden mufs, es könne ein
fo grofses Bauwerk, felbfl unvollendet oder in feinen Anfängen , von den
Chronilten unerwähnt geblieben fein. Aller Meldungen llimmen überein
und aufserdem fehlt es ja auch nicht, ganz abgefehen von den noch zu
befchreibetiden beiden Weihtafeln, an untrüglichen Documenten aller Art.
Um aber aus dem Bau felbll den Gegenbeweis zu erbringen, fo ill es
gewifs, dafs bis zur Blüthe der Gothik man kein Bruch Hein genauer für
einen folchen Bau genommen hätte, dafs auch das Bruchlleinniauerwerk
nicht am ganzen Baue gleichartig, wie es doch ill, fein würde, wenn feine
Theile verfchiedenen Zeiten angehörten, und dafs endlich keine Rellauration,
1 1. B.: Olle: Archäologie S. 570. Lübke: Gefchichtc der Kenaiffancc in DcMfchland
(11. Auflage. I S. 356. {,,Dcr Dom oder die Predigerkirche ift keineswegs, wie man wohl gcfagl
hat, von ihm (dein Cardinal Albrecht) erbaut worden; vielmehr zeigt der Chor eine flrengc,
friihgothifchc Compolition in edlen Formen vom Anfang des 1 4, Jahrhunderts, während das Schiff
ttwas fpäler eniftanden zu fein feheint.**) — Siehe auch den Auffatz R. Muther’s in den Grcnz-
boten Nr. 25, S 586 des Jahres »884 und vergleiche als Gegenbeweis den Auffatz des Vei«
faffers in der Beilage der Münchener Allgemeinen Zeitung Nr. 260 des Jahres 1884.
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DIE STADT HALLE U. d. SAALKKKIS.
236
EinzeHhnlc :
Die Arbeiten de»
Renaiffancc-
meifters.
Waffe rfpeier.
Kenuiffancc-
|>ortal der Süd-
feile.
und fei fie noch fo durchgreifend gewefen, vermocht haben würde, das
Ouadermauerwerk in ein Gemäuer von Bruchfteinen zu verwandeln 1
Wer war der Baum ei Iler des Domes? Wir willen es nicht; keine
Chronik meldet von ihm, keine Infchrift nennt ihn. kein Schild mit Meiller-
Zeichen ill aufzulinden. Hans Schönitz war damals erll zwanzig Jahr alt.
alfo wohl noch zu jung, als dafs er fchon über diefem Baue anfangs feint-
fchützende Hand gehalten haben könnte. So feheint denn in der That ein
irgendwie fähiger oder namhafter Baumeifler nicht an der Spitze gellanden
zu haben, da in diefem Falle trotz alle den Einfitifsen von Seiten des Bau-
herrn eine fo wenig anmuthende Leillung doch wohl nicht zu Tage gekommen
wäre, wie der Bau zeigt, foweit wir bis hierher ihn befchrieben haben.
In dem. was hierauf zu befchreibon ill. wird lieh ein erfreuliches Bild
der Kunllent Wickelung am Dome darllellen. wie wir vorauslchicken können.
Es werden nicht mehr die ecklen Todeszuckungen einer eingehenden, lor.dem
die naiven, kindlichen, oft noch plumpen Regungen einer fröhlich zu leben
beginnenden K unItepoche fein, denen wir unfere Aufnxerkfamkeit zuzuwenden
haben. Es find die Stücke, an denen nun eine wirkliche Eortentwicklunc
der Kunll erfcheint und fie gehören theils noch dem Baue als folchem an.
theils Hellen fie gefundene , aber zur (decorativen) Ausllattung gemachte
Kunllwerke vor. Wir betrachten lie zufammen, weil, wie wir fehen werden,
ein Geilt in ihnen wohnt d. h. nicht nur der eines neuen Stiles, der
Renailfance, fondern auch der eines Künftlerindividuums. Als zum Bau
felbll gehörig nennen wir die beiden an den Strebepfeilern der Südfeite er-
haltenen Walferlpeier, das öltliche Portal an der Südfeite und die Thür
zwilchen dem Kircheninneren und der Sacrillei; für lieh bellehende Kunli-
werke find: zwei Weihtafeln innen an der Nordwand, die Kanzel und 1; lcbens-
grofse Standbilder, an den Pfeilern etwa in Emporenhühe gegen das Mittel*
fchiff zu angebracht.
Von den WarTerfpeiern kann nur, nachdem man die genannten andern
Arbeiten kennt, aus einigen Details (z. B. aus dem kerbartigen Bandmolivc
der Renailfance) erfehen werden, dafs fie von demfelben Meiller erfunden
find. Sie befinden lieh fo weit vom Auge, felbll noch wenn man aus den
Dachlucken lieht, und find theilweife fo fchadhaft, dafs ein Urtheil über dir
Arbeit oder eine nutzenbringende Befchreibung nicht wohl möglich ill.
Die Verfchiedenartigkeit der Formen zwifchen diefen in Rede (leitenden
Erltüngsltücken der Renailfance und jenen gothi fehen des eigentlichen Baues
tritt am kralfellen zu Tage durch den Vergleich der Portale an der Südfeite.
War das wellliche grofs, fpitzbogig überwölbt und nur durch ein glieder-
reiches, übrigens fchntucklofes gothi fches Gewände geziert, fo i II das örtliche
klein, gradlinig überdeckt und überreich an zierlichen Details der Gewände.
Zunächll bildet ein noch an gothifche Art erinnerndes Profil aus Kehlen
und Rund- oder Viertellläben mit Plättchen bellehend und nicht bis zum
I Oie unter der Tünche nicht wohl mehr erkennbaren Steinmetzzeichen find ziemlich grub
und hüben fj.äte Formen, namentlich den Contur eines Beiles lieht man häutig.
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DU DOMKIKCHK.
M7
Iiotlen hinabgeliend die Umrahmung der oblongen Thüröffnung. Am Sturz
ill einer Hohlkehle des Profils noch ein Perlenflnb von fehr feiner Durch-
bildung eingelegt, fodafs andererfeits hierdurch wieder jeder Gedanke an
gothifche Weife verfcheucht wird. (Jeher dem Sturze zieht fich ein völliges
Gebälk hin; es wird durch Säulen jederfeits der Thüröffnung getragen. Im
Einzeln ill diele verftändige Anordnung noch recht wunderlich. Die Säulen
gruppiren fich zu je einem Händel an jeder Thürfeite, welches aus einer
vortetenden Drei viertel faule inmitten und noch jederfeits einer dahinter ge-
legenen pilafterartigen Ein viertel faule belleht. Solche (iruppe lieht auf
einem gradfeitigen Pollamente, welches den einzelnen Säulen entfpricht und
unten einige breitere Abfät/e hat. Die Poftamentfeiten lind alle vertieft uml
mit arabeskenartigem Hlätterfchmuek gefällt. DieSäulchen felber find nicht
allein gliederreich, hindern auch ringsum von oben bis unten mit feinen
ornamentalen Details ausgeftatlet, mit Gehängen, Bändern, Perlenfrhnüren.
Blättern, Masken u. f. W'. Die Capitäle fehen wie ein Gemifch maurifcher
und korinthifclier Capitällorm aus. Eine Abakusplatte mit concaven Seiten
ill vorhanden, aber die Volutenranken der Ecken biegen fich nach oben und
lind von unverfiandener fchwüllliger Form. Auch ein Hlätterkelch ill nicht
recht ausgebildet. Auf den Säulengruppen ruht eine den Säulen entfprechende
alfo dreifache Gebälk Verkröpfung. Auffälligerwoile fetzen fich die drei Theile
des Gebälkes beiderfeits neben dielem Kropfe noch ein Stück an der Wand
fort. Das Gebälk felber befieht wohl aus Architrav, Fries und Kranz, aber
der Architrav und Kranz haben ein im welentlichen fall gleiches Ausfehen.
Jeder wird durch ein fimentürmiges, (larkos Glied mit einigen unbetleutenden
Untergliedern gebildet. Für den Architrav. der nach unten mit dem Sturze
durch einige Glieder in Verbindung lieht, ifi diefe Form viel zu kräftig untl
für den Kranz zu matt, namentlich bedingt durch das Fehlen des Wefent-
lichRen, tler Hängeplatte. 1m F'riefe leien wir links an der nicht mehr unter-
llützten Verlängerung feitlich über den Kropf hinaus:
1525, über der Thür zwilchen den Verkröpfungen: DOMV • TVA •
DECE1 • S — TITVDO dann jenfeits des zweiten Kropfes: D — NE •
z\us von Dreyhaupt’s Abbildung des Domes ifi zu fehen, dafs noch
zu feiner Zeit ein halbkreisförmiger Auffatz, mit einem Wappen geziert,
mitten über dem Kranzfimfe Hand und daneben über jedem Krople pin
Figürchen. Fis mufs noch bemerkt werden, dafs an (liefern Portale fehr viele
Stücke gut erneuert lind mit genauem Anfchlufs an die urfprüngliche Form.
Sollte nun ein Urtheil über den Stil des Portales gegeben werden, fo Stil des Portal*,
ill klar, dafs die Gefammtcompolition und die Einzelheiten bereits die
F'ormenfprache der Renaiflance reden. Nur feiten noch wird ein mittel-
alterlicher Laut vernommen. Der Renailfanceftil ill hier gleich einem Kinde;
feine fröhlichen, lachenden Laute mögen uns entzücken, doch geben fie
noch keine geregelten Sätze, gefchweige denn eine wohldurchdachte, ver-
lländige, finnreiche Rede: das will Tagen, den F'ellons, den Bändern, Perl-
fchnüren, den üppigen Ranken, den frifchen Blumen und Blättern, den
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Saerifteithür.
238 DIR STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Palmetten, Masken und was fonfi die Elemente der Decoration der Renaifiance
fein mögen, fehlt noch die klare Ordnung, den Profilen der fehbare Zweck
ihrer Form (z. B. dem Architrav), den Verhältniffen das richtige Maafs
(z. B. find die Säulen zu fchwach gegenüber dem zu plumpen Gebälke, etwa
wie die Beine eines Kindes zum Kopfe unverhältnifsmälsig fchwach find,
und allen zufammen fehlt der conllructive Ernft, Denn der Meiller vermeint,
die neueKunll beftehe haupt fachlich darin, zu ornamentiren mit ihren Mitteln,
und feine Arbeiten, das mul’s man zugeben, verliehen zu felTeln, aber da«
Wefen der Renaifiance, die neuen Conllructionsprincipien, deren Sinn fein?
Zierrathe doch eigentlich zu verdeutlichen hätten, hat er eben noch nicht
erfafst. Ich kann hier fchliefslich nicht unerwähnt lallen, -dals unfere lhür
Aehnlichkeit mit der am Capitelfaal der Kathedrale von Toledo, foviel eine
kleine Abbildung derfelben erkennen läfst. zu haben fcheint. Die decorative
Ueberfchwänglichkeit, die durchbrochene Arbeit und namentlich die
maurifchen Anklänge fprechen dafür, dafs der Künlller das damals noch
fo blühende Spanien gefehen hat.
Diefem Portale ganz ähnlich ill die etwas minder reiche Sacrillei-
thür Fig. 97. Auch hier umfchliefst ein gothifch profilirtes Gewände, in
defTen Hohlkehle am Sturz lieh eine Perlenfchnur hinzieht. dieThüröflnum;
Der Sturz ruht hier noch auf zwei Confolen, die die oberen Ecken der Thür-
öffnung austüllen. Die Conllructionsweife ill alfo rach gothifch, dabei aber
ill die Ausbildung der Confolen durch Masken und füllende Blätter völlig
der Renaifiance gemäfs. Die thatfächliche Conllruction des wagerechnn
Sturzes llimmt, wie wir aus dem Fugenfchnitt erfehen, mit der durch ihr
Form ausgefprochenen nicht überein; der Sturz belicht nämlich aus drei
Stücken, von denen das mittlere, da es nicht keilförmig ill, herabfallen
würde, wenn es nicht durch Dübel oder durch ein anderes verdecktes Con-
llructionsmittel gehalten würde. Hier lieht auf jeder Thürfeite nur eine
Säule. Sie wird ebenfalls von einem Poflamente in verfchiedenen Ab-
llufungen und mit überall vertieften, omamentgefüllten CafTetten an den
Seiten unterllützt. Zahlreiche Gebilde von Plättchen, Kehlen, Wulllen mit
Bandzierrathen aller Art, mit Blättern, Gehängen, Ringen, Köpfen um!
dazu wieder ein wunderliches maurifch-korinthifches Capital machen die
Säule aus. Sie trägt den Kropf eines über dem Sturze hinlaufenden (>e-
bälkes. Letzteres bezeugt auch hier, dafs dem Meiller die Function von
Architrav und Kranz noch nicht zum klaren Bewufstfein gekommen ili:
beide haben wiederum die gleiche Form, eine Harke Sima oben mit Plättchen
unten mit einem kleinen Zahnfchnitt. Der F'ries ill niedrig und glatt. Das
ganze Gebälk geht auch hier noch ein Stück über den Kropf beiderfeitsander
Wand hinaus. Auf jedem Kropfe liegt eine Harke Kugel zu einer Maske
von durchbrochenem, faH frei gearbeitetem Laubwerk ausgehauen. Diele
Stücke erinnern wieder lebhaft an die fpanifche filigranartige Goldfehmiede-
weife, die man dort auf die baulichen Ornamente übertragen hatte. Die
Kugel rechts mufste bei dem Einbau der Wendeltreppe um 1644 abgenommen
werden, um nicht im Mauerwerk zu verfchwinden. Sie Hegt wahrfcheinlich
fchon feitdem als Knopf auf dem oberen Spindelpfofien der Treppe in der
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*'«• 97-
DIK »OXtKIKCHF..
239
Südoftecke. Zwifchen den Kugeln krönt ein hier erhaltener halbrunder
Giebelauffatz das Gebälk. Das Ornamentftück auf der Giebelfpitze hat eine
jetzt ganz unkenntliche Form. Dargeltellt in dem Auffatze ifl als Relief
Gott Vater (oder Chriftus?) ohne Heiligenfehein. Im langen Barte, die
Rechte fegnend erhoben, in der Linken die Weltkugel (jetzt ohne Kreuz)
haltend tritt er zur Hälfte aus den Wolken hervor; ringsum fchweben ge-
flügelte Kngelsfigürchen und halten feinen weiten Mantel. Die Sculptur i II
l>ei weitem belfer als lie, unanfehnlich geworden durch den modernen Kalk-
farbenanllrich, zu fein fcheint.
Von den felblländigen K unitwerken diefes Meillers der FrührenailTance Die Wcihufcln.
find zuerft die Weihtafeln zu nennen, die der Nordwand eingelafien find.
Die bedeutendere i 1t die örtliche unweit der Kanzel befindliche. Kin bal-
dachinartiges Gehäufe umfchliefst hinten und feitlich des Cardinais Wappen,
unter dem die eigentliche Weihinfchriftstafel angebracht ift. Die Einzel-
heiten bilden fich fo. dafs ein etwa halbrundes, niufchelföriniges Dach, ehe-
mals wohl von Zierrathen bekrönt, vom auf zwei Säulen ruht. Diele find
ähnlich bunt ornamentirt und profilirt wie die an den befchriebenen Portalen,
aufserdem umringen unten am F'ufse einer jeden zwei Engelein den Schaft
(die beiden an der linken Säule find nur noch aus Bruchftücken zu erkennen).
Zwifchen den Säulen, von denen jede auf dem Kropfe einer wagerecht
durchgehenden Simsplatte lieht, befindet fich grofs in prachtvolllfer und
feinfter Ausführung das Wappen Albrechts. Links daneben lieht der
h M oritz als geharnifchter Ritter und rechts die h. Magdalena in der
Tracht der edlen Frauen jener Zeit; ihr Attribut, das Salbgefafs, hält fie
in der Hand. Hinter dem Wappen gruppiren fich zwei gekreuzte Schwerter,
der Hirtenftab in deren Mitte aufrecht und darüber der Cardinaishut mit
feinem (funfzehnquaftigen?) Schnürengefiecht zufammen. Diefe Stücke
lammt den Schnüren des Hutes find, foweit man fie über und unter dem
Wappen fehen kann, ganz frei gearbeitet. Als Confole für den die Säulen
tragenden Simskropf dient je eine Halbfigur ganz nach gothifcher Tradition;
diefelbigen endigen jedoch unten nicht hintereinem Wappen, fondem laufen
in einen herabhängenden Zapfen von bewegter Protilzeichnung und üppiger
Decoration aus; leider find diefe Zapfen zumeilt abgeftofsen. Die eine Halb-
figur Hellt den Bifchof Erasmus dar mit feinem Marterwerkzeuge, der
darmbewickelten Winde, die andere ill eine Heilige mit langen, fliegenden
Haaren; fie hält ein Buch, ill aber, weil ihr jetzt andere bezeichnende Attri-
bute fehlen nicht wohl zu beftimmen. Zwifchen beiden Confolen gerade
unter dem Wappen befindet fich die Infchriftstafel; auf ihr lieht in ver-
tiefter Schrift:
DEO ■ OPT • MAX • DIVOQUE • MAVRICIO • AC • MAGDALENAE .
TVTELARIBVS • ALBERTVS • CVIVS- HAEC- SIGNA- DIGNITATE •
GENVSQVE DECLARANT • HANC • AEDEM • IPSE • DEDICAVIT •
AN • CHRISTI- M • D • XXIII • IX- KAL • SEBTEM •
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240
DIE STADT HALLE n. <1. SAALKREIS.
Polychromirt fcheint nur das Wappen gewefen zu fein; auch die Eleifch-
theile des h. Moritz find dunkel gefärbt; übrigens ill nur Hellen weife Ver-
goldung zu bemerken.
An diefer Arbeit tritt uns der Stil des Meifters in einer Weife ent-
gegen. die etwas Fabelhaftes hat; denn es i ft unglaublich, dal's (ich lie-
bilde in dem Materiale des Sand deines haben ausführen laden, wie beifpiels-
weife die Gruppe der Schwerter, des 1 lirtenllabes und des Hutes mit feiner
Schnuren Verzierung, wo die dünnen Stäbe und Schnüren auf Verhältnis-
mäfsig zu lange Strecken frei und dalx-i höchft delicat und lein gearbeitet
Das Material, worden find. Eine Prüfung des Materials ergiebt denn auch, dafs wir es
in der That gar nicht mit Sandllein, wie an den Thürgewänden, zu thun
haben, fondern mit einer fehr leichten, graugelben SteinmalTe, die (ich vor-
züglich gut auf der Drehbank und mit dem Meder hat bearbeiten laden.
Die Unterfuchung1 hat ergeben, dafs ein vulkanifches Product, eine Trafs-
art vom Rheine, zu diefem Stücke genommen ifl. Die Kigenfchaften diele.
Stoffes würden indeffen allein den Anforderungen des Künftlers nicht haben
gerecht werden können , wenn derfelbe fich nicht noch zu verfchiedenen
Hilfsmitteln bequemt hätte, die wenig mit der beanfpruchten Monumenta-
lität feiner Schöpfung im Einklang liehen. So hat der Stein, an fich zu
den verfchiedenen jener feinen, freien Hab- und Ilrick förmigen Theile nicht
haltbar genug, einen Kern von Eifendraht bekommen, der jetzt meifien-
theils verrollet ifl, anfangs aber dem Ganzen einen feilen Halt gegeben hat.
indem er gleichfam das Gerippe gewefen ilt, durch welches die feinen Theile
Stabilität erlangten. Allerdings ifl diefes Eifengerippe in der Folge ver-
derblich geworden, denn gerade das heute an diefen zarten Stücken Zer-
(lörte dürfte vielleicht nicht mehr durch äufsere Gewalt als durch das
Eifenfkelet felhfl zugrunde gegangen fein; indem let/eres nämlich in der
Folge allmählich verrollet ill. hat es die Fertigkeit beeinträchtigt, nicht ge-
ftärkt. Die Herllellung der einzelnen Theile aus einem Stücke wäre eben-
falls kaum in der ausgeführten Sauberkeit möglich gewefen. hätte man
fie nicht vielfach für fich gearbeitet und dann durch ein Bindemittel, z. B.
Pech und Asphalt, zufammengefügt oder dem Haupttheile angefetzt.
Auch diefe Weife hat gefchadet indem viele diefer Theile abgeflofsen
und für immer verloren gegangen find. Geber den Eintluls, den dir
Eigenfchaflen des Stoffes und diefe Technik des Künlllors auf den Stil
der Arbeiten nothwendigerweife haben mufsten, wird weiter unten zu
handeln fein.
Die zweite Weihtafel befindet fich an derfelben Seite ziemlich hört
in der Wand des wefllichflen Joches angebracht. Die Anordnung ill im
wefentlichen diefelbe, das Ganze indeffen kleiner und viel einfacher. Al-
brecht's Wappen, zu deffen Seiten der h. Moritz als Ritter mit der Fahne
und die h. Magdalena mit der Salbbüchfe liehen, findet fich auch hier.
1 Diefclbc ifl in lieliencwiirdiger Weife fiir unfern Zweck durch Herrn Prof. Dr. v. Krill’
angeftclll worden.
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IHR HOMKIkCIIK.
241
aber die umrahmende Baldachinurehitrklur und dm übrigen Zuthaten fehlen.
Die Infchrift unter dem Wappen lautet:
DEO • OPT • MAX • AC • DIVIS • MAVRICIO . ET • MAGDALENAE •
TVTELARIB • ALBERTVS . CVIVS • HAEC . SIGNA • DIGNITATEM .
GENVSQVE • DECLARANT . HÄC • AEDEM • IPE . DEDICAVIT •
ANNO . CHRISTI . M • DXXIII •
Dazugefiigt lieht unter dem Simfe und ill nur in nächder Nähe licht bar:
ET • XXIII AVGVSTI • Auch dieles Stück dürfte aus demfelben Stoffe beliehen
wie das befchriebene.
Gehen wir zu der Befchreibung der Kanzel über, welche, getragen Die Kanzrl.
von einer Säule, an dem vierten freien Joche von Oden her gerechnet liegt.
Eine Treppe windet fich um den Pfeilerfchaft zu ihr hinauf und fall am
Fufspunkte derfelben ill durch zwei Pfeiler mit Gebälk eine Aufgangsplorte
placirt. Die einzelnen Theile diefer Dispofition find nun von dem Künlller
mit allen Mitteln feines Ornamentenfchatzes gefchmückt worden. Die Pfeiler
der Pforte beliehen hauptfächlich in Bündeln von fall ganz glatten, rund-
liabähnlichen Säulchen mit über den Capitälen vortretenden Thierfiguren,
die an Waüerfpeier erinnern. Stark ausladende, gliederreiche Simfe
ohne dominirende Hängeplatte und in den Theilen überhaupt noch unver-
llanden componirt , faden den Sturz Fig. 98 ein, über dem fich ein Auffatz
in der fchon von den Thüren her bekannten Halbkreisform hefindet. Der
unter der Kreuzeslali niederfinkende Chrillus ili in dem Giebelfelde
aut der Eingangsfeite reliefirt. Ein Kriegsknecht fchlägt auf ihn los,
Simon von Kyrene nimmt ihm das Kreuz ab. In dem Giebelfelde auf der
Treppenfeite ili ein ecce homo. wie auf dem Rande gefchrieben lieht, dar-
geliellt. Chrillus ohne Glorie mit der Dornenkrone auf dem Kopfe und im
Arme das Kreuz, fitzt gebeugt da. Seine riefenhafte Körperbildung fällt
auf.1 Zu einer Seite des Giebelauffatzes lieht auf dem Gefimfe die frei-
gearbeitete Statuette eines Engels, der eine Säule hält : das Figürchen, welches
auf der andern Seite diefem entfprechend wahrfcheinlich mit einem
Kreuze im Arme Hand, ill abgebrochen. Die Treppenbrüliung, deren oberes
und unteres Gefims in den Figg. 99 und 100 dargeliellt find, ill durch viel-
gliedrige Säulchen von kandelaberartigem Aufbau und nicht feiten von
pikanter Wirkung, jede oben durch einen muficirenden Engel gekrönt, in
vier Felder getheilt Auf rankengeziertem Hintergründe liehen darinnen als
Relief die vier grofsen Kirchenlehrer, jeder mit einem Buche. Zu
unterll der Erzbifchof Ambro fius, defien Name in feinem Nimbus lieht.
Er ili in feinem prielierlichen Amtsornat und hält den Hirtenllab. Es folgt
im zweiten Felde der h. Augullinus als Bifchof.* Er ili auch in der
* Dafs hier auf beiden Giebelfeldern das Leiden Chrifti dem Prediger vor Augen geführt
wird, während die fpatcren Kanzeln protefrantifcher Zeit den fegnenden Chriftus mit der Welt-
kugel an der Eingangszeile der Kanzel zeigen, verdient durchaus Pracht ung in Bezug auf die
••eränderte Anfchauungswcifc der Mcnfchcn.
2 Warum der Bifchof hier über den Erzbifchof gefetzt ift, hat vielleicht darin feinen Grund,
B. D. d. Bau* u. Kunstd. N. F. I- 10
X '"V
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*4* DIE STADT HALIT 11. d. SAAI.KKEIS.
Amtstracht aber ohne Nimbus. Sein Buch hängt vermitteln eines Riemens
an feiner Hand, die mit dem rofettenverzierten Handfchuhe bekleidet iil
Fig. 98. Fig 99.
Stnrzprnfil der Kanzelihür. Profil der Treppenwange.
An dem pfeildurchlfochenen Herzen in feiner Linken ifl er kenntlich. Zu
feinen Füfsen fpielt ein Knäblein («eil ohne Flügel wohl nicht ein Engel'
Fig. 100.
Profil der Kanzel- und
Treppenbriiftung.
mit einem pfannenförmigen Geräthe. Auf ihn folgt
der h. Hieronymus; er ifl ohne Heiligenlchein;
feine Kleidung ilt die des Cardinais (cappa magna
und auf dem Kopfe galerus ruber.) Zu feinen
Füfsen fehen wir einen Löwen, fein Attribut. Da«
letzte Treppenfeld füllt die Figur des h. Gregorius
aus; fein Name fleht im Heiligenfeheine, die Tiara
und das mehrfache Kreuz, welches zwar abge-
brochen ifl, aber Reffe hinterlalTen hat, kenn-
zeichnen ihn als Papll. An der Treppenwange
lieht ganz unten in einem frei fich abzweigenden,
fchwüllligen Akanthusblatte ein Mann von unter-
fetzter Statur mit geflügelter Kopfbedeckung und
in einem kriegerifchen Anzuge ; er hält fich mit
den Händen an der Wange feil, gegen die er fich
lehnt. Seine Bedeutung ifl nicht klar, denn die
kriegerifche Kleidung fchliefst wohl aus, dafs der
Künlller hier dargellellt fei, eine Annahme, zu
welcher man fich fonft zuerfl hinneigen würde. Die Wange, als ein von zwei
Simfen eingefafster Fries gebildet, trägt eine Infchrift und ifl an der Unter-
dafs die Bedeutung Auguftins für die Gottesgclahrtheit als bedeutender gekennzeichnet werden
follte; wenigftens ift kein anderer Grund erfindlich.
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IHK DOMKIKCHK.
•243
kante mit einem vegetabilen, lieh nach oben gegen die Kanzel zu ver-
jüngenden Ornamente befetzt, aus dem auch Engelchen in allerlei Stellungen
hervorfehen. Die Abdeckung der Treppenbrüllung gefchieht durch ein
Gebälk in den kräftigen, gliederreichen, aber unklaren Simfen diefes Meifters
und zwar mit jedesmaliger Verkröpfung über den Theilungsläulchen. Zu
bemerken ift noch, dafs fich die Stufenunterlicht als eine anlteigende Fläche
darflellt. Sie ift dann zu Ca (fetten ausgehauen und diefe find mit feinen Ornamen-
ten gefüllt; ebenfo hat der Pfeiler, jedoch nur unter der Treppe, eine Bekleidung
von omamentirten Calfettenftücken erhalten. Wie die Treppenbrüllung ift
auch die der Kanzel durch Säulchen getheilt und von denfelben Simfen unten
wie oben eingefafst. In dem erften Felde rechts alfo unmittelbar an der Treppen-
brüftung fehen wir Petr us (Name im Nimbus) mitSchlülfel und Buch, ihm folgt
Paulus (PAVLVS AP. fleht im Nimbus) mit Schwert und Buch, dann S. Jacobus
M. (fo im Nimbus bezeichnet) mit einer Fahne an feinem Pilgerftabe und mit
einem Buche, darauf Johannes, der auf feinem Buche den Kelch liehen
hat, aus dem fich eine ziemlich grofse, jetzt abgebrochene Schlange hervor-
windet, der letzte ift Judas (Thaddäus) mit der Keule und einem Buche.
In halber Figur fehen aus vegetabilem Ornament an dem bauchigen Boden
der Kanzel hervor — wir fangen wiederum rechts neben der Treppenbrüllung
an: — Matthäus mit Buch, neben ihm feinSymbol, der Engel, Lucas mit
dem Stiere, Marcus mit einer damals modernen Mütze auf dem Kopfe hat
neben fich den Löwen und Johannes den Adler; dielen vier Fvangelilten
ill noch Mofes, der als Gefetzgeber des alten Teftamentes die beiden
Gefetzestafeln hält, hinzugefügt als ein ftarkbärtiger Greis. Die fünf letzt-
genannten I falbfiguren haben lammtlich keinen Heiligen fchein. Der überaus
reich und mit den reizendften Details im bunteften Wechfel ausgezierte
Säulenfchaft hat an der Stelle eines Capitäls gothifirende, krillallinifche
Gebilde, darunter folgen Blätter und Traubenfeftons, auch Bänder und Netze
umgeben hier den Stamm. Unter dielen läuft um ein Streif, gebildet von
Engelfigürchen , Fig. 101, die fich im keckellen Uebermuthe tummeln und
raufen und nicht im minderten um die Heiligkeit des Ortes bekümmert find.
Unter ihnen laufen Perlenfchnüre und Streifen mit Akanthusblättern um
den Schaft, dann wieder ein Streif von muficirenden Engeln, Reifen folgen,
Plättchen, Perlen, bis unten ein breiter, vierfeitiger Fufs fich aus pfianzlichen
Elementen in fall verwirrendem Durcheinander zufammenfetzt. Auf feiner
Vorderfeite fitzt noch eine Engelsfigur (weinend?). Ungefähr in der Mitte
des Säulenfchaftes gegen den Kirchenpfeiler zu und auf diefe Weife fchlecht
fichtbar ift ein Wappenfchild befindlich. Da keine erhabene oder vertiefte
Darllellung auf ihm zu fehen ift, fo wird muthmaafslich eine folche in Farben
vorhanden gewefen fein. Die Infchrift, welche fich in dem unteren Simfe
an der Kanzel und an der Treppenwange hinab findet, lautet;
OMNIS • SERMO • DEI • IGNITVS • CLYPEVS • EST • OMNIBVS •
SPERANT1BVS • IN • SE • NE • ADOAS • (bis hierher an der Kanzel,
das Folgende an der Wange) QVIDQVAN1 • VERBIS • ILLIVS • ET •
QIE
ARGVARIS • INVENIARIS • MENDAX V PROVER • 3 •
IO»
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Sinn der Kanzd-
reliefs.
’44 IHK STADT ItAt.LK 11. d. SAALKKEIS.
Hier durchbrechen der Kopf und die Hände des kriegerifchen Mannes
den Fries: dahinter jedoch, nahe an dem Portale, lieht noch die Jahres-
zahl 1526, ohne Frage in Bezug auf die Entliehung der Kanzel. Ehemals
hat fich auf alle Theile eine vielfarbige Bemalung mit Vergoldung aus-
gedehnt und zwar in duften und dabei kräftigen Farben. Später, zuerll
wohl im 17. Jahrhundert find alle diefe Farben in einer barbarifchen Weile
erneuert worden, indem fie andere Töne und vielfach .Glanz bekommen
haben oder unter einem weifsen Anliriche gänzlich befeitigt find, ebenfo ill
Fig. 101.
Puttengruppe an der Kanzellaule.
der befcheidene Glanz des ächten Goldes durch eine dicke, prunkende Lack-
farbe tjufgefrifcht; auch ili durchweg die lloffliche Farbenmafie fo liark auf-
getragen, dafs unter ihr die leinen Conturen des Reliefs verdeckt find.
Es verlohnt fich, auf den Sinn der Darftellungen an der Kanzel
mit einigen Worten einzugehen. Aufser den zahlreichen Figuren, die gleich
dem Ornament meiftentheils einen anderen Sinn als den zu fchmücken, d.h.
felll ich. lebensfroh zu Itimmen. wohl nicht haben, ferner aufser der einzelnen
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DIE riOMKIKCHE. ’45
Figur am F'ufspunkte derTreppenwange in einer Ornamentranke, deren Be-
deutung (ich nicht erklären liefs, und endlich aufser den Giebelfelddarftel-
lungen über dem Eingänge, die den Prediger bei dem Betreten und Ver-
laden an das Leiden des Heilandes erinnern und ihn davon zu predigen
gemahnen Collen, aufser diefen mehr nebenfäohlichen Figuren und Gruppen
beziehen fich alle anderen Reliefs auf die Entftehung und Ausbreitung
theologifchen Wittens fowohl der rein biblifchen als auch der kirchlichen
Lehren. Dabei ift die Vertheilung der Partien fo gefchehen, dafs fie finn-
reich aut denjenigen gehen, der auf der Kanzel zu fprechen hat. Wer
nämlich von hier herab die chriftlichen Lehren weiter verkündigt, dem dient
Mofes. der Gefetzfchreiber des alten Teftamentes, und die vier Evangeliften,
die die Satzungen des neuen Teftamentes aufgezeichnet haben, als Grund,
aul dem er flehen mufs; auf der Kanzel gehört er, indem er dafelbft von
den Apofteln , den gewaltigften Verkündigern des Wortes Chrifti, umgeben
wird, gewiflermafsen zu ihnen, ift (oder fei) ebenfalls ein wahrer Apoftel;
emporgeftiegen aber ift er zu diefer ausgezeichneten Stelle erft durch die
Lehren der vier grofsen Kirchenlehrer. Das ift etwa in Kurzem der Ge-
dankengang in den Reliefbildern der Kanzel, die für die gelehrten Stifts-
herren beftimmt war. Wir unterlafTen. weiter auf den Sinn der Einzelheiten
einzugehen, wollen folches aber als lohnend empfehlen. Als Grund, wes-
wegen Johannes einmal als Evangelilt und ein anderes Mal als Apoftel
dargeftellt ift, haben wir eben wohl diefe feine doppelte Eigenfchaft als
Aufzeichner und als Verkündiger der Lehre Chrifti, die hier ausgefprochen
werden follte, anzufehen. Welche Gründe übrigens die Auswahl jener
genannten Apoftel veranlafst haben, läfst lieh nicht angeben.
Die Kanzel ift trotz ihres Ornamenten- und Figurenreichthums nicht in
dem Stoffe der Weihtafeln ausgeführt, fondern. foviel man aus der Bruch-
ftelle eines abgeftofsenen Stückes der Figur an der Treppen wange erfleht,
aus einem faft weifsen Kalkftein. Ob zu einigen Theilen nicht auch ein
feiner Sandftein genommen ift, mag dahingeftellt fein.1
Wir kommen zu dem bedeutendllen Werke des Meifters, zu den lebens- Pfeilcrliatucn.
grofsen Figuren an den Pfeilern. Es find Chriftus, dreizehn Apoftel2
und die drei Titelheiligen der Kirche. Sie flehen aufConfolen und über
ihnen ift je ein grofser Baldachin, der einer kleinen Figur auf einer Confole
als Gehäufe dient. Die grofsen Statuen ftellen dar, wenn wir am Chor
1 Der Grund zur Wahl de« härteren Steines feheint zu fein, dafs die auf dem Boden
ftehende Kanzel Berührungen und Stöfsen mehr ausgefetzt ift als die Weihtafeln (und die
Ffeilcrfigurcn , die auch aus Trafs lieftehen), welche weit über Menfchenhöhc in der Wand
angebracht lind.
2 Die Zahl dreizehn deshalb, weil für Juda> Ifcharioth hier nicht nur Paulus, fondern
auch Matthias cingcfügt worden ift. Wenn wir die Figuren richtig beftimmt haben, was in
Hinlicht auf die vielen Bcfchädigungen und fehlenden Beigaben nicht feft behauptet werden
kann — es könnten z. B. auch die Evangeliften Marcus oder Lucas unter den Apofteln dar-
gcftcllt fein — fo hat man hier aut die myftifchc Zahl 12 — vielleicht ein Zeichen der Neu-
zeit — keinen Werth mehr gelegt, wie cs doch in den voraufgegangenen Jahrhunderten ftets
gefchah.
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246
DIE STADT HALLE u. 4. SAALKRK1S.
mit der Süd feite anfangen, zuerft den Heiland, Chriftum; er hält die Welt-
kugel — das Kreuz fehlt ihr jetzt — in der Linken und erhebt zum Segnen
die Rechte; ihn bekleidet ein einfaches langfaltiges (tunicaförmiges) Gewand,
auf defTen Bordüre am Hälfe SALVATOR . MVNDI gefchrieben fteht; auch
der untere Saum des Rockes hat eine Infchrift, welche durch einen im
Sommer 1883 ausgeführten Kalkfarbenanftrich unleferlich geworden ift. Die
ganze Figur ift ziemlich einfach in der Haltung und im Gefichtsausdruck,
welch’ letzterer den Geift nicht verleugnet, der dem Heilande der Welt
innewohnt. Ihm gegenüber an derXordfeite fteht Petrus mit dem Schlüffe!
und einem Buche. Am nächften Pfeilerpaare fteht ludlich Paulus, der
wohl in feiner jetzt abgebrochenen rechten Hand ein Schwert gehalten hat;
in der Linken hält er ein Buch. Nördlich am entfprechenden Pfeiler fehen
wir Andreas mit einem Buche und hinter ihm befindet fich das fchräge
(Andreas-)Kreuz. Dann kommt wieder füdlich Johannes, jung und bart-
los und mit langem Lockenhaar dargeftellt; von dem Kelche in feiner Hand
ift nur noch der Fufs vorhanden. Sein Gegenüber ift Jacobus d. A.; er
ift im Pilgerkleide; Hut, Stab, Mufchel und Tafche vervollftändigen die
Tracht. Es folgt Bartholomäus, kenntlich an der abgefchundenen Haut,
die er hält; das Meller in feiner Rechten fehlt jetzt. Auf der Nordfeite
fteht Thomas; fein Attribut, das Winkelmaafs, ift abgefchlagen. Nun
kommt Matthias, von defTen Beile nur noch der Stiel in feiner Hand ill
Nördlich gegenüber dürfte Matthäus fein; der Stab in feiner Hand war
wohl anfangs eine Hellebarde. Er ift bartlos. Philippus am folgenden
Pfeiler hielt urfprünglich einen götzenumftürzenden Kreuzftab, welchem jetzt
das Kreuz fehlt; auch feine rechte Hand ift abgefchlagen, die er wie zur
Predigt erhoben hatte. Ihm entfpricht die Statue des Simon mit der Säge.
Es kommt weiter Judas Thaddäus, der eine Keule führt. Auf der
nördlichen Seite fteht Jacobus d. J., welcher früher einen Walkerbaura
gehalten hat. Am folgenden Pfeilerpaare fehen wir füdlich den h. Moritz,
F'ig. 102,1 ganz in einem Ilarnifch von Eifen, nach damaliger Art verziert;
er hält in der Rechten feine Fahne. An der Confole, auf der er fteht.
Fig. 103, ift die Halbfigur des bärtigen Meifters (?) (jetzt ziemlich zerftört
angebracht und darunter ein Wappenfchild mit der Infchrift: ANNO • DOM ■
MDXXV • An dem gegenübergelegenen Pfeiler fteht die h. Magdalena
in der Tracht der damaligen Frauen, Fig. 104. Sie hält das Salbgefäfs
Durch die Orgelempore find die letzt genannten beiden Statuen ziemlich
verbaut. Mehr noch wird durch die Bretterverfchläge der Orgel die Figur
des h. Erasmus verdeckt, der in bifchöflicher Tracht und mit der
Mitra auf dem Kopfe an dem füdlichen Halbpfeiler der Weftwand und zwar
gegen Often hin fteht. Die Statue ift arg verftümmelt; auch können unter
den Verfchlägen die Beigaben nicht weiter gefehen werden.* Diefer letzten
F'igur entfpricht an dem nördlichen Halbpfeiler keine mehr; auch eine
1 Welch ein Untcrfchied zwilchen diefer Statue des Heiligen und der um 14 Jahre älteren
in der St. Moritzkirchc, f. Fig. 57!
8 Wie man lieht, lind alle Statuen im Laufe der Jahrhunderte mehr oder minder ftark
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IMF. DOMKIKCHF..
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andere Darftellung , z. 14. des Schweifstuches, ift dafelbft nicht vorhanden.
Warum die Figuren des Johannes uml Jacobus um fall 1,0" und die Figur
des Judas Thaddäus um etwa 0.50" höher liehen als die andern, ift jetzt
nicht recht einzufehen.
Die kleinen Figuren oben in den Baldachinen lind weder voll-
ftändig an der Zahl noch gut erhalten, überdies jetzt wegen des Anftriches
fchlecht zu erkennen. Ueber dent Heilande lieht eine gekrönte weibliche
Figur, über Petrus Maria mit dem Kinde, über Paulus ift Chriftoph, dem
aber jetzt das Kind auf der Schulter fehlt. Ueber Bartholomäus lieht der
h. Albanus als Bifchof mit einem Buche in den Händen, auf dem fein ab-
gefchlagenes Haupt liegt. In den übrigen Baldachinen lind die Figuren
unkenntlich oder überhaupt nicht mehr vorhanden.
Die Confolen unter den grofsen Statuen lind alle verfchieden aus-
gebildct. Sie haben unten ineillens eine runde oder vierfeitige zapfenartige
Form, die, zu verfchiedenen Malen in vier- und andere Mehrecke fich über,
fetzend, oben eine vierfeitige Platte trägt. Mit der Rück feite hängt diele
Form an einer mehrere Finger dicken Platte, vermitteln deren fie fich erll
mit dem lleinemcn Pfeiler verbindet. Aut welche Weife letzteres gefchieht,
ift freilich nicht fichtbar; eine Einmauerung hat nicht llatt; es wird fich in
der Mitte der Platte ein Ei fen befinden, das einerfeits in dieConfole, anderer-
feits tiel in den Pfeiler hineingeht. Gewifs ift. dafs die Anbringung erft nach
der F'ertigllellung der Pfeiler, nicht mit der Herllellung derfelben gefchehen
fein kann, mithin müfsten die Pfeiler und zwar bis zur Statue des h. Moritz
um 15:25 fertig gewefen fein. Die bcfchriebene Confolenform ift nun mit
weitausladenden Simfen in RenaifTancegliedern, mit Perlenftäben , Kerb-
fchnitten und anderen Bandmotiven, dann mit Akanthusblättern und Pal-
metten, aber auch mit freien, dünnen und dickeren Ranken in maafswcrks-
ähnlicher Anordnung, mit Kreuzblumen und Krabben, dann auch mit
graciöfen, fifchfchwänzigon Nixen und ernlten Wappenhaltem, kurz mit
allen Decorationsmitteln der Renailfance und der Gothik ausgellattet.
Fig. 105 Hellt eine von den einfacheren und am wenigften befehädigten dar,
kennzeichnet aber den Stil fehr gut. Sie befindet fich unter der Statue
der h. Magdalena.
Auch die Baldachine find alle verfchieden. fie zeigen im Aufbau
wefentlich gothifche Art. Zunächft bilden fich meiftens Efelsrückenbögen
mit dem zierlichften , ganz durchbrochenen Maafswerke darin als Füllung.
Darüber (leigen äufserft dünne Pfollen in gothifcher Protilirung auf. fchliefsen
fich oben durch mancherlei Bogenformen, die wiederum mit dem feinllen
Maafswerk ausgefüllt find, zufammen und geben fo für die kleinen Figuren
auf in Renaifianceornamenten gehaltenen Confolen das Gehäufe ab. Ueber
letzterem erheben fich drei dünne Grate und lauten zu einer fchlanken.
fchwach gedrehten Spitze zufammen', die mit einer Kreuzblume über einem
befchädigt. So fehlt allen jetit auch der Heiligcnfchein . den jede gehabt haben wird, weil
man io dem Kopfe aller oben ein Loch findet, das nur *ur BefcftigiKig eines folchen Scheines
von wahrfcheinlich vergoldetem Metall gedient haben mag.
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DIK STAUT HAI.I.K u. d. SAAI.KKK1S.
248
Bunde nach gothifcher Weife fchliefst. Alle vegetabilen Einzelheiten , fo
die Krabben und Kreuzblumen, tragen den Akanthusblattcharakter , auch
Fig. 102.
Statue des h. Moritz.
wird das Maafswerk oft ganz naturaliftifch und erhält Akanthusblätter. So
viel es angeht, treten auch in den anderen Einzelheiten RenaifTance-
motive auf.
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IHK llOMKIKCHk.
240
Leider lind an (liefen Architecturftücken, die fall für Holz, geschweige
denn für Stein zu zierlich gemacht erfcheinen, die Ornamente vielfach nicht
Statue der h. Magdalena.
mehr vorhanden, eine Folge theils von äufserer Gewalt, namentlich von
verfländnifslofer Anllreicherei, theils aber auch des Materials, aus dem Sowohl
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2.5°
DIE S I AI) I HALLE u. il. SA ALKKE1S.
die Ornamente als auch die Statuen he flehen, nämlich jenes poröfen. rau-
gelben rheinifchen TralTes, den wir fchon bei der gröfseren Weihtafel als
Material verwendet gefunden haben und delTen Verwendungsweife auch
hier diefelbe ilL Aufser der Zuhilfenahme von Iiifen findet man auch hier,
dafs viele kleine Ornament Itücke, /„ B. gedrehte Zapfen, Knöpfe, Rofetten
für fich gearbeitet und dann durch einen pechartigen Kitt der Hauptform
angeheltet lind, jedoch llets fo, dafs die Fuge nicht bemerkt wird. Alle
Figuren und Zierrathe waren vielfarbig bemalt und bis aut einige
Figuren, deren Gefleht letzthin leider mit dem Meller bearbeitet worden ilt.
Fi« 103,
Cocfolc unter ilei Statue des h. Moritz.
befinden lieh auch jetüt noch die alten Farben unter dem Kalkanflriclie.
Sie lind äufserli lebhaft, doch ficherlich in der Gefammtwirkung harmonifch.
Ich Iah die Haare, den Bart und die Augenbrauen dunkel gefärbt, das
Geficht fleifchfarben, die Lippen kräftig roth, die Gewänder in verfchiedenen
Farben. Schon ältere Anllriche hatten die Figuren unanfehnlich gemacht
itn Sommer 1883, wie bereits erwähnt ilt . hat man unter unvermeidlicher
Zerllörung von feinen Ornamenten den Anltrich, der nun alle Feinheit
verdeckt, durchweg wiederholt.
Nachdem wir hiermit die Befchreibung der Werke des erden RenaifTan-
cilten in Halle beendet haben, wollen wir den Stil derlelben befprechen;
hierdurch mufs uns ja Auffchlufs gegeben werden , warum und in welcher
Weife hier an die Stelle der Ideen, welche die Lebens- und Kunftformen
im Mittelalter gellaltet haben, nun diejenigen treten mufsten, die feither die
formbildenden geworden find, und welches überhaupt diefe neuen Ideen find.
Da nämlich der Stil in den bildenden Kunden nichts anderes ilt. als die
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1)1 K DOilKIKCHK.
-’5«
formale Ausdrucksweife defTen, was ein Volk oder ein Meifter zu einer
bollimmten Zeit gedacht oder erllrebt hat, fo Werden wir ihn kennen lernen,
wenn wir die Uebereinftimmung diefer Gedanken und Beftrebungen mit
jener Ausdrucksart nachweifen. Indern uns fo auch zu dem VerftändnilTe
der Kunftwerke verholfen wird, d# h. dazu, in ihnen den Geilt ihrer Zeit
oder ihres Schöpfers zu begreifen, kann ihre Betrachtung erlt bildend fein.
t'K- 105.
Confblc unter der Statue der h. Mandate tu.
Die erde Krage wäre, warum nicht auch die Arbeiten diefes KenaifTance-
meifters gleicherweife wie der Bau felber zufammengeltückelt find, oder
umgekehrt, warum nicht auch der ganze Dombau in diefer üppigen Re-
naifTance ausgefuhrt worden ift. Was der Cardinal, der die Haltloligkeit
der Zuftändc feiner Zeit einfah und durch die Anlegung des Stiftes zu ihrer
Verbeflerung feinerfeits beitragen wollte, unternahm, entfprach nicht den
BedürfnilTen der Zeit, es war eben reactionär, nicht revolutionär wie Luthers
Thefen. Da fich nun eine andere, dem Zeitgeille gemäfse Ordnung der
Dinge, namentlich der kirchlichen, noch nicht gefertigt hatte, fo konnte
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IHK STAIIT HALLK u. . SAALKKKIS.
252
auch ein neues Kirchenbauprogramm, nach dem hier der Dom zu errichten
gewefen wäre, nicht da lein; im Gegentheil, die reactionären Bedrohungen
des Cardinais gingen ja dahin, die längft vergangenen Machtverhältnille
wiederherzuftellen und zwar unter Verwendung alter Inftitutionen und Formen.
Nun wohl, lefen wir das alles nicht aus dem baulichen Syfteme des Domes,
aus den damals längft nicht mehr üblichen Conftructionen (Fenftergewölbe ,
aus der directen Benutzung eines alten Klofters, aus der Zufammenftoppelung
von Formen vergangener Zeiten? Dem gegenüber ift nichts natürlicher,
als dals er den veränderten Anforderungen der Zeit, foweit fie feine reactiv
nären Ablichten nicht durchkreuzten, gern Rechnung trug, und dafs er, der
geiftig hochgebildete Mann , lieh lieber an geiftreichen Neuerungen erfreute
und fie beförderte, als Altes feftzuhalten lieh beftrebte, welches bedeutungs-
los für ihn war, wenn feine materiellen Interefien davon nicht tangirt wurden.
Und hier offenbart fich Albrecht eben als Feinfchmecker in künftlerifcht-n
Dingen. Da die Kirche felbft „an Haupt und Gliedern" zeitgemäfs, alfo
den that fachlichen Macht verhältnifien gemäfs, umzugeftalten gegen feine
Interefien war und über feine Kraft ging, fo pafste es ihm doch fehr, die
nebenfächlichen Einzelheiten in derfelben der Zeit entfprechen zu laden
durch neuere interefiantere Formen , darauf verfchwendete er Gelder in
Menge, denn das reizte ihn. und fo entftanden diefe erften Renaiffance-
arbeiten, die er, wie fich verlieht, von einem Künlller ausführen liefs, der
den geilligen Anfprüchen der Bildungsftufe des Cardinais genügen
konnte. Damit wäre das Warum und Wie die neuen Formen hier entftanden
beantwortet, eigentlich ohne Rückficht auf den Stil. Das Voraufgehende
mufste gefegt werden, weil die dritte Frage nach dem, was die Formen
ausfprechen, dadurch verftändlieher zu beantworten ift und dann die Ant-
wort auf die beiden erften rückfichtlich des Stiles fich von felbft ergiebt.
Das Schiboleth der Neuzeit ift (warum gerade diefes und kein anderes
dürfen wir hier nicht unterhielten) im Leben das Naturgemäfse zur Richt-
fchnur zu machen da, wo die Zeiten des Mittelalters hindurch alles Streben
lediglich auf das Uebernatürliche gerichtet gewefen war; indefien fo weit
es hier Formen gebildet hat, ift es keineswegs fchon zur allgemeinen An-
erkennung gelangt, fondern lediglich erft von den ausgezeichnetften Geiftern
begriffen. Freilich gab es ein Bedürfnifs nach neuen Formen im ganzen
Volke, da hinter den alten jetzt kein Sinn mehr ftak, aber wie zu allen
Zeiten waren nur die Gebildetften fähig es auszufprechen im Leben wie in
der Kunft. Das ift der Grund, warum wir zu Halle den erften Künftler
der Neuzeit nicht an einem Bürgerhaufe, fondern im Dome thätig finden,
dem Baue eines illuftren Kirchenfürllen , bei allen reactionären Tendenzen
Albrechts doch auf fein Geheifs an einem Baue, der ja für das Volk eine
„Baftille des Geiftes“ werden füllte. F'anden wir hier im Dome nicht auch
den erften Prediger, der bei dem Abendmahle den Kelch reichte? Das
freilich war ein Anzeichen der Neuzeit, welches für Jedermann verftändlich
die Veränderung der wirklichen Machtverhältniffe darthat und fomit dem
Cardinale nicht zufagen konnte, während jene fteinemen Zeichen der Kunft
ihm gefielen, die, wie fich gleich zeigen wird, noch einer Coteriefprache
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DTK DOMKIKCHF.
2.5.3
gleich von einem Gebildeten an Gebildete gerichtet waren und nur von
folchen verbanden wurden. Die Formenfprache, die diefer moderne Künlller
lührte und die man in Halle noch nicht vernommen hatte, war nämlich
deswegen nicht in den Ausdrücken gehalten, die fich dem Volksverlländnifs
anpafsten, weil ja feine Arbeiten zunächft den gebildeten Bellellern, dem
Cardinal und feinen Stiftsherren, Genufs bieten Tollten und nicht eigentlich
an das Volk gerichtet waren, wie jene einige Decennien fpäteren Erftlings-
werke der Renaiffance in der Marktkirche, die vom Volke bellellt durch
Nickel Hofman, den Künlller aus dem Volke, für das Volk ausgelührt
wurden. Erft gegen die Mitte des 16. Jahrhunderts fing auch das Volk an
der RenaifTance Gefchmack abzugewinnen, was wir daraus erfehen, dafs
diefer Meiller aus dem Dome für hallefche Bürger, foviel wir wilTen, über-
haupt nicht nur gar nichts ausgeführt hat,1 fondern dafs fich auch die Gothik
bis zur Mitte des Jahrhunderts an den Bürgerhäufern nachweislich erhielt
(fiehe die Portale Schmeerllrafse Nr. 31 vom Jahre 1520 und grofse Ulrich-
ftrafse Nr. 19 vom Jahre 1548). Danach ill auch ziemlich gewifs, dafs unfer
Meifler kein hallenfer Kind, fondern von auswärts zu diefen Arbeiten be-
rufen war und zwar wahrfcheinlich aus Süddeutfchland, wo das Verftändnifs
für die RenaifTance fich etwas früher Bahn gebrochen hatte; auch wird er
fich in der Welt umgethan haben. Wie man aus feinen Arbeiten lieht, war
er vermuthlich in Spanien oder Italien. Nur ein folcher Künlller konnte
das bieten, was der Cardinal und feine Umgebung an den von ihnen be-
llellten Kunllwerken beanfpruchten. Diefes Meillers Arbeiten mit denen
Hofman ’s verglichen lalTen denn auch in der That fogleich erkennen, dafs
ihre Ausdrucksweife in viel höherem Grade geillreich lebhaft und reizend ill
als die fpäteren Arbeiten des einheimifchen Künlllers. Und obwohl letztere
fpäter find, erfcheinen fie doch denen unferes Meillers gegenüber matt in
der Erfindung und fall handwerklich in der Ausführung, andererfeits aber
find fie weniger bombaftifch, vielmehr klar und verlländig componirt und
als Erzeugniffe, die von dem urwüchfigen Boden, dem Volke, nicht von
üppigen, befonders präparirten Beten, den Gebildeten, hervorgebracht find,
gewifiermaafsen gefunder, kräftiger und nun auch geeigneter zur natur-
gemäfsen Fortpflanzung. Bei beiden Meillern ill zu den verfchiedenen Zeiten
das Verftändnifs für die Idee der RenaifTance etwa gleich weit entwickelt,
beide find noch aus den mittelalterlichen Anfchauungen hervorgegangen,
aber da fich in dem Geifte des fähigeren Meillers aus dem Dome die Schön-
heitsidee der Zukunft 'mit viel intenfiveren Farben und üppigeren Formen
darftellt als in dem des fpiefsbürgerlichen Hofman. fo protellirt er natürlich
auch in einem viel leidenfchaftlicheren Tone gegen alle traditionelle Autorität;
beides, nicht nur die Form, fondern fogar der Stoff, der den Geilt der Ver-
gangenheit dargeftellt hat, der harte, ungefügige Stein hat ihm nicht
überall genügt, um die Bilder feiner überfprudelnden , von diefer neuen
1 Wenn auch nicht für den einzelnen Bürger, fo hat doch der Meiftcr für die Stadt in
fofern gearbeitet, als die Confole unter der Moritiftalue am Kathhaulc und der Baldachin über
ihr (fie fei b ft aber nicht) unzweifelhaft feine Arbeit lind.
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IHK STADT HALLS u. d. SAALKKEJS.
Schönheitsidee fo mächtig' erregten Phantafie wiedergeben zu können. Er
griff daher zu verfchiedenen Materialien und nahm zu den feineren, belferen
Arbeiten, den Weihtafeln und Statuen, das getügigfte, bildfamfte, nämlich
jenen fern vom Rheine geholten Trafs, den wir befchrieben haben. Dies
war eben der am meiften geeignete Stoff zur Darllellung der extravaganten
Bilder in des Künftlers Kopfe und er genügte ihm kaum.
Ill es einerfeits die neue Schönheitsidee, die den Stil hervorruft, fo ili
es nun andererfeits diefer gefügige Stoff, der ihn gellaltet, indem er dem
Künftler geftattet weit über die Grenzen hinauszugehen, welche ihm von
dem Sandfteinmateriale gedeckt wmrden. So reichen hier die Idee und der
Stoff wie fo häufig einander die Hand zum Dienfte der Kunft. Beide find
indelfen noch unvollkommen. Der neue Begriff vom Schönen, der noch
nicht fogleich ftreng nach antikem Princip die Formen bildete, unterlag der
F.ntwickelung, weswegen auf feinem gegenwärtigen Standpunkte die Formen
noch direct der Gothik entwachfen und zwar, indem fie deren Art in Con-
ftruction und Dispofition zumeift beibehalten, dagegen in der Ornamentation
fich ganz neu gellalten. Statt der weiten, öden Hohlkehlen find es üppig
gefchwungene , fchwellende Kümata mit mancherlei Theilung, llatt des
welken und todten Blätterwerkes fehen wir lebenvolles und frifch wachfen-
des; doch zeigen die Ranken noch nicht die rechte Kraft, ihre Bewegung
ill ziemlich ungelenk und fchwerfällig und die Blätter, obwohl mit fcharf-
gefchnittenen Spitzen (mehr dem griechifchen als dem römifchen Akanthus
ähnlich), haben noch ein lappiges und in ihrer Malfenhaftigkeit fchwüllliges
Ausfehen (vergl. die Ranken unter der Kriegerfigur an der Kanzel). Die
gothifchen Ueberbleibfel , die mehr tektonifcher und krillallinifcher Natur
find, müffen fich durch die keckllen Windungen zu Conceffionen verliehen,
durch die fie ihre Bedeutung oft gänzlich verlieren. Sie werden noch viel
dünner, fchlanker, man kann Tagen tleifchlofer als in den gewagteilen fpät-
gothifchen Arbeiten aus dem Sandlleinmateriale. Auf die Sandlleinarbeiten
des Meillers bezieht fich alfo das Letztgefagte auch nicht in dem Maafse. fo
übermüthige Weife ill nur in der viel weicheren Malfe des Traffes möglich.
Zugleich treten auch die heterogenen Elemente von antiker Bildung hinzu,
befonders in den kleinen Simsprofilen; wie lachende Laute durchtönen
fie die letzten Seufzer des wunderlichen Maafs Werks der verfcheidenden
Gothik. Wohl find die decorativen Formen der jungen Kund überreich
und bunt durcheinander fich mengend, aber dennoch im Einklang fo-
dafs fich hier dem Auge die reizendlle. nicht gerade fchönlle Formenwelt
darbietet, höchll fympathifch unferer jetzigen Zeit, die das Reizende auch
mehr als das Schöne liebt. Befinden auch wir uns in einem Uebergangs-
zullande? —
Was ich eben von der Ornamentation gefugt habe, gilt theilweife auch
wohl von der Sculptur im engeren Sinne, alfo namentlich von dengrofsen
Statuen. Aber die Bildhauerei ill der ornamentalen Baukunll doch weit
voraus. Die Figuren find fämmtlich hoch aufgefafste Geftalten im grofs-
artigflen Stile, dabei von gefundem Realismus in der Behandlung, fodafs
fie einen lebenswahren, ja lebenswarmen Eindruck hervorrufen. Es giebt
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DIE DOMKIKCHK. 255
ohne Frage kein bedeutenderes Sculpturenwerk in Halle, nur die Kanzel
der Moritzkirche ift ihm an Geiß und Kunftwerth vergleichlich.
Die Haltung diefer Figuren erinnert zwar zuweilen leile an die ver-
gangene Zeit z. B„ wo der Künftler das Weiche, Weibliche in der Figur der
h. Magdalena ausdrücken will, giebt er ihrer Stellung die Form der conven-
tionellen S-Linie, im ganzen jedoch ift fie ganz naturgemäfs. nirgends ift mehr
Steifheit oder unwahre Bewegung, jedeGefte ift l'prechend, jede Hauptfalte
ganz dem Körper und Stoffe gemäfs, gothifcherEinflufs gab den Gelichtern
den feelifchen Ausdruck, antiker die Kraft und Ruhe, fo haben wir lauter
herrliche Charakterköpfe, auf deren Mienen man die Gedanken lefen kann.1
Wenn nicht bewufst, fo fühlte der Meifter diefer frühen Zeit doch inftinctiv,
worauf es von nun ab ankomme, wie wir foeben gefehen haben, allein alle
die vielen Nebenfragen waren doch noch nicht gelöft. Daher wird der
ruhige Flufs der Hauptfalten, die uns über die Körperform gar nicht im
Unklaren laffen. durch viele kleine, willkürliche F'alten (fogenannte Knitter-
falten! unterbrochen, welche den Eindruck unruhig machen. Das ift eine
natürliche Eigenfchaft für diefe aufknolpende Kunft, welche fich die Natur
zur Lehrmeifterin genommen hatte, in diefem Streben nun aber fowohl bei
der architektonifchen Ornamentirung als auch bei diefem Faltenfchmuck
über das Ziel hinnusfchofs. Auch die peinlich genaue Wiedergabe der
Details an unferen Statuen ift auf das gleiche Streben zurückzuführen. So
ift z. B. die Rüftung des h. Moritz mit jedem Niethe genau der Wirklich-
keit nachgeahmt, ebenfo find die Mufter der Bordüre an den Röcken
der h. Magdalena ganz naturgetreu copirt, von folchen, die damals gerade
Mode waren. Diefe Standbilder find übrigens fchon ächte Kinder der Neu-
zeit; verfchwunden find die zu kurzen Arme, die langen, mageren Hände,
die zu fchmalen Schultern ; nicht mehr Sentimentalität und Askefe, nicht das
Gefühl, fondern der Geift fpricht aus diefen Geftalten. Es ift die verkörperte
Proteftation gegen den Betrug, durch den Hinweis auf das Jenfeits dem
Diesfeits feine Freuden zu nehmen.
Bei einem Vergleiche aller diefer Renaiffancearbeiten im Dome fallen
nun doch einige Verfchiedenheiten auf. Dafs alle Statuen und die Dedica-
tionstafeln von einer Hand herrühren, ift wohl nicht zweifelhaft, weil fie in
ganz gleicher Weife und aus demfelben eigenartigen Materiale gemacht
find. Kanzel und Thüren fowie die Wafferfpeier beftehen aber aus Kalk-
ftein und Sandftein, und wenn auch fonft derfelbe Geift aus ihren Formen
fpricht, fo ift doch die Ausführung minder exact; es finden fich weniger
gothifche Extravaganzen und mehr ruhige Simfe der Renaiflance; ferner
find die Figuren und das Ornament meiftens ganz flach reliefirt und erftere
zeigen in der Bewegung und Haltung hin und wieder Härten, die in den
Standbildern an den Pfeilern nicht Vorkommen. Das Ornament ift auch
ziemlich handwerksmäfsig; es finden fich zahlreiche Ungenauigkeiten nicht
nur im Laubwerk, fondern z. B. auch an den beiden Confolen in der Oeff-
l Auch Lubke in feiner Gefchichte der Renaiffance in Dcutfchland S. 357 ift gleicher
Anficht.
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OIF. STAUT HALLE n. '< SAALKKKIS.
2SÖ
nungvder Sacrißeithür, welche an Gröfse und Form nicht ganz gleich lind:
ferner auch an den Perlenßäben des Thürßurzcs. Die einzelnen Perlen lind
dafelbß" nicht! durchweg von gleicher Gröfse und haben auch ungleiche
Intervalle.^ Solche Verfchiedenheit lediglich dem zweierlei Material unter-
zufchieben, kann ich mich nicht entfchliefsen: ich meine daher, dafs der
Entwurf zu alle diefen Krftlingswerken der Renailfance im Dome von dem-
felben Meißer herrübrt, die technifche Ausführung aber in verfchiedenen
Händen lag. Diefer Schlufs bellätigt lieh, wenn man berücklichtigt, dafs
die Ausführung in der knappen Zeit von 3 bis 4 Jahren, in welcher eines
Mannes Hände die datirten Stücke (1523 die beiden Weihtafeln, 1523 das
äufsere Portal und die Statuen. 1526 die Kanzel) fertig gemacht hätten,
unmöglich iß. Ueberdies liegt es wohl ganz in der Natur der Sache, dal's
der Meißer felber die intereflantere Hauptarbeit übernahm, die Statuen.
Hier in dem gefügigeren Stoffe konnte er feiner Phantafle die Zügel fchiefsen
laßen, während der fpröde Sandßein ihn in läßige Gefetze gebannt hätte;
feine Bearbeitung überliefs er all'o den Gehilfen; doch fieht man wohl, wo
des Meißers Hand bei fchwierigen Partien geholfen hat. und folche lind
dann ebenfalls unvergleichlich fchön, z. B. die Putten an dem Säulenlchafte
der Kanzel, die fich prügeln.
Der Meifter. Wer war nun der Meißer diefer Kunßwerke? Wie wir fchon er-
wähnten, hat er fich an der Confole unter der Statue des h. Moritz als
Wappenhalter in ballier Figur porträtirt. Abgeffofsen find ihm freilich die
Nafe, die Arme und mit letzteren das Werkzeug. Zirkel, Meifsel, Hammer
oder dergl., welches er wahrfcheinlich hielt, aber der ganze Habitus der
F'igur läfst keinen Zweifel darüber, dafs wir hier wirklich des Meißers Biki-
ni fs vor uns haben. Weder fein Name noch fein Zeichen iß auf zufindet!
gewefen.
Das Geftüht, Zur ferneren Ausßattung der Kirche gehört das hölzerne Ge-
ßühl an den Wänden der Neben fchiffe entlang. F'ig. 106. Die Sitze, welche
an der Südwand von der füdößlichen Treppe bis zum nächßen Portale
ßehen, und die ößliche Partie derer an der Nordwand find gleichzeitig und
zwar mit dem Dome felbß entßanden. Wir haben allen Grund anzunehmen,
dafs fie anfangs ihren Platz, im Chore hatten, weil fich dafelbß keine mehr
befinden und wenigßens die an der Südwand jetzt vor einer urlpriinglichen
Eingangsthür ßehen, die fpäter erß vermauert worden iß. Diefe genannten
Stuhlreihen haben zu der urfpriinglichen Ausßattung der Stiftskirche ge-
hört, weil fie fich in ihren eichengefchnitzten Zierrathen ganz dem Stile der
eben befchriebenen, ßeinernen Arbeiten anlehnen, ja wir gehen vielleicht
nicht fehl, anzunehmen, dafs auch zu diefen Holzarbeiten der unbekannte
Meißer jener die Angaben in Bezug auf die Compofition gemacht hat. Die
moderne Zeit hat ihren Kunßwerth verkannt, und das fchöne Eichenholz
iß mit Oelfarbe angeßrichen worden , überdies iß mancherlei Schädigung
nicht ausgeblieben. Vor allem fehlt der höher hinauf gehenden Rückwand
der Stuhlreihe an der Wand jetzt die Bekrönung, die baldachinartig nach
vorn überhing. Die allgemeine z\nordnung gleicht der gewöhnlichen an
den Chorßühlen älterer Zeit ; die hintere der beiden Reihen iß ein Wenig
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MF. DOMKIKCHF.
Li 7
höher als üie vordere, beide haben Mifericordien und aulklappbare Sitze.
Die Profilirung und die Ornamentation trägt im wefentüchen noch gothifchen
Charakter. Lebhafter Wechfel der lichten und tietfchattigen Partien und
ebenfo anziehende wie lehrreiche Profilcompufitionen zeichnen diefe Stühle
vor ganz ähnlichen in der Ulrichskirche aus. welch letztere in ihren älteren
Stücken zwar den llrengeren Stil einer etwas früheren Zeit voraus haben
und vollere und nicht fo bizar eckige Formen zeigen, dafür aber an geift-
reicher C'onception den unferigen nachllehen. Wohl mit Ablicht ili als
vegetabiles Ornament zur Belebung der Koplbretter der Stuhlreihen öfter
Weinlaub reliefirt worden; die Reben lind ziemlich naturaliliirch gefchnitz.t
und dabei ftets noch in gothifcheni Sinne geordnet. In den Figuren dagegen
macht lieh auffällig die gleiche Auffalfung und Behandlung wie an den
fteinemen der Kanzel bemerkbar. Sie find immer am Ende einer Reihe
angebracht, ganz frei gearbeitet, in halber Figur als Bekrönung des Seiten-
brettes. Die befchränkte Stärke des Bohlenltückes, aus dem fie gefchnitzt
werden mufsten, macht lieh zuweilen dadurch unangenehm fühlbar, dafs die
Figuren Ilellenweife platt gedrückt ausfehen.
Dargeftellt ili im nördlichen Seitenfchiffe bei dem Sacrilleieingange
der h. Auguftinus in feiner bifchöflichen Tracht mit der Mitra auf dem
Kopfe und mit dem Hirtenliabe, dem die Krümmung abgebrochen ili, in
der Linken (f. Fig. itb). Man erkennt ihn an dem pfeildurchllochenen
Merzen auf einem Buche, das er im rechten Arme hält. Kbendafelbll an
dem Seitenbrette der hinteren Stuhlreihe, welches hoch bis zu dem ehemaligen
Baldachin hinaufgeht, fehen wir als Reliel gefchnitzt unten eine ornament-
umrankte Säule und auf derfelben die h. Magdalena, zwar kleiner im
Maafsllabe aber in ganzer Figur. Sie hält eineSalbbüchfe. Zwei gekreuzte
llolzfcheite, mit einem runden Behältnifse zu einem Gehänge vereinigt,
lieziehen fich wohl auf ihre Legende. An den Stühlen diefes Seitenfchiffes
ifi ferner dargeftellt als bekrönende Halbfigur ein Ritter mit dem Schwerte,
vielleicht der Patron der Reifenden, der h. Georg. Vor fich hält er eine
fehr kleine, mit einem Mantel bekleidete Figur, die jetzt fo zerftörl ift, dafs
fich nicht erfehen läfst, ob fie einen Armen, einen Mönch oder überhaupt
im Allgemeinen einen Reifenden darftellen foll.1 Die letzte Halbfigur hier
ift der Apoftel Johannes. Er ift bartlos, hat llark lockiges Haar und hält
den Kelch, dem fich die jetzt abgebrochene Schlange entwindet. Im Töd-
lichen Nebenfchiff findet fich gefchnitzt der h. Chriftophorus mit dem
Kindlein auf der Schulter und mit einem Baumftatnm in der Rechten.
Weniger bedeutend ift die Stuhlreihe, welche die weftliche F’ortfetzung
diefer hefchriebencn Stühle im nördlichen Seitenfchiff bildet. Sie gehört
wohl dem Ende des 16. Jahrhunderts an und wird gemacht fein, als der
Adminiftrator Joachim Friedrich den Dom wieder etwas herftellen liefe. Es
finden fich hier nicht mehr im geringllen gothifclie Anklänge in den Details.
Wir fehen üppige, etwas geleckte Akanthusblätter, vielfach Kerbfchnitte
als Bandmotiv fowie hübfeh gedrechfelte Docken zur Unterftüt/.ung der
* Mögliclicrwcifc könnte es auch der h. Martin fein.
B. D. d. Hau- u. Kunstd. N. F. I. i;
IMF STADT HALLK U. d. SAAI.KKI IS.
Geftühl.
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IHK OOMKIKCIIK.
*59
Mifericordien. Der Vergleich der älteren Stühle mit dielen i!t interelTant
durch die erfichtliche Weife der Umgollaltung folcher Mobilien.
Zu der Kirchenausffattung gehören auch die durch den Herzog Auguli. Barocke
den letzten Adminillrator des Erzftiftes Magdeburg, um die Mitte des Ar,,'l,e"
17. Jahrhunderts eingebauten hölzernen Emporen und der Altar, beides,
wie von diefer Zeit wohl zu erwarten ilt, von geringem Kunftwerth.1 Palm-
blätter und Palmbäume. Stoffgehänge, zahlreiche, lange, nichtsfugende
Infchriften, unförmige Engel- und Weiberfiguren mit flatternden Bändern
und Kleidern in theatralischen Stellungen, alles pomphaft bemalt und von
(fold überladen, das find die Schmuckmittel der rohen Kunft jener ver-
wilderten Zeit nach dem dreifsigjährigen Kriege. Stipes und Menfa des
Altares find fchmucklos, der koloflale Aufbau hat eine Anzahl nicht ganz
fchlechter Oelgemülde. Unten links fehen wir den Stifter Herzog Auguli
mit feinen fünf Söhnen, rechts feine Frau mit fechs Töchtern* zwilchen
beiden Bildern ilt das Abendmahl dargeltellt, über diefem Chrillus am
Oelberge, wolkenumwallt vor ihm die lichte Engelfigur, ganz oben Chriftus
in feiner Herrlichkeit.
Die letzten zur kirchlichen Ausftattung gehörigen Stücke würden die Glocken,
drei Glocken fein, die auf dem Kirchehboden über der Aplis hängen, 1 80.5
von Carl Friedrich Ulrich in Apolda infchriftlich gegolTen find und die
Durchmeffer o.pz", 1,10* und 1,30" haben.
Mit der Kirche felblt nichts gemein haben verschiedene Epitaphien an Epitaphien,
der Nordwand. Unter ihnen ilt das ältefle ein (teinernes, zu ebener Erde
der Wand des orflen, weltlichen Joches neben der vermauerten Thür ein-
gelalfen. Es gehört dem Stile nach der gothifchen Spätzeit, etwa dem
Beginn des 15. Jahrh. an. Unter einem Kleeblattbogen mit einem Wappen
in jedem Zwickel fteht, in der Vorderanficht in ziemlich Itarkem Relief dar-
geliellt, eine lange, weibliche Figur im Mantel und mit einem Gürtel um
den Leib. Nach gothifcher Weife ilt unter ihren Füfsen ein Unthier. Sie
hält in der Hand ein Wickelkind, ein Umfland, der mich vermuthen läfst.
es fei der Grabltein einer vornehmen Frau, die im Wochenbette geltorben
ilt. Jede Infchrift fehlt. Trotz der dicken Kalktünche erkennt man, dafs
die Arbeit eine gute ilt.
Von den anderen Epitaphien, die fich meilt über der nördlichen Empore
befinden, ilt zu erwähnen ein aus fchwarzem und weifsem Stein gemachtes,
der erlten Hälfte des 17. Jahrhunderts angehörig. Es ilt in der Art der
Epitaphien im Chor der Ulrichskirche gehalten und wohl auch von dem
Meifter des fpäteren derfelben gefertigt. Unten wird die Infchrift von
fchwülltigem Ornament umrahmt, darinnen find Eingelsköpfe mit wild
flatternden Haaren; ein Engel hält ein Stundenglas, ein anderer einen
1 Nur die Chorfchrnnken verdienen einige Beachtung, weil fic eine gewandte Technik
bekunden. Leider kann diefelbe unter dem jetzigen weifsen Oclfarbenanftrich nicht hinreichend
erkannt werden, und fo wird der Werth der Stücke meid unbeachtet gclaffen.
2 Unverhüllter kann fich «1er Donator wohl nicht verewigen, als cs hier gefchchcn ift;
doch lag folchc Weife wohl im Geiftc der Zeit,
»7*
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Predigerhäufer.
260 1 >1 R STADT HALLE U. d. SAALKKKIS.
Todtenkopf. Das unterlle Relief Hellt die Verkündigung dar. Wir lehen
Maria mit offenen Armen und den Erzengel Gabriel; Strahlen brechen
durch zahllofe Wolken und herabfliegt die Taube. Engelchen fchweben
über der Scene, den Hintergrund bilden Architekturen. Das weit aus-
ladende Gefinis trägt vier betende Figuren in kniender Stellung, jedenfalls
lind es der Entfchlafene und feine Angehörigen. Zwifchen verkröpf'ten
Säulen, die weibliche Figuren tragen, befindet (ich ein Relief", die Geburt
Chrifti mit den anbetenden Hirten darllellend. Wolken und Lichtftrahlen
find auch hier reichlich in fchablonenhafter Weife angebracht. Ganz oben
ift die Kreuzigung reliefirt. Da der Stil der Arbeit dem an den erwähnten
Epitaphien der Ulrichskirche gleicht, fo verweifen wir auf das dort über
denfelben Gefagte.
F.in anderes Epitaphium ebendafelbft hat die Form eines Oel-
bildes auf Leinwand gemalt und ift holzumrahmt. Die mit Wappen
bemalte Architektur des Rahmens ift unbedeutend. Auf dem Gemälde felbft
ift oben ein Wappen zu fehen und darüber der Name Polschnitz 1625. Das
Bild ftellt Chriftum mit der Dornenkrone dar, das Kreuz tragend; in feiner
voraustaftenden Hand fehen wir das Nagelmal, ein Engel mit einer Zange
eilt vorweg. Der Hintergrund ift fehr dunkel. Die faltige Leinwand und
die verblafsten Farben beeinträchtigen das Ausfehen; diefer Umftand und
der, dafs die Linien der Zeichnung fchon fo bewegt find, läfst anfangs aut
ein weniger gutes Bild fchliefsen; allein die Darftellung ift doch meifterlich
und in ihrer Wirkung packend . überdies ift die Malerei bis in alle Details
mit Liebe und Sorgfalt ausgeführt. Noch ein anderes Oelbild, von reicherer
und fpäterer Architektur umrahmt, dient als Epitaphium. Chriftus erweckt
den Jüngling von Nain. Unter den Nebenfiguren fehen wir auch den, dem
das Grabmal gewidmet ift, fammt feiner Frau, beide in der Tracht ihrer
Zeit und genau porträtirt. Die Darftellung ift äufserft lebhaft und barock (an
RubensTche Art erinnernd), doch hat auch fie noch künftlerifches Intereffe.
Als Anhang zu der Befchreibung des Domes erwähnen wir, dafs die
zugehörigen Predigerhäufer ebenfalls aus dem Anfänge (?) des 16. Jahr-
hunderts (lammen. Es befinden fich in ihnen noch einige gut profilirte
Balkenträger bez. Deckenträger, die wie im Thalhaure aus drei einzelnen
Balken zufammengefetzt fein werden, auch etwas Deckentäfelung fieht man.
Beachtenswerther ift die Fortfetzung der Pfarrwohnungen gegen Norden
und an der Nordfeite der Kirche. Durch diefe Gebäudepartie ift noch ein
Stück des Klofters und Kreuzganges erhalten. Sie hat zwei in Kreuz-
gewölben mit wappenverzierten Schlufsfteinen überdeckte Gefchoffe, von
denen das untere jetzt zu Lagerräumen benutzt wird, während in dem oberen
fich das Kirchenarchiv befindet.
Von technifchem Intereffe ift unten das Bruchftück eines Ziegels, der
die unterften (Kämpfer-) Schichten einer Kappe erfetzt hat; man fcheint
hier demnach zu folchem Zwecke grofse Ziegeln befonders geformt und
gebrannt zu haben. Im Obergefchofs giebt es einige fteinerne Thürgewände,
unter denen ein fpätgothifches mit naturaliftifcher Ausbildung der Rundftäbe
(Zweig mit abgefchnittenen Trieben) als intereffant erwähnt werden mufs.
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in K ixj.mkikciii:.
’6l
Zum Schlufs mache ich noch darauf aufmerkfam, dafs im Pfarrgarten Capitälc.
unter Epheu gebettete Capitäle liegen, die von den zum Dombau aus
anderen Kirchen zufammengetragenen übrig gewefen fein werden. Sie lind
natürlich fertig ausgearbeitet und zwar weift ihr Stil auf die Mitte des
14. Jahrhunderts hin.
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Die Ncumarktkirchc.
Einleitung. \ V enn von Droyhaupt darin Recht hat, dafs der Flecken Neumarkt
Hau« tkhu lue. ,jje vor [ lalle erbauten } läufer derer entftanden ifl . welche von dem
Klofter zum Neuen Werk „ihre Nahrung gehabt“ haben, fo miillen die
Umftände, welche das Kmporbliihen des Ortes bedingten, fehr günflige
gewefen fein; denn das Klofter zum Neuen Werk wurde mö gegründet,
die Gemeinde aber war fchon ein Vierteljahrhundert fpäter fo angewachfcn.
dafs fie eine eigene Pfarrkirche erhielt.1 Man habe 1570, fo berichtet
von Dreyhaupt, den Altar umgefetzt, ohne Zweifel an die Stelle, die er
noch heute inne hat; dabei habe man die ReliquienbehältnilTe und an diefen
das Siegel Conrads gefunden, des Erzbifchofs von Magdeburg in den Jahren
1135 — 114z. Im Jahre 1241 wurde die Kirche, die dem h. Lorenz geweiht
war und deswegen auch heute noch die Luuren ti uski rche lieifst, fowie
ihre Pfarre dem Klofter zum Neuen Werk förmlich incorporirt. Die
romanifchen Formen der älteften Theile des auf unfere läge gekommenen
Baues widerfprechen der Annahme einer Gründung in diefer Zeit nicht;
es geht aus ihnen hervor, dafs die Kirche von der Gröfse der meiden
gleichzeitigen Dorfkirchen der Umgegend gewefen ifl, deren fchlichtes
Ausfehen fie anfangs auch gehabt hat, indem fie aus einem regelrecht
oricntirten Schiffe mit weltlich vorgebautem, von Norden nach Süden ob-
longem Thurme beftand und in einem forgtältig in vollen Mörtel gebetteten
Bruchlleinmauerwerk mit Eckquaderung ausgeführt war. Welchen Chor-
fchlufs das Schiff gehabt hat. nämlich einen ftumplen oder eine Apfide,
kann nicht mehr erfehen werden, da man die Kirche, als fie für die Menge-
der Befucher zu klein wurde , nach Ollen zu durch einen neuen , mit drei
Achtecksfeiten fchliefsenden Chor verlängerte, deffen Formen, namentlich
das im Dachboden noch Achtbare Hohlkehlenhauptlims auf die fpätgothifche
Zeit fchliefsen lallen. Auch eine fpitzbogige Thüröffnung, die an der Nord-
reite einige Meter über dem Terrain in der Thurmmauer angelegt ift. mufs
in die fpätgothifche Zeit gefetzt werden. Ob endlich, wie wir glauben, das
gothilch profilirte, fpitzbogige Gewände der Thür gegen Ollen, die durch
eine Wand der Barockzeit führt, trotz feines gut erhaltenem Zullandes alt
ift, oder ob es vielleicht erll in unferem Jahrhundert nachgebildet ift, lalfen
wir dahingellellt, weil fich aus dem bereits Angeführten hinlänglich ergeben
dürfte, dafs fchon in fpätgothifcher Zeit eine nicht unbedeutende bauliche
* Sind daher die erften Ncumärkter vielleicht die Werklcutc bei dem Baue des Klofter*
«um Neuen Werke gewefen?
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OIE NEUMAKKTKIKCHE. 263
Veränderung behufs Vergröfserung llatt gehabt haben mufs. Und das
wird vollends erwiefen dadurch, dafs 1570, wie wir wirten . der Altar von
feinem urfprünglichen Platze, der ja weiter weftlirh als der jetzige gelegen
haben mufs, an den gegenwärtigen verfetzt worden ift, was nur gefehehen
fein kann, wenn eben diefer dreifeitig fchliefsende Verlängerungsbau vor-
handen war. Diefer umlländliche Nachweis ift nöthig, weil wunderbarer-
weife die Chronillen über diefe Bauveränderung fchweigen. Dahingegen
berichten fie. dafs 1582 (wegen Baufälligkeit? aus von Dreyhaupt s dies-
bezüglichen Worten geht das nicht mit Gewifsheit hervor) ein Kirchenbau
hat gefehehen foilen, dafs die fromme Frau Katharina des Markgrafen
Joachim Friedrich folches Werk hat fubventioniren wollen, dafs Nickel
llofman1 bereits einen Koftenanfchlag gemacht hat und dafs der Plan der
unerfchwinglichen Köllen (3000 Gulden) wegen nicht zur Ausführung
gekommen ift. 1611 jedoch foll die Kirche wenigftens ausgebelfert fein,
wobei fie „inwendig geändert und weiter gebauet worden" ift. Diefe Worte
lalTen fich nur auf die Mauern beziehen, von denen das alte romanifche
Schiff mit feinem gothifchen Chor umfchlolfen wird und durch welche der
Innenraum, nachdem die alten Wände unten zu einer flachbogigen Arkade
mit achtfeitigen Pfeilern durchbrochen waren, gleichfam dreifchiftig geworden
ill und zwar fo, dafs das an die Nordleite angebaute Stück tiefer als das
an der Südfeite ift. Da nun aber zu diefer Zeit, um 1611, die Formen der
Fenfter- und Thürgewände allerdings nicht paften, fondern erft dem Ende
des 17. Jahrhunderts angehören können, und da thatfächlich aus dem letzten
Decennium des 17. Jahrhunderts uns an einem folchen nordöftlich vermauerten
Gewändellücke, einem korbbogigen Sturz mit Medaillonbekrönung, folgende
Infchrift erhalten ift:
Gott zu Ehren der Kirchen zur Zierde und Verbesserung ist
dieser Bau angef3ngen und glüklich vollendet worden Anno
Christi 1690,
fo könnte man glauben, die Mauern entflammten wirklich erft dem Ende
des 17. Jahrhunderts, wenn nicht unter anderen bereits 1656 ein Täfelchen
ziemlich hoch der Nordoftwand eingelalfen wäre mit der Angabe, Jemand
hätte im genannten Jahre dort Linden. Birken und andere Bäume gezeuget.
Auf die Epitaphien früherer Zeiten fleh zu berufen, die man in der Wand
lieht, ift unthunlich, weil wenigftens nicht alle fogleich zu ihrer Entftehungs-
zeit, fondern erft zu irgend einer fpäteren Zeit z. B. 16 n dort Platz gefunden
haben. Um 1690 hat alfo der Infchrift zufolge wiederum eine bauliche Ver-
änderung llattgefunden und, wie gefagt, müffen die Thür- und Fenfter-
gewände diefer Zeit zugefchrieben werden, vielleicht auch die Thurmanbauten
im Norden und Süden und anderes nicht gerade beftimmt zu erweifendes.
Uebrigens lefen wir auf dem erwähnten Sturze noch eine zweite Schrift
und zwar während die genannte in dem Medaillon der Bekrönung lieht, ill
diefe der Archivolte eingemeifselt, wahrfcheinlich als das ganze Steinllück
* Hiernach alfo lebte dcrfelbe 1582 noch.
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I»IK STADT HALLK u. d. SAALKKE1S.
K«»manifchc.
Thcile.
Glocken.
264
feinem eigentlichen Beftimmungsorte entnommen ward und mit Rückficht
auf die erftgenannte Infchrift aus Gnaden an feine jetzige Stelle zur Er-
haltung kam; fie heifst: Anno 1751 ist diese Kirche repariret und auf der
Mitternacht -Seite erhöhet worden. Hieraus ergiebt fich, wann die
romanifche Nordwand auch oben zu einem zweiten GefchofTe durchbrochen
ift und die oberen (Empor-) Stuben diefer Seite eingerichtet find. Auf die
moderneren Reparaturen gehen wir nicht weiter ein.
Diefe Gefchichte des Baues, der wie wohl zu allen Zeiten fo noch heute
inmitten feines ftillen Friedhofes liegt, ergiebt hinlänglich, dafs von einer
Befchreibung der Refte, welche von feiner erften Geftalt übrig geblieben
find, und ebenfo von der der verfchiedenzeitigen Zulatze Abftand genommen
werden kann, um fo mehr, da die Kunftformen fart bedeutungslos find. Nur
in dem oberften Thurmgefcholle, der Glockenftube, finden fich noch einige
bemerkenswert he Kunftformen der älteften Zeit, wie fich denn überhaupt
merkwürdigerweife diefe obere Thurmpartie in ihrer urfprünglichen ro-
manifchen Ausbildung zumeift erhalten hat, während die untere durch die
fpäteren Renovationen entweder befeitigt oder erneuert worden ift ; wir
erinnern nur an die hochgelegene, fpitzbogige Thür in der nördlichen
Thurmwand. Die erwähnenswerthen rotnanifchen Formen der Glocken-
ftube finden fich in den F’enftern oder Schallöchern F'ig. 107, deren es dort
anfangs fechs gab, fo geordnet, dafs je zwei nach Ollen und Wellen und je
eins nach Süden und Norden lagen. Ohne auf die Veränderungen der
fpäteren Zeiten einzugehen, durch die (latt der beiden welllichften eins in
^ie Wandmitte gelegt ift und auch lonll neue Theile zugefügt worden lind,
bemerken wir über die urfprünglichen, wenn auch verwitterten F ormen des
12. Jahrhunderts, dafs jedes Fenller nach innen mit einem grofsen, nach
aufsen mit zwei kleinen Rundbögen überdeckt ift. Letztere einerfeits ohne
Kämpferauszeichnung von der Laibung des Fenllers, deren Breite die ihrige
nicht hat, fich loslöfend, ar.dererfeits aut einem Säulchen aufftehend. durch
welches die ganze Oeffnung inmitten getheilt wird, laften das Fenller
von aufsen gekuppelt erfcheinen. Die Säule hat über einer viereckigen
Platte eine attifche Balis in der romanifchen Proportionirung d. h.
ihre beiden Wülfte und die dazwifchen liegende Kehle find weniger
ausladend und dem Säulenfchafte gegenüber viel gröfser als in der Antike.
Der Schaft hingegen ift beträchtlich kürzer und dark nach oben verjüngt.
Das Capital endlich, aus einem Würfel nach unten zu kelchartig gearbeitet,
verknüpft fich dem Schafte durch einen Rundllab, ift mit Hach anliegenden,
falop gearbeiteten Blättern ziemlich nichtsfagend gefchmückt und nimmt
mittelll einer viereckigen Abakusplatte die beiden überhöhten Bögen auf.
Indem wir uns nun zu den einzelnen Kun ft werken wenden, finden
wir gleich hier oben in der Glockenftube das ältelle, welches diefe Kirche
belitzt und welches unter Seinesgleichen das ältelle in Halle überhagpt
fein wird, nämlich die kleinfte Glocke von den drei hier hängenden.
Sie hat einen unteren DurchmelTer von 0,60“, eine dadurch etwas
plumpe Form, dafs ihr Kranz weit ausladet, während ihre Haube ver-
hältnifsmäfsig klein ift und fich mit dem Hälfe gliederlos in weicher
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DIB N'KUMAKKTKIKCHK
Linie verbindet. Oben wird die Glocke von folgender Majuskel fchrift
umgeben :
o • Rax • v(ii?i • avm • i*a
(Gfi ifl zu ergänzen und fehlt, weil der Schreiber den Raum nicht gut ab-
Romanifchc* Fcnftcr tlcr Glockenltube (von dirfcr aus jjefchcn).
getheilt hatte, fodafs er nicht mehr auskam). Die Buchllaben find durch
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TaufAcin.
266 I >1 K STADT HALLK u. d. SAAI.KKUS.
fchwaches Einritzen in den Mantel entlianden. Zu einem breiten Hände
ausgebildet wird die Umlchrift durch je zwei flache, fie oben und unten
begleitende Parallelftreifen (Riemen), nicht durch gedrehte Bänder, ln An-
betracht diefer Geftalt fcheint mir die Glocke noch in der erllen Hallte des
14. Jahrhunderts gegoflen fein.
Die zweite Glocke mit einem DurchmeUer von 1,18“ hat wegen ihrer
Halsumfchrift in Minuskeln Intereffe, welche lautet:
o ronfiilflr . oioa . Uro . mortna . prflo . noriou . anno . Domini . ■ .
tat . Iioti 1 .
Die dritte Glocke mil'st 1.13“ im unteren Durchmefler und gehört der
Renaiflancezeit an. Aus ihren Auffchriften hat für uns InterelTe ihr um
den Hals gehender Spruch:
ICH RUFE DIE LEUT MIT MEINEM KLANG IN DIE KIRCH
ZVM WORT VND GESANG ferner das Jahr der Entftehung:
ANNO DOMINI MDCII und das unten am Kranze Stehende:
GEORG WOLGAST GOSS MICH.
Unter ihrer Halsumfchrift zieht (ich ein aus Blättern und kleinen Kartufchen
bellehendes Gehänge, das diefelbe Form hat, wie lie lieh an den übrigen
von diefent Giefser hergeftellten Glocken befindet z. B. an der gröfsten
Glocke zu S. Ulrich. Aufserdem ift mitten auf der Glocke noch ein Crucitixus
in erhabener, gut modellirter Arbeit zu l'ehen.
Wir kommen zu einem anderen Werke der Kleinarchitektur, dem
alten Tauffteine, Eig. 108, den man in moderner Zeit durch einen neuen
erfetzen zu müflen fürnöthig befunden hat. Und obwohl man einen folchen
alten Stein, Jahrhunderte lang ein geweihtes Stück, an dem die Ahnen und
Urahnen der Gemeindemitglieder in die chriltliche Kirche aufgenommen
lind, ohne eine gewille Ehrfurcht nicht wird betrachten können, fo hat man
ihn dennoch aus der Kirche verwiefen, damit er nunmehr vor derfelbcn
diene als — Blumentopf! Er ift aus einem Stein gehauen und gleicht etwa
einem niedrigen, einfachen Kelche, indem fein mehrfeitiger Fufs durch
Vermittelung eines Rundltabes concavlinig in den breiten, runden Bauch
des von oben gehöhlten Gefäfses übergeht. Den Bauch fchmückt ein
krältig reliefirter, doch unfehöner Kranz von fpätgothifchen , gebuckelten
Blättern; aufserdem lieht man an dem Steine den h. Laurentius, als Diacon
gekleidet, in aufrechter Stellung mit dem Rolfe, feinem Marterwerkzeuge,
in der Rechten und einer Siegespalme in der Linken. An dem oberen
Rande zieht lieh rings ein breiter, glatter Streif um, auf dem man über der
Lorenzfigur die Jahreszahl m . ttft | Imill | lieft; plalfifch lind jedoch nur
die eingerahmten Zahlzeichen, während die anderen aufgemalt find. Mag
* Nach von Dicyhaupt’s Angabe wäre fie 1464 gegoffen.
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IHK NI I M tKK I KIKCIII:.
267
nun auch die Farbengebung , die lieh über den ganzen Taufflein erftreckt,
nicht mehr die erfte fein, Hindern Auffrifchungen erfahren haben; fo glauben
wir doch annehmen zu dürfen, ilal> der l-'ul's bis zu dem Rundftabe
urfprünglieh rothbraun und der Ci rund darüber blau war, während das
Rankemverk, die Figur und der obere Rand (?) Vergoldung hatten. Die
ganze Ausführung und Krfindung iil handwerksmäfsig.
Wenn wir hierauf die beiden Sitzrelle eines gothifchen Chorgeftühls
erwähnen die hinter dem Altäre liehen, fo geschieht es nur, weil lie denen
in der L'lricliskirche ähnlich und vielleicht mit ihnen gleichzeitig find.
Wir gellen zu der Ilefprechung des Altares der Kirche über. Wie
fehon erwähnt iil, lieht er fett 1570 nicht mehr an der Stelle, die ihm bei
der Kirchengründung gegeben war, hindern ili mehr nach Werten verletzt
worden. Das gilt aber nur von der Menfa, der man dabei auch ihre
Kitf. t öS .
Reliquien genommen hat. Das für unlere Retrachtung Intereffante, der
Schrein aut diefer Menfa iil erli in dem Jahre 1570 aus der Templerkirche
zu Mücheln an der Saale bei Wettin als ein Gefchenk des Kanzlers
Trautcnbuhl, dem damaligen Befitzer Müchelns, in die Neumarktkirche
gekommen. Der Schrein iil ein Triptychon, de (Ten Flügeln aufsen die Ver-
kündigung Mariae aulgemalt ili, während nach Hoffnung der Flügel
das Schreininnere einen Profpect farbiger llolz.fculpturen darbietet. Von
1. -horftühle.
Altar.
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268 IHK STADT HALLK u. d. SAALKKKIS.
der Malerei — auf einem Flügel ift Maria, auf dem anderen Gabriel dar-
geftellt — wäre nur zu fagen, dafs, nachdem fie eine Uebermalung in (M
erlebt hat — fie war auf Holz in Temperafarben ausgeführt — fie jetzt
völlig werthlos ift; man erkennt jedoch aus den Linien, dafs hier noch
gothifche Auffüllung den Pinfel geführt hat. Bei geöffneten Flügeln fleht
als erfte Figur links Johannes der Täufer, bärtig in härenem Unter-
gewande und ein Buch, auf dem das Lamm liegt, haltend. Neben ihm fleht
ein Heiliger in Diaconentracht mit Schwert und Buch; ich vermuthe,
dafs er diefe Attribute nicht immer gehabt hat, fondern dafs er einen Roll
hielt und alfo der Titelheilige der Kirche Laurentius war. Aus feinen
jetzigen Beigaben ift nicht ficher anzugeben, wer er fein Toll- Die nächlle
Figur fleht bereits in dem unbeweglichen Mittelftücke des Schreines; es ift
die h. Katharina, weil fie ein zerbrochenes Rad hält. Nun folgt als die
Hauptfigur, und deshalb gröfser im Maafsftabe gehalten, Maria mit dem
Kinde. Die nun folgende ift die h. Barbara; fie hält einen Kelch, ln
dem anderen Flügel folgt der h. Moritz als völlig geharnifchter Mohr mit
Fahne, und neben ihm fleht ebenfalls ein geharnifchter Krieger, der wohl j
ein h. Victor oder Alexander aus der thebailchen Legion fein fod.
Eine weiter gehende Befchreibung ift überflüffig, da 186g der ganze Altar-
fchrein eine Reflauration erfahren hat, bei der an Glanzgold, Ultramarin-
blau u. f. w. nicht gefpart ift. Ueberdies ift als Predella ein holzreliefirtes
Abendmahl Und in einem neuen architektonifchen Aufbau eine Chriftus-
llatue mit je einem Heiligen (Laurentius und Stephanus) zur Seite zugefügt
worden. Ein Vergleich diefer Zuthaten mit den zuvorgenannten alten
Statuen wird dem Befchauer fogleich klar zum Verftändnifs bringen, ob die
modernen Holzfchnitzer von den alten noch etwas lernen können. Wir
kommen noch einmal auf die befchriebenen, alten Figuren im Schreine
zurück, um zu fagen, dafs fich unter ihnen die drei weiblichen auszeichnen,
ein hübfches ovales Geficht, ein lieblicher Mund, eine hohe Stirn, guter
Faltenwurf und die hier nicht unangenehm wirkende S-linienhaltung find
ihnen charakteriftifch. Sie machen den Eindruck, als ob fie etwas älter
wären als die männlichen und nicht viel fpäter als um die Mitte des
15. Jahrhunderts entllanden fein könnten. Es ift jedoch durch die Renovation
ein ficheres Urtheil überhaupt unmöglich gemacht.1
1 Hs itt auffällig, dafs von Dreyhaupt und neuere Autoren 1. B, Knaulh: (Heimathsbunde)
und vom I lagen in den Klügeln die heiligen drei Könige und den Evangeliften Matthäus
nennen; die genannten neueren Schriftfteller bezeichnen die Figuren auch als fteinerne. Letztere»
ift wohl nur ein Irrlhum, aber ob nicht vielleicht erft 186g bei der Renovation an Stelle der
Könige und des Matthäus die jetzigen getreten find, vermögen wir nicht zu fagen. Dafs dei
Altar unter Eintlufs des der Ulrichskuxhc cnl (landen fein foll, wie Kuglcr: Kleine Schriften II. 2g.
ohne crfichtlichc Merkmale an/ufiihrcn , meint, kann ich nicht einfehen. Im Gcgcntheil glaube
ich, dafs die urfprünglichcn Stücke zu St. Lorenz älter als die zu St. Ulrich und ,,im Ganzen“
jedenfalls geeignet find bcz. gewefen lind, mit letzteren „«auf gleicher Stufe zu ftehen**, wa*
Kugler ebenfalls bcflreitet. Der Nachweis würde hier zu weit führen; es fei jedoch auf den
Vergleich der Körperproportionirung und des Faltenwurfes als befonders kennzeichnend bei
einer Vergleichung hingewiefen.
\
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DIR NIU'MAKKTKIKCHK. 269
Bemerkt mag mich werden, dals auf dem Altäre eine Bibel vom Jahre Bucheinband.
1703 liegt, die ihrer fchwungvoll gezeichneten Metallbefchläge wegen kunß-
gewerbliches InterelTe hat. Kinem ovalen Medaillon mit der Darllellung
des die Gefetzestafeln haltenden Mofes an der Vorderfeite entfpricht auf
der Rück feite ein ebenfolches mit Chrißo, der «las geöffnete Evangelienbuch
hält, doch ilt allem Anfchein nach diefes Medaillon eine fpätere Arbeit.
Von kunlfgewerblichem InterelTe ifl auch ein Schemel, welcher in Schemel,
einem Raume hinter dem Altäre lieht und wohl mehr Beachtung verdient,
als man ihm gegenwärtig fchenkt. Er hat eine phantaßilch zu Masken und
Kartufchen ausgefchnitzte I,ehne und gehört ohne Zweifel in die Mitte des
17. Jahrhunderts. Kaum noch einige Beachtung verdient dag«»gen der
hölzerne Crucifixus aus dem Ende des 17. Jahrhunderts!?), welcher auf Crucifimis.
dem Kirchenboden liegt.
Unter den Grablleinen aufsen an den Kirchenwänden hat jener an' Grabaeine,
der Nordweflecke zumeill Werth. Zwar i(! die Umfchrift nicht mehr überall
leferlich. aber das kräftige Relief eines gehamifchten, fchwertumgürteten
Ritters, lebensgrofs in etwas theatralifcher Stellung, den Helm zu Füfsen,
einen Hammer (?) in der Rechten haltend und neben lieh vier Wappen, läfst
mit Rückficht auf die gute Arbeit ficher auf die letzten Decennien des
16. Jahrhunderts fchlielsen.
An der Nordwand eingemauert un«i fall verdeckt durch ein werthlofes Chriftu«.
Epitaphium ill auch ein kleines, beinahe frei gearbeitetes Relief der Figur
Chrilli (im Elend?). Chrillus legt die Hände über der Brüll zufammen, ill
bis auf einen Schurz nackt und hat einen fcheilxmartigen Nimbus hinter
dem Kopfe. Die Arbeit gehört der gothifchen Zeit des 15. Jahrhunderts
an und ill, wiewohl befchädigt und verwittert, doch noch von einer Vor-
züglichkeit namentlich in der Haltung und den Körperproportionen, wie
man es nur feiten an anderen gleichzeitigen Stücken lieht.
Unter den Geräthen der Kirche ill das hedeutentWe ein Kelch, der GeGifte.
feinen Formen nach auch das ältelle darunter fein dürfte und in der letzten
Hälfte des 15. Jahrhunderts gemacht fein mufs. Er ill äufserll fchwer in
vergoldetem Silber ausgeführt. Ein verhältnifsmäfsig breiter, fechsblättriger
Fufs geht in einen runden Stilus über, an dem ein platt gedrückter, fechs- *
zapfiger Nodus fitzt. DieCuppa ill glatt. Der Stilus trägt über dem Notlus
die Schrift aut marin unter demfelben jratifl |llflt (offenbar für plena). An
«ler Vorderfeite der fechs Noduszapfen lieht in emaillirtem Felde je ein
Buchllal>e des Wortes i I) f 6 II S • Uebrigens zieren den Knauf Felder
mit eingeritzten Ornamenten von guter Zeichnung, die unteren find nur
vegetabilen Charakters, die oberen haben abwechfelnd pflanzliche Motive
untl geflügelte Unthiere. Der Fufs iß zwar oberhalb glatt und nur mit
einem frei gearbeiteten und dann aufgehefteten Crucifixe als Signaculum
verfehen. ihn umläuft aber ein Banti als durchbrochen gearbeitetes Ranken-
ornament, aus deffen Blumen Engelsköpfchen erblühen.
Von ebenfo Harkern, vergoldetem Silber wie der Kelch iß auch die
fchlicht belaffene Patena, die zu ihm gehört. Ihr eingravirtes Signaculum
hat eine ungewöhnliche Zeichnung.
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270
t)IF. STADT HAt.LE u. ci. SAAt.KKF.IS.
Ein zweiter Kelch von vergoldetem Silber mit umdieCuppa gelegtem
durchbrochenem, filbernem Ornament gehört wohl dem Ende des 17. Jahr-
hunderts an. Vor den Nodusfpitzen (teilt: J ^ ■ ß • $ • U • S- Iler
Fufs ift mit einpunktirten Ornamenten überzogen, in denen wir den Hahn
auf der Säule, den Rock und die Würfel föwie den Kelch neblt Patern'
als drei Gruppen dargeflellt finden. Auch das durchbrochene Silberornament
um die Cuppa gliedert lieh zu drei Gruppen; in der einen finden lieh Leiter.
Hefen. Beutel, in der anderen Schweifstuch. Kreuz und Nägel, in der letzten
Hahn, Stricke und Hammer vereinigt. Die zugehörige Patena ift völlig un-
bedeutend.
Ein dritter Kelch von vergoldetem Silber ift eine ziemlich werthlofe
Arbeit wohl fchon aus dem Anfänge des 18. Jahrh. Sein fechsblätteriger
Fufs hat einen erhaben gearbeiteten Crucitixus als Signaculum; an den
4e
Eine werthlofe
Nodusfpitzen lieht -f i f S I) S und an der Cuppa
Patena gehört zu ihm.
Ein Stück, welches fich durch feine Formen auszeichnet, ift die ältere
der beiden Weinkannen derKirqhe. Ueber einem runden, mehrgliedrigen
F'ufse lieht auf einem Hälfe mit Knauf inmitten ein langes, becherartiges
Behältnifs mit einerfeits einem Griffe, andererfeits einem Ausgufsanfatze;
es ift oben von einem mehrgliedrigen Deckel gelchloffen. Die grölsen-n
F'lächen an F ufs, Bauch und Deckel find von Kartufchen in wenig erhabener
Arbeit überzogen, den Griff fchmückt liilrichtig ein Bandmotiv; vor dem
unteren Griffende ift ein Wappen beteiligt, auf dem man die Buch Italien
A . S . und einen Zweig mit drei Dreiblättern lieht. Oben, da wo der Griff
fich mitGefäfs und Deckel verbindet, ift eine Darftellung der Dreieinigkeit
reliefartig dergellalt gebildet, dafs Gott Vater als Greis auf einem Throne
fitzt und einen Crucifixus vor fich hält, auf dem man oben eine Taube fieht. Su
unmöglich es auch fcheinen mag, die Dreieinigkeit fichtbar darzuftellen, fo ill
die Aufgabe hier doch in einer fo finnigen und verlländlichen Weife gelölt
dafs man zugleich überrafcht und erfreut wird. Mitten auf dem Deckel
lieht die frei gearbeitete, nur mit einem Schurz bekleidete Figur Chrilli mit
der Dornenkrone, das Kreuz (jetzt abgebrochen) im Arme haltend. Die
Figur wird im Deckelinnern durch einen .eingefafsten Stein (oder ein Glas-
llück) gehalten, in dem ein Wappen eingravirt ift mit den Buchllaben I D,
welche darüber liehen. Auf der oberen Hälfte des wagerecht getheilten
Wappens lieht ein halber Drache. Hat fich der Verfertiger hier verewigt
und hiefs er vielleicht Drachftedt? Das von DrachliedtTche Wappen ill
allerdings nicht ganz fo bei von Dreyhaupt gezeichnet. Ein fchmaler, glatter
Streif bildet den Deckelrand, auf dem ringsum lieht:
DIE THVGENTSAME ANNA SPEFERS HAT DIESE KANNE?) DEN
ALTAR ZV S. LORENTS VOR EHRET ANNO MDXCII.
Der jetzige Ausgufsanfatz ilt, wie der Augenfehein lehrt, nicht der ur-
1 Oder ift cs Becken und Kanne?
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DIK KKL’MAKKTKIKCHE.
*7
fprüngliche, welcher, um dem Charakter des Ganzen zu entfprechen , wahr-
fcheinlich eine doppelt gebogene Profillinie hatte. Die Silhouette der Kanne
ift meifterhaft gezeichnet und die Verhältnifle find mit gröfsefler Zartheit
geftimmt, fodafs die Arbeit ein kunltge werbliches Meifterftück genannt
werden darf.1
Der Fufs der zweiten Kanne ift nur als ein um den Boden des Be-
hältnilTes umlaufendes Profil gebildet, fodafs die Kannenform feidelähnlich
ausfieht. Auch der Griff diefer Kanne hat vor feiner unteren Endigung ein
Wappen, doch ohne Eingravirung; die Bekrönung des Deckels lehlt und
übrigens ift das Aeufsere glatt; nur fteht auf der Deckelmitte;
Soli Deo gloria und rings am oberen Getafsrande: Vasculum hoc
e. (wohl et) calicis atque patenae sacre scoliis vulcani flammis Ao.
167a mens. Martio a. 3 ejusdem, qui erat Domin: Reminiscere fere
consumtis in JEde D: lauten tij Natoforenium (forensium?) Prope
Halam pia liberalitate Dm. Christofori Beckeri ludicis et ./Edilis hij
Loci reparatum Stat. Fest(o?) paschat: Fenia | (feria?)
Die ältere der beiden Hoftienbüchfen derKirche ift filbern und hat
eine kaum nennensvverthe Ornamentation. Ihre Form ift einfach; die alte
Deckelbekrönung fehlt. Aut dem Deckel fteht:
IESVS
CHRISTVS
SALVS NOSTRA
am Deckelrande:
LORENTZ • VON • HETLINGK • VND • SEIN • WEIB • BARBARA •
SMITS • VOR • EHREN • DIS • IN • S • L • K • l(»05 •
Die zweite Hoftienbüchfe gehört der Barockzeit an. Sie beliebt aus ver-
goldetem Silber mit filbernen. durchbrochen gearbeiteten und aufgelegten
Ornamenten, ähnlich der Weife, die wir fchon an einem der Kelche
befprochen haben. In den fchwülftigen Pflanzenzierrathen um das Behältnifs
fparen lieh vier runde Medaillons aus, in denen fich die vier Evangeliften
nebft ihren Symbolen dargeftellt finden. In dem Deckelzierrath giebt es
zwei längliche, ovale Felder, eines mit der Darftellung der Kreuzigung , das
andere mit der des Abendmahles; als Bekrönung dient ein liegendes
Lamm mit der (abgebrochenen) Fahne. Die Deckelmitte im Innern nimmt
ein kranzumgebenes Wappen ein, über dem ein Todtenkopf mit der Jahres-
zahl 1684 fteht, während wir als Unterfchrift lefen: GOTTFRIDT SCHEVRING.
Es find fchliefslich noch zwei fiebartige Löffelchen, die Oblaten zu
nehmen, zu erwähnen. Der kleinere wird noch zu Beginn des 17. Jahr-
1 Vcrmuthlich King diefes Stück aus dcrfclbcn Werkftatt hervor, in welcher die Kanne
zo St. Ulrich, welche wir in den Figuren 77 — 80 dargeftellt haben, gefertigt worden ift. Es
find dietelbcn Motive der Ornamentik, und fogar diefelbe Darftellung der Dreieinigkeit findet
fich an der nämlichen Stelle angebracht.
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
hundert* gemacht fein. Er hat einen vielgliedrigen achteckigen Stil, deffen
Abfchlufs die gut gearbeitete Büße eines Mannes, vermuthlich des Donators,
bildet. In formaler Hinficht verdient er Beachtung. An dem gröfseren
Löffel, der gewifs fchon dem 18. Jahrhundert angehört, lefen wir die Buch-
Haben AK aut der Rückfeite feines flachen Stieles, vorn dagegen iß ihm eine
Rebe (?) eingravirt, deren Spitze das Lamm mit der Kahne bildet. Ein
Blutßrom, der Bruß des Lammes entfpringend, fällt in einen Kelch.
In den breiten, fiebartigen Lößei iß ein Crucifixus hineingravirt (man
hat lieh hier diefer Zeit fchon erlaubt den linken F'ufs Chrißi über den
rechten zu legen) und auf die Rückfeite der h. Laurentius, welcher lieh
auf einen Roß ßützt und die Siegespalme hält. Diefe Zeichnungen lind
mangelhalt.
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Die Glauchaifche Kirche.
Die Gründung der dem h. Georg geweihten Glauchaifchen Pfarr- Einleitung,
kirche geht in das 12. Jahrhundert zurück, da diefes Gotteshaus bereits bei der GefchicMc.
Stiftung des Klollers der Ciltercienfernonnen , Marien-Kammer genannt,
welche durch den Erzbifchof Wichmann gefchah, vorhanden war. fbdafs der
Erzbifchof Albert II., als er 1231 diefes Klofter neben der Kirche erbaute,
fie zugleich zur Kirche des Klollers machte. So viel aus dem perfpectivifchen
Plane Halle’s bei von Dreyhaupt hervorgeht, hat das alte romanifche
Kirchengebäude in gothifcher Zeit Zulatze, einen Dachreiter, vielleicht auch
eine Chorverlängerung bekommen. Ueber die Gellalt der alten Kirche
läfst lieh fonll nichts weiter angeben, weil fie am 6. Januar 1740 durch
Feuer derartig zerllört wurde, dals man an Stelle der alten, eine neue
Kirche zu bauen lieh entfchlofs. Wir nehmen an diefem Kirchenbau
InterelTe, weil er uns die allfeitig durchgebildete I.öfung einer protellantifchen
Kirchenanlage zeigt. Den Protellanten ifl die Hauptfache ihres Gottes-
dienlles die Predigt. Es mufs alfo in ihren Kirchen möglichll viel (Sitz-
Plätze geben, von denen aus man des Predigers Wort gut verliehen kann.
Dem hierin ausgefprochenen protellantifchen Bauprogramm wird durch
eine centrale Anlage mit ein- oder mehrgefchoffigen Emporen, alfo
durch eine theaterartige Anordnung am bellen genügt. In der That hat
man es befonders in neueller Zeit* nicht an Verfuchen, in diefer Richtung
die protellantifche Kirche auszubilden, fehlen lallen ; wir können darauf nicht
eingehen, fondem wollen nur durch das Gefagte den Standpunkt angeben,
von welchem aus hauptfächlich der Grundrifs der Glauchaifchen Kirche zu Grundrifs.
betrachten ifl. Derfelbe bildet nämlich annähernd ein griechifches Kreuz,
— annähernd, weil der weltliche Schenkel unbedeutend länger iß als die
anderen, — über delTen örtlichem Schenkel der Thurm mit der Sacriftei
im Erdgefchofs lieht, während die drei anderen Schenkel mit zweigefchofligen,
hölzernen Emporen ausgebaut find. Diefer Zeit hat man fich alfo nicht mehr
um die Regel gekümmert, den Thurm im Werten der Kirche anzulegen,
fondem man hat, wie der Augenfehein an Ort und Stelle lehrt, darauf
Rückficht genommen , wie und wo fich der Thurm dem Auge am bellen
1 z. B. : Gropius und Schmieden.
B. D. d. Bau- u. Kunftd. N. F. I.
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*74
DIE STAKT HALLE u. d. SAALKREIS.
Altar
Srlim irdrei fcn-
arlicilen.
Glocken.
Gefiifse.
darbieten würde d. h. man hat ihn in durchaus gerechtfertigter Weife tum
Zielpunkte der Strafsen gemacht. Diele Situirung und die in barocken
Linien nicht unfehön gezeichnete Silhouette des Thurmes verdient Erwähnung.
Die Einfachheit der Details im Aeufseren wie im Inneren macht eine ße-
fprechung iiberflünig. Nur auf die Lage der Kanzel über dem Altäre ill
als charakteriAifch in Hinficht auf das, was wir vorausgefchickt haben, hin-
zuweifen. fo wie denn auch diefe ganze Altar- und Kanzelpartie rückfichtlich
ihrer architektonifchen Ausbildung durch Säulen und Pilafter, mit ab-
gebrochenen Rundgiebeln , mit I'igurenbekrönung und Ornamenten in den
fchwüllligen Formen und Farben jener Zeit zweifellos einen gewiffcn
Werth hat.
Als wirklich werthvolle Arbeiten der Kunfl jener Zeit haben wir nur
zwei der Schmiedeeifentechnik angehörende zu nennen, das Schlofs der
Sacrifleithür und aufsen vor dem Sacrilleifenfter das Gitter, an welchem
man den Namen IESVS unter einer baldachinartigen Krone, ein Monogramm
J v G. (des Donators oder des Schmiedemeiflers?) und das Entllehungs-
jahr 1744 angebracht findet. Namentlich auf diefem Gitter, das nur eine
Künlflerhand fo fertigen konnte, ruht unfer Auge, nachdem es an dem
ganzen Baue nur handwerkliche Formen zu fehen bekommen hat, mit
befonderer Freude.
Kaum würde ich den (leinemen, mit der Kirche gleichzeitigen und zu
ihrer Architektur genau palTenden Taufllein erwähnen, wenn ihn nicht
das fall unglaubliche Mifsgefchick getroffen hätte, 1883 ohne Grund vor die
Thür gefetzt zu werden, um einem neuen, hölzernen (!), alfo tveit weniger
monumentalen, Platz zu machen, über deflen Schönheit und flilillifche Zu-
gehörigkeit zum Baue wir kein Urtheil abzugeben haben.
In demThurme hängen zwei Glocken, die von Friedrich Augufl Becker
in Halle 1755 gegolTen find und im unteren Durchmelfer 1,50°* und 1,3:*
haben ; zwei andere find von G. G. Becker gegoiren , und zwar die Schlag-
glocke mit einem Durchmelfer von 0,88 im Jahre 1797, die andere mit einem
Durchmelfer von 0,67 im folgenden Jahre 1798.
In der Sacrillei lieht eine Truhe mit fpätgothifchen Befchlägen, in
welcher die Geräthe aufbewahrt werden. Das ältelle unter letzteren ill ein
Kelch in vergoldetem Silber. Sein fechsblätteriger Fufs ill wenig concav
gebogen und nimmt nach oben fogleich eine runde Form an, auf der über
jedem F ufsblatte eine für lieh gearbeitete, reliefartige Darllellung aufgeheftet
ill; zunächll als Signaculum ein Crucifixus mit Maria zur Rechten Chrilli
und Johannes zur Linken, der wie gewöhnlich hier ein Buch hält, dann das
agnus dei, über dem dritten Blatte Chriflus aus dem mit gothifchem
Maafswerk verzierten Grabe auferllehend, die Rechte fegnend erhoben,
in der Linken die (jetzt abgebrochene) Siegesfahne; die über dem vierten
und fünften Blatte befindlichen F'iguren gehören zulämmen. Es ill die
gekrönte Maria, die auf einem bankartigen Throne mit betend zufammen-
gelegten Händen fitzt und fich gegen Chriftum wendet, der lie fegnet
und in der Linken die kreuzbekrönte Weltkugel hält. Die Geburt bildet
die letzte der Darllellungen. In Windeln liegt das Kind vor der Maria in
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DIR GLAUCHA ISCHL KIKCHK. 27J
der Krippe und ein Ochs- und Efelskopf fchauen darüber her. An dem
runden Stile über dem Knaufe lieht in Minuskeln:
fjilf | goi I b ( (diefes b heilst vielleicht durch).
an dem Zapfen des flachen und breiten Nodus im Majuskeln: 4- fllÄKIÄ
Der Knauf ill mit maafswerkgetiillten Fifchblafenfeldern oben und unten
verziert. Die Cuppa ill glatt. Es fcheint mir nicht ausgefchlolTen, dafs
diefer Kelch bereits vor dem 15. Jahrhundert exillirt und gegen Ende
desfelben durch eine gründliche Renovation mit Zufätzen feine jetzige Form
erhalten hat.
Ein anderer Kelch mit + I6S?IS am Knauf, mit einem Signaculum
am Fufs, und im F'ufsinnern mit der Infchrift: Aedi Glauch. Schol. lat. con-
secravit MDCCLXXV! hat keine Bedeutung.
Von geringer Bedeutung ill auch eine Kanne, die ähnlich der von
1592 in der Neumarktkirche aus einem becherartigen Gefäfse mit Crueifix-
bekröntem Deckel, einem Griffe mit oben angebrachter, reliefärtiger Dar-
llellung Chrifli, der die Weltkugel hält, einem Ausgufsanfatze und aus
einem knauflofen Hälfe zwifchen dem Gefäfse und dem felblländigen F'ufse
belleht. Den an den gröfseren F'lächen eingravirten Ornamenten läfst fich eine
gewilTe llilgemäfse Eleganz nicht abfprechen, die Silhouette des Ganzen ill
fchon etwas plump. An Infchriften lefen wir am oberen Rande des Getäfses:
SANGVIS JESV CHRISTI FILII DEI EMVNDAT NOS AB OMNI
PECCATO Joh. X.
ferner im Inneren des Deckels als Umfchrift eines Wappens:
Ao. 1644 . ex DONO • DNI • SECR . Paul • Götze.
Eine andere Kanne ill die ganz, genaue, etwa einhalbmal vergröfserte
Copie der foeben befchriebenen , nur fehlt die innere Deckelverz.ierung und
Schrift, dafür aber lieht im Fufsinneren:
Kirche zu Glauche an Halle ao 1713.
Eine dritte Kanne in Rococoformen wird von einem Crucifixe bekrönt
und hat die Infchrift :
Aedi Glauch . S . Georg . post depulsum ab domicilio suo incendii
periculum grata in Deum mente consecrarunt Alumni Scholae
latinae Orphanotr. clo lo cclxxvi.
Eine Hollienbüchfe hat als Bekrönung eine geflügelte, nur fchurz-
bekleidete Figur, die in der Linken eine Kugel hält und in der Rechten
einen Balken (vielleicht ein abgebrochenes Kreuz), fie tritt auf eine
Schlange (?). Sollte fie etwa Chriftum vorllellen? An dem Gefäfse lieht:
VEIT BECHTILT 1629. Die Abbildung eines Fifchkorbes mit zwei Fifchen
weift darauf hin, dafs diefer Mann, wohl der Donator, ein Fifcher war.
Zwei Patenen mit Signaculum find ganz unbedeutend.
18*
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2-6
DIK STAUT HAIXK u. d. SAALKHKIS.
Diu Kirche hat auch ein melTingenes. fchmalrandiges aber tiefes Tauf-
becken. Der Boden iil durch geHanzte Ornamente belebt. In der Mitte
lieht man einen liegenden Hirfch (wohl mit Bezug auf die bekannte Bibel-
Helle). Ein Ornamentenkranz zieht fich um diefc Darllellung, dann eine jener
räthfelhaften Minuskelfchriften. die ausfchliefslich an folchen Tautbecken
gefunden werden, und endlich ein vielleicht in der Barockzeit mit Anlehnung
an ein fpätgothifches Ornament componirter Kranz. Eine Wiederholung
einer Schale mit diefer Dat Heilung ill mir in der Umgegend noch nicht
vorgekommen.
V.
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Der Rothe Thurm.
D er bauliche Grundgedanke zu zwei hallefchen Bauwerken (lammt, Einleitung
obgleich fie beide rein in deutfehen Formen durchgebildet lind, unverkennbar
aus Italien; diefe Bauwerke find der rothe Thurm, ein deutfeher
Campanile, und der alte Stadt -Gottesacker, ein deutfeher campo Santo.
Beide Bauten find für ihre Zeit und diefe Stadt ziemlich bedeutende
Leillungen, namentlich auch, weil man fie trotz längerer Bauzeit in der Haupt-
fache einheitlich durchgeführt hat, ein Umftand, der ein günftiges Licht auf
den beharrlichen Sinn der Erbauer, der hallefchen Bürger, wirft. Man
fleht, die Hallenfer waren für das Gute anderer Länder nicht blind, ver-
llanden vielmehr ohne ihre deutfehe Eigenart aufzugeben, es fich zu Nutze
zu machen; ohne Zweifel ergiebt fich aber auch, dafs zu den Zeiten der
Erbauung beider Werke ein lebhafter Verkehr Ilalle's mit Italien flatt-
gefunden hat. Auch ohne folchen wäre die Anlage des Gottesackers im
1 6. Jahrhundert wohl verlländlich, weil damals ja überhaupt eine Revolution
der Kunll von Italien nach Deutfchland hereinfluthete; für den Anfang des
ij. Jahrhunderts indelTen. dem der Entwurf des rothen Thurmes angehört,
ifl folcher Verkehr bemerkenswerth ; damals fand beinahe noch das Um-
gekehrte llatt, deutfehe Bau weife wirkte noch wie fchon feit mehreren Jahr"
hunderten auf die Italiens ein, fodafs man fchwerlich daran denken kann,
es fei die Veranlagung zu diefer italienifchen Thurmanlage von dem Bau-
meiller felber ausgegangen. Woher konnte aber fonll der Gedanke dazu
kommen? Die Bauherren, die mächtigen Bürger der blühenden Handels-
iladt Halle werden hier das Bauprogramm aulgellellt haben; zogen fie doch
fo oft gen Süden und brachten alsdann heimkehrend nebft ausländifchen
Waaren gewifs auch manche hierorts unbekannte Anlchauungen und Sitten
mit zurück. Nichts natürlicher, als dafs auch fie. um es ihren reichen Ge-
fchäfistreunden jenfeits der Alpen namentlich in Venedig gleich zu thun.
auf ihrem Marktplatze einen gewaltigen Thurm neben ihrer Kirche, wie ihn
jene hatten, aufzuführen befchlolTen, wenngleich ein Bedürfnifs dazu kaum
vorliegen mochte, da ja die Marktkirche zwei Bauliche Harke Thürme hatte.
Dergellalt fcheint mir die Errichtung des rothen Thurmes als eines frei für
lieh bellehenden veranlagt worden zu fein. Die Chronillen fchweigen
darüber und die Infchrift des Thurmknopfes bemerkt nur, dafs das Bauwerk
diene: zum Lobe des allmächtigen Gottes und der ganz unbefleckten Jung-
frau Maria, auch aller himmlifchen Bürger fowie zur Zierde der hochbe-
rühmten Stadt Halle und alles delTen, was zu ihrer Gemeinde gehöre, und
felbll der Umgegend.
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278
OIK STAUT HALLE u. d. SAALKKE1S.
Lage, Name etc. Der Unterfchied zwilchen einem italienischen campanile und einem
deutfehen Kirchthurme belicht darin, daSs erlter lediglich ein Glocken-
thurm ili, der mit dem baulichen Organismus Seiner Kirche nichts zu thun
hat und deshalb irgendwo iSolirt neben ihr lieht, während unSere Kirch-
thürme integrirende Stücke des SyliematiSchen KirchengrundriSTes Sind bez.
ursprünglich haben Sein Sollen. Und So ili denn der rothe Thurm ein frei-
liehender, etwa im Nordollen der abgebrochenen Marienkirche und für diefe
errichteter Glockenthurm, welcher aufser Seinem kupfereingedeckten Holz-
helme ganz aus Sandliein belieht und von 1418 — 1506 gebaut worden ili.
Fig. tog. Die Infchritt feines Knopfes vom Jahre 1506 befagt, dafs man
ihn anfangs den Neuen Thurm genannt hat;1 in den Chroniken finden wir
ihn auch als den „thorm Unfer Lieben Frauen“* bezeichnet; woher er a-ber
feinen jetzigen Namen, der rothe Thurm, bekommen hat, ili mit Gewifsheit
nicht anzugeben, derfelbe kommt feit dem 17. Jahrhundert ausfchliefslich
vor. v. Dreyhaupt meint, die anfänglich rothe Farbe der kupfernen Helm-
eindeckung hätte diefen Namen veranlafst und derfelbe fei dann geblieben,
wiewohl das Kupfer, lügt er hinzu, bald Grünfpan angefetzt habe, fodafs er
jetzt ..wohl der grüne Thurm heiffen möchte.“ Von der Bedeutungslosigkeit
feiner Erklärung Scheint er mithin Selber überzeugt zu fein, und wir find
es um So mehr, als wir nachweifen können, dafs die Bezeichnung roth mit
dem Blute in Zusammenhang zu bringen ili, welches von Rechts wegen auf
der Stelle des Thurmes oder neben ihm vergoITen wurde, als von 1341 1513
und wieder nach 1547! — 1718) die Statue des Rolands allda liand, alfo die
Gerichte über Leben und Tod auf jenem Platze liattfanden. Nach einer
Stelle in den Aufzeichnungen des Marcus Spittendorff (bearbeitet von
Prof. Dr. Julius Opel) S. 416 weifete man 147g „die neuen Schöppen in die
banck vor dem Rohlande und den neuen greffen Karlen von Einhaufen
hinder dem rothen thorme in die banck.“ Hier, wo Spittendorff das einzige
Mal in feinen Aufzeichnungen von einem rothen Thurme Spricht, kann das
in Frage flehende Bauwerk nicht gemeint Sein, weil Sich aus einem
Manufcripte der Magdeburgifchen Stadtbibliothek ergiebt, dafs die Ge-
richtsbank hinter dem rothen Thurme d. h. der Thalgerichte im
Gegenfatze zu der vor dem Rolande d. h. der Berggerichte gar nicht
hinter dem rothen Thurme, Sondern weltlich von den blauen Thürmen Stand.
Die Stelle des genannten Schriftftückes lautet:
„Anno etc (14)64 wart un.b senth Gerdruden Kirchhoff zeu Halle gein
das tal eyn mure geleith und die dingkbangk des talgerichtes hinder
dem roten thorme genant. Stund uf dem Kirchhof hinder senth Gerdruden
tormen gein dem mittelhusz beider torme nach dem dale uff umb die
masze (um die masze = ungefähr), als itzundt die mure am Kirchhofe
1 Das findet feine Betätigung durch eine Urkunde des Jahres 14*10, die v. Dreyhaupt 1. 1034
millheilt und in der auch nur von „dem groffen neuen Thurm" gefproeben wird.
2 So im Manufcript der magdeburger Stadtbibliothek von 1509, flehe Opel: Marcu,
Spittendorf S. 483.
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Ntf. ICK).
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Rother Thurm.
Aeufsere Anficht von Often her.
I >KK KOI HK llll'KM.
279
uff diefTiet dom slinge lieth, da men vom Kirchhofe in die Tunczerie
(was darunter zu verftehen iff. läfst fich nicht Tagen) gehit, diefelbe
dingkbangk wart uffgenommen und wart benebin an den Kirchhof uff
die egke an die koth gefatzt “
I)a die Thalgerichtsbank ■ 464 nicht mehr hinter dem rothen Thurme ff and,
anfänglich abet doch einmal hinter einem rothen Thurme geflanden haben
mufs ihrer Benennung wegen, fo ill zu unterfuchen, zu welcher Zeit letzteres
noch Ifatt hatte.
„Drie botdingh sal der Salczgreue litzen In dem Jare. Das erlfe botdingh,
das iff achte tage nach olfern, das sal man litzen uf sante Gertrude
Kirchhoue hinder den roten thormen, dar follen alle die zcu körnen, die
pfhenner sien; wer dar nicht enqweme, der wetthet dem greuen drie
pfhennige .... ."
fo Ifeht in einem Manufcripte des königl. Provin/.ialarchives zu Magdeburg
über das ältelfe bekannte Thalrecht, welches ca. 1360, jedenfalls aber noch
im 1 j. Jahrhundert gefchrieben iff — (veröffentlicht von Dr. Lambert in den
Neuen Mittheilungen des Thüring.-Sächfifchen Vereins XI. 435) — und die
ältelfe Erwähnung eines hallefchen rothen Thurmes enthält. Alfo fchon int
i). Jahrhundert, als an den Bau unferes Glockenthurmes noch gar nicht
gedacht wurde, iff das Thalgericht und der rothe Thurm in Verbindung
genannt worden. Allein auch fchon um diefe Zeit fcheint die Benennung
„hinter den roten thormen ‘ nicht mehr zutreffend gewefen zu fein ; auf der
Stelle des jetzigen kann der letztgenannte rothe Thurm wenigffens nicht
geftanden haben, weil er lieh alsdann ja auf dem S. Marien- und nicht auf
S. Gertrudenkirchhofe befunden hätte. Man fieht, der erlfe rothe Thurm
diente Gerichtszwecken, wohl möglich alfo, dafs der in die Wage verbaute
Thurm (fiehe weiter unten die Befchreibung der Wage), der Ifets als Ge*
fängnifs diente, in älteffer Zeit als rother Thurm bezeichnet worden ilt,
zumal ja auch der Roland (flehe delfen Befchreibung weiter unten) in feiner
Nähe gelfanden hat; zu SpittendorfFs Zeit hatte er freilich feine Benennung'
bereits verloren gehabt, weil er in deffen Aufzeichnungen flets nur als
„thorm neben der wage“ bezeichnet wird. Aus allen diefen Erwähnungen
des Namens „rother Thurm“ geht hervor, dafs auch für unferen Glocken-
thurm die Bezeichnung roth von der Thalgerichtsbarkeit herzuleiten ilt,
wenngleich das Wie noch nachzuweifen bleibt.1
Rückfichtlich des Namens möchten wir fchliefslich auch eine Quelle
nicht unerwähnt lafTen, die früher an der Nordfeite des Thurmes (zeitweife?)
1 Siehe auch vom Hagen I. 238. Haitaus in feiner biffertation: De lurri rubra Ger*
manurum medii aevi, I.ipltae 1757 ift meines Wiffcns der erfte , welcher die Meinung hat,
dafs die rothen Thurme, deren es in verfchiedenen Städten: Meifsen, Hannover, Mainz, Prag,
Wien u. f. w. giebt, von dem ßlutbanne, der vor ihnen verliehen wurde und von den Blut-
geeichten, die vor ihnen gehalten wurden, ihren Namen bekommen hätten. Neben ihm habe
meid auch die Roiandsftatuc geftanden. Von den Gerichten komme auch die Benennung
„rothes Thor“ zu Magdeburg, Wiirzburg, Goslar u f. w., der Name „rulher Graben“ in Zeitz,
„das rothe Buch“ auch wohl das Acht* und Blutbuch, welches das Verzeichnis der Malclicanten
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28 o
!»IE STAli 1‘ HALLE u. d. SAALKREIS.
(irundrifs
uiul Aufbau.
zu Tage getreten ift und als „Hungersquelle“ bekannt war, weil man au- [
ihrem Abtiufs Theuerung und „wohlfeile Zeit“ weiflagete.
An dem Thurme füllt in Bezug auf feine Bauart zumeift der Grundrifs
auf, der nicht quadratifch, wie man für einen freiftehenden Thurm erwarten
follte, fondern oblong ift, indem er in der Richtung von Norden nach
Süden etwa 15“ und von Orten nach Werten etwa iu* mifst und fich zu unterll
als ungegliedertes Rechteck F'ig. 1 10. dar hellt. Der über folchem Grund-
riffe fich erhebende, maffive Mauerkörper, den Chroniken nach auf einen
eichenen Pfahlroh fundamentirt, hat ganz glatte Wände und, foweit man
jetzt von aufsen fehen kann, nur gen Norden eine nicht grofse, fchmale
fpitzbogige Fenheröffnung. F> heigt aus einem etwa bis zur Hälfte feiner
Höhe aufreichenden, ringsumgehenden Anbau des Jahres 1825 auf. Diefer
legt fich mit einem Pultdache gegen ihn, ih von Backheinen mit Sandftein-
limfungen gemacht und in gothifchen Formen fo durchgebildet, wie es fich
von jener Zeit erwarten läfst, die in Schinkel’fcher Weife den Geill der
Gothik verband oder vielmehr mifsverhand. Von feiner Befchreibung fehen
wir daher ab, nur müflen wir hinzufügen, dafs 1854 die aus dem 18. Jahrh.
hammende, häfsliche Rolandshatue an der Südohecke autgehellt worden ilb
Der Anbau, zu Wachhuben, l.äden und anderen hierher kaum fchicklichen
Räumen ausgebaut, ih der Nachfolger eines noch weniger fchönen, weit
ungleichmäfsigeren Budenkranzes aus älteher Zeit. Olearius fchreibt, dafs
die Läden unter dem rothen Thurme 1532 zu bauen angefangen feien, um
Frfatz zu fchaffen für die, welche an der alten Marienkirche handen und in
diefem Jahre durch den Abbruch derfelben verloren gingen. Auf Anbauten
hat man aber ohne Frage fchon bei der Thurmanlage Rücklicht genommen,
da das Mauerwerk hier unten auf mehrere Meter über der Erde aus kleinen,
unregelmäfsigen Steinen behebt, rauh und unanTehnlich ift und erft über
dem Pultdache des Anbaues, alfo fobald es zu Tage tritt, gröfsere, glatt
behauene und gut gefügte Quadern hat. Da nun das gute Quadergemäuer
nicht durchweg in gleicher Höhe anfängt, fo mögen freilich anfangs nicht
aut allen Seiten oder doch nicht überall gleich hohe Anbauten vorhanden
gewefen fein. Dies ift erweislich für die füdweftliche Thurmecke; man
bemerkt nämlich, wenn man im Dachboden des jetzigen Anbaues fteht, wo
an befagter Fcke das Gemäuer durchweg gut ift, dicht unter einer fpäter
zu erwähnenden Infchrift von 1 146, jetzt aufsen unmittelbar über dem Dache
zu fehen, noch Spuren von einem Baldachine, welcher zu einer frei auf
einer Confole behenden Statue (gleich denen am Rathhaufe und Raths-
keller) gehört hat und daher fammt feiner Figur früher nicht verdeckt
gewefen fein kann. Die Statue, die längft verfchwunden ift, wird wahr-
fcheinlich ein Marienbild gewefen fein, das gerade an diefe Ecke gefetzt
wurde mit Bezug auf die ihr gegenüberliegende Marienkirche, zu der doch
enthielt, in Braunfchweig. Die „rolhe" oder Blutfahne fei die, welche zu einem hochpeinlichen
Halsgcricht ausgehängt wurde. Schon feit 1 34 1 habe es in Halle einen rothen Thurm gegeben,
nämlich den in die Wage eingebauten, und daneben habe der Roland geftanden und feien die
„Berggerichte" gehalten worden.
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2»2
DIE STADT HALLE u. d. SAAI.K.KEIS,
der Thurm gehörte. Auf allen vier Seiten diefes unterden GefehofTes iß
ein grofses Zifferblatt der Uhr inmitten fo angebracht, dafs davon das Gurt-
fims noch durch fchnitten wird.
Ueber letzterem fetzt lieh die vierfeitige Grundrifsform in ein dann bis
zum Dache aufgehendes Achteck Fig. m dergedalt um, dafs durch Ab-
dumpfung der Kcken unter einem Winkel von 45" fechs gleiche kleinert
und zwei gleiche, einander gegenübergelegene, längere Seiten entliehen.
Die Ueberführung aus dem Viereck in das Achteck gefchieht in einer nicht
fonderlich fchönen Weife, indem eine wohl etwas kleine Fiale auf der Ab-
deckungsfchräge jeder Ecke dicht an der Wand und zu ihr übereck gellellt
lieh erhebt und nothdürftig den Raum füllt. Diefe achteckige Thurmpartie
wird durch ein leichtes Gurtgefims in zwei Theile zerlegt. Der untere Theil
ill der kleinere. Seine Hauptfeiten, den Himmelsgegenden entfprechend.
find von Fendern, oder wenn man will, von Schalllöchern durchbrochen , je
eines nach Norden und Süden und je zAvei nach Oden und Wellen. Dir
vier Eckreiten bleiben voll und ungegliedert. Jede der vier Fenderöffnungen
in den längeren Seiten hat durch zwei Pfoden eine Dreitheilung erhalten,
die beiden anderen find nur zweitheilig, bei allen entwickeln lieh aus den
Ptoden oben Maafswerksgebilde in den Motiven der fpäteren Gothik.
namentlich find es Fifchblafen der verfchiedenartigllen Gedalt. Das Ge-
wändeprofil F'ig. 112, nach innen einfach fchräg, wird nach aufsen durch
zwei Harke Hohlkehlen , die ein Birnenprofil trennt und die von Plättchen
gefäumt werden, gebildet; an feine Spitze fetzt fich die Hälfte eines Poden-
Fig. 1 1 2.
<3
m-t f r r r r t 1 1 t«
Fcnftcrprofil.
\
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DKK HOTHK THI'KM.
*»3
grundriffes, der nach aufsen und innen je zwei keilförmig zu einander
Sehende Flachkehlen mit dumpfer Spitze und inmitten eine gefalzte Platte
hat. Der obere, höhere der beiden achtfeitigen Thurmtheile hat gegen
Orten und Werten je ein mächtiges Fenller mit prachtvollfter Maalswerks-
tüllung auf drei Pforten, von denen der mittlere (ältere) ftärker als die beiden
anderen ift. Von den übrigen Seiten werden durch ein einpfoftiges, alfo
zweitheiliges Fenfter, deffen Scheitel ein wenig niedriger liegt als der der
beiden vorgenannten, durchbrochen die Nord- und Nordoft-, fowie die Süd-
und Südweftfeite; die Südortfeite dagegen hat nur ein mit Blendenmaafswerk
geziertes Blindfenfter, deffen Unterkante auch höher liegt als die der wirk-
lichen Oeffnungen, und die Nordweftfeite irt gänzlich glatt bei affen. Als
ürund für die abweichende Bildung diefer beiden Seiten werden wir fpäter
eine Wendeltreppenanlage im Inneren kennen lernen. Die Profilirung der
Gewände gefchieht hier durch eine weite Hohlkehle , der fich das halbe
Pfoftenprotil vorfetzt. Dasfelbe gleicht zwar dem der unteren Fenfter, wird
aber, um die ftärkeren Mitielpfoften der beiden Breitfeitenfenller zu
fonniren, nach aufsen und innen durch eine Wiederholung der flachkehligen
Keilform verftärkt und fetzt fich in diefer ftärkeren Form halbirt an die
Spitze aller Gewändeprofile. Die Pforten der zweitheiligen Fenfter und die
fchwächeren der viergetheilten behalten natürlich das in diefem llaupt-
ploftenprofil enthaltene, organilch ablösbare, bekannte Profil. Es verbleibt
noch die befondere Erwähnung des oberen Fenfters in der Weftwand.
Schon feines originellen Maafswerks wegen würde es folche verdienen,
denn der Mittelpforten unterllützt den Schlul'sllein eines in feiner Profilirung
gehaltenen Flachbogens, der etwa in Kämpferhöhe des Fenfters liegt und
über fich F'ifchblafengebilde hat, während unter ihm durch ein wagerechtes
Stück im Profil der kleineren Pforten vier etwa quadratifche Felder ent-
liehen. In jedem der beiden mittleren Felder nun — und dies eigentlich ift
die llaupturfache der Erwähnung — fieht man die Büfte eines Mannes mit
lockigem Haar; man erkennt auch, dafs die des nördlichen gröfser ift, aber
lür die Beurtheilung der Details ift der Aufftellungsort zu fern und überdies
vom Inneren nicht zu erreichen, fodafs fich nur vermuthen läfst, es fei der
Baumeiller mit feinem Parlirer, Gehilfen oder einer derartigen Perfon, der
lieh an diefem nicht auffälligen, doch ausgezeichneten Orte verewigt hat.
Ich meine, dafs fich in der Nähe diefer Bütten, wenn auch nicht der Name, fo
doch das Meifterzeichen der Dargeftellten finden dürfte und dafs es möglich
fein würde, durch Vergleichung defselben mit anderen, hierorts gleichzeitigen,
zur Kenntnifs der Perfonen zu gelangen. Jede der dumpfen Ecken des
achtfeitigen Thurmllückes ift bereits von unten auf mit einem Harken Rund-
Habe befetzt, welcher in dem oberllen Gefchoffe mittelft einer Confole in
eine gleichfam angeklebte Fiale übergeht. Der krabbenbefetzte Riefe der
letzteren endet unter dem Hauptgefimfe. Die F orm deftelben belicht im wefent-
lichen aus einem fchrägen Plättchen mit einem Wulft darunter, an dem fich eine
Harke, unterfchneidende Hohlkehle mit einigen Untergliedern fetzt. Darunter
her zieht fich ein üppiger kleeblattlörmiger Spitzbogenfries, welcher auf
jeder Seite die Mitte durch eine .Abweichung in der Bogenausbildung betont.
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LUK STAD f HALLE u. d. SAALKKKIS.
Bevor wir in unferer Befchreibung weiter gehen, fei noch über dir
vielen, viereckigen Löcher am Gemäuer — jeder gröfsere Stein zeigt
nämlich ein folches — gefagt, dafs fie von der mittelalterlichen Verfetzung-
weife der Quadern herrühren. Man bediente lieh zum Verfetzen eine?
ei fernen Werkzeuges in der Form einer Zange, die den Stein beiderfeits
fafste, eine Methode, die aufser anderen Uebellländen auch den Nachthei!
hat , dafs eben einer der Angriffspunkte der Zange fpäter
äufserlich fichtbar bleibt, lft nun zuweilen auch aus der
Noth eine Tugend gemacht worden, indem man diefe Löcher
decorativ verwerthet hat, fo hat die Weife des Mittelalters
doch einer anderen weichen muffen, die mittelft eines von oben
f J in den Quader eingelaffenen Wolfes oder fchwalbenfchwanz-
törmigen Kifens den Vortheil bietet, dafs die unvermeidlichen
C ■»-- P Löcher durch die folgende Querfchicht wieder völlig ver-
"T deckt werden.
Das Dach oder, wenn man will, der Thurmhelm, aus Holz mit
Kupfereindeckung beftehend. Hellt fich zu unterft als ein allfeitig abgewalmte?
Satteldach dar. Aul der Dachfchräge über jeder der vier Eckfeiten erhebt
fich ein achtfeitiges Thürmchen. Seine architektonifchen Bellandtheile find
ein niedriger, geputzter Fachwerkslaib mit drei kleinen Gardinenbogen-
fenllern, darüber ein umlaufendes Gefims mit einem Kranze von Giebelchen
in efelsrückenförmig gebogenen Linien und aus diefem Kranze autfehiefsend
eine fchlanke Spitze mit Knopf. Mitten auf der Fläche des Hauptdaches
befindet fich über jeder Langfeite eine Lucarne . an einem mächtigen
quadratifchen Dachreiter anliegend, der fich mitten über dem Satteldache
aufbaut. Oben umzieht diefen ein Gefims und über jeder Seite lieht ein
gradliniger Giebel. Auf das fo entftandene kreuzförmige Dach fetzt lieh
gewiffermaafsen ein als Dachreiter des Dachreiters zu bezeichnender Aulbau
von achtfeitiger Form und mit Wänden, die fo weit fie über den Firften des
anderen Daches liegen, ringsum offen find.* Ueber diefem offenen Theile
läuft wieder ein Sims um. und ein Kranz von concavlinigen Giebeln um-
giebt den Fufs der nun bis zum Knopfe pyramidal aulfteigenden achtfeitigen
Spitze. Den Knopf zieren „246 Stacheln jeder einer halben Elen lang"
nach von Dreyhaupt's Angabe: fie find gerade fo hechelartig angebracht
wie an den blauen Thürmen. Ihr Zweck ifl mir nicht bekannt, doch wage
ich die Vermuthung auszufprechen, dafs fie in etwas abergläubifcher Weile
zur Abwehr haben dienen füllen gegen das. was in folgendem Paffus der
fammt mehreren Reliquienportionen dem Knopfe eingelegten Infchrilt aus-
gemalt wird:
„ . . . Praesertim tempore ymbrium, Tempestatum, fulgurum et chorus-
cationum, cum pavet omne celum , minantur Astra , concurrit condensus
aer, Jubarque rabidum et omnis illa volitansper au ras nephandissimorum
Spirituum turba illic religata quiequam virulentie sue in Xpsti famulos
audeat, . . . .“
Die OcfFnungen find jetzt annähernd quadrutifch und zeigen oben eine leite Andeutung:
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HER ROTHE THURM.
285
Um nach diefer Befchreibung des Aeulseren eine Würdigung' des Stil.
Stiles und der Kunftleiftung zu verfuchen, werden zunächft nicht die
einzelnen Kunftformen und Ornamente, welche letztere doch ziemlich fpar-
fam verwendet worden find , fondern der einheitlichen Durchführung des
Ganzen wegen vornehmlich die Proportionen der Hauptpartien und. was Proportionen.
fall gleichbedeutend ift, die MafTenvertheilung zu unterhielten fein. Und da
ift es natürlich hauptlachlich wieder der Grundrifs, der dem Thurme feinen
eigenartigen Charakter giebt. Da der Plan nicht, wie für einen ifolirten
Thurm zu erwarten, quadratifch ift, fondern genau das anderthalbfache
feiner Breite zur Länge hat, fo befchäftigt folche ungewöhnliche, ja wirklich
unmotivirte Geftalt fogleich die Gedanken des Befchauers dadurch, dafs
diefer bemüht fein wird, eben den Grund für die Abweichung von der
natürlichen Form aufzufinden. Vergebliche Mühe! Gerade diefes und nur
diefes Interelfe, welches man auf folche Weife dem Thurme fogleich zu
fchenken genöthigt wird, ift meines Erachtens die einzige oder doch
die Hauptabficht des Baumeifters für die Wahl des fonderbaren Grund-
rilTes gewefen. Man erinnere fich, dafs zu Anfang des 15. Jahrhunderts,
dem doch der Entwurf unferes Thurmes entflammt, die Gothik fchon verfiel
und dafs alfo an die Stelle des gewiflermaafsen Selbftverftändlichen das
Gefuchte, an Stelle des Schönen das Reizende, Intereftante treten mufste,
wie es gleichzeitig im allgemeinen Leben und wie es überhaupt zu den
Verfallzeiten aller Stilperioden der Fall gewefen ift. Gerade weil ein
folcher Grundrifs nicht zu erwarten war, war er für den Zweck des Meifters
zu intereffiren geeignet. Er erzeugt eine ungeahnte Lebhaftigkeit in dem
Gefammtbilde des Thurmes; denn je nachdem man den Standpunkt nimmt,
gewinnt man eben ein anderes Verhältnifs der Höhe zur Breite des Thurmes.
Hinzuweifen ift vornehmlich auf die beiden zumeift verfchiedenen Bilder.
Schon die Oft- und Weftanficht wirkt nach acht deutlich gothifcher Art vor-
zugsweife in der verticalen Richtung mächtig aufwärts zum Himmel ftrebend
wie der deutfehe Geilt jener Zeit felber, allein es fteigert fich die Wirkung
und nimmt dann geradezu einen fabelhaft gigantifchen Charakter an, wenn
man von Süden (aus der Schmeerftrafse) oder Norden (aus Kleinfchmieden)
herkommt. Das Wunderbare, Unglaubliche liegt in der fcheinbaren Un-
möglichkeit bei fo geringer Breite der Grundfläche die Höhe des Bau-
werkes fo gewaltig zu fteigern.1 Beide Thurmanfichten bafiren überhaupt
zum Zweck momentaner Täufi:hung auf Scheinwefen; während die eine den
Thurm ftärker erfcheinen läfst, als er doch ift, giebt ihm die andere eine
viel fchlankere Form, als er wirklich durchweg hat.
Im Aufrifs fallen da, wo der Grundrifs fich ändert, indem er aus dem
Viereck in das Achteck übergeht, und da, wo das Dach anfängt, die Haupt-
der F.felsrückenlinie. Auf dem Bilde bei von Dreyhaupt ficht man jede Seite zu zwei Rund-
bogenötfnungen aufgeliift. Wenngleich diefc letztere Form alfo älter ift, halte ich fie nicht für
die urfprüngliche , fondern für eine zeitweilige Zuthat, die jetzt wieder befeitigt worden ift.
1 Als Parallele machen wir auf die Minarets bei den Muhamedancrn aufmerkfam, dem
Lefer den Vergleich bez. die Verfchiedenheit aufzufuchcn übcrlaffend.
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286
MF. STADT HALLE u. d. SAAI.K.K EIS.
UifTeaver*
theiltmg.
cäfuren. Das Proportionsgefetz hier aufzufinden will nicht gelingen. Von
den beiden fo oft zur Verwendung gekommenen, dem der Quadratur und
dem des goldenen Schnittes, ift das erlle einige Male, das andere aber nicht
genommen; und fo müffen wir uns, da die Kenntnifs diefer Materie noch
durchaus in den Windeln liegt, befcheiden. dasgerade Auffallende anzuführen.
Das viereckige Thurm ftiick ift dem achteckigen in der Höhe etwa gleich:
annähernd im goldenen Schnitt fteht die Breite der Langfeite zur Höhe des
unteren Theiles, mithin auch diefelbe Breite des achtfeitigen Stückes zu
der Höhe desfelben. Nicht ganz im goldenen Schnitt, vielmehr in einem
fchwereren VerhältnilTe liehen auch die Höhen der beiden Stücke des acht-
feitigen Theiles zu einander und in demfelben VerhältnilTe ein unteres
Fenfter der Breitfeite zu einem oberen. Wie der fteinerne Bau zerfällt auch
der Helm in zwei gleich hohe Theile, deren Cäfur das Gefims am Fufse der
achtfeitigen Spitze abgiebt. Seine ganze Höhe fteht zu der des ganzen
Unterbaues in demfelben, dem goldenen Schnitte angenäherten VerhältnilTe
wie die der zwei achtfeitigen Theile aus Sandftein und wie die erwähnten
Fenfter. Im einzelnen dürften fich zweifelsohne noch weitere Theilungen nach
einfachem Gefetze befonders in der reizvollen Ausgeftaltung des Helmes
nachweifen lallen, doch genügt das Gefagte, um überhaupt eine wohl über-
legte Proportionirung des Ganzen zu erweifen, deren unbekanntes Gefetz
fcheinbar ein dem des goldenen Schnittes verwandtes ift.
Klarer läfst fich die Regel tür die Vertheilung der MalTen erkennen,
nämlich das Beftreben letztere nach oben leichter zu geftalten. Das vier-
feitige Untergefchofs hat aufser einem unbedeutenden Fenfter weder Zier-
rathe noch Durchbrechungen. Die Zifferblätter gehören zum baulichen
Organismus nicht. Darüber werden nur die Hauptfeiten von mäfsig grofsen
Fendern durchbrochen, während die vollen Eckwände in der Silhouette
durch die vorgefetzten Fialen noch verftärkt erfcheinen ; in der letzteren
fteinernen Partie find eigentlich alle Seiten wenigftens durchbrochen gedacht
und namentlich die grofsen Fenfter gegen Ollen und Wellen wirken durch
ihre breiten, dunkeln Partien, im Verein mit dem hier üppigeren Schmucke
durch Maarswerk, Fialen und ßogenfries, Hark die MafTe des Materials er-
leichternd. Dafs das Dach mit den mancherlei Spitzen und Giebeln, vor
allem den vier auf fchiefsenden Eckthürmchen und mit dem lebhaften Wechfel
der Flächen, durch die Ueberfetzungen hervorgerufen, eine gar leichte
Bekrönung giebt, braucht kaum hervorgehoben zu werden.
Gewifs kann man den Thurm als ein durch Schönheit ausgezeichnetes
Werk feiner Zeit bezeichnen, indeffen mit anderen verglichen fpricht fich
in ihm doch ein befonderer Charakter aus; diefen fowohl wie dasjenige,
welches dem Baue den Charakter aufgeprägt hat, kennen zu lernen, er-
fordert noch einige Bemerkungen. Für diefe Zeit, die im Omamentiren
fich nicht genug thun konnte und für ein Werk, das in fo gutem Materiale
und eigentlich doch nur des Luxus wegen gebaut wurde, nimmt es Wunder,
eine fo grofse Mäfsigung im Omamentiren zu finden und fogar eine im
ganzen ziemlich zaghafte, fad nüchterne Silhouette, welche erll am Helme
lebhafter wird. Strebepfeiler, die Wände zu verftärken fehlen; letztere find
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DER ROTHE THURM. 287
unverziert und dark genug fchon in (ich. Keck vortretende WafTerfpeier
oder frei flehende Fialen zur Belebung der Umrilfe fleht man nicht; die
vorhandenen Fialen drücken (ich dicht an das Gemäuer an, als feien fie
ängltlich, das Relief möge zu bewegt werden. Durch das Fehlen folcher
pikanten Details lieht der Thurm fchlicht, beinahe geleckt aus und jeden-
falls thut fein immerhin herrliches Gefammtbild mehr den veriländigen,
vielleicht profaifchen Sinn als die Schwärmerei des Mittelalters kund; das
wird auch durch die Solidität der Conliruction und die Einheitlichkeit des
Materials beflätigt, beides gleichfam baare Münze für fein Exillenzrecht.
Die Urfache folches Auslehens liegt nicht lern. Ill der Thurm nicht jenen
fchlichten, kaufmännifch nüchternen, doch Holz aufllrebenden Stadtarillokraten
der alten Handelslladt vergleichlich, die feine Erbauung veranlafst halten?
Mächtig wie fie. llark und folide lieht er da, und, wiewohl er hoch nach des
Mittelalters Weife zum Himmel aufragt, bleibt fein Contur doch klar und
ziemlich einfach und unlerfcheidet fleh dadurch von den phantallifch durch-
brochenen Steinthürmen der Dome, die in ihren lichten Helmen dem Stoffe, dem
irdifchen Wefen. jede Berechtigung abfprechen möchten. Der rothe Thurm
ill demnach der bauliche Ausdruck delfen, was die Gedanken der feinen,
aber einfachen und nüchternen Stadtarillokratie des 15. Jahrhunderts zu
Halle bewegt hat.1 Das Rathhaus verdankt dem gleichen Ideenkreife feine
urfprüngliche , in Quadern ausgeführte Gellalt. Es ill überflüffig hiernach
auf die Einzelheiten einzugehen, die hier nicht wefentlich anders als an den
ührigen Bauten diefer Zeit gebildet find, alfo die Zeit charakterifiren und
nicht auch erweislich das Lokal. Eine Beurtheilung der gelammten Kunll-
leillung wird immer günllig ausfallen mülfen, nicht weil das durch das
Kunllwerk Gefagte von hervorragender Bedeutung ill, fondern weil das Ge-
l'agte mit dem Zufagenden trefflich übereinllimmt ; je eingehender man den
Bau aus diefem Gelichtspunkte lludirt, um fo richtiger wird man feine Vor-
züglichkeit würdigen.
In das Innere des rothen Thurmes führt eine nicht grofse, gothifch tnneres.
profilirte Thür auf der Mittagsfeite. Sie liegt mehrere Meter über dem
Terrain und ifl heute nur aus dem Obergefchofs des Anbaues zugängig-
Ob diefer Glockenthurm wegen des fo hoch wie an den mittelalterlichen
Vertheidigungsthürmen angelegten Einganges auch für eine eventuelle Ver-
theidigung follte dienen können, mag dahingeltellt fein. Da die Thurm-
mauern an diefer Eingangsllelle eine Stärke von 3,40 " haben, fo gleicht die
Thüröffnung völlig einem Gange, der dann in einen von drei Kreuzgewölben
auf Diagonalrippen überfpannten Raum führt, wie man in Fig. 1 10 lieht.
Da derfelbe ohne InterefTe ill, fo wenden wir uns einer in dem Gange welt-
lich gelegenen Thüröffnung zu. Hier führt uns eine Wendeltreppe, mitten
im Mauerwerke ausgefpart, eine Strecke empor zunächll zu dem Raume
der Uhr. Wiewohl 1468 der Thurm noch nicht fertig war, ill doch ein Uhr- Uhr.
1 Es macht nichts, dafs der Helm aufgefetzt wurde, als ihre Hcrrfchaft fchon gebrochen
war, denn ausgefiihrl ift er ohne Frage, wie er im Riffe ftand. Das Mauerwerk war fchon
fertig, bevor die Volkspartei die Oberhand erhielt.
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288
IMF. STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
werk bereits in diefeni Jahre, in welchem auch eine Schlagglocke dazu ge-
golTen wurde, hier aufgellellt worden1 und zwar wohl als Rathsuhr, dem
1508 liels der Rath zu Halle einen nawen feyger auf Unfer Lieben Frauen
Thurm fetzen , welcher Zeiger 400 Gulden koftete.* Die Wendeltreppe
zieht fich nun mehr nach Orten hin und fteigt alsdann bis zu dem acht
feitigen Thurmtheile auf, wo fie fich gegen den hier gelegenen Raum für
die Glockenläuter öffnet. Es intereffirt in demfelben nur die Decke oder
vielmehr die hier gut fichtbare Conftruction des Fufsbodens für das nächlie
Gefchofs. Die mittelalterliche unterfcheidet fich dadurch von der fpäteren
und heutigen , dafs man die Balken nicht mit ihren Enden in das Mauer-
Decken- werk hineinlegt, fondem einen Kranz von Confolen, welche hier von der
conftruction. einfachften, kantigen und unten abgerundeten F'orm find, auskragt, fie rings-
um durch eine Schwelle verbindet und nun die Balken von der Länge des
Raumlichtenmaafses, alfo ftumpf vor die Wand ftofsend, darauflegt. Darüber
find Bohlen zum Fufsboden geftreckt. Man mufs geliehen, dafs diefe Con-
ftruction eine höchft gefunde ift, und in der That macht fchon das vor-
liegende Beifpiel rohefter Ausbildung den angenehmflen Eindruck, weil
gleich der erfte Blick von der Zweckmäfsigkeit der Anordnung überzeugt.
Die Wendeltreppe fetzt fich in der Südoftwand als .angehängte fort,
da nämlich ein Theil ihres Grundrißes in den Innenraum vortritt, wie Fig. in
zeigt. Sie mündet auf dem eben befchriebenen Fufsboden des oberften Ge-
fcholTes, der eigentlichen Glockenftube, aus, was fich auch am Aeufseren des
Thurmes durch jenes Blindfenfter bemerkbar macht, defien Nifche eben
diefer Treppe wegen nicht zu gleicher Tiefe herabreichen konnte wie die
Glockenftube. Oeffnungen der wirklichen F'enfter. Die Glockenftube reicht bis zur
Dachbalkenlage hinauf. In ihr fleht ein alter, wahrfcheinlich um 1580 ge-
machter und durch feinen Holzverband interefTanter Glockenftuhl mit zwei
koloffalen Glocken. Die kleinere mifst 1,59“ im DurchmelTer und ifl
die ältere. Sie hat eine Halsumfchrift in Majuskeln, welche nicht durch
Einritzen, fondern durch Wachsmodelle, die dem Hemde aufgeklebt
werden, entftanden find und etwa in Papierftärke aufliegen. Sie find daher
fo fchwer lesbar, dafs bisher nicht ein einziger der Chroniften alter und
neuer Zeit, von welchen die Glocke gemeflen und übrigens eingehend
befchrieben worden ift, den Verfuch dazu gemacht hat. Die Schrift8
lautet:
M<3 • UÄIHPÄRä • PIC • R6S0RKS • S2IB • ItORORe ■ fllÄRIC •
eine Aufschrift kurz und gehaltreich ganz im Geifte des blühenden Mittel-
alters. Um den Hals zieht fich dann noch ein Band von Medaillons, Cruci-
fixen und dergl. erhabene Zierrathen, von denen auch einzelne auf der
1 Olearius zum Jahre 1468 und von Dreyhaupt I. 1016.
3 Hall. Chron. in der Stadtbibi, zu Magdeburg abgedruckt bei Opel: M. SpittendoriT.
Anm. zu S. 220.
3 Hier wie fo oft bei der Unterfuchung von Glockenauffchriftcn lind neben der örtlicher.
Unzugänglichkeit die Licht- und Schattenreflexe mehr hinderlich fiir die Erkennung der Schrift
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OKU R0T1IV nit'KM.
289
(»locke angebracht find. Man darf aus der Schrilt und der Glockenform
überhaupt fchliefsen. dafs der Gufs bald nach der Mitte des 14. Jahr-
hunderts fällt. Jedenfalls gehört die Glocke nicht erll dem 15. Jahrhundert
an und kann alfo urfprünglirh nicht gleich für den rothen Thurm beftimmt
gewefen fein, fondem wird zuvor fchon eine Zeit lang auf einem anderen
der Maria geweihten Thurme, vermuthlich auf einem der 1 lausmannsihürme,
sich befunden hahen.
Die andere Glocke i ff die gröfsclV in Halle; ihr DurchmelTer beträgt
2.1,5"*. Sie ill mit figürlichen Darilellungen gefchmückt. Man fieht einen
hochreliefirten Crucifixus mit Maria und Johannes daneben, ferner in etwas
grösserem Maafslfabe eine weibliche Figur mit Scepter und Buch, eine
andere mit einem Schwerte (Katharina?), dann Maria mit dem Kinde und
fchliefslich eine weibliche Figur mit einem Kreuze; fie reitet auf einem Un-
thiere und diefes hält ihr Kleid im Maule; es ill vielleicht Margaretha. Die
Deutung diefer F'iguren ift nicht mit Sicherheit möglich. Wir lefen folgende
Minuskelumfchrift um den Hals;
mtn« - üonini w • utflm ■ mit • »rr - hülfe ■ gotis ■ »Bi - ii • örr - rrr -
«nfrr • lihrn • frinn •
Es könnte gleichgiltig fein, dafs die (»locke bereits t|(><> gegolfen . ge-
fprungen. umgegoffen und 1 |Ho zum andern male umgegoften ill, wenn lieh
nicht daraus ergäbe, dafs die Glocken anfangs wohl ein Gefchofs tiefer
hingen und erft feit dem letztgenannten Jahre ihren jetzigen Platz erhielten,
weil, wie unten noch zu Tagen ift, um 14OO die heutige Glockenftube über-
haupt noch nicht gebaut war.
Die Wendeltreppe führt von hier nicht in der Südoftmauer höher. Gefpärre.
fondem fetzt lieh wiederum in das Thurminnere vorlpringend, in der Nord-
weftwand fort, von welcher wir wilTen. dafs fie aufsen ganz voll und glatt
ift. Man mufs alfo die Glockenftube von Südoft nach Nordweft durch-
fchreiten. um nachdem Helme hinaufzulleigen. Ueher einer mehrfachen
Dachbalkenlage baut fich das Gefpärre auf , der Conftructionsregel eut-
fprechend, ohne mit dem Mauerwerk Verband zu haben. Starke, lange
Hölzer aus einem Stücke beftehend. gehen hoch hinauf und find mit vielen
Streben überall zu feilem Dreiecksverbande geordnet. Das viele Holz werk
des Dachverbandes gellattet nur, mittelll einer Leiter höher zu fteigen, bis
man zu dem durchbrochenen, achteckigen Untertheile der Spitze kommt, in
welchem zwei Schlagglocken hängen. Beide find ohne Schlägel, .alfo wohl Schlagglocken.
fchon im Gulfe zu Schlagglocken beftimmt worden. Die gröfsere von ge-
drückter Form, wie fie für Schlagglocken beliebt gewefen zu fein Icheint,
als die Undeutlichkeit des Gepräges. Ich habe mich hier nach Reinigung der Buchftal.cn von
Staub eines Lichtes bedient, um den Contur der llachen Buchftaben erkennbar zu machen, Da
das Licht nämlich, je nachdem cs erforderlich ift. gehalten werden kann, fo laffen lieh Schlug-
fchatten erzeugen fn kräftig, wie es .las Relief überhaupt geftattet Auch ein Spiegel, zu-
weilen fchon ein weifses Blatt Rapier ift fiir «liefen Zweck ausreichend.
B. D. d. Bau- 11. Kunsld. N. K. I. 10
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2Cp
IHK STADT HAI.LK U. d. SAALKRKIS.
Baiigefchichte.
mil'st t ,|5 “ in) DurchmelTer und hat folgende Halsamfchrift in Minuskeln
nach Wachsmodellen.
dum • tangor • audite • distinguo • tempora • rite • ad • laudem •
dei • cursum ■ noctis • atque • diei • und die Jahreszahl ihres
(iulfes 1468. 1
Wenn fie nun auch 1468 gegolten „und fampt dem Uhrwerck und Sphaera
lunari angerichtet worden", fo wird lie doch erll 1580 diefen Platz bekommen
haben. Im 15. Jahrhundert Hand der Helm nämlich noch nicht und die Be-
merkung des Olearius zu letztgenanntem Jahre, es habe am 18 Juni (kr
Zeiger auf dem rothen Thurme zum erden male gefchlagen, kann unter
den vorliegenden Verhältnilfen wohl nichts anderes heifsen, als dals dir
Glocke zum erden male da oben an einem neuen Orte gefchlagen hat*-.
Die daneben hängende Glocke id audällend klein; fie hat einen DurchmelTer
von nur 0.39“; ebenfo auffällig id ihre fehr fchlanke, infchriftslofe Form
Ohne Klöppel und mit dem Uhrwerke nicht in Verbindung dient fie viel-
leicht fchon manches Jahr gar keinem Zwecke mehr. Welcher Zeit fie an-
gehören mag, id nicht zu bedimmen ; die Form würde am eheden auf da-
15. Jahrhundert fchliefsen lalTen. Mitteid Leiter kann man fchliefslich in
die achtteilige Spitze deigen. die indeflen nur condructives InterelTe bietet.
Dieter Baubefchreibung tchlietsen wir die Baugefc hichte des rothen
Thurmes an. Von Werth find zumeid die Intchriften. Ueber die Zeit des
Bauanfanges giebt vom Hagen I. 23 9 „folgende gelegentlich des Abbruchs
des alten Budenanbaues 1825 auf der Abendfeite2 unter dem unterftrn
Kranzgefimfe (toll wohl Gurtgefims oder noch wahrfcheinlicher Sockelgefims
heilsen) rechter Hand entdeckte, in Stein gehauene Infchrift“ an:
Anno Domini MCCCCXVIII est ista turris incepta.
Die Infchrift läfst (ich nicht mehr auffinden; fie id durch den heutigen An-
bau wahrfcheinlich wieder verdeckt worden. Trotzdem hier ausdrücklich
1418 als das Anfangsjahr des Baues bezeichnet wird, fo hege ich doch
Zweifel, weil, um den Infchriftdein überhaupt legen zu können, fchon vcr-
Ichiedene Jahre an dem für einen folchen Thurm immerhin beträchtlichen
F'undamente, das fogar auf einem Pfahlrode ruhte, gearbeitet fein mufstc
Mit Bedimmtheit wird hierdurch allerdings die Angabe der Infchrift nicht
widerlegt, weil die Infchrift. was freilich unwahrfcheinlich id, Ipäter als
1418, nämlich erd, als der (Quader verfetzt wurde, eingehauen fein könnte.
In welcher Weife der Bau vorwärts ging, ergiebt eine Infchrift an der
Wedfeite, die unmittelbar über dem Dache des jetzigen Anbaues und dem
* Wenn ich auch die Glocke habe meffen können, fo ift es doch der örtlichen Unru-
g’inglichkeil wegen nicht möglich gewefen, die Infchrift ringsum zu verfolgen, weshalb ich öc
hier nach von Dreyhaupt’* Angabe herfet/.en mufs.
- Vielleicht ift auch für (liefe wie für die beiden anderen bei vom Hagen angcfubr.rn
lufchrifcrn di Himmelsgegend unrichtig angegeben worden.
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HER ROTHE Till KM.
2g I
erwähnten Baldachin reih: in einen Quader diefer Siidweßecke in Minuskeln
eingehauen lieht und lautet:
anno Domini milirsimo rrrc*lni locatus rot lapis istr.
Dafs man zu der Herßellung diefes unterßen Theiles faß drei Decennien
gebrauchte, erklärt fich, wenn man beriickfichtigt, dafs die Mauern hier die
riefige Stärke von faß viertehalb Meter haben und ganz mafliv find. Zu
jener Zeit dachte ntan noch nicht daran, fo dicke Mauern hohl zu machen
und dadurch faß um die Hälfte an Material zu fparen. wie wir es heute zu
gleichem Zwecke ja ohne Zweifel thun und dadurch nicht weniger dauer-
haft ronßruiren würden. Die nun folgende Infchrift befindet fich zwilchen
dem öfteren Gurtfims und der Unterkante des oberßen Fenßers der Süd-
wand und hat, in Minuskeln gefchrieben, folgenden Wortlaut:
anno ■ Domini • m * crrrl« lorotns rot lopio iotr p ■ 3ol) • roD ■
Durch fie wird aufser Zweifel gehellt, dafs die hier beginnende Glocken-
ßube um 1466 und 1467, zu welcher Zeit ja nach der Chronißen Angabe
die grofse Glocke aut den Thurm „gezogen und geläutet“ worden iß, that-
lächlich noch nicht exißirt hat, fo dafs nur anzunehmen übrig bleibt, der
Glockenßuhl müfTe anfangs ein Gefchols nietlriger geßanden haben. Ueber
die Herßellung des letzten Mauerßückes, der Glockenßube, erfahren wir
durch Olearius, dafs fie nur die kurze Zeit von vier Jahren beanfprucht hat,
denn 1474 fei die Mauer an Unfer Lieben Frauen Thurm vollbracht „biss
an das Tach.“ Die Beendigung des ganzen Thurmes durch die Richtung
des Helmes und die feierliche Knopf auffetzung fällt erß in das Jahr 1506.
Das erhellt fowohl aus den Chroniken als auch namentlich aus der nebst
Reliquienportionen dem Knopfe eingelegten Pergamentfchrift, die 165g und
1825 neue Zulagen erhalten hat.1 Weder die Reliquienportionen in dem
Knopfe noch die 246 fufslangen Spitzen auf demfelben fcheinen der „turba
nephandissimorum Spirituum volitans per auras,“ wie es in der Infchrift
heifst, befondere Furcht eingeflöfst zu haben, denn Ichon 1535 hat ohne
Zweifel in Folge von Witterungsunbilden die Spitze „von neuem müssen
gesetzet werden.“2 Auch fpäter z. B. 1660 iß das Dach mehrfach durch
Sturm belchädigt w orden, ohne jedoch bei den Reparaturen feine alte frhöne
(ießalt einzubüfsen.
Nur eine Veränderung, nämlich an den Eckthü r mch en, hat, wie
mir fcheint, ßattgefunden. Wenn ich auch nicht fagen will, dafs diefe
Thürmchen nicht im urlprünglichen Plane gelegen haben, wiewohl fie bei
genaueßer Prüfung der Gefammtarchitektur das Thurmbild fo fehr beleben,
dafs fie zu der übrigen fchlichten Bauweife kaum paffen, und wiewohl das
Charakterißifche diefer Bauweife durch ihr Fehlen an Einheitlichkeit nur
gewinnen würde, fo möchte ich doch befiimmt annehmen, dafs fie ihre
1 vom Hagen I. S. 239 11. 240.
2 Olearius zum Jahre 1535.
19*
Zeit der
Thürmchen an
den Ecken.
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2<)2
DIE STAUT HALLE n. <1. SAALKKFIS.
Ilanmrifter.
jetzige (ieftalt anlänglich nicht gehabt haben. Ich kann nicht glauben, dafs
man jener Zeit diefem maffiven Thurm vier Thürmchen und zwar nur diefe
in Kachwerk angeflickt haben follte; entweder würde man fie auch ausSand-
llein wie den Unterbau, oder man würde fie wie das Dach von Holz ganz
mit Metallumkleidung gemacht haben, und in letzter Weife werden fie an-
fangs vielleicht ausgeführt gewefen fein. Dazu kommt, dafs ihre gegen-
wärtige Form an und für fich nicht befonders gut propnrtionirt ift: Der
kurze, dicke Rumpf ift zu dem fpitz auffchiefsenden Helme zu plump, eine
Disharmonie, die namentlich durch die Krone von F.felsrückengiebeln her-
vorgerufen wird. Denkt man fich einmal diefe Kronenarchitektur fort, die.
das läfst fich doch nicht leugnen, zu der übrigen, noch ftreng gothifchen
Architektur nicht pafst, fondern erft einige Decennien fpäter an Stelle der
concavgiebligen Krone hierorts durch N. Hoftnan eingebürgert wurde, denkt
man fich dafür aber die Spitzen der Thürmchen mit ftarken Autfchieblingen
am Fufse, wie es ganz im fpätgothi fchen Gefchmack ift (vergl. das
Thürmchen auf der Weftfpitze der Ulrichskirche), verleiten, fo würde die
F.inheitlichkeit der /Vrchitektur und namentlich eine beffere Proportionirung
der Thürmchen felber fogleich hergeftellt fein. Da wir nun willen, dafs
■ 535 eine Dachreparatur gefchah und N. Hofman gerade damals mit
dem Bau der jetzigen Marienkirche zu thun hatte, fo ift es wohl
annehmbar, dafs die heutige Geftalt der Thürmchen, falls fie nicht über-
haupt 1535 erft zugefügt wurden, aus diefem Jahre und von N. Hofman
herftammt.
Zum Schlufs fprechen wir über die Baumeifter des rothen Thurmes
Völlig unbekannt ift leider der Name delfen, der den Rifs gemacht und
wahrfcheinlich auch noch den Aufbau der unteren GefchoITe geleitet hat.
Nicht einmal fein Meifterfchild ift aufzufinden gewefen. 1470 leitete den
Bau Johannes Rod nach der Angabe der oberften Infchrift und er dürfte
lin wohl bis unter Dach geführt haben.1
quoad fastigium pinnamque ejusdem eflectum omni dili-
gentia robore et decore manu discreti fidelissimique Viri Archi-
tecti Hanszen Wulkensteyn civis Hallensis, qui et ultro se velud
loco testamenti obtulit ad tarn periculosum opus decoris . . . . .*•
meldet die Knopfinfchrift , aus welcher alfo klar hervorgeht, dafs Wulken-
fteyn nur der Zimmermeifter des Helmes, keineswegs aber, wie gemeiniglich
angenommen wird, der Erbauer des Thurmes beziehungsweife der Iiau-
meifter ift. der den Rifs (die Vifirung) erdacht hat. Da nun in der Knopf-
infchrift fich noch folgender 1‘affus findet:
- „Quibus tum Consilio tum Auxilio dati existerunt Egregii ac dis-
creti Viri in adminiculum supradictis (nämlich zweien vitricis
ecclesie) ad hoc opus rite electi dicti Octoviri, videlicet —
1 Er und fein Parlircr werden alfo wahrfcheinlich in dem nherften grofsen Weftfcnfter
porlraitirt fein.
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IM- K KOI III I III KM.
-’93
nun folgen neun Namen diefer Octovirorum. unter denen als die letzten
ifenannt werden: Hans Zcobericz de consulato, nec von Hans Bruwer
Amfoo Architecti subsequentis operis,“ fo trägt es lieh, was denn eigentlich
diele beiden Bauleute mit dem Werke zu thun gehabt haben. Ich ver-
muthe, dals fie den anderen heben Achtermännem als technifcher Beiralh
namentlich für die 1 lelmconllruction 1 zugefellt waren und in der letzten
Bauzeit die Aullicht hatten über die richtige Ausführung des alten, vielleicht
in ihrem Gewahrfam befindlichen Planes und über den ordnungsmälsigen
Fortgang der Bauarbeit überhaupt. Sie wären demnach die letzten in der
Reihe derer gewefen. welche an des verdorbenen Baumeillers Stelle für die
unveränderte Ausführung feines Entwurfes zu forgen hatten und dadurch
würde lieh auch die Einheitlichkeit der Architektur trotz der langen Bauzeit
wohl erklären.
I In Kress Chronicou 0 5. wird berichtet: ,,dafs der Rath, da die hohe Spitze im
Jahre I auf dem Thurm gefetzt wurde und der Hau vollendet war, 400 Fl. zur Hülfe ge-
neben habe.*’ Daher denn auch die Beauflichtiguni' von Seiten des Raths.
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Die Betfftule.
A
Kinlciiun-. z Vuf der örtlichen Seite des Leipziger Platzes ragt aus Bulchwerks-
Flau. anlagen ein Beinernes Mal empor, welches fowohl durch Gertalt und
Schmuck als auch durch eine lnfchrift feine nicht profane Bertimmung
kund thut. Fig. 113 und 114.
Hefdircibung. Ueber einer nicht hohen, oben etwas abgefch ragten, quadratifchen
Sockelplatte bauen fich mehrere, im Grundrifs quadratifche Quadern mit
ftarker Verjüngung nach oben auf, um hier einen Stein aufzunehmen . der
von der oberen Stärke des letzten Quaders lieh nach Norden und Süden
durch einen Viertelbogen mit einer gothifchen Xafe verbreitert und an den
Kanten fchwach gekehlte, an dem pyramidalen Unterbau lang auslaufende
Fafen hat. Diefer Stein trägt einen viereckigen anderen von etwas ge-
ringerer Stärke aber gleicher Breite und von einer etwas gröfseren Höhe
als Breite. Die plattenähnliche Geftalt diefes letzten Steines wird auf ihren
gegen Werten und Orten gerichteten Breitfeiten von je einem relielirten
Bildwerke gefchmückt, zu deren würdiger Aufftellung diefes Monument
überhaupt dienen foll. Als Abfchlufs des Ganzen läuft zunächft ein Sims,
aus Hohlkehle mit zwei fchrägen Plättchen gebildet ringsum, über welches
fich dann als Krone ein Maafswerksgebilde fetzt. Die Kleeblaltbögen des
letzteren, die nach unten zu gefchlagen find, alfo ihre Schenkel empor-
ftrecken, ftehen gewifTermaafsen aut dem Kopfe und fehen daher abenteuerlich
genug aus, wie überhaupt an diefem Werke die mittelalterliche Wunder-
barkeit fo recht zu fichtbarem Ausdrucke kommt.
Das Reliefbild zeigt inmitten einen Crucifixus — ein egyptilches
Kreuz, wie gewöhnlich im fpäten Mittelalter, — zu de (Ten rechter Seite
(alfo links vom Befchauer) Maria mit über den Kopf gehendem Mantel in
einem faltenreichen Kleide fleht, während fich auf der anderen Seite die
etwas lange Geftalt des lockigen Johannes befindet. Unten am Kreuze
kniet Maria Magdalena und umiafst den Kreuzesllamm. Auf dem Steine
unter dem Bilde lefen wir in Minuskeln:
»“ b’ m“ tttt" lu ab fjonorfm iljstts rjii stnljtl* •
Das Relief der gegen Orten gerichteten Rückfeite ftellt den kreuz-
tragenden Chriftus dar. dem ein Kriegsknecht voraufgeht, während ihm
drei Frauen (die drei Marien?) und ein Mann (Johannes?) folgen.
Eine künftlerifch fich auszeichnende Leiftung liegt uns in dem Werke,
Stil, das, wie gefugt, die Kennzeichen feiner Zeit hat, nicht vor; den Stil zu
befprechen mülTen wir Abftand nehmen, weil es augenfällig ift, dafs eine
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HIE BKIMl'U.
*95
KiR. IIJ. Kij;. 114.
Vordcranlulll. Sritciunftcht.
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Haken.
Bezeichnui)}* und
Zweck.
296 IMK STAUT HALLE u. (I. SAALKKhIS.
1840 ftädti fcherfeits vorgenommene Renovation (ich namentlich auch aut
den figuralen Theil (durch Abfcharriren) erftreckt hat.
Wir haben noch auf einen befonderen Funkt aufmerk fam zu machen.
Auf jeder der beiden Schmalfeiten des reliefirten Steines ift über der Mitte
ein eiferner Haken eingebleit. der indelfon nicht /.um Auf hängen eines
Gegenftandes gedient haben kann, weil feine Spitze fich abwärts biegt.
Haben diefe beiden Haken bereits feit 1455 hier gefelTen? Vielleicht; doch,
da fie in diefent Falle ftärker verroftet fein würden, müfsten fie inzwi fchen
einmal erneuert worden fein, wozu für die letzten Jahrhunderte ein Grund
kaum vorliegt; länger als feit 1840 befinden fie fich jedenfalls an ihrem
Platze, wie das aus einer Zeichnung des Monumentes von dem Baumeifter
Stapel hervorgeht. Wann alfo find fie eingefetzt und überhaupt zu welchem
Zwecke? Ich mufs die F'rage unbeantwortet lallen.
Schliefslich ift noch zu bemerken, dafs einige Schritte in (udwefllicher
Richtung von dem Monumente ein das hallefcho Stadtwappen tragender
(Grenz-?) Stein fleht, der dem Stile nach mit dem Monumente gleichzeitig
entftanden ift.
Wir haben diefes (Denk-)Mal nach der allgemein üblichen Weife als Bet-
fäule bezeichnet, wiewohl ja weder eine Säulenform vorhanden ist, noch feft-
lleht, ob es urfprünglich als Betfäule d. h. als eine auf den kleinften Raum
reducirte Kapelle zum Gebet für Jedermann gedient hat. Immerhin ift
thatfächlich , wie Infchrift und Bild nicht zweifelhaft laden, hier gebetet
worden, und es fragt lieh nur von wem, wann und unter welchen Umlländen.
Da hier vor dem alten „Galgthore" feit vielen Jahrhunderten der Galgen
geftanden hat, fo wird angenommen, die Verurtheilten hätten an diefer Stelle
ihr letztes Gebet verrichten können. Diefe Erklärung hat für mich befonders
des naheftehenden Grenzfteines wegen außerordentlich viel Wahrfcheinliches.
da jedoch ihre Richtigkeit nicht zu beweifen ift, fo kann ich nicht umhin,
auch noch darauf aufmerkfam zu machen, dafs Olearius zu dem Jahre 1510
folgende Bemerkung macht: „Nachdem eine Gewohnheit gewefen, dafs man
das Evangelium auff St. Marcs Tage vorm Ranifchen Thore gelefen, fo hat
der Rath zur Andacht ein Crucifix mit zwey Bildern des Orts fetzen
laden.“ Könnte nun nicht auch aus Anlafs einer ähnlichen, unbekannt ge-
bliebenen „Gewohnheit“ diefes Reliefbild errichtet worden fein?
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B. Profane Bau- und Kunstwerke.
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Die Moritzburg.
F
-L ehemals und zwar fchon feit uralter Zeit lag an Stelle der Moritz- Gvlchichte.
bürg, alfo am rechten Saalufer, nord weltlich , hart an der hallefchen Stadt-
mauer, aber wohl noch aufserhalb derfelben, das „fchwarze Schlofs.“
Man weifs über feine Erbauungszeit, über fein Ausfehen und die Herkunft
feines Namens Beltimmtes nicht. Es giebt Gründe, die es wahrfcheinlich
machen, dafs wir es hier mit jenem ErankenfchlolTe zu thun haben, welches
König Karl, der Sohn Karls des Grofsen, in diefer Gegend „ad locum
qui vocaturHalla" angelegt hat und delTen im Jahre 806 gefchehener
Gründung im Chronicon Moifliacenle Erwähnung gefchieht.1 Wiewohl im
Mittelalter ohne Bedeutung, mufs das Schlofs doch bewohnbar gewefen fein,
da die Burggrafen, wenn fie in Halle waren, fich in ihm einzuquartieren
pflegten. Als es 1478 dem Erzbifchofe Ernlt von Magdeburg gelungen war
lieh der Stadt zu bemächtigen und fie dadurch um ihre Freiheit zu bringen,
fuchte er auch fogleicn nach einem geeigneten Platze für den Bau einer
Burg, um die grollenden Bürger fortgefetzt niederhalten zu können. Schon
hatte man auf dem Martinsberge, als der Stelle, von welcher aus das
Weichbild der Stadt offenbar am bellen zu überwachen und ein Aufltand
zu unterdrücken war, angefangen, die Zwingburg zu fundamentiren,2 als
der Baugrund hier fich untauglich zeigte, fodafs von diefem Platze abgefehen
werden mufste. Man nahm darauf den Petersberg zwifchen dem Stein- und
Ulrichsthore in Ausficht, aber auch hiervon kam man wieder ab, um
fchliefslich den Platz, auf dem das fchwarze Schlofs lag, zu erwählen
1484 am 25. Mai wurde unter Feierlichkeiten der Grundltein gelegt und an
ebendem felben Tage des Jahres 1503 die Burg dadurch als fertig erachtet-
dafs ihr Erbauer mit feinem Hofe zum erften Male in ihr Quartier nahm'
Nur die Kapelle wurde erft 150g vollendet und der h. Maria Magdalena
geweiht. Das ganze Bauwerk habe 150,000 Gulden gekoftet, „darzu von
allen Unterthanen niemands einen Pfennig contribuiren noch fröhnen dörfen“,
wird erzählt, und Ern II . fchreibt Olearius, „wil keinen Stein de bonis sub-
ditorum darzu genommen haben, wie Friedrich II. König von Dennemark
1 vom Hagen 1. 4 in dem von Hertzherg gefchriebenen Ucberblicke über die GcCchichtc
Uer Stadt Halle.
2 Es wird ein Baumeiftcr Namens Hanfdike erwähnt, der viele Polucken zum Bau der
Burg auf dem Martinsberge angenommen hatte. Ob derfelbe auch fpiiter dem Baue der Moritz-
bürg vorgeftanden hat, ift nicht bekannt.
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300
DIE STAUT HALLE u. J. SAALKKKIS.
zur Cronenburg.“ 1 Die Burg, die damals als „arx infuperabilis," oder ,,ar\
muiiitiffima'' galt, wurde nach dem Patron des Erzftiftes, dem h. Moritz,
dem zu Ehren fie aufgetührt war und delTen Statue auch über dem auf der
Nordfeite belegenen 1 laupteingange Hand, die Moritzburg genannt. Wie
für das Erzftift feheint auch für die Burg als Compatronin die h. Katharina
betrachtet worden zu fein, da ihr über dem zweiten gegen Ollen gelegenen
Burgthore ein Standbild, welches noch heute an feinem Platze lieht, gefeta
wurde. Nach dem Erbauer, delTen Herz in der Kapelle beigefetzt ill, — fein
Leib ruht in der Kapelle U.L. I-' rauen (sub turribus) des magdeburger Domes,
refidirte der Erzbilchof Albrecht von Brandenburg aut der Moritzburg. Seine
Hofhaltung war die glanzvolllle damaliger Zeit in Deutfchland, und in welcher
Weife man lebte, erhellt daraus, dafs Luther einmal in feiner unverblümten
Sprache die Moritzburg das Huren haus des Erzbifchofs nennt.2 Sogleich
nach feinem Regierungsantritte weihte Albrecht 1514 die Kapelle zur Kirche
des Neuen Stiftes ein, zu delTen Anlegung er die fchon von Emil erbetene
päpllliche Genehmigung erhalten hatte, und die Schlofskapelle blieb dann
auch bis zum Jahre 1523, bis der Dom, die neu erbaute Stiftskirche, zur
Weihung fertig war, als Gotteshaus des Stiftes bellehen. Von Albrecht
foll auch 1514—17 der Thurm über dem Olleingange der Burg ausgebaut
worden fein, weswegen man über der Nebenpforte des Portales fein Wappen
findet. Die bekannte Baulull diefes Kirchentürllen — man könnte freilich
ebenfo wohl und im Hinblick auf feine wirklich ausgeführten Neubauten
mit noch mehr Recht von feiner Lull am Zerllören von Bauwerken reden —
bekundet (ich auch bei der Moritzburg infofern, als er 1536 die beiden
Häuferreihen der (alten) Schimmelgaffe auf dem Neumarkte, welche fich
von dem alten Juden triedhofe (?) auf dem nördlichen Theile des jetzigen
Paradeplatzes bis zur Saale hinabzog, abbrechen und dafür einen Schutz-
wall, den jetzigen Jägerberg aufwerfen liefs. Das auch von ihm erbauti-
Reithaus nördlich am Paradeplatze, fpäter in ein Ballhaus (nach franzölifcher
Weife) umge wandelt, ifl nicht mehr vorhanden. Sein Nachfolger Johann
Albert liegt in der Schlofskapelle begraben. Ihm folgte E’riedrich und
dann als der letzte Erzbifchof Sigismund, welcher ebenfalls in der Kapelh-
beigefetzt ifl.
Seine protellantifchen Nachfolger, Adminilfratoren des Erzftiftes ge-
nannt, waren feit 1567 Joachim Friedrich und dann fein Sohn Chrilfian
Wilhelm, zu delTen Zeiten der dreißigjährige Krieg losbrach. Natürlich
war jetzt die Burg ein viel umftrittenes Stück und , je nachdem der Sieg
fiel, zeitweife von Kaiferlichen, zeitweife von fchwedifchen Soldaten befetzt.
1 Dazu wird in WinnigliäiH’s halberflädter Chronik eine Gcfchichtc erzählt , die auch ic
Fr. Knauth’s: „Die Morit/burg" abgedruckt ifl. Vcrgl. übrigens auch v. Dreyhaupt I.. S. 1 82, §20.
2 Luthers Grobheit war berechtigt; man weifs, dafs Albrecht, der Cardinal, fich nicht
feheute in Proccflion den Leichnam feiner Maitreffe in einem goldenen Sarge aul die Moritr-
bürg tragen und ihn dafclbft gleich den Reliquien verehren tu laffen. Das helle Licht, welche'
durch diefe Thatfache den Gcift der damaligen Zeit erkennbar macht, wird gleichfam tum
Schlüffel für das Verftändnifs ihrer und der lieh dann entwickelnden /uftände, namentlich auch
in Bezug auf die bildende Kund.
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DIU M0R1TZIURG.
301
Schliefslich fand die Harke Felle durch die Unvorfichtigkeit der InfalTen
felher ihre Zerllörung. Es war des Morgens um 7 Uhr am 7. Januar des
überaus kalten Winters 1637 , als man aus den Burgfenllem (vermuthlich
zuerft im nördlichen Flügel) helle Flammen fchlagen fah und es nun ausser
Zweifel Hand, dafs eine Feuersbrunlt auf der Burg zum Ausbruch gekommen
war. Es wird erzählt, der grofsen Kälte wegen habe in einem der Säle der
Trommler ein Wachtfeuer auf dem Eflrichtufsboden angelegt, jedoch erft
nachdem der Koch als Sach verßändiger hinzugezogen war und ein folches
Feuer für gefahrlos erklärt hatte. Durch die Gluth hatten gar bald die Balken
unter dem Ellrich und dann auch namentlich die gerade unter diefer Stelle
aufgel'peicherten Heu- und Strohvorräthe Feuer gefangen, fodafs nun an
eine Bewältigung des Brandes nicht mehr zu denken war. Als dann die
beiden Anllifter, um lieh zu flüchten, an einer Lunte in den Burggraben
hinabzukommen fuchten, fei das nur dem Trommler gelungen, hingegen
habe der Koch, weil die Lunte gerilfen wäre, das Genick gebrochen. Der
Schnee, der durch das Feuer gefchmolzen und als Waffer vom Dache auf
ihn herabgetropft fei. habe ihn völlig mit Eis überzogen gehabt, als er
dann aufgefunden worden. Obwohl durch diefen Brand gar vieles zerftört
war, l'o namentlich die Ausllattung der Säle und der Kapelle, ferner die
nicht maffiven Decken der oberen Gefchofle fowie die Dächer, verlor die
Burg doch erft dadurch, dals der füdweftliche Eckthurm von der Neumühle
aus unterminirt und in die Luft gefprengt wurde, ihre Bedeutung als Ver-
theidigungsplatz . und der völlige Ruin hatte ftatt, als 1703 die Steine zum
Ausbau des ehemaligen reformirten Gymnaliums genommen werden durften.
Uebrigens hatte fchon der letzte Adminiftrator Herzog Auguft, welcher
1638- — 1O80 regierte, die Moritzburg nicht wieder bezogen fondern zunächll
im Oberbergamt am Domplatze und dann in der von ihm zur Hofhaltung
neu ausgebauten und eingerichteten Refulenz gewohnt. Die Schlofskapelle
hat er jedoch 1648 nothdürftig wiederherftellen laffen. Als dann bei feinem
Tode die Regierung an das Haus Brandenburg überging, blieb feitdem die
Moritzburg als Ruine ohne eigentlichen Zweck liegen. 1087 fing die
franzöfifche reformirte Gemeinde in einem Raume des Thurmes über dem
örtlichen Eingänge ihren Gottesdienft an, für welchen fie ibqo die Schlofs-
kapelle bekam und einweihte. 1727 wurde der Raum der ehemaligen Pracht-
fäle in Gärten verwandelt. 1777 entftand das auf derüftfeite gelegene und
an die Kapelle ftofsende Gebäude, welches, als Lazareth für Soldaten ge-
baut, jetzt zu anderen mililairifchen Zwecken ausgenutzt wird. Als 1809 die
deutfehen und franzöfifchen Reformirten in der Domgemeinde vereinigt
wurden , vermiethete man die Kapelle als Niederlage für Tonnenreifen.
1847 kaufte fie Friedrich Wilhelm IV. und 1832 gelangte die ganze Burg,
auf die inzwifchen Private Anfprüche bekommen hatten, durch Kauf in den
Befitz des Staates zurück. Theilweife vermiethet harrt fie nun der würdigen
Reftauration und des würdigen Zweckes.
Das Gebäude der Moritzburg nimmt den Platz eines nicht ganz recht- Situation,
winkligen Viereckes ein, das, obwohl die Südfeite kürzer als die Nordfeite
ill und beide kürzer als die im Ollen und Werten find, fich dem Quadrate
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IMF. STAUT HALLF u. H. SAAt.KKFIS.
GrundrifTc und
muthmaafäl che
Befümmung
der Räume.
OftTeilc.
302
nähert. Die vier F.cken lind durch runde Thürme. deren Peripherie nur
etwa auf ein Viertel in das Viereck einfehneidet, verllärkt. Die an der
W eftfeite entlang fliefsende Saale hat wohl ehemals das Mauerwerk befpült
und den Graben rings um das Schlofs zeitweife mit Waller gefüllt. Der
Haupteingang, in der Nordfeite, etwa auf ein Drittel ihrer 1-änge von Ollen
her gelegen und früher durch eine Zugbrücke über den Graben zu er-
reichen, liegt jetzt unbenutzt , während das zweite alte Thor inmitten der
Oftfeite eine fteinerne Brücke von mehreren Bögen (im 18. Jahrhundert-
erhalten hat und heute den Zugang bildet. Die Situation der Gebäude im
Bezirke der Burg felber ift nun fo, dafs ftch ringsum zwei- bez. drei-
gefchoffige Flügel ziehen, ausgenommen ift die örtliche Hälfte der Südfeite
und die (udliche der Oftfeite, welche Strecken nur mit einer Harken Ver-
theidigungsmauer umzogen find Inmitten des ganzen Vierecks der Burg
verbleibt alsdann noch ein ziemlich geräumiger Hof.
Um nun die Burg eingehender zu befchreiben, gehen wir aut die
Grundriffe ihrer einzelnen Seiten näher ein und beginnen im Orten, von
wo aus man heute eintritt. Durch den Eingang zerfällt diefe Seite in zwei
Theile; der nördliche von ihnen wird von jenem bereits erwähnten Militair-
gebäude des vorigen Jahrhunderts eingenommen und diefes bietet kein
InterelTe. Ob hier schon ein älteres Gebäude geftanden hat oder nur pine
Harke Mauer, wie wir lie fogleich auf der ludlichen I lälfte diefer Burgleite
kennen lernen werden, kann zwar nicht beftimmt angegeben werden. al**r
wenn nicht das Erftere der Fäll gewefen ift, IV) müfste wenigftens ein Theil
der in F'rage flehenden Strecke und zwar von Norden her unter Dach ge-
legen haben, weil fonft gewilTe Thüren der Kapelle, gegen welche hier die
Oftfeite ftöfst, in das Freie geführt hätten und weil ferner die Keller der
Nordfeite fich noch eine Strecke unter die Oftfeite, die übrigens nicht unter-
kellert ift. hinziehen und endlich weil eine breite Treppe, die am Thurme
der Nordoftecke im Keller beginnt und jetzt auf der halben Höhe ver-
fchüttet ift. hier in der Oftfeite ihren Austritt gehabt haben mufs.
Der Eingang der Oftfeite befteht aus einem weiten Thore für Reiter
und Wagen und einem fchmalen Pförtlein links daneben. Ueber dem Ein-
gänge erhebt fich ein fechsfeit iger Thurm, der fo gerichtet ift, dafs
eine feiner Ecken mitten über das Hauptthor (in der Fluchtmauer der Oft-
feite gelegen) fällt und daher hier erft im ObergefchofTe zur Entwickelum:
kommt, während die gegenüberliegende Ecke im Hofe bis zum Terrain
herabgeht und nun, da auch fie in der Achfe des Thores liegt, die Durch-
fahrt nach einer Seite, hier gegen Norden, abzulenken zwingt. Es hat diefrr
Umftand feine Wichtigkeit, weil durch ihn nicht nur der Einblick in den
Hof erfchwert wird, fondem, was mehr noch ift, das Eindringen der feind-
lichen Gefchütze und des Feindes felber. Der Südfeite des Thurmes, den
im Erdgefchoffe ein Netzgewölbe überdeckt, ift eine Wendeltreppe vor-
gelegt, welche zu den beiden jetzt ruinenhaften Obergefchoften mit Balken-
decken und von nicht grofsen, gekuppelten Fenftem durchbrochen führt.
Ihr Grundrifs bietet nichts Bemerkenswerthes. Unzweifelhaft war der an-
fängliche Zweck des Thurmes, ftändig von ihm aus die Stadt, zu deren
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IMF. MOK1TZHCR0.
Niederhaltung ja der Bau überhaupt diente, bewachen zu laden, damit kein
unvermutheter Ueberfall von Seiten der Bürger die Zwingburg in deren
Hand bringen könne. Vornehmlich feine Lage nicht im Norden über dem
Haupteingange zur Burg, fondern da, von wo her ein Angriff der Bürger
(ich erwarten liefs und andererfeits wo die gegen die Stadt gerichteten
Gefchütze der Burg (landen, fowie feine Höhe und teile Bauart fprechen
für den angegebenen Zweck.
Diefer Wachtthurm wird mit dem Südollthurme durch eine fehr
Harke Mauer verbunden, welche allerdings eigentlich kaum noch als Mauer
gelten kann, da de nur aus ungleichartigen Pfeilern mit dazwifchen ge-
fpannten Kappen und einer mäfsig Harken Ausmauerung an der äufseren
Seite beffeht. Die fo entHehenden Räume, nach aufsen mit Schiefsfeharten
verfehen. gaben fichere Gefchütz.Hände ab, und über ihnen her zog fich
hinter Crcneluren mit befonderen Schiefsfcharten ein offener Laufgang als
/weiter Platz für die Gefchoffe. Hie Schiefsfcharten in dem Thurme an der
Südoffecke find im Laufe der Zeit fo fehr verändert, dafs man kaum ihre
Plätze aufzufinden vermag: es dünkt mich, dafs lie ebenfo wie im Nordoll-
thurm. wo lie heller erhalten find, angebracht waren und zwar lag zwifchen
einem Kranze von Schiefsfcharten zu ebener Erde und einem anderen in
Terrainhöhe des Burghofes noch ein dritter und ein vierter in Höhe des
genannten Laufganges der Mauer. An maffive Zwifchendecken in dielen
fiefchoffen darf man wohl nicht denken, weil es keine Spuren davon gieht.
Wenn auch diefer Thurm und ebenfo der Nordollthurm ein hohes Dach
nicht gehabt haben mögen, fo waren fie doch nicht ohne Dach, aber mit
Zinnen umkrän/t. wie man wohl gemeint hat. Man kommt unter Zuhülle-
nahme der Relle des Nordoffthurmes zu der Meinung, dafs der letzte Schiefs-
fchartenkranz dicht unter einem Dache mit der Neigung eines Winkels von
etwa 45 Grad lag. Unter fich wurden, fo viel man fieht. die einzelnen
Gefchoffe durch eine maffive Treppe nicht verbunden.
Auch die erfie Strecke von diefem Thurme aus an der Südfeite wird Südfciic.
nur von einer Harken Vertheidigungsmauer, wie die befchriebene iff. ein-
gefafst. Dann folgt ein Gebäude, welches zwar alt iff, jedoch durch fpätere
Veränderungen über feine ehemalige Bellimmung kaum noch einen Schlufs
zulaffen würde, wenn nicht aus einem Umftandc taff mit Beftimmtheit
hervorginge, dafs wir hier die Lage der Wirthfchaftsräume wenn nicht auch
der Stallungen anzunehmen haben. In diefem Gebäude liegt nämlich der
Brunnen. Lagen die Wirthfchaftsräume in den beiden oberen Gefchoffen,
die durch eine alte maffive Treppe rechts im Flur, indem auch der Brunnen
liegt, verbunden werden, fo könnten die Keller zu Ställen eingerichtet
gewefen fein, obwohl man weder F.ingänge noch Rampen, durch die diefelben
zugängig gewefen fein müfsten, erkennt; die Untergefchoffe hier find über-
haupt jetzt unzugänglich. Auch weil eine Communication mit dem weltlichen
Hügel nur durch einen fchmalen Gang Hellenweife mit Treppe, der im
Mauerwerk der Offwand des Weftffügels ausgefpart iff, ftattfindet. darf man
hier die Lage der Küchen u. f. w. annehmen, nicht aber, wie Knauth in
feiner Befchreibung der Moritzburg ohne Beibringung von Gründen meint.
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DIF. STADT IIAI.LF u. <1. SAALKKF'S.
Weft feite.
3°l
die Wohnungen der höheren Offiziere. Solche dürften lieh mit gröfster
Wahrfcheinlichkeit in der Nähe der Eingänge, namentlich des örtlichen, und
alfo in dem Gebäude zwifchen dielem und der Kapelle vermuthen lallen
Ich bin auch nicht der Meinung, dafs die Capitelllube. die für die Stifts
herren des Domes zu Magdeburg eingerichtet war und Händig für fie bereit
Helten mufste. lieh hierher verlegen läfst : denn ifl es nicht unwahrfcheinlich.
dafs ein folcher ausgezeichneter Raum fo abfeits von den übrigen Sälen
und (iemächern und ohne eine gute Verbindung mit diefen gelegen haben
follte? —
Die ganze WeHfeite der Burg iH von einem zwei- bez. zweieinhalb-
gefchoffigen, durchwegs unterkellerten Gebäude eingenommen. In den Hol
vor fpringt ein Rifalit mit zwei Thüren unten. Durch die linke kommt man
auf einer breiten, gewundenen Treppe zu den beiden ObergefchoHen. durch
die rechter Hand vermitteln einer breiten, geraden und einarmigen Treppe
zu den Kellereien hinab. Aufserdem fuhren noch mehrere Eingänge vom
Hofe aus zu befonderen Kellerabtheilungen, die, bald höher bald tiefer ge-
legen, labyrinthartig fich unter diefem Flügel hinziehen. Auf der Keller-
treppe im Rifalit, welche von Heigenden Kreuzgewölben überdeckt ill
kommt man zuerH an kleineren, meifi dunkelen, nur von der Treppe aus
zugänglichen und in verfchiedenen Höhen gelegenen Räumen vorbei, deren
Zweck unklar iH. Am Treppentufse liegt ein von Nonien nach Süden
länglicher, rechteckiger Raum, von einem Netzgewölbe ganz irregulärer
Ausbildung iiberfpannt und durch ein quadratifches FenHer erhellt. Ein
Kamin befindet fich etwa in der Mitte der Wefiwand. fodafs der Raum
zum Aufenthalte für Menfchen gedient haben mufs und gewifTermaafsen der
Vorraum zu den übrigen unteren Kellerabtheilungen diefes Flügels, in
welche von ihm aus gegen Norden, Süden und Ofien I hüren gehen, gewefen
zu fein fcheint. Beriickfichtigt man auch die belfere Ausßattung des
Raumes und feine Lage unweit des Einganges zu den Sälen und fürfilichen
Gemächern, die in den ObergefchoHen diefes Flügels, wie noch zu zeigen
fein wird, gelegen haben, fo ergiebt fich, dafs man in dem Vorraum fehr
wahrfcheinlich die Wachtfiube der I.eigbarde zu erblicken hat; für die
Mannfchaften hätten alsdann die dunkelen Räume neben der Treppt* zum
Schlafen gedient. Die Thür gegen Süden führt vermitteln einer Treppe in
einen noch etwas niedriger gelegenen Keller hinab, welcher die gan/r
Gebäudetiefe einnimmt und fich bis zu der füdlichen Aufsenmauer erfireckt.
Eine Reihe von vierfeitigen , einfachen und fehr kräftigen Pfeilern inmitten
von Norden nach Süden macht den Keller zweifchiffig und trägt Gewölbe,
die als einfache Kreuzgewölbe angefehen werden können. Es würde hier
völliges Dunkel herrfchen, liefsen nicht einige Schiefsfeharten nahe am
Boden ein fpärliches Licht einfallen. Diefer Keller ohne einen anderen
Zugang als durch den Vorraum mufs ein Speicher für Munition oder dergl.
gewefen fein. Neben der Treppe, auf welcher man in der Nordwefiecke
diefes Kellers vom Vorraume herabgefiiegen iH, liegt unten eine Thür zu
einem noch unter dem Vorraume befindlichen Gelade. Dafselbe iH völlig finfi**r
und erhält nur durch einige effenartige Luftlöcher in feinem Gewölbe, einem
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305 ^
fpitzbogigen Tonnengewölbe, von oben her Luft. Einen Kerker zu ver-
muthen, id fchwerlich angängig, weil keinerlei Ankettungs Vorrichtungen
in den Wänden aufzufinden find, wohl aber könnte hier die Münze
eingerichtet gewefen fein, deren Schomllein direct in den des darüber
belegenen Kamins Abzug hatte, und die hier nicht nur ziemlich ver-
deckt, fondern auch von den Leuten der Wachtllube wohl verwahrt lag.1
lieber dem grofsen, zweifchiffigen Keller liegt ein anderer ebenfalls zwei-
fchiffiger, welcher direct vom Hofe feinen Zugang hat. Seine Pfeiler find
achteckig und, wiewohl aus Sandlleinen in guter Fügung beftehend und
mit breiterem Sockel, doch fcheinbar etwas zu fchwach für die Lall der
ßackdeinkreuzgewölbe und der ehemaligen ObergefcholTe. Jetzt ill ein
Theil diefes Kellers im Süden durch eine Mauer aus fpätererZeit abgetrennt
und unzugänglich. Diefen Kellereien auf der Südfeite des Treppenhaufes
im Rifalit des weltlichen Gebäudeflügels entfpricht eine fall ebenfo aus-
gebildete Anlage gegen Norden Durch eine Zwifchenwand ill fie von den
Kellern des Nordflügels getrennt, mit denen anfänglich eine Verbindung
llattgefunden hat. In der Nordwellecke findet lieh ein kleiner Raum; hier
dürfte der Zugang zu einer die GefchofTe verbindenden Wendeltreppe
gewefen fein. Endlich fei bemerkt, dafs auch im Rifalit ein kleiner Keller
von aufsen zugänglich ift.
Das erlle Obergefchofs des Weftflügels, um einige Meter über
Terrain gelegen . ill vom Hofe aus durch jene erwähnte Wendeltreppe im
Rifalit zu erreichen. Da das Dach und die Zwifchendecke beider Ober-
gefcholTe, ebenfo alle Zwilchenwände bei dem Brande zerltört oder fpäter,
um den ganzen Flügel in einen Garten zu verwandeln , befeitigt worden
lind, fo kann über die Anzahl und Dispofition der Räumlichkeiten allerdings
nichts Bellimmtes angegeben werden, indefTen unterliegt es keinem Zweifel,
dafs hier die fürltlichen Wohngemächer und die F'e II fäle gewefen
fein müden. Hätten fie ficherer liegen können als hier, wo fie einerfeits
durch die Saale, andererfeits durch den Schlofshof und die Oflfeite der Burg
gedeckt waren? Die Harken Aufsenmauern liehen fall noch biszumllaupt-
gefimfe und find in beiden GefchofTen von Fendern durchbrochen, gegen
den Hof zu von wenigen, aber gen Weden, wo fich jenfeits des F'lufles in
die zur Burg gehörigen Gärten und in die weite Landfchaft dahinter eine
liebliche Ausficht bot, von je einer dattlichen Reihe in jedem GefchofTe.
Diefe F'ender, verfchieden in den beiden GefchofTen, aber in jedem gleich-
förmig, liegen in beiden immer fenkrecht über einander, doch haben fie ver-
fchiedene Achfenweiten ; ihre Stellung id erfichtlicherweife der inneren
Raumeintheilung angepafst worden. Erwägt man dazu, dafs die Fender
unten zweitheilig und. wie wir noch befprechen werden, von einfacher Aus-
bildung, oben hingegen ungetheilt und üppiger gedaltet find, ferner dafs die
1 Diefen Kaum fcheint Knnuth zu meinen, wenn er fugt . dafs man hier unten in den
Kellern ,,mit gröfseftcr Be B i m m l hei t “ auch die .Münzftalle wiedererkenne, welche
*oo dem letzten Adminiftrator de* Kr/ftifl L'S am 2. Mürz 1608 auf der Moritzburg neu ein*
gerichtet fei.
B. D. J. Hau- U: Kunstd. N. F. 1. 20
'WA RVÄftD
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niE*TcoKmm?R?r?
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306
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Höhe des erften GefchoITes gröfseren Räumen fchwerlich genügt haben
kann, während die Decke des letzten GefchoITes noch beliebig höher in
den Dachboden hinein fchneiden durfte, fo kann man vielleicht noch einen
Schritt weiter gehen, um in das erfte Gefchofs die Wohnzimmer, in
das andere die Felträume zu verlegen. Diefe Annahme zu betätigen,
tritt noch hinzu, dafs es aus conftructiven Gründen glaublicher ifl, der Fufs-
boden der Säle fei von den zahlreichen Wänden der Wohngemächer unter-
ftützt worden, als dafs die auf lange Strecken fich frei tragenden Balken
der Saaldecken noch obendrein von den Wänden der kleineren Zimmer
belaftet worden wären. Allein war denn die Zwifchendecke der Ober-
gefcholTe des Weftflügels überhaupt eine Balkendecke oder war fie
nicht vielleicht gewölbt? Letzteres nicht, weil fich die Kämpfer einer
mafliven Decke noch mehrfach durch Reite an den Wänden erkennen
lafTen würden, was nicht der Fall ift. Nur an einer Stelle gewahrt man
folche Reite, Rippen von guter Profilirung, nämlich an der Südmauer des
Flügels im erlten Obergefchofs. Man kann nur annehmen, dafs hier ein
vor den übrigen Gemächern ausgezeichneter Raum gelegen hat. Welcher :
Die ilolirte Lage ganz am Ende der Wohnzimmerreihe und die würdigere
Ausftattung lafst mich an die Capitelltube denken, die Knauth als
in dem Südflügel belegen annimmt, zu dem man ja diefen Theil auch
noch rechnen könnte, wiewohl er aufser durch den genannten fchmalen
und in der Wand verflechten Gang mit dem Gebäude der Südfeite nicht
weiter communicirt. In der Weftfront kragen fich mehrfach Confolen aus.
Sie werden theil weife nicht nur Balkons getragen haben, fondem gefchlofsene
Häuschen wenn auch nur von Holz, die Aborte der Burg. Mit Gewifsheit
möchte man dem jetzt herabgefallenen mafliven Anbau durch beide Ober-
gefchoffe diefen Zweck beilegen, allein wozu die nicht weit vor die Flucht
tretende dicke Mauer? Möglicherweife lag hier eine fchmale Wendeltreppe
von einem GefcholTe in das andere, die einen Theil des Umganges von Ge-
fchütz zu Gefchütz bildete und wohl die Säle und Wohnräume dabei zu
berühren vermied. Auch andere Partien eines folchen Ganges entdeckt
man im Mauerwerk. In den Ecken, welche die Weftmauer an ihren Enden
mit den runden Thürmen bildet, fieht man den Raum einer runden, nicht
kleinen Wendeltreppe, die ehemals die GefcholTe des Gebäudes und der
Thürme verbunden hat, deren Stufen jetzt aber fämmtlich dicht vor dem
Mauerwerk abgebrochen find; wie es fcheint, ift es den Eroberern bei der
Demolirung der Burg darauf angekommen, die Verbindung der Räumlich-
keiten auf/.uheben. Aus den voraufgegangenen gefchichtlichen Bemerkungen
erhellt, dafs der Südwertthurm nicht mehr vorhanden ifl. Er wird das Aus-
rehen des an der Nordweftecke flehenden gehabt haben, von dem fich fogar
noch viele Steine des Dachfintfes an Ort und Stelle befinden. Schmale,
hohe Schiefsfcharten in den Kellern, darüber fchmale, fchiefsfchartenartic
Fenfteröffnungen und ganz oben gekuppelte Fenfter durchbrechen fein
ftarkes Mauerwerk. Die Kellergewölbe haben fich erhalten. Der untere, von
einem Kuppelgewölbe überdeckte Raum ifl feiner drei Schiefsfcharten wegen
unzweifelhaft nicht das Burgverliefs, für das man ihn wohl ausgegeben hat.
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DIF. MORITZBURG.
30?
Hohes InterefTe bietet der Nord flügel. Er hat unten zwei ungetheilte Nordscite.
zweifchiffige KellergerchofTe, deren Pfeilerreihe im oberen GefchofTe ein
wenig fchwächer gehalten ill als im unteren, in dem (ich wieder einige
Schiefsfeharten vorfinden. Es iß richtig, dafs in das obere Kellergefchofs
eine rampenartige Treppe führt und zwar von einer nahe der nordwelllichen
Hofecke gelegenen Thür aus; wenn nun aber daraus gefchlolTen wird
(Knauth), dafs fich hier die Stallungen befunden hätten, fomufs darauf hin-
gewiefen werden, dafs die genannte Thür für das Einbringen von Pferden
kaum hoch genug gewefen fein dürfte, ganz abgefehen davon, dafs, da der
Brunnen im Südflügel lag, alles Waffer für das Vieh über den ganzen
Burghof getragen werden mufste. Wo die genannte Treppe in ihrer Fort-
fetzung nach unten gegen die Nordmauer llöfst und hier fich zurückwendet,
wird fie von einem Gewölbe unterftützt, das fich vom Boden auf im Viertel-
kreife gegen die Nordwand fchlägt. Da der fo entftehende niedrige Raum
ohne Fenfter iß, nur einen niedrigen, engen Eingang hat und daher einen
unheimlichen Eindruck macht, fo vermuthet man in ihm vielleicht nicht mit
Unrecht einen Kerker. In feiner Südweßecke gewahrt man noch eine fehr
fchmale, thürartäge Oeffnung, die jetzt verfchüttet worden iß und ihrer
tieferen Lage wegen zu einem zweiten, tiefer gelegenen Raume geführt zu
haben fcheint. Der Nordoßthurm, jetzt ohne Dach, wird wie der Südoß-
thurm kein bedeutend höheres Mauerwerk als das noch ßehende gehabt
haben, was einestheils aus Spuren feines ehemaligen Daches an der Kapelle
gefchloßen werden kann, anderentheils daraus hervorgeht, dafs das nord-
ößliche Kapellenfenßer, als im Thurm gelegen, wenigßens äufserlich unaus-
gebildet geblieben fein würde. Auf gewölbte Zwifchendecken läfst nichts
fchliefsen. Die Schiefsfcharten fitzen in vier Gefchoflen. Bei dem Thurme
beginnt die erwähnte, oben verfchüttete Treppe, die hier zunächß die Keller
der Nordfeite verbindet und ihren Austritt dann in dem Oßftügel gehabt
haben mufs. Die Aufsenwände des Nordflügels find etwa bis zur Hälfte des
letzten der drei Obergefchofle, die fich hier finden, erhalten und haben nur
gegen den Hof zuF'enßer, die übereinander liegenden von durchweg gleicher
Form. In der Nordmauer liegen nur Schiefsfcharten und ganz unbedeutende
Fenßerchen zum Ausfpähen. Solche Ausbildung erßreckt fich nur auf den
Weßtheil des Flügels, den ößlichen nimmt die Kapelle ein. An ihrer Weß-
mauer im erßen Obergefchofs liegt die ehemalige Durchfahrt des Haupt-
einganges, welche, wie diefes Gefchofs der Weßpartie des Flügels über-
haupt, wohl überwölbt gewefen iß. Der Eingang in der Nordwand hat die
Form des an der ößlichen Burgfeite, beßeht alfo aus einem weiten Thore und
einer links daneben gelegenen Pforte, beide ehemals mitteiß einer Zugbrücke
über den Graben zugänglich; in den Hof fuhrt nur ein Thor. Was (ür
Räumlichkeiten weßlich von der Durchfahrt gelegen waren, läfst fich nicht
lagen; die Gewölbe find theilweife eingefallen und das Durchfahrtsthor
gegen den Hof, fowie eine in diefes Gefchofs führende Thür daneben und
die Fenßer find vermauert. Die Fenßer der drei GefcholTe ßehen axial
über einander und find meiß zweitheilig; gegen die Kapelle zu kommen
auch ungetheilte und gekuppelte vor, jedenfalls in Folge der inneren Raum-
zo*
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308
DtE STADT HALLE u. d. SAALKKE1S.
eintheilung. Auch in diefem Flügel find weder Innenmauern noch Zwifchen-
decken (ehemals wohl nicht maffiv) in den beiden oberften Gefchofien er-
halten; der ganze Raum ift jetzt ebenfalls ein Garten. Somit kann die
Dispofition und Beftimmung der Räume nicht mehr ficher nachgewielen
werden. Zieht man jedoch die I-age der F'enfter gegen den Hof zu, die
Sicherung des Flügels nördlich .durch eine fenrterlofe Mauer, ludlich durch
den vorliegenden Hof und örtlich durch die Kapelle in Betracht und berück-
fichtigt. dafs die gleichartigen F'enfter ziemlich üppig, wie noch zu befchreiben
fein wird, ausgebildet waren, fo kommt man zu dem Schluffe, dafs hier
Räume von einiger Bedeutung und zu gleichen Zwecken müfiTen gelegen
haben. Ich fchliefse n.ich daher der gemeinen Angabe an, dafs es die „Ertz-
bifchöfliche Liberey oder Bibliothec, die Wallenftein im dreyffigjährigen
Kriege (nämlich als er am 12. und 13. Juni des Jahres 1626 hier war) weggefchlept
und Pinnovio gefchenkt" hat, gewefen irt , die hier ihren Platz hatte. Wo
aber „die Regierung und Landes-Archiv in einigen feuerfellen Gewölbem"
untergebracht war, ob etwa in dem Erdgefchoffe diefes Flügels, mufs unent-
fchieden bleiben. Da diefes wichtige Archiv aber weder in den lichtlofen
unterften K ellern noch in den direct vom Hofe aus zugänglichen gelegen ge-
wefen fein kann, fondern in nächfter Nähe der Bibliothek und mit ihr in Ver-
bindung gewefen fein wird, fo bleibt nichts übrig, als eben das Erdgefchob
diefes Flügels für dafselbe in Anfpruch zu nehmen, fo dafs nun, während
der Weftflügel der Burg die tu rill i eben Räume für profane Zwecke. Wohn-
zimmer und Vergnügungslaie, fafste, in diefem die höheren Zwecken
dienenden Räume, Bibliothek, Archiv und Kapelle zufammen gelegen
gewefen fein würden. Erwähnt fei noch ein an der Nordfeite weltlich von
dem Portale befindlicher rifalitartiger Ausbau, welcher von der Sohle de?
Grabens bis zum Dache reichte, jetzt aber nur noch durch ReJle an der
Hauptmauer erkennbar irt. Wie weit er vortrat, kann nur eine Unterfuchung
der Fundamente ergeben. Man lieht, dafs fein Inneres zwei Abtheilungen,
eine kleinere gegen Wellen und eine gröfsere gegen Ollen hatte. Ver-
muthlich war fein Zweck, den etwa gegen den Eingang anltürmenden Feind
von hier aus, alfo auch feitlich befchiefsen zu können, was örtlich von dem
Eckthurme aus gefchehen konnte, weltlich jedoch der gröfseren Entfernung
des nordwelllichen Eckthurmes wegen nicht mehr mit ausreichender Sicher-
heit möglich war. Ob in diefem Ausbau nicht aufserdem auch ein Abort
für die in der Bibliothek Befchäftigten belegen gewefen fein mag, kann
nicht entfehieden werden; auch eine Wendeltreppe liefse fich hier ver-
muthen.
Von dem Haupteingange bis zum nordöltlichen Thurme erllrockt lieh
die Kapelle. IhrGrundrifs, Fig. 115 und 116. vor allem irt merkwürdig
Man kann ihn als den einer dreifchiffigen, thurmlofen 1 lallenkirche anfehen
welche aus drei Jochen belteht und einen örtlichen Schlufs der Aufsen-
mauern durch drei Seiten eines Achtecks hat. Die Schifte werden jederlei!?
durch eine Reihe runder Pfeiler gebildet, die auch im Chor, den Ecken
entfprechend, Helten, fo dafs hier gewilfermaafsen ein Umgang irt. Allein,
da die Pfeiler, die unten noch nicht ein Meter weit von der Wand entfernt
N
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IHK MOKIIZIIOKU.
y*>
liegen, mit diefer durch Ausmauerung des Zwifchenraumes verbunden find,
fo entliehen unten ilatt wirklicher Seitenfcliiffe nur nifchenlörmige Ver-
tiefungen zu dem Mittelfchiffe, welche in der Höhe von einigen Metern
durch flachbogige Gewölbe überdeckt werden, die fich zu einer Emporen-
bildung zwifchen die Wände Ipannen. Erft über dielen Emporen entwickeln
fich diePteiler ringsum frei, fodafs man erft hier Umgang halten kann. Die
nordöftliche und füdöftliche Chorfeite haben unter den Emporen eine mit
der Hinterkante, die öftliche Chorfeite eine fall mit der Vorderkante der
Pfeiler fluchtende Ausmauerung erhalten. Nach Norden zu liegt in jedem
Joche eine Schiefsfcharte. In der Nordwcftecke führt zur Empore hinauf
eine hölzerne Wendeltreppe, aus dem 17. Jahrhundert flammend. Sie liegt
am Ende eines Vorraumes für die Sacriftei, für welche man hier in das
Mittelfchiff vorgebaut hat. Ein runder Pfeiler, unten wie die übrigen ge-
bildet, fleht an der Ecke der Sacrifteiwände, geht aber nur bis zur Empore
auf, die fich hier um den Vorfprung der Sacriftei verbreitert. Der
Zulland der Wellfeite unten im Kircheninneren ift fchwerlich der anfängliche ;
wie diefer aber war, läfst fich nicht mehr tellllellen. Die rohen Verftärkungs-
pfeiler der Wand, auf denen jetzt hier die Empore ruht, find neueren
Datums, jedoch mufs auch gleich anfangs an diefer Seite eine Empore vor-
handen gewefen fein, weil eine alte Thür mit fchönem Gewände, welche
aus dem weltlichen Theile des Elügels in die Kapelle führt, in Emporenhöhe
liegt. In der Südwand des erllen Joches befindet fich die durch einen
Pfeiler inmitten /.weitheilige Thür. In den beiden anderen Jochen derfelben
Wand lieht man innen nur die verbauten Fenflernifchen. Eine Thür in der
Südoflwand verbindet heute wieder wie ehemals die Kapelle mit dem an-
liegenden Gebäude der Oftfeite. Auch in der Nordoltwand liegt eine Thür,
durch welche man auf einer im Mauerwerk ausgefparten Treppe zur Empore
kommt. Vielleicht hat fchon unten bei ihrem Antritte eine Thüröffnung den
Thurm mit der Kapelle in Verbindung gefetzt, bei ihrem Austritte ift folche
Verbindung noch gut erkennbar.
Wie fchon angedeutet (teilt fich der Grundrifs über der Empore
als ein anderer dar, wenigftens infofern, als hier erft das Svltem der
Architektur klar erkennbar ift. Die Wände fetzen fich nicht unbedeutend
zurück, fodafs der Zwifchenraum zwifchen Pfeiler und Wand überall für
einen bequemen Durchgang ausreicht. I Her lind auch die Kenlteröffnungen
wirklich frei und verglaft. Es liegen jedoch nur im Süden und am Chor
hohe, oben maafswerkgefüllte Kirchenfenlter mit zwei Pfölten. Das Eenller
der Südoftfeite fehlt eigentlich, oder es kommt vielmehr erft ganz oben zur
Entwickelung, während in Höhe der Empore eine alte Thür die Verbindung
wie unten mit dem Anbau herftellt. Diefe Thür und das Eenfter verrathen,
dafs auch anfangs hier ein Bau der Oftfeite an die Kapelle ftiefs. Das Süd-
fenlter im erllen Joche von Olten her ift natürlich verbaut, jedoch fpenden
die beiden anderen Eenller im Süden und die am Chor reichliches Licht.
Abweichend ilt die Anbringung der Verglafung (und formt die Stellung der
Pfolten); letztere liegt nicht regelrecht in der Mitte der Wandftärke, fondern
ift möglichlt weit nach aufsen gerückt. Fig. 117. Wahrfcheinlich wollte
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DIK STADT HAI.I.I: u. <1. SAALKKK1S.
3'o
man dadurch die an fich fchmale Empore thunlichd verbreitern, und diefe
rein praktifche Rückficht übt, wie wir fehen werden, fogleich auf den Stil
ihren Einfiufs. An der Nordfeite hat jedes Joch erd ganz oben je ein
Fender, welches aber nur von der Gröfse und Ausbildung der gegen den
I lof gelegenen Fenller des weltlichen Theiles diefes Flügels id. Sowohl die
Hg. 115.
Kapcllengrundrifs in Krdgcfchofshöhc.
inöglichd hohe Lage als auch die Verringerung der Fendergröfse war
nöthig, weil diefe Seite nicht wie der Chor durch den Nordodthurm und
die Südfeite durch den Anbau und den Hof gedeckt wurde, fondern ex-
ponirt lag. Oben an den Pfeilern erkennt man, dafs zur Ueberdeckung der
Schiffe durchweg ein Gewölbe projectirt gewefen id, und es id auch wohl
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UIE MOKITZIIUKG.
3"
möglich, dafs ein folches in reichlfem Netzmuller und mit unvermittelt aus
den Rundpfeilern erwachfenden Rippen wirklich ausgeführt wurde, denn
die mächtige Stärke der Mauern, der gegenüber die winzigen Strebepfeiler
an den Chorecken fofort als iiberflüfiige, ja fall lächerliche Zuthat er-
fcheinen — überträgt fich doch der Schub eines folchen Netzgewölbes
Fig. 1 1 6.
Kapellenjjrundrifs iu Kmporcnhohc.
ohnehin nicht mehr auf einzelne Punkte, fondern gleichmäfsig auf die Mauer —
würde dem Gewölbefchube ausreichenden Widerlland entgegenfetzen,
wohl möglich alfu, dafs einmal über dem ganzen Kapellenraume ein Ge-
wölbe vorhanden war. Jetzt finden fich, fei es, dafs das Gewölbe im Mittel-
fchiff bei dem Brande der Burg, der auch die Ausllattung der Kapelle ver-
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3'2
DIE STADT HALLE u. <1. SAALKHKIS.
zehrte, einfiel, fei es, dafs man thatfächlich nie zu feiner Ausführung kam,
nur die gangartigen Nebenfchiffe gewölbt und zwar mit einem Rippen-
gewölbe, defTen Müller an den drei Chorfeiten um ein Geringes abweicht:
die Ueberdeckung des Mittelfchiffes dagegen gefchieht jetzt durch eine
wagerechte, einfachll verfchalte Balkendecke, über welcher der Dach-
boden liegt.
Wäre hiermit die Befehreibung des Grundrifles der verfchiedenen
Bauten und ihrer Räumlichkeiten beendet und der urfprüngliche Zweck
derfelben zu bellimmen verfucht, fo gehen wir nunmehr zur Befprechung
Fic. 1 1 7.
Profil der K.ipellenfcnfler.
I
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i
Architektur: der Architektur des Aeufseren und Inneren der Burg über, indem
Ka|ielltt, wjr 4|amjt antangen, dafs wir in der Befehreibung der Kapelle als des-
jenigen Stückes, welches zumeill intact geblieben ift. fortfahren. Auch die
Kapelle ill aus Bruchileinen aufgeführt wie alle übrigen Theile der Burg,
nur die llruktiven und ornamentirten Glieder als Pfeiler. Simfe, F’enllcr-
und Thürgewände beftehen aus Quadern. Die Strebepfeiler an den vier
Chorecken find fchlicht rechteckig bis oben hinauf, ohne Kafffims und nur
einhüftig. Auf ihre Nutzlofigkeit in Vergleich zu der Mauerftärke, die in
llinficht auf den fortificatorifchen Zweck bedeutend und zwar , wie es der
Fall ift. im Norden und Ollen beträchtlicher als im Süden fein mufste. ill
bereits aufmerkfam gemacht, und es erübrigt nur noch daraut hinzuweifen
dafs man an der durch die Oft- und Südoltwand gebildeten Ficke, wo der
Pfeiler weder in den Kckthurm noch in den Oftflügel trifft, fondern hinab-
geführt fein müfste bis zur Sohle des Grabens, ihn ohne Bedenken auf eine
□
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IHK MOKITZBL’KU.
3'3
Confole in Terrainhöhe gefetzt hat. Die dreitheiligen Feniler haben ein
Pfollenprofil in der Form eines Doppelkeiles, der in der Mitte einen Falz
iür die Verglafung hat, an den Seitenflächen flach gehöhlt ift und an der
Spitze nicht ftumpf, fondern durch zwei Schrägen fcharfkantig endet (vergl.
Fig. 117). Zur Bildung des Gewändes fetzt fich an die Hälfte diefes Profiles
äufserlich noch eine F'lachkehle mit Plättchen und darauf ein in eine Hohl-
kehle übergehender, im Bogenfcheitel fich überfchneidender Rundftab an.
während im Inneren nach ebenfalls einer Flachkehle mit Plättchen noch
einmal eine etwas gehöhlte F'läche mit entfprechend breiter Schräge als
Abfchlufs folgt. Auffälligerweife ift das Maafswerk in allen grofsen Fenftern
aufser in dem der Nordoftwand, welches erfichtlich in Folge einer Reftauration
ohne folches ift und ein einfacheres Pfollenprofil hat, gleichförmig und zeigt
ein an die Weife des franzöfil'chen Flamboiantftiles erinnerndes Mußer.
Dafs, wie wir erwähnten, die Pfoften nach Möglichkeit in die äufsere Flucht-
linie gerückt find, bewirkt eine aufsen flache Gewändeprofilirung( die alfo
auch eine nur wenig fchattige Wirkung geben kann, was namentlich bei
dem ziemlich beträchtlichen F'enllerlichten dem (reifte der fonft fo fchatten-
krättigen gothifchen Profilzeichnung nicht mehr völlig entfpricht und dadurch
jedenfalls den Verfall des Stiles bekundet. Die drei F’enfter der Nordwand,
Fig. 1 18, haben einen flachen Fenfterbogen, der fich aus vier nach unten
gefchlagenen Bögen zufammenfetzt. Durch einen Pfoften in der Fenfter-
mitte, der fich oben zu einem K reife mit Spitze nach unten und oben theilt
entlieht ein Stückchen Maafswerk, welches den Schlufsftein unterftützt. Das
Plollen- und Gewändeprofil befiehl nur aus einigen Plättchen. Schrägen und
liaupt fachlich aus fcharf ohne Steg zufammenfchneidenden F'lachkehlen. und
e> ill klar, dafs folche Bildung die l.icht- und Schattenpartien grell markiren
mufs. Die fpitzbogigc Thür aut der Südfeite hat ein in urfpriinglicher Art
ftellenweife erneuertes Gewände aus Rundftäbcn, 1 lohlkehlen, Plättchen u. f. w.
zufammengefetzt. Der Mittelpfollen in der Thür läl'st zwei Oeffnungen ent-
liehen. olien mit einer jener gekünllelten Sturzbildungen der Spätgothik
überdeckt: ein wagerechter Sturz, wird in den Ficken noch einmal durch je
einen Viertelbogen, der lieh plötzlich nach oben umknickt, unterftützt. fodafs
alfo ein Gebilde halb Bogen, halb Sturz, ganz dem Charakter der merk-
würdigen Zeit der Vorbereitung der Renaiffance entfprechend, entlieht. Das
lympanon. getragen von diefem Mittelpfeiler und diefem Sturze, belleht
aus drei Platten, von denen das urfpriingliche Reliefbild, eine Mittelfigur,
der fich jederfeits eine andere P'igur zuneigt, darllellend, jetzt abgemeifselt
ift. Vorzüglich erhalten hat fich das reichgegliederte und aufserordentlich
lauber gearbeitete Gewände der Weftthür, die, jetzt vermauert, aus der
Bibliothek (?) auf die weltliche Empore führte. Kein Stück der Architektur
der Moritzburg läfst fich diefer Thür in Rücklicht auf die Feinheit der
Verhältniffe. hauptlachlich der Höhe zur Breite, der Gewändebreite zum
lhürlichten u. f. w. vergleichen. Das Auge ruht mit Wohlgefallen auf
diefem Stücke, nachdem es die Disharmonie fo vieler anderer Details hat
ertragen müden.
Im Kapelleninneren find die runden Pfeiler beachtenswert!!. Ihr
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3 14 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Sockel ift /u unterll quadratifch, wird dann durch Abfchräyung' der licken
achtfeitiif , darüber verfchiebt fich die Achtecksform um eine halbe Seiten-
i.-i r r f r f-r-r r * ~ r T t t t-t t-t r~
Fender im Nordflügt'l.
länge, fodafs die licken des oberen aut die Seitenmitten des unteren Acht-
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DIK MORITZBURG.
3'5
ecks zu flehen kommen, nimmt zugleich concavlinige Seitenflächen an und
geht darauf fchliefslich in die glatte, runde Schaftform über. Als Ver-
mittelung zwifchen den einzelnen Sockelpartien dienen über den Ecken
Glieder aus Kehlen, Wulften und Plättchen. Leider hat fleh kein Pfeiler-
fuls in diefer feiner üppigen Ausbildung völlig gut erhalten; die Ecken find
im Laufe der Zeit faß an allen abgeftofsen. Unter fich find die Pfeiler einer
Reihe durch Arkadenbögen, die ohne verknüpfendes Glied in Form eines
Capitäls oder einer Confole aus dem Schafte hervorgehen, verbunden, und
die rohe Bearbeitung ihrer oberen Partie gegen das Mittelfchiff läfst eben
auf ein Gewölbe für letzteres fchliefsen. Die Rippen der fchmalen und
flachen Nebenfchiffgewölbe find durch jederfeits zwei Elachkehlen und mit
Itumpfer Spitze keilförmig gebildet, wie die Rippen diefer Zeit in der Regel.
Der Ausbau der Kapelle ringsum mit Emporen ift originell. Hier mag dazu
weniger das Bedürfnifs, Platz zu fchaffen — wiewohl folcher ja keineswegs
überreichlich vorhanden war — als vielmehr die Rückficht darauf, eine in
Kriegszeiten ausreichende mehrgängige Verbindung des nördlichen Flügels
mit dem örtlichen zu bekommen, die VeranlafTung gegeben haben. Dafür
fpricht die geringe Breite der Emporen und ihre mehrfache Verbindung
durch 'l'hüren mit jenen Flügeln; zu denen, die fchon genannt find, müffen
wir noch einen fchmalen, jetzt vermauerten Zugang in der Nordweftecke
der Kapelle nennen, der offenbar nur bei einer Verteidigung Werth gehabt
hat und benutzt worden ift. Was nun die Conftruction der Emporen anbe-
langt, fo ift fie gefchehen, indem man von Pfeiler zu Pfeiler flache, unver-
zierte Kappen gefchlagen hat, deren Stirnfeite gegen das Mittelfchiff glatt
bez. gefchrägt worden ift, aufser bei den beiden Bögen des Mitteljoches und
bei der über dem nordwelllichen Aufgange belegenen Emporenkappe, wo
man Protilirung findet. Ein Grund für folche Auffälligkeiten läfst fich nicht
erkennen, ja man kann kaum auf die Vermuthung kommen, dafs hier für
diftinguirte Perfünlichkeiten Plätze beftimmt waren, weil übrigens nichts
weiter darauf hinweift. Die Emporenbrüftung fcheint völlig erneuert zu
fein und beftand wohl anfangs aus durchbrochen gearbeitetem oder wie in
der Marktkirche nur aus einem Blendenmaafswerke. Die gothifirende
Malerei an der jetzigen ift keinesweg alt, fondern vielleicht vor hundert
Jahren gemacht; die Alten haben die decorative Malerei niemals zum Er-
lügen einer plaftifchen Wirkung, wie es hier ftatthat, gemifsbraucht. Die
Sacrillei, ein Raum, der gegen das Schiff örtlich und liidlich eine fenfter-
artige Oeffnung hat, die ihm ein fecundäres Licht geben, hat nichts ln-
tereflantes.
Der Brand hat, wie gefegt, alle Stücke der inneren Einrichtung Wcihufcln.
vernichtet und was er von der allen Ausmalung, ohne welche in jener Zeit
die Kapelle nicht gedacht werden darf, übrig gelaffen haben füllte, ift in
fpäterer Zeit übertüncht worden. Nur zwei Stücke der inneren Ausftattung
findet man noch an ihrem Platze, aber fie find äufserft entftellt. Oben noch
hoch über der Empore ift in die Wert wand ein fteinernes Relief einge-
lalTen, welches, foviel man jetzt unter dem dicken Kalkanftriche erkennen
kann, das Wappen des Erbauers, des Erzbifchofs Ernft, mit der unterge-
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.5 '6
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKF.IS.
fchriebenen Jahreszahl der Einweihung 1500 zeigt. Das andere Stück,
ebenfalls eine Weihtafel, ift der Nordwand des mittleren Joches unter
der Empore eingelaflen und, obgleich arg zerftört, ein in hohem Grade für
die locale Entwickelung der Kunlt diefer Zeit d. h. für den Uebergang der
Gothik zur RenailTance in Halle bedeutendes, ja unfchätzbares Stück. Zu
einer völlig frei gearbeiteten Relief darltellung, deren Grund hinter die
Mauerflucht tritt, bildet jederfeits ein aus fchrägem Plättchen. llohlkehJ- i
und Rundftab beftehendes, alfo noch durchaus gothifches Profil, die Ein- '
rahmung Eig. ti(). Oben läuft diefe Profilirung zwar rechtwinklig um, aber
der Rundftab zweigt fich, nachdem er durch ein nach fpätgothifcher An
detaillirtes Kapitälchen zu einem Säulchen geworden ift, zu einem Halbkreis-
bogen ab, fodafs nun oben jederfeits ein Bogenzwickel entlieht. Aus den
beiden letzteren lieht die halbe Geftalt je eines Engelchens, frei gearbeitet
hervor. Die Darftellung inmitten zeigt das Wappen des Cardinais
Albrecht, welches gehalten wird linker Hand von der Figur des h.Moritz
und rechts von der eines Bifchofs. der, da ihm jetzt der Kopf fehlt und
die kennzeichnenden Attribute verftümmelt find, nicht namentlich anzu-
geben ift. Dahinter befindet lieh ein Schwert (?) mit zwei (?) Hirtenftäben zu
einer Gruppe vereinigt.1 Moritz ift als fchwarzer, kräftiger Ritter in voller
goldener Rüftung (Harnifch) dargeftellt, auch hat er anfänglich zweifels-
ohne eine Fahne gehalten; der Bifchof hingegen ift eine fchlanke, fchmächtigi
Figur, deren Körperformen unter der F'altenmenge des Mantels, der Al tu
und der Dalmatica völlig verfchwinden. Unter diefer llauptdarftellung
zieht fich oben und unten von wagerechten Gefimfen eingefafst ein gewilTer-
maafsen als Sockel wirkender F'ries hin, in deffen Mitte wir eine InfchntLs-
tafel fehen, während rechts die halbe Figur eines heiligen Mannes,
links die einer in der Fracht der Zeit gebildeten heiligen F'rau, beide
ohne Kopf und kennzeichnende Beigaben, angebracht lind. Aut dir
Tafel lieht:
OPT. MAX ° AC- DIVE • MAGDALENE • TVTELARI • ALBERTVS •
CVIVS • HEC • SIGNA • DIGNITATE • GENVSQVE • DECLARÄT . HÄC-
EDEM- IPSE- DEDICAVIT. AN - CHRI ; M D- Xllll • KAL- AVGXF-
Fis bleibt noch zu bemerken, dafs die ganze Arbeit durchweg gefärbt war
vielleicht in den F'arben. aber ficher nicht in den Tönen, die man jetzt lieht
Fis ift auf den erften Blick klar, dafs wir es hier mit einer Bildhauer-
arbeit ganz in der Weife derer, die Albrecht in die nördliche Wand des
Domes hat einfetzen lallen, zu thun haben. Und, da lieh nun auch bei der
Unterfuchung des Materials herausftellt , dafs es derfelbe Traft vom
Rheine ift, welchen wir dort finden, fo kann es durchaus keinem
Zweifel unterliegen, dafs diefes Stück gleichfalls von jenem Meiller
1 Noch nicht bemerkt man den C'ardinalshut, wie auf der Dedicationstafcl im Dome, da
Abrecht er fr nach der Zeit, in welche die Herftcllung diefes Werkes fällt, Cardinal wurde.
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ntE MORrrznrKG.
3'7
herrührt, den wir bei feiner fpäteren Befchäftigung für den Cardinal im
Dome ein fo glänzendes Talent entfalten fehen. Hätten wir hier eine Arbeit
des Meiflers. den wir bei der Dombefchreibung als den erden Renailfanciflen
in Halle nachweifen, bereits aus dem Jahre 1514 aufgefunden, ein Werk
alfo, welches fchon ein Decennium älter als jene Domarbeiten id, fo darf
dafselbe um fo mehr Anfpruch auf unfere Beachtung erheben, als es, das
erde noch erhaltene Stück der RenaifTance zu Halle überhaupt, nicht nur
hinfichtlich des Entwicklungsganges, den die Kund diefes Meiders, fondern,
was mehr fagt, rückfichtlich des Weges, den die Kundentfaltung der Re-
naidänce hierorts genommen hat. den Anfang markirt. Ich fage, diefe
Arbeit, um ein Decennium älter denn die Stücke im Dome, fei das erde
Fig. i;o.
Wage rechte
Fig. 1 1 q.
Umrahmung.
Fig. 121.
(iiinler.
W c i h t * f e 1 profilc.
Werk der RenaifTance in Halle; ich hätte vielleicht beffer Tagen follen, die
nachweislich ältedo Arbeit des erden RenaifTanciden in Halle. Denn erinnern
wir uns an die voraufgefchickte Befchreibung, fo id dafelbd das Vorkommen
von Renai fTanceelementen an diefer Weihtafel gar nicht erwähnt worden.
imGegentheil geht aus ihr hervor, dafs ein gothifches Profil mit gothifchem
Capital die Umrahmung bildet, dafs befonders die Eigur des Bifchofs noch
tfothifche Aufladung in Haltung und Gewandbehandlung darthut, dafs die
Anbringung von aus der Wand tretenden Halbfiguren eine gothifche Weife
ft, fo würde das Ganze richtiger vielleicht noch als ein gothifches Werk auf-
zufaffen fein. Doch nicht. Wohl hat fich der Renaitfancemeifler noch nicht
aus feinen gothifchen Schulregeln zur Selbddändigkeit einer ganz individuellen
Aufladung durchgerungen, aber feine Arbeit id nichtsdedoweniger bereits
ein Renaiflancewerk , weil der Gei fl diefes Stiles in ihm lebt, den die
318
die stadt hallf u. <t. saalkkeis.
gothifchen Formen zwar verfchleiern, aber nicht verbergen können. Woran
das erkennbar wird? Zuerft aus der Gefammtordnung: ftatt Confole und
Baldachine findet lieh ein friesartiger Sockel und ein Rundbogen mit einem
gradlinigen Sims darüber als Abfchlufs: die Anordnung dreier wagerechter
Gefimfe fchwächt überhaupt die Wirkung der feinen gothifchen Glieder in
verticaler Richtung bedeutend ab. und der ruhige Halbkreisbogen vermehrt
folche Schwächung. Ferner kündet lieh der Geift der RenailTance auch m
diefen Simfen felbll an. Ganz abgefehen von ungothifchen Bandmotiven
zeigen fie eine gothifche Compofition jedenfalls nicht mehr, wenn ihre
Zufammenfetzung aus renailfanceartigen Gliedern auch noch nicht verftäniii?
zu nennen ift. Fig. 120 und 12 1. Als folche Glieder find anzuführen gröfsere
und kleinere Platten, Hohlkehlen und ein mager gezeichnetes, fimenartiges
(ilied, wie es auch an den Domarbeiten beliebt ift, dafelbft aber eine üppige,
faß plumpe Geftalt angenommen hat. Wenn ein folches Gefims gelegentlich!!
von einer fteilen Schräge, die wohl an die Gothik (Waflernafe) gemahnt,
abgedeckt wird, fo hebt die Form, Zahl und Zierlichkeit der Unterglieder
den Eindruck doch fogleich wieder auf und fo geht es durchweg bei allen
diefen Architekturtheilen. Die Mifchung der ftilverfchiedenen Elemente
ift eine innige, aber wie man vergleichsweife Tagen könnte, keine chemifche.
fondern eine nur mechanifche! Endlich dürfte der Geift der RenailTance
noch in den Figuren zu erkennen fein, zu deren gothifchen Eigenfchaften
fich aus der Behandlung der Proportionen, des Faltenwurfes, der Details u. f. w
folche anführen liefsen, die eben fchon der RenailTance eigen find, allein,
da die Köpfe und viele andere wichtige Stücke fehlen, unterlaßen wir Be-
ftimmtes aus den F'iguren zu folgern. Die RenailTance liegt hier gcwiff-r-
maafsen noch in den Windeln, in gothifchen Windeln, ift unbeholfen, und
keineswegs fchon zu der Freiheit, dem Uebermuth der Bewegung gekräftigt,
welche wir fie im Dome entfalten fehen, wo beifpielsweife anftatt der
gothifchen, zarten Umrahmung des Jahres 1514 die grofse Dedicationstafel von
1523 freie Säulchen hat, die gebildet find in ungeftümfter Häufung von Re-
nailTancegliedem mit freien, kräftig kecken Putten an den Säulenfufsen und als
Nifchenüberdeckung mit dem üppigften Mufchelbaldachine, und wo hier-
durch bei ganz ähnlicher Dispofition eine Silhouette des Ganzen entlieht,
der gegenüber die Silhouettirung diefer älteren Arbeit wie die Geftalt eines
Kindes fich etwa zu der einer blühenden Jungfrau verhalten mag. Und diefer
Vergleich fixire den Kunftwerth der Arbeit, die darnach abfolut weniger
als relativ, nämlich in Bezug auf die Entftehungsgefchichte der RenailTance.
zu fchätzen fein dürfte.
Architektur der Nach diefem Einfchiebfel über das einzige und zugleich bedeutende
Bur»;. Kunftwerk der Kapelle fahren wir fort, die Architektur der Burg zu
betrachten, ohne zuvor die der Kapelle nach ihrem Werthe zu unterfuchen.
Indem wir zunächft über das Aeufsere der ganzen Burg Umfchau halten,
fällt in die Augen, dafs das Material der Aufsenwände nicht durchweg
dafselbe ift. Wenn auch überall Bruchfleine mit reichlicher Speife zur Ver-
wendung gekommen find, To hat man doch den Weftftügel vornehmlich aus
mehr oder minder grofsen, hellen, gelblichen und grauen Sandfteinen hcr-
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DIF. MORITZI1URO.
3‘9
gellellt, aus denen auch eine Strecke der Nordwand befteht; der gröfsere
(öltliche) Theil der Nordfeite fowie die ganze Oft- und Südfeite1 beftehen
aus dunkelrothen, nicht eben grofsen Porphyrftücken. Auffällig ift, dafs an
der Nordfeite der Porphyr und Sandftein fich in fall fenkrechter Linie, jedoch
mit geringer Abtreppung der Sandßeinpartie an einander fetzen, ein Um-
Hand, aus dem man wohl mit einigem Rechte fchliefsen darf, dafs derWeft-
flügel bei der Bauarbeit zuerft in Angriff genommen wurde. Erwägt man
ferner, dafs fich viele Steine der Weftfeite finden, die fo ausfehen (reguläre
Form, abgewitterte Ecken u. f. w.) als feien fie nicht frifch gebrochen,
fondem bereits einmal vermauert gewefen, fo möchte fich weiter ergeben,
dafs in dem Weftflügel das Baumaterial des fchwarzen Schloffes fleckt.
Dafs man deffen Steine hier fogleich wieder und zwar zuerft vermauert
hat, ift kaum zu bezweifeln; es fragt fich nur, ob des Namens wegen die
dunkleren Steine alfo die rothen anzunehmen nicht mehr Wahrfcheinlich-
keit für fich hätte. Bis jetzt ift keinerlei Anhalt dafür vorhanden, dafs der
Name fchwarzes Schlofs von dem Ausfehen der Steine hergekommen fein
müffe; im Gegentheil, wenn das Schlofs nach ihnen benannt wäre, würde
nicht gut einzufehen fein, warum es nicht ebenfo wohl oder vielmehr beffer
das rothe Schlofs geheifsen habe. Wahrfcheinlich waren die Steine des
alten Gebäudes auch lagerhafter und daher nahm man fie für den Haupt-
Hügel gern, deffen Wände — nicht nur die weltliche und die der Thürme,
fondem auch die nördliche und füdliche — überdies noch durch einen grau-
gelben Mörtelbewurf einen verfchönernden, noch vielfach zu fehenden Putz
erhalten haben, während der Bewurf an den übrigen Aufsenmauern fcheinbar
weniger ftark und gut gewefen ift. Bemerkenswerthe Kunftformen giebt es an
der Oftfeite der Burg nur am Eingänge und deffen Thurme. Das Portal nebll
Pforte hat man etwas vor die Mauerflucht vorgekragt, indem ziemlich tief
darunter drei Confolen mit zwei Bögen dazwifchen den VoHprung unter-
llützen. (Diefe Conftruction ift jetzt der Brücke wegen nicht gut zu fehen.)
Das Thor etwa quadratifch ift in feilen, gut behauenen Quadern mit flach-
bogiger Ueberwölbung ausgeführt. Man bemerkt vorn rings einen Harken,
oben gradlinigen, alfo nicht der E'lachbogenlinie der Oeffnung folgenden
Falz für den Verfchlufs mittelft Zugbrücke. Letztere mag man fich etwa
als eine in den F'alz paffende, alfo nach aufsen fchlagende Klappe von
Harkern Holze gemacht vorftellen, die unten jederfeits mit einem Zapfen in
das Mauerwerk greift, lodafs fich nun durch eine Drehung um diefe Zapfen
d. h. durch ein Nieder- und Auf klappen des Flügels das Oeffnen und
Schliefsen des Portales bewerkltelligen läfst. Diefer fich vertical drehende
Flügel hat in geöffnetem Zuftande natürlich irgend eine von der gegenüber-
liegenden Seite des Grabens kommende Fortfetzung, die ihn eben zur
Brücke macht. Damit nun diefe Brücke die Tendenz, von felbft herab-
zufallen, habe, ift ihr Falz unten tiefer als oben, fodafs die Thür in ge-
fchloffenem Zuftande fchräg lieht und keines Anftofses bedarf , wenn der
Plörtner, fie zu öffnen, die Ketten lölt. Die fchmale Pforte links neben dem
1 Diefe aber nur bis zum Weftflügel.
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DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
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DIE MORITZHUKO. 3’I
Thore. die wohl für den alltäglichen Verkehr ausreichte, ifi niedriger und
fpit/bogig überdeckt. Die Zugbrücke jedoch, durch die fie ficli fchlofs,
inufste von der Höhe der des Thores fein, um geöffnet ebenfo weit zu
reichen als diefe, nämlich zu dem von jenfeit des Grabens kommenden
Vorbau, und Co lieht man denn auch hier den fchrägflehenden Falz bis zu
l'olcher Höhe emporgeführt und oben geradlinig abfchlicfsen. Die maffive
Brücke aus fpäterer Zeit hat die unterden Theile des Thores verdeckt, an
der Pforte aber, die vermauert id, fieht man noch die zerflörten Zapfen-
lager in den Seitenquadern. Jedenfalls zum Schutze, ohne dafs fich gerade
angeben liefse in welcher Weife, mufs auch der Rückfprung im Mauerwerk
!>ei der Pforte gedient haben. Hier über dem kleinen Eingänge hat auch
der Cardinal Albrecht fein Wappen mit der Devife SOLI • DEO • GLORIA •
anbringen laden, als er den Thurm ausbaute bez. erbaute.
Ueber der Portalmitte lieht eine Thurmecke, an welcher hier unten die
Figur der h. Katharina angebracht ilt. Es fehlen ihr zwar die Hände und
die kennzeichnenden Attribute, welche fie hielt, aber Rede weifen darauf
hin, dafs fie ein Schwert gehabt hat: überdies gewahrt man zu ihren E'üfsen
liegend ein Stück des vom Blitze zertrümmerten Mederrades, welches fie
beftimmt als h. Katharina kenntlich macht. Warum diefer Heiligen Pfeile
in der Brult decken, id auch mir, wie anderen die über diefe Figur ge-
fchrieben haben, nicht verdändlich. Allein, da die Haltung der Figur eine
völlig ruhige, unbefangene id und auf diefe Pfeile nicht im geringden Rück-
ficht nimmt, fo wäre nicht unmöglich, dafs diefelben eine fpätere Zuthat
find. Die Heilige trägt das Modecodüm der damaligen Zeit. Die Behandlung
der Sculptur id eine auf dem Naturdudium fufsende und von mehr realidifcher
Auffadung ausgehende; die Statue verdient Beachtung.
Rechts und links von diefem Standbilde, aber noch unter dem Thurm-
anfange liegen je zwei Confolen, deren Zweck ausfindig zu machen mir nicht
gelungen id. Der Thurm id gut gebaut und hat in feinen beiden Ober-
gefcholTen nicht gerade grofse Gardinenbogenfender. „DasTach und Ober-
theil“ id nach der Meldung des Olearius „1659 den 27. Augudi früh umb 3 Uhr“
eingefallen. In Folge der befonderen Erwähnung des Obertheiles und in
Rückficht auf den Zweck des Thurmes zur Wache liefse fich annehmen,
dafs er anfangs noch eine Zinnenbekrönung hatte, hinter oder über welcher
das Dach lag. Erwähnt fei auch das oben an der nordwedlichen Thurmwand
befindliche Wappen des Erzbifchofs Johann Albert mit der Infchrift: VON
GOTTES - GNADEN- JOHANNES ALBERTVS • ERZBISCHOF - ZV- MAGDEB-
MARGGRAF . ZV • BRANDENBVRG • OBIIT ANNO MDL.
Die Südfeite der Burg bietet nichts Merkwürdiges aufser einer Reihe südfeite,
von Confolen, die darauf hindeuten, dafs hier ein Anbau gelegen war,
deden Pultdachfirilpfette fie unterdützten. Die Wedfront hat durch die Wertteile,
beiden Fenderreihen der oberen Gefchode die reichde Ausbildung und
das dattlichde Anfehen. Allerdings Tagen unferem Gefchmacke die beliebig
veränderten Achfenweiten und die beliebig angeordneten Ausbauten nicht
zu, ein Abort in der Hauptfront eines SchlofTes wäre jetzt eine Unmöglichkeit,
die damalige Zeit hat darin nichts Andöfsiges gefunden, wie man fieht. Die
ß. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 21
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DIP ST AI)1' HALLE u. <1. SAALKKKIS.
NordVcUc.
Hof.
322
Fender für die Keller find erfichtlicherweife nicht urfprünglich ; die alten haben
alle Sandlleingewände. Die getheilten Fender des erden Oberg efchoffes
haben über jeder Flälfte einen zweitheiligen Gardinenbogen Fig. 1 22 f. S. jiu.
Ihr Gewände zeigt nach aufsen nur eine Fafe. nach innen aber reicher-
Protilirung. Der fad halbkreisförmige (iardinenbogen der oberden F'ender
bedeht aus vier nach unten gefchlagenen Bögen. Sie haben eine durch
darke Hohlkehlen höchd kräftig wirkende Profilirung, deren Glieder ein-
ander durchdringen, um dann plötzlich zu endigen. Die F'enllergedaltung
würde alfo auch felir wohl zu unferer Annahme paffen, dals im letzten G>-
fchoffe die F'edfäle gelegen gewefen wären und unter ihnen die Wohngemächer.
Das Hauptfims, von dem lieh Stücke auf dem Nordwedthurme erhalten
haben, zeigt eine nüchterne Kehle. Ueber ihm haben lieh wohl weder an den
Thürmen noch an der Langfeite Zinnen befunden, jedoch, wie auch alte
redaurirende Abbildungen die Burg zeigen, wahrlcheinlich verzierte Back-
lleinerkner, geformt wie der gleichzeitige Giebel am Rathhaufe und folche.
die auch fonfit noch jener Zeit angehörig lieh in der Stadt finden. Hinter den
Erknern lag das Dach, ficherlich ein hohes und Heiles Satteldach in Schiefer-
deckung. Die Thurmhelme diefier Seiten zeigen auf alten Abbildungen
intereffante Formen. Eine Laterne mit Spitze krönt lie und hat wohl den
Zweck gehabt, den Wächtern von hohen Standpunkten aus Umfchau zu
gewähren.
ln der Nordfeite der Burg liegen ödlich oben die drei befchriebenen
Kapellenfender, und ebendafelbll befindet (ich eine breite Nifche im Mauer-
werk mit Harken Confolen Hier fcheint zur fieitlichen Vertheidigung des Nord-
einganges ein balconartiger Ausbau gelegen gewefen zu fein. Wir haben bei
der Kapellenbefchreibung deffen nicht erwähnt, weil die Anlage, auch nach
gleich hoch im Kapelleninneren dort angebrachten Confolen zu fchliefsi-n
erd in der Zeit der Renaiffance zugelügt ilt. In Dispofition und Condruction
unterfcheidet lieh der Haupteingang, der ja an diefier Seite liegt, nicht von
dem der Odfeite; aut Confolen und Bögen vorgekragtes Mauerwerk. da>
tiachbogige Thor, links davon die kleine Plorte, den fchrägen Falz u. f. w.
findet man auch hier. Die Oeffnungen unterhalb des Einganges werden
nicht urfprünglich fein. Eine Auszeichnung ilt dem Thore durch fünf dark
reliefirte Wappen geworden, die, gefchützt von einem Gelimfe, über ihm an-
gebracht find. Es lind die fünf Wappen des Erbauers, des Erzbifichots
Ernd, der aus dem fächlifchen Haufe dämmte. Ueber dem mitten darüber
befindlichen Wappen mufs unter einem Baldachine die Statue des h. Moritz
ihren Platz gehabt haben. Sie fiowohl als auch der Baldachin und fondiger
umrahmender Schmuck find aufser einem Steine, in welchem man die ver-
zierte Balis eines feinen Runddabes jederfeits lieht, verfichwunden.
Im Schlofshote zeigt lieh aufser dem Thurme, den wir fchon kennen
gelernt haben, keinerlei architektonifch lntereffantes. Die fpitzbogige Thür
und andere Detailsrede des Gebäudes der Südfeite find nicht eben bedeutend,
was unfere Annahme bezüglich derBeltimmung des llaufes zu Wirthfchafts-
zwecken nur bedärken kann. Der Wedflügel hat etwa inmitten der Strecken
jederfeits vom Treppenhausrifialite eine breite Kellerthür von wenig
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L>IK MOKITZMJRG.
323
intereflanter und fchlecht erhaltener Ausbildung. In die Keller gehen ge-
kuppelte quadratifche Fenfter, die vermauert find. Die Obergefchofle haben
hierher nur wenige Fenfter. zweitheilig und mit Gardinenbögen überdeckt.
Intereflant durch feine Architektur ift das in den Hof herausgebaute Treppen-
haus, conftruirt im Aeufseren wie im Inneren aus wohl behauenen Quadern.
Die fpitzbogige Thür zum Keller ift niedrig und weniger ausgezeichnet im
Profil als die Aufgangsthür für die oberen Gefchoffe. Diefe ift nicht nur
reich profilirt, fondern auch von einer gefuchten, aber ihren Zweck als
Treppenhausthür wohl ausdrückenden Form. Während ihr Profil nämlich
durch das erfte Obergefchofs hoch hinaufgeht und dort mit einem ganz
fchlanken Efelsrückenbogen fich überdeckt, ift die eigentliche Thüröffnung
nur mäfsig hoch und zwar dadurch, dafs das Profil fich zu einem mehrfach
geknickten Bogen in Höhe des erften Obergefchofsfulsbodens abzweigt.
Die Oeffnung der fo entftandenen Oberpartie der Thür ift durch einen
fteinernen Mittelpfoften mit einem in Folge fpäterer Ausmauerung jetzt
nicht mehr Achtbarer., vielleicht auch zerftörten Maafswerke gefüllt und hat
fo mit Verglafung ein Fenfter zur Erhellung der Stufen für das erfte Ober-
gefchofs abgegeben. Es erhellt, dafs auch damals für die Haupttreppe eine
gute Beleuchtung Bedingung war. Im Inneren des Weftflügels fieht man,
KiE- < 23-
lr'E- IZ4-
Rippenprofil im Keller
gegen Wcfteu.
Rippenprofil oben im Weftflügel gegen
Süden. (Capitelftubr.)
dafs der Treppengang, welcher in der Oftmauer liegt, von dem Tödlichen
Hügel herkommt und zum oberften Gefchofle hinaufgeführt hat. Wo nach
unferer Meinung die Capitelftube der Magdeburger Stiftsherren lag, geht
ein grofses, breites Fenfter nach Süden zu, fehr wohl einem folchen Raume
«•ntfprechend. Sein Gewände ift nicht mehr vorhanden. Die Rippenftücke
'23) 2u dem flachen Netzgewölbe diefes Raumes, noch an ihrem Platze
befindlich, erwähnen wir, weil ihr keilförmiges und jederfeits mit zwei
21*
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324 DIB STADT HALLE u. ü. SAALKKKIs
Kehlen verfehenes Profil zwar der in dieferund fpäterer Zeit gebräuchlichen
zweikehligen Form ähnelt, aber durch einflark vorfpringendes, nafenartiges
Plättchen zwifchen den Kehlen jeder Seite doch ein bei weitem pikanteres Aus-
fehen erhält. Auch das Rippenprofil im Kellerraume diefes Flügels (Fig. 124
hat infofern nicht die gewöhnliche Form, dafs feine obere Kehle viel gröfser
als die untere ift. An der Hoffeite des Nordflügels mündet nahe der Kapelle
die niedrige, einfach gehaltene, flachbogige Thür der Durchfährt.' Sie ill
gleicherweife wie die Thür, die in einiger Entfernung links neben ihr liegt,
jetzt vermauert. Letztere ift jedoch fehr prächtig ausgeziert durch ein viel-
gliedriges Gewände und ift mehr noch wegen ihrer mehrfach geknickter,
feltfamen Bogenform beachtenswerth. Faft die gleiche Ausbildung hat jene
Thür nahe der Nordweftecke, durch welche man zu jener rampenartigen
Treppe der Keller kommt. Dafs die über einander liegenden Fenfter diefes
Flügels in allen drei ObergefcholTen gleichartig find und dafs die nicht ge-
kuppelten oder eintheiligen wie die befchriebenen drei nördlichen Kapellen-
fenfter ausfehen, ift fchon gefagt worden; wir fügen dem noch hinzu, dals
das Gewände, aufsen und innen gleich, aus Hohlkehlen und Plättchen, die
lieh an den Schnittpunkten der verfchiedenen Bögen durchdringen, com-
ponirt ift.
Stil 4er Das Urtheil über den Stil der Architektur der Moritzburg wird
Architektur, abhängig fein von der Erwägung des kriegerifchen Zweckes, dem ja das
Bauwerk dienen Tollte; und diefe Beftimmung giebt ihm natürlich einen eniften.
fintieren Charakter, weil (ich die Gefammtdispofition und alle Detailbildung
den durch die Rücklicht auf Fertigkeit und möglich!! grofse Vertheidigungs-
fähigkeit des Platzes bedingten Forderungen unterzuordnen hatten. Int
Aeufseren find es die gewaltigen Baumaflen mit ihrer geringen Gliederung
und mit ihren riefigen Wandflächen ohne Durchbrechung in rauhem
lelfenartigen Bruchfteinmaterial meift von dunkeier F'arbe, welche der
Architektur einen ihrer Beftimmung gemäfsen Ernll verleihen, und darin
unterftützt werden fie von den Details. Nicht dadurch, dafs diefelben auch
ungegliedert, roh bearbeitet und von riefigen oder plumpen VerhältnilTen
wären, Tondern vielmehr dadurch, dafs die gefammte Schmuckweife an
Thüren, Fenftern, Treppen, Pfeilern, Rippen u. f. w. fich lediglich in ganz
ftrengen, rein kriftallinifch-tektonifchen Gebilden bewegt, denen zwar eine
Gelenkigkeit ohne Gleichen aufgezwungen ift. die aber dennoch niemals
aus ihrer Rolle fallen, indem fie, pflanzliches oder figurelles Ornament untcr-
mil'chend , — wir nehmen die beiden Statuen mit ihrer Umrahmung aus —
fich ihrer ernften, kalt objectiven Structurfprache begäben. In den Details
tritt uns überall noch eine rein gothifche Weife entgegen, nirgends eine
Zuthat der bereits vor der Thür ftehenden RenailTance ; aber die Gothik zeigt
fich uns hier in ihrer denkbar gröfseften Verkommenheit. AlleBaukunft hört
auf, fobald die Conllruction durch die Decoration ihrer F'ormen nicht fichtbar
. unterftützt wird oder gar mit ihr fichtbar in Widerfpruch lieht; und das
eben ift hier der Fall. Zum Beweife wollen wir nicht einmal die dienftlolen
Kapellenpfeiler ohne Capitäl, die doch Arkadenbögen und Gewölberippen
tragen müden, anführen, auch nicht die fchwächlichen Chorftrebepfeiler. die
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IMK MOKITZIIUKG. 325
hier nur eine conventionelle, durchaus überflüfifige Zuthat lind, da fie einen
(iewölbedruck nicht bekommen, ja einen Widerdand gar nicht einmal alle
leiden könnten — oder welche Kraft hat jener auf Confolen flehende
Strebepfeiler, der doch nicht die Wand, fondern den erd die Wand hält? —
wir weifen nur hin auf Formen, von denen auch der Nichttechniker fogleich
die Widernatürlichkeit einfehen kann, nämlich auf die verfchiedenen
Thüren und Fender. Es id klar, dafs die Bogenlinien ihrer Ueberwölbung,
die fich nach unten biegen, die Vordellung von der wirklichen Conllruction
des Bogens nicht zum Ausdruck bringen, fondern ihr widerfprechen. Die
natürliche Einfachheit hat ihren Reiz verloren: die mehrfach gebrochenen
Bogenlinien möchten eben etwas ganz anderes vorllellen, als der wirklich
condruirte Bogen vermag; alfo Scheinformen, nichts als lichtbare leere
Redensarten find alle diefe prunkfüchtigen, gliederreichen Kundgebilde.
Wie jene überfchwengliche Begeiderung für die Ideale der Blüthe-
zeit des Mittelalters längd aus der Welt verfchwunden war, um
einem Scheinwefen im Leben Platz zu machen, fo giebt es nun auch in der
Kund nur noch Scheinwefen. Ihre widernatürlichen Gebilde find eine ficht-
bare Predigt der Gefetzlofigkeit. Die Reformation und die RenailTance
folgten. Hiernach bedarf es kaum noch einer Aeufserung über den Werth
der Architektur an der Moritzburg: an fich, lieht man, id er ein geringer,
aber ein bedeutender in kundgefchichtlicher Hinficht: die Moritzburg id für
Halle das Schwanenlied der Gothik.
Zum Schlufs noch einige Bemerkungen über die eigentlichen forti-
ficatorifchen Anlagen der Burg, die zwei unterfchiedlichen Forderungen
des Bauprogramms gerecht werden mufsten: die Burg Tollte ein jedwedem,
feindlichen Angriffe trotzender Plafz fein, hatte aber auch den Zweck —
und deshalb war fie überhaupt angelegt worden — einem Damoklesfchwerte
gleich dändig Leben und Gut der hallefchen Bürger zu bedrohen. Sie
mufste alfo aufser allen möglichen Anlagen zur Abwehr auch folche zum
Angriff auf Halle haben. Vertheidigungsanlagen find der Wall und Graben,
welch letzterer theilweife unter Waller gedanden haben wird. Von den
Eckthürmen aus laden fich immer nach zwei Richtungen hin die Langfeiten
der Burg bedreichen. Ein Angriff auf letztere mufs denn auch weniger
opportun erfchienen fein als auf einen Thurm, wie man aus der Sprengung
des füdwedlichen lieht. Die Aufsenmauern der Langfeiten find bis zum
Terrain des Hofes undurchbrochen aufser von ganz kleinen Auslugsfendern
und von Schiefsfeharten etwas über Grabenfohle, die ein Eindringen nicht
gedatten. Die Schiefsfeharten find nun fo geordnet, dafs zunächd, fo weit
fich Kellereien zu ebener Erde befinden, hier ein Gürtel von ihnen nament-
lich in den Thürmen liegt. Ein zweiter Gürtel mehr oder minder weit aus-
einander gelegener Schiefsfcharten umzieht die Burg in Höhe des Hofes
bez. in Fufsbodenhöhe des erden Obergefchoffes. Ein Gang, dellenweife
im Mauerwerk ausgefpart oder auch wie am Chor der Kapelle vor dasfelbe
gekragt, verbindet die Gefchützdände unter einander. Die Thürme haben
noch eine Anzahl Schiefsfcharten zwifchen diefem unteren und oberen Gürtel,
auch find ihre Obergefchofsfender fehiefsfehartenartig. Pechnafen,
DieBefcftigungs-
an lagen
der Burg,
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326
l>IK STAUT HALLE u. d. SAALKKKIS.
Creneluren u. f. w. lalfen fich nicht mehr nachweifen. Es kommen zweierlr:
Arten von Schiefsfcharten vor. Die in der Weftfeite und ihren naheliegenden
Thiirmen find aufsen mit guten Quadern eingefafst und von langer, fchmaler
Form der äufseren Anlicht. Ihre fchmalfte Stelle (im Grundrifs) ift ziemlich
weit nach aufsen verlegt. Hinter der fchmalften Stelle lieht man eine
fchwache Schutzmauer mit drei oder vier etwa quadratifchen Löchern neben
einander für die verfchiedene Stellung des Gefchützes eingefugt. Es hat
den Anlchein, als fei diefelbe erft nachträglich, wenn auch bald eingezogen
worden. Die Schiefsfcharten, welche in den beiden bez. drei Thürmen gegen
Oflen, in der Oflmauer und in den örtlichen Theilen der Nord- und Südfeite
liegen, haben eine weiter in das Mauerwerk zurückgelegte fchmale Stelle
und werden in Folge defTen nach aufsen breiter als die befchriebenen. Auch
find lie aufsen etwa quadratifch oder gar breiter als hoch und oben flach-
bogig mit mehreren Mauerfteinbögen hintereinander überwölbt. Die An-
lagen zum Angriff auf die Stadt mufsten natürlich an der gegen Halle ge-
kehrten Oft- und Südfeite gelegen fein. Fis find daher diefe Partien der
Burg wenigftens gegen den Südoftthurm zu auch nicht von Gebäuden be-
fetzt, fondem haben fehr ftarke Mauern mit zwei Reihen folcher Plätze er-
halten, die zur Aufftellung von fchweren Gefchützen für die Befchiefsung
der Stadt vortrefflich geeignet waren.
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Die Stadtmauern, Thore u. f. w.
I3ereits in der Einleitung ilt gefagt, dafs die Ringmauern I lalle's
wahrfcheir.lich fchon zu Anfang des 12. Jahrhunderts annähernd die l.inie
gebildet haben, welche fie bis zu ihrem Verfalle hatten und die fich noch
heute an Ueberrellen erkennen läfst. Wohl kein auf uns gekommenes Stück
kann mit Beftimmtheil als diefer frühen Zeit angehörig nachgewiefen werden ;
eine genaue Unterfuchung lehrt jedoch, dafs das noch vorhandene Gemäuer
aus wefentlich verfchiedencn Zeiten Hammen mufs; zum gröfseren Theile
freilich gehört es erlt dem fpäteren Mittelalter und dem 16. Jahrh. an.
Der in der Halygraphia des Olearius gegebene perfpectivifche Elan
der Stadt im 17. Jahrhundert zeigt noch im Ganzen das getreue Bild der
mittelalterlichen Beteiligung. Weltlich, wo die Saale oder doch einer ihrer
Arme der Stadt Schutz bot. genügte eine Mauer am rechten Ufer entlang,
fofem hier nicht fchon niaflive Gebäude erbaut waren. An den anderen
Seiten war die Beteiligung, wenn auch (tellenweife verfchieden, fall überall
von drei Mauern gebildet, von denen die äufsere etwa 1,0“ Hark und j.o*
bis 5,0“ hoch gewefen iH. Im Oden und Nordollen, wo das Terrain des
Martins- und Petersberges anHeigt und eine höhere Mauer kaum Zwecke
haben konnte, wurde die äufsere Mauer zur Futtermauer. Sie ill durchweg
ohne Thürme gewefen. Zwifchen ihr und der zweiten Mauer befand fich
ein Graben von 40“ (und darüber) Breite, welcher im Mittelalter überall
fumptig war, dann .aber, als die Befeltigung ihre Bedeutung verlor, zu
Gärten, Schiefsfiänden und dergl. ausgenutzt wurde und fchliefslich in den
letzten Jahrzehnten ausgefüllt iH, um ein Hädtifcher Promenadenweg zu
werden. Der Graben führte je nach den verfchiedenen Partien feinen
N’amen als (Moritz-)Zwinger und Stadtgraben. Von der zweiten Mauer hat
fich kaum noch ein Stück erhalten: fie iH überhaupt nicht hoch, vielleicht
manneshoch gewefen; jedoch fieht man aus dem genannten Stadtplane,
dafs fie mehrfach von Thürmen unterbrochen war. Nur wenige Meter von
ihr entfernt, lag die letzte Mauer, die höchfie und Itärkfie. Sie hatte in der
Höhe von ca. 8,0“ eine Crenelurenkrone mit Laufgang von einem zum
anderen der zahlreichen Thürme, die rings zu ihrer Verllärkung dienten.1
* Zwifchen den beiden inneren Mauern lag, wie es der Zeichnung des Olearius nach
feheint, ein hoher Wall nicht. — Als folche Thürme nennt M. Spittemlorfl'- den Bäckerthurm,
den Kramerthunn, den Schrammen Thurm, Valentin Kochs Thurm; es ift aber nicht lichcr, ob
diefe Thürme wirklich alle in der Kingmauer lagen.
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PIK STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
Bevor wir in die Detailbefchreibung eingehen, fei noch erwähnt, dafs
auch die Vororte durch Mauern mit vielen „äufseren Thoren“ eingefchloflen
waren; ob aber fchon im Mittelalter, möchte fraglich fein. Diefe Mauern,
meift zugleich die Mauern der Gehöfte bildend, können kaum aus einem
anderen Materiale als Stroh und Lehm Viellanden haben; es hat lieh von
ihnen faß nirgends eine Spur erhalten. Die Stadtmauern dagegen behänden
aus mehr oder minder gut gemauerten ßruchlleinen , und zwar wird man
Fig. 125.
OIK STAIUMAL’kKN, TIIOKK u. f. w.
,3-Q
Steinen der Klauskapelle, und es verbleibt hier nur noch anzutühren,
(dafs diefes Thorgebäude wohl das einfachfte unter den hallefchen gewefen
fein mag: es befland, fo viel fich aus der Zeichnung des Olearius erkennen
läfst, nur aus einem Gebäude mit einer Durchfahrt im Erdgefchoffe und
einer darüber gelegenen Pförtnerwohnung und war mit einem Satteldache
zwifchen einem Oft- und Weftgiebel gedeckt. Etwas weiter füdlich gelangte
man zur Kuttelpforte mit einer auf die Strohhoffpitze führenden Brücke.
Sie hat ihren Namen davon bekommen, dafs die hallefchen Fleifcher, welche
unweit auf dem Strohhofe ein Gebäude für ihre Schlachtochfen hatten
igewifTermaafsen ein Schlachthaus), an diefer Pforte die Gedärme des
gefchlachteten Viehes, Kutteln genannt, zu reinigen pflegten. Südlich neben
der Pforte findet man einen Mauerthurm von Schalenform, man fieht an
dem bereits in den unterften Schichten aus Bruchfteinen und ßackfteinen
gemifehten Gemäuer, dafs die Erbauung erft zu Ende des Mittelalters ge-
fchehen fein kann. Die Mauer, welche fich von hier, die Halle weltlich be-
grenzend, bis zu dem Johannis- und fpäteren Cyriacihospitale hinzieht, wird
in ihren unteren Mauerfchichten in das frühe Mittelalter zurück zu datiren
fein. Die Sandfteinplatten der Schiefsfeharten hier find (ammtlich fort, aber
die Schiefsfchartenplätze erkennt man noch ftellenweis. Die Mauer wird
an der Halle von der Körber- und Saalpforte durchbrochen, die man
ebenfalls noch fieht; aufserdem bemerkt man eine hohe Schale, die auf-
fälligerweile weder auf dem Plane des Olearius, noch auf dem des
von Dreyhaupt aus dem Jahre 1745 fich vorfindet, jedoch fchon zu Ende des
Mittelalters entftanden fein mufs, wie man aus der Mauertechnik und der
Form einiger Schiefsfeharten — von letzteren geben wir in Fig. 125 eine
höchft originelle — erkennt. Die letzte Strecke amWafTer entlang nehmen
ein das Hospital, die Moritzkirche und die Moritzkloftergebäude mit der den
Kloftergarten umgebenden Mauer, die fich an das Moritzthor anfchliefst.
Diefe Mauer ift ziemlich intact; fie bildet eine Reihe von Flachbögen, über
denen ein I.aufgang hinter einer Schiefsfehartenreihe hergeht. Wie fich aus
der Form der SchiefsöfFnungen Fig. 126 ergiebt, kann die Mauer erft gegen
Ende des Mittelalters entftanden fein. Später find dann noch jene Schiefs-
fc harten Fig. 127 eingebrochen, welche aus Mauerfteinen beftehen und
tiefer als die genannten liegen, nämlich in der die unteren Bogennifchen
nach aufsen fchliefsendcn Wand. Das Moritzthor hat aus einem äufseren
Gebäude von unten quadratifcher , oben achtfeitiger F'orm und aus einem
inneren einfachen mit Satteldach beftanden. 1457 wird es erneuert fein:
1471 ift ebenfalls an ihm gebaut worden, 1572 jedoch ift erft der äufsere
Thurm vollendet.1 Zwifchen den beiden Thorgebäuden lag die Moritzpforte,
durch welche man auf einen nach Glaucha führenden Damm kam. 1710 ift
ein neues Thor angelegt.
Hier verläfst die Stadtmauer den Saalarm und wendet fich, jetzt drei-
fach und mit Graben, gegen Often zunächft bis zum Rannifchen Thore Es
haben fich einige Mauerftücke erhalten; die Häuferflucht hält genau die
1 Ueber die Infchriften und den Bafilisk flehe bei v. Dreyhaupt 1. (>6S.
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330
DIB STADT HALLK u. d. SAALKRKIS.
Stadtmauerlinie inne. Von der äufseren Mauer fieht man noch Reftc in
die zwifchen Mauergafte und Moritzzwinger liegenden I läufer verbaut. I )a-
Kannifche Thor, urfprünglich das rodebellifche, radewellifche genannt, be-
iland aus zwei einfachen Häufern mit Durchfahrt die jedoch fo zu einander
lagen , dafs die Achfen der Thore nicht zufammenfieien. Nachdem da-
„krumme Thor" 1461 am Rannifchen eingefallen war, veranftaltete man im
nächllen Jahre einen Neubau.1 Auf der Strecke bis zur Oftfeite der Stadt
(licke der Volksfchule) hat lieh das Gemäuer an mehreren Stellen fall ganz
Fig. 126.
Scbiefslchartc in der Mauer am Wäger füdlich der Moritzkirche.
in der ehemaligen Höhe mit Creneluren und Schiefsfcharten erhalten; wir
finden auch eine Schale Fig. 128, deren Entllehung ziemlich tief in da-
15. Jahrhundert zurückgehen dürfte und weiter ölllich einen, wie es fcheint.
erft im t6. Jahrhundert gemauerten, eckigen Thurm von geringer Ausladung.
1458 foll der Graben vom Steinthore bis zum Rannifchen Thore angelegt
fein. Ob hier zuvor ein folcher überhaupt noch nicht vorhanden war ? Die
Ecke der Süd- und Oftfeite ift von einer umfangreichen Schale in der
Mittelmauer eingenommen gewefen.
Es folgt an der Oftfeite das Galg- (jetzt Leipziger-) Thor, weiche-
feinen Namen von dem Wege, welcher zum Galgen hinaustührte, bekommen
1 Siehe die Jnfchrifi bei v. Drcyhaupt I. 669.
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DIE STADTMAUERN, THOKE u. C. w.
331
hat und 1573 erbaut, jedenfalls wieder neu erbaut fein foll. Ks belland aus drei
zwilchen der äufseren und inneren Mauer belesenen Gebäuden mit Durch-
lahrten und wurde von einem unmittelbar an dem äufseren Gebäude nördlich
gelegenen runden Thurrae, der fich bis heute erhalten hat. gedeckt Fig. 129.
F.s ilt diefer runde Thurm ganz ifolirt aufgeführt; feine Mauern find unten
2.80 m dark und der untere Ourchmeder des Lichten beträgt 3,30“ Oie
Zwifchendecken Xind von Holz. Merkwürdig ilt, dafs die cvlindrifche Geltalt
des Thurmes im Aeufseren eine Entalis bis etwa zur Mitte der unteren un-
FiK. 127.
Uchicfsfcliartc in der Mauer am Waffcr fiidlich von der Moritzkirche.
gegliederten Partie hat, in welch letzterer gegen Wellen eine kleine fpitzbogige
Kingangsthür liegt, und welche aufserdem von einigen fchmalen, auch wohl
maafswerkgefüllten Fenlterchen durchbrochen wird. Oben kragt lieh ein
niedriges Gefchofs aus. durchbrochen von Schiefsfcharten Fig. 130, welche
von origineller Ausbildung lind und dem Aeufseren einige Belebung geben.
Oie jetzige Helmform ifl die urfprüngliche nicht: folche wird allerdings der
runden Hauptform mit Harken Aulfchieblingen etwa entfprochen haben,
aber die 4 Lucarnen l’owie die Laterne mit der „welfchen Haube" können
erll der Renaidance angehören; es ilt aber wohl an/.unehmen, dafs Lucarnen
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33*
l»IK STADT HALLK u. d. SAALKKI IS.
und Laterne in anderer Ausbildung bereits anfänglich vorhanden waren
Die Herltellung ilf ganz in Bruchffeinen mit Sandfleinen für die Ifructiven
oder ornamentalen Theile (Thür- und Fenltergewände, Schiefsreharten.
Simfe) gefchehen. Der Helm ilf in Schiefer gedeckt. Neben der Befchützuni:
des Galgthores hat der Thurm urfprünglich unzweifelhaft als Wartthurm
gedient. Ohne ihn würde man den Feind, welcher von Olfen kommt, wo
Fig. 128.
Stadtmauerthurm (Schale) an der Neuen Promenade.
das Terrain Ifetig Ifeigt, nicht früh genug gewahr geworden fein. Wohl
fchon feit dem 16. Jahrhundert hat der Thurm auch als Uhrthurm mit einer
Schlagglocke in feiner Laterne gedient. Diefe Glocke von 0.73“ Durch-
inelTer ilt umgegofTen worden — campana haec refusa est per Joh. Jacob
Hoffmann anno Domini MDCLXXIX mense Febr. wie die übrigens intereflV-
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DIE STADTMAUERN, THORE u. f. w.
333
Fig. i:-j.
Runder Thurm.
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33-
Schiefsfcharte im runden Thurme (von innen gefehen )
erlte Hälfte des 15. Jahrhunderts zu fetzen; jede chronicale Notiz hierauf
bezüglich fehlt.
In der Mauer vom Galgthore bis zum Steinthore lagen verfchiedene
Thürme, unter denen fleh jener bereits 1 1 18 zugleich mit der S. Jacobikapelle
1 Siehe bei Olearius zu (liefern Jahre.
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DIF. STAOTMAl'KRN, THORS u. f w.
3.55
errichtete befunden haben mufs. Bis zur Anlegung der Pollllrafse ill
unweit der Mündung der RathhausgafTe auch ein als Mufikantcnthurm1
lienannter, fchalentörmiger Thurm vorhanden gewefen. Beträchtliche Stadt-
inauerrefte find noch im Hofe der Biirgerfchule füdlich zu fehen, und in folchen
haben fich Schiefsfeharten von einfacher Form erhalten Fig. 131 Ilellt eine
folche dar — , die vielleicht in das 14. Jahrhundert zurückgehen; überhaupt
ill das Gemäuer folide und deutet auf eine relativ frühe Kntllehung.2 Als
l'uttermuuer gegen den Martinsberg lieht man auch noch lange Strecken
biK. '3'-
Schicfsfcharle in der Mauer an der Poftftrafsc. (Knabenfchule.)
der äulseren Mauer. Das Steinthor befiand aus drei zwifchen der äufseren
und inneren Mauer belegenen Gebäuden. Aus einer Zeichnung des innerlten
Thorgebäudes, die der Baumeilter Stapel nicht lange vor Abbruch desfelben
«•■macht hat, ergiebt fich, dafs es in gothilcher, vielleicht in frühgothifcher
/-•■it entllanden ill. aber keine Kunllfortnen hatte, die von der 1 1 82 erwähnten
..porta, quae dicitur lapidea“ herrühren können.3 Unten bildeten Bruchfteine
* Es wohnte in ihm der Stadlnnificus.
* Darnach wäre es fraglich, ob auch diefes Stück zu der „fteinernen Pastey /wifchen
«lrm Galgthore und dem Kornhaufe“, die 1538 angefangen und im folgenden Jahre vollendet
ift. gehörte, f. Olcarius zu diefem Jahre
3 Vergleiche auch, was v. Dreyhaupt 1. 669 über die Kntftchung des Namens Steinthor Tagt.
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
336
mit Sandlleinfockei und Sandlleinecken ein vierfeitiges Erdgefchofs, während
die Obergefchoffe ausBackfteinen (?) beltanden und achtfeitig waren.1 Vom
Steinthore bis zum Ulrichsthore fcheinen nur zwei Mauern mit dazwifchen
gelegenem Graben beltanden zu haben. Von der äufseren liegen zwei Rede
am Theater und an der Weltfeite des Häufercomplexes zwilchen Scharren-
gaffe und alter Promenade. Von der inneren Mauer haben lieh füdlich vom
Univerfitätsgebäude Rede erhalten, deren Technik aul eine fpätmittel-
alterliche Entllehungszeit fchliefsen läfst. Das ehemalige Barfüfserklolter
bildete einen Theil diefer Mauer. Das Ulrichsthor hat feinen Namen von
der unweit gelegenen alten Ulrichskirche bekommen (jetzt Geillthor); es
belland aus drei zwifchen den Stadtmauern gelegenen Gebäuden, von denen
das innerlle thurmartig war. Die weltliche Verbindungsmauer diefer Thor-
gebäude war. wie es fcheint, die noch vorhandene Mauer an der Univerfitäts-
reitfchule und dem zugehörigen Garten. 1461 ifl die ,.Stadt-Mauer, der
Graben und Pforte am Ulrichsthor“ erbaut, berichtet von Dreyhaupt. jedoch
wird nicht klar, ob öftlich oder weltlich vom Thore gemeint ift. Bis zum
Bau der Moritzburg dürfte die Stadtmauerlinie füdlich von deren Platze,
auf dem ja das fchwarze Schlofs Hand, gelegen gewefen fein und nördlich
von der Neumühle die Saale getroffen haben. Es geht das namentlicli aus
chronicalen Bemerkungen über die I-age des Judendorfes (aufserhulb der
Stadtmauern um das fchwarze Schlofs) hervor; aufserdem wird eine Pforte
in einem Walle zwifchen dem Hügel der Moritzburg und dem des Domes
erwähnt. Die Moritzburg, als eine Zwingburg für die Stadt, wurde natürlich
mit in die Stadtmauern gezogen.
1 Eine Aufnahme des Steinthores befindet lieh in der nachgclaffenen Zeichnung des Bau-
mcifters Stapel.
I
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Das Rathhaus.
7
t sn den älteften. \vf*nn auch nur noch theilweife erhaltenen Profan- <»• -Muckte,
bauten Halle’s gehört das Rathhaus, I* 132. welches den gröfscren Theil
der Oftfeite des Marktplatzes einnimmt. Seine älteften Formen lallen auf
die Mitte des 15. Jahrhunderts als Entftehungszeit fchliefsen. Allerdings
ift das gegenwärtige Gebäude weder das ältefte auf diefer Stelle noch das
ältefte hallefche Rathhaus überhaupt. Die Chroniken und mündliche Ueber-
lieterungen melden, dafs die Stadt, als fie noch von ihrem erften engeren
Mauerringe (f, Einleitung! umgeben war. alfo bis etwa zum Anfänge des
12. Jahrhunderts, bereits am alten Markte ein Rathhaus gehabt habe, und
zwar fei dasfelbe auf der Stelle des Haufes No. 36 gelegen gewefen.
Freilich ift keine Spur von ihm auf unfere Zeit gekommen; das Haus No. 36
ill im ib. Jahrhundert neu erbaut bis in feine Fundamente, und gerade
dasjenige, was man in Undicht des Alters als merkwürdig hat bezeichnen
wollen, nämlich einen Pfeiler mit einem August us umfehriebenen BiklnilTe
— jetzt vermauert ift eine neuere Conftruction, ein ornamentirter Fenfter-
pfeiler, charakteriftifch für die Zeit der RenaifTance. Immerhin mag hier
dennoch das erfte Rathhaus geftanden haben, aber nicht als ein maftiv
monumentales Bauwerk, fondern als ein Fachwerksbau mit Schnitzerei und
lebhafter Bemalung, wie die älteften Profanbauten Halle's zu fchmücken
Regel gewefen fein wird. Wann llatt diefes erften Rathhaufes ein
neues an der Stelle, die das heutige inne hat. gebaut ift, wifTen wir nicht,
erinnert man fich indeffen. dafs 1312 fall die ganze Stadt eingeäfchert wurde’
fo wird man es wahrfcheinlich linden, dafs auch das erfte Rathhaus bei
diefer Gelegenheit, wenn nicht fchon in dem grofsen Brande 113O, feinen
Untergang fand. War dem fo. dann erklärt fich die Wahl des Bauplatzes!
zu einem Neubau an dem jetzigen Markte als dem Verkehrsbrennpunkte
des inzwifchen aus der Salzftadt zur I landelslladt gewordenen Ortes fehr
wohl. Dafs das Rathhaus bereits 1 366 1 2 genau an feiner jetzigen Stelle
gelegen gewefen ift, und dafs fchon damals die Kapelle S. Crucis — nicht
alnge vor >327 erbaut — in ihm bez. an ihm gelegen war, kann nach
den älteften Erwähnungen gar nicht zweifelhaft fein;-’ über fein Ausfehen
1 Ob in einer auf «lic Kreuzkapclle bezüglichen Urkunde von 1327 das Kathhaus. wie
tu vermuther. ift, auch fchon erwähnt wird, kann ich nicht angeben, weil ich den Text diefer
t'rkunde nicht habe lefen können. 1 366 wird das Kathhaus in einer bei von Dreyhaupt I. 93 1
No. 920 abgedruckten Urkunde erwähnt.
2 Opel: Denkwürdigkeiten des M. SpittcndorfT S. 14, Anm. lieft das Gegcnthcil aus den
Erwähnungen des Rathhaufes bei von Dreyhaupt f. 931 , 932, 197 und in dem Schöppenbache
Bd. V., S. 16*.
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 22
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.138 DIE STADT HALLE II. (1. SAALKREIS.
Ausfehen kann jedoch Bedimmtes nicht angegeben werden. Es hebt zu ver-
muthen. dafs auch der erde Bau aut diefer Stelle nur ein Holzbau war wie
jener am alten Markte; denn wozu hätte es 1401 oder fchon 1341 eines
befonders Harken, maffiven Thurmes — jetzt die füdweftliche Ecke des
Wagegebäudes bildend — „zu E. E. Rathes Archiv und fogenannter
Claulur“ bedurft, welcher vom Rathhaufe — und wahrfcheinlich nur von
dielem — durch eine fpitzbogige Ueberbriickung der RathhausgafTe zugängig
war? Wann diefes Fachwerksgebäude durch ein maflives erfetzt i ff, lalTen
die älteden Bauformen des jetzigen Rathhaufes erkennen; fie geboren, wie
fchon gefagt ilf, etwa der Mitte des 15. Jahrhunderts an. Es fällt auf, dafs
diefer Rathhausumbau von den Chroniken nicht ausdrücklich erwähnt wird:
wir willen aber bellimmt, dafs 1466 die Keller unter dem Rathhaufe an-
gelegt find1 und M. Spittendorff gebraucht 1478 zweimal in feinen Auf-
zeichnungen den Ausdruck „das neue Haus“ in der Weife, dafs man nur
an das Rathhaus und zwar an defTen ludlichen, vom Thurme bis zur Süd-
wellecke gelegenen Theil denken kann.2
Nunmehr läl'st lieh an der Hand noch vorhandener Formen, die wir
befchreiben wollen, die Unterfuchung fortfetzen. Wir betrachten zunächll
das Aeufsere des mehrfach veränderten Baues. Den nördlichen Theil
nimmt ein, was von der Kapelle zum h. Kreuz übrig geblieben ill. Die
Gründung diefes Gotteshaufes fällt vor das Jahr 1 3 17 ; wir fügen hinzu,
dafs 1501 das Schiff neu und wahrfcheinlich höher eingewölbt wurde
zugleich mit einer Verlängerung nach dem Marktplatze zu nämlich um
den Vorfprung, den man auch heute noch erkennt. Bis zur Reformation
hatte die Kapelle der fchönen Sitte gedient, welche dem Rathe vor
feinen Sitzungen eine Mefie zu hören ermöglichte; nachdem auch fie wie l’o
viele Kapellen im 16. Jahrhundert, eingegangen war, wurde ihr Inneres
durch einen auf neuen Gewölben liegenden F'ufsboden in zwei Gefchofle
getheilt und tür profane /wecke hergerichtet. Vor einigen Jahrzehnten
ill auch die polygonale Chorpartie abgebrochen, als man den Flügel für
die jetzige Polizeiverwaltung bauen wollte. Es befindet lieh ein gröfserer
Theil der Werklleine diefer Kapelle, namentlich viele Maafswerksllücke,
noch wohl erhalten im Garten des Haufes gr. Märkerflrafse 1 1 , wohin fie
defTen ehemaliger Belitzer, der verdorbene Dr. G. Schwetfchke, ein Freund
der Alterthümer der Stadt, nach dem Kapellenabbruche hat bringen laden.3
An die Kapelle fchlofs fich gegen Süden das eigentliche Rathhaus an,
welches aber im Gegenfatze zu dem heutigen eine gerade, mit der Wedfeite
der Kapelle bündige Front hatte und (udlich wohl rechtwinklich fchlofs.
Ein Stück der Architektur des bald nach 1466 ganz maffiven Gebäudes hat
fich ziemlich unberührt erhalten, jedoch mufs man fich die Dachfläche von
1 Handfchrift des Schöppen Hane von 1591.
2 Siehe dazu die Anm. Opel’s S. 316 in welcher ebenfalls angenommen wird, dafs ein
Theil des jetzigen Rathhaufes bezeichnet fei.
:1 Im Rathhaufe werden zwei Photographien aufbewahrt, welche von der im Abbruch
begriffenen Chorpartie der Kapelle genommen lind und über die Architektur dcrfclbcu einiget
erkennen laffcn.
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1JAS RATHHADS.
330
einigen hohen und fpit/en Luken belebt denken (f. die Abbildung bei
von Dreyhaupt). Das Mauerwerk diefes Theiles, welcher aus einem hoch-
gelegenen Erd- und einem ObergefchofTe befleht. iit aus gut gefügten Sand-
lteinquadern von grauer Farbe hcrgeltellt. Die Fugen lind nach gothifcher
Weife bedeutungslos, was lieh naiv in den flachen Entlallungsbögen der
geraden Sturze ausfpricht. die die ziemlich breiten Fenlter überdecken. Die
Sturze find mit flach eingehauenen F.felsrücken verziert, während die Ge-
wände jene aus Rundltab, Kehle und Plättchen beltehende Profilirung zeigen,
die an den Ecken lieh überfchneidet und die verfchiedenlten, reizenden
Kriltallgebilde als F'ufszierrathe trägt. Einem Fenflerquader im Erdgefchofs
ill ein F’lachmuller als erlter Verfuch einer Renaidancedecoration eingehauen.
Wie noch heute lag inmitten der ganzen Rathhausfront die Thür und vor
ihr ein „lleinerner Tritt“1 d. h. einige Iteinerne Stufen, wie folche noch vor-
handen, aber vom Thurme überbaut find. Neben dem Eingänge nördlich
war der Fafade eine zierliche, Iteinerne Laube vorgebaut, deren gut profilirte
(iewölberippen — die beffere Profilirung F'ig. 133 beweift, dafs fie vor 1500
Profil der Gewölberippen in Profil der Gewölberippen im Thurme.
der Laube.
gearbeitet find — alles ilt, was lieh von ihr erhalten hat. Diefe offene Vor-
halle war gewifs wie an den Rathhäufern anderer Städte auf das reichlte
verziert mit allen erdenklichen Mitteln der damaligen Architektur: fie Hand
unmittelbar vor dem Rathsfaale und in Communication mit diefem, fodafs
Huldigungen. Verkündigungen an das Volk u. f. w. in bequemer "Weile von
ihr herab gefchehen konnten. Vermuthlich reichte fie auch bis über die
eigentliche Eingangsthür in der Mitte hinaus, um diefer einen bedeckten
offenen Vorraum zu bieten; wenigltens könnte man so aus den noch an ur-
I Bei M. Spiltemlorf mehrfach genannt.
22*
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34°
I>1K STADT I1A1.LR u. d. SAAIKRTIS
fprünglicher Stelle vorhandenen Rippen fchliefsen, die theilweife in den
Thurm vermauert find. Am Ende der Gebäudefront nördlich neben der
Laube befand fich der Kapelleneingang'. So war das Aeufsere des Rath-
haufes in den letzten Decennien des 15. Jahrhunderts; es ift immerhin noch
als der — wenn auch letzte — bauliche Ausdruck des foliden. feinen und
fchlichten Sinnes der begüterten Stadtarifiokratie anzufehen, nach deren
Sturze auch das Rathhaus Wandlung erfuhr; wir werden noch die Gründe
kennen lernen.
Eine alte Ilandl'chrift der Magdeburgifchen Stadtbibliothek berichtet:
„In demfelbtn 1500 und eyn Jare in der woche nach dem Sontage
Quasi modi geniti (18 — 24 April) hat man angefangen die Capell sancte
Crucis under dem Rathaufie herauf! lenger zu bauwen mit einer vier-
eckichten auüladung und zcirlichen Gebille, auch daneben ein neue Mure
am Rathhaufie lang auf! biü zum Tritte, und darüber auch ein viereckichte
ufTladunge angelegt und bil! under das dach uffgezogen mit zcierlicher
befTerung und deffelbigen Sommer(s) alfo volbracht." Der fchon erwähnte
Kapellenvorfprung entlland mithin 1501, ferner eine neue Mauer von der
Kapelle bis zum Tritte der Thür — natürlich eine Erneuerung der ja vor-
handenen Mauer — und fchliefslich der Thurm über dem Tritte vor der
Thür, jedoch ging fein Mauerwerk nur etwa bis dahin, wo das Dach an-
fängt. Was unter den „zcirlichem Gebilde“ und der „zcirlichen Befierung“
zu verliehen ift, kann nur die Bekrönung, der obere Abfchlufs des Rifalits
und des Thurmes fein, bei erfteren bis zutn Sommer 1883 noch fo weit vor-
handen, dafs eine llilrichtige Wiederherllellung unter Zuhilfenahme der
von Dreyhaupt'fchen Abbildung des Rathhaules fehr wohl möglich gewefen
wäre, bei dem Thurme aber im 7. Decennium des 16. Jahrhunderts wieder
abgebrochen, wie noch gefagt werden wird. Wie cs fcheint, genügte der
neuen VerfafTungsform des Rathes nun auch das alte Raumbedürfnifs im
Rathhaufe nicht mehr; man baute um diefe Zeit — oder ob zufolge einer
Infchrift unter der Statue des h. Moritz an der Südwellecke 25 Jahre fpäter.
bleibt fraglich — einen Flügel in der Leipzigerflrafse llunipfwinklig an.
welcher aber nach 200 Jahren als gänzlich baufällig durch einen Neubau
erfetzt wurde.1 Diefe drei Stücke von 1501 bez. 1526 find nicht mehr
in Quadern ausgeführt worden, fondern in einem Gemäuer, welches aus
Bruchlleinen, Ziegelllücken und reichlicher Speife belleht und nur zu den
Ecken, Simlen und Gewänden Sand [lein vor Sendung zeigt, während die Giebel
fogar in Backlleinen hergcftellt worden lind. Die Formen findebenfo wie das
Material wefentlich verfchieden von den anfänglichen Bautheilen. Die meltr-
theiligen Fender haben Gardinenbögen, ihre I’rofilirung hat keinen Rund-
Hab mehr, fondern nur Kehlen und Plättchen, die Giebel aber als Treppen-
giebel ausgebildet find durch eine Blendenarkatur, die fich über die ganze
Fläche maafswerkartig ausdehnt und durch halbfteinftarke vorgekragte
L.ifenen gebildet wird, verziert. Sie machen einen durchaus malerifchen
1 Die Bemerkung des Olearius zumjahrc 1535, nach welcher „die Schreiberei lampt dem
Capitcl auflin Rathhaufe“ verfertigt ift, kann fich wohl nur auf diefen Flügel beziehen.
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UV. KMIIIIAIS.
.541
Effect, namentlich der Giebel des Kapellenrifalits hatte, bereichert durch
ein aus gekreuzten Hack (leinen gebildetes, wagerecht durchlaufendes Hand
und von nur wenigen aber um fo pikanter wirkenden E’entleröffnungen
durchbrochen, ein originelles, reizvolles Ausfehen. Die nächlle Bauver-
änderung zeigt uns fchon die voll zum Ausbruch gekommenen Renaiflance-
lormen. 1538 baute Nickel Hofman, der Meiller der Marktkirche und des
Gottesackers,1 an Stelle der alten Laube eine neue, die halb fo weit ver-
trat. wie ihre zierliche Vorgängerin, von welcher bei diefer radicalen Ver-
änderung nur die fchönen. künfllich gearbeiteten Rippen, fo weit es fein
konnte, erhalten blieben; allein hatte man lie 1501 fchon theilweife ein-
gemauert. fo wurden fie jetzt fogar halb weggefchlagen und die Fetiller in
der Wand ohne Rückficht auf lie angelegt paffend zu dem Saale. Die neue
Laube beiland in einer zwifchen Thurm und Kapellp gelegenen Colonade
welche inmitten einen rifalitartigen Ausbau hatte; im Erdgefchofs waren
ionifche, darüber korinthifche und oben dockenartige Säulen, zwifchen den
unteren Säulen bemerkt man Hache Bögen; den oberen Ablchlufs bildete
ein grofser, fchieferbehängter Giebel, gegen den fich das kleine Ilaubendach
des Ausbaues legte. Die Briilfung im erllen Obergefchofs beiland, fo viel
fich aus der von Dreyhaupt'fchen Zeichnung erkennen läfst, aus Steinplatte
mit Blendenmaafswerk, im zweiten Obergefchofs aus weit flehenden Docken.2
Ebenfalls von Nickel Hofman wurde 1568 der Thurm dadurch verändert,
dafs er llatt der „zcierlichen befferung“ einen vierfeitigen Backfteinauffatz
und darüber einen achtTeitigen Fachwerksbau, mit Metall umkleidet und
allfeitig von je zwei Oeffnur.gen durchbrochen, fetzte. Das Dach dazu zeigt
die Efelsrückenlinie und hat an der Sohle jederfeits ein in denfelben Linien
gehaltenes Giebelchen (Blendgiebel). Was den Rathhausflügel in der
Leipzigerllralse anbetrifft, fo mufste er 170z wegen Baufälligkeit erneuert
werden. Die Mittel können damals nicht reichlich gewefen fein; man ver-
zichtete auf eine belfere Fenllerbildung und begnügte lieh, allein dem Bor-
tale mitten in der E’a^ade eine kräftig gegliederte Ausbildung durch zwei
dorifche Halbfäulen mit Gebälk, unter dem der Thürbogen liegt, zu geben
und das darüber gelegene B'enllergewände durch Voluten und einen Giebel
zu decoriren. Nachdem 1749 jene fpitzen Thürmchen auf dem Dache ab-
gebrochen waren, bot das Rathhaus im wefentlichen den Anblick, welchen
es bis 1883 machte. Eiine Beurtheilung der Renovirung 1883 lieht uns hier
nicht zu.
Kommen wir nun zur Befchreibung des Inneren. Der Eingang liegt ua5 inn,.It.
unter dem Thurme, deffen Erdgefchofs eine mit einem Netzgewölbe über-
* Dieter M eitler mufs in hiefigrr tiefend fehr bekannt und gefugt gewefen fein, hat er
doch auch die Südpartie des Rathhaufes zu Merfeburg erbaut. Man findet dort im Tympanon
des Erkners in einem runden, vertieften beide
N * H
snd in der Fenftcrbriiftunj» 1561.
- Dicfe Laube ifl nur im Allgemeinen erhalten geblieben; fchon 1627 hat lie miiffen aus*
gtbeffert werden, wefcntliche Veränderungen lind mit ihr in den Vicmgrrjahren unLrres Jah-
hunderts vorgegangen, zumeift aber hat fie 1883 zu leiden gehabt.
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deckte Vorhalle bildet. Das Rippenprofil hat jene bekannte, beiderfeits mit
zwei Flachkehlen profilirte Form Fig. 134. ln der Xordwand iß ein Wappen
mit Kartufchenumrahmung ziemlich lederhaften Charakters eingefetzt. Die
Thür hat fpätgothifche Profilirung, ilt aber einfacher als die ähnliche, welche
im Flur rechts liegt. Man gelangt durch letztere in Bureauräume, die theil-
weife gewölbt find. An der Treppe zum Obergefchofs hat fich eine originelle
Dockenbriiftung der fpäteren RenailTance erhalten. Man bemerkt oben
einige Thurmumrahmungen inStein aus der Entßehungszeitdes Rathhaufe«,
auch im 16. Jahrhundert hat man dort Thürgewände eingefetzt. Der über
der Treppe gelegene Theil des Vorplatzes im Obergefchofs iß mit einer
Caffettendecke in Holz überdeckt. Die Thüren gegen Weßen fuhren in
Bureauräume, in denen fich die F'enßer- und Thürgewände durch eine fchöne
fpätgothifche Profilirung mit krißallinifchen Gebilden am F'ufs auszeichnen.
Auch ein nicht übel concipirter Thürflügel mit Intarfiem in Renaifiancefonnen
hat fich dort erhalten; das meiße InterefTe beanfprucht jedoch eine Heiz-
decke, welche ohne Zweifel noch aus dem 15. Jahrh. herrührt und derart!?
ausgebildet iß, dafs durch Kreuzung ßarker, gothifch profilirter Balken
grofse, von vier Kafletten gefüllte F'elder entßehen, auf deren Eckpunkten
Zapfen — leideralle fehlend — herabhingen. Auf diefe Weife bildet fich eine
ebenfo reiche, wie überfichtliche Geßalt einer Decke, die zweifelsohne bemalt
gewefen fein wird, jetzt aber mit Oelfarbe holzartig geßrichen iß. In dem
Gebäudetheile an der Leipzigerßr. find einige barocke Stuckdecken das
Werthvollße. Der Raum, vor dem die Laube liegt, zerfällt durch eine Pteiler-
ßellung in zwei Theile. von denen der ößliche ein fpäterer Anbau iß. Der ganze
Raum dient jetzt als Vorfaal für andere Zimmer, anfänglich und auch noch
im 16. Jahrhundert lag hier der Rathsfaal. Zunächß iß auch von hier aus das
Obergefchofs des l'hurmes durch eine Thür mit einem Gewände in plumpen
F'rührenaiffanceformen zugängig; neben diefer Thür liegt ein gleichermaalsen
verzierter Kamin. Der Thurmraum bildet das „Syndicatsßübchen;" ein
prächtiges Sterngewölbe überfpannt diefes trauliche Gemach, dem moderner
glänzender Oelfarbenanßrich freilich viel von feiner Behaglichkeit geraubt
hat. Eine zweite Thür an der weltlichen Vorfaalfeite mit rechts urd links
einem F'enßer führt auf die Laube hinaus wie zu alten Zeiten; nur dafs
anfangs Laube, Thür und Saal im Erdgefchofs lagen. Eine dritte Thür an
der nördlichen Vorfaalfeite geht in den oberen 1301 gewölbten Kapellen-
theil. heute die Rathsbibliothek bildend. Es find ausfchliefslich die nüchternen
Wölbungen, die einiges InterefTe beanfpruchen. Der im Vorläale flehende
Schrank in RenailTance formen (Intarlien, Architekturen darßeilend) ma?
hier ebenfalls erwähnt werden. Was nun den Vorfaal anbetrifft. fo hat et
Pfeiler von achtfeitigem Grundrifs, zwifchen denen Flachbögen liegen.
Vermitteln einiger Architekturglieder (meiß Kehlen) gefchieht die lieber-
führung in die von ihnen getragene einfeitig flärkere Wand. Die Deck--
iß wiederum eine gothifch profilirte Caffettendecke mit gleichen Gefacht-n
aus Holz wie über der Treppe. Die F'enßer gegen dem Hof find ähnlich
denen nach dem Markte zu profilirt und mit Gardinenbögen überdeckt, aber
fie haben mattere F'ormen.
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DAS KAIHIIALS.
343
Von der ehemaligen Grundrifsordnung ift nach fo mannichtacher Orundrif*.
Umgeftaltung nicht viel mehr zu erkennen. Zweifellos nahm der Rathsfaal,
die „grofse Dömtze“ in frühefter Zeit den gröfseren Theil des Gebäudes
ein. Sie erftreckte lieh von der Kapelle bis zum T reppenanfange und in
der Tiefe von der Front bis zu der naehgehends in die achtfeitigen Pfeiler
des befchriebenen Vorfaales aufgelöftetl Hofwand. Der Fufsboden lag in
der Höhe des Erdgefchoffes, mithin um die Stufen des fteinernen Trittes
über dem Marktplatze. Von der Ausftattung der „Dörntze“ hat (ich nichts
erhalten; vielleicht gehörte jedoch eine confolartige Halbfigur zu ihr, die
vor einigen Jahren aut dem Rathhausboden gefunden ift und jedenfalls einen
ausgezeichneten Platz inne gehabt haben mufs. Sie ift in llolz gefchnitzt
und durchaus farbig; fie ftellt einen bärtigen Mann dar, der das
ftädtilche Wappen hält. Die Arbeit ift fehr gut und verweilt auf die
zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts. In den Aufzeichnungen des M. Spitten-
dorff gefchieht „eines Schrankes'* d. h. einer Schranke Erwähnung; es bleibt
jedoch ungewifs, ob diefelbe im Saale zu denken ift oder draufsen. Im
erfteren Falle würde man an eine lofe Barriere zu denken haben, die einen
Theil der „Dömtze“ bei Berathungen und Gerichtsverhandlungen abgrenzte,1
im anderen F’alle würde an die I-aube, die von einer Schranke in maafs-
werklicher Ausbildung umgrenzt wurde, zu denken fein. Der übrige füd-
liche Theil des Rathhaufes war zu den wenigen, damals nöthigen Kanzleien
und Gefchäftszimmern eingerichtet, die dann zu Beginn des 16. Jahrhunderts
durch den Bau des Seitenflügels in der T.eipzigerftrafse erweitert wurden.
Wann man die erften Veränderungen an diefer Ruumdispolition vomahm,
läfst (ich nicht beftimmt angeben; vermuthlich gefchah es 1501 oder 1505.
Die Hofwand des Saales wurde zu den befchriebenen, bogentragenden
Pfeilern aufgelöft. der Zeit gemäfs in ebenlb unfynimetrilch unfehöner wie
unconftructiver Weife und ein Anbau dahinter im Hofe zur Saalerweiterung
aufgefuhrt. Zugleich legte man den Fufsboden um ein Gefchofs höher,
erneuerte wahrlcheinlich die Decke fo, wie fie befchrieben ift u. f. w. Der
Rathfaal hatte nun eine Ausdehnung von der Kapelle bis zum Austritt der
jetzigen Treppe und von der Gebäudelront bis zur jetzigen Hofwand. Als
Beweis hierfür diene, dafs die Decke über der Treppe und dem Vorfaale
gleichartig und erfichtlicherweife ehedem zufammenhängend gewefen ift,
dafs ferner auch die Wand zwifchen dem Treppenraume und dem Bureau
gegen den Marktplatz ein ausgemauerter Bogen gleich jenen im Vorraume
ift, und endlich, dafs die Kunftformen, welche bei Gelegenheit diefer Bau-
veränderungen im Inneren entftanden. nämlich die Pfeiler, die Flachbögen
und einige Confolen fowohl an den Pfeilern im Saale als auch an folchen
im Erdgefchoffe unmittelbar vor der Treppe nur um diefe Zeit können ent-
ftanden fein. Eine weitere Bellätigung finden wir in folgender Notiz:- „Es
wart auch daff nauehaufT ubir defT raths dorntze in deine jare uffgehauen."
(1505). vorausgefetzt, dafs wir den Sinn diefer Worte richtig alfo deuten: Es
* Siehe Referat über einen Vortrag C. W. Hafe’s in der deutfehen Bauzcilung 1882 S. 418.
'•* Handfchrifl in der Magdeburger Stadtbibliothek vom Jahre 1 5°5*
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1,1h M'ADI HAI.I.F, u. d. SAAI.KKKIS
Figuren.
.344
wurde /u einem Neubau hinter bez. über dem Rath.sfaale das Holz werk auf-
gefchlagen.1 Wir haben noch nachzuholen , dafs unter den Bureauräumer
des alten Rathhaufes lieh die „Themnitz“ befand, jene Gefängnilfe, in denen
mancher Unfchuldige, der der mittelalterlichen Rechtspflege zum Opfer
gefallen war, feufzend und fluchend gefeiten haben mag. „Wirdellu alliier
wetzen — Szo wird man dich — in die Themnitz fetzen 15.20“ ftand dort
bis zum Sommer 1883 in einen Quader eingehauen; dann, hat man den
Spruch abfeharrirt. An die rohen Rechtszullände alter Zeit erinnert auch
die Nordweftecke des Thurmes, an welcher lieh das Haiseifen für folchi-
Uebelthäter befand, die der Pöbel auf Rathskoften mit faulen Eiern bewerfen
durfte. An Gefängniflen hat es im Rathhaufe überhaupt nicht gemangelt;
es gab vornehmlich eine gut ausgeflattete Folterkammer — fie lag vielleicht
auf der Stelle der jetzigen treppe; bei deren Anlegung hat man dort
nämlich ein fchauerliches Gefängnifs gefunden — dann einen „bürgerlichen
Gehorfam," für Weiber die „Blandinftube,“ für „honoratiores“ eine „gelbe
Stube“ u. f. w.
Zwei Sculpturen haben fich am Rathhaufe erhalten. An der Leipziger-
ftrafsenecke lieht auf einer Confole, welche über einem von zwei Figürchen
gehaltenen Wappen ausgekragt ili und wie diefe eine Blattornamentik zeigt,
die jedenfalls dem Meifter der Sculpturen im Dom zugelchrieben werden
mufs, die Figur des h. Moritz. Sie toll itSoder Stadt von dem Magdeburger
Domcapitel gefchenkt worden fein. Ich bezweifle jedoch, ob es noch eben
jene gefchenkte Statue ili, die wir hier fehen, meine hingegen, dafs auch
fie erli 1 52(1 zugleich mit ihrer Confole und ihrem Baldachine und zwar von
jenem Meilier des Domes angefertigt worden ili. Eine genaue Prüfung und
Vergleichung der Domfculpturen mit diefem Stücke läfst das lehr wohl er-
kennen. Man achte befonders auf die Profilirung der Fufsplatte, aut das
Blattwerk am Schilde und dergl. Die Sculptur zeichnet fich durch
realiliifche Autfalfung aus, hat jedoch einen höheren Kunliwerth kaum, ob-
wohl die Arbeit recht fauber ausgeführt ili An der Nordweliecke des
Kapellenrifalits ebenfalls auf einer Confole und unter einem Baldachine lieht
die andere Figur, angeblich die h. Katharina: fie hat im rechten Arme
ein Kreuzt?) oder doch einen Balken, der fi-nkrecht lieht und in der Linken
ein Buch; eine Metallkrone, früher vergoldet, fafs auf ihrem Haupte, doch ili
folche feit der Renovation des Rathhaufes 1883 verfchwunden. Als Katharina
macht fich die Heilige durch ihre Attribute nicht kenntlich, und daher ili es
wahrfcheinlicher, dafs, da die F’igur doch an der Kreuzkapelle lieht, es
vielleicht die h. Helena ili, welche das Kreuz Chrilti und die Nägel, die zwar
jetzt nicht mehr vorhanden find, wieder aufgefunden hat. Diefe Sculptur ili
belfer; grofse reichliche Falten verhüllen zwar die Körperfornu-n noch
all/ufehr. aber die Bildung des üppig vollen Fleifches an Gefleht und Hand
zeigt eine bereits der Renailfance zuneigende Weife.
1 Ohne Nolh, , Hinkt mich, vcrmulhct m;in (Opel: M. Spiltrruiorfi I , dafs „ulTpehaucn“ ah
Schreibfehler für ,,uftßeb.iuen*‘ an/ufehen fei. Es findet lieh nämlich in der LchmannYcheft
Chronik der Stadt Delit/fch /.um Jahre 1664 der Ausdruck „atifhaucn“ in einem Sinne gebraucht,
der dem modernen „auffchlagen“ von Fach werkswänden vollii* enifpricht.
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PK OK VN HAU 1 KN.
345
lm Hofe des Rathhaufes ift ein altes, kleines Fach werksgebäude bis /ur
Frbauung des Flügels für die Polzeiverwaltung vorhanden gewefen.1 An der
(Weite des Holes liegt noch jet/.t ein in Bruchlleinen ausgeführtes Gebäude
mit Backlteingiebeln und fpätgothifchen Thürgewänden von fpitzbogiger
Form, der Marllall genannt, weil des Käthes Pferde unten darin ftanden,
während oben Schutt- und Getreideböden waren; es ilt 1516 nach Olearius
Angabe errichtet, hat aber keine Bedeutung.
Andere Profanbauten.
Der Rathskeller ift ebenfalls ein aufAnlafs des Käthes ausgeführter Ratskeller.
Profanbau, der der Zeit nach dem des Rathhaufes folgt. Nach von Drey-
haupt's Angabe hatte der Rath fchon 1464 die Nothwendigkeit zur Krrichtung
eines folchen Gebäudes hauptfächlich zu Zwecken des ftädtifchen Wein-
und Biermonopols, aber auch wohl zu Verfammlungen und Fellen erkannt;
indeffen erll 148b kaufte er an der Ecke der gr. Märkerftr. gelegene Bürger-
tiäufer zum Abbruch, um hier den Rathskeller zu errichten.'-’ 1501 war der
Bau fertig.3 Nach Aufhebung des Monopols lind zwar die Räume theil-
vveife auch ferner bis heute zur Wirthfchaft vermiethet gewefen, haben aber
auch theilweife anderen Zwecken dienen müllen. 4 Der Bau nimmt die
öftliche Partie der Südfeite des Marktplatzes ein, ift in Bruchlleinen mit
Quaderecken ausgeführt und befteht aus zwei KellergeichofTen. einem hoch
gelegenen Erd- und einem Obergefchoffe. Vom Markte aus führen zwei
gothifche Thüren — fpäter verändert — , vor denen je ein Tritt mit Iteinernen
Stufen wie am Rathhaufe liegt, in das Erdgefchofs, welches grofse, fall
quadratifche Fenller hat. Der Sturz ift wagerecht und wie das Gewände
reich gegliedert in gothifcher Weife. Das Dach zierten Giebel und fpitz-
behelmte Luken. Der Grundrifs ift ganz verändert; er beftand der Haupt-
fache nach in einem wohl inmitten gelegenen Saale, an welchen fich einige
Nebenräume anfchlolTen; im Obergefchofs war eine Wohnung für den Wirth.
Im Inneren linden wir aufser einigen tief gekehlten Balken, auf denen eine
Holzdecke von nur mäfsiger Ausbildung ruht, nichts Bemerkenswerthes.
Nachdem man 1695 einem Buchbinder erlaubt hatte, zwifchen den Thüren
in der Front einen barocken Anbau anzulcgen, und nachdem in den
1 Siehe von Orcyhaupl II. 450.
- Wenn M. SpillemloriT 1478 Ichrciht if. S. 416) »lafs fich Jemand habe „verlohrcn zun»
«ein? in da» neue haus" To kann an »len Rathskcller wohl noch nicht zu denken fein.
3 Olearius hingegen merkt Folgendes an: i486 lfl der Bier- uml Weinkeller zu hauen
angeiangen worden, daran man fiinflf Jahr zugehracht — 149? I ft der Stadt-Keil r zu bauen
angefangen, darauff A. 1502 tlic Gibbcl gefetzt A. 1507 die Bilden gelegt. — 1502 Beide Ge-
wölbe auff dem Kaihs-Kcller wurden vollendet, und zween flcincrne Gibel »Irauf gefetzt . . -
1407 . . . I)cr Boden aulT »lern Stadt-Keller geleget.'* Aus »liefen Angaben mag crfchen
werden, »vie unbcftinmit Olearius in feinen Notizen ift.
■* Siehe bei vom Hagen ], 228 und von Dreybatipl II. 360.
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Roland.
Bürgerhä.ifer.
Holihüiifcr.
3|0 DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
Vierzigerjahren des 1 8. Jahrhunderts die kühnen Dachthürmchen wegen Bau-
lälligkeit allgebrochen waren, wurde 178; das ganze Obergefchofs fowohl
in der Einrichtung als auch in der Aufsenarchitektur verändert. I)z-
gothifche Erdgefchofs erhielt ein langweiliges Obergefchofs in den Formet
jener Zeit und darüber wurde noch eine Manfarde gefetzt. Aufser
unbedeutenden, als Köpfe ausgemeifselten Confolen erblickt nian an der
unten abgefiumpften Ecke in der I.eipzigerflrafse auf einer Confole und
unter einem Haidachine die Figur der h. Magdalena (?). Sie hat langes
lofes Haar, ihr Gefleht ilt wenig geiflreich, auch mangeln ihr alle körperlichen
Reize; die Arbeit ill kaum mittelmäfsig. Oie Abltumpfung der Gebäude-
ecke unter diefer Sculptur wird durch einen das Stadtwappen tragenden
Schildhalter wieder in die fcharfe Ecke überführt.
Bevor wir zu den Werken der Neuzeit übergehen, erwähnen wir
noch die Rolandsllatue an der Südoltecke des rothen Thurmes, das
Zeichen der Gewalt über Leben und Tod, welche Halle im Mittelalter
hatte. Urfpriinglich Hand als ein folches Zeichen eine polychromirtf
Holzfigur auf einer Erhöhung des Bodens neben dem in die Waage
verbauten Thurme (?), von 1311 — 1513 jedoch in der Nähe des rothen
I hurmes , bis 1547 wieder am alten Platze neben dem Waagethurme und
darauf ein zweites Mal am rothen Thurme bis 1718; in das Malz- und
Zimmerhaus gebracht ging diefes Holzbild im nächlten Jahre durch Feuer
zu Grunde. 1711) hatte jedoch der hallefche Bildhauer Bürger das jetzige
Steinbild in Arbeit, welches nun an dem Schöppenhaufe aufgellellt wurde.
Von 1817 bis 1854 lag das Steinbild in Stücken auf dem Rathhaushofe
und hat dann feine jetzige Stelle bekommen. Dafs die Sculptur äufserl't
fehlecht ift, braucht in Hinblick auf die Zeit der Verfertigung wohl kaum
gefagt zu werden.
Mit dem 16. Jahrhundert wird die Baukunll gewilTermaafsen eine bür-
gerliche : das thut fich fogar in der Anlage der öffentlichen Gebäude unver-
kennbar kund; fie lind meill nur grofsartiger und luxuriöfer ausgefühne
Bürgerhäufer. Es rechtfertigt fich daher, mit dem, was fich über die Bür-
gerhäufer fagen läfst. zu beginnen und zwar, da fich nur wenige HäulVr
derartig erhalten haben, dafs fie gleich den communalen bez. öffentlichen
Bauten eine gefonderte Befprechung erfordern . zufammen/ufaffen . was fich
von den Stücken gleicher Art hier und da erhalten hat, um aus ihnen ein
Bild der bürgerlichen Wohnungen zu Halle in» allgemeinen fich machen
zu können.
Die erflen dauerhaften Häufer können wohl erft nach der Befefligune
der Stadt durch eine Ringmauer entftanden fein. Auch abgefehen von
den Bränden 113z und 1312 wäre es erklärlich, dafs (ich gar kein Reit
von diefen erften Bauten erhalten hat, denn felbft die dauerhafteren werden
nur von Holz gewefen fein und zwar läfst fich vermuthen, dafs fie in
gleichem Zahlenverhältnifse, wie die flavifchen Volkselemente zu den
deutfehen (landen, als Blockbauten conllruirt waren. Erll mit der ton-
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I’kOI-'AMt Al'TI- \
347
fchreitenden Germanifirung wird der von landwirthfchaftlichen Bauten
der römifchen Colonien ain Rhein den Franken und Sachfen bekannt
«(•wordene Fachwerksbau auch in Halle mehr und mehr die flavifchen
ßlockhäufer verdrängt haben. Wie aber von dem flavilchen Volks-
elemente bis in die Neuzeit hinein Spuren zu finden gewefen find , fo auch
von flavifcher ßauweife; in den Holzhäufern des 16. Jahrhunderts findet
man nicht feiten Blockwände (z. B. im Thalhaufe.) Natürlich find die
diefer Zeit ungehörigen Holzbauten — mit Beftimmtheit lallen lieh ältere
l-'E- '35-
Kan/.lci}»affc.
überhaupt nicht nachweifen — in Farbwerk ausgefiihrt d. h. fie haben aus
Schwellen. Stielen. Rühm. Riegeln und Streben eonllruirte Wände mit
lusgeniauerten oder ausgellaackten Gefachen. Da fie wohl meill von den
weniger Bemittelten erbaut wurden, hatten lie einen einfachen Grundrifs,
wenige, müglichlt grofse Räume . die je nach Bediirlnils und Laune verändert
werden konnten. Charakteriliifch lür das Aufsere ill, dafs die GefchofTe.
die rückfichtlich des koftbaren Bauplatzes innerhalb des maueriimgebem n
Stadtgebietes zahlreich und thunlichll grofs hergeftellt werden Tollten.
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3-|8 DIE M AUT HAI.I.K u. d. SAALKKKtS.
einander überkragen. Vornehmlich diefer Umftand gab Anlafs zu einer
kunftformalen Ausbildung der Gebäude, indem die hier auftretenden B<-
Ziehungen zwifchen l.all und Stütze dem Auge gefällig klar gelegt werden
konnten oder mufsten. Sehen wir ab von den wenigen noch gothifchen
Bügen, fo war die einfachfte Art, die tragende Function des Balkenkopfes
anzuzeigen, dadurch, dafs letzterem ein dem entfprechendes Profil ein-
Kie- 136a. Kig. 136b.
Ecke Kühler Brunnen und kl. Klausfirafse Nr. 16.
gefchnitten wurde. Kamen noch, wie es meiftens der Fall ift. Confolen
zur Unterllützung der Balken hinzu, fo wurden auch diefe dem Zwecke und
dem Holzmateriale angemefTen profilirt; fie mülTen, was li il richtige Formen-
fchönheit anbetrifft, oft als muftergiltig erklärt werden. Wir nennen die
fchöne, richtig empfundene Linie dos Balkenkopfes Fig. 137 b und 139b, welche
nicht einfach rund ift. fondern zeigt, dafs lie der Künftler — ein folcher
war der Zimmermann — in dem Bewufstfein, der gegen die Laft empor-
ftrebenden Kraft Ausdruck geben zu mülTen, gemacht hat. Coufolen der
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IMtOFANHAUTlN.
349
verfchiedenfton Art zeigen die Figff. 135— 147. 1 )as Rahmholz wird oft (lil-
gemäfs mit Bandmotiven, Kerben, Punkten u. dergl. gefchmückt , während
(las zwifchen den Balkenköpfen eingefetzte Fiillftiick und die aufliegende
Schwelle ftets wenig llens gefall lind mit gothifcher Fafenendigung,
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SüdflüErl im Hofe der W,
Rathhausgaffe Nr. 13.
350
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Fig. 135 und 136. Aus der Gothik flammend, hat fich auch lange Zeit er-
hallen und ill geradezu vorherrfchend gewefen jener 1 lnhlkehlen- und Rund-
llabfchmuck, der zwilchen den Balkenköpten faß immer gleichartig an
Schwelle und Füllllück ausgebildet worden ill. Unzweifelhaft foll derfelbe
PROFAXBAUTEN.
353
in gothifcher Auffaffung ein Band darllellen , und das durch einander
gehende Profil der Endigung den Knoten, durch welchen der Balken ge-
halten wird, Fig. 137 — 142 und Fig. 146. Dafs dem fo ill, zeigt die Ent-
wicklung; in der Blüthe der RenailTance Ul nämlich wirklich diefer Theil
gedrehten Stricken gleich decorirt, die oft fehr reich mehrfach über einander
Fig. 144.
Grafe weg Nr. 23.
liegen , aber dann fo geordnet find , dafs die Bewegungen der Kräfte lieh
gegen feitig auf heben. E'ig. 147 und 148. Die feinlfe Ausbildung zeigt
F'ig. 149; hier verkündet fich durch die Zierrathe der Eierlläbe, der Platten und
verfchiedener Bandmotive die voll aufgeblühte RenailTance. Ueber den
Balkenköpfen iß der Schwelle diefe Infchrift leicht eingefchnitten (und
li D. d. Ban- u. Kunstd. N. F. I. 23
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PKOFANJIAUTEN.
355
neuerdings ift diefelbe mit fchwarzer Farbe' aufgefrifcht, daher vielleicht
nicht ganz zuverläfTig):
DIEf . MENSCHE LIEGEN GOTT KAN NICHT TRIEGEN H • C • C
ANNO 1609 (oder 1600'
Anfpruch auf befondere Beachtung dürfen auch die Simfe am Thalhnufe
Trödel Xr. io.
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356
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Fig. 150 und 151 machen; fie vereinigen Confolen und Bandfries in fchönfter
Ausbildung.
Die Fach werks wände felbfl erhalten durch Andreaskreuze, Kopf-
und F'ufsbänder zwifchen den Stielen, der Schwelle und dem Rühm
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i'Koi ixn u'n
,i,i7
ein feiles und in kunftformaler llinficht mufterhaftes Gefüge; leider entzieht
lieh hiervon jetzt unter dem Putze aus l’päterer Zeit vieles dem Auge; einen
a Uii.
Gr. Uirichftr. Nr. 38. (Haus zum Schiffchen, Sommer 1883 abgebrochen.)
Begriff mögen folgende Reife geben: kl. Brauhausgalfe Nr. 7,1 Hof der
Schäme Obergefchofs (vergl. big. i|6), Hof alter Markt Nr. ’ , Anbau
Hauptlims am Thal häufe.
alter Markt Nr. 20; ZenkerffafTe Nr. 12 jetzt wieder verputzt, aufserdem an
* Dicfes Gebäude hatte
bis vor Kurzem noch die Au sft.it tu 14; eines Zimmers in Holzwcrk
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.558 Dili STAD'I IIAI.LI. 11. (1. SAALKKK1S.
der Halle, am Trödel, fowie überhaupt in diefem alten Stadttheile nahe der
Halle vielerlei Bruchrtiicke. Die GelcholTe find niedrig und die Fenfter,
welche mit Butzen- und Rauten fcheiben verglaß waren, auch als Schiebe-
fünfter eine andere Eintheilung hatten — im Hofe RathhausgalTe Nr. 6 iß
noch ein folches Fenfter theilweile auch mit alter Verglafung erhalten —
von mäfsiger Gröfse. Das hohe und Heile Dach wird durch gröfsere Erkner
und Luken — diele auch in Reihen z B. gr. Ulrichftrafse Nr. 55 — unter-
brochen, Einen Totaleindruck können die mehr oder minder un verfehlte*
Fachwerksbauten geben: alter Markt Nr. 18, welches Haus jedoch 1883 durch
einen Neubau erfetzt ift; es gehörte vielleicht noch dem 15. Jahrhundert an
•ög- 15>-
Bandlims am Thalhaufc.
Statt der Confolen der RenailTance fall man rein mittelalterliche Büge in
denkbar einiaeh der, fall roher Ausbildung, zugleich Aermlichkeit und gegen
die Form Gleichgültigkeit bekundend. Dabei waren die Gefchofle äufseri
niedrig und weit ausladend. Auch KuhgnlTe Nr. 7 hat noch folche (gothilche
Büge unter einem allleitig trotz der engt n Strafst- weit ausladenden Obtr-
gelchoffe. Aus der Rlütluveit der RenailTance nennen wir: Rannifchellr. u
mit zwei vorgekragten Krkm-rn, gr. Ulrichftrafse Nr. 31. auch das Thal-
haus (Fig. -oq). Trödel Nr. 10 und andere in diefem alten Stadttheile.
Man liebte es wohl fclion in gotbifcher /i-it das F. rdgcfcho fs maffiv
von Steinen und die ObergefcholTe in Fachwerk zu erbauen, indem
wo möglich ältere, fclion vorhandene Mauern z. B. Stadtmauern benutz;?
und in diel'elben Thür- und Fenfteröftnungen einbracli. So wenigliens er-
klären fich verfchiedene Tpitzbogige Kinfalirtsthore in mafliven ErdgefchelAn
des ftiteßen St udtl heiles. Fenller jedoch aus gothifcher Zeit lind darum
feilen, weil lie dem veränderten ZeitbedürfnilTe gemäfs in fpäterer Zf!
als das kriegstüchtige Mittelalter einer humaneren, den friedlichen Befchä'-
t heil weife erhalten (Thürbekleidung, Decke, Gefimfe). Andreaskreuze mit Nafen lieht man
noch im erften Obergefchoffe diefcs Haufes gegen den Garten zu.
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Ladcnfcnder in der Marienbibliothek.
gröfserte Fenlferumgelfaltung trat nicht feiten noch einmal /u Anfang des
l£ Jahrhunderts ein.
Die maffiven Gebäude, weniger leicht veränderlich als jene von Suinlwuirn.
Hol/, waren im Erdgefchofs vielfach überwölbt und wie noch heute /u
Läden und Magazinen benutzt. Schaufenlh-r freilich hatte man nicht f<>
grofsartig wie heute; Fig: 152 zeigt deren Anordnung, und folche hat lieh
an diefer Stelle als ein feltenes Beifpiel fall unberührt -erhalten. Die älteren
gewölbten Läden fcheinen klein gewefen zu fein nach den beiden Beifpielen
zu fchliefsen, diclich gr. UlrichlfrafseNr. 21 und gr. Steinlfrafse 12 .ils folche
mit reizenden Xetzgewölben möglicherweife noch aus dem 15. Jahrh.
erhalten haben. Im 16. Jahrhundert erweiterte man folche Räume dadurch
■Ulfs man auch ausgebildete Säulen und Pfeiler zum Tragen der nun ein-
facheren und rippenlofen Kreuzgewölbe gebrauchte, fo- kühler Brunnen,
kleine Klaus (fraise Xr. 3., Kleinfchmieden Xr. 1. gr. Steinlfrafse Xr.73. und
andere.
Das Erdgefchofs maffiver Gebäude war falt immer als Hochparterre
angeordnet und hatte wo möglich einen überwölbten Hausflur, fo kleine
Klausltrafse Xr. 14. gr. Ulrichllralse Xr. 55, Rathhausgaffe Xr. 1(1. Barfülser-
Itrafse Xr. 14. Balkendecken aber linden lieh: Rannefehelfralse Xr. ’o,
gr. Ulrichitrafse Nr. 4, im Waagegebäude. Xeben folcher Durchfahrt liegt
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360
DIE STADT HALLE u d. SAALKKEIS.
im Ilofe ein Treppenthurm mit einer Wendeltreppe, deren Tritte und
F>6- '53-
Rathhausgaffc 17. Fenftcr mit Gitter.
Spindel eine ornamentale Ausbildung erfahren: gr. Ulrichllrafse Nr. 55,
Marienbibliothek, kühler Brunnen, Waagegebäude, gr. Märkerftrafse Nr. 2:
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PROFANHAUTKN.
3f>l
Leipzigerdrafse Nr. 4 (jetzt vom kl. Sandberge aus zugängig) u. f. w. Kleinere
Käufer haben die Treppen meid inmitten: Brüderdrafse Nr. 8, (Fig. 202).
Gr. Ulrichflrafse Nr. 4, Rannifchellr. Nr. 20 (?)
Kig. 154. Die Einrichtung der Erdgefchoffe zeigt ein
Streben nach grofsen , weiten Räumen,
deren Ausflattung befonders in den
fpäteren Decennien fich zu einer bis auf
unfere Tage muderhaften ausbildete, weil
fowohl der Stoff (Holz und Zeug) als auch
die Formen dem Klima und dem gemüth-
lichen deutfchen Familienleben angepafst find.
Bis 1882 hatte fich ein folches im Thalhaufe
verhältnifsmäfsig gut, fad volldändig er-
halten; das zweite Zimmer ebenda gehörte
fchon in das 17. Jahrh. ; ebenfo id hier zu
nennen ein holzvertäfelter Raum in der
Marienbibliothek. Decken von Holz find noch
mehrfach auf unfere Zeit gekommen: Rath-
hausafle Nr. 5, Leipzigerdrafse Nr. 94, (wohl
Ecke kl. Ulrichstr. u- Dachritzgasse. von ejnem Schüler des Meiders, der das Thal-
hauszimmer 1594 ausgedattet hat, gemacht)
Rannifchedrafse Nr. 20 (einfach), in den Predigerhäufern am Dom u. f. w.
Am Aufseren der maffiven Gebäude erfährt vornehmlich das Portal
eine Ausbildung in figuralen und ornamentalen Steinmetzarbeiten. Die
Fendergewände bleiben verhältnifsmäfsig einfach, haben aber eine reich-
gliedrige Profilirung, fie treten nicht wie in der Barockzeit mit dem Ge-
wände vor die Wandfläche, fonderr. liegen mit dem Verputze bündig.
Für die Erdgefchofsfenfler bildete es wohl nach italienifchem Vorgänge die
Regel, fie mit Gittern in Schmiedeifen zu verwahren; F’ig. 153 zeigt ein
folches von den wenigen noch vorhandenen und beffer durchgebildeten,
(iurtgefimfe dürften erd nach der Mitte des 16. Jahrhunderts gemacht worden
fein; meid fchliefst ein Confolenhauptfims die 'Päfade nach oben ab.
Fbrigens bleibt die Wand der Fäi^ade glatt, und es mufs daher aller Wahr-
icheinlichkeit nach ein malerifcher Schmuck in Sgrafitte hinzugedacht
werden, der fpäter, als alle Fläufer ,,egal gelb“ angedrichen wurden, ver-
loren ging. Die Strafsenecken an den Eckhäufern dumpft man — ob auf
pizeiliche Vorfchrift? — ab, aber nur im Erdgefchofs, und fchmückt die
Feberführung in die fcharfe Kante durch einige den dructiven Sinn aus-
fprechende architektonifche Glieder Fig. 154. Das Obergefchofs hat zuweilen
rin Erknerthürmchen an der Ecke oder wie ehemals am Waagegebäude1
•chon von unten auf in der F'ront ausgebaut, welches den malerifchen Ein-
druck des Enfembles wefentlich unterdützt. Fig. 155—157. Plauptfächlich
jedoch id es der Giebel, der, zumeid aus Backdeinen bedehend, durch
zahlreiche Simfe, Lifenen, Verkröpfungen und durch eine fehr bewegte
1 Siebe die Abbildung bei v. Dreyhaupt II.
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1 >1 1-: STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
562
obere Abfchlufslinie diefen Eindruck hervorruft, indem er dem Haufe eine
malerifche Krone auffetzt Fig. 158 und 159, ferner gr. Ulrichftrafse Nr. tg,
alter Markt Nr. 2 und andere mehr. Bevor man aber zu diefem Giebeltypus
F'g- '55-
Erkner am Kühlen Brunnen.
gelangte, der lieh bezüglich der Lilenen und Kröpfe mit der Zeit verein-
fachte: Marktplatz Nr. 11. 1.5 und 15. auch Giebel der Neumühle — erging
man lieh zu Anfang des Jahrhunderts in einer von der Gothik noch Hark
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l'KOKANBAUTKN.
JÖ3
beeinflufsten Decoration, welche lediglich in KunlUlücken des Maurerhand-
werkes beiland , zu denen Zirkelfchläge und der Backllein ausreichend
Erkner Ecke kl. Ulrichflr. und Berggaffe.
waren, Fig 160 und 161, im Hof Marktplatz Xr. 19. Ecke Marktplatz und
KühlebrunnengalTe, namentlich aber die alten Rathhausgiebel von 1501
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DTE STADT HALLE u. d. SA AUCH EIS.
Erkner, Ecke kl. und gr. STcinftrafsc.
l.inienziige find willkürlich und dienen nur zur Belebung der fonfi glatten
Giebelflächo ; ihre Wirkung i ll wie die aller fpätgothifchen Producte nur
decorativ, nicht mehr confiructiv.
bez. 1526. Die vor die Fläche gekragten, linienbildenden Steine find
erfichtlicherweife einer Conftructionsnothwendigkeit nicht entwachfen, die
Kg- « 57-
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PROFAN HAUT KN.
365
Diefer allgemeinen Befchreibung muffen wir eine befondere der Por-
tale folgen lalTen. In kunftformaler Ausbildung hat man fie im 16. Jahrh.
vor den übrigen Bautheilen bevorzugt, untl fie haben (ich aufserdem fo
zahlreich bereits feit den letzten Zeiten der Gothik erhalten, dafs lieh an
ihnen der Entwicklungsgang der Kunft fchrittweife wohl verfolgen läfst
Ki«- >58.
Rannifcheftraf.se Nr. 9. Kenaiffanccgicbel.
Zuerß wäre das Portal am Haufe zum „goldenen Schlöfschen“ Schmeer-
firafse Nr. 12 zu nennen, Fig. 162, welches Haus folgende Minuskelinfchrift
auf einer fimsüberdeckten Steinplatte an der Nordweftecke trägt:
aio Dili m crrrizxi ipa = ipapav - paulo • frcDrir 0 inpraturr ■ ac ■ iol)ür
ard)irpo magibgsi laüptius prrloir; fSbaoit.
Die Thür ift einfach fpitzbogig; ihr Gewände in gothifcher Weife reich,
aber noch recht verftändig protilirt, die Technik jedoch ilt weniger gut.
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|66
DIE STADT HALLE a. d. SAALKREIS.
>
n
5*
rr
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•i»Si
PROFAN HAUTEN.
.167
Uebor der Thür ifl in einer breiten, flachen und flachbogig überdeckten
Xifche. welche von einem Efelsrückenfims zwifchen zwei flankirenden Fialen
abgedeckt wird, ein Schlofs mittelalterlicher Form gemeilselt. Neben
letzterem bemerkt man jederfeits eine als Kopf ausgebildete C'onfole, wohl
Kig. 160.
Moritzkirchhof Xr. 4 fccn Orten).
für Lichter. Heiligenbilder oder dergl. bellimmt, und auf dem Wafferfchlage
der Nifche find zwei krokodilartige Unthiere, die fich miteinander zu
fchaffen machen, gemeifselt. Die Riefen der Fialen und das Efelsriicken-
fims werden von Krabben verziert und von Kreuzblumen bekrönt, welche
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DIE STADT HALLE U. d. SAALKREIS.
36 8
der Zeit gemäfs bucklichtes, welkes I.aub haben. Die Darftellung wird
theilweife (Schlofs) vergoldet gewefen fein.1
Darf man diefes Portal noch als ein rein mittelalterliches betrachten
fo ill in den jetzt zu befchreibenden, wiewohl fie noch keinerlei Glieder der
Kig. 161.
Moritzkirchhof Nr. 4. (gen Werten am Waffer.)
RenailTance aufweifen, doch fchon eine Abweichung von der gothifchen
Art zu bemerken dadurch, dafs das Gewände nur im Bogen ein Profil aus
1 Es fei erwähnt, dafs am 5. Augurt 1 545 Dr. M. Luther hei einem Bcfuche, den er feinem
Freunde Dr. Jonas machte, in (tiefem Haufe (damals ein Garthaus) logirt hat, von dem Rathe
aber ausgclöft und mit einem goldenen Becher befchenkt wurde.
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PROFAN'BAUTF.N.
Portal 2um „goldenen Schlofschcn“, Schracerftr. Nr. 12.
mit Sitzplätzen ausgebildet ift. Hiermit ift für die Ausgeftaltung der Ilaus-
thüren ein Schema gewonnen, welches im ganzen iö. Jahrhundert unter ftets
B. D. d. Bau- u. Kunltd. N. F. I. 24
Rundftäben. Kehlen und Plättchen hat. während es an den Seiten als Nifche
Fig. 11.2,
. J
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wechfelnden Einzelformen beliebt bleibt. Erinnert man lieh der mittelalter-
lichen Kirchenportale mit ihren feitlichen Nifchen für Heiligenllatuen. fo
wird die Form der Hausthüren des 16. Jahrhunderts begreiflich werden: dir
Form jener wird für die I'hüren der Wohnhäufer beibehalten, die Plätze
aber, welche vordem die Heiligen inne hatten, werden jetzt frei, und zwar
um für die Menlchen zu gelegentlichen Ruheplätzen zu dienen. Als erlies
Beifpiel würde die Thür des Haufcs zum „Lämmchen", Brüderftr. Nr. iz
zu nennen fein. Fig. 1Ö3. Man lieht eine fpitzbogige Oeffnung mit einer
fpätgothifchen Bogenprofilirung, die oben zu einem Efelsrücken ausläuft
! und deren Rundftäbe. Kehlen u. f. w. derartig lieh durchdringen, dafs eines
jener höchft lebhaften, reizvollen, aber unconllrucliven Gebilde entlieht, die
in Halle am eftectvollllen an den Marktkirchenportalen (flehe F'ig. 7) aus-
geführt find. Die Bogenfpitze endigt in der umkränzten Reliefdarllellung
des agnus dti, über dem ein als Band ausgehauener Stein mit der Infchrift :
1558 LAVS • DEO • OBLATVS EST • QVIA • IPE VOLVIT • eingefetzt ift.
Natürlich gehört das Portal nicht erll diefer Zeit an. es wird vielmehr noch
aus dem 15. Jahrh. flammen und zwar von der hier gelegenen Kapelle S. Paul
Es fpricht dafür erftens der Stil, dann die 155S nicht mehr und namentlich
an einem Profanbaue nicht zu erwartende Darftellung des Gotteslammes
und fchliefslich der Umftand, dafs die feitlichen Nifchen. welche doch auf
eine Herrteilung tür ein Bürgerhaus fchliefsen laflen, nicht urfprünglich,
fondern erll fpäter durch das Abmeifseln des auch feitlich herabgehenden
Bogenprofils entllanden find. Das Profil ging feitlich herab, weil die
Rundftäbe lieh an der Kämpferllelle nicht regelrecht auf einen Baldachin
fetzen, fondern plötzlich llumpf endigen, weil die Nifche nur flach und
ohne Sitz ill und weil der innerlle und äufserlle Rundllab des Profils that-
lächlich noch herabgeht , um unten mit verzierter Balis zu endigen. Vielleicht
lieht alfo das Portal fogar noch an feiner erllen Stelle im Gemäuer der
Kapelle und ift, als diefe (1558?) zu einem Wohnhaufe umgebaut wurde, in
der befprochenen Weife verändert und mit der Infchrift verfehen. Ein
gothifches Portal von ähnlicher, aber einfacherer Ausbildung des Bogen-
profils in Efelsrückenlinie findet fich im Seitengebäude Leipzigerllrafse Nr. 6
hier aber find fowohl Baldachine als auch Sitze vorhanden , weil das Portal
fogleich für ein Bürgerhaus beftimmt war, delfen Obergefchofs auch eine
beachtenswerthe Holzarchitektur hat. Das Portal gr. Ulrichllrafse Nr. <jt>
war ebenfalls als Efelsrücken, delfen Spite jetzt überputzt ift, ausgebildet
originell und Hark an gothifche AuffalTung erinnernd ift die Bildung des
Baldachins aus fheilen des Bogenprofils. Die "Sitze fehlen jetzt. Aehnlich
mit Efelsrückenlinie, deren Spitze man ebenfalls verputzt hat, ift der Bogen
des Portals Marktplatz Nr. .>3, auch feine Baldachine find gleicher weife
entllanden aber beide verfchiedenartig. Neben dem Efelsrücken treten
nun auch andere Bogenlinien auf. gebrochene und fogar theilweife nach
unten gebogene, die höchft malerifch wirken, aber dem Conftructions-
gedanken Itracks zuwiderlaulen. Man verfiel der Unnatur, indem man
nach neuen pikanten Gebilden fuchte. Eine dahin gehörige Thür, die fich
übrigens noch in jeder Linie als gothifches Werk verräth. ill Sc h tn cer-
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DIE STAUT HALLE u. <U SAAUCKEIS.
Fig. 164.
Portal. Schmcerstrassc Xr. 31. vom Jahre 1320.
Fig. 165.
Amicht des Baldachins und des ßogenprohlcs
au Fig. 164.
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I'HOI- ANHAU U N.
Fig. 1 66.
F»rtal*gr. Ulrichftrafsc Nr. 19 vom Jahre 1548 t?;.
Fig. 167.
Anlicht des Baldachins und des Bogen-
prolilcs von Fig. 166.
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.174
IHK STAUT HALLE u. (i. SAA1.KRK1S.
I'trafse Nr. 31. Fig. 1(14 und 165. Gothifch flarr, fcharf und eckig' iß die
Proßlirung der Sitze und des dünnen Baldachins, welcher vieleckiu iß.
unterwärts ein Sternmußer hat und durch Vermittlung eines Sockels die ver-
Fi(!. iWt.
Portal gr, Ulrichflrafsc. 4 t
zierten Baten der Rundftäbe des Bogens trägt; gothifch iß auch die p'orn;
des Wappens mit einer Rofe(V) und der Jahreszahl 1520, welches über det
Bogcnfpitze hochreliefirt iß; die mehrfach gebrochene Bogenlinie indeffer
läfst een Niedergang des Stiles fogleich untl zumeiß erkennen. VergU ich-
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HKOFANHAUTKN.
v/ 5
Kic- 160.
Portal gr. Ulrichftrafkc Nr. 8.
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37&
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
man mit diefem ein anderes Portal von fehr ähnlicher Ausbildung in der
gr. Ulrichftrafse Nr. ig. P'ig. 166 und 167. fo wird an der auffälligen
Verfchlechterungen der Formen der völlige Ruin der Gothik, und die
Fig. 172.
Pi-rtal gr. Märkerftrafsc^Nr. 8.|
nunmehr unauthaltfame Entwicklung der Formen zur RenailTance klar werden
Hier lind die Liniencon tralle des ähnlich zufammengefetzten Bogens weil
matter; in der Ferne glaubt man einen Flachbogen zu fehen; viel matter ili
auch der Bogen und Baldachin profilirt; die Sitze fehlen jetzt; dem
Baldachine ill unterwärts zwar ebenfalls ein Sternmulfer eingehauen, aber
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l’ROFANHAL'TKN.
er hat ftatt der vieleckigen die weichere Form des Krcifes angenommen,
und bandartige Zierrathe umziehen ihn. Auch hier findet lieh ein \\ appen
über der Thür; auf ihm ilt eine Wagfchaale dargeltellt und wir lefen aufser
den Buchlfaben B W die Jahreszahl 1548 Auf dem Bogen, welchen die
Säulchen tragen, lieht in flach erhabenen Buchflaben ZVR GVLDEN •
WAGE p). Die Form aber diefes Wappens und feiner von dockenartigen
Säulchen mit Flachbogen gebildeten Umrahmung hat fchon völlig den
Stil der Frührenaiffance (N. Hofman’fches Blattwerk), wie denn auch die
ObergefchofTe des Haules und befonders die drei Giebel gothifche Anklänge
nicht mehr haben. Einen weiteren Schritt zeigt das Poital Ratlihaus-
gaffe Nr. 5, delTen urlprüngliche Bogenprotilirung abgemeifselt und durch
eine unverlüindliche und unverftandene erfetzt ilt; über den Baldachinen
lieht man noch die Anlatze des alten Profils, liier ilt nämlich wirklich
Hg 17»-
Bogcnprolil des
Portals kl. Rlausflr.6
i«- «7 i-
ein Rundbogen gemacht worden. Die Form und Verzierung der Baldachine
gleicht der der letztgenannten. An dem Portale gr. UlricJiltr. 4 1 (Fig. 1O8
findet nun fchliefslich wirklich der Uebergang zur RenailTance llatt; wider-
natürlich und unconitructiv ilt zwar noch der Kleeblattbogen, aber die drei
von unten concaven Linien des felben bedeuten doch nicht gerade das Gegen-
theil einer Wölbconltruction ; an die Gothik erinnert noch der aus Bogen-
elementen componirte Baldachin, aber die Profilirung des Bogens felblt und
die Zierrathe der Bogenglieder gehören fchon der RenailTance an, lind lie
gleich noch unverltändig componirt. Das Profil hat, aufser Plättchen und
Rundltäben. lesbifche Kymaticn, die zu nach oben gerichteten plumpen
Blättern ausgearbeitet lind, ferner Zahnlchnitte mit rundbogig verbundenen
Zähnen; eine Hängeplatte als dominirendes Glied des Ganzen fehlt noch.
Die Sitze find plump und mit fchwachem Relief verziert. Die ganze Arbeit
macht einen etwas rohen, fchwülftigen Eindruck.
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378
llli: STADT HAI.LIi u. d. SAAl.KKKIS.
Fig. 174.
Ehemaliges lJorial Kannircheftrafsc Nr. 20. (Goldene Kofe.)
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I'KOFAN HAUTEN,
379
*'V- «75-
Hogenprotii t- 1 Ki^. 174.
I-'H. 176.
Archivohe des Portals. Barfiifscrftrafse Xr. 14.
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38o
DIB STAUT HAU.K u. d. SAAMCKEIS.
Nunmehr treten uns in den folgenden Portalen die geläuterten Gebilde
der RenailTance entgegen; der Baldachin, die letzte gothifche Reminiscenz,
verfchwindet; die halbkreisförmigen Nifchen find in antiker Weife oben
mufchelförmig. Die Bögen haben eine ungefuchte, natürliche Linie, den Halli-
kreis, und ein Profil, welches keine Archivolte, fondern ein antikes Haupt-
gefimsprofil ift. reich mit Simen, Hängeplatten, Zahnfchnitten, verfchiedenen
Kymatien, Perlftäben, Plättchen u. f w. verziert. Die Kämpfer haben ein
capitälartiges Profil: den Schlufsftein fchmückt oft ein Löwenkopf. Solche
Portale finden fich: gr. U 1 richftra fse Nr. 5 Fig. 169 und t;o. DasKämpfer-
lims und die Sitze find hier fpäter abgemeifelt. Gr. Schlamm Nr. 6.
F's- >77-
kl. Klausflraf.se Nr. 6, Fig. 171, vom Jahre 1658p) wie nach der Infchrift
des Reliefs über der Thür, welches einen Schwan darllellt, zu fchliefsen wäre.
Kl. Sandberg Nr. 1. Gr. Ulrichftrafse Nr. 4 hat in der Durchfahrt ein
derartiges Portal, welchem jederfeits eine Confole oben zugefügt ift. die
wohl lür Lichter oder dergl. dienen füllte. Gr. Märkerftrafse Nr. 8.
Fig. 172 und 173, war ehedem viel reicher. Wie fich aus einer Stapel’fchen
Zeichnung ergiebt, war diefes Portal vor ungefähr 40 Jahren noch mit
einem Gebälk gefchmtickt und von dem Wappen des erften Befitzers (?) bekrönt
mit der Jahreszahl 1595. Ein Figürchen diente als Abfchlufs des Ganzen.
Nur noch die Zwickelreliefs find erhalten, wie man aus unferer Zeichnung
erfieht. Die meifte Aehnlichkeit hatte es mit dem jetzt im Provinzial-
Mufeum wieder autgebauten, welches fich in der Rannifchen Strafse
befunden hat und wahrfcheinlich von demfelben Meifler gemacht fein
wird. Das Portal kl. Sandberg Nr. 18 vom Jahre 1568 ift durch
fchwungvolles Reliefornament in den Bogenzwickeln und an den Nifchen
bereichert; originell ift. dafs es ganz aus Holz befteht. Rannifcheftr. 20.
(Fig. 174 und 175) ift jetzt vermauert und hat neue nifchenlofe Pfeiler, in
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I'KOFASIIAUTIN.
38 >
den Bogenzwickeln lieht man Köpfe — Portrait^ des 1 lausbefitzers und
feiner Frau? — ; über dem Bogen enthält ein von Voluten flankirter Aufbau
eine vergoldete Rofe ; eine Infchrift ilf auf die Flächen unter beiden Voluten
vertheilt und lautet:
DIS HAVS STED IN GOTTES HAND ZV DER GVLDEN ROSEN
IST ES GENAND 1593
Diefes Portal gehört fchon zu jenen, die in den auch mit Einlahrtst hören
verfehenen Häufern lagen und für die Fufsgänger beftimmt waren. Hin
Kic. 178.
Portal kl. Sandberg Nr. 15.
folches ift auch jenes jetzt im Garten flehende Portal RathhausgalTe Xr. 16,
welches, mit Säulen und Gebälk üppig ausgebildet, der Vollreifen Re-
naiüance angehört. Der Form der Thore nähert lieh bezüglich der Bogen-
ausbildung die Thür Barfüfserltrafse Xr. 14, Fig. 17h, mit dem Schlufslleine
Fig. 177, und kl. Sandberg Xr. 15 Fig. 178, weil ihre Bögen wie bei diefen mit
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Kcnfter.
384 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Brillantquadern verziert find. Das letztgenannte Portal ift von glücklichen
VerhältnilTen und einfachen, aber wirkungsvollen Zierrathen. An feiner
Archi volte lieht:
COMMENDABO DOMINO • VIAS • MEAS • ET • IPSE • DIRIGET • "
GRESSVS • MEOS • I • 5 • 8- 9-
Die Thore haben keine Nifchen, dagegen ftets in das Lichten vor-
tretende Prellfteine. auf welche oft die (Juaderung der Archivolten herab-
geht. Wir nennen die Thore kl. Klauslirafse Nr. 0. gr. Ulrichltrafse Nr. 4.
Barfüfserllrafse Nr. 15, Rannifcheftrafse Nr. zo, Fig. 17g, Barfüfserllrafse 14,
Fig. 180, mit dein Schlufsfteine Fig. 181 und Rathnausgaffe Nr. lü. Bei diefer
Aufzählung find nur folche Portale und Thore berückfichtigt, die lieh an
übrigens menr oder minder bedeutungslofen Bauten finden und keine Sonder-
ftellung einnehmen. Bei Gelegenheit der Specialbefchreibung der Gebäude
werden auch die in ihnen liegenden Portale und Thore befchrieben werden
und mit ihnen zugleich, paffender als hier, einige von febr reicher Durch-
bildung
Fenfter haben lieh noch zahlreicher als Thüren erhalten. Ihr I.ichten
ili klein und lall quadratifch, wenigftens in älterer Zeit, während im Laufe
FiK. in.?.
Kühler Brunnen: Kenflcrprofil.
des Jahrhunderts die Höhe zur Breite Händig wächll. Das Gewände ift in
architektonifchen, meid glatten Gliedern gehalten, die nicht bis zurFenfter-
fohle hinabgehen. Die Rathhausfenlier werden die älteften fein, ihnen folgen
die des Rathskellers, (der Moritzburg), der Rathhausanbauten von 1501 bez.
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I'KOFANII.U 1 l.\.
.?»5
I5-Ö U.
tunken
f. w. Für den weiteren Verlauf der Umbildung mögen die Zeich-
Iprechen, die wir demgemäß geordnet haben. Aus ihnen ergiebt
h, dafs doch noch recht
armen feltgehallen wird.
1'iR. 187.
Kronprinz Anbau.
Weife der Itrengen, fcharfen
Nach einigen Verfuchen in
l'iR. 18b.
* • r. Stcinftrafsc Nr. «».
lange die alte
Fig. 18’— iqj.
•icheren, fchlafferen Linien Fig. 110 kommt man dann /.u der mehr antiken
iederung Fig. 191 193; doch felbll bis ins 17. Jahrhundert erhalten fich
B. D- <!. Bau- u. Kunsid. N. F. I,
Digitized by Gcfßgle
336
DIF. STADT HALLE H. d. SAALKREtS.
Fig. '**5-
Kip. 188.
Fig. 189.
Kckc der kl. Sicinflr. u. Kaihhausg.
Rathhausgaffe Nr. 7. •
Fig. IQO. Fig. iqi.
Fckc kl Steinftr. u. Briidcrftr. Waagegebäude,
zum Markgrafen.
Fckc der kl. Ulrichftr. a.
Dachritzgaffe.
Fig- >93-
Kckc kl. Strinftraf.c und pt- Steinlbif«.
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PROFANHAUTEN.
387
noch gothifche Reminiseenzen , wie Fig. 193 in der Durchdringung der
Runddäbe veranfchaulicht.
Wie die Thüren und Fenlter auch andere Bautheile gefondert zu be-
fprechen , empfiehlt fich nicht, weil dicfelben weniger zahlreich erhalten
lind, um die Formenumbildung an ihnen gleich gut verfolgen zu können.
Wir gehen daher zu der Befprechung einzelner Bauten über und werden
dabei Gelegenheit finden, auf die F'ortbildung der übrigen Bautheile fpeciell
hinzuweifen.
Der kühle Brunnen id der ältede Profanbau in Halle, an welchem Kühler Brunnen.
Renaillanceformen auftreten. Er mufs bald nach 1522 gebaut fein, in
welchem Jahre der Cardinal Albrecht feinem Gündlingn Hans Schönitz
durch Scheinkauf1 die S. Lampertikapelle fchenkte und diefer nun Bürger-
häufer auf deren Stelle und in der Nähe erbaute. Eines von diefen id der
Kühle Brunnen, welcher als Weinkeller2 diente. Er liegt ziemlich verdeckt
am Ende einer vom Markte ausgehenden Galle; die ObergefchotTe benutzte
der Cardinal zum heimlichen — oder vielleicht auch nicht fehr heimlichen —
Zufammenfein mit dem fchönen Gefchlechte.'1 Von der prachtvollen Aus-
llattung der Gemächer haben fich nur wenige polychrome Holzfchnitzereien
(im Provinzialmufeuml erhalten;4 das „Bifchofsbett” die geheime Treppe
und anderes id nicht mehr vorhanden. Im Erdgefchofs find die Räume mit
auf Säulen ruhendem rippenlofen Kreuzgewölbe überdeckt. Ueber der Thür
der vom Markte kommenden Galle id ein Erkner (erneuert?) ausgebaut
(Fig. 155), delTen gothifche Confole intereflirt. Im Hofe lieht man den Red
eines roh gearbeiteten Säulenganges Fig. 194, delTen Renailfanceformen
noch viel gothifche Beimifchung haben. Das beachtenswerthede Stück id
das Portal zu einem Treppenhaufe mit Wendeltreppe. Pilader mit ver-
tiefter Füllung, die inmitten ein Rundtheil haben, flankiren die Oeffnung,
die von einem Rundbogen, verziert mit Kreifen, überdeckt id, und tragen
mitteld Blätterconfolen an Capitäldelle ein noch unverdändig gebildetes
Gebälk mit Verkröpfungen. Man fieht links den Kcpf eines Kriegers (?),
rechts einen weiblichen Kopf, beide in runder Umrahmung. Ueber den
Gebälkfimfen wird mitten von kleinen Piladern mit Sims- und Mufchel-
liekrönung ein Feld eingerahmt, gegen welches fich feitlich, einen Giebel
bildend, doppeltgebogene Simfe legen. Die fo entdandenen dreieckigen
Felder werden jederfeits von einem Wappen ausgefüllt, während in dem
rechteckigen mittleren Felde das Wappen des Erbauers, einen I.öwen, der
eine Krone hält, dardellend, auf das Zartede reliefirt id. Eine männliche
1 von Dreyhaupt I. 940.
2 Aufser dem Rathe, der im Kathskcller Wein verfchcnken liefs, hatte bis zum Bau des
Kühlen Brunnens niemand Weinfclianksrecht.
3 von Dreyhaupt II. 514.
4 Abbildungen in Ortweäns: Deutfche Renaiffance und in der Zeilfchrift dir bildende
Konto 1882 zu einem Au (Tatze H. Heydentann**. — In «len Stapcl’fchen Zeichnungen find noch
Aufnahmen vcrfchicdencr vor 40 Jahren noch vorhandener Stücke: Wandgetäfel, Caffcttcndeckc
farbig, ebenfo farbiger Fliefscnfufsbodcn.
25*
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388 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
uml eine weibliche Halbfigur halten das Wappen; fie laufen in ein füllendes.
Ornament aus, welches fo graziös geordnet und Tauber gearbeitet ift, dafs
nur ein Meifler e r 11 e n Ranges fein Verfertiger gewefen fein kann. Ueber
dem Wappen lieht auf einem Bande HANS SCHENITZ und unter demfelbcn
zwifchen den beiden in kleinem Maafsftube wiederholten Wappen der Seiten-
felder folgende Infchrift:
FRON! • WILLIG • VND • ZWIL • VERTRAVEN • SCHWECHT • KRENCKT
VND • BRYNGT . GROSSEN • RAVEN • ‘
Der Stil der Architektur zeigt die Charakterillika der F'rührenaiffance, er-
innert aber nur in den figuralen und ornamentalen Theilen an den Meiller
im Dom; das Wappen und delTen Ornamente zeigen einen fchon viel ent-
wickelteren Stil, als diefem Meiller eigen war. Es fragt lieh noch, wer der
Baumeifter des Kühlen Brunnen’s gewefen ift. Ich vermuthe Schönitz felber.
Dafs ihm der Cardinal das „neue Baumeifter-Amt auferlegte", befagt freilich
kaum etwas, weil folches Amt wohl mehr in der Verwaltung der Gelder zu
Bauzwecken, als in baukünlllerifcher Thätigkeit beiland : aber erwägt man.
dafs Schönitz viel gereift2 und daher mit den Renaiffanceformen fchon
bekannt geworden war, als die hallefchen Meiller noch wenig oder nichts
davon verllanden. fo ift es nicht unwahrfcheinlich, dafs er namentlich zu
feinem eigenen Haufe die Angaben und Rifle felbll gemacht hat und zwar
hat machen müfTen, damit die Handwerker die noch unbekannten Formen
herllellen konnten. Uebrigens könnte man auch auf einen Ausländer
(Italiener) fchliefsen, und für die Holzfchnitzereien möchte ich einen folchen
als Verfertiger auch annehmen, aber unter deflen Leitung wären gewifs die
gothifchen Anklänge vermieden, denen wir trotz der geillreichen Erfindung
und einer an italienifche Müller gemahnenden Zeichnung begegnen.
iteiiJcnz. Diefe Ausführungen beantworten zugleich mit die Frage nach dem
Baumeifter des Gebäudes, Avelches wir jetzt befchreiben wollen, nämlich die
Refidenz. Als der Cardinal Albrecht das neue Stift fanrmt der Domkirche
erbaute, kaufte er auch das ftädtifche Hofpital S. Cyriaci, an Stelle der
jetzigen Relidenz, alfo Tödlich vom Dom gelegen, zum Abbruch und er-
richtete dafelbll 1320 ein Bauwerk, welches zuerll das Neue Gebäude
genannt wurde und den Zweck hatte, den Stiftsherren zu Vorlefungen
namentlich über katholifche Theologie zu dienen; es follte eben das
Collegiengebäude der von dem Cardinale bei dem Stifte anzulegen beab-
lichtigten Univerfität fein. Als das Stift einging, blieb das Gebäude un-
1 Die Jahreszahl 1332, die vom Hagen I. 185 am Portale gelefen hat, wird, da fie jeirt
nicht mehr aufzuhnden ift, auf dem ftark abgcmcifscltcn Bande des mittleren Friesfeides ge-
ftanden haben. — Falls nun in diefem Jahre das Portal und die Infchrift gemacht ift, fo kann
fielt letztere unmöglich auf die erft 1535 gcfchehenc Hinrichtung Schunilzcs beziehen, wie eben-
dort S. 18b A angenommen wird.
2 Einkäufe und andere (icfchiiftc für den Cardinal zu machen, ging er nach Italien und
den Niederlanden. /
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PROFAN RAUTEN.
389
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Säulengang ini Kühlen Brunnen.
DIE STADT HALLE u. tl. SAALKREIS.
39°
benutzt aufser bei Befuchen hoher Perfönüchkeiten , die hier logirten.1
Als im dreifsigjährigen Kriege die Moritzburg unbewohnbar geworden war.
richtete der Adminilirator Herzog Auguft das Gebäude zu feiner Hofhaltung
fürlllich ein, feit welcher Zeit es dann den Namen Refidenz führt. Wiederum
wurde, als die Regierung darauf an das Haus Brandenburg übergegangen
war, das Gebäude nur bei gelegentlichen Befuchen hoher Perfonen benutzt,
1735 aber theilweife zu Univerfitätszwecken eingerichtet, denen es endlich
gröfstentheils dienen mufste. Heute find auch die Sammlungen des
Provinzialmufeums dort untergebracht. Das Gebäude bildet ein aus vier
Flügeln beftehendes, unregelmäfsiges Ganze. Den örtlichen Theil feiner
Nordfeite nimmt eine 1537 gebaute Kapelle ein (f. Einleitung), die jetzt oben
als Katholifche Kirche dient, an der am Wärter gelegenen Wert- und an der
Südfeite, die beide gröfserentheils in veränderter Weife erneuert find, befanden
lieh die grofsen Säle; die am bellen erhaltene Oftfeite hat nördlich den
Eingang und verlängert fich unregelmäßig noch über die Kapelle hinaus
bis fall zum Dome; auch in diefem Theile liegen Eingänge und zwar für
den Kirchhof. Das Gebäude ill zweigefchoffig in verputztem, fchlechten
mit Backfteinen untermifchten Bruchfteinmauerwerk, und theilweife (Fenfter
und Simfe im Obergefchofs) ganz aus Bruchlleinen beftehend, ausgeführt
Im Aeufseren interefliren die Eingänge, aus Thor und Pforte gebildet. Sie
haben ähnliche Pilafter mit vertieften Feldern und mit Rundtheilen inmitten,
die hier aber über die Füllung hinaustreten, und ähnliche dünne oft ver-
kröpfte Simfe, fowie ein Wappen als Autfatz wenn auch weniger feine
Motive wie fich an dem befcliriebenen Portale des Kühlen Brunnens finden.
Der Kapellenchor von 1537 iß für das Studium der Formenumgellaltung
lehrreich; er ill rund und hat runde (Decorations-) Strebepfeiler, die auf
vierfeitigen gothifchen Füfsen liehen. Fig. 195. Im Hofe erblickt man in
der Oft- und halben Wertfeite unten die jetzt vermauerte Flachbogenarkade,
welche urfprünglich den Hof all fertig umgeben haben wird. Höchlt originell
geformte, dockenartige Säulen tragen weite Flachliogen mit vertieften, von
Rundtheilen unterbrochenen Feldern gefchmückt. Fig. 196. Die P'ormen-
feinheit der Architekturen jenfeits der Alpen mangelt natürlich diefen
Erlllingsgebilden noch, aber diefe Säulen haben doch fchon ein weit
gefälligeres Ausfehen als die im Hofe des Kühlen Brunnens. Die Gewölbe
im Erdgefchofs der Kapelle find von einem Rippennetze verziert und
belieben fogar in den jederfeits doppelkehligen Rippen aus Backfteinen mit
Putz überzogen. Aus deiulelben Materiale beftehen auch die Simfe und die
gekuppelten, viel veränderten Fenller des Obergefchofles. Befondere Be-
achtung verdient das Portal, welches im Inneren die nördliche Arkade
gegen Wellen abfchliefst. Es hat fpätromanifche Formen; die Säulen
feines Gewändes liehen auf attifchen Baien mit Eckblättern, und den
gliederreichen Rundbogen fchmückt eine Rofettenreihe. Das Verhältnifs
1 Bcfondcrs zu nennen if( der zwöinügigc Bcfuch Koifur Karl'!, V. 1347, vor dem in
einem Saale an der Wertteile der Landgraf Philipp der Grofsmiilhigo fufsfällig Abbitte that,
aber trolzdchi alsdann auf der MoriUburg treulofer Weife gefangen genommen wurde.
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i‘KOr.\NHAU ri:\.
der Höhe zur Breite des Thürlichten ilt für ein romanifches Portal reichlich
fchlank; es wäre daher nicht ausgefchloffen , dafs der Höhe des Ganges zu
Liebe diefes Portal um eine Ouaderfchicht erhöht worden ift, als feine
Ueberführuny an diefe Stelle gefchah. Dafs der Cardinal auch zu diofem
Strebepfeiler der Kapelle in der Kelidenz.
Haue wie zu fall allen anderen, ältere Bauwerke abbrechen liefs, um deren
Material bef. die Kunltförmen wieder zu verwenden, wird nicht nur andiefem
Mücke zur Kvidenz klar, fondern itt auch aus einer Anzahl Kunltförmen
burtbogen- und vielfarbige Priesltücke) zu erkennen, die bei den baulichen
Veränderungen des Sommers 1885 in, den alten Mauern gefunden wurden
und jetzt im Provinzial-Mufeum aufbewahrt werden.
Dafs der Baumeilter des Kühlen Brunnens auch der der Relidenz ilt,
unterliegt rücklichtlich der Aehnlichkeit des Stils beider Bauten keinem
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392
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Fig. 196.
Säule der Arkade im Hofe der Kciiilcm.
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PROFAN BAUTEN.
393
Fig. 197.
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Portal Brüilerflrafse Nr. 8.
394
DIE STADT HALLE u. U. SAALKREIS.
Zweifel und dafs Schönitz diefer Baumeifter war. erfcheint auch deshalb
glaublich, weil nach delTen Tode 1535 die hier auftretenden Stileigenheiten
an keinem anderen Gebäude gefunden werden.1 Dagegen tritt nun jene
Stilweife Nickel Hofman’s, die wir bei der Markt- und Domkirchenbefchreibung,
charakterilirt haben, auf, auch ße hat viele gotliifche Anklänge, doch ift
fie weniger geiftreich. dafür aber in Halle um fo entwicklungsfähiger.
Als einen Bau diefer Art nennen wir das Bürgerhaus Briiderftr. Nr. 8
unzweifelhaft von liofman und zwar in feinen jungen Jahren, als er noch
felbft mitarbeitete, hergeftellt; es finden fich nämlich an den Werkflücken
faß ausfchliefslich folgende beiden Zeichen: ^ und 5^ von denen das
erfte das N. Hofman’s ift. Namentlich das Fenfterprofil hat noch Hark
gothifchen Charakter, während die Thür, Fig. 197, auch hier das decorativ
Eig. 198.
bevorzugte Stück der Fai, ade, durchaus in den neuen Formen der RenailTance
gehalten ift und als eine der lieblichßen Schöpfungen hallefcher Früh-
renaiffance gelten kann, Fine rundbogige Thür mit glattgliedriger Archivolte.
deren Protilirung in Fig. 198 gegeben ift, und mit feitlichen Nifchen. denen
jetzt die Sitze fehlen, wird jcderfeits von einem cannelurten Pilafter,
1 An den Fenfterge wanden der Ol>cr|*cfchoffü j*r. Ulrichftrafsc Nr. 56 licht man allerdings
vertiefte Felder mit Kundtheikn, aber die Entflclnm^-s^eil kann nicht befliinnit werden.
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rKOKAMlAUIEN.
395
iB'ig. it)<) giebt deflen Capital und Balis» aul einem I’oRamente mit relief-
geiülltem I-'elde Big. ’oo und oben von einem wohl proportionirten Gebälke
mit flachem Giebel eingerahmt. Die Bogenzwickel lind je von einem llark-
bärtigen, weit vortretenden Männerkopfe gefüllt, der etwa wie ein gothifcher
iValTerfpeier wirkt. Der Bries iti von einem in der Oompolition ganz
reizenden Blätterornamente in Abwechielung mit Kartufchen und Stier-
Ichädeln, alfo unzweifelhaft mit directer Anlehnung an antike Müller (Grab-
mal der Cacilia Metella) gefüllt. Der dem llofman'fchen Blattwerke eigen-
Kij;- It'i.
I’iIaRcf kapital am Kuf* zu Fig. 197.
thümliche Ledercharaktea wäre wohl das B.inzige, was an dem Portale
weniger gut gefallen könnte. Im Innern hat lieh der verlud tnilsmäfsig grofse
Hur erhalten. Big. zoi zeigt das neben der Thür befindliche, aufsen ver-
gitterte 1 Blurfenller mit zwei gemauerten Sitzen. Kirn; folehe Anordnung
von Plätzen war fehon im 15. Jahrhundert beliebt: lie findet lieh bereits an
ion Rathhausfen Ilern. Krll gegen das 10. Jahrhundert wird lie leltener. In
l ig. zoz erblickt man den Treppenaufgang aus dielem Blure ; in der Treppen-
hauswand ili eine kleine Nilehe für das 1 .ielit. wie fleh Iblehe hin und wieder
1 Von eiet ehemals hiibfchen Schimcdccifenarbeit ift wenig an Kunft formen erhalten.
I
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DIE STADT HALLE U. d. SAALKKKIS.
Gruppirlc
Fenfter.
3q<>
noch erhalten hat und z. B. auch im Thalhaufe vorhanden war. In dem
jetzigen Laden des Haute» treffen wir auf eine wenig conftructive Au-
bildung der Fenllerpfeiler, welche aus den Condructionen des 15. Jahri.
(flehe Moritzburg) erwachfen ifl und deren Knt Wicklung bei diefer Gelegenheit
gezeigt werden foll.
Man liebt es die Gruppe von mehreren Fendern auch im Innern
architektonifch auszufprechen . indem man die fchwachen Pfeiler auch in
der Tiefe von innen her fchwächt. Durch ein Gewändeprofil, welches <li<
Fig. 200.
Füllung am Poltamente der Pilafter fcig, if)".
Fender anfangs auch innerlich zu umziehen pflegt, belebt fleh der 1 Meiler,
fo Kathhausgaffn Nr. 18. gr. Ulrichdrafse Nr. 19; in fpäterer Zeit lädst man
die Pfeilerfläche glatt (Fig. 303) oder man haut auf ihr ein Füllornament
aus, wie im Laden Brüderdrafse Nr. 8, ferner im „Simfon“ genannten
Zimmer des I laufe.» gr. Märkerdrafse Nr. 11, welches unzweifelhaft auch von
N. Hofman erbaut worden id. Das zwar glatte, aber in llinfichtdes Zweck- s
und der Lage aufserördentlich verdändiggellaltete Profil mit halb äufserer halb
innerer Eckenfafung an der Hofeinfahrt duffes Haufes hat die Jahreszahl
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l-KOKAMlAUTEN.
307
1558 im Schlufsfteine Kin Umbau zu Anfang' des 17. Jahrhunderts hat lieh
im Aeufseren hauptfäehlich auf die Fünfter erllreckt und im Inneren neue
Wandbekleidungen, Kamine, die Treppe u. f. w. gefchaffen. Jedenfalls hat
auch im Ilaufe alter Markt Nr. 3Ü, dellen Pfeiler jetzt vermauert ill, diefe
Fit;. 101 .
Fcnfterfitz im Huu>t1ur BriiilcrArafse Nr. 8.
v<,rzierte Ausbildung eines Fenflerpfeilers lieh befunden. Oben verbindet lieh
ein folcher Pfeiler durch architektonifehe Glieder oder (on Polen der ftärkeren
" and unconftructiv genug. InterelTante Confolenfurmen fieht man im eben
genannten Simfonzimmer. ln der I lochrenailTance kehrt man ind-ITen zu
-Wer folideren Conftruction zurück, ohne die Gruppirung zu verlieren; man
Wtzt dem gefchwächten Pfeiler eine Säule vor, welche die obere Mauerlall
aufnimmt. Fig. 204.
1
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MK STADT HALLE U. J. SAALKRF.IT.
39«
Weltliche Ecke
Marktplatz und
Kleinfchmicden
Wenn das Bürgerhaus an der weltlichen Ecke Mnrktplatz-K lein-
fchmieden Fig. 205 auch auf der Stelle des I-ampertikirchhofes fteht, alfo
vermuthlich eines jener von Schönitz nach dein Abbruch der Kapelle dort
erbauten fein würde, fo glaube ich in Bezug auf die Bauformen doch ficher
annehmen zu miilTen, dafs es erlt fpäter, jedenfalls nicht vor der Mitte des
16. Jahrhunderts entftanden ift. Die von Schönitz errichteten Häufer
nämlich hatten norh Backlteingiebel, die in gothifcher Weife fo, .wie
am Rathhaufe und am Johannishofpitale auf dem Moritzkirchhofe noch
Fig. 202.
Treppenaufgang von» Hausflur Briiderftrafsc Nr. 8.
gefehen wird, verziert waren. Der nach der KühlenbrunnengalTe gelegene
Giebel des F.ckhaufes Marktplatz-KühlebrunnengafTe fowie jener Giebel im
Hofe der Apotheke zum Blauen llirfch (Zeichnung im NachlafTe Stapels)
beitätigen das. Dagegen zeigt das Eckhaus Marktplatz-Kleinfchmieden den
ausgebildeten Typus der RenaifTancegiebel und zwar in einer in Halle
nicht wieder gleich üppig vorkommenden und gleich gut erhaltenen Durch-
bildung. Seine drei oder vielmehr dreieinhalb Giebel mit ihrer Flachbogen-
arkatur unter den Fenltern, mit den zahlreichen Pilalterkröpfen, den kerb-
fchnittgefchmückten Bändern, den durch Voluten dark bewegten oberen
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•)0<J
IHK STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
Kig. :a|.
MarienbibHothek, Kenflerp feiler.
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PROFAN’nACTEN.
3
401*
\bfchlufslinien und alles das vor einer Heilen lukenbefetzten Dachfläche
gelegen, können erft entflanden fein, als in einer Anzahl jener roh geformten
Kcke Klcinfchmicdcn und Marktplatz.
riebel der Typus der RenailTancegiehel gefunden war. Das gut erhaltene
.eufsere des Ilaufes bietet übrigens nur InterefTe dadurch, dafs es ein
p. D. d. Bau- u. Kunftd. N. F. I. 36
Digitized t
Wagegebäude.
4°-
DIR STADT HAUT. u. d. SAALKKK1S.
ziemlich vollkommenes Bild von dem Ausfehen eines maffiven halleichen
Biirgerhaufes bald nach der Mitte des 16. Jahrhunderts gewährt.
Wie ähnlich, wenn auch üppiger ausgellattet, die öffentlichen Gebäude
der Stadt denen der Privaten in der Anlage waren, läfst das der Wage,
nördlich vom Rathhaufe und mit diefein in gleicher Flucht gelegene, er-
kennen, obwohl ihm jetzt wefentliche Theile feiner urfprünglichen Ausbildung
fehlen. Wir wilTen ficher, dafs an feiner Stelle fchon zuvor ein altes Wage-
haus gellanden hat, welches, wie fich aus einer Bemerkung des Oleanu-
zum Jahre 1573 ergiebt „von Holtzwerk“ gewefen und in das Hospital zu
S. Georgen gefetzt ift, als man 1573 — nach von Dreyhaupt fchon 1571 -
den Bau des jetzigen maffiven anting. 1581 foll es, wie beide angeben.1
fertig geworden fein , nach von Hagen dagegen , der dem Hane’fchen
Manufcript über die 1575 erlaHene Hochzeitsordnung folgt, war es 157s
bereits „angerichtet und verfertiget“. Der Rathsmeilter Leonhard Zeife
und George Beutener werden als die Baumeiller genannt. Das Gebäude
diente als Wage- und Hochzeitshaus; für die Hochzeitsfeierlichkeiten fowie
für „Zufammenkünflfte der Innungen und Bürgerfchafft“ waren in den Ober-
gefchoffen grofse Säle hergerichtet, die im 18. Jahrhundert zu Univerfitäo-,
feit 1834 zu Schul-, und in den letzten Decennien zu Büreauräumen der
ffädtifchen Verwaltung eingerichtet find. Das Gebäude belicht aus drn
Flügeln in diefer | | Form. Der dreigefchoffige Hauptflügel hat vom
Markte her eine Durchfahrt in den Hof, an deren Ende links eine Wendeltreppe
wie in den Bürgerhäufern liegt. Die füdwellliche Gebäudeecke nimmt ein
Thurm ein; äufserlich fällt er als Thurm zwar nicht auf, aber dafs er nicht
mit dem übrigen Bau entllanden ift, erfieht man aus folgender Minuskel-
infehrift an der Wellfeite:
Hau tun m • rccct • rst inrrpta isla tarris •
Er diente als Gefangnifs und Archiv, und fo war er anfänglich wohl nur
vom Rathhaufe aus durch eine fpitzbogige Ueberbrückung der Rathhau--
gaffe, die vor einigen Jahren abgebrochen und durch eine andere erfeut
;ll, zugängig. Durch die Brücke ill dann auch das mafllve Wagegebäude
mit dem Rathhaufe verbunden worden.* Die lacade unferes Gebäudes
fchmückten noch bis in unlcr Jahrhundert zwei von unten aufgehende, reich
mit Relief verzierte Erknerthürmchen — f. die Abbildung bei von Drey-
haupt II. — auch war das Dach mit drei Lukenreihen verfehen und höher.
Der Zugang ill auch an diefeni Baue durch die Ausbildung bevorzugt.
Fig. 20O. Er belleht in einem Thore mit einer links gelegenen Pforte, neben
der noch eine Thür, jetzt vermauert, ehemals zu einer Wendeltreppe
1 Olcarius giebl anfserdem zum Jahre 1576 an, dafs es „gantz fertig11 geworden fei:
vielleicht ift hier nur der Haupttliigel gemeint oder nur der Rohbau, und fo ift vielleicht auch
das Hanc’fchc Manufcript zu verbellen.
* *554, als der Thurm noch frei band, feheint an ihm gebaut worden zu fein, weil
Olcarius zu diefem Jahre anmerkt, dafs Montags nach Jacobi der Thnrm an der Wage fertig
geworden fei.
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Porta
(mit einer nach v. Drevh.iu]
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■Ilten Bekrönung
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PROFANTtAUTEJJ. 403
führend, liegt. Die rundbogige Archivolte des Thores hat einen Quader-
fchmuck und fetzt fich auf Gewände mit noch gothifchen Einzelheiten
(z. B. Fufs) und mit Prellfteinen als Sockel. Pilafter auf Poftamenten und mit
Gebälk, welches auch von dem Schlufsfteine des Bogens unterftützt wird,
umrahmen das Thor. Mitten auf dem Gebälke fleht ein von Pilaftern, Sims
und Giebel gebildeter und von Voluten flankirter Auffatz für das Stadt-
wappen, daneben jederfeits über den beiden llauptpilaftem — auf der von
Dreyhaupt'fchen Zeichnung mit verkröpftem Gebälke — eine Kriegerfigur. 1
Ein geredeaus fehender Hark vortretender Kriegerkopf2 füllte das Feld des
Giebels und kleine Figuren (landen aut den Giebelecken. Aus dem einen
Bogenzwickel ragt ein männlicher, aus dem anderen ein weiblicher Kopf
von fehr energifchem Ausdruck wafrerfpeierartig, wie am Portale Brüder-
llrafse Nr. 8, weit vor. Das vertiefte Feld des Pilallerpollaments füllt je
ein in der Vorderanficht gemeifselter Löwenkopf aus, während die Pilafter
durch leichtes, reizvolles Blattwerk, von Masken und Putten unterbrochen,
gefchmückt find. Höchft kunftreich componirt und gearbeitet ift auch das
aus denfelben Motiven beftehende Ornament im Friefe und in den Flächen
neben den Voluten des Auffatzes. Der Stil diefer Ornamentik ift fehr edel
und zeugt von einem Meifter mit ganz befonderer künftlerifcher Begabung.
Es darf jedoch nicht verfchwiegen werden, dafs diefer Meifter — Zeife oder
Beutener? — mehr Bildhauer als Architekt gewefen ift, da die VerhältnifTe
der Architektur des Portals weniger glücklich find als die Compofition und
Ausführung der Ornamente. Die Pforte hat eine nur fchlichtgliedrige,
runde Archivolte und feitlich Nifchen mit Sitzplätzen. Das durchaus ver-
änderte Innere bietet aufser einem Pfeiler, einer hübfchen Treppenfpindel
Fig. 207 im Thurm und den Thürgewänden nichts Bemerkenswerthes. Ob
das kreuzförmig ohne Rippen überwölbte Untergefchofs des Südflügels der
Wage eine Kapelle (St. Annae) war, und ob die Statue3 in der Hofmauer
diefes Flügels, die übrigens kein bedeutendes Kunftwerk und etwa um die
Mitte des 15. Jahrhunderts gemeifselt ift, auf einer noch vorhandenen Con-
fole an der Südweftecke der Wage geftanden hat, kann hier nicht näher
unterfucht werden, hier intereffirt mehr als das unbedeutende Krdgefchofs
die prächtige, wohl erhaltene Holzarchitektur des Obergefcholfes (flehe
Fig. 138), welche ein Confolenfims mit in Rundftab und Hohlkehle profilirten
Füllftück und gleicher Schwelle fowie mit vollen, fächerartig verzierten
Fufsbändem4 unten hat, während ein ähnliches, leichteres Confolenfims
unter dem Dache liegt. An einer unteren, ziemlich in der Mitte befindlichen
Confole ift ein Wappen mit durchpfeiltem Herzen gefchnit/t, die gerade
darüber gelegene Confole trägt das Stadtwappen.
1 Diefelben waren etwa feit den Vierzigerjahren verfchwunden, find aber 1882 wieder an
ihren Platz gefetzt worden.
2 Noch im Bcfitze des Stuccateurs Herrn Rudolph zu Halle.
8 ‘Der Maria oder Anna.
4 In Halle das einzige Beifpiel einer Kächerhildting, welche in Nicdcrfarhfen (Hannover,
Hameln, Höxter) fo häufig ift.
26*
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4°4
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
Die Neumühle. Ein anderes ilädtifches Gebäude diefer Zeit, welches man wenig’ ver-
ändert hat, ift die Neumühle. 1283 erhielt das Kloller zum Neuen Werk
von dem Paulinerklofler das Terrain der Mühle, welches in diefem Jahre
Fig. 207.
Trcppenfpindel im Wagegebäude.
jedoch fchon eine Mühle trug, wie es nach von Dreyhaupt II. 363 fcheinl.
1529 kam die Mühle an den Rath. Das jetzige Gebäude ill, als das alte
durch lirand untergegangen war, 1582 neu erbaut worden. Zwei Reihen
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■■KOFANIIAUr l'.N. 405
kleiner, faß quadratifcher, kräftig in Rundllab, Kehle und Plättchen
profilirter Fenfter, ein fchlichtes fimaähnliches Hauptfilms und das nach
Orten gelegene Portal mit einem darüber flehenden Giebel find die liaupt-
lachlichften Kunftformen. Das Portal ift thorartig mit gequaderter Archivolte
und ohne feitliche Nifchen ausgebildet ; über ihm befindet fich ein umrahmtes
Feld mit feitlichen Delphinen , deren Schwanz zu Blattornamenten ausläuft.
In dem Felde ift das von zwei Figürchen gehaltene Stadtwappen mit der
Jahreszahl 1582 als Ueberfchrift reliefirt, wogegen eine Unterfchrift alfo
lautet :
HOC MOLENDINVM A SENATV HVIVS VRBIS DENVO
EXTRVCTVM EST CÖSS : DNO IACOBO REDEL ET DNO
IOHAN KOST ANNO 1582 •>
Aufserdem lieht in flachem Relief unter dem rechten Delphine LAZARVS
KOST ARCH (?) — — — — nicht mehr leferlich; auch ficheint an ent-
fprechender Stelle links Schrift gewefen zu fein. Das Ornament hat den-
1‘elben Schnitt wie ge wirte Bogenzwickel auf dem Gottesacker und die
Stücke, welche in einer neuen Gartenmauer nahe welllich der Siegesfiiule
zu einem Thürgewände vereinigt find; wir verweifen daher auf die
Charakterifirung diefer bei der Befprechung des Gottesackers. Der Giebel
über dem Portale baut fich zunächft mit fenkrechten Seiten hoch auf, um
dann mit Voluten und Simsecken in bewegter Silhouette abzufchliefsen.
Seine Vorderfläche ift wefentlich fchlichter als die der älteren Renaiflance-
giebel.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts entfaltet die Kunll ihre kölllichften
Biüthen. Das 1882 im Februar abgebrochene Thalhaus oder vielmehr das riulhaus.
Werthvollfte in ihm, eine Zimmerausftattung, gehört diefer Zeit an. Diefes
Haus Hand unweit der Weftfront der Marktkirche in der Halle und war
eigentlich zur Abhaltung der Thalgerichte (f. Einleitung) beftimmt, diente
aber auch den Zufammenkünften und Feftlichkeiten der Pfänner bis in das
ig. Jahrhundert, fo wie denen der Halloren bis in die letzten Jahre feines
Beftehens. Aus einer Stelle der hallefchen Chronik in der Magdeburger
Stadtbibliothek * geht hervor, dafs 1464 der Bau an Stelle eines alten Kaufes
1 So auch mit geringen Abweichungen vom Hagen während Olearius und von Drcyhaupt
diefer Infchrift den ZuTat i gehen: Die Baumeifter Caspar u» Kofi und Andreas
Glafer X. H. Die letzten beiden Buchflabcn deuten auf Nickel Hofman, als deffen Unter*
gebene die genannten Baumeifter gearbeitet haben müfsten, was nicht unwahrfcheinlich , weil
diefclbcn, wie der Stil zeigt, auch am Gottesacker gearbeitet haben. Es wäre von Werth
fcfuuftellen , ob Hofman wirklich 1582 noch gelebt hat.
* Abgedruckt bei Opel: M. SpittendOrff 64 A. Es ift dafelbft auch von der „dingkbangk
des talgerichtes hinter dem roten thorme genant** die Rede. Ift darunter eine wirkliche Bank
*u verftehen, fo dürfte cs diejenige gewefen fein, welche noch vor etwa 40 Jahren im Thalhaufe
vorhanden gewefen ift, weil lieh in dem Stapcl’fchen Xachlaffc eine Zeichnung befindet, die
eine prächtig bemalte Bank in fpätgothifchen Formen mit beweglicher Lehne (fo dafs duich
Umklappen derfelben die Bank beiderfeitig benutzt werden konnte) darftellt, eine Bank alfo, die
im gewöhnlichen Gebrauch viel zu koftbar ausgeftattet war.
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I
406 DIE STAUT HAI.LE u. d. SAALKRKIS.
errichtet ift zugleich mit der Grenzmauer zwifchen dem Thale und dem
S. Gertrudenkirchhofe. Diefer Bau war halb fo grofs wie der von uns zu
befchreibende F'ig. 208 und 20g, delTen weftliche Hälfte er bildete. Nach den
Angaben des Olearius ift das Thalhaus 1607 und 1616 „erneuert", „er-
weitert“ und „gegen Reverfs in das Berg-Gerichte gerückt“; wir werden
nach der Baubefchreibung auf diefe Angaben zurückkommen.
Der Grundrifs des zweigefchoftigen Gebäudes ftellt annähernd ein in
der Richtung von Often nach Werten längeres Rechteck dar. Die Fa^ade
nach Süden kehrend, liegt das Haus mit feiner Oft wand gerade auf der
Grenzmauer zwifchen Thal und Stadt, fodafs nun ein diefer Wand angebauter
Fi);. 208.
Nordel).
Grundiifs des I. Obergefchoffe* iin Thalhaufe.
Treppenthurm bereits in das „Berggerichte gerückt“ ift. Das Erdgefchofs
enthält örtlich nur einen Raum mit zwei correfpondirenden Thoren (für die
Thalhausfpritzen?) wörtlich dagegen in der Facade einen Eingang, welcher
in einen Flur mit einer Treppe am Ende führt.1 Zwifchen der gefundenen
Ofthälfte und diefem 1 lausHure liegen drei Räume hinter einander von denen
1 Seit dem 18. Jahrhundert war diefer Flur noch einmal durch Scheidewände gctheilt.
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Thaltuus.
und Ducumente des Thals bildete. Das ( »bergefchofs belicht aus einem
Weiten Corridore, welcher die g'an/e Nerdleite des Gebäudes einnimmt und
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.408 IlIK STADT HALLE u. d. SAAI.KKKIS.
weltlich von der Treppe im Haufe, ölllich von der des angebauten
Thürmchens und zwar direct von aufsen zu erreichen ift. Von ihm find je
durch eine Thür zwei Zimmer, die nach Süden liegen und ebenfalls unter
einander in Verbindung liehen , zugängig; über der \V efttreppe findet der
Aufgang nach den Böden ftatt. Im Aufrifs bietet die Welt- und Nordfeite
kein InterefTe; an der Oftfeite ift nur der achtfeitige Treppenthurm mit
„welfcher Haube“ und ein Gitterfenfter des Obergefcholfes merkwürdig.
Die Südfeite hingegen zeigt unten rechts ein allerdings nicht ausgebildetes
Thor, links barocke Fenfter- und Thürgewände und gerade inmitten einen
Mauerrück fprung, der durch den Anbau nach Ollen entllanden ift und oben
durch die Ausladung eines auf dasReichfte verzierten Holzgefimfes (Fig. 151)
welches weftlich fehlt, wieder ausgeglichen wird. Den barocken Gewänden
haben natürlich ältere weichen mülfen und zwar nachweislich von N. l lofman
gefertigte: bei dem Abbruchdiefer Wand fanden lieh nämlich die Werkftücke
einer Thür vermauert, welche eine glattgliedrige RenailTancearchivolte, die In-
fchrift N ^ H nebft der Jahreszahl 1 55Ö und ferner die Angabe einer
Renovation nach genau 1 00 Jahren hatte; jedoch auch diefen Gewänden
mülfen andere, nämlich fpätgothifche aus der Gründungszeit des Thalhaufes
voraufgegangen fein, von denen Reite nicht gefunden lind. Etwa im über
der Thür lieft man ebenfalls in einem länglichen Steine 1558. Auf das in
Bruchlteinen ausgeführte Erdgefchofs fetzt lieh ein Obergelchofs von Hol/,
theilweife mit hochkant geftellten Mauer- oder Backlteinen verkleidet und
durchweg geputzt. In der Wandmitte jedes der beiden Südzimmer baut
fich ein fünfteiliges Chörlein heraus. Das linke verbindet lieh unter einem
F'ufsgefimfe der Wand nach unten in gefchwungener Confolenlinie, und
darunter fitzt ein Wappen — zwei gekreuzte Haken zum Auf hängen der
SiedekelTel über dem Teuer zeigend — in runder Umrahmung und mit
N. llofman'fchen Blattwerk. Ein ähnliches, doch fpäter gearbeitetes Wappen
ift auch unter dem anderen, etwas breiteren Chörlein angebracht alsSchlufs-
ftein des Thorbogens. Letzterer liegt jedoch fo nahe unter dem F'ufsgelimfe
des Chörleins, dafs deflen confolenartige Uebertührung in die Wand nach
unten nicht mehr anging. Ein drittes Medaillon mit Wappen entfpricht dem
letztgenannten am Schlufsfteine des Nordthores. Beide Chörlein haben für
jedes Zimmer noch je ein F'enlter zu den Seiten und über fich einen Dach-
erkner mit zwei Fendern, zwifchen denen ihr manfardenartiges Dach liegt.
Die bedeutende. Heile Fläche des Satteldaches wird aufserdem noch von
einigen Luken belebt. Die F'acade wirkt lediglich durch ihre MalTenver-
theilung und Gruppirung, die Details find unwefentlich.
Im Inneren find im Erdgefchofs nur die eifernen Geld- und Documen-
tenkiften, deren eine auf der Innenfeite des Deckels einen farbigen Holz-
fchnitt,1 Chrillum vor Pilato vorltellend. hat, fowie ein gefchnitzter fpät-
gothifcher Tifch bemerkenswert^2 Der Treppenraum des F'lures wird
von einer Kaffettendecke in Holz (mit j Confolen) überdeckt. Auf dem
* Diefe Stöcke müflen fich noch im Bclit/.e des königlichen Oberbcrgamlcs vorfinden!
* Jetzt im Provinzulmuleum
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PKOFANHAUTEN.
40Q
Podefte der barocken Treppe befindet (ich eine Wandnifche für ein Licht.
Der Corridor im Oberste (oho ITe ill nur durch einen mächtigen, mittelll
drei fenkrechter Steinplatten zweitheiligen und fimsbekrönten Kamin ge-
fchmückt, welcher zwifchen den Zimmereingängen liegt. Die Vorderfeite
der Steinplatten ift profiliert und mit flachem Kartufchenornament belebt;
das weltliche der beiden Obergefchofszimmer ill der Raum, welcher das
Thalhaus gerade an diefer Stelle zu befchreiben veranlagt hat. Die gröfseren-
theils erhaltene Innenarchitektur desfelben zeigt uns, was die Kunlt der
RenaifTance in Bezug auf die Ausilattung der Räume namentlich durch
Ti fehl erarbeiten 1594 geleiflet hat. Das Kunltverltändnifs und Kunftbedürf-
nifs diefer Zeit auf dem mehr das intimere Leben darthuenden kunftgewerb-
lichen Gebiete wird uns klar werden. Von den beiden Zimmern war diefes
Weltliche für die Gerichtsverhandlungen — ob auch von Anfang an? —
beltimmt, das andere indeffen wohl immer nur zu Feltlichkeiten. Jenes nun
hat rings an den Wänden, fo fern diefelben nicht von Mobilien, Thüren
u. f. w. unterbrochen find, unten wahrfcheinlich Bänke gehabt, von denen
jedoch nichts erhalten ilt. Darüber ilt die Wand bis zu einem j* hoch rings-
umlaufenden, meilt dorifchen Gefimfe zur Aufhellung für Krüge, Bücher
u. f. w., mit einem ungemufterten Tuch von weich dunkelgrüner Karbe be-
kleidet, jedoch der mancherlei Unterbrechung durch Thüren, Schränke
und Getäfel wegen feiten von gröfserer Ausdehnung. Ueber dem Gefimfe bis
zur Decke zieren durch Pilaller gefchiedene Oelbilder auf Leinwand, biblifche
Gefchichten darltellend, die Wände, welche im einzelnen folgendermaafsen
ausfehen: In der Xordoltecke Itand der ohne Zweitel vielfarbige Kachel-
ofen, von dem nichts erhalten ifl. In der Nordwand liegt die Thür Fig. 2 10.
Sie ift von Pilaltern auf Poltanienten und mit einem dorifchen Gebälke
umrahmt. Den Raum über ihr bis zur Decke füllt ein Oelbild aus, welches
das jünglte Gericht, jetzt fehr verblichen, darllellt, einen faß fchlichten
goldenen Rahmen hat und mit zierlichßer Pilaßerarchitektur umgeben
wird. Im F'riefe über dem Bilde lieht FIDES • JVSTICIA und die Jahreszahl
1594. Der Thürflügel hat nur zwei einfache Füllungen. Links neben der
I hür fleht eine Wafchtoilette. Sie hat unten und oben einen
Schrank, inmitten aber auf einer confolenunterftützten, halbkreisförmig
vortretenden Platte ein Wafchbecken und darüber einen fchmiedeei fernen
Wandarm für das Handtuch. Neben der Toilette ift die Wand ein Stück-
chen von unten bis zum Simfe, welches hier weniger ausladet, vertäfelt
und mit einem Ornamente bemalt. liier alfo fehlte wohl die Bank vielleicht
deswegen, weil bis fall zur Zimmerecke ein Schrank oder doch ein fcheinbar
nicht fehr mobiles Möbel geftanden hat , das nun nicht mehr vorhanden.
An der Wellwand machen fich nur zwei gleichartig ausgebildete Wand-
fchränke, zwifchen denen ein umrahmtes F'enfter mit Simsbekrönung liegt,
bemerkbar. Auch die beiden Fenfter der Südwand find umrahmt und mit
Sims und einer Laubfägearbeit gekrönt. Das Wandftück rechts dicht am
Chörlein zwifchen ihnen nimmt ein _ Wandfehrank und darüber ein zweiter
geheimer mit Fexirverfchlufs ein. Der Ausbau felber, ein Meifterftück
architektonifcher Compofition und technifcher F'ertigkeit, ift ganz vertäfelt;
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410
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
er hat unten rings Klappfitze, darüber an den beiden fenfterlofen Seiten
eine Pilafterflellung mit fchnitzwerkbekröntem Gebälke zur Einrahmung
eines Bogens, in dem fich wiederum eine Füllung vielfarbiger Intarfia.
unten die Jahreszahl 1594 jederfeits, darüber eine Architekturperfpective,
oben in einer Vafe eine Blume, hervorhebt. Fig. zu. Ein Tifch mit zwei
profilirten Brettfüfsen und mit einerfeits den Seiten des Ausbaues ent-
fprechend abgefchrägter Deckplattenendigung ftand im Chörlein. Die
Barockzeit hatte dem Chörlein eine Schranke in das Zimmer vorgebaut,
an deren Stelle zuvor keine andere geftanden haben dürfte. In der Oft-
wand liegt die Thüt zu dem zweiten Zimmer. Von ihrem Gewände hat
fich nur die Simsbekrönung erhalten, der Zweitüllungsflügel zeichnet fich
durch Ichöne fchmiedeeiferne Befchläge aus. Die Decke des Zimmers ift
ebenfalls von Holz; zwei von gefchnitzten Confolen unterftützte Balken
zerlegen fie von Norden nach Süden in drei nicht ganz gleiche Haupttheile.
von denen der fchmalfte durch eine einreihige, die beiden anderen durch
doppelreihige flache Caflettirung ausgefüllt werden. Ornamentmalerei
belebt das hellfarbige Naturholz der Felder, in deren Mitte ein vergoldeter
Zapfen herabhängt. In dem Chörlein ift auch die Decke am reichften
ornamentirt durch ein rundes Feld inmitten, aus dem eine Ampel
herabhangend gewefen fein wird, durch mehrfarbige eingelegte Hölzer, durch
flach aufliegende Laubsägearbeiten, durch Spitzquatem, Riegelgebilde.
Ringe u. f. w. Zu der Austäfelung des Zimmers ift in der Hauptfache
Eichen- und Fichtenholz genommen, erfteres zu den ftructiven und den
äufserer Gewalt exponirten Stücken, den Thüren, Schränken, Sitzen,
Simfen, Rahmen, Confolen. letzteres zu den Füllungen an Wänden,
Schränken, Fünftem Simfen und Decken; aufserdem ift erfteres häufig mit
Intarfien, feien es auch nur eingelegte Linien, letzteres meift mit Ornament-
malereien und aufgelegten Laublagearbeiten verfehen. Denkt man fich
noch in verfchiedenen 1 lolzarten vielfache Schnitzereien in Relief und als durch-
brochene Arbeit hinzu, ferner einen mit Vorliebe überall angebra chten
Schmuck aus flachen breiten Knöpfen, Ringen oder Spitzquadern, fo braucht
nur noch gefugt zu werden, daf". ein grofser Tifch1 mit weifser Steinplatte
und mit vier gedrechfelten fchräg auswärts gedeihen Beinen die Zimmer-
mitte einnimmt und über ihm von der Decke herab eine Latnpe (?) oder
Glocke (?) an einem Riemen, welcher unter der Decke zum Chörlein hin-
laufend hier an eiferner Kette einen gedrechfelten Handgriff hat, herabhängt
um dasjenige Bild des Raumes zu vervollftändigen, welches diefer kurz
vor dem Abbruch dargeboten haben würde ohne die alle Farben arnalga-
mirende Patina eines mehrhundertjährigen Staubes2.
1 MuIS noch im Obcrbcrjsiml vorhanden fein.
- Es lUmlcn in dem Zimmer noch Actenfchrankc, von denen die ällcftcn imu n Schub-
laden hatten und durch Thüren mit weilmafchigcn Holzgitlern gefchloffcn wurden. Ob (liefe
aber auf 1594 fich datireu laffen und ob lie zu der Ausftattung des Raumes gehört haben,
in u fs ungewi fs bleiben. Ein folcher Schrank uird in der allen Univcrlitatsbibiiothek au fbewahn.
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Fig. 2 ii.
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Thalhaus: Wanrivertäfelung im Chörlein.
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1'ROFANItAUTKN.
4"
Allerdings mufs noch über den Stil hinzugefügt werden, das er aus
folgenden Gründen das höchfte Lob verdient: Die VerhältnilTe und
Formen der Architektur find zwar den veränderten Bedingungen — Klima,
Volkscharakter u. f. w. — gemäfs durchaus verfchieden von denen der
Antike, aber fichtlich ftets hoch 11 edel und mit einer ftaunenswerthen
Meillerfchaft im Erfinden, Componiren und technifchen Ausfuhren vor-
getragen. Dies an Beilpielen darzuthun. müden wir unterladen; wir
glauben, in H inlicht auf die in unferen Zeichnungen Fig. 2 10 und 21t ge-
gebenen Proben wird der Lefer fie leib II auffinden können — dagegen ill
noch auf einen zweiten ßilbedingenden Hauptpunkt hinzu weifen, auf die
Farbengebung. Darf man in 1 linficht aut fo vortreffliche Formen etwas
anderes erwarten, als dafs auch fie meifierhatt ill ? Sie ill die denkbar
üppiglle; man erinnere fielt nur an die vielfarbigen Hölzer, die ja von
Natur gebrochene, dumpfe Töne haben, aber durch die formenreiche Aus-
bildung id. h. licht- und fchattenreiche) fowie durch dellenweife Bemalung
doch wieder gefchickt pointirt find und zu denen in Gegenfatz die ein-
lörmigen, weichdunkelgrünen Partien der Stoffverkleidung treten, lemer
des farbenvollen Bildergürtels an dem oberen Theile der Wand, endlich
der Decke mit ihren hellen, leicht bemalten, goldzapfenbefetzten Feldern,
man denke lieh den farbigen Ofen untl bunte Teppiche hinzu und alles das
übergolfen von dem mildwarmen , grüngoldigen Lichte der Butzenlcheiben-
verglafung — kann ein Zimmer üppiger gefärbt fein? Unmöglich, wenn
die Farbengebung auch ebenfo keufeli fein foll, wie fie hier ill; hier will fie
nicht, prunkend wie die Schminke auf fahlen Wangen, die wahre Befchaffen-
heit des Stoffes hinweglügen, fondern im Gegentheil fie bringt folche voll
«r Wirkung. Uebertlülfig, nach alle dem noch auf den un fchätzbaren
Kunllwerth diel’er Tifchlerarbeit befonders hinzuweifen.
Wer aber war ihr Meidor? Ich habe den Namen gerade diefes
tüchtigften aller hallefchen Kundhandwerker, fo viele ihrer vor und nach
ibm bis zur Stunde gelebt haben, noch nicht auftinden können, wiewohl
diefor Kündler in Holz noch verl'chiedene andere bedeutende Arbeiten1
ausgeführt hat, von denen wir an diefer Stelle eine, die Thürflügel
Brüderllrafse Nr. 14, befchreiben wollen, weil diefe Stücke ebenfalls zur
Ausftattung eines Bürgerhaufes gehören, welches aber fonfl bedeutungslos
ill Das obere Drittel der Flügel ill verändert; übrigens lieht man auf
jedem ein F'eld von bandartigem Flachornament linnreichlter Uompolition
Hg. 212 gefüllt und feitl ich von Xifchen eingefafst, in denen Blatt- und
Fruchtwerk hängt, fowie unten und oben von als Bänder aufgefafsten Feldern
mit Rundtheilen und ßlätterfüllung. Oelfarbenanllrich verdeckt leider
alle Feinheit.
Hierauf kehren wir in das Thalhaus zurück und treten in den Raum
ri". welcher neben dem befchriebenen liegt. Seine Ausfchmückung läfst
1 Siche die liefdir oibiing der Ri äut iganlsltühlc der Murktkirchr. — I >.i fs ifiib ei»
•tugiiftin Stcllwagen wegen geftohlencn Silbers gehengt werden f.dl, aber frei kommt, weil er
tut ..kunftre ic h er Tifchler“ war, wollen wir erwähnen.
ThiirHiige] ,
Brüdci (trabte 14.
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4'2
IlIK STADT HALLE u. d. SAAI.KKP.IS.
keinen Zweifel, dafs er felfliehen Zufammenfein bei Hochzeiten, Fe
und Trinkgelagen gedient hat: noch erinnern fich alte Leute, dafs di«
212-
reichen Pfannerfamilien bei gewilTen Gelegenheiten hier ceremonia
an fein gedeckten Tifchent den dampfenden Mocca tranken.1
* Ich fclbfl fand noch in den Zimmern eine Anzahl weifser langgeftlelter Thonpfe
aus denen bei Zufammcnkünftcn geraucht zu werden pflegte.
p,aü
PROFANRAOTEN.
4 '.5
welchem Jahre die Ausftattung diefes Raumes flammt, läfst (ich
nicht beftimmt angoben; jedenfalls ift fie nach 1607 bez. 1616 ent-
ftanden, in welcher Zeit der Anbau diefes Gebäudetheiles gefchah;
überdies fpricht ihr Stil mehr für die mittleren als für die erden
Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Der Künftler hat fich in der allgemeinen
Dispofition der Architektur feines Collegen von 1594 angefchloffen. .Etwas
über Manneshöhe läuft an den Wänden ein Confolenßms um, unter welchen
die glatt vertäfelte Wand mit fchwülftigen, braun in braun plalfifch gemalten
Ornamenten ziemlich roh belebt ift, während über ihm grol'se eingerahmte
Oelbilder auf Leinwand oder auch den Wandtafeln direct aufgemalte Bilder
bis zur Decke reichen. Die faloppe Malerei der unteren W andpartie fcheint
nur, um das Holz nicht roh zu belaßen an Stelle einer wirklichen Teppich-
bekleidung, durch welche fie bei Benutzung des Zimmers rings verdeckt
wurde, angebracht zu fein; zur Befelügung einer folchen werden die in-
mitten eines jeden Confolenfeldes unter dem Simfe befindlich gewefenen
Stücke, Haken oder Ringe, gedient haben. Es fiand in der nordweftlichen
Zimmerecke der (Kachel-?) Ofen, die Verbindungsthür beider Räume in
derWeftwand ift mit einer Triumphbogenarchitektur umgeben, indem jeder-
feits zwei auf einem Pollamente freiflehende Säulen ein verkröpttes Gebälk
tragen, über defTen Mittelpartie ein kartufchenuinrahmtes Oelbild, auf Holz
gemalt und einen gar liebreizenden Mädchenkopf in natürlicher Gröfse
darftellend, aufgeflellt ift. Bis zur Ecke links wird die Wand oben von
einem Oelbilde auf umrahmter Leindwand eingenommen; man lieht ein
blühendes Weib in der Pofe und mit dem Beiwerke der Tizianifchen
\enus in der Tribuna der Ufficien nur, dafs fie mit Schmuckfachen in den
formen der deutfehen Rennaifance angethan ift. 1 Den Raum zwilchen
dem Chörlein der Südwand und den feitlichen Fenfterti nimmt unter dem
Sims jederfeits ein Spiegel2 ein mit einem darüber befindlichen kräftigen
andarme, welcher hohl in Blech (Bronee) mit vielen Zierrathen hergeftellt
ift; über dem Simfe verkleiden die Wand bemalte Holztafeln. Die fenfter-
lofen Wände des Chörleins find von Kartufchenmalerei überzogen; die
banduhr an der einen Seite gehört vielleicht in fpätere Zeit. Die Eckftiele
dir fenfterfeiten find urfprünglich (wie fich bei dem Abbruche nach ab-
gelöftem Fenfterfutter zeigte) als ob eine Eenfteranbringung gar nicht
babfichtigt gewefen wäre, pfeilerartig profilirt und bemalt wie alle übrigen
Theile des Zimmers. Ueber den Fenftern finden fich allegorifche Malereien
aut Holz in Umrahmung, die fünfSinne als weibliche Brullbil.ler darftellend.
1 Von compctcntcfter Seite wird auf Grund alter Urkunden gemeint , es fei dies jene
Skönheit, welche den Meteritzbrunncn in Thale (f. die Befchreibung des Satte- Wercks von
H'uidorff p. 13,3 in von Drcyhauptl.) habe von dem Gelde giaben laffen, welches fie fich durch
O'ilifche Dicnfte verdient gehabt hätte, und man bringt auch den Namen des Brunnens damit
r /-nfainmcnhang. Es dürfte dem lieferen Sinne diefer Tradition nach/ufpürcn, vielleicht von
Isicrcffe fein.
* Die lctr-tvorhanilencn gehörten allerdings erlt der Zopfzeit an.
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4 14
D1F. STADT HALLE u. <1. SAALKREIS.
Die obere Partie der Oftwand hat zu jeder Fenfterfeite auf die Wandtäfelur
gemalte Figuren wohl auch von allegorifcher Bedeutung aber nicht mehr gi
erkennbar. Die Nordwand endlich ilt von einer Thür zum Corridor dürr
brochen; die Ausftattung der letzteren gleicht ganz der befchriebenen. .1
der Wand oben rechts fieht man aut einem grofsen umrahmten Leinwan
bilde einen Mann mit Hunden und eine Anzahl Frauengeltalten im Vorde
gründe am WafTer; fcheinbar ilt es Actäon, der die Diana im Bade übt
rafcht. Die Zimmerdecke ilt derartig calTettirt, dafs mitten vier gröfse
Felder entliehen. In ihnen werden auf Leinwandbildern in je zwei allegorifcb'
Figuren von Rubens’fcher AuffafTung die vier Jahreszeiten dargeltellt.1
den kleinen Feldern ilt auf Holz ein elegantes, vielfarbiges Rankenomarne
gemalt. Gedrechfelte Blätterzapfen hängen von den Kreuzpunkten d
Deckenbalken herab und unzählige Knöpfe, Rofetten, Spitzquadem u I.
dienen zur fernem Bereicherung der mit Bandmotiven bemalten Balle-:
Das Chörlein hat eine einfeldrige Decke , in die eine geflügelte Figur
Wolken gemalt ilt.
Um nun den Stil diefer Zimmerarchitektur zu befchreiben, mi
vorausgefchickt werden, dafs alles Holzwerk theils mit Oel- theils r
Leimfarbe bemalt ilt oder eine glänzende Vergoldung bekommen H
folern es nicht überhaupt nur Ornamentgruppen und ganzen Bildern ,
Grund dient.
Schon hieraus ergiebt fleh, dafs die Unwahrheit in der Archileki
Platz gegriffen hat ; das Holz will nicht mehr Holz fein, fondem irgend i
koflbarer Stoff, die weifsmarmorirten Säulen z. B. wollen Marmor, t
goldenen Leilten und Zapfen wirklich von Gold, die Täfelung Teppiche ex
Gobelins fein u. f. w. , kurz wir haben es hier bereits mit dem Barockli
zu thun. Natürlich Ipricht lieh derfelbe auch in den Formen aus, die «
unfehöner und roher gearbeitet lind, als die des älteren Zimmers, währt
einerleits z. B. durch die frei flehenden Säulen ein überkräftiges Relief
zeugt wird, läfst man es andererfeits z. B. an dem Thüraulfatze fchon
plaltifch gemalten Kartufchen auf glatten Brettern bewenden. Gewifs
Kunlt hat hier fchon einen Schritt abwärts gethan, ihre Reize lind ni<
mehr natürlich, fondem durch eitel Schminke hervorgebracht; man fei t
folcher Maskerade einverftanden — und das mufs man fein, um die barocl
Schöpfungen überhaupt verliehen und geniefsen zu können — dann w
der Pomp und die prahlende Pracht mehr noch der Farben als der Font
das Auge denn doch wohl befriedigen; die Kunfl, die 1594 gleichfam tu
eine züchtige Jungfrau war, ift hier fchon zum Vollreifen, prunkliebem
Weibe geworden.
Am Thalhaufe ift auch die Con llruc tion , welche bei dem Abbnu
eingehend unterfucht werden konnte, an fleh und befonders deshalb
1 So viel von den Gemälden diefes Zimmers noch zu erkennen ift, läfst lieh fager.
fie alle vorzügliche Decorationsmalereicn, aber auch nicht mehr find.
2 Die alten Stühle mit hohen, gepolterten Lehnen, gepolterten Sitzen und gedrecWe
Beinen muffen im Oberbcrgamt vorhanden fein.
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PROFAN'BAVTEN,
415
achtenswerth. weilfich aus ihr auf die Datirung der Gebät^detheile fchliefsen
läfst. Die Wände des 1594 ausgetäfelten Zimmers waren, abgefehen von
fpäter ausgemauerten Lücken, als Blockwände, innen mit Bohlen, aufsen
mit Steinen verkleidet, conlfruirt, und das ifl meines Frachtern ein un-
trügliches Kennzeichen dafür, dal's flavifches W’elen unter denen, die 14O4
(liefen Bau veranlafsten, noch recht mächtig war. Dafs aber diefe Wände
aus gothifcher Zeit flammten, bewiefen die unter der Ronaifanceverkleidung
Kig. 214.
erhaltenen gothifchen Formen, namentlich eine Lfelsrückenthür mit
Kothifchem Profil unter dem Futter der Corridorthür und eine volllländige
Kohlendecke in fpätgothifcher Ausbildung unter der CafTettendecke. Die
beiden Balken diefer gothifchen Decke hatten auch die Haupttheilung der
ipäteren bedingt; fie wurden nur durch eine Umkleidung in Rahm und
Kig. 2 13.
füllung paffend umgeformt. Ihr gothifches Ausfehen zeigen die Fig. >13
«nd 214, aus welchen auch die gefchickte von unten nicht fichtbare Träger-
ronilruction aus drei Balken fowie die nicht minder gefchickte Bohlenver-
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4i6
wf.'stadt balle u. d. saalkreis.
bindung der Balkengefache zu erkennen ift. Dadurch dafs wir in Fig. 215
noch einen Träger des Jahres 15S9 aus dem Haufe kl. Sandberg Nr. 15
geben, mag die Formenumbildung diefes Bautheiles fich erkennen laden.
Ueber der ganzen Bohlendecke lag eine handhohe I.ehmfchicht, die wohl
nicht erft fpäterer Zeit angehörte. Bemerkt fei noch, dafs diefe Decke
etwa 1 " unter den Dachbalken lag, doch war auch die Decke des örtlichen
Zimmes noch etwas tiefer als die Dachbalken lagen und zwar fo angeordnet,
das fie als ein Stück mit vielen Fifenhaken in Krampen an ihren Balken
F'C-2'5-
Sandberg Nr. 15 Deckenträger von 1580.
hing. Aufser den Blockwänden waren alle anderen Wände des Oberge-
fchofTes in Riegelfachwerk mit ausgellakten Gefachen hergertellt.
Für die Baugefchichte ergiebt fich hieraus Folgendes: Nachdem
1464 ein zweige fchofsig es Haus, genau die weftliche Hälfte des fpäteren
Grundrides grofs, gebaut war, wurde demfelben 1558 von N. Hofman nebll
einer neuen Thür und einem Medaillon wahrfcheinlich auch ein Chörlein
und ein unbedeutender örtlicher Anbau zugefügt; 1594 wurde das obere
Zimmer vertäfelt und 1607 bez. 1616 entlland durch den örtlichen Anbau
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PROKANBAtITKN.
417
bis zur Grenzmauer durch eine Erhöhung des ObergefchoiTes um 1" und
durch ein ganz neues Dach die befchriebene Geftalt. Dem fügen wir noch
hinzu, dafs das gothifche Zimmer wohl nie recht benutzt ift, weil man z. B.
das Trägerprofil an den Enden unausgebildet gelaffen hatte. Das weltliche
Chörlein fcheint man erft 1594 gebaut zu haben. In diefem Jahre mufs es
natürlich vorhanden gewefen fein, aber es mufs auch wegen der Thür-
ausbildung an der Scheidewand beider Obergefchofszimmer ein örtlicher
Anbau exiftirt haben, fei es auch nur ein Treppenthurm wie fpäter am
Corridor. Der Anbau, den wir auf 1607 bez. 1616 fetzen, kann es
übrigens noch nicht gewefen fein , weil das örtliche Chörlein breiter als das
weflliche ift, was bei ihrer gleichzeitigen Entftehung vermieden fein würde
und weil die Stile des Oßchörleins der Zimmerausllattung entfprechend im
Stile des 17. Jahrhunderts ausgebildet find. Die Aehnlichheit beider Aus-
bauten z. B. am Fufsgefimfe, in der Höhe u. f. w. ift darauf zurück/.uführen,
dafs mit dem letzten Anbau das Thalhaus entfprechend , erneuert:' wurde,
wie Olearius ausdrücklich angiebt.
Das Gebäude der Schäme (Scharren) ift zwifchen Brüderftrafse, Schäme.
Neunhäufer und gr. Steinftrafse gelegen und jetzt zu kaufmännifchen Lager-
räumen ganz verbaut. Es foll für einen Holzbau vom Jahre 1510 und 151 1
in Stein 155z erbaut fein, allein der Stil der Ueberrefte neigt fich fchon
bedenklich zum Barock hin, fodafs der Bau erft 1598 entftanden fein wird,
über welches Jahr man ebenfalls Nachricht hat, dafs die Schäme „von Grund
auf neu“ erbaut worden feien.1 Nach Aufsen fällt der Bau jetzt nur noch
durch feine Portale auf; im Innern aber ftellt er fich als ein Hof dar, um-
geben von einer Flachbogenarkade, über welcher ein Fachwerksgefchofs
liegt. Unten in den offenen Hallen hatten die Fleifcher (und Bäcker?) oben
in den gefchloflenen Räumen die Schüller, Kürfchner, Tuch- und Pelz-
Händler ihre Stände. Die fchlichten Säulen find toskanifch, von gedrungenen
VerhältnifTen und von origineller Ausbildung des Capitäls. Die Holz-
architektur des ObergefcholTcs zeigt eine Gefachausfüllung unter den
Fenftern durch Andreaskreuze von gebogenen Schenkeln, an dener\ gothifche
Näfen fitzen, alfo eine Form, wie fie in Fig. 146 gezeichnet ift von einem
nicht mehr vorhandenen Haufe und die fchwerlich erft 1598 gemacht fein
wird. Vielleicht geht man nicht fehl anzunehmen. dafs diefe 1 lolzarchitektur
von dem Baue 1510 und 1511 herftammt und ziemlich unverändert 1598
wieder verbraucht ift. Die Zugänge liegen an den Schmalfeiten des Hofes
einander gegenüber gegen die Brüder- und Steinftrafse. Das Portal in
letzterer ill das einfachere, hat aber rechts neben fich noch eine Thür, die
dem anderen fehlt. Diefe Nebenpforte weicht von den .bisher befchriebenen
dadurch ab, dafs fie mit einem wagerechten Sturze, welcher durch ein von
Confolen getragenes Gefims und durch Kartufchen ausgefchmückt ift, über-
1 Die Chroniften widerfprechen fich fclbft. Olearius giebl beide Jahreszahlen an,
ron Dreyhaupt I. 677 fchreibt, dafs fie „wie fie jetzo (1755) ftehen“ 1552 erbauet wären, dagegen
H. 361 fchreibt er, dafs ein Bürgerhaus angekauft und niedergeriffen fei und dafs dafür 1 598 die
-noch jetzo vorhandenen“ Scharren von Grund auf neu erbaut wären.
B. D. d. Bau- ti. Kunstd. N. F. I. 27
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4 1 8 DIR STADT » AU.I- U. <1. SAAt.KRKlS.
deckt wird und ein Gewände in Architravprofilirung ftatt feitlicher Nifchen
hat. Das Thor mit flach ornamentirter Rundbogenarchivolte hat durch
jederfeits eine auf einem Poftamente frei flehende gedrungene Säule to>-
kanifcher Ordnung mit Gebälkverkröpfung bis zur Hängeplatte eine fall
überkräftige Umrahmung bekommen. Das Kranzfims noch durch einen
dritten Kropf über dem Schlufsfteine des Bogens, fowie von Confolen unter-
ftützt ladet weit aus über einem Triefe, welcher in den Feldern Kartufchen
von guter F.rfindung hat.
Das Portal in der Brüderftrafse F'ig. zi6 ift durch den Vorfprung
des Nachbarhaufes in eine Ecke gezwängt. Es ift bei ganz gleicher Dis-
pofition viel fchmuckreicher als das eben befchriebene, mit ihm correl pondirende.
Es find die Poflamente und das untere Säulendrittel mit Kartufchen, die
noch keine ftarke Silhouette haben, überzogen; von unbefchreiblich fiedelndem
Ausdruck find zwei kleine Löwenköpfe an den Säulen, LeckerbifTen für das
Auge Die Archivolte füllt fich mit kräftigem Laubornamente: in den
Bogenzwickeln fieht man allegorifche F'iguren reliefirt und zwar links eine
männliche mit Schaufel, Rechen und kranzumwundener Senfe, rechts eine
weibliche mit einer Garbe und einem Drefchflegel ; kleinere Reliefs,
kartufchendurchwoben, jedoch unter vielfachem Oelfarbenanftrich nicht wohl
erkennbar, befinden fich auch in den Feldern zwifchen den masken- und
kartufchengezierten Confolen und haben fcheinbar auf Handel und Verkeht
(Schiffe) Bezug. Der Löwenkopffchlufsflein und der Gebälkkropf darüber ver-
dienen befondere Beachtung ; ob jedoch die Jahreszahl 1508, welche manhiei
dem Architrave vertieft eingemeifselt fieht, nicht erft eine fpätere Zuthat ift,
wie mir der Form der Zahlzeichen nach fcheinen will, mufs dahingeftellt fein.1
Die Architekturen der Schäme wirken fehr kräftig, einestheils durct
die Abmeffungen, anderntheils durch die Licht- und Schattengebung. Wii
möchten fall annehmen, dafs der Meifter mehr Architekt als Decoratetn
war, jedenfalls hat er die geillreich gezeichneten Zierrathe oft gar zu falopf
ausgearbeitet. Man mufs fagen, dafs in diefen Architekturen fchon eit
wenig Vorgefchmack des Barockftils fich fpürtläfst und zwar in dem Portal*
der Brüderftrafse fchon mehr als in dem der Steinftrafse ; wir fuhren dazi
noch ein drittes Portal den F ormen nach von diefem namentlich unbekanntei
Meifter an, an welchem fich der Uebergang feiner Kunft zum Barock nui
Portal Leipziger- nicht mehr verbergen läfst, das Portal Leipzigerftrafse Nr. 5. Die Dis
ftraf« Nr. 5. pofition ift hier eine andere. Die Archivolte des Thorbogens wird zwar vof
demfelben Motive ausgefüllt wie die in der Brüderftrafse, aber ihre Aus
bildung ift bedeutend voller, üppiger. Die Gewände find zu Nifchen mi
Sitzen ausgebildet, was bei Thoren fonft nicht vorkommt. Säulen fehlen
dafür ragt in pikanten Kartufchen omamentirt jederfeits eine Confoli
nach vorn über einer Pilafter Vertiefung vor; fie ift etwa in Kämpterhoh
angebracht und trägt eine höchft plumpe Herme, die mittelft Gebälkkrop
das Kranzfims unterftützt; eben diefem Zwecke dient auch der als Löwen
1 Hinfichtlich des Portals Leipzigerftrafse X r. 5 wird man annchnirrt duffen , «lafs !>ci<1
Schirneporlale eine Bekrönung durch Statuen hatten.
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PROPANHAUIP.N.
419
upf mit einem Ringe im Maule ausgebildete Schlufsliein. In einer Kar-
ifche über der linken Nilche lieht SOL JVSTICI^, in einer anderen über
Kig. 216.
er rechten Nifche LVNA TEMPERANTI^, welche lnfchrillen lieh auf die
{»liefs in den Bogenzwickeln beziehen; diefelben Hellen vor links neben
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420
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Marien-
bibliothek.
einer kleinen Sonne den Sonnengott mit der Fackel, rechts neben ein
kleinen Mondfichel die Luna (Diana) mit Pfeil und Bogen. Wir lefen fern
vorn an der linken Herme ANNO DOMINI und an der rechten 1600 1 A
dem Hauptgefimfe liehen frei, in halber I.ebensgröfse gearbeitet, links d
Themis mit einem gewaltigen Schwerte und der Wagfchale, inmittt
Simfon den Löwen bezwingend und rechts Hebe (?) aus hoch erhobene
Gefafse einen Strahl in ein Trinkgefäfs giefsend. Zwifchen diefen Figurt
find ovale Medaillons mit Kartufchenrahmen der Wand eingefügt ; auf de
linken lieht:
SPLENDIDA • JUSTITI/E • SIMSON ■ SPECTATVR • IMAGO .
IMMANEM • MANIBVS . DVM • NECAT IPSE FERAM .
auf dem rechten:
JVSTITIJE. SOROR. EST- QV/E . TEMPERAT ■ OMNIA • VIRTVS
HANC • NOTAT • OCCISS/E • MEL - QVOD • AB • ORE • CADIT •
Auch diefes Portal gefällt zumeilt durch die glückliche Malfenvertheilun)
wenn auch die Schönheit vieler Details, namentlich der Kartufchen und dt
Archivolte, keineswegs uninterelfant ilt. Die Profilirung der Simfe ill etwi
vernachlälbgt, z. B. ill die Hängeplatte zu llark ; die Figuren der Bekrönun
find die fchwächlte Leillung, fie find fehlerhaft in der Haltung un
Proportionirung und fchon zu bewegt.
Zum Bau der Marienbibliothek* am Markte füdlich von d«
Hausmannsthürmen ill am 30. Juni 1607 von „Meiller Hänfen, den Steil
metzen,“ der erlle Stein gelegt worden und 1609 ill das Gebäude ferti
gewefen. Zu einer fo pomphaften Ausführung, wie fie das letztbefchrii
bene Portal zeigt, haben dem Baumeilter für die Marienbibliothek fcheii
bar die Mittel gefehlt, dennoch fieht man die Kunll hier dem Baroc
einen weiteren Schritt zu thun. Der _J förmige Grundrifs des dreist
fchofsigen Gebäudes zeigt ein gewölbtes Unter- und F.rdgefchofs ; letztere
iß ßets zu Läden vermiethet gewefen; (Fig. 152 Hellt ein Ladenfenßer dar
Im Hofe in der Ecke der beiden Gebäudeflügel liegt der von einem marki
feits herkommenden Flure zugängliche achtfeitige Treppenthurm, va
dem aus im erßen Obergefchofle eine Thür in den Bibliotheksrauit
welcher den ganzen Oßflügel einnimmt, führt, während man durch ein
zweite nordwärts in die „grofse Convent- Stube,“ die jetzt in mehre Räum
getheilt iß, kommt.3 Im letzten Gefchofie find ßets Wohnungen geweletl
Am Aeufseren fällt der nordwärts gerichtete Giebel, da ihm faß alle Kunll
formen jetzt fehlen, nur noch durch die Jahreszahl der Vollendung de
Baues 1509 auf;'4 von der Halle aus gefeiten hebt lieh die Thurmfilhouetti
1 Bei vom Hagen I. 178 ifl lälfchlich 1601 angegeben.
2 Ueber ihre Entftehung u. f. w. flehe von Dreyhaupt II. 217.
3 Die Infchriften in der Convcnlftubc Ache bei Olearius 129.
4 Das Dach fall nach dem Marktplätze zu verfchiedene (3) Erkner gehabt haben. «Iw
dann jedenfalls von einem dem Giebel ähnlichen Ausfehcn gewefen fein dürften.
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PROFANBAUTEN,
421
■ den breiten, (teilen Dachflächen recht malerifch ab; übrigens hat
•derum nur das Portal eine befondere Ausbildung bekommen. Die
chivolte feines Rundbogens ift als Architrav mit Perlenftabzierrathen
ifilirt, Kartufchen füllen die Bogenzwickel aus fowie andere gröfsere
'chen. Jederfeits zwei auf einem Poftamente freiftehende toskanifche
den tragen ein bis zur I längeplatte verkröpftes Gebälk, an deffen Kranz-
fe die Unterglieder durch eine Hohlkehle erfetzt werden. Als Aufbau
eine ziemlich wilde, mit Knöpfen und Spitzquadern verzierte und mit
?m Kopfe bekrönte Kartufchenumrahmung eines flachrunden Flurfenllers
stein gemeifselt.
Im Inneren fallen die grofsgliedrigen Profile der oben rechteckigen
irgewände und die mit flachen Kartufchen überzogene Stufenunterlicht
Der Bibliotheksraum hatte ehemals eine Säulenreihe inmitten, welche
gewölbte Decke trug, die vor mehreren Jahrzehnten eingefallen ift.
dorifchen Säulen mit Kartufchenfehmuck am Hälfe befinden fich jetzt
Garten der Saalfchlofsbrauerei zu Giebichenftein. Die Ausbildung eines
fterpfeilers des Bibliothekraumes Fig. 204 und die Profilirung der Fenfter-
ände Fig. 192 lind fchon befchrieben. Im Zimmer des Bibliothekars
lieh eine alte Holzvertäfelung leider angelfrichen, erhalten. Eine Thür
eingelegter beachtenswerther Holzarbeit (Netzmufter), die auf dem
en unbeachtet war, befindet fich jetzt im Provinzialmufeum.
Wir erwähnen noch das Bürgerhaus gr. Ul richftra fse N. 55. gr. Ulrichilr. 55.
m wegen feines hohen Daches und eines Treppenthurmes im Hofe
das dreigefcholsige Gebäude im Bilde der Stadt überall auffällig hervor.
Farade, welche im Firdgefchofs jetzt grofse I.adenfenfter hat, ift in Hinlicht
iie Ausfchmückung der Fenllergewände durch F’ruchtbündel in den Ober-
loffen beachtenswerth. An einem Gewände lieht als die Krbauungszeit
laules das Jahr 162t. Das Dach hat zwei ununterbrochene Reihen von ab-
ifelnd ausgemauerten und recht zierlich durch Zahnfchnitte und Fäfen
ebildeten Luken. Man hat auch die in Backllein ausgeführte Abfchlufs-
der übrigens eingemauerten Giebel durch eine wiederholte Volutenlil-
tte lebhaft bewegt. Der ehemalige Eingang ill mit Kreuzgewölben, die
auf guc gezeichnete Confolen fetzen, überdeckt. In den anderen Erd-
lolsräumen (jet/t Läden) lieht man aufser einer einfachen Holzdecke
eine fehr prächtige; diefe letztere ift in ähnlicher Weife callettirt,
1t und vergoldet gewefen, wie die des jüngften Thalhauszimmers,
s aut einen gemeinfamen Meifter gefchloffen werden mufs.
Ueber die Profanbauten, die während und nach dem dreifsigjährigen
je entftanJen find, eingehender zu fchreiben, wollen wir verzichten,
ten jedoch nicht unterlaßen ausdrücklich darauf hinzuweifen, dafs
er wie FCIeinfchmieden Nr. 2 (auf Fig. 295 noch lichtbar), welcher äufserll
ilftig überall mit Ornamenten überzogen ift, fodafs das Auge die
erungen kaum noch erkennen kann, ferner kl. Steinllrafse Nr. 7,
erftrafse Nr. 2 und andere weniger gut erhaltene llolzfchnitzereien
eufseren der Gebäude barock find.
Den Befchlufs möge die gefonderte Betrachtung des baulich so merk-
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I1IE STAUT HALLE u. d. SAALKKK1K.
4*2
Gottesacker. würdigen alten Stadt-Gottesackers bilden. Seine Entftehungsgefchicht«
geht auf den Cardinal Albrecht zurück, dem die Kirchhöfe als Begräbn:.-
platze in der Stadt zuwider waren, befonders als er deren zu Bauteilen b<
durfte,1 1529 veranlafste er daher den Rath (ich zu verpflichten: ,, Wollen auc
einen Kirchhoff zu ßegrebnufs der todten auf dem Mertensbergk . wo«
am bequemeften, zurichten laflen, dohin die gemeine Bürgere und Einwohner
zu Halle füllen und mugen begraben werden.“8 Auf dem Kirchhofe «
Martinskapelle, welche auf diefem Berge Rand, hatten 1350 und 1450 (i
Peflzeiten) fchon Malfenbegräbniire ftattgefunden , jetzt aber vergröfserl
man durch Ankauf von Land den Kirchhof, umgab ihn einllweilen m
einer Wellerwand und der llalberftädter Weihbifchof weihte den neu*
Friedhof unter Ceremonien ein. Die Kapelle, „ein feines wohlerbauti
Gebäude,“ brach man 1547, als man einmal mit der Ablicht umging d<
Martinsberg zu Kriegszwecken zu befeftigen, ab, und um das Jahr 1558 — vi<
leicht fchon ein Jahr früher — wurde das jetzige Bauwerk von Nickel Hofm,
begonnen, indem diefer den erften jener 94 Grabbögen baute, die ein vie
eckiges Terrain von ungefähr 123" im Norden, 129“ im Orten, 150“
Süden und 113“ in Werten umfriedige« und fo eine Campofantoanlaj
bilden, welche wohl auf deutfehem Boden die einzige ihrer Art ift. Fig. 21
Zu einer fo grofsartigen Anlage, wie lie wirklich ausgeführt ift, ind«
man einen Bogen an den andern baute je nach Bedürfnifs bis 1504 d
ganze Friedhot umfchlollen war, fcheint allerdings erft 1563 und 1504 d
Plan gereift zu fein, als man nach abermaligem Landankauf das gar
Terrain einebnete und mit einer fteinernen UmtälTungsmauer umgi
Hin/ugcfügt fei noch, dafs 1615 der Sturm 11 (oder 2?) Bögen an <
Nordweftecke um warf und dafs man diefelben, als lie wieder aufgeb.
wurden, mit Harken Strebpfeilern äufserlich lichcrte Schon im 17, Jah
mufste, weil der umfchloffene Raum nicht mehr genügte, nachbarlicl
Terrain zugekauft werden, zu dem in Norden und Ollen je ein Bogen
Zugang durchbrochen wurde.
Die unregelmäfsige P langeft al t ung erklärt Reh aus den zufällig
Grenzen des angekauften Landes und ill in Wirklichkeit nicht fonderlich a
fallend. Dafs die Oftfeite etwas höher als die anderen Seiten liegt,
durch das Anfteigen des Terrains begründet; für die unorganifche Eckv
bindung der Oftfeite mit den anliegenden aber läl'st (ich kein Anlafs auffind
wie die Infchriften der Bögen beweifen, ift man im Bau von dem letzten Boj
der Nordfeite zum erften der Oftfeite übergegangen , ebenfo wie man v
letzten Oftfeitenbogen fogleich zur Südfeite gefchritten ift. Eine and
Unregelmäfsigkeit, ein plötzlicher Ruckfprung in der weltlichen Bogenrei
wird uns mit dem urfprünglichen Projecte des Baumeiflers bekannt macll
Der jetzige Eingang in den Gottesacker liegt in der der Stadt zugekehr
Weftfeite unfymetrifch, und zwar fo, dafs Reh die Symmetrie durch
1 Dafs den Cardinal keine humanitären Rücklichtcn bewogen, die Friedhöfe zu verciot
ift bei der Marktkirchcnbcfchrcibun*; des Weiteren erörtert worden.
J Aus einem bei von Dreyhaupt I. 262 unter Nr. 397 mitgcthciltcn Documcnte.
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I’KOFANKACl I N.
-1^3
zweites Thor ungefähr an der Stelle des genannten Rückfprunges belegen,
herllellen würde, und wirklich haben denn auch zwei Thore zur Aus- und
bis iS.'j , in welchem Jahre das nördliche zugeniauert wurde, be-
Wohl hat man das Nordportal ebenfalls ausbilden wollen wie das
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Aller Gottesacker. (Anfichl au» der VogclpcrfpectivcV
424
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
füdliche mit einem quadratifchen Thurme von Volutengiebeln, einer Eateme
und einer „welfchen Haube“ bekrönt, allein man fcheint niemals dazu ge-
kommen zu fein, denn auch eine Abbildung vom Jahre 1667 1 zeigt hier
nur einen Eingang ohne Thurm. Wohl möglich, dafs auch für alle, vier
Ecken des Gottesackers Thürmchen projectirt gewefen find allein aut
der genannten Abbildung finden (ich folche auch nur in Offen, jetzt fehler,
fie überhaupt. Begonnen hat man den Bau unweit des Rüskfprunge-,.
nämlich am zwölften Bogen nördlich vom jetzigen Eingänge; das ergiebt
lieh aus der Infchrift am vierten Bogen nördlich von diefem Rückfprunge
welche befagt, es habe „Georg von Seimenitz diefen andern Bogen bawen
laden, welcher alfo vollendet am 4. Tage Augulfi im 1558 Jahr.“ Neben
diefem andern Bogen mufs natürlich der erde gelegen gewefen fein und
zwar fiidlich, weil die Infchriiten der nördlich gelegenen Bögen wegen
ihrer Angaben als 3. 4. 5. u. f. w. Bogen in den fpäteren Jahren entbanden
find. Der Grund, welcher den Rückfprung veranlafst hat, wird hierdurch
allerdings nicht erklärt, aber man weifs nun, was auch der Stil der Orna-
mente bellätigen wird , dafs die Bauarbeit von diefen erden Bögen zur
Nord- dann zur Od- darauf zur Südfeite und endlich zu dem rückfländigen
gröfseren Theile der Wedfeite übergegangen id.' Die Grabbögen felbil
find nun fo angelegt, dafs jeder die innere Front einer etwa 4" unter dem
Terrain liegenden Gruft bildet, in welcher die Särge bis vor einigen Jahren
offen dadanden, während diefe Grüfte jetzt überwölbt oder mit Erde zugefchüttet
werden. Jede folche Gruft ungefähr 5“ breit und 4" tief id von einer flach-
bogigen Holzdecke unter einem allen Bögen gemeinfamen Satteldache über-
deckt , welches aufsenfeits auf der undurchbrochenen Umfaffungsmaut-r.
innenfeits auf den eigentlichen Bögen ruht. Diefe als 5“ weite Flach-
bögen in Sanddein condruirt ruhen auf niedrigen Pfeilern und tragen ein
glattes Gebälk ; alle Pfeiler und Bogenzwickel find mit flach relifirten Orna-
menten meid vegetabiler Art gefüllt und die Schlufsdeine als Wappen aus-
gehauen ld diefe Friedhofsanlage an lieh bemerkenswerth, fo nicht
minder ihre Ornamentik, welche, überall verfchieden , durch den Reich-
thum der Erfindung in Erdaunen fetzt und gewiffermaafsen allein fchon ein
wefentliches Stück hallelcher Kunffgefchichte repräfentirt, indem lieh an
diefem einen Bauwerke erfehen läfst, welche Wandlung die Kund der
Ornamentirung fchrittweife innerhalb dreifsig und einigen Jahren erfuhr,
wie lie von der zaghaften Weife der Frührenaiffance allmählich zu der
fchwüldigen Willkürlichkeit des Barockliils überging.
Man kann einige Ornamentgruppen unterfcheiden. Die älteflen Bögen
der Wedfeite und die der ganzen Nordfeite haben ein lederartiges Blätter-
werk, alfo Blätter von wenig oder gar keiner Modellirung. Fig. zi8. Etwas
mehr pladifche Ausbildung lieht man fchon an der dark verwitternden
Odfeite, an der einige Stücke leife Anklänge an das Barocke fpüren laden
1 In der Halygraphic des Olearius.
2 C. W. Diihnc in feiner Befchreibung des hallcfchcn Gottesackers 1830, ftcllt das als
lieber hin.
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I’ROKAN HAUTEN.
4*5
Die SOdTeite charakterifirt lieh durch ein Bindfadenornament, von dem die
Ilauptranken wie von den feinen, blattlofen Ranken einer Weinrebe um-
wunden werden und welches an vielen Zwickeln durch feine gefpenßige
Magerkeit und Manierirtheit unangenehm wirkt Uebrigens finden lieh an
diefer Seite auch fehr geißreiche , an das Barocke ßreifende Stücke. 1 An
den verbliebenen gröfseren Theile der Weßfeite kann man die Zierrathe
faß fchon barock nennen. Die Hauptmotive find der Blechtechnik entnom-
men und in Stein nachgemeifselt. Fig. 219. Schrauben, Niete und Nägel
lind nachgebildet und zwifchendurch ziehen fich Schnüre mit Gehängen
von Blumen, Früchten, Tüchern, auch F'iguren, Masken, Unthiere u, f. w.
milchen fich in die kraufen Formen. Im Allgemeinen kann die Verzierung,
fo grofs auch ihre Mannigfaltigkeit iß, keinen Anfpruch machen mehr als
von handwerklicher Erfindung und Ausführung zu fein. 2 Von den belferen
Stücken wollen wir jetzt mit dem , was im Einzeln noch über die Bögen
zu Tagen iß, die Befchreibung geben; wir fchicken nur noch voraus,
was ja leicht erkannt und unten eingehender befproenen wird, dafs
Nickel Hofman allein nicht alle Bögen gemacht haben kann, fondern ver-
fchiedene Gefellen zu Ililfe gehabt haben mufs. In die fchlichte Aufsen-
mauer von Bruchßeinen findet fich an den älteßen Bögen je ein Wappen
in Hofman’fcher Arbeit eingelaßen; auf dem des 11. Bogens — links vom
jetzigen Eingänge gezählt — fleht:
ANNO • DOMINI 1557 • NOBILES CHRISTOPH • ET ALB • AB • HOIM • GERMANI
FRATRES • WEGLOB PRI • HOC • MONVMENTVM • F„ auf dem 12. Bogen:
ANNO DOMINI • 1557 D • 16 AVG - NOBILIS GEORGIVS DE • SELMENIZ
SECVNDVM • HOC • MONVMENTVM • FIERI • FECIT ■ u. f. w. An den
Zwickeln diefer erßen Bögen iß den Ornamenten der N. Hofman’fche
Blattcharakter eigen. Eine beachtenswerthe Compofition und etwas mehr
Bewegung in den Blättern trägt der Bogen 15 und der Pfeiler zwifchen 16
und 17, F'ig. 220, der Verfertiger verräth jedenfalls mehr Talent als Hof-
man. Auffällig iß der 38. Bogen dadurch, dafs fich fowohl fein Orna-
ment als auch die Linie feines Bogens der Gothik noch einmal zugewendet
hat. Fig. 221. Der Flachbogen verwandelt fich hier kaum bemerk bar in einen
Efelsrücken und das Laub in den Zwickeln hat abgefchnittene Zweige,
1 Zu ciiefer Art gehören die, welche weltlich von der Siegesfäule auf der alten
Promenade zu einer fpitzbogigen Thür zufammcngeflclll worden lind. Auch das Ornament
de- Portals an der Neumühle gehört zu diefer Art.
2 Lübke in feiner „Gcfchichtc der Renaiffancc in Deulfchland** ift andetcr Meinung,
fcr Tagte das fämmtliche Pilafter und Zwickelflächen mit Ornamenten der beften Kenaiffance
^efrhmückt lind und ,,im übrigen (das Bindfadenornament ausgenommen) herrfcht grofsc Ein-
heit der Ornamentik.“ Er liefst nur „die Jahreszahlen von 1563 bis 1565.* ferner nur N. H.
und T. R. allein er überlieht, wie fchon Ortweins deutfehe Renaiffancc 8. Abth. 2. Heft zeigt,
verfthiedene andere Anfangsbuchflaben eines Namens mit und ohne Zeichen und Meifterfchild ;
endlich hat „Hans Reuscher (fowic Hans Bamberg k)“ am 43. Bogen nichts anderes mit dem
Bauwerke zu fchaffen, als dals der Bogen der feines Verwandten, des „ehrbaren und nam.
Haftigeu Peter Raufchcr ratzrnciftcr“ ift, welcher „zu ehren feines gefehlechtz und zu einer rhu-
hedt feines leibes bis zur fröhlichen auferftehung“ diefen Bogen 1565 hat bauen laffcn. —
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DIE STADT HALLE u. <1. SAALKkEIS.
4-’G
dürre Blätter u. f. w. Am 6’. Bogen tritt uns nun eine wirkliche Kunft-
leiltung entgegen. Die linke Hälfte und der zugehörige halbe Eckpfeiler
Kig. :i 8.
Gottesacker Bogc« i
Gottesacker. Pfeiler ibjl
halten ein fein in der Maflenvertheilung abgeftimmtes < »rnamenl, delTen
l.inien fchwungvoll und Hüflig. und delTen Blätter und Ranken durchaus
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I'KOIAMI.U I KN.
4-’ 7
Hilgemäfs gezeichnet find. Auch ein Figürchen im Laube ill vorzüglich
gemeifselt, der Steinmetz kannte den menschlichen Körperbau genau. Die
andere Hälfte desfelben Bogens trägt den Eedercharakter und ill ebenfalls be-
achtenswerth. Der entwickelten RenailTance gehört d(;r Schlufsflein des
66. Bogens an, welcher ein durchaus farbiges Wappen von lehr guter Arbeit
trägt. Fig. 222. Man lieht noch, dafs die Umränderung goldig, und die Ein-
kerbung derselben dunkelblau war, der Kranz hatte grüne Blätter und blaue
Beeren, die Bänder feheinen roth gewefen /.u fein. Für die geillreiche fpätere
Lif, 222.
Ornamentik giebt der Pfeiler zwilchen Bogen 66 und 6; ein gutes Beifpiel
ohne barocke Beimifchung. Fig. >2.3. Das Blattwerk ill naturalillifcher und
plallifcher. Die rechte Ilälfte des 72. Bogens ill wahrscheinlich von dem-
lelben Meiller, welcher den 62. Bogen meifselte, gemacht. Es ill dieler
Zwickel wirklich ein Meiilerllück vornehmer, geillvoller Ornamentik, Eine
Maske, die als Ausgangspunkt für die Ranken dient, hat eine Harke faltige
Stirn mit vortretenden Augenbrauen, eine lange zweilpitzige Zunge tritt aus
dem Munde vor und der trotzige Blick fcheint lächerlich und weinerlich
zugleich. Die Bögen der Well feite erinnern in den Motiven nicht feiten an
den Meifler der Schäme und namentlich finden lieh gewifie Kartufchen-
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■128
DIE STADT HALLE a. d. SAALKREIS.
motive in Uebereinftimmung mit folchen am Portal Leipzigerftrafse Nr. 5.
fodafs anzunehmen ift, der Meifter des letzteren habe unter Hofman am
Gottesacker zuvor als Gefell (wenn nicht gar fchon felbftftändig) gearbeitet.
Der Eingang zeichnet lieh aufser durch feinen Thurm, welcher 1592
zumeift von den Steinen der Martins-
kapelle erbaut fein feil, durch ziemlich
ungelenke allegorifche Figuren in den
Pfeilern aus. lieber dem Bogen am
Gebälke ift das fteinerne, kartufchen-
umrahmte Reliefporträt des Meifters
aufgehängt F'ig. 224; es trägt folgende
Umfchrift:
NICKEL HOFEMAN’ STEIMET Z
MEISTER DIESES BAVWES.
Das künftlerifch werthvollfle
Stück des ganzen Gottesackers ifl der
Bogen 7 F'ig. 225 und 226. welchen
lammt feinem Wappen vermuthlich der
Meiller der Bogenhälften 62 und 72
und, wie wir nun hinzufügen muffen,
der des Portals an dem Wagege-
bäude gemeifselt haben wird. Es iit
die unbändige Lull am Leben, die
uns der Meiller in feiner Verzierungs-
kunlt auch hier predigt, hier an den
Gräbern; er ilt, darf man wohl fagen.
ein wiedergeborener Hellene voll des
Mcnfchcnthums Chrifti, aber frei vom
Chrillenthum der Menfchen. Wir fehen
in halber Figur blühende Weiber dar-
gellellt, die Wappen halten und mit
Kindern fpielen. Sie endigen unten
in kunilreich geordnetem Laubwerk mit
trifehwachfenden Blättern und F'rüchten
und Masken. Die Compolition ift auf das
F'einfte abgewogen und bei aller Natürlichkeit oder vielmehr gerade wegen
dorfeiben llreng llilgemäfs. Die Figuren find mit genaueller Kenntnifs
aller anatomifchen Feinheiten durchgeführt und wahren alle für das Relief
geltenden Gefetze d. h. durch ihre Bewegungen wird die Fläche nicht
illuforifch, fondern ihre Modellirung gleicht einer plallifchen Malerei aut
diefer Fläche i.als Gegenfatz ill z. B. das Relief Conrad's von Einbeck in
tig. 22p
* feiler 66/67.
1 Hier ift der Name dreililbig Hofemau gcfchricbcn, wahrend man in der Marktkirchc
Hofman lieft. Da die Guitcsackerinfchrifi wohl nicht mehr von ihm fclbft herrnhrt, jedenfalls
aber die in der Marktkirchc, fo mufs letztere als die richtigere gelten.
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PROFANBAUTKN.
429
der Vorhalle der St. Moritzkirche zu nennen). Diefer Bogen ift gleichfam
die QuintelTenz aller anderen; der Meifter verfchmäht kein Schmuckelement
feiner Vorgänger; wir finden felbft deren Sonderbarkeiten bei ihm wieder,
den lappigen Ledercharakter der Blätter, das Bindfadenmotiv u. f. w.
nirgend aber ift ein barocker Anklang von Willkür bemerklich. Unter der
Hand diefes wahren Meifters ift aus allen diefen Stücken ein Kunftwerk
der edelften Art entftanden. Die Renaiflance hat keinen tüchtigem Stein-
metzen in Halle aufzuweifen.
Sehen wir nun, welchen Antheil N. Hofman an der Erbauung der
Gefammtanlage hat. Von ihm rührt jedenfalls der Plan her, die
Proportionirung der Architektur und die Profilzeichnung der Gefimfe,
obwohl diefe einmal wechfelt. Auf Grund einer eingehenden, umftändlichen
Unterfuchung, welche lieh vornehmlich auf die Vergleichung der zahl-
Fig. 224.
Portrait Nickel Hofmans.
reichen Steinmetzzeichen, der Infchriften, des Charakters und der Technik
der Ornamente u. a. m. bezieht, mufs gefagt werden, dafs eigenhändig
von Hofman nur wenige Stücke gemacht find, fein Zeichen ift feiten; es
findet fich an den älteften Bögen mehrfach, auch grofs erhaben und mit
N . H auf einem Meifterfchilde im Friefe; ganz vereinzelt kommt es an der
Nord-, Oft- und Südfeite vor; an der Weftfeite fehlt es felbft an dem
Bilde Hofmans. Seinen Stücke find keineswegs durch Erfindung und Aus-
führung hervorragend1. Er war gewils ein ehrenfefter, thätiger und tüchtiger
Steinmetzmeifter, aber kein Künftler gottbegnadet und erleuchtet; und fo
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43*
DIE STADT HAIXE u. d. SAALKREIS.
haben als feine Gefellen auch gar zu viele mittelmäfsige Kräfte gearbeitet
während die belferen nur ausnahmsweife fich bemerklich machen.
Z. B. hat der Gefell diefes Zeichens ein ganz profaifcher Kopf, fall
30 Jahre lang am Gottesacker zu thun gehabt, meid die glatten Simsftücke
verfertigend, leider hat er aber auch, wenn gerade eine befTere Kraft
gefehlt hat, Zwickel erfinnen und meifseln müden. Die Vollendung des
Gottesackers hat Hofman wohl nicht mehr erlebt; bedenkt man, dafs er
bereits 1530 ein Mann war, dem man den Bau der Marktkirche anvertrauen
konnte, fo müfste ’er gegen yo Jahre alt geworden fein und hätte alle Stil-
wandlungen mitgemacht. Auch das Bildnifs Hofmans ift gewifs nicht von
ihm felber gemacht worden fchon wegen der barockähnlichen Kartufchen-
umrahmung. Einer feiner Leute wird es fpäter vielleicht mit Anfchlufs an
jenes Elachbild der Bogenlaibung hinter der Orgel der Marktkirche,
welches fpäteftens 1554 und zwar von Hofman felber gemacht ift, ausgeführt
haben. Beide Bilder find fehr ähnlich, fchon 1554 war Hofman ein ebenfo
langbärtiger, alfo nicht mehr junger Mann, wie ihn das Relief des Gottes-
ackers darftellt . welches fich anfangs nicht ,über dem jetzigen , fondem
über dem nördlichen Eingänge befand. Nicht weit davon war Hofmans
(irab auf dem bis in die Vierzigerjahre unferes Jahrhunderts fein Stand-
bild fich befunden haben foll.
Die Grabmäler in den Bögen find zumeift barock und aus edlem
mehrfarbigem Marmor hergeftellt, felbft die für Halle kunftarme Zeit des
Rococo hat hier einige befTere Monumente hinterlalTen. Beachtenswerte
noch dem 16. Jahrhundert angehörige Werke find erhalten; in Bogen 11 ein
Stein mit einem eingehauenem Relief von guter Arbeit, eine Nonne dar-
ftellend. Bogen 13 enthält ein augenfcheinlich nach italienifchen Muftem
concipirtes Grabmal; es ift ein Hochrelief umrahmt von Pilaftem mit
Gebälk und ftellt die Kreuzigung (Chriftum und die beiden Schächer) dar.
darunter die betende Eamilie des Verdorbenen. In mehrfacher Hinficht ili
die Arbeit, wiewohl fie die Hofemanfchen Charakteriftica zeigt, mufter-
haft. Das Monument in Bogen 19 gehört fchon der fpäteren Zeit an und
intereflirt nur durch feine flache Umränderung. Im 23. Bogen findet fich ein
geiftreich erfundenes, gut detailhrtes und namentlich gut proportionirtes
Grabmal, welches dem Barock ein Wenig zuneigt; es ftellt ein mit
Säulen und Gebälk umgebenes Relief dar und ift auf das Reichfte oma-
mentirt. Bogen 61 enthält noch ein Denkmal aus Holz in den fpätern
Formen der deutfchen Renaiflance. Schliefslich fei noch das reliefirte
Bildnifs eines Patriciers in Bogen 65 genannt an dem befonders der Falten-
wurf gelungen ift.2
* Vergl. auch, was über die Ornamente an den Einporen der Marktkirche gefagt ift.
2 Literatur: Dahne's Neue Beschreibung des Hall eschen Gottesackers. 1830. J. G. Olea-
rius: Coemeterium saxo -hailense 1674, Halleschcs patriotisches Wochenblatt: die ersten Jahr*
gange.
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Kunftgefchichtliche Ueberlicht
Der Salzquellen wegen wird der Stadtkreis Halle früher von einer Be-
völkerung, die das Gewerbe liebte, wie es ja die Wenden thaten, zur
Anfiedelung ausgewählt worden fein als alle Orte der Umgebung: be-
yreiflicherweife ift aber keine Spur von den vergänglichen, wenig monumen-
talen Bauwerken jener vorchriftlichen Zeit erhalten, oder wenn es wirklich
noch ein fo altes Stück gäbe, find wir doch nicht in der Lage, fein Alter
ficher erweifen zu können. Kriegs- und Kirchenbauten find die äl teilen,
von denen wir Kunde haben. Erhalten hat lieh zwar nichts von der Burg
König Karls, des Sohnes Karls d. Gr., welche 806 ad locum, t/ut vocatur
Halla, erbaut wurde in der Einleitung ift fälfchlich angenommen, dafs
nicht die fchon beftehende Ortfchalt, fondern die Burg Halla geheifsen habe —
aber fie darf mit vieler Wahrfcheinlichkeit auf die Stelle der Moritzburg verlegt
werden und ift vielleicht das uralte „fchxvarze Schlofs“, welches der Burg
am Ende des Mittelalters hat weichen müffen. Auch den Platz der angeblich
ilteften Pfarrkirche, der St. Michaeliskapelle an der Oftfeite des alten
Marktes kennen wir noch; das zu einem Bürgerhaufe umgewandelte kirch-
liche Gebäude, welches bis nach der Mitte des 16. Jahrhunderts auf diefem
Platze ftand, ift freilich, feinen Reften nach zu fchliefsen, ein fpätgothifcher
Bau. Erhalten hat lieh als älteftes Stück einer Hallefchen Kirche die obere
Thurmpartie der St. Laurentiuskirche, ehemals Pfarrkirche der Ortfchaft
Keumarkt. Wie wir S. 261 nachgewiefen haben, fällt diefer Kirchenbau in
die Zeit des Magdeburgifchen Erzbifchofs Conrad 1135 — 1142. Die Refte
<ies Klofters zum Neuen Werke in den Subftructionen einer theilweife auf
den Kloftermauem erbauten Fabrik fowie im Bezirke des ehemaligen
Klofterterritoriums können wohl fchon in das Jahr 1116 gefetzt werden,
doch find fie als fchlichte Kellergänge mit rohen Tonnengewölben kunft-
t'jrmal von fo geringer Bedeutung, wie gewöhnliches Baumaterial. Dem
Jahre 1184 gehört der Reft des Kloftergebäudes zu St. Moritz an, welcher
hart an der Südweftecke der Kirche liegt. Aelter noch, nämlich vom Jahre
115h würden die romanifchen Simsftücke auf der Nordwand diefer Kirche
lein, wenn fie, wie (ich wohl annehmen läfst, wirklich noch von der Kirche
lummen, die lieh im genannten Jahre die Gemeinde zu St. Moritz erbaut
haben foll. Der Uebergangszeit gehört das Erdgefchofs der Hausmanns-
thürme an, die ehemals dieWeftthürme der 1210 erwähnten St. Marienkirche
bildeten. Nicht viel fpäter, nämlich in frühgothifcher Zeit, müffen die
8 D.d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 28
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434
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
folgenden beiden GefchofTe eben diefer Thürme ausgeführt worden fein.
Dafs aus diefer baulich fo bedeutenden frühgothifchen Zeit Geh in Halle übrigens
nichts mehr vorfindet, obwohl wir von verfchiedenen Bauten aus diefer Periode
Kenntnifs haben (Hofpital. alte St. Ulrichskirche (?), verfchiedene Kapellen,
ift nicht zum kleinften Theile die Schuld des Cardinais Albrecht, welcher
gerade die Bauwerke diefer Zeit, als folche, die ihm das edelfle Material
und die bellen Kunftformen lieferten, abbrechen liefs. Das Kloller der
Marienknechte und ihre Kirche (jetzt St. Ulrichkirche) foll 1339 zu bauen
begonnen fein. Sicher fchon diefer Zeit gemachte Kunftformen finden Geh
zwar nicht mehr. Das Kloller ift erll 1496 vollendet, und die Kirche il't
noch im 16. und 17. Jahrhundert wefentlich vervollftändigt. Seit 1388 ift die
ößliche Hälfte der St. Moritzkirche erbaut worden, deren weltliche man
nach Fertigllellung jener etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts in Angriff
genommen hat. Zu ihrer Thurmpartie ift 1493 der Grundftein gelegt worden.
Wahrfcheinlich fchon von Anfang des 15. Jahrhunderts an fpätellens aber
feit 1418 ift am rothen Thurme gebaut worden. 1506 ift er vollendet. 150;
ift der nördliche, 1513 der lüdliche blaue Thurm fertig geworden, die Unter-
partie beider fcheint bereits 1464 vorhanden gewefen zu fein. 1510 ift die
St. Moritzkirche und die Oftpartie der St. Ulrichskirche eingewölbt worden.
Die weltlichen Joche diefer Kirche haben Ende der Sechzigerjahre des
17. Jahrhunderts ihre hölzerne (Netzgewölbe-) Ueberdeckung bekommen.
1520 beginnt der Cardinal Albrecht den Dom, 1523 weiht er ihn, aber erll
nach dem Einfturze der Thürme 1541 ift das Gebäude fertig geworden. Von
152g bis wahrfcheinlich 1540 ift das Schiff der Marktkirche erbaut. Die ihm
eingebauten Emporen find 1550 - 1554 gemacht. 155 t errichtete Nickel
Hofman die oberen backlteinemen Theile der Hausmannsthürme. 1588 ift
die Vorhalle der St. Moritzkirche eingewölbt. Man bemerkt öftlich an der
Neumarktskirche verfchiedene fpätgothifche Formen, die auf eine Ver-
längerung des Schiffes gegen Ollen im 15. Jahrhundert hinweifen, tön. itioo
und 1751 haben alsdann noch die bedeutenden Reparatur- und Umbauten
llattgefunden, welche die heutige Gellalt hervorgebracht haben. Die Em-
poren im Dome gehören der Mitte des 17. Jahrhunderts an. 1665 ift die
Glockenllube zu St. Ulrich erbaut, der weltliche Dachreiter mit fpätgothifchen
Formen von der St. Wolfgangskapelle dorthin verletzt, ein zweiter Dach-
reiter für eine Schlagglocke und das Treppenthürmchen an der Nordoftecke
hergellellt. Die Glauchaifche Kirche ift für eine 1740 abgebrannte erbaut.
Das fchöne Gitter ihres Sacrifteifenfters (und das Schlofs der Sacrifti-i-
thür) ift 1744 gefchmiedet.
Schon durch die beiden letztgenannten Stücke haben wir den Ueber-
gang zu den befonderen Kunftwerken oder merkwürdigen Stücken an oder
in den Kirchen gemacht und wir wollen diefelben nun völlig aufzählen
Ob die Portale an der Nordwand der St. Ulrichskirche die ältellen find —
die gegen Ollen und Wellen fcheinen erll 1665 an ihre Stelle gekommen
zu fein — kann mit Sicherheit nicht angegeben werden. Das örtliche der-
felben zeichnet lieh durch einen theilenden Pforten in feiner Lichtenöffnung
owie durch ein fculptirtes Tympanon aus. Das örtliche Portal der St. Moritz-
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KUNSTGESCHICHTLICHE UEHERSISH r.
435
rche fällt fpäteftens in das erde Viertel des 15. Jahrhunderts; auch feine
usbildung verdient der Sculpturen und Farbenfpuren wegen beachtet zu
erden. Das Portal der Vorhalle und das weflliche der Nordwand, welches
.81 gemacht ift, haben keine Bedeutung. Dasfelbe gilt von dem Südportale
:r St. Ulrichskirche und dem weltlichen der Südwand des Domes, welches
ichteme gothifche Profile hat. Öas örtliche diefer Wand des Domes
1525 bereits in FrührenaifTanceformen ausgeführt, die auch die
icrifteithür diefer Kirche zeigt. Die Marktkirche hat je zwei correfpondirende
ortale in der Nord- und Südwand, die von intereflanter fpätgothifcher
usbildung find; die Bildung des Portals in der Oftwand zur Sacriftei ift
ich merkwürdiger, hingegen die der Weftfeite ohne InterefTe. 1601 ift
;r Thürflügel des Vorhallenportals der St. Moritzkirche gemacht,
;was fpäter, vielleicht erft 1665 find die der St. Ulrichskirchenportale
ltllanden.
Als Befonderheiten an den Kirchen können nur das Zechen des
ans von Schönitz (?) an der Nordweftecke des Marktkirchenfchiffes, fowie
ts Hallefche Wahrzeichen nördlich an der Oftwand desfelben von 158.5
amhaft gemacht werden.
Wenn auch der Moritzkirchenaltar erft 1388 an feiner jetzigen Stelle
rrichtet ift, und mithin der der Ulrichskirche, wenn er 1339 gegründet
äre, älter fein würde, fo hat doch jener ältere Theile, nämlich eine
imanifch verzierte fteinerne Vorderfeite des Stipes und möglicherweife
ach noch ein# romanifche Menfa, beides Stücke der 1156 gegründeten
Iteren St. Moritzkirche. Durch zwei von hinten in den Stipes gehende
efe Schränke ift diefer Altar intereffant, auch die grofse Marmorplatte
ber dem Sepulcrum der Menfa ift noch vorhanden. Der Altarfchrein hat
irbige Holzfchnitzereien, gefchnitztes Ornamentwerk mit Figuren als Auf-
au und fchön gemalte Tafeln, 1511 ift er verfertigt. Die Vorderfeite des
tipes der Ulrichskirche ift mit Blendbögen verziert, die Menfa enthält ein
lerkwürdiges Sepulcrum mit grofser Platte. Der Schrein ift von 1488, feine
culpturen und Malereien find nicht ohne Werth, die Zahl der Statuen im
iel veränderten Aufbau ift durch folche von 1660 ergänzt. Der Schrein
er Neumarktskirche, der von Mücheln her in diefelbe 1570 gefchenkt
orden ift, gehört der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an, hat aber
»(lerne Zufätze. 1841 ift def jetzige marmorne Altar der Marktkirche her-
eftellt; die fehr bedeutenden Gemälde des ehemaligen Flügelfchreines von
529 find aber noch in der Kirche erhalten. Um die Mitte des 17. Jahrh.
i der jetzige Altar im Dome gemacht, der in der Glauchaifchen Kirche
lit Kanzel um die Mitte des 18. Jahrhunderts.
Die alterte Kanzel Halles ift die reich fculptirte im Dom von
526; die der Marktkirche ift gegen 1541 verfertigt; ihr Schalldeckel
596, aber 1666 und 1784 renovirt. Ein äufserft reiches und künftlerifch
usgezeichnetes Sculpturenwerk in Stein ift die St. Moritzkanzel von 1592;
uch ihr hölzerner Thürflügel mit Befchlag ift eine vortreffliche Arbeit,
hr Schalldeckel ift von 1604. Die hölzerne Kanzel der St. Ulrichskirche
t zwar 1588 fchon gemacht, indeffen 1645 fo ftark erneuert, dafs das Aus-
28»
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I
436 . DIE STADT HALLE a. d. SAALKREIS.
fehen wefentlich die Per Zeit entfpricht; auch ihr Schalldeckel gehört diefem
Jahre an.
Von den Orgeln bieten die kleine örtlich aufgeftellte der Marktkirche,
welche (1539) 1663 gemacht ift und die grofse auf der Weftempore diefer
Kirche von 1715 kunftforinales Interefle.
1430 find die Taufkeffel der M*kt- und Ulrichskirche gegoffen, der
Taufftein der Neumarktskirche von 1478 ift aufser Dienft gefetzt, ebenfo der
der St. Moritzkirche von 1662 und der der Glauchaifchen , welcher mit deT
Kirche entllanden ift.
Sacraments fchreine giebt es nur einen von merkwürdiger Aus-
bildung nämlich in der St. Ulrichskirche; ein mit Gitterthür gefchloffener
Wandfehrank befindet lieh auch im Erdgefchofs des liidlichen Hausmanns-
thurmes.
Geftühl, welches muthmaafslich dem Ende des 14. Jahrhunderts an-
gehört. giebt es in der St. Ulrichskirche und der Neumarktskirche. Der
Dom enthält Stuhlwerk aus der Zeit feiner Erbauung, aber auch aus dem
Ende des 16. Jahrhunderts. Die theilweife noch doppelreihigen Stühle unter
den Marktkirchejiemporen find in der Zeit von (1559) 1561— 1575 gefertigt,
die Bräutigamsftühle an der Oftfeite diefer Kirche find von 1595. Ein
Schemel der Neumarktskirche hat eine nicht unfehön gefchnitzte Lehne des
17. Jahrhunderts.
Von Grabdenkmälern in den Kirchen ift wohl das alterte das mit
dem Bildnifse einer Erau weftlich in der Nordwand des Domes, es fcheim
aus dem Beginne des 15. Jahrhunderts zu fein. Aus demfelben Jahrhundert
wird auch ein unbekleideter Chriftus in der Nordwand der Neumarktskirche
aufsen fein. Zu St. Moritz befinden fich zwei auf Holz gemalte Oelbilder
als Epitaphien des Endes vom 16, Jahrhundert. An der Nordweftecke der
Neumarktskirche ift ein Stein aus eben diefer Zeit. Hölzerne Epitaphien-
refte aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts find an der Oftwand zu St. Ul-
rich; an der Südwand dafelbft befindet fich ein reiches marmornes Epitaphium
diefer Zeit, fowie ein zweites ähnliches von 1630. Auch an der Nordwani!
des Domes fleht man eine folche Marmorarbeit der erften Hälfte des
17. Jahrhunderts, ferner ein beachtenswerthes Oelbild von 1625 und ein
anderes etwas fpäteres.
Sonftige Sculpturen find in Holz: ein fpätgothifcher Schrank in der
Marktkirchenfacriftei , welcher 1582 renovirt ift, und ein zweiter ebendort,
der als Altar dient, ein Pilafterfchaft angeblich aus der Moritzkirche im
Befitze des Herrn Profeffors Dr. H. Heydemann, eine Holzfäule wahrfcheinlich
aus letztgenannter Kirche im Hofe Herrenftrafse Nr. 12, beide letztgenannten
Stücke etwa dem dritten Viertel des 16. Jahrhunderts angehörig. Ob auch
Luthers Bildnifs an der Nordempore der Marktkirche von Holz ift oder wie
anderswo von geprefstem Leder fei dahingeftellt. Der Bilderrahmen örtlich
in der Marktkirche gehört dem Anfänge des 17. Jahrhunderts an. Die
Chorfchranken im Dome find vor der Mitte des 17. Jahrhunderts nicht
gemacht. Der Crucifixus auf dem Boden der Neumarktskirche gehört
'n das 17. Jahrhundert.
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KUNSTGESCHICHTLICHE UEBEKSICHT.
437
t Steinfculpturen find die Apoftel- und Heiligenftatuen am Aeufseren
er St. Moritzkirche, vielleicht noch im 14. Jahrhundert hergeftellt. Schellen-
fcritz im Inneren diefer Kirche ift 1411, das eccehomobild 1416 gemeifselt,
nie mater dolorosa, die Portraitbüfte Conrads von Einbeck, Chriftus an der
Jarterfäule und das Relief der Anbetung der h. drei Könige ebendort
Illen auch in den Anfang des 15. Jahrhunderts. 1455 ift die Betfäule am
leipziger Platze ausgeführt. 1523 find die beiden Weihtatein des Domes
jefertigt, etwa um diefe Zeit auch die Wafferfpeier des Domes; die grofs-
rtigen Pfeilerftatuen dafelbft gehören in das Jahr 1525. Gegen 1540 dürften
Be beiden Portraits in flacherhabener Arbeit an der Decke hinter den
reftlichften Marktkirchenpfeilern gemeifselt fein; wohl noch fpäter iß das
inbedeutende Lutherbild an der Nordwand der St. Moritzkirche.
Das Gemälde der Vertreibung der Krämer und Wechsler aus dem
fempel, welches fich in der Marktkirche befindet, ift 1498 gemalt. ( 1593
oll das Bild an der Oftwand diefer Kirche ausgeführt fein. Die Abend-
nahlsbilder mit Portraitköpfen in der Markt-, St. Moritz- und St. Ulrichs-
:irche find im fiebenten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts gemacht.
Unter den Kirchengefäfsen ift ein filberner Kelch mit Figuren am
•ufse in der Glauchaifchen Kirche, der noch in das 14. Jahrhundert zurück -
rehen kann, das ältefte Stück. Die übrigen Getäfse laßen wir unerwähnt,
rnr die meffingene Tauffchüffel mag noch einmal genannt werden. Zwei
blche Taufbecken befinden Geh in der St. Moritzkirche, von deren übrigen
Jefäfsen eine elfenbeinerne, filberbefchlagene Hoftienbüchfe von 1578 nur
loch namhaft gemacht werden foll. obwohl auch noch einige andere Stücke
licht eben ganz werthlos find. In der Ulrichskirche find eine Weinkanne und
loftienbüchfe von 1580 als gute Arbeiten in Silber mit Vergoldung zu
lennen. Ferner als das bedeutendfte Stück nicht nur in Halle fondern
iberhaupt unter den Kirchengefäfsen der Umgegend, vielleicht der Provinz,
.er Emailkelch nebft Patena von Gold vom Jahre 1654. Auch nicht werth-
ss ift ein Taufbecken mit Kanne von 1682. die zugehörigen Leuchter von
683 find weniger gut. Die drei gleichen meffingenen Taufbecken diefer
Cirche find von fehr geringer Arbeit. Die Neumarktskirche befitzt einen
anz guten Kelch vom Ende des 15. Jahrhunderts und eine werthvolle
Veinkanne von 1592. die übrigen Getäfse brauchen hier nicht noch einmal
rwähnt zu werden.
Unter den Glocken gehört die von 0,60 Durchmeffer in der Neumarkts-
irche dem Anfang des 14. Jahrhunderts an; kaum fpäter dürften die der
it. Ulrichskirche von 1 35 und 1,55 DurchmelTer fein. Alle drei haben
urch Einritzen in den Lehm des Glockenmantels entftandene Schrift, ln
ie Mitte diefes Jahrhunderts gehört die Glocke von 1,59 Durchmeffer auf
em rothen Thurme mit über Wachsmodellen geformter Majuskelfchrift.
420 ift die Glocke von 1,80 Durchmeffer auf dem nördlichen blauen Thurme
egfoffen, auch die der Moritzkirche von 0,80 Durchmeffer gehört in den
Anfang des 15. Jahrhunderts, 1467 ift die der Laurentiuskirche von i,i8Durch-
tefler entftanden, im folgenden Jahre die Schlagglocke des rothen Thurmes
on 1,45 Durchmeffer. Die gröfsefte Glocke der Stadt hat 2,13 Durchmeffer
438
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
und ift 1480 gemacht, fie hängt auf dem rothen Thurme; ebenda hängt
auch die kleinfte unter allen hallefchen von 0,3g Durchmefler; fie fcheint
noch im 15. Jahrhundert entftanden zu fein. Die Schlagglocke der St. Moriti-
kirche von 0,95 DurchmefTer wird in den Beginn des 16. Jahrhunderts ge-
hören, ebenfo das Betglöcklein des füdlichen blauen Thurmes von 0,48 Durch-
melTer. In das 16. Jahrhundert darf man auch die Glocke auf dem nörd-
lichen blauen Thurme von o,go DurchmelTer fetzen. 1600 ift die Glocke von
1,60 DurchmefTer auf der St Moritzkirche gegoffen. Die Glocken der Markt-
kirche von 1,74 und i.to Durchmefler (Vesperglocke) find 1674 gegofTen; die
von 1,54 Durchmefler auf der Moritzkirche ift 1695 entftanden. Die Glocken
der Glauchaifchen Kirche von 1,50 und 1,32 find 1755 gemacht, die Schlag-
glocken von 0.88 und 0,67 Durchmefler ebendafelbft find 1797 und 1798 ge-
goflen. In das 18. Jahrhundert gehört auch die Sturmglocke auf dem füd-
lichen Hausmannsthurme von 1,35 DurchmefTer und die Schlagglocke der
Ulrichskirche von 0,75 Durchmefler. 1863 find die drei Glocken des Domes
von 0,92, i,io und 1,30 Durchmefler gegoflen worden.
Unter den Profanbauten Halles nennen wir zuerft die Moritzburg,
die jetzt meiftentheils Ruine ift. Sie wurde von 1484 bis 1503 erbaut. Der
Bau ihrer Kapelle ift erft 1509 beendet. Das Kapellenportal in der Süd-
wand mit Mittelpfoften aber abgemeifselten Figuren im Tympanon fowi«
das fehr gut erhaltene Gewände des vermauerten Portals in der Kapellen-
weftwand find bemerkenswerthe Stücke. Auch enthält das Innere zwei
Weihtafeln von 1509 und 1513. Die Eingänge der Burg find in Hinfichl
auf die Befeftigungsweife jener Zeit von Interefle; über dem gegen Norden
befinden (ich noch verwitterte Wappen in Stein, über dem gegen Often
fleht die nicht übel in Stein gemeifselte Figur der h. Katharina.
Die ehemalige Stadtbefeftigung läfst fich noch an vielen Stellen er
kennen; fie ift aus verfchiedenen Zeiten, in der Hauptfache aber dem 15. Jahr-
hundert angehörig. Zwei Schalen an der weltlichen Seite der Stadt haben
fich erhalten, die in F'ig. 128 abgebildete an der Südfeite ift 1885 abgebrochen
Das bedeutendfte Stück der Beteiligung ift der runde (Leipziger) Thurm an
der Oftfeite. Den Formen nach ift er ein Werk des 15. Jahrhunderts.
Urfprünglich als ein Schulgebäude, in welchem eine namentlich det
theologifchen Wiflenfchaft dienende Univerfität entliehen follte, ift 152c
die Refidenz erbaut. Die Kapelle in ihrem Nordflügel gehört dem Jahr«
•537 an.
Das Rathhaus an feiner jetzigen Stelle wird 1366 zuerft erwähnt, ifl
aber hinfichtlich der ihm eingebauten Kapelle zum h. Kreuz, die bereits
1327 genannt wird, wahrfcheinlich bedeutend älter. Wir glauben jedocl
nicht, dafs das jetzige Bauwerk in feinen älteften Theilen, mit Ausnahmt
der Kapelle, über die Mitte des 15. Jahrhunderts zurückgefetzt werden kann.
1501 find gemacht der nördliche Kapellenrifalit und die Einwölbung det
Kapelle fowie der Thurm in feinen unteren Theilen, 1558 ift die obere
Thurmpartie in Backftein und die Laube gemacht, der Flügel an der Leip-
zigerftrafse gehört in das Jahr 1702. Die Heiligenftatue am Kapellen-
vorfprunge gehört wohl dem Jahre 1501 an, die an der Ecke der Leipziger-
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KUNSTGESCHICHTLICHE UEBERSICHT. 439
irafse ift 1526 gefertigt. Das Innere hat bemerkenswerthe Thür- und
F‘ nftergewände aus dem 15. Jahrhundert fowie CafTettendecken fpäteftens aus
dem Anfänge des 16. Jahrhunderts Auch ein Thürflügel in den Formen letzt-
genannten Jahrhunderts fei erwähnt. 1516 ift derMarftall im Rathhaushofe
gebaut. DerRathskeller entftand von 1486—1501. Die Rolandsftatue
wird 1341 als farbige Holzfculptur genannt, die jetzige fteinerne ift erft 1719
gemacht worden.
Noch fehr beträchtlich an Zahl find die alten Bürgerhäufer. Die
■heften find unzweifelhaft unter den Holzbauten, doch lallen fie lieh
nicht angeben; auch find fie keineswegs die bedeutendften. Selten ift auch
ein Holzhaus unverändert geblieben, fodafs meift nur einige Stücke, z. B.
Simfe, Confolen, Gefachconftructionen u. f. w. wirkliches InterefTe bieten.
Aehnlich verhält es fich auch mit den Steinbauten, nur dafs hier fich
die Kunftformen an anderen Theilen entwickeln, nämlich als Erkner, Giebel,
befonders intereffant find die fpätgothifchen von Backftein, Treppen-
thürmchen, im Inneren die Decken- und Wandausftattung mit
Täfelwerk; ferner find kunftformal ausgezeichnet die Portale, die fich fo
zahlreich erhalten haben, dafs man ihre fchrittweife Umformung noch gut
verfolgen kann. Die Fenftergewände find auch beachtenswerte aber in
der Ausbildung weit weniger bevorzugt als die Portale. Bemerkenswerthe,
gut erhaltene Gebäude des 16. Jahrhunderts giebtes noch viele; wir nennen
den kühlen Brunnen, nach 152z gebaut, das Bürgerhaus Brüder-
ftrafse Nr. 8 mit ausgezeichnetem Portale, etwa um die Mitte des 16. Jahr-
hunderts erbaut, die weftliche Ecke Marktplatz-Kleinfchmieden,
das Wagegebäude, in welchem ein Thurm von (1341 oder) 1401 einge-
baut ift und in deffen Hofe fich noch das Steinbild einer Heiligen aus dem
15. Jahrhundert befindet, dieNeumühle von 1582, das fchon 1464 errichtete,
1558 vergröfserte, 1607 bez. 1616 abermals vergröfserte und 1881 abgebrochene
Thalhaus, delfen holzgetäfeltes Zimmer von 1594 höchft werthvoll war,
die Schäme, befonders die Portale, das füdliche von 1598, Leipziger-
ftrafse Nr. 5 mit ähnlichem Portale von 1600 und mit einem Treppenthürm-
chen, endlich gr. Ulrichltrafse Nr. 55 vom Jahre 1622. Ein ganz eigenartiges
Stück, der von 94 Grabbögen umzogene Gottesacker auf dem Martinsberge
aus den Jahren 1558 — 1594 fei zum Schlufs erwähnt.;
Als Künftler und K un ftha ndwerker find zu nennen die Bau-
leute: Peter von Morl (mortal) (und Conrad von Einbeck) 1388, Johan Rod
1470, Hanfchke etwa 1480, Carl Drachftädt 1491, Hans Wulckenftein 1506
(nebft Hans Zcoberitz und Hans Bruwer), (Hans von Schönitz 1520), Nickel
Hofman etwa 1530 — 1585, Adam Gerber, Rathszimmermann, 1697.
Bildhauer: Conrad von Einbeck 1388, Antonius Pauwart von ypren
in flandern (1559) 1561 — 1575, Zacharias Bogenkrantz 1592, Valentin Silber-
mann 1604, Bürger 1719.
Maler: Georgius ihener de orlamunde Maler oder Schnitzer 1511.
Heinrich Lichtenfelfer aus Leipzig 1593, f am Michaelistage 1596. Johann
de Perre 1604, Michael Bayer 1649, Heller, Mitte des 17. Jahrhunderts.
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440
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Goldfehmied: C. Knittel, 1654.
Bron cegiefser: ludolfus van brunswigk unde lin fone hinrik 1
magedeborch 1430,
Glockengiefser: GeorgWolgall 1600, JacobWentzel 1674, Friedric
Auguft Becker, Rococozeit. Carl Friedrich Ulrich 18Ö3.
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II.
Der Saalkreis.
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Einleitung.
Das Gebiet des Saalkreifes, in welches das des Stadtkreifes Halle ein-
gefchloffen ilt, liegt zwilchen dem 51 und 52. Grade nördlicher Breite
und dem 2g. und 30. Grade örtlicher Länge. Es ift ein in der
Richtung von Südoft nach Nordweft ausgedehntes, etwa dreimal fo langes
wie breites Landftück, deflen Weftgrenze — ein kleines Stück weftlich von
Halle ausgenommen — durchweg die Saale bildet und zwar den Saalkreis
(udlich vom Merfeburger, nördlich vom Mansfelder Seekreife fcheidend.
Im Orten ftöfst nördlich das Herzogthum Anhalt an den Saalkreis und wird
auf der Strecke von Lebendorf bis Wieskau durch die Fuhne von ihm
gefchieden. Dann weiter füdlich grenzt an die örtliche Saalkreisfeite der
Bittertelder Kreis und fchliefslich der Delitzfcher, welcher wieder an den
Merfeburger Kreis ftöfst; letzterer bildet auch die Südgrenze des Saal-
kreifes. Als Enclave gehört das im Herzogthum Anhalt belegene Löbnit
an der Linde zum Kreife.
Im füdlichen Theile des Kreifes fliefst in die Saale die weifse Elfter,
in welche (ich die Reide ergiefst, oberhalb Trotha die vom Petersberge
kommende Götfche. Die P'uhne, eine Strecke die Saalkreisgrenze bildend,
nimmt den Reidebach und Strengbach , die durch den örtlichen Theil des
Kreifes fliefsen, auf und vereinigt (ich erft im anhaltifchen Gebiete mit der Saale.
Nördlich von Halle hat der Saalkreis eine bergige oder doch hügeliche
Geftalt, füdlich aber ift er flach und an der weifsen Elfter findet fleh fogar
Niederung. Das Hügelland gruppirt fleh um den Petersberg, welcher 204"
hoch ift. Südöftlich von ihm liegt der Abata fflnaberg 13 tm hoch. Südlich
zieht fleh über Nehlitz, Gutenberg, Seeben und Trotha bis vor Halle eine
Hügelkette hin. Von Trotha bis Morl erftreckt fleh ein fruchtbares Thal,
muthmaafslich vor Zeiten ein See. Dann ftöfst man auf den vom Peters-
berge weftlich ausgehenden Höhenzug, deffen höchfte Punkte der Blonsberg
von 158" und der Fuchsberg von 125“ find. Die genannten Erhöhungen
beftehen alle aus Porphyr, welcher nördlich von Wettin aufhört, um dem
Rothliegenden Platz zu machen, welches nun den nördlichen Theil des
Kreifes einnimmt.
Bei Rothenburg gewinnt man aus dem Kupferfchiefer Kupfer. Sand-
ftein findet fich ein wenig bei Schiepzig, auch bei Garfena und zwar
rother, fehr grobkörniger. Kalkftein ift bei Lieskau und Brachwitz.
Porzellanerde liefert hauptfächlich die Gegend bei Sennewtiz und
Dölau. Bei Brachwitz, Dölau, Sennewitz und bei Halle wird auch
weifser Thon angetroffen, den man jetzt namentlich zur F'abrikation
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444
DIB STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
poröfer Mauerfteine verwendet. Sand wird befonders in der Dölauer Heide
gefunden. Braunkohle gewinnt man bei Halle, Nietleben, Beiderfee, auch
bei Trotha, Sennewitz, Morl und Bruckdorf, ferner nordöftlich von Cönnern
(Lebendorf) etwa in 22 Gruben. In Wettin und Löbejün 1 find Steinkohlen-
bergwerke. Erwähnen wir endlich noch das Salz, welches als Soole zu
Tage tritt (Halle, Wittekind, Neu-Ragoczi) und in unterirdifchen Salzlagem
vorhanden ift, fo wird das Hauptfächlichfte der brauchbaren Mineralien des
Saalkreifes genannt fein.
Waldungen hat der Kreis verhältnifsmäfsig wenige; die Aue an der’
weifsen Elfter, die Heide aut der linken Seite der Saale und das Berghol?
öftlich vom Petersberge find die bemerkenswertheften Stellen. Dafür jedoch
ift der Kreis um fo reicher an Wiefen, Gärten und Aeckem von frucht-
barfter Befchaffenheit. Und diefer Umftand im Vereine mit dem Mineral-
reichthume dürfte ein wefentlicher Grund gewefen fein, dafs, fobald die
Sorben, jenes mehr gewerbliebende als kriegerifche Volk diefen Länderftrich
in Befitz nahm, fo zahlreiche Ortfchaften entliehen konnten. Sie machen,
obwohl ihrer viele zu Grunde gegangen und nur wenige hinzugekommen
find, den Saalkreis zu einem der volkreichften und betriebfamften des ganzen
deutfchen Landes bis heute. Denn der Saalkreis, welcher jetzt 3 Städte,
124 Dörfer und 22 Gutsbezirke hat, zählt auf feinem Flächeninhalt von
510,243,750 qkm (nach der Zählung von 1880) 70,458 Bewohner; davon fallen
auf die Städte 10,813. Von diefen Bewohnern gehört die überwiegende
Mehrzahl der evangelifch-lutherifchen Kirche an.
Das Kreisgebiet wurde in den Zeiten des Sorbenreiches hauptfächlich
von zwei Zuncpannien oder Gauen eingenommen, nämlich von dem Gaue
Neletici, deffen Zuncpan in Neglitz oder Nehlitz an der Götfche, und von
dem Nudzici, deffen Zuncpan in Neutz bei Wettin gewohnt haben foll. Die
Sorben erbauten wohl keine eigentlichen Städte, aber Burgen, die mit Erd-
wällen umgeben waren, wie der Sputinesberg bei Rothenburg; auch
Wettin und Giebichenftein follen befeftigt gewefen fein. Viele Namen,
befonders die auf ig, ick, in, itz und a endigen, find wendifchen Ur-
fprunges und folchen Urfprung verräth auch noch die Anlage vieler
Dörfer, deren Gehöfte (ich im Kreife um einen Platz gruppieren (Peifsen,
Grofskugel, Görbitz und andere). Dagegen rühren die Namen auf leben,
dorf, em, au(?), ftein, ingen, bürg, stedt, berg und münde wohl von jenen
Deutfchen (Sachfen) her, die nach der Unterwerfung der Sorben im 10. Jahr-
hundert in den entvölkerten Landftrichen angefiedelt wurden. Schon als
Karl d. Gr. die Sorben befiegt halte, wurden an der Elbe und Saale Caftelle
zur Niederhaltung der Befiegten angelegt, von denen eins das fchwarze
Schlofs, an Stelle der Moritzburg zu Halle gelegen, gewefen fein foll. Aber
erfl im 10. Jahrhundert wurde durch Heinrich I. und namentlich auch durch
Otto L den Sorben, nachdem fie in verfchiedenen Schlachten aufs Haupt
gefchlagen waren, für immer die Ausficht auf Wiedererlangung eines felbft-
Händigen Reiches genommen, einestheils durch die Gründung von Graf-
1 Sind jetzt cingegangen.
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EINLEITUNG.
445
fchaften (nämlich zu Görbig im AnhaltiCchen, zu Landsberg im Delitzfcher
Kreife, zu Wettin im Saalkreife und zu Merfeburg im Merfeburger Kreife)
anderntheils durch die Chriftianilirung des Landes, zu der hauptfächlich
die Gründung des Erzftiftes Magdeburg beitrug. Otto I. legte den fiid-
lichen und nördlichen Theil des jetzigen Kreifes zum Erzftifte, der mittlere,
nämlich das von Brachwitz, Morl, Groitfch bis Kütten im Anhaltifchen
ludlich und von Wieskau, Schlettau, Dalena, Domnitz, Dolle], Dobis nörd-
lich begrenzte Stück, gehörte zur Graffchaft Wettin. Uebrigens mufsten
alle Grafen der Gegend den Erzbifchof von Magdt bürg als Lehnsherrn an-
erkennen. Mit dem Ausllerben der Wettiner Grafen (i2go) kam auch der
mittlere Theil des Kreifes ganz an das Erzbisthum So Hand faß alle
geiftliche und weltliche Macht bei dem Erzbifchofe; an feiner Stelle wurden
die geiftlichen Angelegenheiten hauptfächlich von dem Kloller zum Neuen
Werke bei Halle geregelt, deffen Probft Archidiaconus Banni Hallensis,
des Gebietes zwifchen Elfter, Euhne und Saale, war. Die Gerichtsbarkeit
pflegte zumeift der Burggraf von Giebichenftein, der erzbifchöflichen
Refidenz in diefer Gegend. Wefentliclv- Veränderungen erfuhren alle diefe
Verhältnifle durch die revolutionären Veränderungen unter dem Cardinal
Erzbifchof Albrecht, welche wir aber hier nicht weiter antühren können.
Auch aus der neueren Gefchichte befchränken wir uns auf den Uebergang
des Erzftiftes Magdeburg als eines weltlichen Herzogthums an Brandenburg
hinzuweifen, welcher 1648 im weftphälifchen Frieden beftimmt, aber erft 1680
ausgeführt wurde, und an die Bildung der Provinz Sachfen nach der Ver-
treibung der Franzofen zu Anfang diefes Jahrhunderts zu erinnern, die beiden
wichtigften Ereigniffe für die Gefchichte des Saalkreifes.
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Ammendorf.
Pfarrkirchdorf (und Rittergut, welches zu Beefen gehört), Station der
Thüringer Eifenbahn, 6 km ludlich von Halle. Das ehemalige Schlofs iß das
Stammhaus derer von Ammendorf.1 1264 ßiftete Heinrich von Ammendorf
bei der S. Nicolaikirche ein Augußinerkloßer, welches aber fpäter mit dem
der Klausner bei Giebichenflein (den Serriten oder Marienknechten, die zu
Anfang des 14. Jahrhunderts auf dem Leipzigerplatze wohnten und 1339 die
jetzige Ulrichskirche zu Halle erbauten) vereinigt worden iß. Das Rittergut
iß unter dem Erzbifchof Burchard III. an die Stadt Halle gekommen und
>333 von der Stadt an Sander Prune und Busso vom Thore verfchrieben.
Seine Gefchichte, namentlich die Reihe feiner Befitzer, iß bei von Drey-
hauptll. 875 nachzufehen, wir bemerken nur. dafs 1426 das Dorf — ob auch
das Schlofs? — von den Hallenfern im Kriege mit dem Erzbifchof Günther
eingeäfchert wurde. Nach 1551 Toll das Schlofs von Chrißoph Bofe neu er-
baut fein. Schuldenhalber gab die Stadt ihre Befitzungen Beesen und
Ammendorf 1655 dem Magdeburger Domcapitel, welches bis 1717 in dem
Befitze diefer Güter blieb, die dann von der Stadt wieder eingelöß wurden.
Die Gutsgebäude find jetzt ohne Interefle.
Die Kapelle St. Nicolai wird 1286 erwähnt, in welchem Jahre Erz-
bifchof Erich ihr einen Ablafsbrief ertheilt (f. von Dreyhaupt Doc. Nr. 565).
Aufser diefer Kapelle, von der es unbeßimmt iß, ob fie die erße Pfarrkirche
war, hat Ammendorf noch eine von Hermann Kötzel in den letzten Jahr-
zehnten des 14. Jahrhunderts gebaute Kirche $. Katharinae gehabt, welche
der zu Radewell incorporirt gewefen iß. Es find jedoch beide fpäter zu
einer Pfarre vereinigt. 1504 erläfst Erzbifchof Ernß in feiner Diöcefe einen
Ablafsbrief zum Sammeln von Almofen für die Wiederherßellung der bau-
fälligen Kirche und 1509 zur Fortführung des angefangenen Thurmes. Aber
die zu Anfang des 1 6. Jahrhunderts erbaute Kirche mit gradem Chorfchlufs
iß 1738 derartig erneuert worden, dafs fie jetzt kein wefentliches Intereffe
mehr bietet. Im Thurme befindet (ich an der Nordwand der Grabßein
Georg Bofe’s vom Jahre 1574, auf dem ein geharnifchter Ritter fehr hand-
werkstnäfsig dargeßellt iß. Ebendafelbß fleht man einen kleinen Grabßein
des Otto Bofe, und ein dritter mit kaum leferlicher Schrift (Otto Bole ge-
hörig?) dient als Fufsbodenplatte.
1 Von (liefern alten und fehr bedeutenden Adelsgefchlechtc füll fchon 968 ein Fritze von
Ammendorf nachweislich fein, indeffen mit Sicherheit läfst fich erft 1239 ein Heincmann von
Ammendorf anfuhrrn S. von Dreyhaupt: Gefchlechts-Regifter 3.
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AWMF.NDORF.
447
Bis 1883 hatte die Kirche eine Glocke von matt gezeichneter Form
mit diefer Minuskelumfchrift:
+ anno öm m 0 it • il|s moria Unna ooDtrr - joad)i( (== joachim)
und eine zweite, die imDecember 1754 von Fried. Aug. Becker in Halle ge-
golTen war.
Statt diefer alten Glocken belitzt die Kirche jetzt eine von 0,70“
DurchmefTer mit der Infchrift: OheilgerGeift kehr bei uns ein; eine andere
von 0,84 " DurchmefTer mit der Infchrift : Gelobet feilt du Jefu Chrilt, und
eine dritte von 1,05 m DurchmefTer, deren Infchrift lautet einerfeits: Allein
Gott in der Höh fei Ehr, andererfeits: von Gebr. Ulrich in Laucha ge-
gofTen etc im Jahre des Heils 1883.
Bebitz.
Kirchdorf, Filial von Lebendorf, 2g km nordweftlich von Halle gelegen,
findet lieh 1376 im Befitze des Ritters Albert Quartier. Die im Dorfe ge-
legene Kirche ili im dreifsigjährigen Kriege gänzlich zerftört und 1693
wieder erbaut. Ihr Thurm mit welfcher Haube iß 171g angefangen und 1744
vollendet. Das Gebäude bietet nichts Merkwürdiges, weil es vor einigen
Jahrzehnten erneuert ift. Beachtung verdient ein Taufbecken von Meiling,
welches in der Mitte feines Bodens die hier nicht feltene Darliellung Adams
und Evas mit der Schlange am verbotenen Baume zeigt. Diefes Flachbild
ift zwar fchon fehr verwifcht, jedoch läfst lieh noch wohl erkennen, dafs die
Zeichnung der Körper gut gewefen ift. Der Stempel zu ihr wird erft im
16. Jahrhundert entftanden fein.
Die Glocke von 0,84 m DurchmefTer ift 1802 von Becker in Halle gegoffen.
Beesedau.
Kirchdorf, Filial von Trebnitz und Rittergut, 15 km nordweftlich von
Halle gelegen, war ein gräflich Barhy’fches Afterlehn, mit welchem die
von Kroligk (-Sandersleben) feit dem 16. Jahrhundert belieben gewefen
find. Die Kirche (im 18. Jahrhundert Filial von Laublingen). mit einem
Thurme und dreifeitig gefchloffenem Chore liegt im Dorfe; (ie ift 172O ent-
ftanden und hat keine bauliche Bedeutung.
Die Glocke von 0,63 • DurchmefTer hat eine längliche unten breite Form
mit einem Harken rechteckigen Reifen oben und ift ohne Infchrift. Die
Glocke von 0.50“ DurchmefTer ift ebenfalls ohne Infchrift und von ähnlicher
Form. Ueber die Entftehungszeit beider läfst fleh leider nichts Beftimmtes
angeben; man könnte fie in den Anfang des 18. Jahrhunderts fetzen, alfo
mit dem Kirchenbau gleichzeitig, aber für diefe Zeit wäre das Fehlen jeder
Infchrift doch höchft auffällig.
Beesen.
Kirchdorf, Filial von Ammendorf, und Rittergut, 3 km fiidlich von Halle
an der Mündung der weifsen Elfter in die Saale gelegen.
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448
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
• Die Kirche, welche unter hallefchem Patronat lieht, ill erll nach der
Reformation ein Filial geworden. Sie liegt im Dorfe und ill baulich ziem-
lich unbedeutend, da (ie 1744 vergröfsert und reparirt ill. Diefe Ver-
gröfserung fcheint nach Wellen zu Ilattgefunden zu haben, denn der Thurm
gehört augenfcheinlich dem 18. Jahrhundert an, in feiner Fahne lieht 1744.
Der Chor ill dreifeitig. Nutzlofe Strebepfeiler verunzieren das Ganze. Der
Anbau für den Pallor ill 1791 gemacht. Im Innern findet fich an der Nord-
feite ein fpätgothifches Sacramentshäuschen, aufsen mit einem eifernen
Reifen zum Aufhängen eines Vorhanges. Der Altar ill zufolge einer
Minuskel-Infchrift an der Predella 1519 gemacht, d. h. nur die Heiligenfiguren
gehören diefer Zeit an und ihr lebensfroher, durchaus realillifcher Stil läfst
darüber auch keinen Zweifel zu. Die jetzige Architektur des Altaraufbaues
iß barock, fie gehört infchriftlich dem Jahre 1729 an; der ältere (katholifche)
Schrein ift damals und zwar mit Gefchick (und Toleranz) in diefen barocken
Aufbau wieder eingefetzt. In der Predella befinden (ich diefe vier Heiligen:
ein Bifchof mit einem Knaben. Margaretha mit dem Drachen, Anna Selb-
dritt und Barbara mit Thurm und Kelch. Die ehemalige Mittelpartie des
Schreines ift jetzt getrennt Maria, die wahrfcheinlich die Mitte einnahm,
ift oben rechts aufgeftellt worden; ihr entfpricht auf der andern Seite ein
ßifchof im Ornat ohne Beigabe. In den Flügeln liehen je zwei Figuren,
links Ulrich (?) als Ritter und Katharina . rechts ein Heiliger mit einem
Krüppel und Elifabeth. Die urfprüngliche Färbung ift, wie fich von der
Entftehungszeit nicht anders erwarten läfst, fehr vorzüglich gewefen , hat
aber bei der neuen Verwendung der Stücke in der Barockzeit durch theil-
weife Uebermalung gelitten. Rechts ift in einer Nifche ( 1729?) der Tauf-
beckenunterfatz angeordnet.
Seine prunkende F'ärbung durch Blau, Weifs und Gold ill wohl ge-
lungen. Das meffingene Taufbecken Hellt inmitten die Verkündigung
dar; der hierzu gebrauchte Stempel dürfte noch im 15. Jahrhundert
entftanden fein, wie die Auffüllung diefe Scene — Maria an einem Betpulte
kniend, wendet fich fchüchtem gegen den ehrfurchtsvoll hinter ihr herzu-
kommenden Engel — und die Proportionirung der Körper erkennen läfst.
Die Umfchrift in noch Hark gothifchen Charakter tragenden Lapidarbuch-
llaben lautet: ICH BART GELVK ALZEIT.
An der Südwand fieht man einen lebensgrofsen Crucifixus und darunter
die halblebensgrofse mater dolorosa; beide find überweifst, die Stücke ge-
hören wohl dem Barock an. Die Kirche befitzt einen Kelch, deflen Stilus
und Nodus mit fpätgothifchem Laubwerk omamentirt find. An denNodus-
zapfen lieht I h US V S. Am F'ufse ift ein Wappen aufgeheftet und ein
Kreuz, das Signaculum, eingeritzt, auch ift auf dem Fufse augenfcheinlich
noch ein anderer Gegenftand (Wappen?) befindlich gewefen. Am F'ufse fieht
man auch eine nicht mehr entzifferbare Minuskel fchrift. 1 Die Arbeit fcheint
mit der des Altarfchreines etwa gleichzeitig (1519) zu fein.
1 |r«ib» r|i;mlr» Itmmm (= timrtbi» (= g>ld|inlrt lnim gtl«.
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AMMKNOOKF. BKBITZ. BEESF.OAU. HESSEN. BHBSF.NI.AUBUNGEN. 449
Die Glocke von 0,73" Durchmefler hat eine recht auffällige Form, die
;twas fteif iß und unten weit ausladet, ihre Minuskelumfchrift lautet:
+ anno ö in m ucc zeit fciu rr&ü < orrnnDa f) post martinr fahnruo (?) 0
Unter diefer von vier Schnüren eingefafsten Schritt lieht der Name des
Giefsers (?) gllligqcj (jDtr |) f, ferner find hier mehrere runde Reliefs an-
gebracht und ein vierfeitiges.
Die Glocke mit 1,05“ Durchmeder hat eine etwas plumpe Form, die
fchon der der RenailTance nahe kommt. Ihre Minuskelinfchrift heifst:
O (Medaillon, welches Maria mit dem Kinde darftellt) (Usulor
oioo 1» txiortuo figu nonoo 1491 •
Die Glocke mit 0,94” Durchmeffer hat eine nicht hübfch gefchwungene
längliche Form und die Minuskelfchrift :
t m glorif ift orni tum patt 111« Domini m cccc zcbii 0
Beesen laubl i ngen.
Ptarrkirchdorf, 31 km nordweftlich von Halle am rechten Saalufer ge-
legen, befteht eigentlich aus dem Dorfe und Rittergute (Alt- und Neu-)
Beefen und dem Dorfe Laublingen. Das Rittergut Beelen gehörte ehemals
zur Graffchaft Alsleben im Mansfelder Seekreife und ging mit diefer an
das Erzftift Magdeburg über. Das Gut ift wahrfcheinlich das Stammhaus
derer von Beefen. 1376 hat ein Budo und 1390 ein F'ritz derfelben dort ge-
wohnt. Die folgenden Befitzer giebt von Dreyhaupt II. 863 an. 1671 ent-
lland in Folge der Theilung dei Güter unter die beiden Söhne Volrad
l.udolphs von Krofigk Alt- und Neu-Beesen, und 1720 ging diefes, 1757
jenes durch Kauf an den König über, um dann zu dem Amte Beefen wieder
vereinigt zu werden. Zu Laublingen war 1446 ein Sattelhof im Befitze
Budo Frundehelm’s; der Hof kam nach verfchiedenen Befitzem (von Drey-
haupt U. 914) 1522 ebenfalls an die von Krofigk.
Die den beiden grofsen Apolfeln (Petrus und Paulus) geweihte
Kirche liegt etwas hoch nordölllich im Dorfe. Sie ift eine jener
ausgebildeten, romanifchen Anlagen, die aus einem I'hurme — hier
breiter als das Schiff, einem Schiffe und einem fchmäleren Altar-
raume mit halbrunder Apfis beftehen; an Stelle der letzteren ift hier
etwa im 4. Jahrzehnt des 18. Jahrhundert ein gothifirender Anbau
getreten, welcher gerade fchliefst. Der im Grundrifs ein von Norden nach
•Süden gelegenes Oblongum bildende Thurm hat in der Glockenftube zu
zwei Bögen an der Oft- und Wert wand lieh entfprechende Kämpferanlatze.
Für diefelben läfst fich eine Erklärung nicht wohl auffinden, da thatfächlich
ausgelührte Bögen hier oben keine Laft , fei es vom Dachftuhle , fei es von
den Glocken würden ertragen können. Der Thurm hat ein Untergefcfcofs
und ein gewölbtes jetzt gefchlofsenes Erdgefchofs, welche beide mit Särgen
der Familie Krofigk angefüllt find. Der an der Südfeite gelegene Eingang,
B. D. d. Bau* u. Kunstd. N. F. I. 29
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45°
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
jetzt mit einem Vorbaue, hat die in Fig. 227 dargefteflte Ausbildung,
die die reichfte im Saalkreife ift. Sein Gewände in zwei Abiätzen
befteht jederfeits aus einer vorderen fchwachen und einer hinteren
llärkeren Säule, welche letztere beiden auf einem beiderfeits fehr zerflörten
Poflamente aufflehen. Der Schaft der Säule rechts ift mit bandartigen
Fig. 227.
Portal.
Zickzackornamenten plaftifch verziert, ein Schmuck, der an die Bemalung- von
romanifchen Säulen erinnert. Die Capitäle in vollem Laub- und Bandwerk
ausgehauen, haben eine kelchförmige Silhouette mit fehr fchweren, gleichfam
als Kämpferfims dienenden Abaken , deren anfängliche Verzierung bis auf
HEESENLA0BUNG EN.
4SI
geringe Thierkopfrefte verfchwunden ift. Das halbrunde Tympanon wird
von zwei Abfalzen umzogen, die dem Gewände entfprechen. Der erfte
Abfatz hat eine aus kleinen Gliedern beftehende und jederfeits in einem
Blatte endigende Eckverbrechung, der andere ift ganz glatt und dürfte nicht
urfprünglich. fondern gelegentlich einer modernen Reparatur gemacht fein.
Die Bogenfeite des Tympanonfteines ift von einem Bande begleitet, welches
in jedem der beiden Bogenviertel ein verfchiedenmufteriges zu unterft mit
einem Eigürchen beginnendes Rankenornament zeigt. Die figürliche Dar-
Itellung im Felde hat in der Mitte Chriftus, welcher, von einem grofsen
Nimbus umftrahlt auf einem Throne fitzt. Mit der Rechten giebt er dem
links (alfo zur Rechten Chrifti) knienden Petrus denSchlüflel zum Himmel, in
der Linken hält er ein Buch (das Evangelium), Paulus k niet rechts und erhebt die
Hände betend. Das ganze Portal zeichnet fich mehr durch feinen Reichthum als
durch eine gute Arbeit aus. Namentlich find die Figuren weder in den
Proportionen gelungen, noch in den Details fauber gebildet. Die weiche
Wirkung der Architektur wird wefentlich unterftützt durch den Thürflügel,
welcher fo reich befchlagen ift, wie wohl auch aufserbalb der Grenzen des
Kreifes feiten ein zweiter. Fünf in unregelmäfsigcn Abftänden quer über
die Thür gehende eiferne Flachfchicnen bilden die Hespen und Bänder.
Jedes von diefen F'lacheifen überdeckt auf die ganze Länge eine
Omamentirung, die aus paarweife zufammen- und übereinander gelegten
Bogenftücken befteht. Jedes Bogenftück ift mit Nägeln befeftigt und
einerfeits zu einem Schlangenkopfe ausgefchmiedet, von deffen Ausfehen
Fig. 2 ’8 eine Vorftellung giebt. Ich kann mich nicht entfchliefsen, diefe
Fig. 228 a.
Schlangenkopf am Portal 227.
Omamentirung in die romanifche Zeit zu fetzen, obwohl ihr Charakter dem
Stile jener Zeit nicht fehr zuwiderläuft, vielmehr an romanifches oder
fchottifches Wefen gemahnt; fie wird wohl der fpäten Gothik angehören
oder doch im 15. Jahrhundert als Ergänzung einer urfprünglich romanifchen
m der jetzigen Weife ausgeführt fein. Zu diefer füdlichen Thür hat es auf-
fälligerweife bereits in romanifcher Zeit eine zweite an der Nordwand gegen-
über gelegene gegeben, deren Bogen fich noch theilweife fichtbar erhalten
hat, während die Oeffnung vermauert ift.
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452
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Im Kircheninnem fällt eine durch den fpäteren Putz bez. Kalkanftrich
durch fcheinende Malerei auf, welche fich an der Nord wand des Schiffes
über der Empore befindet und eine weibliche (?) Figur mit einer Tafchef-i
darlfellt. Bei feuchter Witterung lallen fich die Einzelheiten wohl erkennen.
aber es läfst fich dennoch nicht mit Bellimmtheit aus den Formen die Zeit
der Entftehung angeben. Der Emporeneinbau nördlich hat Holzftücke
(Büge) Kig. >20, die in fpätgothifchen Formen durchgebildet find.
Der romanifche Taufftein der Kirche ift aus zwei Theilen zufammen-
gefetzt; wir geben in Fig. 230 feine Abbildung, aus welcher zu erfehen
ift. dafs weder eine Verzierung noch eine Profilirung von befonderer
Schönheit diefes Stück auszeichnet. Die in den Figuren 231 und 232
dargeftellten Grabfteinrefte finden fich in die Wand eingelaffen oder als
F'uf bodenplatten verlegt ; fie gehören der Uebergangszeit oder der frühen
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454
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Gothik an. Weit mehr Beachtung verdienen die im Sanctuarium
vor dem ehemaligen Platze des Altares liegenden 4 Grabfteine derer
von Krofigk. Sie liegen in der Richtung der Kirche neben einander und
zwar fo tief unter der Fufsbodenoberkante, dafs ein über fie gelegter, fie
jedoch nicht berührender Bohlenbelag hier den Fufsboden abgiebt, wodurch
die Steine zwar gewöhnlich dem Auge entzogen werden, aber (ich gut er-
halten haben. Es find auf diefen Steinen die Entfchlafenen in kräftigem
Hochrelief als Ritter in ihrer Rüftung (Harnifch) dargeftellt. Die Arbeit
gehört dem 16. Jahrh. an und ift zu loben. Ein fpätgothifch omamentirte-
Taufbecken von Mefiing hat in der Mitte die Darftellung der Verkündiguni:
Mariae und jene verfchnörkelte unleferliche Minuskelfchrift, die lieh derartig
nur an Taufbecken und zwar fo vielfach findet. An Geräthen aus edlen
Metallen befitzt die Kirche einen fpätgothifchen Kelch mit der Minuske’-
infehrift (,'laria hilf (?), als Signaculum ift dem Fufse ein Crucifixus auf-
geheftet. Einem andern Kelche ift auf dem Fufse Petrus, Paulus, als die
Titelheiligen der Kirche, und Maria (?) eingravirt. Man lieft in Majuskeln
CLAVES und BOVIST (?) Als Signaculum trägt der Fufs ein Crucifixus mit
Maria und Johannes zu den Seiten. Im Fufsinnem lieht in Minuskelfchrift
lopliagm.
Von den Glocken ift wohl die ältefte die von 0,69“ DurchmelTer; fie
hat eine längliche Form und keine Infchrift. Eine zweite Glocke von 0.84*
DurchmelTer hat die Majuskelumfchrift: ÄVLÄ (?) ^IEÄ VOX, als Ver-
zierung dient ein Crucifixus; Schrift und Zeichnung ift durch Einritzen in
den Mantel entftanden. Die Glocke gehört vermuthlich in die zweite Hälfte
des 13. Jahrhunderts. Die dritte Glocke von 1,10" DurchmelTer fcheint etwa
um die Mitte des 14. Jahrhunderts jedenfalls nicht lange vor derfelben ge-
golten zu fein; fie hat die Majuskelumfchrift (Wachsmodelle):
cg> DVfll TRÄhOR ÄVD1TE VOdO VOS ORÄTE VERITtC?)
Böllberg.
• Kirchdorf, Filial von Wörmlitz, 1 km ludweftlich von Halle am rechten
Saalufer gelegen. Die dem h. Nicolaus geweihte, im Dorfe gelegene Kirche
ift bis zum Jahre 1247 ein Filial der S. Georgenkirche zu Glaucha gewefen.
1291 haben die Böllberger für den Priefter ihrer Kapelle zu Radewell Land
gekauft, auch ift 1298 von einem Barthol von Livenowe und 1307 von dem
Müller Willekin der Kirche Land gefchenkt worden. Ein Wörmlitzer Filial
jft die Kirche erft nach der Reformation gewefen. Die Kirche ift ein kapellen-
artiger Bau ohne Thurm, aber mit halbrunder Apfis im Ollen, wie der in
Eig. Z33 dargeftellte Grundrifs und die perfpectivifche Anficht Fig. 234 zeigen.
Merkwürdigerweife liegen hier die P'enfter des Schiffes nicht wie gewöhnlich
auf der Südleite, die nur die Thür enthält, fondern auf der Nordfeite.
Die Wände beftehen aus Bruchfteinen ohne Sandfteinecken ; man bemerkt,
dafs die unteren Partien viel lagerhaftere Steine als die oberen haben. Die
romanifche F'ugentechnik , wie fie beifpielsweife an der Kirchenruine in
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BÖLLBERG.
455
Krofigk gefunden wird, fehlt. In Fig. 235 ill das Tympanon der auf der
Südfeite befindlichen Thür gezeichnet; es ifl einfach, feine Form kommt
Fig. 233.
[Grundrifs der Kirche.
Fig. 234-
Acufscrcs der Kirche.
häufiger im Saalkreife vor; z. B. auch an der Kirche zu Schlettau bei Löbejün.
In den Fig. 236 und 237 find andere Details des Gebäudes gezeichnet, welche
die Einfachheit der Ausfchmückung erkennen lallen. Beachtung verdient
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I
456
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
die fteinerne Knopf bekrönung des örtlichen Giebels, die, wie nicht eben häufg,
an die Stelle des fonfl üblichen Kreuzes getreten ift. Der Weftgiebel hat
!
MVBBRBHS
■fl
rra||||HN
{flgä
Tympanon der Thür.
urfprünglich wohl einen Aufbau für frei hängende Glocken gehabt. Im
Innern fleht man in der Apfis nördlich eine Sacramentsnifche (ob urfprüng-
F>8- 237-
Fig. 236.
Knopf auf dem Oftgiebel d. Kirche.
Kirchenfenßer.
lieh?), ludlich unter dem Fenrter eine piscina. Der Fufsboden dürfte
Theil noch urfprünglich fein, nämlich da, wo er aus grofsen unregelmäfsigeff
Pflafterfteinen befteht. Die gerade Balkendecke ift mit breiten Brettern
über deren Fugen Leiften zur Verdeckung genagelt find, verfchalt. Höchli
J
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Fig. 23 7.
Aufpatronirtes Deckenmuster.
J
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Fig. 238.
Aufpatronirtes Deckenmuster.
J
/
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FiR. 239.
Aufpatronirtes Deckenmuster.
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Fig. 240.
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BÖLLBERG. BRACHSTKDT.
457
bemerkenswert h ift der örtliche Theil diefer Decke, welcher ein für jedes
Brett verfchiedenes fpätgothifches Mufter aufpatronirt ift. Es läfst lieh er-
kennen, dafs einige diefer der unzweifelhaft in das 15. Jahrh. gehörigen
Mufter aufgelrifcht find; wir geben in Figg: 238, 23g, 240 u. 241 die fchönften.
Sie werden der modernen Decorationsmalerei brauchbare Motive liefern.
Zwar ift die Farbenzufammenftellung eine harte, es kann jedoch verfichert
werden, dafs die angemelfene Entfernung vom Auge fowie die Ausdehnung
eines Mufters auf eine gröfsere Fläche diefen Eindruck mildert. Die mensa
des Altares enthält ein entleertes sepulchrum; ein ziemlich gut gefchnitzter
kleiner Crucifixus auf dem Altäre gehört dem Anfänge der Renaiffance an.
In F'ig. 242 ift das Bild des unzweifelhaft noch urfprünglichen, romanifchen
Fig. 242.
Tauffteines, dellen Ausbildung der Einfachheit der Kirche wohl entfpricht,
gegeben. Die Kanzel gehört der fpäten Renaiffance an; in ihrer Nähe
befindet lieh ein Lutherbild vom Jahre 1657. Diele Kirche ift die einzige
des Kreifes, welche keine Glocke hat.
Brachstedt.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, 10,5 km nordöftlich von Halle gelegen.
Aeltere Schreibweifen des Namens lind Brackftete und Braxftete. Ueber die
Gefchichte des Rittergutes, welches erft im 16. Jahrh. durch die Familie derer
von Belzig aus mehreren kleinen Sattelhöfen entftanden ift, hat von Drey-
haupt II. 887 das Bekannte angegeben. 1 Es erübrigt hier nur anzuführen,
1 Ebenda find auch über einige alte Gebräuche fowie über vorgcfchichtliche Male An-
gaben gemacht.
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458
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
dafs das im 15. Jahrhundert ausgeftorbene Gefchlecht derer von Brachftedt.
welches in Halle fefshatt geworden war, aus diefem Orte Itammt.
Die im Dorfe gelegene Kirche S. Michaelis i(l anfangs romanifch geweien.
wie fich aufser an we nigen Reifen von Kunftformen auch an der Fugenaus-
bildung der unteren Schichten erkennen läfst. Als romanifche Kunftformen
müflen einige Fenfterrefte genannt werden, aus deren Höhenlage klar wird, dafs.
Schiff in gothifcher Zeit verlängert und öftlich gerade gefchloffen wurde, als das
zugleich auch eine Erhöhung ftattgefunden haben mufs. Die Höhe des
romanifchen Baues reichte bis etwa zu dem Thurmgurtgefimfe. Die Gothik
hatte die Wände mit langen, fchmalen Spitzbogenfenftern verfehen. welche
aber in der Barockzeit ebenfalls vermauert find, um durch folche mit weiten
Fig- J43-
Capitäle aus den Schalllöchern.
Fenfterlichten erfetzt zu werden. Der Thurm ift wegen feiner zwei gleichen,
viereckigen, fchiefergedeckten Helme bemerkenswerth als die einzige der-
artige Anlage im Kreife. Man darf wohl annehmen, dafs von Dreyhaupt
einen folchen Umflaml erwähnt haben würde, wenn die Helme feiner Zeit
fchon vorhanden gewefen wären; ihre Form ift demgeraäfs wahrfcheinlich
zoo Jahre noch nicht alt. Die Formen der Säulchen in den Schalllöchem
verdienen Beachtung; lie gehören noch nicht der fpäten romanifchen Zeit
an. Wir geben in Fig. 243 die Abbildung einer Anzahl von ihnen, aus denen
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BRACHSTKIJT. BKACHWITZ.
459
diefe Behauptung lieh rechtfertigen mag. Das Kämpferfims des Bogens
zwifc'nen Schiff und Thurm Hellt Fig. 244 dar. In der Nordwand des Schiffes
hat (ich das Sacramentshäuschen Fig. 245 erhalten. Eine Thür aus Eifen-
blech und Gitterwerk, durch drei Eifenfchienen gelichert, fchliefst den
Schrein. Sie liegt unter einem Spitzbogen und wird feitlich von je einer
Fig. 245-
Sacramentshäuschen.
Fiale eingefal'st. Ein conlolenförmiger Unterfatz trägt das Ganze und ein
mehrgliedriges Zinnengelims dient zur Ueberdeckung. Elin ganz unverziertes
Taufbecken der Kirche hat die Infchrift:
anno doroini 1573 hatt elisabet Ditzin dis Becken in das Gottes-
haus bescheiden.
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
460
Die Glocke von 1,22" DurchmefTer hat eine nicht zu entziffernde Minuskel-
infchrift, nur die Jahreszahl 1499 iit zu erkennen; als Zierrath ilt eine ge-
flügelte Halbfigur, die ein Buch hält (Engel des Matthäus) angebracht.
Die Glocke von 0,86“ DurchmefTer trägt ebenfalls die Jahreszahl 1499 und
den Namen Rtrit. Die dritte Glocke von 1,31" DurchmefTer hat 167;
Simon Wildt in Halle gegolTen.
Brachwitz.
Plarrkirchdorf und Königl Domaine , 8 km nordwefllich von Halle am
rechten Saalufer gelegen. Urfprünglich war hier ein Rittergut, welches
mehrere Jahrhunderte im Befitze derer von Zimmern gewefen ift. 1467 wird
ein Hermann von Zimmern vom Erzbifchofe Johannes mit dem Gute und der
Gerichtsbarkeit über das Dorf beliehen. Als 1573 Valentin von Zimmern
Harb, wurde das Gut in den Unter- und Oberhof (letzterer ift der Stammfitz
des Gefchlechts) getheilt. Nachdem dann beide Höfe in verTchiedenen
Händen gewefen waren und der Unterhof 1603 fammt dem Dorfe niederge-
brannt war, wurden fie wieder und zwar zu einem landesfürftlichen Amte
vereinigt.
Die Kirche liegt etwas hoch im Dorfe, hat örtlich einen drei-
feitigen Schlufs und welllich einen Thurm, defTen überwölbtes Erdgefchofs
mit dem Schiffe zu einem Raume vereinigt worden ift. Das Mauerwerk
der wahrfcheinlich fpätgothifchen Anlage befteht aus Bruchfteinen ohne
Eckquaderung; man findet fpätgothifche Details z. ß. Gewände kleiner
Fenfter am Thurm und am Chor. Spätere Zeiten haben jedoch viel an dem
Baue geändert. Rechts neben dem auf der Südfeite gelegenen Eingänge
ift der Wand ein nicht regelmäfsiger vierfeitiger Stein eingefetzt, der eine
in vertiefter Minuskelfchrift ausgeführte Angabe über den Bau enthält; der
Stein ift jedoch To ftark verwittert, dafs es nicht gewifs ift, ob die Schrift
alfo heifst:
anno nü t . (?) . . i)at stRlog n . . . . aagrfan . gti 10 bann .
Die Altarplatte hat an den Ecken und in der Mitte je ein Weihkreuz aber
kein sepulchrum. Unter dem Altar aber und zwar hinter ihm zugängig
liegt ein tonnengewölbter Raum, der alfo eine Krypta vorftellen würde,
wenn er urfprünglich wäre; jetzt dient der Raum als Keller und es läfst
fich über feine Entftehungszeit nichts ausfindig machen. Der Umftand jedoch,
dafs der mensa das Grab fehlt, ift wohl nicht gleichgiltig für diefe Frage.
Ein fpätgothifcher Schrein mit Holzfiguren fleht fchon feit vielen Jahren
hinter dem Altäre auf dem Fufsboden. 1 Die Aufsenfeite jedes der beiden
Flügel fchmückt das Bild eines nicht mehr zu erkennenden Heiligen.
Im Innern find die F'lügel in zwei über einander befindlichen Abtheilungen
mit den 12 Apoftelfiguren angefüllt, von denen freilich fchon 3 fehlen. Der
eigentliche Schrein hat drei neben einander gelegene Abtheilungen;
die feitlichen find wiederum in der Höhe getheilt. In der Mitte fleht
Maria mit dem Kinde, links oben die h. Barbara, unter ihr Katharina (?),
1 Befindet Ach jetzt im Provinzialmufeum.
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BRACHWITZ. BRASCH WITZ. 46t
rechts oben Margaretha mit dem Drachen zu den Füfsen und unten Elifabeth
mit einem Korbe. Wie bei den meiden diefer kleinen Schnitzaltäre and
auch hier die Figuren verfchiedenwerthig, im Allgemeinen jedoch nicht
fchlecht. Die Aliarplatte iß mit einer Decke überlegt, welche im hohen
Grade kunftge werbliches InterefTe bietet. Sie befteht aus einem dunkel-
farbigen Tuche mit vielen in gleich weiten Ablländen autgenähten runden
Lederknöpten, die etwa 0,005" >m DurchmelTer haben und goldig glänzen.
Durch Aufnähen von andersfarbigem, mit Litze umrändertem Tuche ift ein
Ranken- und Blumenornament hervorgebracht. Ich erinnere mich nie eine
ähnliche Arbeit gefehen zu haben; iie ift originell und jedenfalls nicht nur
im Saalkreife die einzige ihrer Art. In welche Zeit fie gehört ift ungewifs,
doch glaube ich fie dem Ornamente nach in den Anfang des 16. Jahrh.
fetzen zu müITen. Auf dem Altäre lieht jetzt ein hölzerner Crucifixus, an
dem der lange Körper Chrifti auffällt; die Arbeit ift jedoch gut, aber leider
überlackirt. An der Nordfeite der Kirche befindet (ich das Oelbild eines
Epitaphiums, welches für mehrere adelige Familien beftimmt war, deren
Glieder in kniend betender Stellung neben einem Crucifixe portraitirt find.
Die Malerei ift nicht eben werthvoll, aber die Gelichter find forgfältig und
jedenfalls ähnlich gemalt. Eine TauffchülTel von Meiling gehört dem Jahre
ifc+9 an; fie hat in ihrer Mitte ein aus Granatäpfeln beftehendes Rofetten-
ornament und um dasfelbe den fich wiederholenden Stempel in gothifirenden
Lapidarbuchftaben :
GOT 68B VI?S DGI? RRID Äfllöl?,
ein Stempel, der nicht häufig gefunden wird. An Kelchen befitzt die Kirche
einen aus fpätgothifcher Zeit, welcher einen verzierten Stilus und an den
Zapfen des tief omamentirten Tiodus das Wort I fl E S V S hat. Am Fufse
ili ein Crucifixus mit Maria und Johannes als Signaculum aufgelöthet, links
daneben lieht in Minuskeln: faclrs (?) rechts: ftlllkmill! ferftit JJr«g»iB.
Am Fufse lieht: Der Kirche zu Brachwitz. 1658. Dahinter die ältere Schrif
in Minuskeln:
Ui ‘itü gbr ~ i : silot.
Aufserdem hat die Kirche zwei barocke Kelche von 1688.
Unter den Glocken fcheint die mit 0,86 m DurchmelTer die ältelle zu
lein und zwar wird fie dem Ende des 13. Jahrhunderts angehören, man
fieht zwifchen gedrehten Bändern am Hälfe Medaillons, Kreuze und A cE
Eine zweite Glocke von 0,87" DurchmelTer hat eine lange fchöne Form
und diefe Majuskelfchrift :
sit TempesTÄTvm per tue geipvs omi?£ iivgatvir a <e
Eine dritte (Schlag-)Glocke ift nicht wohl zu erreichen ; fie mifst fchätzungs-
weife 0,50" im DurchmelTer und ilt von Richter gegolTen.
Braschwitz.
Kirchdorf, Filial von Mötzlich, 6 km nordöftlich von Halle gelegen,
hiefs früher auch Praschwitz, Brasswitz und Brassewitz. Das Dorf zerfiel
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462
DIE STADT HALLE u. d. SAALKRKIS.
in Grofs- und Klein-Braschwitz, gerieth 1642 den 8. Mai durch die kaifer-
lichen Truppen in Brand und wurde fammt der Kirche eingeäfchert.
Letztere, zuvor dem h. Nicolaus geweiht, liegt im Dorfe und ift jetzt
baulich unbedeutend. Sie fchliefst örtlich gerade und hat einen unten tonnen-
überwölbten Thurm. Die fpitzbogigen Backfteinfenfter ftammen aus der Barock-
zeit, auch ift die Mauerwerkstechnik meift barock. Nichts defto weniger
wird die erfte Anlage romanifch oder frühgothifch gewefen fein. Kunft-
formen diefer Zeiten find freilich aufser vielleicht dem zerbrochenen Stein-
kreuze auf dem Südgiebel des Thurmes nicht mehr vorhanden. Altar und
Kanzel, jetzt unbedeutend find ehemals in fchwungvollen RenailTanceformen
durchgeführt gewefen. Ein kupfernes Taufbecken hat in feiner Mitte die
Darftellung Adams und Evas mit der Schlange am verbotenen Baume und
übrigens kein Ornament. Der Unterfatz für diefes Becken ift barock, aber
nicht fchlecht. Im Thurmerdgefchofs liegt ein fchmiedeeifernes Kreuz von
guter Renaiffancearbeit völlig unbeachtet.
Die Glocke von 0,65° Durchmefter ift von Joh. Jak. Hoffmann in Halle
MDCLXXXVI gegolfen. Die Glocke von M501 Durchmefter hat die
Infchrift :
Durchs Feuer bin ich geflossen, Peter Becker in Halle hat
auch mich gegossen anno 170g.
Büschdorf.
Kirchdorf. Filial von Reideburg, 3 km örtlich von Halle gelegen.
Aeltere Schreibweifen des Namens find Byssdorff, Bifchofisdorff und Bux-
dorff. vielleicht (f. von Dreyhaupt II. 886) nach dem Bufchwerke feiner Um-
gebung benannt. 128g ift das Dorf dem Moritzklofter zu Halle von dem
Naumburger Domcapitel verkauft worden, doch wahrfcheinlich nur theil-
weife, weil Ratmar von Steine in Halle von dem Erzbifchof Günther und
Friedrich das Dorf zu Lehn gehabt hat. 1462 ift' dann das ganze Dorf von
dem Erzbifchof FYiedrich an das Moritzklofter vertaufcht worden und 1505
und 1506 ift diefes Befitzthum noch durch den Verkauf von Ländereien und
Rechten feitens Adliger und des Erzbifchofs vergröfsert. Bis zur Re-
formation hat denn auch Büfchdorf feinen eigenen Pfarrer, einen Conventual
des Moritzklofters, gehabt. Unter dem Regimente des Erzbifchofs Albrecht
kam der Ort zum Amte Giebichenftein , 1551 aber eine Zeit lang an
Hieronymus von Diesskau.
Die dem h. Nicolaus geweihte Kirche, weftlich am Dorfe gelegen . ift
ein kleiner anfänglich romanifcher Bau gewefen mit einem fchmalen
Thurme. Bei einem fpäteren (gothifche Zeit?) Umbau mufs der drei-
feitige Schlufs im Orten entftanden fein; 1749 ift das Gebäude aber-
mals „ausgebauet und repariret“ und der Thurm mit einer „zierlichen,
welfchen Haube bedeckt worden." (von Dreyhaupt II. 887). Das merk-
würdigfte Stück im Innern ift das Sacramentshäuschen , welches noch
romanifche Formen hat und das ältefte im Kreife ift. Wir fehen aus diefem
Beifpiele, dafs bereits vor der Mitte des 14. Jahrhunderts, um welche Zeit
die Aufbewahrung der Euchariftie in einem nördlich (Brotfeite) getrennt
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lU'SCMUOKK.
463
vom Altäre gelegenen’Sacramentshäuschen endgiltig heflimmt wird, hier ein
folcher Schrein vorhanden gewefen ift. Aus unferer Abbildung Fig. 246 geht
Fi*. 246-
Romanifchcs Sacramcntshäuschcn.
hervor, dafs diefes Häuschen noch recht einfach unten von einem tragenden,
oben von einem bekrönenden Simfe, welche beide zumeift aus übereinander
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464
DIE STADT HALLE u. d. SAALKRKIS.
gekragten zahnfchnittartig unterbrochenen Rundftäben beftehen, verziert iß.
Die Thür belleht aus einem mit Rofetten auf den Kreuzpunkten der Stäbe
verzierten Eifengitter. Wie je ein Loch im Steine über und unter der Thür
darthut — diefe Löcher rühren von eifernen Krampen her — war anfänglich
der Verfchlufs auch noch durch einen fenkrechten, alfo mit der noch vor-
handenen Eifenfchiene ein Kreuz bildenden Stab bewerkftelligt. Trotz feiner
Einfachheit macht das Aeufsere diefes Schreines einen getälligen Eindruck.
Sein Platz kann übrigens wohl nicht mehr der urfprüngliche fein, da er die
FiR.247.
tULimrl-
tl
i
n i k
Taufftein.
nördlich Ile dumpfe Ecke des angebauten Chores bildet. Der ehemalige
Flügelaltar mit gefchnitzten Figuren ift nördlich unter dem Thurme an-
gebracht. In der Mitte ift Maria mit dem Kinde befindlich und zu den
Seiten find je vier P'iguren fo geordnet, dafs in je zwei Abtheilungen immer
eine männliche und eine weibliche zufammenftehen. Die fpätgothifche Arbeit
ift nicht gerade künlllerifch bedeutend. Der Taufftein diefer Kirche ift in-
fchriftlich 1520 gefertigt; feine Formen find noch ohne allen Renaiflänce-
einfiufs; auf vierfeitigemTufse mit ebenfolchem Schafte lieht das vielfeitige
Getäfs, wie Fig. 247 darftellt.
Die Glocke von 0,34 10 DurchmelTer ift ohne Riemchen und Infchrift,
fie gehört zu den ältellen und ift wohl im 12. oder Anfang des 13. Jahr-
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CANENA. CÖNNERN.
465
hunderts gegofTen; auch die von 0,50“ DurchmefTer hat keine Infchritt und
i'cheint mit jener gleichzeitig zu fein. Die dritte Glocke von 0,85" Durch-
melTer hat oben die Minuskelumfchrift : + Klfil l)ilf gut.
Canena.
Kirchdorf und Rittergut, 4 km füdöftlich von Halle gelegen. Nach
von Dreyhaupt II. 88g ift der Ort ehemals „Chanena, Chanein, auch Cunene,
quasi Cunonis Aue gefchrieben“ und in Grofs- und Klein -Canena getheilt
gewefen; letzteres hat dann den Namen „Wenigen Canena“ geführt. Schon
1182 wird der Ort genannt, um welche Zeit nämlich Erzbifchof Wichmann
dem Klolter zum Neuen Werke bei Halle einige dort gekaufte Güter in-
corporirte. Uebrigens hat das Dorf mit den Erbgerichten dem Moritzklofter
zu Halle gehört, welches 120/, 1286 und 1408 dort Grundbefitz erwarb. Nach
der Reformation ift die Gerichtsbarkeit auf das Amt Giebichenftein Über-
legungen, die klöfterlichen ßefitzungen aber find theüweife zu dem Ritter-
gute gekommen, welches die von Weifsken, fpäter vonLuptitz, feit 1522 die
von Diefskau und im 18. Jahrhundert der Droft Johann Chriftoph Herold
befelfen haben; von den Erben des letzteren ift es in den Befitz des halle-
fchen Waifenhaufes gekommen.
Die dem h. Stephan geweihte Kirche war ehemals ein Filial von
Büfchdorf. mit welchem Dorfe Canena bis 1560 auch diefelben Dorf- und
Feldgerichte gehabt haben foll. Seit dem 18. Jahrhundert gehört die
Kirche als F’ilial zu Diefskau. Das bedeutungslofe im Dorfe nördlich
gelegene Gebäude wird der in der Kirchenfahne befindlichen Jahres-
zahl nach 1793 erbaut fein an Stelle einer kleinen (romanifchen?) Kirche.
Bemerkenswerth ift ein meffingenes Taufbecken mit der Darftellung eines
auf dem Pferde fitzenden Ritters, des h. Georg, welcher den Drachen
tödtet. Verzierte Minuskelfchrift , Feftons und Engelsköpfe umgeben das
Mittelbild und zeigen, dafs diefes Becken nicht wohl vor dem 16. Jahrhundert
entftanden ift. Die Glocke von 0,70“ DurchmefTer und eine zweite von
0,55 " DurchmefTer find von C. G. G. Becker in Halle 1843 umgegoflen.
Cönnern.
Stadt von 4158 Einwohnern, 24 km nordweftlich von Halle gelegen,
Station der Halle-Afcherslebener Bahn. Der Ort wird 1012 unter dem Namen
Coniri erwähnt, fpäter wird er Conre, Konre, Cönren, Köndren gefchrieben.
1004 oder 1007 ift der Ort vom Kaifer Heinrich II. dem Erzftifte Magdeburg
gefchenkt worden und hat dann zunächft unter Giebichenfteiner Gerichts-
barkeit geftanden. Erzbifchof Wichmann foll hier einen „Hof ‘ erbaut und
einen Hofmeifter (villicum) zu defTen Verwaltung eingefetzt haben; auch
fei Wichmann hier geftorben und feine Eingeweide feien hier begraben
worden, wie das chronicon montis sereni meldet.1 Als die Stadt vom Erz-
1 von Dreyhaupt meint, dafs der Autor diefes chronicon, der den Ort Conre fchreibe,
„ohnfehlbar" einen Schreibfehler begangen hätte.
B. D. d. Bau* u. Kunfid. N. F. I. 30
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
bilchof Otto vorfetzt worden war, wurde fie 1361 durch delTen Nachfolger,
den Erzbifchof Dietrich, wieder oingelöft und von ihm der nahe ge-
legenen Burg Alsleben (jenfeits der Saale im Mansfelder Seekreife) unter-
Hellt. Mit letzterer wiederum verpfändet wurde fie jedoch als nun 1470
Alsleben erblich an die von Krofigk kam, 1455 und 1479 durch die Erzbifchöfe
Friedrich und Ernß ausgenommen; fo gelangte fie wieder unter Giebichen-
fteiner Herrfchaft. Zu bemerken wäre noch, dafs im 15. Jahrhundert zu
Halle auch ein Pfännergefchlecht von Conre ausftarb. 1247 kommt von
diefer Familie ein Memzo de Conre vor, 1271 ein Theodoricus de Conre.
1305 wird als der Erbauer einer Kapelle vor dem Bernburger Thore zu
, Cönnern ein Gebhard von Conre genannt. 1390 find Cune und fein Bruder
Betheken von Conre hallefche Bürger.
Die Stadt liegt aut einem von Süden nach Norden abfallenden
Terrain und ift im Mittelalter mauerumgeben gewefen; es hat lieh jedoch
von diefer Beteiligung fowie von ihren vier Thoren nur ein Thurm mit
einem Mauerftücke an der Nordfeite der Stadt erhalten. Der Gefängnifs-
thurm „Sieh dich für* mit Namen, der neben dem Marktthore lag. 170;
neu ausgebaut worden ift und damals eine welfche Haube erhalten hat.
ift nicht mehr vorhanden. Die Stadt hat auffällig viele grofse Brand.-
erlebt; im Jahr 1473 ift fie halb abgebrannt, 1536 brannten 90 Wohn-
häufer ab, am 17. April 1569 gingen 125 Häufer durch F'euer zugrund.-
fodafs nur die Kirche und 20 Häufer erhalten blieben. 1597 wurden
43?Häufer, Scheunen und Ställe eingeäfchert und 1666 zu Neujahr gingen
70 Häufer, 63 Scheunen und aufserdem Ställe, Nebengebäude u. f. w. in
Flammen auf. 1669 endlich gingen auch die aus dem letzten Brande noch
übrig gebliebenen Häufer und dazu noch 13 inzwifchen neu erbaute, im
Ganzen 60 Häufer und 50 Scheunen nebft Ställen u. f. w. im F'euer zu-
grunde. Was Cönnern im dreifsigjährigen Kriege zu leiden gehabt hat.
geht aus f olgender Bemerkung von Dreyhaupts hervor : „In Summa, Cönnern
ift im 30jährigen Kriege dergeftalt mitgenommen und verwüftet worden,
dafs das Grafs auf dem Markte und GalTen gewachfen, und Bufchwerk in
den wüften Höfen und Häufern aufgefchofTen, fo dafs aus I-'urcht vor
Räubern und Wölffen fich niemand ficher durch die offene Stadt zu gehen
getrauet." Diefe Erlebniffe der Stadt im Verein mit grofsen Epidemien,
von denen auch Cönnern 'nicht verfchont geblieben ift, erklären den Wechfel
der Zahl der Einwohner und Häufer hinlänglich: im t6. Jahrhundert hatte
die Stadt 217 Häufer, 1623 nur 154 mit 190 Einwohuern. Nach dem dreifsig-
jährigen Kriege find wohl 180 Feuerftellen vorhanden gewefen, aber von
ditffen find nur 50 bewohnt worden und nur 36 Hausbefitzer hat es damals
gezählt; nicht einmal 4 Thlr. Steuern hat die Stadt erlegen können. Cm die
Mitte des 18. Jahrhunderts haben fich 180 Häufer innerhalb der Ringmauern
befunden. Unter den 1 läufercomplexen, welche fich im Laufe der Zeit als Vor-
ftadt angebaut haben, ift die „Freiheit“ bereits im 16. Jahrhundert entftanden.
und zwar dadurch, dafs fich die Bergleute hier anbauten, die in einem jener Zeit
angelegten Bergwerke befchäftigt waren. Es werden auch Juden als Ein-
wohner Cönnerns genannt, ob fie aber vor der Stadt in einem gefondert.-n
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CÖNNERN.
467
Quartiere gewohnt haben, ift nicht bekannt; unter der Regierung des Erz-
bifchofs Ern fl haben fie auch hier wie überall im Erzftifte fortziehen müfTen.
In der Stadt hat der vom Erzbifchof Wichmann angelegte Hof(?)als Dom-
herrenhof bis zur Reformation exiftirt. Es wird auch ein von Dillnow’fches
Rittergut erwähnt, deffen Thurm 1436 an die Stadtkirche übergegangen
ift, während das Gut felber bald darauf an die Stadt kam. Aus den Gutsge-
bäuden find ßürgerhäufer gemacht und der Platz ift feitdem der „Herren-
berg“ benamft worden. Ueber die älteren Gebäude wäre zu bemerken, dafs
die fchon genannte, 1305 erbaute Kapelle in Folge der Reformation einging;
das Gebäude diente als Wohnung und fpäter als Schmiede.
Das einzige erhaltene alte Gebäude von baulichem InterefTe ift die
dem h. Wenzel geweihte Kirche. Sie war in den älteften Zeiten das Archi-
diaconat eines der Magdeburger Domherren, welcher Archidiaconus Banni
Conre jedoch nicht in Perfon allhier plebanus war, fondern immer einen
Viceplebanus der Stadt zur Annahme vorfchlug. Im Jahre 1293 wird
Wipertus Canonicus Magdeburgensis als plebanus genannt.
Die Kirche liegt ziemlich hoch im Süden der Stadt; fie ift ein Bau-
werk, ■deffen Theile aus verfchiedenen Zeiten flammen, wie fchon aus
Fig. 248 der äufseren Anficht von Süden her erkannt wird. Der Thurm
bis faß zum Dache ift romanifch, in der Glockenftube fieht man noch
durch eine Säule zweigetheilte Schalllöcher. Der Helm ift barock und
wohl in Folge der Schenkungen entftanden, welche Peter Hohmann, der
Sohn eines armen Cönner'fchen Handwerkers, als Kaufmann zu Leipzig
reich geworden, feiner Vaterftadt und namentlich der Schule und Kirche
machte. Diefer Thurmhelm von niedriger Form und von einer durch zwei
übereinander gefetzte volutenartige Profillinien merkwürdig lebhaft ge-
wordener Silhouette giebt dem plumpen Thurme eine noch plumpere Be-
deckung und ift für das Weichbild der Stadt fehr charakteriftifch. Das
Langhaus ift eine zweifchiffige Hallenanlage aus den letzten Jahren des
15. Jahrhunderts. Es fehlt das füdliche Seitenfchiff ; das Mittelfchiff und
das nördliche Nebenfchiff find durch eine Reihe von fchlichten, achtfeitigen,
unter fich verbundenen Pfeilern getrennt. Das Schiff hat jetzt nur eine
gerade Balkendecke, ift aber wohl rückfichtlich feiner 5 Strebepfeiler auf
jeder Seite für vier Gewölbejoche beftimmt gewefen. Der Aufrifs gliedert
fich-zunächfl durch ein Kaffgefims, deffen Höhe wechfelt; über ihm wird
die Wand von fpitzbogigen, mit fpätgothifchem Maafswerk über zwei Pforten
gefüllten Fenftern durchbrochen; die Strebepfeiler find einhüftig und fchliefsen
oben mittelst eines Giebelchens nach vorn. Diefe einfache Architektur
würde immerhin einen befriedigenden Eindruck machen, wenn das Schiff
örtlich den projectirten Schlufs, vermutlich eine fünffeitige Apfide bekommen
hätte. Dafür aber ift im 16. Jahrhundert ein Raum an das Hauptfchiff an-
gebaut, der gänzlich ohne Kunftformen ift und an den fich örtlich noch eine
fünffeitige Apfide fchliefst. In dem Anbaue liegt nördlich die Sacriftei,
nämlich örtlich vor dem Nebenfchiffe, füdlich aber tritt der Anbau hinter die
Mauer des Schiffes zurück (f. Fig. 248). Im weftlichften Joche liegen fich
zwei Eingänge gegenüber; der auf der Nordfeite ift durch eine offene, mit
30*
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einem Rippengewölbe überdeckte, nicht tiefe Vorhalle ausgezeichnet, in
welcher eine Minuskelfchrift von 1491 befagt, dafs die Kirche dem
h. Wenzel geweiht ift. Das Profil der Rippen zeigt Fig. 249. Aufser-
dem lieft man die Jahreszahl 1O93 dort; diefelbe hat jedenfalls au*
DIE STADT HALLE u. d- SAALKREIS.
die bauliche Veränderung der Barockzeit (Thurm) Bezug. In welcher
Weife der Kirchenbau, der hier der Regel entgegen von Wellen -nach
Often fortgefchritten zu fein fcheint, weiter geführt worden ift, ergrebt
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CÖNNKKN.
4üg
die Jahreszahl 1498, welche wir am Schlufsfteine der zweiten, mehr örtlich
gelegenen Thür diefer Nordfeite lefen. Fig. 250 zeigt ihre Form. Schliefs-
lich ift noch die Jahreszahl 1510 zu nennen, welche am Schlufsfteine des
/wi fchen dem Schiffe und fpäteren Anbaue gelegenen Bogens im Kirchen-
inneren fleht.
In der Kirche verdienen nur die felbftändigen Kunftwerke
Beachtung, unter denen das ältefte der broncene TaufkefTel fein mag.
Fig. 251. Sein Gefäfs wird von drei männlichen Figuren, welche die Beine
Fig. 250.
bilden, getragen; es find zwei gleichförmige mit einem Lamme und eine mit
einem Buche. Diefe Figuren find aber nicht frei gearbeitet wie unter den
Taufkeffeln zu St. Ulrich und Marien in Halle,1 fondern vor einer Rückwand
hoch reliefirt. Jede fleht ihrerfeits noch einmal auf einem Fufse, welcher
den Kopf und die Vorderfüfse eines Bären darftellt, und hat über fich eine
confolenartige Bildung zur Aufnahme des Keffels. Der flachgebogene
Boden diefes KefTels fleht noch einmal auf einer Harken runden Stütze mit
architektonifcher Gliederung durch einen breiten Fufs, einige Capitälglieder
und durch ein Rundftabband um die Mitte des Schaftes. Den Keffel felbft
umgiebt unten ein Band von fpätgothifchen flachen Blättern, beiderfeits von
Rundfläbchen begleitet, die auch den etwas vortretenden oberen Rand um-
ziehen. Den breiten Raum zwifchen diefen oberen und unteren Bändern füllt
1 Vergl. II. Lief. S. 67 ff. u. Fig. 40 und IV. Lief., S. 187 ff.
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47«
I>1K Sl'ADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
eine Arkade von Ffelsrückenbögen zwifchen Fialen aus. In jedem Bogen-
felde lieht eine in der Vorderanficht reliefirte Figur, nämlich der Titelheilijjt
Wenzel als Ritter mit Krone, Schwert oder Scepter (?) und Schild im Mantri
dargellellt, drei Heilige je mit einem Buche, die Kreuzigung mit Maria und
Johannes neben dem Kreuze, ein Heiliger mit einem Schwerte und Buch«
ein Heiliger mit einem Buche und endlich die h. Katharina mit dem zer-
brochenen Rade und dem Schwerte. Die Ausführung diefer Figürchen ift
fkizzenhaft aber gut, doch nicht bei allen; fo ift z. B. die der h. Katharina
nicht zu loben, die ihres nachbarlichen Heiligen hingegen fehr wohl. Es
Fig. J51.
Taufkeffel.
ift hier diefelbe Technik wie bei den Kefleln der angeführten hallefchen
Kirchen befolgt: die Figuren, die fie umrahmende Arkade und die Füfse
find für fich hergeftellt und dann an den Keftel angefetzt. Uebrigens lieht
die Arbeit mit der jener hallefchen Keftel nicht auf gleicher Höhe; fie ift
auch um wenigftens ein halbes Jahrhundert jünger. Die jetzige Bemalung
und Vergoldung ift nicht mehr die urfprüngliche.
Der Altarauffatz ift ein Triptychon mit dreiviertellebensgrofsen Figuren in
farbiger Holzfchnitzerei. Im linken Flügel lieht die h. Katharina (?) mit dem
Schwerte und die h. Margaretha, die ari einem Drachen zu ihren Füfsen zu
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CÖNNEKN. 47 1
erkennen ift. Im Schreine folgt der h. Bifchof Wolfgang mit einem Kirchen-
modelle und einem Beile, dann als die Mittelfigur der h. Norbert als Bifchof dar-
geftellt, der einen Kelch hält und zu delTen Füfsen man einen ausgetriebenen
Teufel fieht, und der h. Erasmus, welcher als Bifchof mit der Winde dargeftellt
iß. Im rechten Flügel lieht ein Heiliger in Diaconentracht mit einem Buche
und ein zweiter Diacon, dem jetzt das Attribut fehlt. In der Predella be-
finden lieh die Halbfiguren (von links): ein nur mit einem Mantel bekleideter
Heiliger (Sebaftian ?), die gekrönte Maria mit dem Kinde, welches die goldene
Weltkugel hält, und ein h. Ritter, der einen Schafs- oder Schweinskopf hält
(Hubertus?). Als Umrahmung diefer Statuen dient fpätgothifches Blätterwerk,
der Hintergrund ift befternt. AuffafTung und Darftellung diefer Figuren ift
vortrefflich, namentlich auch der Gefichtsausdruck lehr charakteriftifch. Von
gleichem Kunftwerthe ift die Rückfeite der Flügel, welche mit Temperabildern
bemalt find: der linke (vom Befchauer) Flügel wird leider noch von werthlofen
barocken Leinwandgemälden verdeckt, die auch auf dem rechten fich be-
funden haben, hier aber fo weit abgerifTen find, dafs man die mit den ein-
fachften Mitteln herrlich dargeftellte Bifchofsfigur des h. Albanus erkennt,
welcher fein abgefchlagenes Haupt hält. Die Sicherheit der Pinfelführung
der grofsartige Stil und die Vorzüglichkeit des Gefichtsausdruckes machen
das Bild werth voll. Ob, wie man gemeint hat, der Verfertiger des Altares
Michael Wohlgemuth ift, mag dahingeftellt fein: der Schnitzer und Maler
fcheint hier die nämliche Perfon zu fein; jedenfalls war der Verfertiger einer
der begabteften Künftler. Der Schrein dürfte ehemals eine holzgefchnitzte
Bekrönung gehabt haben; von ihr Rheinen die vier Engelsfigürchen, welche
jetzt auf dem Kirchenboden liegen, übrig geblieben zu fein. Die beiden
gröfseren haben fcheinbar muficirt, die beiden kleineren knien unter
einer baldachinartigen Verzierung. Erwähnt werde hier zugleich der
mit diefen Figuren auf dem Boden liegende lebensgrofse Crucifixus,
welcher der Renaifiance, vielleicht dem 17. Jahrhundert, angehört. Ein
hölzerner kleiner Crucifixus von fehr realiftifcher Auffaffung befindet
fich in der Sacriftei ; er thut die Kenntnifs des Künftlers bezüglich der Mus-
kulatur kund. Erwähnt möge auch das ein Pelicanneft tragende Engels-
figürchen an der Kanzel werden; es iß gut gearbeitet und gehört dem
17. Jahrhundert an. Als letzte Sculptur fei der handwerklich gemachte
Grabftein von 1572 genannt, der an der Südfeite der Wand eingefugt
ift und eine lebensgrofse F'igur darflellt.
Die werthvollften Stücke diefer Kirche dürften die beiden Bruftbilder
im Chor fiidlich fein , die Luther und Melanchthon darftellen und von
Lukas Cranach dem Jüngeren 1562 auf Holz gemalt find. Sie find beide durch
einen fchlichten Rahmen vereinigt. Dafs fie unzweifelhaft von jenem Meifter
herrühren, ift weniger aus dem mit der Jahreszahl angebrachten Drachen
mit einem Ringe im Maule Fig. 252, dem Zeichen diefes Meifters, ficher
zu fchliefsen als vielmehr aus der Vortrefflichkeit der Malerei. Aller-
dings find die Farben verblichen — der Hintergrund ift licht neutral,
Luther ift mit einem dunkeln Chorrocke bekleidet, Melanchthon trägt
einen Pelzkragen , unter dem man einen rothen Rock fieht — aber
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Mi
DIE STADT HALLE u. J. SAALKKK1S.
die mcifterliche Zeichnung und fichere Pinfelführung läfst fich doch noch
an jedem Striche, befonders an den Pelz- und Barthaaren, fehen. Auch die
leichte Farbengebung der Fleifchtheile, die beiden Cranachs eigen iß, findet
fich hier.
Die Glocke von 0,47 ■ Durchmefler ift von intereflanter Form und ohne
Infchrift. Sie gehört wohl in das 13. Jahrhundert. Die Glocke von !,;$•
Durchmefler hat oben diefe in den Mantel eingeritzte Majuskelfchrift:
+ 0 R0Ä GLORI0 V0I?I fl P
Für X in REX ift ein A gefetzt mit einem Kreuz darin. Als Zierrath
ift ein hochreliefirter Crucifixus angebracht. Es ift freilich nur die bekleidete
Figur Chrifti, delfen Füfse auf einem suppedaneum liehen; das Kreut
fehlt. Ein Wachsmodell ift hierzu fchwerlich angewandt worden. Die
Fig. 252.
y 9 c z
Zeichen Lucas Cranach’s d. J.
auf einem Bilde Meianchthons.
Fig. 249.
Entflehungszeit dürfte die erfte Hälfte des 14. Jahrhunderts fein. Die Glocke
von i.io“ Durchmefler hat den Spruch:
LOBET DEN HERRN MIT HELLEN CYMBELN ALLES WAS
ODEN HAT und ferner lieht auf ihr ECKHART KVECHGER VON
ERFFORT GOSS MICH MDLXXXVI •
Die Glocke von 1,63“ Durchmefler hat oben eine Infchrift, in welcher
gefagt wird, dafs fie zum vierten male umgegoflen fei unter Hinzufüguntr
der Namen des Paftors u. f. w. Aufser pflanzlichen Zierrathen ift auf ihr
einerfeits eine fehr gut reliefirte Kreuzigung angebracht : Maria und Johanne:-
liehen zu den Seiten, die Figur der Maria Magdalena und einen Schädel
fieht man am Kreuzesftamme; über dem Kreuze find auch der Mond und
die Sonne und Engelchen zu fehen. Aut der anderen Seite der Glocke lieht
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CÖNNERN. (DACHRITZ mit) MERKE WITZ. DALKKA. 473
N. Wenzeslaus, der Titelheilige; er ift als geharnifchter Ritter mit Fahne
und Schild dargeftellt. Darunter lieft man:
DO MAN SCHRIEB 1614 IAR NACH CHRISTI GEBVRT 14 DIE
IARZAHL WAR MICH IACOB KÖNIG GEGOSSEN HAT ZV
EHRFVRT IN DER FRIEDLICHEN STAT, ZV CHRISTLICHER
PREDIG VND FROMMER LEVT BEGREBNVS ICH IEDERMAN
DEVT M - DC- XIV-
Der Gufs und die Form diefer Glocken find zu loben.
(Dachritz mit) Merkewitz.
Zwei zufammengehörige Dörfer an der Götfche, 9 km nördlich von
Halle gelegen; in letzterem liegt die Kirche, welche ein F'ilial der auf dem
Petersberge ift, weltlich vom Dorfe. Sie ift eine Anlage der Uebergangs-
zeit und hat einen dreiseitigen Schlufs in Often. Die Schallöcher find flach-
bogig überwölbt, nach aufsen aber durch eine Säule mit Spitzbögen aus-
gebildet. Die Capitäle haben eine Kelchform als Kern, um welchen fich
romanifche Ranken legen; auf die Entwicklung zu der gothifchen Capitäl-
form deutet noch nichts hin. Der Eingang liegt im Thurm auf derWeftfeite
(ob immer fchon ?) Man tritt zunächft in das mit einem alten Tonnengewölbe
überdeckte Thurmerdgefchofs. Im Schiff bemerkt man nördlich am Chor
ein Sacramentshäuschen. Der Taufftein gehört der Rcnaiffance an Die
Glocke mit dem Durchmeffer von 0,84“ ift von merkwürdiger Form, der
Uebergang vom Hälfe zur Haube ift fehr weich, unten verbreitert fich der
Kranz bedeutend; als Schmuck dienen mehre Reifen um den Hals, eine
Infchrift fehlt. Ob die Entstehungszeit das 13. Jahrhundert ift, kann nicht
beftimmt angegeben werden. Ueber die Glocke von o,64m Durchmeffer
heifst es in ihrer Auffchrift: 1708 goss mich Peter Becker in Halle.
Dalena.
Kirchdorf, F'ilial von Domnitz, 19 km nördlich von Halle gelegen. In
den alterten Zeiten lag hier eine Burg der Graffchaft Wettin, deren Refte
bis in das 18. Jahrhundert noch vorhanden gewefen find.1 Die Kirche, in-
mitten des Dorfes hoch gelegen, ift der h. Marie geweiht gewefen und ur-
fprünglich ein romanischer Bau. Sie ift verfchiedentlich, zuletzt 1876 derart
renovirt, dafs das Bauwerk jetzt bedeutungslos ift. Ein vergoldeter Kelch
der Kirche hat einen fechsblättrigen Fufs und einen runden Schaft, an dem
über dem Knaufe in Minuskeln Biarifl unter demfelben fj ilf fteht; an den
Zapfen des fehr platten Nodus lieft man Jl|tfj|$; die Cuppa ift geradlinig
im Profil und fchlicht rund. Das 16. Jahrhundert mufs als Entftehungszeit
angenommen werden.
1 von Dreyhaupt II, 402 § 3 meint, dafs (liefe Burg wahrfcheinlich die Riddagesburg
Kitthakenburgk) fei.
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474 WB STAIJT HALLE H. <1. SAALKKI'.tS.
Die Glocke von 0,56“ DurchmelTfr hat eine längliche Form mit ge-
wundenen Bändern oben, ift aber ohne Infchrift; Sie dürfte vielleicht noch
dem 13. Jahrhnndert angehören. Die Glocke von 9,87“ DurchmelTer ha:
als Infchrift einige hier bedeutungslofe Namen und folgenden Vers:
Quemque vocat aonitu: Verbo deus advocat omnes —
Non veniunt cuncti quae causa est? propria culpa.
Sie ift MDCCXI gegolten. Die Glocke von 0,7b“ DurchmelTer ift 18,37 (Toll
heifsen 1867) von C. A. Jauck, Glockengiefser in Leipzig gemacht.
Dammendorf,
zu dem das dabei gelegene Dorf Gödewitz gehört, ift ein Ptarrkirch-
dorf und Rittergut, 14,5 km. nordöftlich von Halle gelegen. Das Rättergut
Fig. 250.
Taufstein.
entftand dadurch, dafs 1450 Otto von Dieskau einen freien Sattelhof an lieh
brachte, der von feinen Söhnen an Chriftoph von Scheidingen kam und von
deffen Söhnen mit dem Sattelhofe derer von Götewitz vereinigt wurde. Die
nachfolgenden Befitzer lind bei von Dreyhaupt II 8g 1 angegeben. Die
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L) ALLNA. DAMMINOOKK. DKUTLK1IKN. 1)1 KM HZ.
475
Kirche liegt im Dorfe; fie ift ehemals eine filia vaga zeitvveife zu Spicken-
dorf, zeitweife zu Schwertz gewefen, 1677 aber Pfarrkirche geworden. 1680
ist da.s Gebäude renovirt und mit einem Dache verfehen worden; auch ein
neuer Altar ift hineingefetzt. Ein neuer Thurm hat 1743 fchon wieder wegen
liaufalligkeit abgebrochen werden mülfen, 1745 ift dann der jetzige fertig
gewefen. Das Gebäude, örtlich gerade gefchlofTen, ift bedeutungslos. Den
Taufftein ftellt Fig. 250 dar. Er ift fpätmittelalterlich ausgebildet und aus
unbekannten Gründen gleichlam auf den Kopf geftellt. Der ehemalige Fufs
hat eine Vertiefung erhalten, in die das Becken geftellt wird, während das
alte Iiehältnifs als Fufs dient. Der Altar ift zwar weifs angeftrichen, aber
feine barocken, etwas rohen P'ormen, die Geh gut auf bauen und eine gute
Silhouette geben, find wohl erhalten. Auch Refte eines fpätgothifchen
Sacramentshäuschen Geht man nördlich. An der Kanzel fällt eine Sanduhr
auf, welche ein beachtenswerthes fchmiedeifemes Geftell hat.
Die Glocke von 0,50“ Durchmeffer hat nur unten einen ftarken Reif,
aber weder andere Zierrathe noch eine Inschrift; ihre Form ift länglich;
fie ift wohl in das 13. Jahrhundert zu fetzen. Die Glocke von 0,95“ Durch-
messer hat die Minuskelumfchrift:
hilf got am« il "1^50 ra 'tacr «1» •
Deutleben.
Kirchdorf, Filial von Neutz 14.5 km nordweftlich von Halle. Aeltere
Formen des Namens find; 1079 Deidenlibe, Deidenleibe. Dudeleben, Deute-
leben. Die Kirche, urfprünglich eine Prälatur, wurde nach der Reformation
von dem Magdeburger Domkapital zum Filial der Wettiner Kirche gemacht,
bei welcher auch die Gerichtsbarkeit über das Dorf ftand. Die Kirche,
ziemlich frei nördlich vor dem Dorfe liegend, ift ganz neu in rotnanifirenden
Formen erbaut.
Die Glocke von 0,50 m Durchmeffer hat eine längliche Form und ift
infchriftslos; ihr Alter geht wahr fcheinlich in die romanifche Epoche zurück.
Ueber fie geht im Volke die Sage, die ja auch an andern Orten gefunden
wird, dafs eine Sau fie aus der Erde hervorgewühlt habe (Saufang). Die
Glocke von o,8om Durchmeffer hat keine Infchrift, ift aber am Hälfe mit
Medaillons, in denen die Symbole der Evangelisten und Crucifixe flehen,
geziert; fie gehört fpäteftens in den Anfang des 14. Jahrhunderts, Die
Glocke von 1,00"* Durchmeffer hat MDCCVIII Peter Becker in Halle ge-
golTen.
Diemitz.
Kirchdorf, 1,5 km örtlich von Halle gelegen, ift früher Demenitz ge-
heifsen. 1414 gerieth das Dorf, als der Graf von Schwartzburg , der die
Stadt Halle in Streitigkeiten derfelben mit dem Erzbifchofe Günther belagerte
und dabei das Getreide auf dem Felde anzündete, ebenfalls in Brand, durch
den es gänzlich eingeäfchert wurde. Der Erzbifchof foll den Einwohnern
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476
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
als Erfatz einige Ländereien „gegen einen jährlichen Erbzins und Hand-
fröhne“ gegeben haben. Auf diefen Grundftücken entfland das Dorf vor.
Neuem, lag nun aber mehr (nord/Weftlich als vordem, fodafs die Kirche,
von der die Mauern im Brande erhalten geblieben waren, jetzt ganz allein
vor dem Dorfe örtlich liegt. Im 15. Jahrhundert im Befitze der Familie
Pisker, gelangte es durch Kauf an den Rath der Stadt Halle, ging aber
auf Betrieb Henning Strobarts in delfen Belitz über, der es 1454 an den
Erzbifchof Friedrich abtreten mufste. Zu Diemitz war auch ein Klofterhut
des Klofters zu Gerbftädt, welcher zur Reformationszeit an den Grafen von
Mansfeld und dann durch Kauf an den hallefchen Rath gelangte. Am
26. Januar 1636 liefs der General Banner das Dorf niederbrennen, bei
welcher Gelegenheit auch der Klofterhof zu Grunde ging mit Ausnahme
der Kirche, die zu ihm gehörte. Doch auch fie wurde dann durch die
kaiferlichen Truppen verwüftet, indem ihre Kanzel, die Emporen und Stühle
den Soldaten das Brennmaterial für die Wachtfeuer liefern mufsten. Die
Einwohner zogen nun in die hallefchen Vorftädte. Erft 1645, “l-s eine
Feuersbrunft zu Halle namentlich auch die Häufer der Steinthorvorftadt.
in der viele Diemitzer Wohnung genommen hatten, verzehrte, kehrten fie
wieder in ihr wüftes Dorf zurück, erbauten neue Häufer und ftellten die
Kirche her; 1647 konnte zuerft in ihr gepredigt werden Die Kirche, nach
der Reformation Filial der Ulrichskirche zu Halle, war Johannes dem Täufer
geweiht. Ihre Gründung läfst lieh nicht mehr feftftellen. Das Gebäude
fchliefst örtlich dreifeitig und hat keinen Thurm, doch einen P'achwerks-
dachreiter in Werten. Bei der Wiederherftellung ift im Norden ein Empor-
anbau hinzugefügt.
Die Glocke von 0,79 “ Durchmefifer, welche ohne Infchrift ift und einen
weit ausladenden Kranz hat, gehört wohl der frühgothifchen Zeit an. Die
Glocke von 0,60" DurchmelTer ift ebenfalls ohne Infchrift, hat aber mehrere
Bracteatenzierrathe ; fie iß wohl mit der genannten gleichzeitig gegolten.
Beide find hier 1755 autgehängt worden.
Dieskau.
Pfarrkirchdorf und Rittergut 6 km füdlich von Halle gelegen. I)a->
im 18. Jahrhundert ausgeftorbene Gefchlecht derer von -Dieskau hatte hier
feinen Stammfttz; einen Lehnbriel von 1379 theilt von Dreyhaupt Il.fjoi
Nr. 578 mit. 1746 kam das Rittergut in den Befitz des braunfchweigifchen
Amtmanns Alburg. DasSchlofs flammt aus dem 16. Jahrhundert. Bekannt
ift die getäfelte Decke eines Saales, auf deren Feldern die fogenannten
100 Narren, von denen aber nur einige fiebenzig vorhanden gewefen find,
mit zugefugten Reimen in Oel gemalt waren. Neuerdings ift das Gebäude
ziemlich ftilgemäfs reftaurirt worden. Die Kirche S. Annae liegt im Dorfe; fie
ift 1728 dergestalt repariret, dafs fie jetzt namentlich im Innern als barock gelten
mufs. Unter ihr foll das gewölbte Erbbegräbnis derer von Dieskau fein.
Als gute barocke Arbeiten find der Taufbeckenunterfatz und das
Notenpult bemerkenswert!!. An der Nordwand in der Kirche befindet fich
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DIEMITZ. DIESKAU. DORIS.
477
das barocke Epitaphium des geheimen Rathes Carl von Oiesskau (die In-
schrift giebt von Dreyhaupt II, 894). Es befteht aus weifsem und fchwarzem
Steine, hat viele Wappen als Schmuck und theatralifch bewegte Statuen,
wie folche diefer Stilperiode eigen find. Auf der Südfeite befindet fich in
einem Ausbau ein modernes Grabmal aus weifsem Marmor; lebensgrofse
allegorifche Figuren find in der geleckten Zopfweife ausgeführt, fie follen
von Canova fein. Ein Kelch von 1651 ift nicht bedeutend.
Die Glocke von 1,13“ Durchmelfer trägt die Minuskelumfchrift :
0 rrz |lorir «ItriÄr ocni cum pacc anno Domini miUrfimo qaaDringrntrfiuio
rcpluoicima 9.
Die Glocke von 0,47 “ Durchmelfer hat Georg»; Dors und Hans Wetten 1624 zu
Halle gegolfen. Die Glocke von 1,27 ■ Durchmelfer ift von Jacob H offmann aus
Halle MDCXCVIIII gegoften.
Dobis.
Kirchdorf, Filial von DöfTel, 20km nordweftlich von Halle gelegen, im
18. Jahrhundert noch Dobitz gefchriebcn, war wie DöfTel ein Obedienzdorf
des Magdeburger Domcapitels und kam im 17. Jahrhundert an die Familie
Brummer zu Mücheln. Die Kirche liegt auf einer Anhöhe im Dorf und ift
romanifchen Urfprungs, in fpätgothifcher Zeit aber, weil fie recht klein ge-
wefen zu fein fcheint, durch einen dreifeitig gefchlofTenen Choranbau ver-
längert. Auch in neueren Zeiten ift fie erfichtlicherweife mehrfach
baulichen Veränderungen unterworfen gewefen, doch haben fich noch
romanifche Kunftformen erhalten, fo ein Tympanon über dem Eingänge
KiR. 251.
Thürfturz^ncben dem Sacramentshäuschen.
auf der Südfeite. Es gleicht dem in (Schlettau und) Böllberg f. Fig. 235.
In dem gothifchen Anbau finden fich nördlich die Refte eines Sacra-
mentsfchreines und einer Thür, welche vermuthlich nach des Pfarrers
Wohnung führte und nicht von den Kirclienbefuchern benutzt wurde. Ihr
Sturz hat die in Fig. 251 dargeftellte Form. Die aus Faubfägearbeit
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
beftehenden Schiebefenfter an dem Beichtftuhle , welcher an der Nordwand
lieht, giebt big. 252. Sie find früheftens gegen Ende des 16. Jahrhundert'
entftanden und gewifs von einem gewöhnlichen Tifchler zu Dobis erfunden
daraus erklärt fich die etwas faloppe Ausführung. Immerhin läfst lieh an
Fig. 252.
Obcrthcil des Beichtftuhles.
ihnen erkennen, dafs zu jener Zeit ein Gefühl für gute Formen im Volke lebte,
wie es die Gegenwart noch entbehrt. Auf billigere Weife als durch wirk-
liches Auslagen des Holzes ift der Vertäfelung der Nordwand ein Schmuck
durch Auffchabloniren eines folchen Laublägemufters zu Theil geworden.
Die Glocke von 0,44“ DurchmelTer ift ohne Infchrift und gehört wohl in
das 13. Jahrhundert.
Die Glocke von 0,86 m DurchmelTer hat oben die Majuskelumfchrift:
+ Dam TRAhOR ÄaniTa voao vos ad saora aei?im
Die Glocke von 0.79" DurchmelTer hat oben die MinuskelumTchrift:
l|ilf marin Aiua Dam. 1414.
DORIS. DÖBLITZ.
479
Döblitz.
Kirchdorf, Filial von Wettin, in vorigem Jahrhundert von Neutz, 12 km
nordwcftlich von Halle am rechten Saalufer gelegen. Das Dorf hat anfangs
zum Klofter der Deutfehherren in Mücheln gehört, 1286 wird es in einer
Schenkungsurkunde des Grafen Otto von Brena erwähnt (von Dreyhaupt
II.804. Doc. Nr. 530). Die Kirche liegt im Dorfe und ift urfprünglich nur
ein einfaches kapellenartiges Gebäude von oblongem Grundrifs gewefen und
der Technik nach in fpätromanifcher oder frühgothifcher Zeit erbaut. Der
Thurm ift äugen fcheinlich erft fpäter zugefügt. Ebenfo der Anbau auf der
Südfeite, welcher die Gruft für eine vornehme Familie enthält. Auf dem
Oftgiebel hat fich ein gleichfchenkeliges Steinkreuz erhalten, dadurch be-
merkenswerth , dafs die Schenkel in der Weife wie Fig. 253 darthut, mit
Fig- 253-
Kreuz auf dem Oftgicbcl der Kirche.
halbkreisförmigen Ausfchnitten an den Kanten verziert find. Der Eingang auf
der Nordfeite hat ein Rundftabprofil am Gewände. Die Altar menfa enthält
ein leeres fepulchrum; an Stelle des Schreines ift die Kanzel gefetzt, und
jener ift rechts neben diefer angebracht. In feinem linken Flügel liehen die
Schnitzfiguren Elifabeth (?) mit einem Buche und einem Unthiere zu Füfsen
und ein unbekannter Heiliger in Diaconentracht mit einem Buche und
Schwerte, im Schreine felbft befindet fich die h. Margaretha, als Hauptfigur
die h. Anna felbdritt und dann noch die h. Katharina, im rechten Flügel
folgt ein Heiliger mit einem Buche, aut dem ein Ochs liegt (S. Euftachius?)
und ein Bifchof ohne Kennzeichen. Die Schnitzerei ift einfach aber gut.
Die Kanzel ift ein kunftformal beachtenswerthes Stück der Tifchlerei der
erften Jahrzehnte des 17. Jahrhunderts. Wir geben in F'ig. 254 die Zeichnung
einer ihrer acht Seiten. Eine Abwechfelung der Motive findet nicht ftatt,
es ift daher wahrfcheinlich, dafs ein Wechfel durch die F'ärbung namentlich
in Bildern beabfichtigt war. Der Verfertiger war, wie aus verfchiedenen
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480
DIR STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Details 211 fchliefsen ift, wahrfcheinlich nur ein ländlicher Meifter, feine
Arbeit verräth aber den tüchtigen Mann.
Fig. 254-
Stückfder^Kanzel.
Die Glocken jetzt von 1,02", o,8om und 0,67" DurchmelTer haben die
Gebr. Ulrich in Laucha 1854 umgegoffen.
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DÖBLITZ. DÖLAU.
4<il
Dölau.
Kirchdorf, Filial von Lettin, 5,5 km. weltlich von Halle auf der linken
Saalfeite des Kreifes gelegen. Die Kirche liegt nördlich vom Dorfe frei
im Felde; fie ifl dem h. Nicolaus und Antonius geweiht gewefen. Das Lang-
haus ift örtlich gerade gefchlolTen und hat
weltlich einen Thurm, welcher das in Fig. 255
dargeftellte Fenfter an feiner Weftfeite zeigt,
auch an der Südfeite dürfte ein ähnliches
vorhanden gewefen fein Die Schalllöcher find
äugen fcheinlich fpäter verändert. Die Thurm-
giebel gegen Süden und Norden und der Oft-
giebel des Langhaufes haben ihre urlprüng-
liche Bekrönung mit Steinkreuzen bewahrt.
Der Eingang auf der Südfeite hat einen
wohl nicht alten Vorbau; fein Lichten
ift fpitzbogig, ebenfo das einer Thür, welche
von dem Schiffe in den tonnengewölbten Erd-
gefchofsraum des Thurmes führt. Ob noch
Reite der ehemaligen Fenfter vorhanden
find, kann nicht angegeben werden,
weil die Wände überputzt find; jedoch
erkennt man an einigen Stellen eine Mauertechnik, die der zu Lettin (f. weiter
unten) ähnlich ift. Aus diefen Architekturformen geht hervor, dafs diefer
Bau der Uebergangszeit angehört, vermuthlich jedoch erlt gegen' die Mitte
des 13. Jahrhunderts ausgefuhrt ift. Unter den Kunltwerken nennen wir zuerft
das in der Chorwand nördlich gelegene Sacramentshäuschen. Es hat eine
abweichende Bildung, indem hier nicht wie bei den übrigen im Saalkreife
feitliche Fialen die Thür einrahmen, fondem die Oeffnung von einer fpät-
gothifchen Profilirung aus Rundltäben, Kehlen und Plättchen beltehend
umgeben wird. Eine Durchdringung diefes Profils bildet die Bekrönung
des Schreines, und in diefer lieht eine flach reliefirte Minuskelfchritt mit einer
Jahreszahl, die aber wegen eines Kalkfarbenanftriches und der Unzugäng-
lichkeit des Stückes (hinter den Bälgen der Orgel gelegen) nicht hat ent-
ziffert werden können. Wahrfcheinlich ift, dafs hier die Jahreszahl 1440
lieht . welche von Dreyhaupt II, 895 als hinter dem Altar in Stein gehauen
anführt. Der Flügelfchrein des Altares enthält folgende Figuren ; im linken
Flügel fleht oben der h. Johannes mit dem Kelche und die h. Magdalena,
die eine Büchfe hält, unten: der h. Caffius mit einem Schilde auf einem
Drachen flehend und der h. Stephan mit Steinen , in der erften Ab-
theilung des Schreines lieht man oben eine nicht mehr zu erkennende
Heilige , unten die h. Margaretha mit dem Drachen ; es folgt als die
Hauptheilige Maria mit dem Kinde, welche im gröfsern Maafsltabe ge-
halten ift, in der letzten Abtheilung des eigentlichen Schreines lieht
oben die h. Elifabeth mit dem Korbe, unten eine nicht mehr erkennbare
Heilige. Im rechten F'lügel lieht oben ein h. Bifchof und ein h. Ritter,
B. D. d. Bau* u. Kunstd. N. F. I. 32
Fig. 255-
Thurmfenfter.
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482
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
unten ein nicht erkennbarer Heiliger und neben ihm ein Bifchof mit dem
Kirchenmodelle (Norbert?) Die Arbeit ift gut, man bemerkt keine S-linien-
haltung, viel Naturwahrheit und einen interelTanten Faltenwurf. Ein
meffingenes Taufbecken trägt mitten im Boden die Darftellung der Kumi-
fchafter von Jericho, die auf einer Stange eine grofse Weintraube tragen.
Umgeben ift diefe Darftellung, zu der der Stempel wohl im lö. Jahrhundert
gemacht ift, von einem fpätgothifchen Kranze des bekannten Motivs von
Blättern, die um einen Mittelftiel liegen. Auf dem Rande lieht:
Dieses Becken hat in die Kirche nach Dölau ver ehret Fl Christof
Tehler den 3. April 1606;
hieraus ergiebt lieh unzweifelhaft, dafs diefe, fpätgothifches Ornament
zeigenden, Becken noch im 17. Jahrhundert hergeftellt wurden.
Die Glocken von 0,85“ und 0,65“ Durchmefter find 186O von den Ge-
brüdern Franz und Gottfried Ulrich in Laucha gegoften. Die Kirche hatte
noch eine dritte Glocke , welche jetzt auf dem Schulhofe hängt ; fie hat
0,47" Durchmeffer, ift von länglicher F'orm und hat oben die Majuskelutn-
lchrift (Wachsmodell):
+ VOX DOMIPI S3B ÄqVÄS
Ihre Entftehungszeit dürfte die Mitte des 14. Jahrhunderts fein.
Nördlich nicht fern von der Kirche lieht im Felde feit uralter Zeit ein
mächtiger, innen hohler Stein pollamentartig in die Höhe gerichtet. Es füll
nach der landläufigen Annahme , die bereits vog Dreyhaupt erzählt , auf
ihm das Bild der Göttin Aftor" oder Oller gellanden haben, daher auch die
dortige Feldmark Oftrau genannt wird.
Döllnitz.
Kirchdorf. Filial von Burgliebenau im Merfeburger Kreife, und Ritter-
gut 9 km Eidlich von Halle an der weifsen Elfter gelegen. Die Befitzerreihe
des Rittergutes, welches baulich nichts Bemerkenswerthes bietet, giebt von
Dreyhaupt II, 896 an. Das barocke, im Dorfe gelegene Kirchengebäude
ift ohne Bedeutung. An der Holzdecke find grofse Gemälde in brauner
Farbe ausgeführt und mit Fruchtguirlanden umkränzt. Am Altäre find
rechts und links gute, doch angellrichene Holzfchnitzereien, die Grablegung
und Chrillus neben Gott, darunter drei Engel, alles wolkenumhüllt. Der
Taufftein fowie die nördlich ausgebaute Empore find in barocker Weife gut
ornamentirt.
Die Glocke von 1,13" DurchmefTer hat die Infchrift:
Durch’s Feuer bin ich geflossen Peter Becker in Halle hat mich
gegossen. Anno 1708.
Die Glocke von 0,96“ Durchmeffer ift 1870 von den Gebr. Ulrich in
Laucha gegoften.
Die Glocke von 0,79“ Durchmefter hat 1881 J. A. Jauck in Leipzig
gegoften.
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DÖLAU. DÖLLNITZ. DÖSSEL. DOMNITZ.
483
Fic. 256.
Dössel.
Pfarrkirchdorf, 18.5 km nordwedlich von Halle, war ehemals ein Obe-
dienzdorf des Magdeburger Domcapitels. Die Kirche, im Dorfe etwas hoch
gelegen , id wohl urfprünglich romanifch gewefen , aber fpäter verändert
worden. Sie fchliefst örtlich mit gerader Wand und
hat modern gothilirende Fender. Ein romanifches
Profil hat der Kämpfer des Bogens zwifchen
Schiff und Thurm Fig. 256. Die Kirche befitzt
einen Kelch von 1648, der das Gefchenk eines
Domherrn von Berndein id. Dellen und feiner
Frau (von Bennigfen) Wappen und zwifchen beiden
als Signaculum einen Crucifixus lieht man am
Kelche angebracht.
Die Glocke von 0,40“ DurchmelTer id ohne
Infchrift; fie fowie die von 0,81 m DurchmelTer,
die auch infchrittslos id, gehören wohl beide dem
13. Jahrhundert an. Die Glocke von 1,0“ Durch-
melTer hat die Infchrift in Majuskeln:
Kämpfer am Bogen zwifchen
Thurm und Schiff.
sit re pcstätv pcr nie «ei?vs omi?e (rvgätv)
und dürfte in die Mitte des 14. Jahrhunderts zu fetzen fein. Die Glocke
von 1,10" DurchmelTer hat die Minuskelinfchrift :
+ M uc 21 iiir gut marin brritff
Auf der einen Seite id die reliefirte Halbfigur der Maria mit dem
Kinde, auf der andern die Halbfigur eines Papdes (?) als Zierrath angebraht.
Domnitz.
Pfarrkirchdorf, Didanzdation der Halle- Afchersleben - Halberdädter
Eifenbahn, 18 km nordwedfich von Halle gelegen. Das Dorf id urfprünglich
Tumelwitz genannt. Es lag in ihm fchon im frühen Mittelalter, wahrfchein-
lich vom Grafen Riddag oder vom Markgrafen Conrad von Meifsen 1137
angelegt, ein nach der Reformation zu einem Vorwerke gewordener Kloder-
hof, welcher dem Nonnenkloder zu Gerbdädt gehörte. Zu Anfang des
16. Jahrhunderts eigneten lieh diefen Hof die Grafen von Mansfeld wider-
rechtlich an und verkauften ihn an den Rath zu Halle. Dagegen protedirte
die Aebtiffin, doch willigte fie endlich in einen Verkauf an die Grafen, die
feitdem das Beleihungsrecht hatten. Heute fällt an den Gebäuden des
Gutes kaum etwas Bemerkenswerthes auf, es fei denn ein Thurm, der in
feinen untern Theilen aus dem 16. oder 17. Jahrhundert dämmen wird.
Das Patronatsrecht über die Kirche S. Johannis Baptidae, welche im Dorfe
ödlich liegt, hat zu dem Kloderhofe gehört. Ueber das Gebäude wäre zu
Tagen, dafs es eine (fpät)romanifche und fpäter veränderte Anlage id. Der
Thurm, im Grundrifs ein von Norden nach Süden längeres Rechteck, hat in
feiner Glockendube an den kürzeren Seiten je ein dreitheiliges Fender,
3»*
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484
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKEIS.
an den langem je zwei zweitheilige , eine Co üppige Ausbildung, wie
fie zum amlern Male im FC reife nicht wiedergefunden wird. Auch da»
Steinkreuz welches fich theil weife auf einem Thurmgiebel erhalten hat, ili
dadurch reicher ausgeßaltet als alle übrigen im Kreife, dals es von einem
Kreife umfchloffen wird. Auf der Südempore bemerkt man die The i I e
eines fpätgothifchen (?) Geßühls.1 Ein meflingenes Taufbecken hat eine un-
leferliche Minuskel verzierung und lieht auf einem fchönen barocken Tautlleine
Die Glocke mit o,qü“ Durchmeffer ill oben mit Medaillons, Maria
mit dem Kinde, Crucifixus und anderen verziert, aber ohne lnfchrift; fie
gehört wohl noch dem 13. Jahrhundert an. Die Glocke von 1 10“ Durch-
meffer hat die Majuskelinfchrift:
+ SIT • TEPESTÄTV PER . HE • fc>EI?VS • OMI?E • FVGÄTV.
Diefelbe gehört in die Mitte des 1 j. Jahrhunderts. Die Glocke von
0.36“ DurchmelTer hat Joh. Chriß. Bachmann Anno 1731 gegolTen
Dornitz.
Kirchdorf, Filial von Kirchedlau, 20km nordweltlich von Halle, ge-
hörte urfprünglich zur Gralfchaft Alsleben, mit welcher es alsdann an d;.~
Magdeburger Erzllift kam. 1484 ill es an die von Ammendorf auf Rothen-
burg verkauft. Die Kirche ifl 1714 von dem Amtmann Stocher zu Rothen-
burg faß ganz neu erbaut; fie hat ößl ich einen geraden Schlufs; das Thurm-
erdgefchofs iß überwölbt. In der Ecke des Friedhofs liegt der alte
romanifche (?) roh gefertigte Taufßein. In hohem Grade beachtenswert!! iß der
Altarfchrein, welcher fich jetzt auf der Nordempore an der Oßwand befindet.
Es ill ein Triptychon mit folgenden gefchnitzten und gefärbten Figuren; in
jeder Abtheilung der beiden zweitheiligen Flügel liehen zwei Figuren und
zwar links vier weibliche, rechts vier männliche, im Schreine felbß ßeht ein
Heiliger mit einem Buche, neben ihm als die Hauptfigur Maria mit dem
Kinde und dann der h. Stephan mit Steinen. Die Arbeit iß von befonderem
Kunßwerthe, fehr einfach aber fehr gefchickt gefchnitzt.
Gleichzeitig fcheinen die beiden Glocken von 0,9g“ und 0.49“ Durch-
mefler zu fein, die beide ohne lnfchrift und von länglicher Form find. Se
werden um die Mitte des 13. Jahrhunderts fpäteßens gemacht fein. Die
Glocke von 1,22“ Durchmeffer iß 1828 umgegoßen von F'. See aus Weimar
Sie iß 1500 zuerß gegolTen und 1718 von Peter Becker bereits einmal um-
gegoffen gewefen.
Eismannsdorf.
Kirchdorf, Filial von Brachßedt, 12 km nordößlich von Halle gelegen
Die Kirche SS. Simonis et Judae liegt füdweßlich im Dorfe und iß eine
1 Von ,1cm Alure, welcher aus 4er Moritzkirchc zu Halle nach der Reformation hier-
her gekommen fein foll, ift nichts mehr vorhanden.
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IJOMNITZ. UOKMITZ. EISMANNSDOKF. GAKSEN'A. (85
einfache, fcheinbnr* romanifehe Anlage, laß ganz ohne Kunftformen; nur
am Schiff haben lieh geringe Reife von romanifchen Fenftern erhalten.
Der Thurm hat nur in Bruchfteinen ausgeführte Oeffnungen und fein Ge-
mäuer ift dadurch merkwürdig, dafs es höchlt roh ohne Eckquadern und
uhne Mörtel in den äufseren Fugen hergeftellt ift, nichts defto weniger aber
der Fertigkeit nicht entbehrt. Das Ausfehen diefer Porphyrwände, namentlich
der weltlichen, ift bizarr und malerifch. Es ift anzunehmen, dafs diefe Aus-
tührungsweife älter als die viel häufigere und folidere mit Eckquaderung
ift, aber es kann mit Beftimmtheit darüber nichts angegeben werden. Ein
Taufbecken von Meiling mit der Darftellung der Verkündigung Mariae und
unleferlichen Minuskeln als Einfaffung diefer Darftellung ift der einzige
anerkennungswerthe Gegenftand. Eine Glocke von 0,90“ Durchmeffer haben
die Gebrüder Ulrich zu Apolda und Laucha gegofTen. Eine zweite mifst
0,73 “ und eine dritte 0,60“ im Durchmeffer.
Garsena.
Kirchdorf, Filial von Rothenburg, 21 km nordweftlich von Halle ge-
legen, in welchem zu den alterten Zeiten ein Adelsgefchlecht gewohnt hat.
1286 wird ein Cunze de Corzene miles erwähnt, und 1294 war der Probft
des Petersbergklofters ein Friedrich von Gorcene. Als diefes Gefchlecht
ausstarb, kamen feine Güter an die Domdechanei zu Magdeburg, von
welcher die Güter als Mannlehn an Verfchiedene (Otto von Wörpzig, die
von Schennewitz, von Ammendorf und an andere) gegeben wurden. Das
Dorf hat im 13. Jahrhundert den Grafen von Reinftein gehört und diefe
haben es ftückweife dem Klofter Michaelftein gefchenkt, von welchem es
1276 dem hallefchen Moritzklofter verkauft wurde. Die von Schennewitz,
die klöfterlicherfeits nun damit beliehen wurden, verkauften ihr Lehn 1480
an die von Ammendorf zu Rothenburg, welcher Umftand das Dorf mit den
Gerichten und dem Pfarrlehn an Rothenburg gebracht hat. Die dem
h. Georg1 2 geweihte Kirche liegt örtlich aufserhalb des Dorfes und ift ein
unbedeutendes Bauwerk von oblongem Grundrifs. Am 27. Auguft 181 1
vom Blitze getroffen und niedergebrannt ift fie in ihrer jetzigen Geftalt mit
einem Fachwerksthurm wiedergebauet. Der fpätgothifche (?) Taufflein ift
auf VeranlafTung der Regierung in die Kirche zurückgebracht. Ein
(Kranken)-Kelch wird dem 16. Jahrhundert angehören. Ein Weinbehältnifs
ift 1741 gemacht.
Die im Brande fchadhaft gewordenen Glocken find zu der jetzigen von
0,80 ■ Durchmeffer 1814 durch G. G. Becker in Halle umgegoffen.
1 Denn, da nach von Dreyhaupt 11,898 die Kirche „ein alt baufällig Gebäude“ fchon
im 18. Jahrhundert war, fo wäre es möglich, dafs fie unter Benutzung romanifcher Refte neu
gebaut wäre.
2 Der Schulze erzählt, die Statue des h. Georg fei in einer füdöftlichen Kirchennifchc
aufgeftellt gewefen, weil diefer Heilige, als die Garfcner ihn fufsfallig gebeten die Plünderung und
Zerftörung des Dorfes abzuwenden, nur unter der Bedingung fie gehört habe, dafs fein Bild ewig
in der Kirche aufbewahrl werde; jedoch habe man die Statue neuerdings verfchwinden laffen.
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486
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Giebichcnstein.
Pfarrkirchdorf vun 8055 Einwohnern mit königlicher Domaine und einer
Burgruine nördlich an das hallefche Stadtgebiet angrenzend. Die Häufer
des Dorfes umfchliefsen weltlich, füdlich und öftlich die unmittelbar an dem
rechten Saalufer auf einem Felfen liegende Burgruine. Schon in den
früheflen Zeiten hat diefer Felfen wegen feiner natürlichen Unzugänglichkeit
und feiner die Saale beherrfchenden Lage Bedeutung gehabt. Es fcheint
nicht unberechtigt, anzunehmen, dafs hier eine Verehrung des Wodan ftattge-
habt habe, ein Umfland, mit welchem auch die Namensentftehung in Zufammen-
hang gebracht wird. Die alterten F'ormen des Namens find: 980 Stein, Wikan-
ßein, Witcanftein, dann Gevekenftein, Ivikanften, Gevikenften, Gebikenftein.
Gevikenftein.1 Den Drusus für den (fründer einer Burg hier zu halten,
welche auf dem Hügel öftlich von der jetzigen mittelalterlichen Burgruine
geftanden habe, ift auf die dafür angeführten Gründe hin noch nicht zu ge-
ftatten: doch ift von folchen Notiz zu nehmen. Von Dreyhaupt meldet näm-
lich, dafs fich auf dem örtlichen Hügel „annoch vor kurtzen,“ alfo vor 1740,
Rudera des Schlofses auf der Stelle, wohin „das eine Lufthaus“ (flehe die
Abbildung bei von Dreyhaupt II, 850—851) erbauet fei, gefunden hätten,
auch feien namentlich 1718 bei Anlegung des Schlofsgartens viele römifche
filberne und kupferne Münzen aus den erften Jahrhunderten gefunden. Ohne
Ausgrabung der etwa jetzt noch vorhandenen Mauerrefte ift der Nachweis
römifchen Mauerwerks nicht zu erbringen. Die gefundenen Münzen beweifen
nur, dafs die Inhaber des Platzes fich des römifchen Geldes bedienten, nicht
dafs fie Römer waren. 961 oder 965, bevor noch das Erzftift Magdeburg
gefchaffen war, ging Giebichenftein an die Moritzkirche zu Magdeburg vom
Kaifer Otto I., der es wiederum von dem Markgrafen Riddag von Merfe-
burg erhielt, über, eine Schenkung, die 973 von Otto II. und 984 von Otto III.
beftätigt ward. Die Burg, bis zum 12. Jahrhundert unter Burggrafen, dann
unter Hauptleuten ftehend, war nun bis zur Vollendung der Moritzburg in
Halle im Jahre 1503 erzbifchöfliche Refidenz und hat als folche im ganzen
Mittelalter Bedeutung gehabt, zugleich aber auch als ficheres Gefängnils
für (politifche) Verbrecher.2 Aus ihrer Gefchichte kann hier nur intereffiren.
1 Die volksthümliehe Annahme der Enlftehung des Namens aus „Gev ick den Stein“ ift
ganz willkürlich und werthlos. Siehe dagegen: Oefterlcy hift-geogr. Wörterbuch des deutlichen
Mittelalters unter Giebichenftein, fowie den Artikel „Giebichenstein“ von Jacob Grimm in Haupts
Zeitschrift für Deutsches Alterthum I, 572 — 575.
a Unter folchen wurde früher vor allen der thüringische Graf Ludwig der Springer genannt
welcher sich aus der Haft auf dem Giebichenftein durch einen kühnen Sprung, der ihm jenes
Beinamen eintrug, befreit haben follle; dass letztere Angabe in das Bereich der romantischen
Sagen gehört, ja sogar auch die Gefangenschaft Ludwigs auf jener Burg überaus zweifelhaft ist,
zeigt O. Poffe in der Sybel’fchen HifiorifchenZeitfchrift XXX, 51, Sicher ist dagegen, nach den
Berichten Thietmars von Merseburg, dass im Jahre 1004 Kaifer Heinrieh IT. Heinrich, den Sohn
Graf Bertholds, auf Giebichenftein in Haft gab und dass der im Jahre 1014 in Rom bei einen:
Aufstande verhaftete lombardische Graf Ecelin dort verwahrt wurde. Ebenso haben nach Wipo's
vita Chuonradi II. imperatoris der von der mittelalterlichen wie modernen Dichtkunft verherrlichte
Herzog Ernst von Schwaban von 1027 ab und nach Lambert von Hersfeld von 1045 ah Herzog
Gottfried der Bärtige von Niederlethringen als Reichsstaatsgefangene dort verweilt.
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GIEBICHENSTE1N.
48/
dafs fie 1364 repariret ifl, weil fie „fehr eingegangen und verfallen war,“ dafs
1442 durch den Erzbifchof Günther der Theil angelegt ift, welcher jetzt als
Domaine füdlich am Fufse desFelfens liegt und ehemals mit einem zum Theil
noch vorhandene Graben umgeben war, und dafs die Nachfolger diefes,
die Erzbifchöfe Friedrich II und Johannes, die Gebäude noch vermehrten.
1572 am i. September fchlug der Blitz in eine Scheune und es brannte ein
Theil der Gebäude ab. 1636 lagen fchwedifche Reiter, die ihre Pferde in
die Gerichtsftube Hellten und als Streu das Papier der Acten und Documente
benutzten, auf der Burg und gingen fo wüfte zu Werke, dafs am 27. Januar
im Malzhaufe ein Brand entftand, welcher namentlich die eigentliche Burg
und die Kapelle völlig einäfcherte. Allmählich hat man jedoch die Oeko-
nomiegebäude wieder hergeftellt, welche denn auch noch mancherlei fpät-
inittelalterliche Reife zeigen.
Abgefehen von dem angeblichen Römercalfelle fcheint die erfte
Burganlage den Chroniken nach nicht die ganze obere Fläche des
Felfens bedeckt zu haben, fondern nur deren örtlichen Theil, während
die höher gelegene Weftpartie erft fpäter zugefügt fein wird. Ohne eine
umfangreiche Ausgrabung, die ficher lohnend wäre, ift heute freilich
Genaues über den Grundrifs nicht anzugeben. Man fleht füdöftlich einen
im Plan quadratifchen Thurm, den Burgfried, welcher keineswegs, auf
der höchften Spitze lieht. Er ift ganz in Bruchlteinen hergeftellt und gehört
in den unterllen Mauerfchichten ficher in die erfte Zeit der Burganlage;
höher hinauf erkennt man gothifche Mauertechnik und ganz oben ift das
Gemäuer modern, wie denn auch überall am Thurme in fpäterer Zeit ein-
geflickte Stücke bemerkbar find. An der Nordfeite der Burg fpringt der
Felfenlinie folgend eine Partie etwas hinaus; man bemerkt hier Strebepfeiler
fowie gröfsere Quader mit romanifchen Gliedern (engagirte Säulchen) aber
ohne Zufammenhang vermauert. Daraus ergiebt fich, dafs diefe Partie in
gothifcher Zeit unter Zuhilfenahme folcher Stücke, die wohl bei den F.r-
ftiirmungen der Burg von dem urfprünglich romanifchen Baue locker ge-
worden waren, entlfanden ift. Mehr noch weifen die wenigen der nicht
verfchütteten Gewölbe, die an der Nordfeite weltlich liegen, auf die fpät-
gothifche Zeit; fie find als fpitzbogige Tonnengewölbe conftruirt. An der
Weftfeite fcheint die Renaiflance wenig dauerhafte Zufätze bez. Reparaturen
gemacht zu haben, abgefehen von den erft in den letzten Jahrzehnten her-
geftellten Erneuerungen grofser Mauerftücke in Porphyrbruchlteinen. Die
älteften Kunftformen, feiten noch an urtprünglicher Stelle aber zahlreich
erhalten, find aus der Blüthezeit des romanifchen Stils und find engagirte
Säulchen von Lifenen und Ecken, Säulen- und Pfeilerftücke, Simfe u. f. w.
Sie find meift vortrefflich gearbeitet, fein fcharrirt und mit Kantenfchlag
(Fig. 257) verfehen. Gothifche Ornamente find höchft wenige aufzufinden,
einige fpätgothifche Confolen kragen an der Südfeite vor und haben ver-
muthlich pechnafenartige Ausbauten getragen.
Als gegen Ende des Mittelalters die Ritter von den Burgen herab-
Ifiegen , um die Waffen mit den Büchern zu vertaufchen oder auch den
Ackerbau zu pflegen, wurden die Oekonomiegebäude, deren es am F'ufse
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488
DIE STAU! HALLE u. <1. SAALKKEIS.
des Giebichenfteiner Felfens wohl fchon feither gab, durch Wall, Graben
und Mauer gelichert, ein Zeichen, dafs ihr Belitz jetzt werthvoller erfchien:
lie wurden auch 1442 maffiv erbaut, was die älteren, dem Fehlen aller Refte
nach zu urtheilen, nicht waren, kurz ihre Anlage meldet an, dafs die rauhe
Zeit der Burgen, des Fauftrechts, der phyfifchen Kraft weicht der Zeit der
Geiftesüberlegenheit, des Rechtsbewufstfeins , der unbefeftigten Landhäufer
und comfortablen Stadtwohnungen. Die jetzige Oekonomieanlage giebt uns
auch das ungefähre Bild der mittelalterlichen Anlage, wenngleich der Brand
im dreifsigjährigen Kriege mancherlei Zulätze erfordert hat. Der Graben
beginnt an der Wellfeite des Felfens gegen Süden laufend, wendet lieh
parallel mit der Südfeite des Felfens gegen Ollen und endet nach einer
abermaligen Wendung gegen Norden an der örtlichen Felfenfeite. Hinter
FiR. 257.
dem (traben läuft der Mauerring her, meiftentheils llolgebäuden zugleich
als Aufsenmauer dienend. Wie viel von den Gebäuden der erften 'Anlage
angehört, ift nicht fellzuftellen , der gröfsere Theil kann erft in den letzten
Jahrzehnten des 15. oder in den erften des 16. Jahrhunderts entftanden fein. Es
find an ihnen Backfteingiebel (Fig. 258) erhalten, welche die Formen der diefer
Zeit zu Halle beliebten Zierweife haben , nämlich halblleinftarke Blendarka-
turen, die, in maafswerkartige Verfchlingungen übergehend, die Giebelfläche
bedecken. Beachtenswerth ift der gegen Süden gerichtete Giebel der Well-
feite. Aus der Ringmauer treten verfchiedene Schalen hervor. An der Wellfeite
eine folche, die fall einen runden felbllftändigen Thurm bildet. Eine andere liegt
unmittelbar an der Südweftecke gegen Wellen. Ihr Grundriss ift auch kein
Halbkreis, fondern überhöht. Aehnlich ift eine Schale an der langen Süd-
feite. Die Südoftecke wird von einem runden Thurme verftärkt, der oben
eine pechnafenartige Verzierung hat und zwar fo, dafs lieh zwifchen vorge-
kragten Confolen Bogen fpannen, eine allerdings reizend wirkende, aber
nutzlofe Zuthat. An der Oftfeite, an welcher füdlich zu Anfang des >8. Jahr-
hunderts das jetzt noch flehende Gebäude als Wohnhaus und zu Amts-
zwecken erbaut worden ift, liegt der auf einer Brücke über den Graben er-
reichbare Eingang und unmittelbar nördlich neben ihm eine im Grundrifs
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G1EH1CMKNS IRIN.
48g
übwhöhte halbkreisförmige Schale. Die ganze Ringmauer ift in nicht be-
fonders gutem Bruch [feinmauer werk ausgeführt, fie wird von vielfach noch
wohl erhaltenen Schiefsfeharten durchbrochen. Die Scharten im Wellen
unweit des Anfchlufses der Mauer an den Reifen lind ungewöhnlich breit
Fig 258.
liackfteingiebel.
zu ihrer Höhe und haben im Scheitel der flachbogigen Ueberdeckung fowie
an deren Kämpfern durch je eine halbvermauerte Steinkugel einen Schmuck
erhalten. Diefe Scharten find wohl erd im dreifsigjährigen Kriege angelegt.
Die übrigen Schiefsfeharten haben die fpätmittelalterliche Form einer
iOeffnung, die in der MauerHucht liegt, und lind einfach im Mauerwerk aus-
gefpart, feltener als ein mit folcher Oeffnung durchbrochener Stein eingefetzt.
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49°
DIE STADT HALLE 11. d. SAALKREIS.
Bevor wir in den Hof eintreten fei noch auf eine Statue auftnerkfam ge-
macht, welche man auf einer Confole in der Schale neben dem Eingänge
erblickt. Sie ill faß frei gearbeitet, hat etwas mehr als halbe Lebensgröfse
und ließt einen geharnifchten Ritter dar, welcher in der Linken ein Wappen
hält, während feine Rechte fich derart erhebt als habe fie eine Fahnenftange
gehalten, von welcher allerdings nichts mehr zu fehen iß. Soll diefe Figur
vielleicht den h. Moritz vorßellen? Sie iß ßellenweife ßark verwittert,
namentlich Confole und Baldachin ; die Arbeit iß jedoch gut, die Proportionen
find richtig, die Haltung iß natürlich und gefällig, man ahnt die nahende
Renaifiance. Die Gebäude auf dem Hofe find den fpätem Zwecken ent-
fprechend verändert und bieten daher kaum Beachtungswerthes. Wir er-
wähnen, dafs rechts am Eingänge feit dem Anfänge des 18. Jahrhunderts
die Wohnung eines Lanzknechtes und Gefängniffe zugleich mit dem langen
Gebäude links vom Eingänge hergeßellt waren, dafs die Gebäude füdlich
der Landwirthfchaft dienten und dafs die im Weßen gelegene Kapelle zu
einem Btauhaufe eingerichtet gewefen iß. Diefe Kapelle war der h. Marga-
retha geweiht und Toll bereits von dem Erzbifchofe Adelgotus erbaut und
dem Kloßer zum Neuen Werke bei Halle incorporirt fein. 1341 iß fie mit
der Dorfkirche vereinigt worden. Alle diefe Gebäude find jetzt baulich
unbedeutend. Dagegen verdient das Bauwerk Erwähnung, auf welches man
in der Achfe des Einganges ßöfst. Es liegt von Norden nach Süden ge-
ßreckt frei auf dem Hofe, iß maffiv zweigefchoffig mit hohem Dache und
Treppengiebeln erbaut und dient unten als Pferdeßall , oben als Speicher.
Zum Einbringen des Kornes bemerkt man denn auch an der Giebelwand
fchlicbte fpitzbogige nicht axial über einander liegende Oeffnungen. unter
denfelben Confolen und über ihnen Balken zur Anbringung der Winde.
Der Giebel hat Nifchen, die Anfänge der fpäter beliebten Verzierungen in
Backßein, wie fofche die Gebäude in Süden und Weßen haben. Auch ein
nachfcharrirtes Wappen befindet fich in dem Nordgiebel. Auf der unterßen
Giebelabtreppung gegen Oßen ßeht eine verwitterte kleine Figur, die nicht
mehr erkennbar iß. Das beachtenswertheße Stück am Gebäude iß ein
gegen Oßen an der Nordoßecke befindliches Wappen. Es iß arcbi-
tektonifch umrahmt, indem von einer Fiale jederfeits fich der Schenkel
eines Efelrückenbogens erhebt und das eingerahmte Wappenfeld oben ab-
fchliefst, während zwei andere Schenkel jene derartig durchkreuzen, dafs eine
maafswerkartige Durchdringung architektonifcher Glieder entlieht und das
Ganze nach oben abfchliefrt. Unter diefer Wappenarchitektur iß ein Stein mit
folgender flach reliefirter Inschrift in spätgothischer Minuskel eingelaflen:
Abi« Domini Hl treu lixitr Sab | Hrorrenbiffimo ii rrifl« pa | trr t(
Öomino Domino 3«ljannr sanrtr l fflagferbargrnfi» rrrlrlr p«iti | Cer €«mi!f
Palatino flrni rt Pitt Banarir Domas ipt in 1 d)«ata rl frria frtiula pol
flunümoöo | grniti rt in rate« rfatr frliritrr t«afnmma \ ta.
Das Dorf Giebichenstein hat natürlich Namen und Entßehung von der
Burg bez. von dem Gute, aber erß unfer Jahrhundert und befonders die
letzten Jahrzehnte haben ihm feine grofse Einwohnerzahl gegeben. Die
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G1EBICH ENSTEIN.
491
Kirche liegt auf einem Hügel gegen Ollen. Sie ift urfprünglich eine
romanifche Anlage gewefen, wie man an dem Gemäuer der untern Thurm-
partien, die noch aus jener Zeit Hammen, erkennt. Um die Mitte des
18. Jahrhunderts ift fie neu gebaut. Sie war dem h. Bartholomaeus geweiht
und wurde 1341 dem Klolter zum Neuen Werke incorporirt, welches dafür
das Patronatsrecht über die Kirche zu Werben dem Erzbifchof Otto über-
liefs. In diefem Jahre wurde auch die Margarethenkapelle der Burg mit
der Dortkirche verfchmolzen. Das jetzige barocke Kirchengebäude bildet
Kig. 359.
Taufftein der Dorfkirche.
ohne den Thurm ein fall gleichfchenkeliges Kreuz von complicirter Form,
es ift eine dem proteftantifchen Gottesdienfte angepafste Centralanlage. Der
Bau, obwohl nur mit geringen Mitteln in geputzten Bruchfteingemäuer mit
Thür und Fenflergewänden von Sandftein aufgeführt, würde, wenn ftatt des
romanifchen Thurmes ein barocker zugefugt wäre, welcher der übrigen
Architektur entfpräche, ohne Frage ein recht gefälliges Ausfehen darbieten.
Das Kircheninnere mit feinen hölzernen Emporen über Kirchftübchen zu
ebener Erde und namentlich die Chorpartie mit dem Altäre und der über
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,|Q2
PIE STAD! HALLE u. d. SAALKKEIS.
»
folchem gelegenen Kanzel, alles in üppigem Barock von gefälliger Holz-
arbeit durchgebildet, wirkt nicht ungünftig und giebt ein brauchbare*
Studienmaterial über proteftantifche Kircheneinrichtung. Der mitten in der
Fig. 260.
Grab dein an der Dorfkirche.
Kirche flehende Taufftein ift romanifch oder in der Uebergangszeit gemacht
jedoch abfeharrirt. Wir geben feiner originellen und reichen Compofition
wegen in Fig. 25g eine Skizze von ihm. Das meflingene Taufbecken hat
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GIKBICHKNSTKIN.
4«
mitten die Darftellung Adams und Evas am verbotenen Baume, um die lieh
eine unleferliche Minuskelfchrilt und ein fpätgothifcher Blätterkranz zieht.
Kig. 261.
Nicht eigentlich zur Kirche gehören die an der Nordfeite befindlichen Grab-
Iteine. Der an der Nordoftecke des Querfchiffes ifl der ältefte. Sein
Relief, delfen Hintergrund hinter der Vorderfiäche der Platte vertieft liegt.
Heilt einen geharnifchten Ritter mit einem Schwerte in der Linken und
einem Wappenfchilde, das einen Mönch (?) zeigt, in der Rechten dar. Ein
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494
DIE STADT HAIXE u. d. SAALKKEIS.
Efelsrückenbogen mit Nafen, Krabben und Kreuzblumen umrahmt diefes
fehr roh gearbeitete und aufgefafste Relief, während folgende Infchritt in
vertieften und mit Maftix gefüllten (theilweife noch erhalten) Minuskeln ah
rechtwinkliges Band umläuft:
aiao ftiBini 1 m ■ tat ■ Ixxim uf (nontag nat) S«iif»rii ist »rr
tirrman S«t( Dm gut giftig »ei
Diefe Infchrift mülTen wir theilweife nach von Dreyhaupt’s Angabe geben,
da fie verbauet und verwetten ift big. 260. Ein zweiter Stein über der
Thür am Chor flellt einen Gelehrten (oder Bürger?) mit einem Buche in
Relief vor, die Infchrift und das an fich nicht bedeutende Relief find Hark
verwittert. Am beiten hat fich ein drittes Relief auf wenig vertieftem
Grunde erhalten, welches an der nordweitlichen Kirchenecke eingelaOTen
ift Fig. 261. Die Mitte nimmt ein geharnifchter Ritter mit Schwert und
Dolch ein; der Helm lieht zu feinen Füfsen. In jeder Ecke ift ein reliefirtes
Wappen. Als Umfchrift lieft man:
ANNO : 1560 DE III - OCTO : STARB • ZV • HALLE . DER GE-
STRENG VND EI-REN • WESTE ■ LEONHART • KOTZE •
DER • HIE BEGRABEN IST DEM — - - . (GOT GNADE) •
Die Glocke von 0,63” Durchmefter hat eine längliche Form und ift
aufser zwei Schnüren oben ohne jeden Zierrath; fie wird dem 13. Jahr-
hundert angehören. Die Glocke von 0,59" Durchmefter ift von gefälliger
Form und hat oben diefe Lapidarinfchrift:
SIT NOMEN DOMINI BENEDICTVM EX HOC NVNC 1521.
Die Glocke von 1.36“ Durchmefter hat
anno MDCCXLVII FRIDERICH AVGVST BECKER GOSS
MICH IN HALLE
als Auffchrift, aufserdem oben den Spruch:
Lobet den Herrn in seinem Heiligthum, Lobet ihn mit hellen
Cymbeln, Lobet ihn mit wohlklingenden Cymbeln Haleluja Ps. 150.
Die Glocke von 1,0“ Durchmefter befagt in ihrer übrigens intereffe-
lofen Infchrift:
haec campana ea veteri restaurata a Gottl. Gusta. Beckero anno
MDCCLXXXVIII.
Gimritz (bei Wettin).
Pfarrkirchdorf, 10,5 km nordweftlich von Halle gelegen , hat in den
ältpften Zeiten Preternick geheifsen , fpäter Gömmeritz , Gimmeritz. Es be-
händ aus vierTheilen: Langendorf Eidlich, Gömritz inmitten, Nofteiitz nörd-
lich. in ihm die Kirche auf einem Berge gelegen , und dem Dorf Kaunit/,
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GIEBICHENSTEIN. GIMRITZ (bei WETTIX). GÖRBITZ.
495
welches auch jetzt noch befteht. Bis zum 13. Jahrhundert hat das nachmals
ausgeftorbene Gefchlecht derer von Preternick Gimritz befefTen und es dann an
das Merfeburger Domcapitel verkauft, von dem es 1307 an das Mcritzklofler
zu Halle käuflich überging.1 Die jetzige Kirche, die auf dem Felfen nörd-
lich im Dorfe malerifch liegt, ift neu in romanifirenden Formen von Bruch-
lleinen 1847 erbaut, wahrfcheinlich an der Stelle der alten, die dem h. Georg
zu Ehre 1483 errichtet war. Aus letzterer hat fleh die Mittelpartie des
Altarfchreines erhalten, die mitten einen Crucifixus zeigt , neben dem links
Johannes und rechts der h. Cardinal Hieronymus fleht. Der Körper Chrifti
ill von eigenthümlichen, geftreckten Verhältniflen. An den Kreuzenden
find auf vierfeitigen Tafeln die Symbole der vier Evangeliften mit den aut
Spruchbändern flehenden Namen diefer angebracht und zwar in einfacher,
aberhöchft gefchickter Conturenzeichnung. Oben ift der Engel des Matthäus,
links der Löwe des Marcus, rechts der Adler des Johannes und unten das
Opferrind des Lucas. Die gefchnitzte Statue des Johannes links neben dem
Kreuze ift wie gewöhnlich mit ftarkem Haar und den Kelch haltend dar-
iteftellt. Hieronymus hat den galerus ruber auf dem Kopfe und ift mit der
rothen Sutane bekleidet; an ihm auf fpringt ein Löwe, fein Attribut. Unten
am Schreine ftanden die Namen von 2 (?) Heiligen. Diefe Figuren find mit
grofsem Gefchick gefchnitzt; die Gelichter find fiehr ausdrucksvoll, die Ge-
wandung ift auffällig ftark bewegt , fodafs eine grofse Sicherheit in der
Holzbearbeitung dem Künftler eigen gewefen ift. Diefer Schrein weicht in
der Auffaffung und Verfertigung von den übrigen des Kreifes ab. Eine
fpätgothifche Truhe, Gotteskaften, im Thurm hinter der Orgel ift von Eichen-
holz ohne befondere Kunftformen hergeftellt; nur die ftarken Befchläge
endigen in Thierköpten unbeftimmbarer Art. Die Glocke von 1,13" Durch-
melTer hat die Majuskelumfchrift;
sit TempesxÄTvm für me eeevs omi?e nvGÄTvm
darunter A &>. Sie gehört der Mitte des 14. Jahrhunderts an. Die Glocke
von 0,58“ Durchmeffer hat eine längliche Form, ift ohne Infchrift und
Reiten, fie fcheint dem Anfänge des 13. Jahrhunderts anzugehören.
Die Glocke von (fchätzungsweife, da fie nicht zugängig ift) 0.75“ Durch-
melfer hat eine breite F'orm und eine Minuskelumfchrift; fie gehört alfo
wohl dem 15. Jahrhundert an.
Görbitz.
Kirchdorf, Filial von Sylbitz , 1 1 km nordweftlich von Halle. Die
Kirche liegt örtlich vom Dorfe, hat einen geraden Chorfchlufs und keinen
Thurm. Auf dem Oftgiebel fieht man das in F'ig. 262 dargeftellte Steinkreuz.
1 von Dreyhaupt 11,901 erwähnt eine wüfte Stätte, Bruterling genannt und auf den
Felfen nach Wettin 2U gelegen, wo lieh noch die Rede eines „Schlofses, Kirche und Dorfes,
*ovon noch etwas von einem Altäre zu fpiircn“ befunden hätten; auch Hünengräber, in Klee*
M*ttfonn angelegt, erwähnt er.
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dir Stadt halle u. d. saalkreis.
496
Das Gebäude, wohl das unlcheinbarlle aller altem Kirchen des Kreifes.
dürfte fpäteftens in der frühgothifchen Zeit entftanden fein. Die menfa des
Alt ires hat ein leeres sepulchrum. Der AltarautTatz ift in Rococoformen
ausgeführt, hat feine Verhältnilfe und gute Einzelheiten, doch ift alles weifs
Fig. 262.
angeftrichen. Die Kanzel von 1692 fotvie der Sitz des Predigers find noch
gut gearbeitet. Die Glocke von 0.54" DurchinefTer hat oben verfchiedene
Medaillonreliefs, Wappen und die vier livangeliften (?) darftellend; fie ent-
ftammt wohl dem linde des 13. Jahrhunderts. Die Infchrift der Glocke von
0.03" DurchmefTer befagt:
1602 goss mich Johann Lorentz Richter in Halle.
Grosskugcl.
Pfarrkirchdorf, 13 km füdöftlich von Halle, unweit der fachfifchen
Grenze, bei deren Regulirung 1558 ein* Stein mit einem Crucifixus hinter
dem Dorfe aufgeftellt worden ift. 1683, 1718, 1720 und 1743 hat das Dort
von bedeutenden Bränden zu leiden gehabt. Die Kirche, dem h. Moritz
geweiht, liegt im Dorfe; fie ift ein etwa vor einem Jahrhundert entftandenes
ganz bedeutungslofes Gebäude, delTen Thurm 1856 ganz neu aufgeführt ift.
Die Kirche befitzt einen Kelch, defien Infchrift an der Cuppa heifst:
Sanguis Jesu Christi, fily dei emundat nos ab omni peccato 1664;
aufserdem fteht dort ein Wappen mit der Umfchrift: Carl von Dieskau.
An den Noduszapfen lieft man: IEHSVS; am äufserften Fufsrande :
M PAVL CHRISTIAN SPIEGEL
und darüber fteht das Wappen diefes Verfertigers.
Die Glocke von 0,38“ DurchmefTer und 0,40" Höhe fcheint fpäteftens
zu Beginn des 13. Jahrhunderts gegoffen zu fein. Eine Infchrift, fowie eine
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GÖRBITZ. GKOSSKUGEL. GITENBEKG.
•w
Verzierung durch Bändchen fehlen ihr, die Krone ift jetzt abgebrochen.
Iig. 203. Di*- Glocke von 9.63“ DurchmefTer ill auch ohne Infchrift, lie hat
'•ine hüblche. fchlanke Form und mag' ebenfalls dem
13. Jahrhundert angehören. Die Glocke von i,n“Durch-
meder ill 1800 von G. Becker in Halle gegolTen und hat
• ine gute Form, ähnlich der in der bellen RenailTancezeit
üblichen.
Gutenberg.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, 6 km nördlich von
Halle, an der Götfche gelegen. Die Befitzerreihe des Guts
findet man bei von Dreyhaupt 11,904 um! 905 angegeben*
wir erwähnen nur, dafs 1209 ein I.udolfus de Godenberg
und 1219 eben derfelbe aber de Gutenberch genannt wird.
1376 ill das Gefchlecht ausgeltorben. Die Kirche S. Nicolai (Fig. 264) liegt ört-
lich auf einem Berge und ill eine der wenigen gothifchen Kirchen des K reifes.
Fig. 265.
Thürflügel.
wenn nicht eine durchgreifende Umgeflaltung eines anfänglich romanifehen
Bauwerkes vorliegt. Der Thurm, in der Richtung von Norden nach Süden
B. D. d. Bau- u. Kuustd. N, K. !. 34
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Fif>. 264.
Aeufscrcs der Kirche.
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GUTENI1ERG. HOHEN EDLAU. HOHENTHURM.
49Q
breiter als von Ollen nach Wellen, hat ein reguläres Satteldach mit
fchlankem , achtfeitigen Dachreiter auf der Mitte und mit Steinkreuzen von
gleicharmiger Form aut den Giebel fpitzen. Es fällt auf, dafs das Dach des
Schiffes noch ein Stück in das des Thurmes einfehneidet. Das mit drei
Seiten ölilich fchliefsende Schiff hat noch fchlanke, rundbogige Fenller;
vielleicht find romanifche Werkllücke hier unverändert wieder eingefetzt.
Der fpitzbogige Eingang liegt an der Südfeite und hat einen flark be-
fchlagenen Thürflügel. Zwei Bänder, welche jederfeits zu drei paarweife
geordneten, dreiblättrigen Aeflen roh ausgefchmiedet find, gehören der
ifpät?) gothifchen Zeit an Fig. 265. Der Altarauffatz hat zwei Bilder von
l.ucas Cranach. die freilich als folche kaum erkennbar find. Sie Hellen
Luther und Melanchthon dar. Uebrigens ill der Altar barock und hat
modei ne Holzfiguren. Nördlich in der Apfis befindet fich ein Grabllein von
1565. auf dem ein geharnifchter Ritter, Albrecht Hacke, mit einem Crucifixe
in Relief dargellellt ill. Die Arbeit ill fehr gut, befonders auch die Be-
handlung des Nackten am Körper C'hrifli.
Die Glocke von 0,90“ DurchmelTer ill ohne Infchrift; fie wird in das
13. Jahrhundert gefetzt werden müffen, Die Glocke von 0,35” DurchmelTer
hat verfchiedene Medaillons als Zierrathe und wird kaum jünger als die
genannte fein. Die Glocke von 1,05““ DurchmelTer ill 1832 von F'r. Meyer
in Eisleben erneuert. Die Glocke, welche als Schlagglocke im Dachreiter
hängt ill nicht zu erreichen, fie hat etwa 0,35“ DurchmelTer.
Hohen cdlau.1
Kirchdorf. Filial von Mitteledlau, 21 km nordwelllich von Halle gelegen,
gehörte dem Stifte S. Nicolai zu Magdeburg. Die ölilich vor dem Dorfe
gelegene Kirche hat den Thurm mit einer Apfis in Ollen. In der Giebel-
fpitze der einfachen Wellwand lieht innen 1750. Die Tpitzbogigen Fenller
in Thurm und Schiff gehören auch erd letztgenanntem Jahre an. Am
Gellühl im Thurm lieft man die Jahreszahl 1674. Die drei Glocken von 1,0“,
0.80“ und 0,65“ DurchmelTer hat infchriftlich Joh. Heinrich Ulrich in
Laucha 1833 umgegossen.
Hohenthurm.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, 9 km ölilich von Halle an der Bahn nach
Berlin gelegen, ill mit Rofenfeld vereinigt. Es hat vermuthlich nach dem auch
jetzt noch hohen bez. hoch gelegenen Thurme auf dem Gutshofe feinen Namen
erhalten. 1272 „vereignete M. Dietrich zu Landsberg“ einige Grundftücke zu
Hohenthurm an das Nonnenklofter S. Georgen zu Glaucha (Doc. 242 bei
von Dreyhaupt I, 815.) Das Schlofs hat in den ältellen Zeiten zu Lands-
berg im Delitzfcher Kreife gehört und feine Befitzer find Landsberger
1 Die drei Edlau find zuvor ftets Etlau gcfchriebcn. Nach der willkürlichen Erklärung
riaes Pfarrers (?) edle Au findet in neuer Zeit die veränderte Schreibweife Edlau ftatt.
33*
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500
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKE1S.
Burgmänner gewefen. Im Chronicon montis sereni wird als minifteriali-
Landsbergenfis ein Hermannus de Rofinfeld genannt, der alfo das Gut in
Rofenfeld gehabt haben wird, während der letzte Belitzer von Hohenthurm
Hans von Hoen Tome 1585 das Gut von dem Erzbifchole Albrecht zu Lehn
erhalten hat. Die fpäteren Belitzer giebt von Dreyhaupt II, goö an. Da-
Dorf hat am 8. October 1003, am 28. April 1O83 und im Jahre 1686 grofsen
F'euerfchaden erlitten. Die Kirche über welche das Patronatsrecht bei dem
Gute lieht, liegt hoch örtlich an dem Felfen, welchen das Gut einnimm:,
und ihreWeftfeite hat ohne Zweitel mit der romanifchen Burg (Kemenate) in
Verbindung geftanden. Darauf weifen verfchiedene romanifche Thürgewände-
refte in der Wellwand hin. Die Kirchenanlage gehört in die Zeit des ent-
wickelten romanifchen Stils; an das Schiff fchliefst fich ein Altarrauin von
geringerer Breite und mit einer Aplis. I111 Thurme hat fich nur eine von
den die Schalllöcher theilenden Säu'ichen erhalten, deren Capital unkenntlich
ift ; die Barts hat Eckblätter. Ein Thurmportal auf der Nordseite ist durch ein
engagirtes Säulchen mit ungewöhnlicher Capitälform Fig. 260 ausgebildet ;
ebenso auffällig geformt ist das Kämpferprofil am Bogen der Apsis P'ig. 207.
Auf dem Kirchenboden liegen die Holzrefte des ehemaligen Altares; der in
guter fchwungvoller Renaiffancearbeit ausgeführt fpäteftens in den erften Jahr-
zehnten des 17. Jahrh. entftanden fein mufs. An einer feinrr Confolen fleht
D. V. GERMER. SCHLEBEN.
Die Glocke von 0,5g“ Durchmeffer hat eine längliche Form und ill
ohne Infchrift, nur hat fie unten zwei Harke Reifen. Ich vermuthe, dafs fie
erft im 17. Jahrhundert entftanden ift, doch ift darüber GowilTes nicht zu
Tagen. Die Glocke von 1.30" Durchmeffer ift 1860, die von 1,05" Durch-
meffer ift 1862 von Gotthilf Groffe in Dresden umgegoffen.
Zur Kirche gehört auch der fpätgothiTche Altarfchrein , welcher lieh
jetzt auf dem Schlöffe in Befitze der Freifrau von Wuthenau befindet. Es
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HOHKNTHVRM.
5°'
Ein^anj'sthür.
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502
DIE STADT HALLE; u. d. SAALKREIS.
iß ein Triptychon, delTen Flügel äufserüch in Temperafarben, der eine mit
der Figur des h. Chrißoph (?), der andere mit der des h. Andreas, an dem
fchrägen Kreuze kenntlich, bemalt find. Der Schrein enthält die gefchnitzte
Figur der Maria, neben welcher der h. Moritz und der h. Georg, kenntlich
an einem Lindwurm, liehen und in den Flügeln die iz Apollei. Die Arbeit
ill gut (Maria hat die Slinienhaltung) auch die VerhältnilTe der Körper-
formen find nicht übel, befonders aber ill der Gefichtsausdruck bei allen be-
merkenswerth. Ebenfalls aus der Kirche llammt das im Befitze der Frau
von Wuthenau befindliche in Ilolz gearbeitete Hochrelief eines Epitaphium-
mittelbildes. F.in Ritter kniet betend vor einem Crucifixe, in welchem man
in einer Landfchaft eine architektonifch intereffante Stadt lieht. Diefe>
Stück ill nicht minder in der Compofition als auch in der Ausführung, nament-
lich auch was den Gefichtsausdruck der Figuren anbelangt, vortrefflich.
Auf dem Gutshofe ifl baulich nur der runde Thurm unweit der Weil-
feite der Kirche auf dem Porphyrfelfen gelegen und von grofsen Porphyr-
Rücken erbaut, beachtenswerth. Es iß der feße Zufluchtsort der Befitzer
Hohenthurm’s in den älteßen Zeiten gewefen. ln der Anlage iß er dem zu
Krofigk (f. weiter unten) fehr ähnlich, jedoch fcheinbar in einem Guffe ent-
ßanden und zwar vermuthlich gleichzeitig mit der Kirche. Die Treppe iß in
dem Mauerwerke ausgefpart. Man gelangt in einen runden Raum, der mit
einem in Spitzbögen von der Mitte aus fächerförmig gebildeten Gewölbe über-
fpannt iß. Die Ausbildung der mehrere Meter hochgelegenen Eingangsthür
veranfchaulicht Fig. 268. Die wagerechte Ueberdeckung der Thür durch einen
Sturz mit dem Profile des Gewändes, fowie die Form diefes mit Rofetten ge-
zierten Gewändes find die Kennzeichen eines entwickelten romanifchen Stil-
Kaltenmark.
Kirchdorf, F'ilial von Krofigk, 14 km nördlich von Halle gelegen.
Das Dorf hat wahrfcheinlich feinen Namen daher bekommen, dafs hier eine
Grenzfcheide des Klimas ßattfindet; die nördlich vom Petersberge bis
Kaltenmark gelegene Gegend foll, weil fie tiefer liegt als die von Kalten-
mark ab nördlich gelegene, wärmer fein als jene. Die ziemlich zerfallene
Kirche iß eine romanifche Anlage. Thurm und Altarraum find fchmäler
als das Schiff. Der Altarraum gehört, wie fich aus feinem Mauerwerk und
einem Backßeingefimfe ergiebt, dem 16. Jahrhundert an, fleht aber wenigßens
theilweife auf dem Fundamente eines romanifchen Sancturiums. Das alte
Portal lag an der Südfeite; einige romanifche F'enßerreße befinden fich am
Thurm, übrigens iß der Bau ohne Bedeutung.
Die Glocke von 1,02“ Durchmeffer iß vom Jahre nT cccc . Die Glocke
von 0,73” Durchmeffer hat 1700 Johann Jacob Hoffmann gegoffen.
Kirchedlau.
Pfarrkirchdorf, 23 km nordweßlich von Halle gelegen, iß in alten
Documenten Otteleve, Ottelau genannt und hat anfangs zur Graffchaft
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HOHEKTHl'KU. KAt.THNM.VKK. KIKCHKOLAU. KKOSIGK.
5«3
Alslebcn gehört, von welcher es durch Kauf an die von Ammendorf zu
Rothenburg übergegangen id. Die Kirche liegt im Dorfe und ill 1714 neu
gebaut mit oblong rechtwinkligem Grundrifs. Der Altarfchrein fcheint den
erflen Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts anzugehören. Es id ein Triptychon,
in defTen Flügel links folgende Figuren dehen: oben ein Heiliger mit Buch
und Schwert, ein Bifchof mit einem Buche, der h. Nicolaus als Bifchof mit
Broten auf einem Buche; unten: ein Diacon mit einem Felsgedein (Pantaleon?)
ein Bifchof mit einem Kelche (Norbert?), ein Heiliger, jetzt ohne Attribut; im
Schreine deht ein Bifchof (?). dann Maria mit dem Kinde, dem fie eine Traube
hinhält und der h. Moritz; im Flügel rechts fieht man oben: Elifabeth mit
einem Korbe, eine Heilige in Nonnentracht ohne Attribut, die h. I.ucia mit
einem Buche, auf dem zwei Augen find, unten: Katharina mit dem zer-
brochenen Rade, Anna felbdritt und Barbara mit einem Kelche. Die Rück-
feite des erdgenannten Flügels hat oben das Temperabild, die Dornen-
krönung Chridi, unten Chridus, der das Kreuz trägt in Begleitung von
Simon von Cyrene (klein); auf dem andern Flügel id oben Chridus gemalt,
wie er an der Marterfäule von zwei Knechten gegeifselt
wird, unten Chridus am Kreuz mit Johannes und Maria. Fig. 269.
Die gefchnitzten Figuren werden vom reichden, goldigen
Ornament umrahmt, fie haben Aehnlichkeit mit denen
eines Altares zu Löbejün (f. weiter unten), da fie ebenfo
langleibig find und gleiche Haltung zeigen. Die Gemälde
lind merkwürdig unfehön in der Zeichnung, jedoch von
einer auffällig guten Charakterifirung der Köpfe.
Die Glocke von 0,67” Durchmeffer hat als Zierrath
vier Reifen, fie id von rohem GufTe und fcheint alt zu
fein. Die Glocke von 0.55“ Durchmeffer hat die in Glocke.
Fig. 269 dargedellte Form und id infchriftslos; fie ge-
hört vielleicht erd der mittelgothifchen Zeit an ; die dritte Glocke von
o.qz " Durchmelfer id von ganz ähnlicher Form und hat die Majuskelum-
fchrift (Wachsmodelle):
sit TempesTATv per me gcipvs omi?e RVGATvm a db,
nach welcher Infchrift zu fchliefsen, diefe Glocke um die Mitte des 14. Jahr-
hunderts gegolfen id.
Krosigk.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, 13 km nördlich von Halle gelegen, hat
urfprünglich zur Graffchaft Wettin gehört und foll zur Zeit des Erzbifchofs
Wilbrand (1236— 1253) an das Erzdift Magdeburg übergegangen fein. Die
ältede Namensform id 1235 Crofewich. InKrofigk war der Sitz eines Burg-
grafen, in deden Dienden eine Anzahl adliger Burgmänner danden,1 die auf
ihren Lehngütern in der Nähe wohnten ; aufserdem gehörte die Stadt
1 von Drcyhaupt II, 909 nennt ihre Namen.
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504 OIE STADT HALLE U. d. SAALKKE1S.
l.öbejün zu Krofigk. Das bedeutendfte Burglehn befafsen die von Krofigk.
von denen auch der Ort benannt worden ift. Als 1478 Friedrich v. Trotha
Ruine der Kirche.
von dem Erzbifchof Emil mit dem Schlofse belehnt wurde, hob er die
meiden Burglehen auf und vereinigte die Güter mit denen des Schlofft".
In den Händen derer von Trotha ift das Schlofs alsdann bis zum 18. Jahr-
hundert geblieben. Die Schlofsgebäude find ziemlich bedeutungslos ge-
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KROSIGK.
505
worden. Gegen Südwell fieht man noch Refte der alten Befelligungsmauer,
die meifl in moderne Gebäude eingebaut ift, und vor ihr den Graben. Be-
achtung verdient der auf dem Gutshofe flehende alte Burgfried, ein runder
Thurm in Bruchfteinmauerwerk, welch letzteres deutlich zweierlei Zeiten der
Entftehung erkennen läfst. Die untere Partie ift ohne Zweifel fchon in
romanifcher Zeit entftanden, obwohl man weltlich eine fpitzbogige Thür zu
ebener Erde fieht, die fpätgothifche Ausbildung hat und jedenfalls auch erft
im 15. Jahrhundert eingebrochen fein wird, da diefe alten Thürme den
Zugang' einig«- Meter über dem Terrain hatten. An der Nord-Oftfeite des
Schlofses hat der Major Wolf Friedrich von Trotha 1703 die Schlofskapelle,
die nach von Dreyhaupts Angabe uralt war, wieder ganz neu erbaut. Diefe
barocke Kapelle, jetzt Pfarrkirche HirKrofigk und Kaltenmark, ifl werthlos.
Beachtung dagegen verdienen die Uelierbleibfel der ehemaligen Dortkirche
Fig. 270, welche an einer Anhöhe fudlich von der Burg liegi-n. Diefe Kirche,
U n fer Lieben Frau und den heiligen drei König«m geweiht , hat anfänglich
wohl als Gotteshaus für die umherwohnenden Burgleute g«;dient. In ihr
liegen nach von Dreyhaupts Angabe viele Leichen derer von Trotha.1 Im
Anfang«; diefes Jahrhunderts (1810?) ift das Kirchendach eingelallen; nur
der Fachwerksthurm, welcher fich im Schiffe, einerfeits auf der W«-ftmauer,
andererfeits auf einer Holzfäule autftehend, erhebt, befteht feit «lern 16. Jahr-
hundert. Wie der Grundrifs F'ig. 271 zeigt, ift die Anlage eine der ausge-
bildetern in romanifcher Z«;it. Altarraum, der aber nicht gewölbt gewefen
ift. mit Apfis liegen einem Schiffe öftlich vor, welches in feinen Lichten-
maafsen das Verhältnifs des goldenen Schnittes (7,60“ 12,17“) hat (zufällig?)
aber ohne l'hurm im Werten gewefen ift. Die Fenfter im Schiff find klein,
im Sanctuarium viel gröfser und an der Apfis wieder klein. Der Eingang
liegt nördlich: wir geben in Fig. 272 feine Abbildung , aus welcher erh«;llt,
dafs er mit einem halbrunden Tympanon überdeckt ift. Die Ausbildung
diefes Sturzfteines ift eine auffällig einfache, ja rohe. In einem nicht ftark
vertieften Felde lieht man unten einen wagerechten Stab, auf dem zwei andere
etwa halbkreisförmig geknickte flehen und auf letztem lieht wiederum
ein Rundftab in Halbkreisform, ln dem durch dielen gebild«;ten Felde ift
ein häfslicher breitmäuliger (Löwen-?) Kopf, aus deften Maule nur beim
Kinne jederfeits eine Ranke mit Zweigen und eiförmigen Blättern ab- und
durch den oberften Rundftab hindurch geht. Die Arbeit verräth eine fehr
primitive Kund. Die Bedeutung der Darftellung kann nur eine fymbolifche
fein, fie ift aber nicht ficher zu deuten; foll fie fich auf die Titelheiligen
Maria und die drei Könige beziehen, foll der Weinftock, das Symbol Chrifti
vorgeftellt werden, oder foll die’ Dreieinigkeit der fymbolifch dargeftellte
Begriff fein? — Jedenfalls verdient die Sculptur Beachtung; fie ift auch
wahrfcheinlich um einige Jahrhunderte älter als das Gebäude, welches fchwer-
lich vor 1100 errichtet fein dürfte. Zu folcher Zeitbellimmung führen nament-
lich die Kämpferprofilirungen. die fich am Bogen zwifchen Schiff und Altar-
raum. fowie an dem Bogen der Apfis erhalten haben; alle find verfchieden
1 S: Rudolph Neubauer: Zur Gcfchichte des Ritterguts Kroiigk 1867.
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DIE STAUT HALLE u. d. SAALKKEIS.
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i-'iß. 271.
KROSIGK.
507
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508
DIE STADT HAI-LE u. d. SAALKREIS.
l-'ig. 273 u. 274 und ihre Linienzüge find originell und fein. Die Bogen-
pfeiler und die Bögen, dann auch die flructiven Theile im AeuCsern, befonders
f'ig J/3-
Kampfer des Bogens zwifchen Schiff und Sanctuarium.
die Ecken, find in hellgrauen, fcharrirten und mit Kantenfchlag verfehenen
Sandfteinquadern vortrefflich gearbeitet. Ebenfo find die aus Porphyrbruch-
Ifeinen bellehenden Wände von folider Herftellung. Die romanifche Fugen-
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KKOSIGK-
509
technik Fig. 275 u. 276 ill noch an vielen Stellen lehr gut erhalten; wir ver-
weisen diesbezüglich auf die Befchreibung derfelben unter Teicha (f. weiter
unten). In den Pfeilern zwilchen Schiff und Sanctuarium lieht man unter den
K ümpfern je ein I.och Fig. 273. welches wohl urfprünglich ilt und zur Aufnahme
der Finden eines Holzes gedient hat, an dem ein Crucifixus, wahrfcheinlicher
Fig- =:4-
Süden.
Kämpfer der Aplis.
noch ein Vorhang befelfigt war. An der Nordfeite des Altarraums bemerkt
man den fehr zerftörtenStein eines fpätgothifchen Sacramentshäuschens und
daneben einen vermauerten'. Spitzbogen über einem Thürgewände ; hier fcheint
die Kirche mit der angebaut gewefenen Wohnung des Geiftlichen oder einer
Sacristei in Verbindung gellanden zu haben: man gewahrt deren Fundamente
noch. 1 Im Schiff der Kirchenruine liegt der rohe romanifche Tauflfein verdeckt
1 Nach Neubauer: Zur Gefchichte des Ritterguts Kroligk S. 33 foll fich dafelhft ein
Begräbnifs befunden haben.
•/
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DIB STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
S>°
unter dem üppigen Bufchxverk , welches jetzt das ganze Heiligthum anfülh,
Fig. 270. Wenn man zu dem Fachwerksthurm im Welten hinauffteigcn will,
lieht man an einem Balken, der von der nach der Reformation eingebauten
Empore übrig gebliehen ifl, eingefchnitzt: 1579 Valent, lacob Zimmermann
ltnmanirclie Fugentechmk. Aniicht eines Stückes Mauerwetk.
Auf dem Thurm hängt eine Glocke von i.o“ Dur< hmelTer mit diefer in den
Mantel eingeritzten Infchrift:
© (Medaillon mit der Darftellung des Engels des Matthäus)
DVill TRÄItOR ÄVDITE VOÖO VOS AI) SÄ * (IRA ÄI?T?h
moaaüii(L?)in
Eine andere Glocke von 1,30“ DurchmelTier ift 1708 gegotTen.
Lebendorf.1
Ptarrkirchdorf , 28 km nordweftlich von Halle. Die Kirche , im Dorfe
gelegen, ift 1881 ganz neu in frühgothifchem Stile einfchiffig von grauem
Sandflein mit fpitzem, fchiefergedeckten Thurme und örtlich mit dret-
feitigem Sechseck fchlu fs , im Innern mit geputzten Gewölbekappen und mit
aus rothem Backftein beftehenden Gurten und Graten nach dem Entwürfe
Conrad Wilhelm Hafe’s in Hannover gebaut.2 Die alte Kirche ftammu-
aus dem Jahre 1301 und hat ebenfalls einen hohen Thurmhelm gehabt
1 Der Ort Colt den Namen daher bekommen haben, dafs K. rifer Otto I, hier ans einem
Brunnen mit gutem WafTer, dem HefTelborn , getrunken und dann gefugt habe, dafs er nur
neues Leben bekommen hätte; diefe Erklärung ift nicht eben fehr glaubhaft.
2 Die Details dürften nicht alle in des Meifters Sinne fein.
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KROSIGK. LEHENDORF. LETTEWITZ. 5 1 1
Kirchenbuchaufzeichnungen befagen. dafs, als 1739 das fepulchruni der
menfa des Altares eröffnet wurde, man in einem hölzernen Schächtelchen
Pergamentzettel mit wächfernem Siegel in forma ovali gefunden habe.
Auf einem an ein zugebundenes Läppchen gehefteten Pergamente Ifand
Juliae virginis, es war ein Stückchen der Bekleidung diefer Heiligen, der
Zettel eines andern Bündelchens mit verbrannten Knochen befagte Annae
martyris. Den Inhalt des bei diefen Reliquien befindlichen Atteflates giebt
von Dreyhaupt II, 915 an. Von dem alten Kirchengebäude hat fich ein
rundes, überhöhtes Tympanon, welches fich qn deren Nordfeite befand, er-
halten, es ift jetzt am Thurm des neuen Baues eingelalfen. Maria mit dem
Kinde ift in ganz roher Arbeit ohne VerhältnilTe dargeftellt.
Die alten Glocken, deren Infchriften von Dreyhaupt 11,915 in Ueber-
einftimmung mit den Aufzeichnungen des Kirchenbuches angiebt, find bei
dem Kirchenneubau von Gebrüder Ulrich in Laucha 1881 umgegolTen und
haben auf fich vertheilt den Spruch als Infchrilt:
Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden, Und den Menschen
ein Wohlgefallen.
Ein reliefirter Crucifixus fchmückt die gröfsefte unter ihnen, auf welcher
man auch lieft:
Gott segne und beschütze die Gemeinde Lebendorf
Uebrig geblieben ift eine Glocke von 0.39" Durchmeffer, welche fich
jetzt auf dem Boden der Schule befindet; fie ift von fchlanker. unten breiter
Form und ohne Infchrift. fie fcheint der fpätgothifchen Zeit anzugehören.
Auf dem Schulboden finden fich auch noch die Figuren des ehemaligen
Schnitzaltares. Als die drei, welche inmitten geftanden haben und gröfser
(etwa dreiviertellebensgrofs) als die andern find, nennen wir den h. Wolf-
gang (?) als Bifchof mit einem Kirchenmodelle dargeftellt, Maria mit dem
Kinde und einen Bifchof jetzt ohne Attribut. Die kleineren Figuren find ein
Heiliger mit einem Buche, die h. Katharina mit einem Buche und Schwerte
der h. Pantaleon, unbekleidet und mit auf den Kopf genagelten Fländen,
der h. Stephan als Diacon gekleidet, der Steine im Schoofse hält, eine
Heilige ohne Attribut, mit Krone in der Tracht einer vornehmen Frau, ein
Heiliger mit einem Kelche (Norbert?), eine Heilige mit offenem Buche, eine
Heilige in weltlicher Tracht mit Kelch (Barbara?), eine andere mit einem
Korbe wohl die h. Dorothea. Diefe Statuen find meid gut gefchnitzt,
doch verfchieden an künftlerifchem VVerthe; die Auffalfung neigt fchon
der des 16. Jahrhunderts zu.
Lettewitz.
Kirchdorf, F'ilial von Sylbitz, 12 km nordweßlich von Halle, im Volke
ftets Leckewitz genannt. Aeltere Namensform ift 1206 Lethtuiz (Chron.
Mont. Seren.) Der Thurm der im Dorfe liegenden Kirche hat im Fxdge-
ichofs ein Grabgewölbe; feine Ecken haben Quaderung; er ift wohl noch
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5'2
DIE STADT HAIXE u. d. SAAI.KKKIS.
ein Heft aus romanifcher Zeit. Das Schiff (fehl mit dem Thurme in Ver-
zahnung', hat einen geraden Ollfchlufs und wird in viel fpäterer Zeit ange-
baut fein. Am Altäre find zwei mit Oelfarbe angeftrichene Holzfiguren der
fpäteren Zeit. Die (ilocke von o.öj“ Durchmeller ift mit Riemchen geziert,
aber inlchriftslos, fie mag dem Ende des 13. Jahrhunderts angehören, ihn-
Form ift nicht länglich. Die Glocke von 0,80 " Durchmeffer ift anno
MDCVI von Lorentz Richter in Halle gegolTen. Aus der Aufschrift hat
InterelTe:
MEIN NAME ANNA MARIA.
Die Glocke von 1.03“ Durchmeffer ift MDLXXXIIII von Eckard Kuecher
in Erfurt gegolTen.
Lettin.
Pfarrkirchdorf und königliche Domaine, 5 km nordweftlich von Halle
am linken Saalufer gelegen. Es finden fich die älteren Schreib weifen Eutin
l .utyn. Luttin. Eittin. 1185 wird in einem Schenkungsbriefe Iirzbifchofs Wich-
manns an die S. Petrikirche in Wettin ein Berthogus de Luthyne genannt.
Das Gefchlecht derer von I.ettin lebte bis zum Anfang des 15. Jahrhundert .
die Güter deftelben gingen 1461 an die von Mordal über, 1608 kauft diele
Güter das Magdeburger Domcapitel und unterftellt fie nebft dem Dor!--
dem Amte Giebichenftein. Die Kirche, dem h. Wenzel geweiht, liegt welt-
lich iin Dorfe. 1217 fchenkte der Erzbifchof Albrecht dem Moritzklofter zu
Halle das Patronatsrecht, welches Klofter einen feiner Mönche zum Pfarrer
einzufetzen hatte; jedoch empfing diefer Pfarrer feine „Collation“ gegen
Zahlung von „2 Mark“ von dem archidiacono Banni Orientalis zu Halber-
ftadt. Das Gebäude ift romanifch und hat in gothifcher Zeit eine öftlich
dreifeitig fchliefsende Verlängerung erhalten. 1714 foll eine Reparatur
ftattgefunden haben, bei welcher die grofsen Fenfter an der Südfeite ent-
ftanden fein werden. Das Bruchfteinmauerwerk befteht aus einem gelblichen
(Kalk?) Sandftein, von nur wenigen Porphyrftücken untermifcht; es ift
äufserft forgfam in lagerhaften Stücken hergeftellt, die Ecken find gequadert.
Am Thurm, einige Meter über dem Erdboden, ift die Mauer mit einer be-
fonders grofsfteinigen Schicht durchfetzt, jedenfalls die Kämpferfchicht lür
ein allerdings nicht zur Ausführung gekommenes Gewölbe. Die Schall-
löcher, flachbogig überdeckt, erfcheinen nach aufsen durch eine Säule mit
zwei je aus einem Stein beftehenden Rundbögen gekuppelt. Fig. 277, 278
und 279 Hellen einige Beifpiele von den Säulenkapitälen dar. Die Kunft-
forinen und die Mauertechnik lalfen auf eine Entftehung der Kirche im
12. Jahrhundert fchliefsen. Der alte Eingang an der Süd feite ift vermauert
Vor dem jetzigen an der Nordfeite befindet fich ein Vorbau, der alt, wenn
auch nicht mit der Kirche gleichzeitig ift, in ihm liegt altes, aus grofsen
unregelmäfsigen Steinen beftehendes Pflafter. Im Innern fieht man an der
nördlichen fchrägen Seite des Chores ein Sacramentshäuschen mit nicht un-
fchönen fpätgothifchen Formen, die freilich fehr gelitten haben. Der Kirche
find Emporen eingebaut, deren Brüftung 1683 Johann Tobias Kopf mit
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LETTEWITZ. LETTIN.
5U
unbedeutenden biblifchen Bildern bemalt hat. Verfchiedene Bretter
und K irchenfchemel find nicht unintereflant profilirt: fie zeigen die kunft-
handwerklichon Leillungen des 17. Jahrhunderts an den einfachllen Gegen-
liänden auf dem Lande. Unter den Kunftwerken ill der Altarfchrein,
ein Triptychon, bemerkenswerth. Seine gefchnitzten Holzfiguren find
aufser ihrer Bemalung gut erhalten. In den Flügeln liehen in je zwei über
einander befindlichen Theilen die Apollel, zwilchen denen fich auch eine I'igur
in bifchöflicher Tracht befindet. In der mittleren der drei Abtheilungen des
eigentlichen Schreines lieht Maria mit dem Kinde auf der Mondfichel; die
Capilale aus den Schalllüchern.
beiden Seitenabtheilungen find jede in vier Fächer getheilt. Links oben
lieht Moritz und Katharina, der in fpäterer Zeit fälfchlich ein Kreuz in die
Hand gegeben ift; unten ein Bifchof mit einem Kirchenmodelle (Wolfgang?)
und eine gekrönte Heilige jetzt ohne Beigabe. Die F’elder auf der rechten
Seite enthalten : oben die h. Margaretha mit dem Drachen und einen Ritter
(?) mit einem Schwerte, unten den h. Nicolaus, Brote auf einem Buche haltend,
und die h. Magdalena mit dem Salbbüchschen. Die Arbeit ill im Ganzen
gut, doch verfchiedenwerthig. Weit werthvoller ill eine Holzfigur, die oben
an der Wind füdlich im Chor fich befindet und den Titelheiligen Wenzel in
zweidrittel Lebensgröfse darllellt. Der Heilige ift als Ritter in goldenem
Hamifch dargellellt, er hält einen Schild, auf dem ein Löwe gemalt ift. So-
wohl die AuffalTung als auch die Ausführung find gut; letztere läfst fich,
da die F’igur ihre alte Bemalung behalten hat, noch wohl erkennen; man
lieht, dafs der Schnitzer feines Materials völlig Herr gewefen ift.
Ein lebensgrofser Crucifixus mit natürlichem Haar und mit den in
B. D. d. Bau- u. Kunftd. N. F. I. 33
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DIE STADT HAI. LE u. d. SAALKKK1S.
kleinerem Maafsllabe gehaltenen Figuren der Maria und des Johannes zu
den Seiten hängt an der Südwand. Diefe Arbeit zeigt die Stileigenheiien
des Barocks in widerlichfter Weife. Ein fehr fchönes auf Holz gemaltes
Oelbild, etwa 50 bis 60 cm im Quadrat grofs, hängt ül>er der Sacriftei
(Beichtfluhl). Es Hellt die Auferllehung Chrilli dar. Links hinter einem
Bufche lieht die mit reliefirten Ornamenten der Renaifsance bedeckte Grab-
platte am Keifen neben dem leeren Grabe. Chrillus aber fchwebt, mit
einem rothen Gewände angethan und von einer Mandorlenglorie umllrahli
oben inmitten des Bildes. Er erhebt fegnend die Rechte und hält mit der
anderen Iland die weilse Siegesfahne mit dem Kreuze. Der Gefichtsausdruck
des Heilandes ilt nicht gerade fchön; es mag aber die anfängliche Farben-
wirkung eine andere gewefen fein als die gegenwärtige. Auf der Erde
liegen die Kriegsknechte; ein blondbärtiger richtet fich vorn links empur.
fein Gefleht ill vortrefflich. Hinter ihm fcheint ein alter Krieger mit einer
Kette in der Hand noch feil zu fchlafen, vorn rechts richtet ein junger
Mann, auf den Arm gellützt. fein Geficht empor und fchläft, hinter ihm
dagegen bemüht fich ein bereits erwachter Krieger mit dem Schwerte in
der Hand die anderen aufzuwecken. Im Hintergründe fieht man rechts den
Berg Golgatha mit den beiden gekreuzigten Schächern ; das zwifchen ihnen
flehende Kreuz Chrilli ill leer; zwei Leute mit einer Leiter find in Begriff e-
zu belleigen. Im Uebrigen fieht man in eine Landfchaft, in der eine mauer-
umgebene Stadt mit einer hochgelegenen Burg liegt. Aus der Stadt her
kommen zwei Frauen (die beiden Marien?) und ein
Fif. 280. Engel (?). Diefes Gemälde verdient I .ob , die Zeichnung
“VT r ill richtig und beftimmt, die Malweife fauber und die
AtÄ Färbung fehr harmonifch. Weder im Faltenwurf, noch
I I I in der Haltung und Einzelbildung ill eingehendes Natur-
Studium zu vermilfen; nur der Baumfchlag ill manierirt.
deshalb jedoch nicht unfehön. Ueber den Meifler. der
/ *5 A J keineswegs ein unbedeutender Kiinlller gewefen ill, läf>t
Meisterlichen eines üch nichts weiter als fein Zeichen mit der Jahreszahl 1585,
unbekannten Malers, welches oben links über der Grabesötfnung lieht, anführen.
Fig. 280.
Ein fehr bemerkenswert hes Stück der Kleinarchitektur ill die Sand-
uhr an der Kanzel; fie diente dazu, dem Prediger die Zeit zu feiner Rede
darnach einzurichten. Das Gellell ill in Schmiedeeifen kunllreich aus-
getührt. wie unfere Zeichnungen Fig. 281 und I'ig. 282 veranfehauliohen : ?es
bildet ein Kreuz, in delTen Mitte die eigentliche Sanduhr, GlasbehältnilTe
in hölzerner Umrahmung (nicht gezeichnet), mittelH eines Zapfens dreh-
bar beteiligt ill. Der Schmied hat ein llufeifen als fein Zeichen unter
die Rankenzierrathe gebracht. Ich vermuthe, dals diefes Stück in die
erften Jahre des 17. Jahrhunderts gehört. Es kann den heutigen Kunft-
fchmieden als ein treffliches Vorbild empfohlen werden.
Ob die Glocke von 1,10“ Durchmelfer, welche oben einen Schmuck
von Medaillons, aber keine Infchrift hat, dem 13. Jahrhundert angehört
oder gar Ipätgothifph ill. mufs dahin gelleilt fein. Die Glocke von
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LETTIN.
5*5
0.63“ DurchmelTer hat die in den Mantel eingeritzte unverftändliche
Majuskelinfchrift :
+ ÄVfflH fllÄRIÄGR (wahrfcheinlich der Anfang des engelifchen
Grufses).
Fig. 281.
Kig. 282.
Sanduhrgeflell, Vordcranficht.
Sanduhrgcltcll. Seitenanficht.
darunter zwei Tänien mit Figuren und Medaillons, die Form ifl hoch fl ge-
fällig; die Fntßehungszeit wird die erlle Hallte des 14. Jahrhunderts fein.
33*
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51Ö 1>1E STADT HAt.LF. U. il. SAAI.KKFIS.
Die Glocke von 0,87" DurchmelTer ill 1841 von C. GG. Becker in Halle
gegolten.
Lieskau.
Kirchdorf, bis 1555 Filial von Lettin, jetzt von Schiepzig, 6,5 km welt-
lich von Halle auf der linken Seite der Saale gelegen. Die älteren Namen
lind Lezkowe, Lefskou, Lyzeke, I.iskowe, im 18. Jahrhundert LilTkau. Lin
hallefches Pfannergefchlecht foll von diesem Dorfe den Namen bekommen
haben. Die im Dorfe gelegene Kirche ift, nachdem fie 1697 einen neuen
Thurm erhalten hatte und 1714 erhöht und erweitert war, am 17. Februar
1734 bis auf die Mauern abgebrannt. Auch das Dort ging damals bis auf zwei
Häufer in Flammen aut. Die nun wieder ausgebaute Kirche hat kein In-
terelTe; es fei nur bemerkt, dafs man an der Nordfeite noch Reite
der erften gerade gefchlotTenen , thurmlofen (gothilchen?) Kirche erkennt.
Die mensa des Altares hat zwar keine Weihkreuze, wohl aber ein leere»
sepulchrum. Ein melfingenes Taufbecken trägt mitten die Darftellung der
Kundfehafter von Jericho : zu der Herßellung ift ein Stempel gebraucht,
wie er fich übrigens im Kreil'e nicht findet. Die Umfchrift zeigt die in
Fig. 283 abgebildeten, nochgothifchen Charakter tragenden Lapidarbuchftaben
t'lf. 2»i-
Stempel der Schrift auf der Tauffchüffel.
in Wiederholung, deren Sinn nicht zu verliehen ift. Das zuletzt umlaufende
Ornament ift gothifirend. Die beiden Glocken von 0.84" und 0,07“ Durch-
meffer find von Ulrich in Laucha 1876 umgegolTen.
Lochau.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, 10 km füdlich von Halle, an der weifsen
Elfter .gelegen. Das Rittergut wird der Stammfitz derer von Lochau ge-
wefen fein , allein fchon im 1 4. Jahrhundert haben es die von Thore in
Befitz gehabt. Die dann folgenden Befitzer f. bei von Dreyhaupt II, qio t
Die im Dorfe belegene Kirche S. Annae ift 1752 an der Stelle einer alten,
erbaut worden und hat kein InterefTe. An der Oftwand des Chores befindet
fich ein 1563 handwerklich gemachtes Grabmal, welches einen knieenden
Ritter vor einem Crucifixe zeigt.
Die Glocke von 0.60" Durchmefter ift von fchlanker Form und ohne
Schrift. Sie wird im Beginn des 13. Jahrhunderts gegolten fein. Die
Glocke von 0.90“ Durchmefter zeigt eine ungewöhnliche Form; ihre Minuskel-
umfehrift hat ein des I.efens wohl unkundiger Giefser aus Wachsmodellen
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LETTIN. LIKSKAl'. LOCHAU. LÖBEJÜN.
5'7
zulämmengellellt; fie ift nicht zu entziffern. Die Glocke von 1,20“ Durch-
mefTer trägt die Infchrift :
soli Deo gloria, Friedrich August Becker goss mich in Halle 1741.
Löbejün.
Stadt, 16 km nördlich von Halle gelegen, und zwar auf einer Boden-
erhöhung, aut der die Stadtkirche dominirend über die kleinen lläufer empor-
ragt, fodafs das Weichbild der Stadt in den Umriffen an mittelalterliche
Weife gemahnt.1 2 Sie hat jetzt 3425 Einwohner; im Mittelalter hatte fie
500 bis boo, nach der Reformation bis zum dreifsigjährigen Kriege zählte
man deren 1000. während diefes Krieges ( 1 636) fiel die Zahl auf 96; 1719
zählte man 909. Der Ort heifst nach der trefflichen „Gelchichte der Stadt
Löbejün von dem Oberpfarrer Dr. Ferdinand Wilke 1853“ richtiger Löbe-
chün* urfprünglich Luibechun, welches der wendifche Name für Läubechen,
— Lauben = Laubenhain ift, zufammengefetzt aus I.eba = Laube und
Chuna=Hain oder entftanden aus I.uibe im X. Jahrhundert Leube, Läube,
jetzt Laube und Chun oder Hun = Hain, aber auch als Verkleinerungs-
filbe „chen," auch als Mehrzahl, ln einem F'ascikel von 1605 kommt noch
die Schreibweife Lobuchuhun vor, im 15. und 10. Jahrhundert ift der Name
immer Lobechun. 961 wird der Ort zuerft genannt und zwar als „civitas
Luibechun in pago Nudzici fita".3 Es ift aber trotz diefer Benennung frag-
lich, ob damals der Ort fchon Stadtrecht gehabt habe.
1156 gab es nur eine Kapelle hier, izoi wird von einer Kirche ge-
meldet, jedoch mag das eine verfchiedene Bezeichnung defTelben Gottes-
haufes fein. Dafs zur Wendenzeit eine nicht unbedeutende Anfiedelung an
diefem Platze beftanden hat, läfst lieh daraus fchliefsen, dafs hier eine
der Burgen der Graffchaft Wettin, zu welcher die Stadt gehörte, lag.
Uebrigens lallen Wörter wie Crodendorf, eine Wüftung in der Löbejüner
Feldmark, wohl nicht daran zweifeln, dafs felbft vor der Herrfchaft der
Wenden die Verehrung altgermanifcher Gottheiten hier ftattfand, mithin
fchon eine deutfehe Anfiedelung hier lag. Die Anlage Heinrichs I. ift noch
jetzt unter dem Namen die Burg bekannt und deren Graben mit Erdwall
wird als „Schanze“ bezeichnet. 1153 ging die Burg durch Schenkung Wich-
manns, der fie von feiner Mutter geerbt hatte , an das Erzftift Magdeburg
über, es blieb jedoch die Stadt, als der untere Theil des Ortes, noch bis
1253, zu welcher Zeit fie unter dem Erzbifchof Willbrand ebenfalls an das
Erzftift kam und dann (bis 1806) bei dem Amte Giebichenftein war, wettinifch.
Die Burg als die obere Stadt war als Mannlehn in den Händen einer Linie
1 Bei von Dreyhaupt II, 810 u. 8n ift eine Abbildung der Stadt gegeben, auf welcher
iuLer der Kirche das Rathhaus auftallt; dnffelbe ift feit 1836 verkauft.
2 Diefe Schrcibweife fcheint auch von Dreyhaupt „das accuratefte" zu sein, weil in alten
Handfchriften Lubichünc ftche, 1294 fchreibt fich ein Hermannus de Lobechun.
3 fo bei Wilke während von Dreyhaupt folgende Stelle anführl: „civitatcm Luibuhun in
tegione Nudzici sitam.*’
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5««
ULK STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
derer von Krofigk, des Gefchlechts derKöler, welches im 16. (?) Jahrhunden
ausftarb. 1505 ift fie „wo nicht von neuen fundiret,“ fo doch „reparirr
worden. Im Laufe des 16. Jahrhunderts aber, als die Burgen überhaupt
verfielen und die Macht der Burgherren in die Hände der Bürger, d. L der
Burgleute überging, wurde auch diefe Burg aufser Kapelle und Wirth-
fchaftsgebäuden zerftört. Die dem h. Georg geweihte Burgkapelle, 1125
von dem Markgrafen Conrad dem Petersbergklofter gefchenkt, wurde zwar
von dem Käthe bis 16 lo erhalten, 1Ö78 aber in eine Oelmühle verwandelt
um am Ende des 18. Jahrhunderts Bürgerhäufern Platz zu machen. 155:
bis 1564, alfo zu jener Zeit, in welcher die Burgherren ihre Macht verloren,
die Bürger fie aber gewannen, wurde die Stadt felbft durch einen Mauergürtel
mit Thürmen und Zinnenkranz befeftigt Man kann diefe Mauer noch an
den Kellen veriolgen. Zuvor war die Stadt, wie wohl viele kleine Städte
im Mittelalter, nur von einer „leimernen (von Lehm) Wand“ umfchloffen.
Von den vier Thoren ift nur noch das Hallefche Thor, feit 1824 Stadtge-
fängnifs, einigermafsen erhalten; es ift infchriftlich 1Ü07 in feinem untern
und 1743 in feinem obern Theile erbaut worden. Nicht überfiüffig dünkt
mich hier anzumerken, dafs 1505 die Stadt zuerft gepflaftert worden ilt
ferner dafs 1500 ein öffentlicher Brunnen auf dem Markte gegraben wurde.
Derfelbe ift zwar 178g, weil er kein WalTer mehr gab, zugefchüttet , aber
feit dem 11. Februar 1840 wieder geöffnet. 1505 wurde auch ein zweiter
öffentlicher Brunnen hinter der Schule an der Brunnengaffe gegraben, der
jetzt aber verfchüttet ift. 1565 entdeckte man die Quelle am Hallelchen
Berge (zwifchen Wettiner und Merbitzer Berge) und man ging nun mit der
Ablicht, eine Wafferleitung anzulegen um, jedoch verhinderte der dreißig-
jährige Krieg die Ausführung. 1583 brannten die Kirche, das 1502 erbaute
Kathhaus und 180 Gebäude der Stadt nieder, und bei diefem Unglück
gingen dann auch die älteften ftädtifchen Urkunden zu Grunde. Es fei er-
wähnt, dafs bis auf die Zeit des Erzbifchofs Emil eine Anzahl jüdifcher
Einwohner (ich zu Löbejün befanden, die dann wie überall im Erzftifte ihre
llcimath auch hier verlaßen mußten.
Unter den altern Gebäuden der Stadt zeichnet lieh die dem h. Petrus
geweihte Stadtkirche aus, über deren Erbauungszeit eine in Stein (gehauene
Minuskelfchrift an dem füdöftlichen Eckftrebepfeiler des Schiffes folgende
Auskunft giebt:
anno Äoraiiti nmlun frria frrnitka pol qualimoiaarmli iiccpta r!
I)tt flrurluta.1
Eine andere Infchrift an einem Pfeiler der Tödlichen Chorwand, welche
lautet:
anno bonini mtaclxtm in bic Sofiannio rfl finita nntr portam Satfioin
caprlla fiofpitii S. Cjrtici
befagt zwar nichts über den Bau diefer Kirche, allein, da fie hier ange-
bracht iß, müfste 1464 — wenn ihre Anbringung nicht nachträglich bewirkt
1 Nach Wilke fallt ihre Vollendung wahrfchcinlich 1487.
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LÖHF.jCN.
5<9
ill der Chor fchon beilanden haben, was auch wahrfcheinlich ill, weil
nach Wilke der Chor fchon i <54 gebaut wurde und bellchen blieb, als man
das jetzige Schiff anbaute. Schon erwähnt wurde, dafs in dem grofsen
Brande 1583 auch die Kirche zu Grunde ging. Der Thurm rnufste ganz
abgetragen werden. Bei der Erneuerung des Schiffes wurde ftatt eines
Gewölbes die jetzige grade Balkendecke mit Verfchalung gewählt.1 Zu
dem Thurme wurde am 21. März 1588 Vormittags 10 Uhr der Grundllein —
und zwar nach Wilke vom erden Simfe an der Ecke nach der Schule
21 Fufs tief — gelegt und am 2 1. October 1589 wurde der Knopf aufgefetzt.
Als Baumeider wird ein Eberhard Schmidt von Sangerhaufen, als Maurer-
meiller Adam Garbe und Philipp Schoch, als Zimmermeiller Michael Knorr
als Schieferdecker Gurth genannt.* Bezüglich diefer bedimmten Angaben
über die Grunddeinlegung, welche den Akten entnommen find, id es nicht
wohl verdändlich, dafs die Infchrift über dem Fender der Südfeite alfo
beginnt:
Haec turris feliciter incepta die Benedicti a. d. 1585 tempore con-
sul Joh. Zwanzig etc.,
nach welcher alfo fchon zwei Jahre vor der Grunddeinlegung der Thurm
angefangen wäre. Weiter oben liell man:
Anno 1589 haec turris feliciter finita est ab Erhardo Schmidtio,
opifice Sangerhusano.
1790 id der Dachreiter abgenommen, indeden dürfte doch der jetzige aus
einer nicht viel fpätem Zeit fein. Das Aeufsere des nüchtern ausfehenden
Gebäudes dellt lieh als eine drei Joch lange Hallenkirche dar, deren Mittel-
fchiff ödlich als dreifeitig fchliefsender Chor herausgebaut id. Das Dach
über letzterem von derfelben Neigung wie über dem Schiffe id natürlich
niedriger und döfst dumpf gegen den geraden Wedgiebel des Schiffes. An
der Nordfeite id die Sacridei in die Ecke des Chores und Schiffes einge-
baut. Die Tpitzbogigen Fender find durch einen Pfoden zweigetheilt und
haben wenig bedeutendes Maafswerk. Im wedlichen Joche liegen die beiden
Eingänge fich gegenüber; de find in fpätgothifchen Formen und mit der
fpätgothifchen Gewändeprofilirung aus glatten Runddäben, Kehlen und
Plättchen bedehend. ausgeführt. Eine Thür auf der Südfeite des Chores,
welche bei Taufen, Communionen und Beichten benutzt worden id, hat man
vermauert; desgleichen eine Thür auf der Odfeite. In einer Nifche an der
Odwand des Chores und auf den daneben befindlichen Confolen haben die
Heiligen Valentin, Margaretha, Barbara und Anna gellanden. Der Thurm
1 Wenn von Dreyhaupt 1586 als das Jahr der Erneuerung angiebt, To bezieht fleh feine
Angabe vermulhlich auf die Fcrtigftellung der Arbeiten des Schiffes.
2 Wenn Wilke meint, dafs der Thurm mit der Kirche nicht in Verbände ftche , fo mufs
dazu bemerkt werden, dafs es aus conflruktiven Gliinden Kegel ift, den Thurm niemals mit dem
Schiffe im Verbände auszufiihrcn, auch wenn beide gleichzeitig gemauert werden, eine Regel,
die leider auch heute nicht wenigen Bauleuten unbekannt ift.
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5*0
DIE STAlll HALLE u. d. SAALKREIS.
hat in der fiidlichen Ecke, welche er mit dem breitem Tanghaufe bildet,
ein rundes, zweigefchoffiges Treppenthürmchen neben fich. Er felbft im
Grundrifs quadr itifch baut fich ohne Aenderung diefes Planes in vier durch
fchwache Gurtfimfe getrennten GefcholTen auf. In dem oberften derfelben
find jederfeits zwei Fenfter mit Maafswerk befindlich, auch die übrigen Gt-
fcholTe werden von kleinern Oeffnungen in rechtwinkliger und fpitzbogiger
Form durchbrochen ; man hat eben die von dem altem Thurme noch brauch-
baren Stücke unbeanllandet wieder eingefetzt. An der Stelle des Helmes
befindet fich eine aus zwei fich kreuzenden Satteldächern begehende Be-
deckung mit je einem Backfteingiebel über jeder Seite, der jedoch in wenig
fchönen RenaifTanceformen und zwar als Verblendung einer innern F'ach-
wand ausgeführt ifl. Auf dem Kreuzpunkte der Dächer lieht ein latemen-
artiger Dachreiter mit welfcher Haube. Es ift richtig, dafs, wie Wilke an-
merkt, das Thurmäufsere kein kirchliches ift ; die Gründe können indeUen
hier nicht angegeben werden. Wie die Conllruction des letzten Thurmge-
fcholTes keine folide ift , fo läfst auch die Technik des Mauerns durchweg
zu wünfehen übrig, wie fich das durch zahlreiche RilTe in den bruchlleinernen
Thurm- und Schiffwänden darthut.
Das Kircheninnere ift durch zwei Reihen fchlicht achteckiger kapital-
lofer Pfeiler, die fich jederfeits durch fpitzbogige Arkadenbögen verbinden,
in drei Schiffe getheilt und diefe find von der erwähnten geraden Holzdecke
(ohne befonders merkwürdige Ausbildung) überdeckt.
Als die ältellen Kunllwerke find die Reffe mehrerer Schnitzaltäre zu
nennen, ln einem Triptychon an der füdlichen Chorwand lieht im linken
Flügel die h. Margaretha mit dem Drachen, im Schreine Petrus als der Titel-
heilige, Maria und Paulus, im rechten Flügel lieht die h. Dorothea (oder Elifabeth)
mit einem Korbe und Kinde. Unter diefem Flügelaltare hängt die kleinere,
beffer gearbeitete Figur einer Heiligen, die nicht zu erkennen ift, in einem
Schreine. An der füdlichen Seitenfchiffwand befindet fich die Einzelfigur eines
Heiligen in Diaconentracht (?) mit einem Teufel zu Füfsen (Cyriacus? Norbert ?),
alsdann ein Triptychon, in deffen linkem Flügel Chriftoph mit dem Kindlei
aut der Schulter lieht; im Schreine findet fich nur noch die Statue der
Maria mit dem Kinde, die zu ihren Seiten befindlich gewefenen Figuren
fehlen; im rechten Flügel fleht eine Heilige mit Fliehen und einer Kanne
(Elifabeth?) Zu den Seiten diefes Altarfchreins ift noch je eine einzelne
Heilige ohne Beigabe angebracht. An der Nordwand des Schiffes fieht
man in einem Schreine links eine Heilige in Nonnentracht, dann Maria mit
dem Kinde und Magdalena. Zu diefem Schreine gehört der Flügel mit
der Heiligen an der Südwand des Chores, das beweill die Auftäffung und
technifche Ausführung der Figuren, die an Werth alle andern weit über-
ragen. Anstelle des dem h. Petrus geweihten Altares ift in proteilantifcher
Zeit und zwar am 18. Augull 1613 der jetzige Altar d. h. nur feine fteinernen
Beftandtheile getreten, geftiftet von einem Bürger, Hans Braunfchweiger.
Die Gemälde waren bereits 1604 vom Magillrate durch den hallefchen Maler
Daniel Rulefink befchafft worden. Diefe in neuerer Zeit aufgefrifchten
Bilder find jetzt werthlos. Dennoch fei erwähnt, was lie auf drei
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LÖBEJÜN.
52'
Bildern im Mittelfelde und auf je dreien an den Flügeln darllellen; links
Chriftus auf dem Oelberge in der Nacht des Verraths, Chrilli Gelangen-
nahme, rechts Chrilli Geifselung, Pilatus verurtheilt Chrillum. Mittelwand
unten, Chriftus ifst mit den Seinen das Pafchalamm, linker Flügel: Cimon
von Kyrena mufs Chrilli Kreuz tragen, in der Mitte die Kreuzigung Chrilli
und der Schächer, rechter Flügel: Grablegung Chrilli, oben Mittelwand: die
drei F rauen gehen am Oftermorgen zum Grabe. Hinter der Altartafel lieht
folgendes Chronodiftichon:
Septima Ivx nobls vbi elaro falfit ab ortv
avgvftl artiflels plcta tabella fvlt das ift der 7. Augull 1600.
Die Dispofition der in entwickelten Renaiftanceformen gut gefchnitzten
Architektur des Aulbaues ift von Intereffe. Die Kanzel, welche ftch an
der Ecke des Chores und nördlichen Seitenfchiffes befindet, ift von Stein.
Sie wird von einem mit Engelsköpfen verzierten Rundpfeiler, der auf einem
Poftamente lieht, unterftützt und ift nur durch eine in die Sacrillei hinab-
führende Treppe zugängig. An diefer Treppe ift die Brüllung mit llolzein-
fätzen ausgefüllt und auf diefen find die vier Evangeliften in Relief darge-
ftellt; an der Kanzelbrüftung dagegen ift die Verkündigung, Geburt,
Kreuzigung und Auferftehung in fteinernen Reliefs ausgeführt. Man lieft
an dem Gefimfe der Treppe:
l)a*i Hrnttr t)a! öen prrftid|t8iil)l Der fiirdjtn )U t|tn mnd|tn Infra nnne Uli,
an der Kanzel lieht:
$an$ IBi^irl oon Brrnburgk 1 (vertieft eingehauen) Andrea» Bradjinan
ftlalrr aai IHagiirbtirgb Anna MDLXXXIX.
Die jetzige Bemalung dürfte aber erll aus dem Ende des vorigen Jahr-
hunderts fein. Der Taufftein gehört dem Jahre 158g an. Aus unferer Abbildung
deffelben F'ig. 284 wird erfichtlich, dafs er durchweg von achtfeitiger
Kelchform ift. Der Fufs ift fchlaft profilirt, der Schaft mit kräftigen Spitz-
quadem verziert, kräftig ift auch der mit Hachen Kartufchen überfponnene
Wulft, welcher das Gefäfs dem Fufse verknüpft. Die Seitenflächen des
Kelches find mit verfchiedenen Kartufchen ohne befonders gute Erfindung
belebt. Ein Bibelfpruch umzieht den durch einige architektonifche Glieder
entllandenen Rand. Dafs die Arbeit der ftiliftifch fein empfindenden Hoch-
renaiffance angehört, ill aus unferer Befchreibung erkennbar, aber die Aus-
führung ift nicht lobenswerth, fie ift nicht meifterlich, fondern nur werk-
meifterlich. An der Nordfeite des Chores ift ein fteinemes Grabmal von
1587 erhalten, ln der Sacrillei fieht man einige verfchiedenzeitige und nicht
ganz bedeutungslofe Mobilien, einen einfachen Holztifch der Renaiffance
1 Dieter Bildhauer ift als der Erfinder anrufehen.
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DIE SIAIlT HAI. DE u. d. SAALKKE1S.
5“
(ungeleimt) mit zwei gut profilirten Brettfüfsen, einen faß werthlofen Ipät-
gothifchen Schrank und einen Gotteskaflen , der, wie diefe Behältnifle zu
fein pflegen, ans einem gehöhlten Baumflamme belleht.
Fig 284.
/i e 0
Taufftein.
Ueber die Glocke von 0,75“ DurchmefTer befagt die Infchrift:
ANNO 1707 GOSS MICH PETER BECKER IN HALLE.
Die Glocke von 0,99“ DurchmefTer und die von 1,23" DurchmefTer hu
1839 C. G. G. Becker in Halle gegoITen.
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LÖBEJÜN. LÖBNITZ an der LINDE. 5 23
Nordößlich vor der Stadt liegt das Hospital S. Cyriaci , welches 1 460
von Tielemann Rode, einem Löbejüner Pfarrer, gegründet iß. Das Hofpital
felbß iß ganz neu erbaut, aber es hat noch eine alte Kirche, die ebenfalls
1460 gebaut und vier Jahre fpäter, wie wir fchon aus der am Chore der
Stadtkirche befindlichen Infchrift wißen, vollendet fein foll. Es iß das
Kirchengebäude von oblongem Grundrifs mit geradem Chorfchlufs und ohne
Thurm. Die Renai ffanceausbauten des Innern find von nur geringem
Werthe. Die Glocke im Dachreiter hat 0,65” Durchmeder und iß mit
Schnüren umzogen; fie wird dem 15. Jahrhundert angehören.
An Profanbauten giebt es aufser einigen Holzgefimfen der fpätern
Renai ITance kaum etwas Bemerkenswerthes.
Löbnitz an der Linde.
Pfarrkirchdorf, 28 km nördlich von Halle als Enclave im Anhaltifchen
gelegen. Die im Dorfe befindliche Kirche dürfte eine romanifche Anlage
fein, von der fich aber nur das Langhaus erhalten hat. In (fpät?)gothifcher
Zeit iß ößlich an Stelle der Aplis ein rechteckiger, vergröfsernder Ausbau
getreten, d eilen gerade Oßwand noch jetzt von ihren urfprünglichen drei
fchmalen Spitzbogenfenßern durchbrochen wird. Der heutige Thurm ßammt
aus dem Jahre 152g, welche Zahl am Schlufsßeine' der vom Schiffe aus zu
ihm führenden Thür ßeht. Im Innern fällt ein fpätgothifches Sacraments-
häuschen an der Nordwand des Altarraums auf ; Fialen mit krabbenbefetzten
Riefen an den Seiten der Thür, über welcher ein kreuzblumenbekrönter
Efelsrücken fich befindet, und ein gerades Gelims oben alsAbfchlufs bilden,
wie bei den meißen Schreinen diefer Art im Kreife, die Beßandtheile. Der
Thürflügel iß auffälligenveife von Holz, ab r mit Blech überzogen und mit
zwei einfachen hübfeh geßalteten Bändern befchlagen. Die Altarplatte hat
an den Enden Weihkreuze und ein leeres Grab mit Marmorplatte in ihrer
Mitte. Der Altaraufbau iß ein Triptychon. Die Flügel find beiderfeitig in
Temperafarben bemalt und zwar ßeht auf ihrer Rückfeite je ein Heiliger;
die fichere, wenn auch nicht ' tadellofe Zeichnung beider Bilder iß nicht
mehr fo weit erhalten, dafs mit Gewifsheit zu erkennen wäre, ob hier
Petrus und Paulus dargeßellt find. Die alten Bilder auf der Vorderfeite
der Flügel find in der Barockzeit je mit zwei gänzlich werthlofen Oelbildern
auf Leinwand übernagelt, fodafs man auf eine relativ gute Erhaltung jener
alten Gemälde rechnen darf, falls diefe barocken Stücke einmal entfernt
würden.
Im Schreine felbß ßehen folgende holzgefchnitzte Figuren, links oben
die h. Barbara mit ihrem Thurme und eine 1 leilige, die einen Mühlßein oder
ein Rad hält, vielleicht alfo die h. Katharina vorßellen foll; links unten
eine Heilige jetzt ohne Attribut und eine andere mit einem Schädel (Magda-
lena?); die Schreinmitte nimmt Maria mit dem Kinde, in gröfserm Maafs-
ßabe als die übrigen Statuen gehalten, allein ein; rechts oben ßeht die
h. Margaretha mit einem Drachen und die h. Dorothea mit einem Körbchen,
unten die h. Agnes mit einem Lamme und eine Heilige, jetzt ohne Beigabe.
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524
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKhIS.
Die Auffaffung und Ausführung- aller diefer Figuren ift nicht bedeutend,
die Technik ift roh, die Köpfe ftark, nur der Faltenwurf ift gut.
Die Glocke von 0,57" Durchmeffer ift auch 0,57" hoch, ihre Form er-
fcheint demnach länglich und ladet unten an einem kräftigen Schlagringe
weit aus. Oben fteht zwilchen einem aus vier Riemchen gebildeten Bande
diefe Majuskelumfchrifl:
+ GLORIOSA (wohl der Glocke) • 0 RÜX GLORIE V€I?I ÜVfll
PÄE (= PÄ(IE) • (Das H in RÜX ift über die Reihe gefetzt;
zwifchen R und X fteht ein kleineres G.
Die Buchftaben find noch nicht über Wachsmodellen geformt, fondeni
durch ein allerdings fehr gefchicktes Eingraben in den Mantel entllanden;
ihre Form tritt plaftifch gut hervor ; man dar) den Glockenguls etwa in
das vierte oder fünfte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts fetzen. Die Glocke
von 1 , 1 1 “ DurchmelTer hat eine plumpe, matt gezeichnete Form und ift
aufser durch vier Riemchen oben ohne jeden Schmuck; gehört fie in die
fpätgothifche Zeit? — Die Glocke von 1,20“ DurchmelTer hat diefe Inlchritt:
GOTTES WORT BLEIBET EWIG. ECKHART KVECHGER VON ERF-
FVRT GOS MICH IN KVEINERN M . DLXXXIIII.
Merbitz.
Kirchdorf, Filial von Nauendorf und Rittergut, 14 km nördlich von
Flalle gelegen. Schon 1286 wird ein Fleinrich von Merbitz genannt, diefes
Gefchlecht ftirbt aber im 15. Jahrhundert aus. Nachdem dann Buflb Thaufe
das Gut gekauft hatte, ging es 1508 an feine Söhne über und von diefen
an die von Krofigk, die es bis heute befitzen. Wenn die Bautormen des Herren-
haufes, welches zu Anfang des 18. Jahrhunderts neu erbaut ift, auch nicht
bedeutend find, fo giebt es doch mancherlei beachtenswerthe Einzelheiten,
die als barocke ErzeugnifTe gefchätzt fein wollen. Ueber die Kirche, welche
auf dem Hofe fleht und mit dem Thurme an das Herrenhaus gebaut ift,
weil fie anfangs nur als Schlofskapelle gedient hat, fteht das Patronatsrecht
bei dem Gutsbefitzer; fie hat auch zuvor als filia vaga zeitweife zu Löbejün ge-
hört. Vielleicht ift die Anlage des Gebäudes romanifch; mit dem Gutshaufe
ift aber auch die Kirche umgebaut worden. In dem rechtwinklig fchliefsenden
Schiffe, deffen Altarraum unterwölbt und mit Särgen ausgefetzt, nun aber ver-
fchüttet ift, bemerkt man an der Nordwand die Epitaphien der von Krofigk-
schen Kinder. In den Kirchenfenftern befinden lieh vier gut auf Glas ge-
malte Wappen, die fchon von 1603, mithin von der älteren Kirche her-
llammen; es find die der Familien von Alfensleben (Rofen) und von Krofigk
(Pflugfcharen). Die Glocke von 0,39" Durchmeffer ift 1561 (?) gegoffen; die
von 0,63“ DurchmelTer hat diefe Auffchrift:
Verbum Dei Manet in Aeternum Anno MDCLXXXXIII im Julio
habe ich, Matthias von Krosigk, bey jezt regierenden Chur-
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LÖBNITZ an der LINDE. MERBITZ. MITTRLEDLAU.
525
fuersten zu Brandenburgk Friedrich dem Dritten, bestallter
Cammerrath und Kriegscommissario nebenst meiner Frauen,
Sabinaen Osterheldz, gebohrne von Landsbergen, zu Gottes
Ehren diese Glocke auf mein Haus Merbitz in Halle giesen lassen
von Johan Jacob Hoffmann.
Mitteledlau.
Plarrkirchdorf, 22 km nordweftlich von Halle gelegen, gehörte dem
Collegiatflifte S. Nicolai zu Magdeburg; aul die Bitte diefes Stiftes machte
der Iirzbifchof Erich 1293 die Kirche, die feither Eilial der Kirche zu
Cönnern gewefen war, felbftftändig. Das Kirchengebäude, der h. Katharina
geweiht, liegt an der nördlichen Seite des Dorfes und ill 1882 im Innern
umgebaut. Die Anlage gehört der Uebergangszeit an; fie fehliefst örtlich
Fif;. 285.
Taufftein.
mit geradem Giebel und hat am Thurm ein Fenfter behalten, welches die
urfprüngliche Ausbildung zeigt, nämlich eine fpitzbogige Ueberdeckung
bei langer fchmaler Form. Auch der Taufftein, welcher aus der Kirche
entfernt ift, gehört der Uebergangszeit oder der frühen Gothik an. Wir
geben in F'ig. 285 feine Abbildung, aus welcher man erkennt, dafs er bei
allem Mangel an Zierrathen, doch ein gefälliges (fall gelecktes) Anfehen
hat; feine achtfeitige Geftalt fetzt fich aus dem kelchartigen Gefafse, einem
(ich ausbreitenden Fufse und einem beide Theile verknüpfenden Rundftabe
zufammen. In dem jetzt im Provinzialmufeum zu Halle befindlichen Altar-
fchreine flehen die drei Heiligen: Katharina mit Schwert, Rad und Buch,
Maria mit dem Kinde und ein Bifchof, jetzt ohne Attribut. Aufser diefen
fall lebensgrofsen Figuren , die noch im Schreine liehen , giebt es eine
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526
DIE STADT HALTE n. d. SAALKREIS.
Anzahl kleine, die lieh in Flügeln befunden haben werden, nämlich Margaretha
Moritz, Anna felbdritt, Barbara und Elifabeth; zu ihnen gehören jedenfalls
auch die beiden, welche auf der Orgel liehen der h. Stephan mit einem
Buche auf dem Steine liegen und ein heiliger Diacon mit geöffnetem Buch«*
Alle genannten Figuren find nur mittelmäfsig gearbeitet.
Die Glocke von 0,69“ DurchmefTer hat um den Hals drei Riemchen
und ihre längliche F'orm ilt übrigens ohne Zierrath und Infchrift. Sie wird dem
13. Jahrhundert als der Erbauungszeit der Kirche angehören. Auch die
Glocke von 0,88“ DurchmefTer, welche von gleicher Bildung ift, aber vier
Riemchen hat, ilt in diefes Jahrhundert zu fetzen. Die Glocke von
1.0“ DurchmefTer ilt barock; ihr Gufs ilt fchlecht; als Verzierung dienen
ihr vier in Kreuzform gelteilte Medaillons aut jeder Seite, und zwar ilt in
dem oberlten das Gotteslamm einerfeits, andererfeits das Chriltkind mit
der Weltkugel dargeltellt. Darunter tinks ein Engel mit Kelch, rechts
Adam und Eva am verbotenen Baume, unten der Traum Jacobs (?); zu
Häupten Iteht ein Engel.
Mötzlich.
Pfarrkirchdorf, 4 km nordöitlich von Halle gelegen. Aeltere Namens-
formenfind: Muzelice, Muzelich, Motelitz, Mötzelitz, Mötzelingen. Mötzlingck
Die Kirche und das Dorf find 1171 von dem Erzbifchof Ruggerus und 118:
Fl*. 586. Fig. 287.
Tlimmfcnfter im Süden unten. Thurmfenftcr im Süden oben.
von dem Erzbifchof Wichmann dem Klolter zum Neuen Work bei Halle
gefclienkt. Das Dorf, im drei fsigjährigen Kriege abgebrannt, wurde wieder
erbaut, ging aber gröfserentheils 1750 noch einmal in Flammen auf. Die
Kirche S. Pancratii liegt weltlich im Dorfe und ilt eine romanifche Anlage
gewefen. 1712 foll fie von Grund auf neu zu bauen angefangen fein. Sic
fchliefst öltlich mit drei Seiten. Ihr Thurm mit einem halb erhaltenen
Tonnengewölbe ilt noch romanifch Er hat zwar einen neuen Helm be-
kommen, aber in feinen Mauern linden fich romanifche Details von beachten*-
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MITTKLKDLAU. MÖTZLICH.
527
werthen Formen. Einige Fenfter find in Fig. 286, 287. 288, 28g dargeftellt.
architektonifch interelTant ift namentlich Fig. 288, ein Stück, welches auf
die fpätere romanifche Zeit fchliefsen läfst. Auch die gekuppelten Schall-
löcher würden bemerkenswert!«: Formen darbieten,- nämlich Säulchen, die
in der Mauermitte ftehend, mittelll eines fattelholzartigen Steines die Rund-
bögen der Oeflnungen aufnehmen, wenn diefelben nicht in neuerer Zeit
Fig. 288.
Thurmfenfter im Werten unten.
vermauert wären. Das Thurmgemäuer ift in lagerhaften Steinen gut hor-
geftellt und die Ecken find mit Quadern eingefafst. Im Innern der Kirche
fleht man den in Fig. 290 dargoftellten Pfeiler, welcher die beiden Bögen
der Thurmmauer gegen das Schiff trägt. Die eigenthümliche Ausbildung
der engagirten Säulchen ift merkwürdig. Die Kirche befitzt ein
meffingenes Taufbecken mit der bekannten Darftellung der Verkündigung
Mariae in der Mitte und mit umlaufender Minuskel- und Lapidarfchrift,
ferner einen Kelch mit einfachem ungegliederten Fufse und ebenfolcher
Cuppa; der Nodus hat an den Zapfen den Namen am Stilus
unter und über dem Nodus lieft man ave maria gracia pe (= plena).
Die Glocke von i,om Durchmeder hat eine hübfche Form und die
Minuskelumfchrift :
0 Medaillon m ttttt I O l|llf O Medaillon Maria ;
als Zierrath dient eine ftark erhabene Ilalbfigur der Maria. Die Glocke
von 1 02" Durchmeder ift anno MDCLXXVII von Joh. Jacob Hoffmann in
Halle gegolfen.
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MÖTZLICH. MORL.
529
Morl.
Pfarrkirchdorf und Rittergut. 7 km nördlich von Halle gelegen. Die
ältere Namensform iß Mordal. Die Familie derer von Mordal hat hier
ihren Stammlitz gehabt. Ihre Gefchichte giebt von Dreyhaupt II, 925. Die
Kirche, nördlich im Dorfe gelegen, iß 1520 abgebrannt und 1692 reparirt.
Fig. 291.
Thurmfenfter.
Fig. 292.
Thurmfcnfler an der Nordfcile.
Fig. 293.
Thurmfenfter.
Thurmfenfter an der W eftfeite.
Capital aus dem Schallochc des
Thurmgiebels.
Fig. 295.
Fig. 294-
j ET
Die Reparatur fcheint fich befonders auf das ößlich gerade fchliefsende Schiff
■rßreckt zu haben. Der Thurm, ausgeführt in lagerhaften, doch nicht durch-
weg forgfam gemauerten Bruchßeinen und mit Eckquaderung iß noch romanifch
iind im Erdgefchofs mit einem Tonnengewölbe überdeckt. Wir geben in
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 34
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530
DIE STADT HALLE u. d. SAALK.KE1S.
den Fig. 291, 29 2, 293, 294 die Abbildung einiger Thurmfenherchen unter-
halb der gekuppelten Schalllöcher. Details einer Theilungsfäule der letzteren
hellt Fig. 295 dar. Aus den Eckblättern des Capitäls erkennt man, dafs
die Enthehung nicht mehr in die frühe romanifche Zeit lallt. Die Altarplatt»-
hat noch Weihkreuze und ein leeres fepulchrum; übrigens foll der Altar
1690 befchaflt fein. In die Ohwand ih eine Grabplatte eingelaffen, aut
welcher das gut flachreliefirte Bildnifs eines Ritters in ganzer Figur zu
fehen ih. Die Jahreszahl ih bei der Uebermalung als 1306 hatt 1586 ange-
geben, ein Irrthum, der aus der Befchaffenheit der Arbeit erhellt. Die
Glocke von 1,1 jo” DurchmefTer hat die Minuskelaulfchrift:
mmo Dm •|5«u
Die Glocke von 0,80” Durchmefler ih 1812 gegoITen . die von ■ 30“-
DurchmefTer 1882 von den Gebr. Ulrich in Eaucha.
Mücheln.
Kirchdorf, Filial von Wettin, mit einem Rittergute, 23 km nordwehlieh
von Halle, am rechten Ufer der Saale gelegen. Es ih unbekannt, wann1
das Gut, in den ältehen Zeiten Stammfitz derer von Mücheln, ein Tempel-
herrenhol geworden ih, welchem unter andern Gütern auch Döblitz zugehört
und das Patronatsrecht über Wettin zugehanden hat. 1295 ih diefes
Patronatsrecht gegen das zu Grofsen- Weddingen von dem Erzbifchote
Erich vertaufcht worden. Als 1311 (Concil zu Vienne) unter dem Paphe
Clemens V. diefer Orden befeitigt wurde und der Magdeburger Erzbifchot
Burchhard III. die Tempelritter von vier Höfen feines Stiftes — unter ihnen
der zu Mücheln — auf einen Tag hatte verbrennen Iahen, erhob der
Johanniterorden auf Müchelns Güter Anfpruch. So kamen diefelben nun an die
regulirten Canoniker der h. Märtyrer von der Buhe (nach der Regel der
Auguhiner), es ih aber die Zeit unbekannt. Diefer Orden hat dann das
Gut bis zur Regierungszeit des Erzbifchofs F.rnh beferten und zwar als eine
Priorei des Klohers von S. Marcus zu Krakau, dem bedeutendhen Sitze
diefer Ordensleute. Nur ein Pater als Prior und ein Ordensbruder fcheinen
zu Mücheln gewohnt zu haben. Als ungefähr 1490 der alte Prior Peter
Strumendorff von feinem Knechte mit der Heugabel erfchlagen und der
Ordensbruder nach Polen davongelaufen war, hat das Kloher zwölf Jahre
leer gehanden und ih von Jedermann ausgeplündert, ja die Steine der Ge-
bäude find zum Bau der (vormaligen) Gimritzer Kirche verwendet worden.
Diefen herrenlofen Zuhand hat der Erzbifchof Ernh dadurch beendet , daü
er Mücheln 1502 an das Moritzkloher zu Halle verkaufte. 1534 ih es aber
1 Wahrfcheinlieh gefcbah es 1240, alt (traf Dietrich III. von Brehna feinem Sohne, der
Templer war, dat Gut Mücheln alt Commende f (henkte ; Dietrich wäre fomit der eritc
Comthur geweden.
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MORL. MÜCHELN.
53'
unter dem Erzbifchofe Albrecht an den Kanzler Chriftian Türck überge-
gangen und dann an andere Private, die bei von Dreyhaupt II, 927 ange-
führt werden.
Aufser Stücken einer ehemaligen UmTafTungsmauer des Tempelherren-
hofes (?). von denen wir in Fig. 296 einen neben dem jetzigen Eingänge
Fie- 296.
Alle .Ringmauer des Hofes.
in den Gutshof ludlich belegenen Eckthurm mit Schiefsfcharten geben, ift
nur noch die mitten auf dem Hofe ifolirt flehende Kirche Unfer Lieben
Frauen, jetzt Rübenflall mit mehren Kornböden, übrig geblieben. Fig. 297
Hellt ihren Grundrifs dar, aus dem hervorgeht, dafs das Bauwerk der früh-
gothifchen Epoche angehört. Es befteht aus einem zwei Joch grofsen, ein-
fchiffigen I-anghaufe mit einem dreifeitig fchliefsenden Chor. Die Ueber-
deckung ifl mittelH einfacher, von Gurten getrennter und durch Grate ge-
theilter Kreuzgewölbe gefchehen. welche fich an den glatten Wänden auf
Confolen in der Achfe der Strebepfeiler auffetzen, welch letztere dann den
Gewölbe Ichub aufnehmen. Ein Thurm fehlt. Nördlich an dem geraden Wefl-
giebel liegt, .völlig unpaffend zu dem Kirchenfyllem, wie es ja das Wefen der
Gothik mit fich bringt, ein dünnwandiges, rundes Thürmchen. halb vor die
Flucht fpringend. Seine Wendeltreppe vermittelt den Zugang auf die im
Innern an der Weflwand liegende Empore und zum Dachboden. Diefe
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DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Empore ruht auf zwei einfachen, von einem Gurtbogen getrennten Kreuz-
gewölben mit Diagonalrippen; die Schildbögen beider Gewölbe ruhen ein-
feitig auf einem kreuzförmigen in der Gebäudeachfe flehenden Pfeiler. Die
Wände find von fpitzbogigen . zweitheiligen Fenftern — je ein folches
zwifchen zwei Strebepfeilern — durchbrochen. In das Innere führt eine
Hauptthür im weltlichen Joche auf der Südfeite und eine kleinere auf der
Nordfeite im örtlichen Joche. Man erkennt bereits aus diefem GrundrifTe
das Beftreben nach möglichll gröfsefter Einfachheit und Sparfamkeit bei
möglich!! gröfsefter Solidität und Monumentalität; kein einziges bauliches
Stück ift überflüffig; nichts kann letztere Behauptung mehr erweifen als
das Fehlen des Strebepfeilers an der Südwertecke. Dem Baumeifter dünkte
der mit Abficht ftärker angelegte Weftgiebel im Verbände mit der Süd-
wand gegen den Schub, welchen das Gewölbe auf den genannten Punkt
Punkt ausiibt, hinreichend und daher liel's er, unbekümmert um Symmetrie.
Kig. 298.
lediglich den praktifchen Rückfichten entfprechend, hier den Strebepfeiler
weg; an der Nordweftecke hingegen war die Wand durch das Lichten des
Treppenthürmchens gefchwächt und folglich konnte der Strebepfeiler hier
nicht entbehrt werden. Diefe Art der Formen- bez. Planbildung irt der frühen
und bellen Gothik eigentliümlich, ja fie ift ihr Wel'en. Wir werden diefes
Sparfamkeitsprincip nun auch im Aufrifs und namentlich — wie es feiten
an einem andern Beifpiele gleicherweife der Fall ift — in den Details
kennen lernen.
Der Aufrifs zeigt ein in gut gefügten, hellen Sandfteinquadern ausge-
führtes Gebäude, welches nachher am Chor Backfleingiebelzulatze be-
kommen hat und deffen Fenfter jetzt vermauert find, welches übrigens
jedoch wegen der Solidität feiner vorzüglichen Conftruction wohl erhalten ift.
Eine einfache Hohlkehle bildet das Sockellims F'ig. 298, darüber erhebt lieh
die Wand bis zum ringsumlaufenden Kaffgelimfe, welches lediglich in einer
fchrägen Platte ohne jedes Unlerglied befteht, alfo aus der denkbar ein-
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MICHELN.
5.53
fachden gothifchen Nafe. Dann deigen die Pfeiler einhüftig bis zum Dache
empor; ihre Iluft dellt das in Fig. 290 gezeichnete Profil dar. Die Ab-
deckungsplatte der Strebepfeiler oben ifl nur mit einem Ablauf und der
eine Nafe bildenden fchrägen Platte verfehen. Das einfache llauptfims
Fi«. 290.
Strebepfeilerabfau.
zeigt Fig. 300. Die vermauerten Fender laden das Maafswerk über dem
Pfoden fowie defTen Profil leider nicht erkennen, nur dafs die F'enderlaibung
einfach gefchrägt id, fieht man. Die Profilirung der Thürgewände, die in
einem dolzen Spitzbogen zufammengehen, id dadurch weit verfchieden von
der jener fpätgothifchen Portale, dafs hier die Glieder klar gruppirt find,
während fie dort, wenig unterfchiedlich an einander gereiht, eine gewide
Eintönigkeit erzeugen und dem Ganzen jene Klarheit benehmen, die das
Auge nicht wohl entbehren mag. Fig. 301 dellt das an beiden Thüren
gleichartige Profil dar. Den Tympanondein ziert ein fchlanker Kleeblatt-
bogen als Blende gearbeitet; das Feld id jetzt ganz ohne Schmuck und hat
fcheinbar auch nie einen folchen befeden. Das Innere, welches Zwifchen-
decken erhalten hat, zeigt zu ebener Erde in der Nordodwand des Chores
ein Sacramentshäuschen, welches nicht eben bedeutend id. Wedlich
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534
[)lk STAUT IIAM.I: u. d. SAALKKKIS.
fieht man unter die beiden Fimporengewölbe, die ein Kreuzpfeiler unterftützt.
der wiederum, wie fein Grundrifs erkennen läfst, mit ganz auffällig' einfachen
Fig. 300.
Hauplgdiimprofd.
Mitteln eine reiche Wirkung hervorbringt und in feiner Form der Conffruktion
völlig entfpricht, nur nach ihren Anforderungen gelfaltet zu fein fcheint; in
letzter Beziehung machen wir namentlich aut dieganz originellconftruktiveVer-
«f- 301.
Portalprofil.
Wendung feines örtlichen Kreuzarmes zur Verftärkung der Schildbögen auf-
merkfam. In den Figuren 302, 303, 304 305 und 306 geben wir die Abbildung
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mCchf.ln.
535
Kiß. 305
Confolc.
Fig. 303.
Confolen ornamcnt.
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Confole.
keine Spureft mehr aufzuweifen, aber bei feuchter Luft läfst (ich die vege-
tabile Omamentation, fchwarz conturirte gelblich grüne Blätter, auf den
ehemals hell gelblichweifsen Kappen noch fehr wohl, wenigltens in der
flotten Zeichnung, erkennen.
Doch auch die flruktiven Sandfteintheile haben überall farbigen
Schmuck erhalten ; fo finden lieh an den Gurten und Graten die Farben
(roll-)gelb, blaufchwarz und braunroth; die Schlufsfteine und die Confolen
haben goldene Blätter auf blauem oder rothem Grunde.
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536 ' DIE STADT HALLE u. A. SAALKREIS.
von Confolen, auf denen die in Fig. 307 gezeichneten Rippen fammt den aus
Fig. 304 hervorgehenden Gurtbögen aufflehen. Fig. 308 zeigt die Ausbildung
eines der Schlusslleine, die meid nur in der Blätterform variiren. Das Innere
der Kirche ift ehemals durchaus bemalt gewefen. Die Wände haben freilich
Fig. 304.
Ml ( HKI.S.
537
Wenn wir nach diefer Befchreibung ein Wert über den Werth diefes ohne
Zweifel noch in das rj. Jahrhundert, wahrfcheinlich in delTen fechstes oder
fiebentes Jahrzehnt gehörigen Baues fügen füllen, fo können wir das Werk im
F'k- 305.
Confole.
Fig. 306. Kig. 307.
Sfitenauftcht einer Confole. Rippenproiil.
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o3»
litt STAUT HALLE u. d. SAALKKEIS.
Ganzen wie im Einzeln der Conftruktion und Ornanumtation nur loben und
als durchaus muftergiltig bezeichnen. Die Baukunll ifl hier noch keine ficht-
bare Declamation wie hundert Jahre fpäter, fondern fie ift gleich einem
fichtbaren Naturgefange. den bis in feine einzeln» n Töne das Bedürfnis
KiK. 308.
Schlufsftein.
erzeugt hat. fo etwa wie das Bedürfnis zu fingen die Kehle der Nachtigall
fch wellt; und daher denn auch der unwiderftehliche Reiz, mit dem jedes
Detail d. i. jeder lichtbare Ton unfer Auge beftrickt. Gewifs die Tempel-
herrenkirche in Mücheln gehört zu den bellen Stücken der Erühgothik. 1
Das Dorf bez. Gut belitzt jetzt eine baulich ganz unbedeutende Kirche,
welche Eidlich vom Gutshofe lieht und infchriftlich 1780 gebaut ill. Ihre
Glocke von 0,4 t“ DurchmefTer hat eine fehr gedrückte Form und ift in-
fchriftslos; gehört fie in die frühgothifche Zeit? Die Glocke von 0,25“ Durch-
melfer hat diefe Minuskelumfchrift:
+ marin hilf gal.
Nauendorf am Fetersberge.
Pfarrkirchdorf, Station der Bahn Halle- Afchersleben . 13 km nord-
welilich von Halle gelegen. Der Name hat in altern Zeiten die Formen
Niendorp und Nuendorff gehabt. 1260 hat der Ort dem Grafen von Wettin
gehört. Er ift vor der Mitte des 18. Jahrhundert zweimal fall ganz abge-
> Der ehemalige Schnilzaltar der Kirche ift in die Neumarktskirche zu Halle gekommen
p Seite 267.
J
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MÜCHELN. NAUEN OOKE am l’KlKKSIlERCl:.
539
brannt. Seine Kirche, die dem h. Wenzel geweiht war, liegt im Dorfe. Sie
ilt in ihren älteften 'l'heilen, nämlich im Thurm und Schiff, aus fpätromanifcher
Zeit oder aus der Uebergangsperiode und nicht ohne Intereffe, obwohl vielfach
durch Umbauten entlieht. In gothifcher Zeit ilt das Schiff örtlich verlängert
und dreifeitig gefchloffen, die F'enfter diefes Chores lind wie gewöhnlich
bei den Dorfkirchen nur klein. An der Südfeite und über dem jetzigen
Kingange an der Nordfeite des romanifchen Theiles des Schiffes finden fielt
noch Refte eines ßogenfriefes unter dem Uauptgefimfe, die, wenngleich nur
einfach durchgebildet — wir geben in Fig. 30g eine Abbildung — doch auf
Kig. 309.
einen Luxus diefer Kirche fchliefsen lalfen, wie er übrigens an den Dorf-
kirchen des Kreifes feiten ift. Die Schalllöeher lind von ftark verwitterten
Säulchen getheilt ; die Durchbildung eines befeitigten Säulenkapitäls mag
aus Fig. 310 erfehen werden.1 Wie es fcheint, ift der erfte Eingang an der
Südfeite des Thurmes gelegen gewefen, wo lieh eine vermauerte Thür mit dem
in Fig. 31 1 abgebildeten Sturze vorfindet. Die Form des Sturzfteines und
die beiden feitlichen Zierrathe, eine Palmette und eine Rofette, lalfen fich
der fpätromanifchen Zeit zufchreiben, indelTen die nach unten weifende
fegnende Hand — fie deutet die Gegenwart Gottes an unter einem flachen
Kleeblattbogen dürfte doch wohl erft in der RenaifTanceperiode entftanden
fein; wohl möglich alfo, dafs man den romanifchen Sturz im 16. Jahrhundert
folcher Weife verändert hat, wenn nicht der Sturz überhaupt erft um diefe
Zeit gemacht ift. Im Innern fallen an der Südwand die unter dem Putze
fpäterer Jahrhunderte erhaltenen Stücke romanifcher Frescomalerei , die in
neuerer Zeit zum Theil blofsgelegt find, auf. Figürliche, nicht durchweg
erkennbare Darftellungen in kaum halber Lebensgröfse gefchichtlichen,
nicht fymbolifchen Inhaltes werden durch breite gemufterte Bänder in hori-
zontaler Lage und durch fenkrechte einfache Linien getrennt. Befondere
Kunftfertigkeit verrathen fie nicht, aber wohl eine gewilfe handwerkliche
Rutine. Zum Studium der Ornamentik find die F'arben bemerkenswerth:
die Heiligen fcheine find okergelb, ebenfo einige Gewänder; für folche
kommt auch grün und fchwarz (d. h. ein fchweres Dunkelblau) vor, die
Fleifchtheile find braunroth. Die Farben füllen eine verhältnifsmäfsig Harke
1 Diefes Capital ift jetzt verfchwuntlen.
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54°
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
fchwarze Conturirung aus und find ohne merkliche Abtönung': fie wirken
etwas lebhaft und hart, aber nicht grell und fchreiend, weil die Töne wohl
Fig. 310.
Säulencapitäl.
Fig. 311.
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NAUENDORF am PETERSRERGE. NEUTZ.
54 >
dark von einander abweichen, aber einander nicht aufheben. Eine ganz
andere Weife zeigen die Rede von farbiger Ausfchmückung des Chores,
welcher, wenn diefe Malerei gleichzeitig mit ihm ift, gegen die Mitte des
15. Jahrhunderts gebaut fein wird. Man fieht ziemlich hoch an der Wand
eine gemalte Arkade von Kleeblattbögen mit Maafswerk und mit je einer
dreiviertel lebensgrofsen weiblichen Figur in jedem Felde, deren Bedeutung
allegorifch(?) ift. Der Zeichnung fehlt ein klarer, fefter Contur, die Farben
find gebrochen und von geringem Contrafte, fie wirken faft wie eine Malerei
von Blafsroth in Blafsroth. Höherer Kunftwerth ift auch diefen Bildern ,
nicht beizulegen. Ein ziemlich ftark zerftörtes fpätgothifches Sacraments-
häuschen wird mit dtem Chore gleichzeitig fein. Die Nifche an der füd-
ölllichen Chorwand ift die Piscina. Die Altarplatte 'wird alt fein, hat aber
jetzt keine Weihkreuze mehr. Als Trittftufe der Erhöhung des Altarplatzes
hat man Grabfteine aus romanifcher oder frühgothifcher Zeit verlegt, in
welche Kreuz und Schlüffel eingeritzt bez. eingemeifselt find.
Unter den Glocken wird die, welche eine längliche Form hat, ohne
Infchrift ift und 0,55“ Durchmelfer mifst, in das 13. Jahrhundert gehören.
Die von 0,97 “ Durchmelfer trägt diefe unfauber ausgeführte Majuskelfchrift:
ü RCX GLORIE VCI?I <3Vm PAÜU RIAT flllSERIQÜRDIÄ
i~f=» I?OS •
Sie dürfte in dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts gegofTen fein. Die
Glocke von 1,2z“ Durchmeffer ift 1828 von F. See aus Creut/.burg im
Herzogth. Weimar gegolfen.
Neutz.
Pfarrkirchdorl , 15,5 km nordweftlich von Halle gelegen, ftand unter
der Gerichtsbarkeit derer aus dem Winkel in Wettin. Die Kirche liegt
nördlich im Dorfe, etwas hoch. Wir geben in Fig. 312 ihren Grundrifs,
aus dem die Dispofition einer entwickelten romanifchen Anlage erkannt
wird. Hier lind Thurm und Schiff von gleicher Breite und im Erdgefchofs
durch einen weiten Bogen zufammengezogen. Der mit einem rippenlofen
Kreuzgewölbe überdeckte Altarraum ift fchmäler und fchliefst örtlich mit
halbrunder Apfis.' Die Fenfter liegen, ohne dafs der Grund zu erkennen
wäre, aufser im Altarraum und der Aplis, unregelmäfsig. Denkt man ftch
den Dachreiter aut dem Satteldache des Thurmes, den kleinen Anbau an
die Apfis Eidlich und die geringe Erhöhung des Daches über dem Schifte
fort, fo bietet auch das Aeufsere Fig. 313 im Allgemeinen noch das Bild
einer romanifchen Kirche der ausgebildeteren Art; einige Kreuze freilich
werden noch auf den verfchiedenen Giebeln als Bekrönung fich befunden
haben. Das Mauerwerk befteht aus Bruchfteinen mit der bekannten
romanifchen Fugenbehandlung und mit Eckquaderung. Vorzüglich durchge-
bildet ift dieaul der Südfeite gelegene Eingangsthür, welche wir in Fig. 314a
und b abgebildet haben. Das reichgliedrige aus Rundftab, Plättchen
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542
DIR STADT I1ALI.K u. d. SAALKRKIS.
und Kehle beftehende Gewände hat zwei Abfätze im Grundrifs. Ein
Perlenftab umzieht das Thürlichten, der Rhythmus deflelben ift durch zwei
diskenartige und eine lange Perle hervorgerufen. Meines Erachtens lalTen
fleh die Unregelmäfsigkeiten in der Bildung diefer Perlenfchnur nur dadurch
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NF.UTZ.
543
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Aeufseics'dcr Kirche.
544
DIR STABT HALLE u. d. SAALKKKIS.
I-'E. 314b.
F'K- 3'4».
Kirchenportal auf der Südfeite.
■IlllllllHliBSi
MllilllllillMifttt
1111
■"
Iß! imti n 1 ! ÜSUyPn
• b
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NEUTZ.
545
erklären, dafs man annimmt, die Ausarbeitung fei erd nach dem Verretzen
der Quadern erfolgt ; der Künftler war alsdann gezwungen feine Eintheilung
den einmal beftehenden Fugen getnäfs einzurichten. Auch die Formen der
Perlen verdienen Beachtung, infofem fie, deren Motiv doch aus der Antike
entlehnt ift, nicht wie die antiken Perlen, die grofsen rund an den Enden
und übrigens nahezu cylindrifch, fondem von der etwas markirten Mitte
aus konifch find und kaum gebogen nach beiden Seiten fich zufpitzen, die
kleinen aber gradlinig in den Endflächen geformt find. Das halbrunde Tym-
panon, welches von den äufseren Gewändegliedem im Bogen umrahmt wird,
hat feinen Bogen aus hellen gelben und dunkeiern rothen Sandlleinftücken
in gefälliger Abwechfelung zufammengewölbt, aber die Stücke find nicht ,
gleich grofs. Der eigentliche halbrunde Sturzftein wird zunächft von einem
F'C- i '5-
Kämpfer am Bogen des Sanctuariums.
Blattomamente im Halbkreife umzogen; die Ausbildung in den beiden
Kreisvierteln ift verfchieden, eine Eigenthümlichkeit, die fich auch an andern
romanifchen Thürfeldern gerade an diefer Stelle zeigt, z. B. in Beefen-
laublingen. Darunter lieht man einen halbmondförmigen Streif mit vier
Fifchen , die mit den Köpfen paarweife zufammenftofsen ; fchliefslich wird
das eigentliche Feld an derBafis von vier verbundenen Palmetten inPerlen-
ftabumrahmung und darüber befindlichen Blattwerk ausgefüllt. Eine fall
unbegreifliche Ungenauigkeit in den Abmeflungen der Einzelheiten ift auch
hier zu conftatiren. Fifche find nicht feiten an den Bogenleldem romanifcher
Portale; ihre fymbolifche Bedeutung hier, fowie die der übrigen Zierrathe
möge nicht weiter unterfucht werden, da fie mit Beftimmtheit doch nicht
B. D. d. Bau- u. Kunstd. N. F. 1. 35
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546
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
wohl zu ermitteln fein wird. Im Kircheninnern zeigen die Kämpfer an den
Bögen der Apfis und des Altarraumes Hg. 315 eine aus Platten, Rundftäben
und Kehlen beßehende Profilirung. Aus alle diefen Kunßformen wäre zu
fchliefsen, dafs die Kirche gegen 1200 erbaut worden iß, dem aber wider-
fpricht eine im Kirchenbuche befindliche Angabe, die, ein Bruchßück eines
Gedichtes, welches wohl erß gegen Ende des 16. Jahrhunderts entflanden
fein kann, folgende Sage meldet:
Von der bey Fundation dieser Kirchen
alhir zu Neuz Anno 1305 gefundenen
Basilisken zeugen nachfolgende alte
(wiewohl schlechte) Verse, die vor langen
Jahren im Neuzischen Kirchen-
buche gefunden, also:
Alss man zehlt MCCC und V Jahr
Nach Christi Menschwerdung, (ist ganz wahr)
Am Tag Martins, des heiligen Mann,
That man die Kirche fahen an
Durch frommer Leuthe milden gabn;
Merk auff, wass ich dir nun wil sagn :
Da man will zu dem gründe räumen,
Und jzt legen die Grund -Steinen
Ward g'funden (wunder ist's zu sag’n)
In einem alten g'mäur begrab’n
Mit Nahm'n ein Basilisken Thier,
Ob'n ein’r ganss - unten Schlangen Zier,
Mit seinem adern und gestalt
Drey Männer hat getödtet bald.
Wie man nun die gefunden hat,
Ist keine Müh noch Fleiss gespart
Bey weisen Leuthn zu frag’n üm Rath,
Und auch zu forschen früh' und spat;
Lezt ist gefunden im alten Sieg'l
Dass solchen Thiers Todt sey ein Spieg'l,
An welchem er sich getödtet hat,
Wie hier darunten vor ihm staht.
Funffzehen Eyer sind gefund'n
In dem Auffheben, stehn unt’n ;
Zum gedächtnüs ist es abgemahlt
Wie du da siehest sein gestalt.
Was lieh von der Darßellung des Bafiliskenthieres und feinen Eiern
(Eierplätzen) noch erhalten hat, erficht man aus Fig. 316 ; diefe
Stücke find allerdings 1305 gemeifselt, foviel fich erkennen läfst, nicht aber
können fie mit der Kirche gleichzeitig fein. Nach von Dreyhaupt’s Angabe
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NEUTZ. NIEMBERG.
547
ift „der Bafilisc mit dem Spiegel und Eiern nebft beigefetzten lateinifchen
Versen in der Kirche in Stein gehauen gewefen.“ Jetzt liegen die Stücke
FiR. 316.
Das Baliliskenthier mil feinen fünfzehn Eiern,
aufsen neben der Kirchenthür und vergehen mit der Zeit völlig wie die inhalts-
volle poetifche Sage. Der Altar ilt 1696 gemacht, in welchem Jahre der im
Knopfe des Thurmes befindlichen Infchrift zufolge „dieses Gotteshaus
überall restauriret und verbessert worden“ ift. Die Verhältnifle find gut,
doch ill er weifs angeftrichen. Von dem ehemaligen fpätgothifchen Altar-
fchreine find die gut gefchnitzten farbigen Figuren auf dem Pfarrboden,
welche vorftellen die Madonna mit dem Kinde, einen Apoftel, jetzt ohne
anderes Attribut als ein Buch, den h. Georg mit dem Drachen, einen
h. Bifchof mit Kirchenmodell, die h. Barbara mit einem Thurme, den
h. Moritz in ritterlicher Rüftung und eine Heilige jetzt ohne Attribut. Die
Glocken find 1871 von Ulrich in Laucha gegoffen und melTen 1.05“, 0.83“
und 0,67 “ im Durchmeffer.
Niemberg.
Pfarrkirchdorf und Rittergut, Station der Magdeburg-Leipziger Eifen-
bahn , 1 1 km nordöftlich von Halle gelegen , hat folgende ältere Namens-
formen: Nyemburg, Nienburch, Nimburch. von Dreyhaupt fchreibt: „das
Etymon des Orts foll von 9 Bergen herkommen, welche lieh da herum in
der Nähe befinden.“ Unter den von ihm angeführten Bergen ift auch die
Burgftätte zwifchen Niemberg und Plöfsnitz mit noch fichtbaren Ueber-
bleibfeln vormaliger Burggebäude angeführt; mit Sicherheit find folche jetzt
nicht mehr zu erkennen. Immerhin dürfte dort ein beteiligter Platz gewefen
fein. Aufserdem bietet das Terrain ein vorgefchichtliches InterelTe, wie
35 *
t
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548
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
auch aus dem, was von Dreyhaupt II, 936 anführt , hervorgeht Der Ort iß
fchon 955 vom Kaifer Otto der Magdeburger Ulrichskirche gefchenkt
worden. 1184 hat Wichmann dem Moritzkloßer zu Halle das Patronats-
recht der Kirche gegeben, und 1315 iß folche Schenkung durch den Erz-
bifchof Burchard bellätigt. Das Rittergut iß aus zwei Sattelhöfen zufammen-
gezogen, den einen Hof haben die von Dieskau feit 1467 be feilen, den
andern hat Martin Krowene gehabt, und 1471 iß Hans Hedersleben mit ihm
beließen worden. Weiteres fiehe bei von Dreyhaupt II, 937. Die Kirche
S. Ursulae iß ganz neu romanifirend erbaut. Im Eingänge, der von Weilen
her durch den Thurm ßattfindet, ßehen — leider jeder Berührung ausgefetzt
— die Theile des alten Flügelaltares, der wohl der bedeutendße feiner Art
im Kreife iß. In den Flügeln ßehen die 12 Apoßel, in dem Schreine Maria mit
dem Kinde und neben ihr je zwei weibliche Heilige. Diefe Figuren find fehr
fchlank und haben die S-linienhaltung. Ihre Gewandung iß faltenreich. Sie
find bis jetzt noch ziemlich gut erhalten. Die Arbeit iß ganz vortrefflich; der
Stil zeigt fchon viele Anklänge an die Renaiffance, fodafs fie vermuthlich
von einem fehr tüchtigen Meißer im Anfang des 16. Jahrhunderts gemacht
find. Ueber der Thür zum Schiff iß in einem quadratifchen Kaßen unter
Glas eine farbige Holzfchnitzerei aufgehängt, welche derfelbe Meißer jedoch
im kleinern Maafsßabe ausgeführt hat; es find die drei Könige, wie fie ihre
Gaben dem Chrißkinde bringen, dargeßellt. Diefes Stück iß auch in feiner
Färbung völlig erhalten und befand fich vermuthlich in der Predella
Die Glocke von 0,36“ Durchmeffer iß von länglicher Form und in-
fchriftlos, fie gehört fpäteßens in das 13. Jahrhundert. Die Glocke von
0,92** Durchmeffer hat diefen leoninifchen Vers in Majuskeln:
+ SariOJO SALLO (SÄI?TO?) DEO MARIE BÄRTOLOMEO A
Die Entßehungszeit mufs um die Mitte des 14. Jahrhunderts fein. Ebenfo
die der Glocke von 1,04“ Durchmeffer, deren Majuskelinfchrift lautet:
A
+ 0 REX 6LOR10 PXQ VQTPI dVAl PÄd0 db A GLORIOS
Nietleben.
Kirchdorf, Filial von Lettin, 4 km weßlich von Halle auf der linken
Seite der Saale gelegen. Die ößlich gerade fchliefsende Kirche, welche
wohl 1 km weßlich vom Dorfe frei auf ihrem Kirchhofe liegt, iß eigentlich
das Ueberbleibfel des im dreifsigjährigen Kriege unlergegangenen Dorfes
Granau, deffen Rittergut noch unweit der Kirche liegt. 1654 und 1724 iß die
Kirche reparirt und 1692 der Thurm neu erbaut. Der Altar iß nach
Weßen gefetzt. Die Glocken hängen auf einem der Schule in Nietleben
angebauten Thurme, die von 0,47“ Durchmeffer iß im Jahre 1738 von
Becker in Halle gegoffen und die von 0,74"* Durchmeffer 1774 v'on
F. A. Becker in Halle.
"V,
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NIEMBERG. NIETLEBEN. OPPIN. OSMÜNDE.
549
*\
Oppin.
Pfarrkirchdort und Rittergut, 7 km nordöftlich von Halle gelegen,
ehemals Apyn und Appien genannt. 1371 befafs ein Hans von Oppin einen
Sattelhot dort. Aus der Gefchichte. die bei von Dreyhaupt 11, 938 nach/.u-
lefen ift, fei hier nur noch erwähnt, dafs die baulultige und kunftfinnige
Gemahlin des Markgrafen Joachim Friedrich Katharina, die urfprüngliche
Anlage des jetzigen Rittergutsgebäudes mit einem theilweife noch vor-
handenen Waflergraben befeftigt hat, freilich ift in dem jetzigen Gebäude
kaum noch etwas von jener künlllerifch gewifs bedeutenden Anlage der
Hochrenaiflance zu fehen. Die Kirche, nördlich im Dorfe etwas hoch ge-
legen, war dem h. Georg und der h. Eliiäbeth geweiht. Sie ift 1633 und
1655 abgebrannt und daher wenig einheitlich. Die urfprünglich romanifche
Anlage ift an verfchiedenen Reifen romanifcher Kunftformen nicht zu
verkennen. Die Kirche fchliefst örtlich gerade und hat an der Nordfeite
der Chorpartie einen vielleicht auch fchon in romanifcher Zeit vorhanden
gewefenen Anbau, in dem fich jetzt die Sacriftei befindet. Das ihn über-
deckende fpitzbogige Kreuzgewölbe wird vor dem 15. Jahrhundert nicht
entftanden fein. In diefem Raume findet fich noch ein alter Altar. Die
gekuppelten Schalllöcher am Thurm haben neue, doch in der Form fchein-
bar den ehemaligen nachgebildete Säulen. Auffällig ift. dafs der aus ver-
fchiedenen Abfätzen beftehende Thurm unten ohne Eckquaderung ift,
während folche in den obern GefchoITen gefunden wird, ein Zeichen alfo,
dafs diefe folidere Conftructionsweife die jüngere ift.
Die Kirche hat ein meffingenes Taufbecken mit der Darftellung der
Verkündigung Mariae in der Mitte, um welche eine unleferliche Minuskel-
fchrift läuft; es gehört dem Jahre 1657 an.
Die Glocke von 1,04" Durchinefler ift 1604 (?) gegolTen. Die von
1,20" Durchmeffer hat die Infchrift: •
Anno MDCLXXVi iS Jirfr Ifiloifet ;nm nirrtrn Bogir nad) Srnt Brandt
uugrgoffm morllrn jrso non fll. Simon IDilüt non liall oor fernem onglidi
uns Sott bemarr. Amen.
Als Zierrath dient ein grofses Reliefbildnirs Luthers.
Osmünde.
Pfarrkirchdorf, 10 km füdöftlich von Halle gelegen. Stammfitz des
Gefchlechts derer von Osmünde. Die Kirche S. Petri, in Südoften des
Dorfes gelegen, ift eine romanifche Anlage der ausgebildetern Art. Wie
unfere Abbildung Fig. 317 zeigt, ift Thurm und Schiff gleichbreit, der Altar-
raum mit halbrunder Apfis jedoch fchmäler. An den Altarraum ftöfst nörd-
lich ein vierfeitiger Thurm . welcher im Erdgefchofs die Sacriftei enthält.
Es wird dies derjenige Thurm fein, welcher nach von Dreyhaupt an die
Pfarre angebaut war — letztere liegt jetzt davon entfernt — und der
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Acufacrcs der Kirche.
550
UIK STADT HALLT, u. d. SAALKREIS.
Digittzi
.
OSMÜNDE. PEISSEN.
55 1
ehemals eine Kapelle enthielt, „dahin vor Zeiten den 2. Sontag nach Trini-
tatis gewallfahrtet und wo Ablafs ausgetheilet worden.“ Das Aeufsere der
Kirche läfst verfchiedene Bauzeiten erkennen. Der von Norden nach Süden
breitere Thurm wird durch zwei Ablatze in drei GefcholTe getheilt, von
denen das obere gothifche Fenfter hat. Ein Satteldach überdeckt den
Thurm. Das Erdgefchofs mit einem Tonnengewölbe ift noch romanifch, die
beiden andern GefcholTe werden der Gothik angehören. Wir erfahren
nämlich aus von Dreyhaupt II, 938, dafs in den Vierzigerjahren des 17. Jahr-
hunderts das Wetter den Thurm entzündet hat und „die fehr hohe Spitze
nebll 4 kleinen Thürmchen und dem Kirchdache abgebrannt, aber nach
und nach wieder repariret und hübfch ausgebauet“ find. Jene Erwähnung
der fehr hohen Spitze mit 4 Eckthürmchen läfst keinen Zweifel, dafs der
urfprünglich romanifche Thurm bereits in gothifcher Zeit eine Veränderung
feiner obern Theile erhalten hat, wie denn gegen die Mitte des 17. Jahr-
hunderts die jetzigen Giebel, aus Fachwerk mit Backlteinverblendung be-
gehend, gemacht find. Am 1-anghaufe find romanifche Fenlterrefte bemerkbar.
Nur an diefer Kirche des Kreifes trifft man an den mit Sandfteinquadern ein-
gefafsten Ecken einen Rundßab eingehauen, jedenfalls weift diefe Be-
reicherung auf die fpätromanifche Zeit hin. Auf dem Oftgiebel des Altar-
raumes befindet lieh noch ein altes kurzfehenkliges Steinkreuz. Ob der
thurmartige Anbau im Norden, der aus Bruchfteingemäuer befteht, nur
kleine Fenfter hat und von einem Heilen Satteldache bedeckt wird, ebenfalls
fchon in romanifcher Zeit beftanden hat, mufs bezweifelt werden. F.s fcheint,
als gehöre er erft dem 15. Jahrhundert an, denn fein Erdgefchofs ift mit
einem fpitzbogigen Tonnengewölbe und das jetzt als Kirchftübchen dienende
Obergefchofs mit einem Kreuzgewölbe überdeckt; auch die Thür zwifchen
Kirche und Sacrißei hat durch einen von Confolen unterftützten Sturz eine
in das 15. Jahrhundert gehörige Form. Im Erdgefchofte der Sacriftei fieht
man ein Sacramentshäuschen. Der Taufftein trägt die Jahreszahl 1686; in
diefe Zeit fällt auch die übrige Kirchenausstattung. Von der Stuckdecke
ift noch ein Theil erhalten. Ein Taufbecken von Meffing, in feiner Mitte
die Darftellung der Kundfchafter von Jericho mit der Traube, ift vom
Jahre 1700. Im Kirchenarchiv wird ein Notenbuch (Agende) mit Initialen
aus dem Anfang der Renaiflance aufbewahrt; die guten Zeichnungen in
demfelben, einen Efel mit der Brille einen Säufer u. f. w. darftellend, haben
ironi che Beziehungen auf derzeitige Verhältniffe.1 Die Glocke von
o,g;“ DurchmelTer ift durch Fr. Aug. Becker 1748 in Halle, die von 1,23"
Durchmefler durch Joh. F'r. Becker in Halle 1783, die von 1,42“ durch
G. Becker in Halle 1835 gegoffen.
Peissen.
Pfarrkirchdorf, Halteftelle der Sorau-Gubener Bahn, 6 km örtlich von
Halle gelegen. Aeltere Namenformen find Pesna, Petzine, Pesena und
I Ueber vorgefchichtliche Funde u. dergl. Bebe bei von Dreyhaupt II, 939.
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552
DIE STADT HALLE u, d. SAALKKEIS.
PitTen. Einiges Gefchichtliche findet fich bei von Dreyhaupt II, 945. Die
Concentration der Gehöfte um einen Platz deutet auf wendifchen Urfprung
Die Kirche S. Trinitatis, welche im dreifsigjährigen Kriege fammt dem
Dorfe ftark ruinirt, aber dann wieder hergeflellt ift. liegt im Dorfe und ift
eine der merkwürdigem fpätromanifchen Anlagen des Kreifes. Freilich
find die Schiffmauern 1852 gegen Often gradlinig verlängert, mit gröfsem
Fenftern verfehen und etwas erhöht, fo dafs die Geftalt nicht mehr die an-
fängliche ift, aber die Kunßformen der I.ifenen und des Hauptfimfes.
welche fich an der jetzigen Apfis befinden, dürften bereits an der alten
vorhanden gewefen und bei dem Umbau, wenn auch abfcharrirt, wieder
verwendet fein. Das alte Portal ift noch an feiner Stelle auf der Südfeite
erhalten. Es hat ein zweitheiliges Tympanon mit einer Rofette in jedem
Felde; als Kämpfer dient einerfeits eine umgekehrte attifche Balis, anderer-
feits eine ähnliche, aber zerftörte Form. Der Thurm ift imberührt geblieben
und dadurch merkwürdig, dafs er im Grundriffe rund ift und fo zu der
Weftwand des Schiffes ßeht, dafs er durch diefelbe in das Schiffinnere
noch hineintritt. Er hat in der Höhe der Balkenlage der unter einem
fchlanken, runden (oder wenn man will achtfeitigen) , fchiefergedeckten
Helme befindlichen Glockenftube äufserlich einen Abfatz im Mauerwerk
und ift bis dahin nur von 2 weiten Rundbogenfenftem durchbrochen, die
jetzt vermauert und gegen Norden und Süden gelegen find. Die Glocken-
ftube dagegen hat vier nach den Himmelsgegenden gerichtete Schalllöcher,
die je von einer Säule getheilt und durch zwei Rundbögen überdeckt werden.
Die Theilungsfäulc des füdlichen Schallloches hat ein faft gothifches Capital
und eine weit ausladende attifche Bafe mit Eckblättem. Sie ift. wiewohl
weniger ftark als die andern Säulen, verwittert. Die ganze Form des
Thurmes, deffen Mauerwerk mit dem der Weftmauer des Schiffes nicht im
Verbände ausgetührt ift, gehört ohne Frage der Uebergangszeit an; als ein
Merkmal diene noch die im fchwachen Spitzbogen gehaltene Ueberwölbung
des Einganges, welcher vom Innern des Schiffes in den Thurm führt. Im
Innern der Kirche ift nur der kübelförmige Taufftein, den Fig. 318 darftellt.
merkwürdig; auch er gehört, wie namentlich die Knöpfe in den tiefen
Kehlen darthun. der fpätromanifchen Zeit an, ift aber ziemlich nachläffig und
unregelmäfsig gearbeitet. Ob feine Einzelheiten (z. B. die Fafen der Felder)
nicht in der Barockzeit verändert find, kann wegen eines Oelfarbenanftriches
nicht ficher ermittelt werden.
Die Glocke von 1,30“ Durchnjeffer hat eine fchöne oben mit mehreren
Reifen umzogene Form und diefe Umfchrift in Minuskeln:
+ anno Dm fnfo rl ili raapana cs üri (tjiDrif ii
lionsmn sti srn;rslat.
Die Glocke von 0,48” Durchmeffer wird oben von zwei Schnüren um-
zogen, zwifchen denen man vier ftark reliefirte Heiligenfigürchen fieht. Sie
ift infchriftslos und gehört dem 15. Jahrhundert an. Die Glocke von 0,93»
Durchmeffer trägt in zwei Streifen die Worte des Pfalmes MCXV1I; (ie hat
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PEISSEN. PKTKRSRERG. 553
.als Zierrath einen Crucifixus mit Magdalena, welche die Füfse Chrifti
küfst; diefes Relief ilt gut, der Gufs deffelben aber fchlecht. Links von
Fig. ji 8.
Taufftein.
ihm lieht AUGVSTVS, rechts diefe fich auf feine Titel beziehenden Siglen
P. A. M. H. SAX. unter ihm diefe Siglen der Devife Friedrichs des Weifen
V. D. M. I. /E. Um den Kranz lieft man:
ICH • WEIS • DAS • MEIN • ER • LOSER • LEBET • DIE • EHR •
ALLEIN • DEN • LIBEN • GOTT • GEBE • ICH • VOR • VND
NACH • MEINEN • TODT • SIMON • WILDT • V . HALL ■
M • D • C ■ LVIII • AVGY : : .
Petersberg.
Kirchdorf und königliche Domaine, 1 1 km nördlich von Halle gelegen.
Iis ill die Kirche auf der Spitze der jetzt als Petersberg benannten höchften
Bodenerhebung im Saalkreife, welche für untere Befchreibung ausfchliefslich
Beachtung verdient; das Dorf und die Domaine find gänzlich unbedeutend.
Der Berg hiefs 1156 auch Mons ethereus und Luchtberg, bis zum 12. Jahr-
hundert Lauterberg, mons serenus, und wurde erft in Folge der auf ihm
erbauten Peterskirche mit feinem jetzigen Namen belegt. Schon die heid-
nilchen Völker werden diefe die Umgegend weithin beherrfchende Boden-
erhebung zu gottesdienlllichen Zwecken benutzt haben, hat man doch dort
verfchiedcntlich nicht unbedeutende vorgefchichtliche Gräberfunde gemacht.
Auch bei der Chriftianifirung des Landes wird daher der Blick der Millio-
näre fich auf diefen Berg vornehmlich gerichtet haben, um zunächft an der
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554
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKE1S.
Stätte des heidnifchen Cultus ein lichtbares und dauerndes Zeichen der
chriftlichen Religion zu errichten. Und nichts ift wahrfcheinlicher, als dafs,
wie fo vielfach bei dem Vordringen des Chriftentliums, eine Taufkapelle
für das Nöthiglle erachtet wurde, in welcher die Bewohner des Landes
durch den Taufact in die Chrillenheit aufgenommen werden konnten. Für
nichts anderes als lür eine folche Taufkapelle darf man denn auch meines
Erachtens den unzweifelhaft erften chrilllichen Bau auf dem Petersberge
halten, jene Ruine des jetzt noch als Heiden- oder Annenkapelle bezeichneten
Bauwerkes nördlich von der eigentlichen Kirche f. E'ig. 319. Daflelbe
wird fchon in dem etwa um 1225 gefchriebenen Chronicon montis sereni.
dem unfere gefchichtlichen Angaben entnommen find, als vetus capella
bezeichnet. Ihre erlle Anlage ift im Grundrifs kreisförmig gewefen mit
öftlich etwas überhöhter halbrund ausgebauter Apfis, alfo eine Baptifterien-
form, wie folche auch fonft verfchiedentlich in Deutfchland gefunden wird.
Ob der Thurm und die Mauern zwifchen ihm und diefem Rundbaue im
12. Jahrhundert entftanden find, wie Ritter in der Zeitfchrift für Bauwefen,
8. Jahrgang, meint, mufs dahingeftellt fein, jedenfalls find fie mit letzterm
nicht gleichzeitig, weil das Mauerwerk des Rundbaues nur magern Lehm
als Mörtel hat, bei diefen muthmaafslich fpätern Stücken aber theilweife
wirklicher Mörtel gebraucht ift. Der Lehnt verurfachte denn auch, dafs
bereits im 12. Jahrhundert die Kapelle in ihrem runden Theile fo rillig ge-
worden war, dafs der Propft Ekkehard, um den Einfturz zu verhüten, diefes
Stück äufserlich mit einer Mauer verblenden und innerlich die Fugen ver-
llreichen liefs. 1843 und 1846 ftürzte diefe Kapelle bis etwa auf die heute
noch vorhandenen Refte ein.1
Als Dedo, Grafxvon Wettin, ein Gelübde zu erfüllen 1124 in das ge-
lobte Land zog, gründete er zuvor auf dem Petersberge ein Klofter. Als
er im folgenden Jahre, noch unterwegs, ftarb, gingen feine Befitzungen auf
feinen Bruder Conrad über, der die Verpflichtung übernahm, den Klofter-
bau zu vollenden. Diefer fandte den Propft des Benedictinerklofters zu
Gerbftädt, Herminoldus, zum Papfte Honorius, welcher die Beftätigung zum
Bau einer Peterskirche, fowie zu einem mit Auguftinerchorherren zu be-
fetzenden Klofter ertheilte; der erfte Propft wurde Herminoldus. Unter
deflen Nachfolger, dem Propfte Luderus (Lothar) 1128— 37 gründete man
die Kirche und vollendete deren Langhaus: der Chor wurde erft unter dem
nächften Propfte Meinherus 1137—51 gebaut, unter welchem muthmaafslich
auch die Kirche 1146 geweiht wurde. Wie man aus unferm Grundrifle
Geht, war diefe erfte Anlage im Chor nicht die jetzige, fie war ohne Quer-
fchiff und fcheinbar auch ohne Seitenfchiffapfiden. Als Markgraf Conrad
1156 in der Zeitzer Schlofskirche feine Waffen und damit feine weltliche
Macht niedergelegt hatte, um dann im Beifein feiner fünf Söhne und vieler
anderer damaliger Machthaber lieh feierlich auf dem Petersberge als Mönch
1 In Zeichnungen ift (liefe Kapelle bei Puttrich II. Bd. fowie in einer 1842 durch dec
Bauconducteur Donner gemachten, feilens der königl. Regierung au Nlerfeburg veranlafstec
Aufnahme vorhanden; auch auf von Dreyhaupt’s Abbildung iA fie noch zu fehen.
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Bauten des Propstes
LuAerus HM -1131
etrlfhrr d. Ln ruf ha 1 1 « rrrirh tetr.
Bauten des Propstes
Mei nh evivs 1131 HM
mH eher dmll 14 abfffbroehfnen
(hör xufuqte.
Bau ten des Propstes
Eck*hardu s 1151 1W2
midier den jeiziyen CIwr.dasKloster
und du* Hospiz herstellte.
Bauten des Propstes
Walther Ml 1205
Tvelrher die IVesiroand des Chores,
die Probst ei n.die Mauer h erstellte-.
Manem, die nach dem
Brande 15di in dir Ruine
eingebaut wurden.
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der Kirche.
Bauten de« Propste«
Luder tts H28-HJI
wrldier ({.La nyha »i « errieft Ute .
Bauten des Propste«
Afei nh CTUS 11.TI HM
/oddter denliVt abgebrochenen.
(3t (fr xufugte.
Hauten des Propste«
Kckeh ardus UM WH
welcher den Jet xigen Chor, das Kloster
und das Hospix herstellte.
Bauten des Propstes
Walther HM 1205
welcher die lUesimand des Chores,
die Proluit ei n.die Mauer herdeilte.
] Mauern, die nach dem
Brande i5tiö in die Ruine
eingebaut wurden.
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KiK. 320.
RKTKRSBERG.
555
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Acufocrcs :1er Kirche.
I
556 IllK STAUT HALLE u. d. SAALKREIS.
einkleiden zu lallen . wurden auch unter verfchiedenen Beftimmungen die
Kloftergüter von ihm noch bedeutend vermehrt. Im folgenden Jahre fchon
Itarb er und wurde von dem Erzbifchof Wichmann in der Kirchenmitte
feierlich!! beigefetzt. Der vierte Propft, Ekkehard 1152-1192, brach den
Chor, der die Zahl der Mönche nicht mehr gut fafste, 1174 ab, um dafür
dem Langhaufe, die jetzige Oftpartie, alfo das Querfchiff und die beiden
Chorjoche mit den Apfiden anzubauen, mit welcher Arbeit man in zehn
Jahren fertig war, fodafs am 1. Auguft 1184 durch den Bifchof Eberhard
von Merfeburg die zweite Einweihung gefchehen kennte. Unter die fern
Propfte wurde 1154 auch mit dem Klofterbaue füdlich (?) begonnen, denn
bisher hatten die Mönche weltlich von der alten Tautkapelle gewohnt
ebenfalls errichtete man das Hofpiz ludöftlich außerhalb der Claufur.
1199 kam in dem hölzernen Verbindungsbaue, den das Hospiz mit dem
Klofter hatte, ein folches Feuer aus, dafs nur die alte Kapelle und die Um-
falTungsmauem der Kirche erhalten blieben. Der Propft Walther, 1 192 bis
1205 begann den Wiederaufbau, aber das chronicon montis fereni, welches
nur bis 1225 reicht, meldet über die Fertigftellung nichts. Diefcr Propit
foll auch die Propftei im Welten der Kirche erbaut und mit einem Thurm
geziert haben, es ift jedoch von diefen Stücken nichts mehr zu fehen. Er
änderte auch am Chore etwas und umgab das Klofter gegen Süden mit
einer Mauer. 1208 liefs Simon de Dibele an der Nordfeite des Kirchen-
fchiffes über dem Grabe feiner Frau eine Kapelle bauen, von welcher man
noch die Gewölbeanfänge der Joche gewahrt. —
In dem Klofter lebten zahlreiche Chorherren, Schüler und Laienbrüder,
fogar leminae conservae; wir hören zwar anfänglich von einem ftrengen und
geordneten Leben der Kloflerinfaflen, aber in den fpätem Jahrhunderten
herrlchten Leidenfchaften und Intriguen auch hier wie in allen Vereinigungen
der Menfchen, und das Klofter erlebte ftürmifche Zeiten. Die Reformation
leerte dann feine Räume und verwandelte fie 1540 in die Wirthfchaftsge-
bäude einer Domaine. Von der Kirche blieb nur der Chor in Benutzung
Am 31. Auguft 1565 fchlug der Blitz in das Klofter und es brannte gänzlich
nieder. Man erbaute alsdann in der Ruine der Klofterkirche eine pro-
teftantifche Pfarrkirche von der Gröfse, welche man im GrundrifTe erkennt.
1697 ging das Amt Petersberg durch Kauf von dem Könige Auguft von
Polen an den Churfürften Friedrich III. von Brandenburg über und wurde
verpachtet. 1726 gefchah die Verlegung der Wirthfchaftsgebäude an der.
Fufs des Berges: die Steine der Ruine gaben das Baumaterial.
Was nun den Bau, wie er jetzt dafleht, anbelangt, fo ift er die im
Allgemeinen wohl geglückte, von 1853—57 ausgeführte Reftauration der
ehemaligen Kirche vom Ende des 12. Jahrhunderts. Das Klofter ift bis auf
geringe Rede verfchwunden. Eine Unterfuchung des alten Baues ift bei
Gelegenheit der Wiederherftellung von dem Baurath Ritter und fpäter auch
durch von Quält (f. Zeitfchrift für chriftliche Archaeologie und Kunlt) in fo
umfafTender Weife vorgenommen und deren Ergebniffe lind in der Zeit-
fchrift für Bauwefen, 8. Jahrgang, veröffentlicht — unfere Angaben find
ihnen zum Theil entlehnt — dafs eine neue nicht nöthig und jetzt nach der
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PETERSBERG.
557
Reftauration auch fall unmöglich ift. Wir befchränken uns alfo auf die
Befchreibung der urfprünglichen Anlage und der alten Details.
Aus der Entflehungsgefchichte fowie aus unferer Zeichnung wird er-
kannt, dafs \vir es hier mit einer Bafilikenanlage zu thun haben. Die-
felbe ift dreifchiffig und hat fünf Joche im Langhaus; im Wellen befindet
fich ein thürlofer Thurm, im Ollen ein Kreuzfchiff mit einer zwei Joch
langen Chorpartie, die im Mittellchiff apfidial fchliefst, während ihre gerade
endigenden Seiten fchiffe, die tiefer als der Kirchenfufsboden liegen und
Gewölbe haben, ehemals Kapellen bildeten, und über ihren Gewölben als
fich gegen Haupt- und Querfchiff öffnende Emporen darllellen. Zu der
tödlichen fuhrt eine fchmale Treppe, die im Mauerwerk der örtlichen Quer-
fchifFwand ausgefpart ift und von aufsen fowie vom Kircheninnern betreten
werden kann. Zu der nördlichen ift eine Treppe in eben der Mauer nörd-
lich, aber im Kircheninnern zu betreten, ausgefpart. Das nördlichlle Stück
diefer Mauer bildet für das nördliche Querfchiff eine Apfide, in welcher ein
1 184 geflirteter Altar Johannis des Täufers (fand und jetzt wieder paffend der
Taufftein lieht. 1504 war die füdlichlle Kapelle Mariae virgini. die nördliche
Mariae Magdalenae geweiht. Die ganze Chorpartie ift mit Kreuzgewölben
überdeckt, während die Kirche übrigens eine gerade Balkendecke hat.
Aufser der erwähnten Thür, welche an der Südoftecke des Querfchiffes
zur Emporentreppe und dadurch mittelbar in die Kirche führt, giebt es
zwei von Süden und Norden correfpondirende Portale im Querfchiffe, die
jedoch nicht in der Wandmitte, fondern wohl aus praktifchen Rückfichten
mehr weftlich angeordnet lind, ferner liegt eine weniger bedeutende jetzt
vermauerte Thür fo, dafs fie von dem ludlichen Querfchiffarme gegen Wellen
zum Kreuzgange führt, eine ebenfalls unbedeutende endlich befindet fich
im öftlichllen Joche an der Nordfeite. Das Klofter. deffen Gebäude um
einen in den Fundamenten noch erkennbaren Kreuzgang mit einem in den
Klofterhof an der Weftfeite vorfpringenden Ausbaue, wahrfcheinlich das
Brunnenhaus bez. die Tonfur enthaltend, auf der Südfeite der Kirche lag,
hat nur an feiner Weftfeite noch einige Mauerllücke (mit den Brocken-
fenftem) aufzuweifen. Die Gebäude der Süd- und Oflfeite — letztere mufs
Gebäude gehabt haben, weil fonll die Emporentreppe aufserhalb der Claufur
zu betreten gewefen wäre — find verfchwunden. Das Krankenhaus fud-
ölllich vom Klofter ift eine Ruine; fein Bruchfteinmauerwerk und die ver-
fchütteten Gewölbe, die wohl eine genaue Unterfuchung durch Nachgraben
verdienten, haben in kunllformaler Hinficht Bedeutung; die Technik ver-
weilt auf eine Entllehung im 15. Jahrhundert.
Ein ungefähres Bild der Aufsenarchitektur der Kirche wird Fig. 320
geben. Der Dachreiter auf der Vierung und die bekrönenden Kreuze
auf den Giebeln find moderne Zuthaten; auch der Bogentries an
dem ältern und fchlichter gehaltenen Langhaufe ift völlig neu. Dass
die ganze Oftpartie eine reichere Durchbildung erfahren hat, erklärt
fich einestheils aus der fpätem Entftehungszeit , anderntheils aus dem
Umftande, dafs diefe Partie ornamental überhaupt bevorzugt zu werden
pflegte ; aufserdem bemerkt man , dafs die nördliche Hälfte diefes
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55&
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Ofttheiles durch Li feilen und ornamentale Sculpturen reicher gehalten ifi
als die füdliche. jedenfalls, weil letztere wegen der Kloftergebäude weniger
>
n
o
3
V
3
n
zur Geltung kam. Hs geht hier nicht an, die Unregelmäfsigkeiten und die
Details eingehender zu befprechen, das Hauptlachliche ifl aus unferen
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PETEKSBF.RG.
559
Zeichnungen zu erkennen. Befonders aufmerkfam foll aber auf das Portal
des nördlichen Querfchiffs gemacht werden. delTen Gewändeprofil, Säulen
mit Bögen in Abtreppung, eine originelle Bereicherung dadurch erhält.
Fic- 322.
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Alte ornamentale Details.
PKTERSHKRG.
5<>'
iafis es von dem Sockelprofile, einer attifchen Balis mit einigen Plättchen,
Kig. 325 umrahmt wird. Das entfprechende Portal der Südfeite ift einfacher,
iber merkwürdig, weil fein Gewände im Wefentlichen aus einer Säule jeder-
eits befteht. die eine weite, flache Cannelirung hat; es find acht Rillen mit
charten Stegen etwa in dorifcher Weife. Die fpätere Zeit des rotnanifchen
FiR. i2|. Fig. 326.
Arkadenpfeiler aus dem KirchenfchifTe.
•tiles wird unfchwer an dem Reichthum der Profile fowie an den oft recht
efuchten I-inien erkannt: wir verweifen diesbezüglich auf unfere Zeichnungen
ig. 321, 322 und 323. Pikant wirkt der Perlenftab am Hauptgefimfe Fig. 324.
Im Kircheninnem hat das Thurmerdgefchofs jetzt drei Säulen, die
icht urfprünglich find. Die Pfeiler des Schiffes, obwohl alle neu, haben
B. D. d. Bau- u. Kun ftd. N. F. I. 36
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56*
I>!E STADT HALLE u. d. SAALKREtS.
die merkwürdige Form der alten; fie find nicht regulär achtfeitig, fondem
müften als viereckig mit lehr breiter Fafe auf den Kanten bezeichnet werde"
Fig. 326. Die attifchen Baien find gliederreich und von guten Verhältniflen
Die Capitäle, unter denen die Eckfafen, von kleinen Sculpturen — wohl alk
von moderner Erfindung — verdeckt, auslaufen, bilden eine blattverzierte
Schräge mit einer Platte oben. Andere Einzelheiten des Innern weitläufiger
zu befchreiben, ifl unthunlich, da mit Sicherheit nicht immer gefugt werden
kann, welche Stücke die Reftauration zuge-
fügt hat. Wir geben dafür auf zwei Blättern
Fig. 321 und 322 eine Zufammenllellung der
thatfächlich alten Stücke, welche man unter
der Capella Mariae virginis aufbewahrt. An
ihnen finden (ich mehrfach rothe und hlaueTem-
perafarbenfpuren, ein Beweis, dafs dem Baue
auch der farbige Schmuck nicht gefehlt bat.
Unter den Kunstwerken der Kirche ifl ein
Figürchen merkwürdig, welches im sepulchrum
des Altares gefunden ift und jetzt nebll ver-
l'chiedenen Münzen, die ebenfalls bei der
Reftauration im Schutte oder auch in Särgen
gefunden find, im Kirchenarchiv aufbewahrt
wird. Diefes Figürchen ftellt die gekrönte
auf einem Throne fitzende Maria dar. die auf
dem Schoofse das Chriftkind hält, welches
mit der Rechten regnet und in der Linken
ein Buch (?) hält. Wir geben in Fig. 327
Komanifches Kigurcheo der Maria eine Skizze diefer noch recht rohen , in
mit dem Kinde. dem Ornamente des Stuhles befonders den
Blättern bereits an die Gothik gemahnenden
romanifchen Sculptur, die von kunftgefchichtlichem InterefTe ift. Ein
anderes Stück von theilweife hohem Alter ift ein vergoldeter Kelch von
Silber; die Cuppa lammt dem Stilus und Nodus find wohl erd aus dem
15. Jahrhundert; man lieft in Minuskeln über dem Nodus gpr mario, unter
demfelben l)l)lr pt, an den mit Maafswerk gezierten Noduszapfen IGSflS
Der F'ufs verbreitert lieh nach unten gradlinig, mit einer fenkrechten
Platte endigend. Er ift mit fünf ziemlich ftark getriebenen , ftehenden
F'iguren — Petrus und die vier Evangeliften? — gefchmückt . die fünf Felder
zwilchen diefen überzieht ein Filigranornament mit edlen Steinen. Ob diefer
Fufs bereits dem 12. oder 13. Jahrhundert angehört, wie von Quaft nach
Ritters Angabe in der Zeitfchrift für Bauwefen 8. Jahrg. annimmt, fcheint
mir um des willens nicht ganz ficher, weil fich unter den Steinen auch ein
grofser befindet, dem der Kopf der Madonna im Stile des 15. Jahrhunderts
eingefchnitten ift. Auch die reliefirten F'iguren, die zwar jetzt zu viele
Beulen haben, um ein ficheres Urtheil über ihren Stil zuzulaflen, fcheinen
mir nicht in fo frühe Zeit gefetzt werden zu dürfen. Unftreitig ift jedoch
der Fufs eine ältere Arbeit als der obere Kelchtheil und er verdient von
Kig. 327.
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PETERSBER«.
allen Seinesgleichen im Kreise die meide kundhandwerkliche Beachtung.
Kiindlerifch bedeutend ift ein lebensgTofser Crucifixus von Stein, welcher
an der Nordwand des Querfchiffes hängt. Er id eine ganz ausgezeichnete
Arbeit, wahrfeheinlich der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Die Körper*
verhältnifle find richtig, die Aufladung realifiifch, aber fo dilvoil, dafs das
Bildwerk auf den Befchauer dets einen bedeutenden, mächtig ergreifenden
Kig. 328.
Sarge des Wcttinifchen Kaufes.
I. Mirk|nf Conrad (d**r Gross«) t b. Ftbrnar 1157 als Mftuch de# l'et«nib«rgk]ost*rv.
t. Markgrärin LucardU (Luidgard) Gemahlin Conrad* + 19. Juni 1145 zu Gurbatacdt.
3. Meebtiidls, Conrad* Schwester. Gen. mbH» Um'i, eines Grafen von See bürg «oder von Bayern) Matter de« Ert-
Bischofs Wlebinann» Vermathllch wurden 115*1 dl© Reste der bereits an einem andern Ort beigesettten Leich«
hier bestattet.
4 Graf Heinrich I. der Aalten» von Wettlu, Conrads Sohn f 30. Anfast 11dl.
5. Graf Friedrich von Brenn. Sohn C«nrads t 4. Januar 1183.
4. Markgraf Ttderlcu* (Dietrich) von Oster land t 1184 oder 1186 liu Krankenhaus« auf dem Pelersberg«.
7. Graf Heinrich U. der Jüngere von Wetthi. Sohn Heinrich# des Aelteren t 28. Deoember 1187 tu Gioblchenatcln.
8. Graf Ulrich von Wettin. Sohn Heinrich# de# A eitern f *8 September 1209.
9. Graf Heinrich lfl. von Wettln, Sohn Ulrichs + 25. Mir* 1217 als zwölfjähriger Knabe; mH Ihm erlosch dsa
Wettiner Haus.
10. Särge n nh« kannte r Kinder.
Eindruck macht. Der Körper eines kleinen, hölzernen Crucifixus, flott
gefchnitzt, auch wohl dem 16. Jahrhundert angehörig, befindet fich im
Kirchenarchiv.
Künftlerifch von geringer Bedeutung ifl das Grabmal der Grafen
von Wettin, welches jetzt an der Weftfeite des Thurmes fleht. Man fleht
ein im i6. Jahrhundert gemachtes, länglich viereckiges Grabmal in Form
einer grofsen Tumba, deren Seiten durch ornamentirte Pilafter in Felder
36*
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564
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
getheilt und mit üppigen Fruchtgehängen verziert find. An der Wand
erhebt fich ein nicht hoher von Voluten abgefchloffener Aufbau, an welchem
Wappen und die Jahreszahl 1567 angebracht find. Vor diefer Rückwand
liegen auf dem Grabmale zwei weibliche und acht männliche lebensgrofse
Steinfiguren, jede der letztem mit einem langen, dreifeitigen Schilde. Diefe
Figuren find nicht gut gearbeitet; man würde fie der gothifchen Zeit zu-
fchreiben müffen , wenn nicht die fpätere Technik und Behandlung dem
widerfpräche. Der Widerfpruch löfl fich, wenn man erfahrt, dafs in der
romanifchen Kirche ein ehernes Grabmal ftand, welches bei dem Brande
1565 fchmolz bis auf geringe Relle, nach denen auf Befehl des Kurfiirften
Augult in Dresden von einem italienifchen Bildhauer das jetzige gemacht
wurde. Vor der ReHauration Hand es über den im Grundriße angegebenen
Gräbern der in der Kirche beftatteten Familienglieder des Wettiner Haules
Wenn auch kein kunftformales, fo liegt doch ein archäologifches InterefiV
vor, diefe Grablfätten, welche jetzt einzeln mit neuen fchön gearbeiteten
lleinernen Hochrelieffiguren bedeckt und alle von einer vierfeitigen BrüHung
inmitten der Kirche würdig umgeben find, mit einigen Worten
zu befchreibpn. Die Leichen find in Steinlargen, deren Grundrifs
und Lage zu einander wir in Fig. 328 mit Beifügung der Namen (nach
Ritter) fkizziren, beigefetzt worden. Die Särge Händen mit ihren Steindecken
etwa 10 bis 15 cm noch über dem alten Fufsboden, nur die Conrads de-
Grofsen und Heinrichs II. lagen tiefer (Gehe die Zeichnung). Der Sarg
Conrads war mit einer Porphyrplatte verdeckt.
Die Glocke von 1.05“ Durchmeffer hat die Minuskelinfchrift :
. + anno 4. m rau uu| 0 rat jlorit xpr orni aobis tia patt.
Auf der Glocke von 0,70“ Durchmeffer ßeht:
DVRCH DAS FEVER BIN ICH GEFLOSSEN JOHANN JACOB
HOFFMAN HAT MICH GEGOSSEN IN HALLE AÖ • M • D C
L XXVIIII.
Plössnitz.
Kirchdorf, Filial von Niemberg, 7,5 km nordöHlicli von Halle gelegen.
Die Kirche S. Catharinae liegt füdweHlich im Dorfe und iH nach von Drey-
haupt's Angabe (II, 946) 1505 erbaut. Es hat vormals eine Wallfahrt nach
ihr jährlich Hattgehabt. Baulich hat fie Aehnlichkeit mit der zu Brafch-
witz, fie iH aber bedeutungslos. Der Altarfchrein. deffen Flügel fehlen, hat
fpätgothifche gefchnitzte Holzfiguren. Maria mit dem Kinde, in einer Nifche
unter einem Baldachin fitzend, nimmt die Mitte ein und in den beiden feit-
lichen Abtheilungen befinden fich je zwei weibliche Heilige unter Baldachinen.
Die umrahmende Architektur iH fehr reich durchgebildet und das Ganze
hat ein kräftiges Relief. Predella, Beichtffuhl und Kanzel find in fpäten
Renaiffanceformen etwas derb aus Holz gemacht. Auch der Taufbecken-
unterfatz iH von Holz und im BarockHile aber in guten Verhältniffe ausgebildet
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PBTERSBEKG. PI.ÖSSNITZ. POPLITZ. 565
Die Glocke von 0,95“ DurchmelTer hat die in den Mantel eingeritzte
Majuskelfchrift:
+ (SI)T • T&PaSTAfV • P0R HB • fo'BRVS OflllPB ■
HVGATV.
Sie wird in die erße Hälfte des 14. Jahrhunderts gehören. Die Glocke
von 1,22“ DurchmelTer hat diefe Minuskelumfchrift:
ni(((C((l!ll • «Cf rritrn (hier folgt das Relief der Maria mit dem
Kinde) ? . . fugltr partrs «fc U fb (die Figur der Maria).
Die Glocke von 0.54” DurchmelTer ilt ohne Infchrift, jedoch wegen
ihrer fpätgothi Tellen Ornamente erd in das 15. Jahrhundert zu fetzen.
Poplitz.
Rittergut mit SchloTs, 32 km nordweftlich von Halle gelegen, früher
auch Popelitz gefchrieben, iß feit dem 16. Jahrhundert im Befitze derer
von Krofigk. Es ill der Stammütz des Adelsgefchlechtes von Poplitz; 136b
wird ein Heynemann von Poplitz genannt; im Anfänge des 16. Jahrhunderts
ftarb diefe Familie aus. Die von Krofigk haben fchon im 16. Jahrhundert
einen Schlofsbau mit einem Hofe im Innern hier aufgeführt, welcher
zumeilt in dem Mittelbaue des jetzigen gegen Ende des 18. Jahrhunderts
Fig. 329.
Profilirier Holzbalken (16. Jahrhundert) im Erdgcfchoffe des Schloffes.
entflandenen erhalten iß. Im Erdgefchoßb bemerkt man noch Balken mit
einer Profilirung (Fig. 329), wie fie dem 1 6. Jahrhundert eigen iß. Das jetzige
Schlofs iß durch feitliche Flügelanbauten an das alte entßanden. Der
füdliche Flügel enthält die Kapelle, die erneuert iß und kein bauliches
InterelTe bietet; hier werden gleich Reliquien die Waffen der tapfern
Familienglieder aufbewahrt, die im Kampfe fielen. In den Obergefchoffen
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5W>
DIE STADT HALLE u. d. SAALERKIS.
des SchlofTes giebt es an Thüren, Kaminen u. f. w. noch mancherlei
intereffante Formen der nüchternen Erbauungszeit. An einer Ecke
des Nordflügels gegen den Park zu bemerkt man eine kleine nicht wohl
mehr erkennbare Figur (halb Frofch, halb Menfch?) eingemauert, die
als das Popelmännchen bezeichnet wird und von der folgende Sage geht:
Als das Schlofs erbaut wurde, fand man über Nacht wieder abgetragen,
was man des Tags zuvor fertig gebracht hatte. Der Thäter liefs fleh nicht
entdecken. Da verfprachen Mönche, den Kobold, welcher diefen Schaber-
nack thue, gegen ich weifs nicht welche Vergütung zu bannen; und flehe
da, als folche Vergütung gelchehen war, fand man des Morgens den Kobold,
das Popelmännchen, an der genannten Ecke feftgemauert.1
Im Parke find einige Epitaphien der Renaiflance aufgeftellt; die
Arbeit der Reliefs ift verfchiedenwerthig; einige find fehr handwerklich,
fo der mit diefem Zeichen:
Priester.
Kirchdorf, Filial von Krofigk, 12,5 km nördlich von Halle gelegen,
gehörte zum Burgamte Wettin. Seine Kirche liegt öftlich aufserhalb des
Dorfes. Sie ift 1861 im Schiff erneuert. Der Thurm mag der Uebergangv
zeit angehören.
Die Glocke von 0,98“ Durchmefl'er hat eine fehr fchöne Form; ihre
Infchrift lautet:
Ich ruff die Leut mit meinem Klang in die Kirch zum Wort
und Gesang Georg Wolgast Anno MDCIII.
Als Zierrath lieht man das Wappen des Gotschal Heinrich von Trode
(= Trotha), darunter eine fehr fchöne Kreuzigung mit den Schächern und
ferner das Wappen von Heinrich Oppermann. Die Darßellung der
Kreuzigung mit den Schächern ift in der Renaiflance beliebt. Sie fowohl wie
die Wappen find trefflich modellirt, namentlich das Plaftifche tritt in diefen
Reliefs gut hervor. Die Glocke von 0,83“ Durchmefl'er ift 1861 erneuert.
Radewell.
Pfarrkirchdorf, 8 km Tödlich von Hallle an der weifsen Elfter gelegen.
Aeltere Schreibweifen find Rodebile, Rodewelle. Das Dorf ift von dem
* Alte Leute zu Poplitz haben mir auch von einem Nonnenklofter erzählt, weiches ßch auf
der Stelle des Schloffes befunden hätte und aus dem bei einer Belagerung dieNonnen eines
Tages verfchwunden wären trotz eine* WafTergrabens ringsum. Niemand habe gewufst wie. —
Die Leute hatten eine nicht zu ergründende Scheu mir alles zu erzählen, was fie wufsten,
und fclbfl an compctenter Stelle fchwieg man über die Sage vom Popelmännchen.
■v
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POPLITZ. PRIESTER. RADEWELL. 567
Krzbi fchot W ichmann demhallefchenMoritzkloftergefchenkt, als diefes i 184 ge-
gründet ward, iz 1 1 ift von dem Erzbifchoie Albrecht diefe Schenkung erneuert
und fpäter noch verfchiedentlich beftätigt. Ein Weiteres über die Oefchiclite f.
Fig. 33». Fig. 331.
Thurmfcnftcr an der Süd* und Nordfeite im Erdgefchofs.
bei von Dreyhaupt II, 948 und 949. Die Kirche S. Wenzeslai liegt örtlich im
Dorfe. Sie ift fpätromanifch, aber in der Barockzeit umgebaut; der Chor
Fig. 333-
Tanfftein.
ift jetzt gerade gefchloflen. Sowohl am Thurm wie auch am Schiff ift noch
die romanifche Eugentechnik zu fehen. Am Erdgefchofs des Thurmes befinden
(ich die in Eig. 330 und 33 1 dargeftellten Oeffnungen, die alten Schallöcher
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I
568 DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
find vermauert. Kip. 352 zeigt den treppenförmig mit Zahnfchnittreihen
auspebildeten Kämpfer der beiden Bögen, welche das Innere des Thurm*'
mit dem des Schiffes verbinden. Der Taufftein gehört in die Entftehungs-
zeit des Bauwerkes. Wir geben in Kig. 333 fein Bild, aus welchem
die reiche Durchbildung und gefuchte Gefammtform erkennbar wird. De:
kleine vieleckige Fufs erinnert fchon an gothifche Art, die ftarken ihn mit
dem kelchartigen Gefäfse verknüpfenden Glieder erfcheinen als Ballaft.
ihr Fehlen würde die Gefammtform bereits gothifch machen. Den Gefäfs-
bauch umfpannt ein Rofettenband , an dem die geringe Sorgfalt in Bezu?
auf Stellung und Ausarbeitung der Rofetten auffällt. Den obern Rand
umzieht leicht ein Rankenornament, welches eine Weinrebe ftilifirt darfiellr.
Die Glocke von 1,22" Durchmeffer hat eine matte F orm, ihre Minuskel-
fchrift ift :
+ iDdps ntcarrRi« r « inkuriim maria anaa Ättmini nctttit,
die Buchftaben find fehr unfauber. Als Zierrath ift einerfeits das hallefche
Stadtwappen befindlich, andererfeits die Figur eines Mannes, welcher wohl
der Glockengiefser (?) fein dürfte. Die Glocke von 1,07 “ Durchmeffer hat
eine hohe F'orm und einen weit ausladenden Kranz ; ihre Minuskelfchritt
fteht in einem von zwei Bändern gebildeten Streifen, welcher unten mit
Trauben verziert ift:
■^0 t gloria in «an« imi (526 .
Die Glocke von 0,92“ Durchmeffer hat die Infchrift:
Durch’s Feuer bin ich geflossen Peter Becker in Halle hat
mich gegossen anno 1708.
Die Form ift matt.
Reideburg.
Pfarrkirchdorf mit Crondorf und den Rittergütern Reideburg und
Sagisdorf, 4 km örtlich von Halle gelegen, hat feinen Namen, der früher
Rideburg hiefs, von dem Bache die Ride oder Reide und einer hier
gelegenen Burg erhalten. Diefe gehörte den Markgrafen zu Lands-
berg, wurde aber von der Wittwe des Markgrafen Heinrich ohne
Land dem Erzftifte Magdeburg gefchenkt, und nun erhielt Tilemann von
Dieskau, einer von den Reideburger Burgleuten die Burg zur Bewahrung
Es erhoben lieh jedoch feitens der Verwandten Anfprüche auf die Burg
und in Folge deffen wurde diefelbe von dem Herzoge Magnus von Braun-
fchweig befetzt und kam dann an den Markgrafen Friedrich zu Meifsen.
Diefer mufste fie gegen den Erzbifchof und die Städte Halle und Magde-
burg, die vereint ihn belagerten, 1547 vertheidigen ; doch wurde die Burg
erobert und gänzlich zerftört. Die hier unwefentliche Gefchichte der Güter,
als Burglehn ehemals zu der Reideburg gehörig, giebt von Dreyhaupt II.950.
Die Kirche, im Dorfe gelegen, war der h. Gertrud geweiht. An Fenfter-
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RADhWELL. REIDEBURG.
569
reftcn erkennt man, dafs die Anlage eine romanifche ift, doch hat in der
Barockzeit ein Umbau ftattgefunden , der namentlich lieh an den grofsen
Fendern und nutzlofen Strebepfeilern kenntlich macht. Das Schiff ift örtlich
gerade gefchloffen. Die noch romanifchen Schalllöcher find durch eine in
der Mauermitte ftehende Säule getheilt, die oben fattelholzartig in die
Fig- 334- Fig. 335.
Capitäle von Säulen in den SchaHlöchern.
Mauer überführt ift. Wir geben in Fig. 334, 335 und 336 einige Beifpiele.
Der Thurm und das Schiff find durch einen Spitzbogen verbunden. Der
fpätgothifche Altarfchrein ift mit Oelfarbe übermalt und hat Ornamentzu-
fätze erhalten. Chriftus, die Maria krönend, fitzt inmitten, rechts und links
find je vier kleine Heiligenfiguren in je zwei Abtheilungen. Diele Statuen
find ziemlich roh und ohne S-linienhaltung, ihre Gefichtszüge fprechen jedoch
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57°
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
einen Charakter aus. Ein Taufbecken vun Meffing hat in der Mitte die
Darftellung der Verkündigung Mariae und umher zieht lieh zunächft reich ver-
zierte Minuskelfchrift und dann eine Schrift von gothifirenden Lapidarbuch-
ftaben. An der Südwand verdeckt die Empore ein der entwickelten Renais-
fance angehöriges Epitaphium gröfserentheils. Ein kniender Ritter (Porträt!,
ganz realiftifch gebildet, betet vor einem Crucifixe. Seitlich wird diefe Dar-
ftellung von Hermen eingefafst, deren Ausbildung an das Barocke ftreift.
Im Friefe des Gebälkes und an den Pilaftern find Wappen angebracht.
Die Bekrönung bildet ein von Nixen gehaltenes Medaillon, auf dem die
Auferftehung gebildet ift. Die Compofition des Ganzen mufs gelobt werden.
Die Glocke von 1,15“ DurchmelTer hat eine Infchrift, in welcher es
heifst:
Tiese Glock ist gegossen von Jacob König: nig bestalder fürst-
licher sechsischer Stuck und Glockengieser in Coburg wonhaftig.
Am Kranze lieht: 1619 D. S. H. TVLLE.
Als Schmuck findet fich ein Crucifixus mit den beiden Marien (?) grofs
und gut reliefirt. Die Glocke von 1,40“ DurchmelTer hat die Infchrift:
Anno 1751. Ich rufe zum Gebet, zur Predigt und Altar auch
dann wenn Jemand liegt auf seiner Todtenbahr,
aufserdem giebt die Auffchrift an, dafs die Glocke gegolten fei a Frid.
Aug. Beckero Architect: Halae Magdeb: . Die Glocke von 0,65" Durch-
melTer ift 1828 gegofTen.
Rothenburg.
Pfarrkirchdorf und königliche Domaine, 23 km nordweftlich von Halle
am rechten Saaleufer gelegen. Schon feit der Wendenzeit hat der Ort
Bedeutung. Es lag auf dem Berge nördlich vom Dorfe ein Wendencaftell.
die Sputinesburg, deren umlaufende Wälle und Gräben man noch fehr
wohl erkennen kann, wenn auch die Mauern verfchwunden find. Dafs
die mehr induftriell als kriegerifch beanlagten Wenden gerade diefen Ort
befeftigten, fcheint nicht zufällig zu fein. Vielleicht haben fie bereits, wie-
wohl urkundliche Belege dafür fehlen, hier, wie es feit 1446 bis heute ge-
fchieht, aus dem Kupferfchiefer Kupfer gewonnen. Schon im 10. Jahr-
hundert wird der Ort in Briefen Otto I. municipium et urbem genannt.
Es findet fich 1012 die Benennung Spiutni urbs 961 kommt Rothenburg
an das Magdeburger Moritzklofter. Die alte Burg foll angeblich 1074
zerftört fein. Im 14. Jahrhundert hat das Gefchlecht Derer vom Thore
Rothenburg befefTen. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts an die Magdeburger
Domprobftei gekommen, ging der Ort 1413 an die von Ammendorf über
und Coppe von Ammendorf erbaute alsdann ftatt der zerftörten Sputines-
burg eine andere unten auf der hier gelegenen Saaleinfel. Nach dem Aus-
fterben diefes Gefchlechts um 1550 wurde der Graf Albrecht von Mansfeld mit
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REIDEBURG. ROfHKNHURG.
57'
Rothenburg beliehen 1 1557 kam es an defTen Sohn Hans von Mansfeld,
den jedoch feine Schulden zwangen, es dem Grafen Georg von Schönburg
zu überlaCTen. Als aber der Erzbifchof Sigismund Harb, fetzte fich Hans
von Mansfeld mit Gewalt wieder in den Befitz Rothenburgs, führte dafelbd
ein ziemlich lockeres Leben und wurde erd 1506 durch eine Belagerung
feitens des Domcapitels im Verein mit der Ritterfchaft und den Städten
gezwungen, es aufzugeben. Bei feiner Flucht gerieth er in die Hände der
Belagerer, wurde nach Halle gebracht und verdarb dafelbd im folgenden
Jahre. Dann wurde Georg von Schönburg mit Rothenburg beliehen. 1585
kaufte der Adminidrator Joachim Friedrich mit allen von Ammendorf'fchen
Gütern auch Rothenburg und gab es feiner Frau Katharina, welche 1594
ein langes Schlofsgebäude, nämlich das jetzt noch erhaltene, 1646 aber dark
reparirte, erbaute und es bis 1598 bewohnte. 1605 hat das Domcapitel Rothen-
burg wieder von dem Adminidrator Joachim F'riedrich bekommen und es
id dann landesherrliches Befitzthum geblieben. Im dreifsigjährigen Kriege
wurde „das Schlofs, Kirche und Dorff dergedalt ruiniret, dafs auch nicht ein
Fis- 337-
Fig. 33*-
Nagel in der Wand übrig blieb.“ 1690 fchenkte der Churfiird Friedrich III.
das Schlofs der Schiefergewerkfchaft , die Schlofskapelle ward für den
Gottesdiend der Bergleute hergerichtet und fo ward das Schlofs ein Ver-
waltungs- und Wohngebäude. Nach fo vielen Erlebniflen erinnert das
Schlofs heute kaum noch an feine anfängliche Bedimmung. Zwar haben
fich aus allen Bauzeiten vom 15. Jahrhundert an Spuren erhalten, z. B.
originelle fpätgothifche Thürgewände, F'ender der Renailfance u. f. w„ aber
im Allgemeinen id der Bau jetzt bedeutungslos. Auf der Schlackenhalle
des Mansfelder gewerkfchaftlichen Kupferhammers und Walzwerkes id eine
Glocke von Eilen (? jedenfalls nicht von Glockengut), welche die Infchrift
NEVSTAT AN DER DOSSE 1698 trägt und die in Fig. 337 dargedellte
Form hat. Die Kirche des Dorfes Rothenburg id hochgelegen und 1840
* Die Streitigkeiten zwifchen ihm einerseits und l'ronrad von Bumelberg nebft Wilhelm
von Grumbach andererseits f. bei von Dreyhaupt II 857.
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572
UIK STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
ganz n«u in rotnanifirenden Formen erbaut. Eine Hark befchädigte und
reparirte Holzfigur, die h. Maria mit dem Kinde dar Hellend, befindet (ich
in der Vorhalle. Die Glocke von o,88“ DurchmelTer hat die in Fig. .ij1'
gezeichnete Form, ift alfo ohne jede Infchrift und Verzierung, der Gufs ift
nicht befonders gut; fie mag in das 13. Jahrhundert gehören. Die Glocke
von i,it>“ DurchmelTer hat die Majuskelinfchrift (Wachsmodelle):
+ siT tepestätb. pcr me gei?vs omne rvgätv + a
in der oberen Zone, darunter lieht: ÄVG HÄRIÄ 6~ RÄ PLEHÄ.
Schiepzig.
Pfarrkirchdorf 9 km weltlich von Halle am linken Saalufer gelegen,
war der Sitz eines adligen Gefchlechtes. 1217 wird ein Heroldus de Schip;
und 1292 ein Petrus de Schipz genannt. Die Kirche S. Helenae liegt nörd-
lich im Dorfe oben auf dem hohen Saaleufer. Das Patronatsrecht haben an-
fänglich die Grafen von Mansfeld gehabt. 1303 aber hat es Graf Burchard
dem Klolter Gottes Gnade bei Calbe gefchenkt. bei dem es bis zur Refor-
mation geblieben ift.1 Das Kirchengebäude ift 1828 abgebrannt; es ift dann
namentlich der unten gewölbte Thurm unter Benutzung von vielen zer-
fchlagenen barocken Grabfteinen wieder hergeftellt. Eine Verbreiterung des
ehemals romanifchen oder frühgothifchen Baues mit gradem Oftfchluss ha:
gegen Süden ftattgefunden, wie sich noch wohl ar. dem Ostgiebel erkennen
läfst. Ein Kelch der Kirche ift in den erften Jahrzehnten des 16. Jahr-
hunderts gemacht. An dem Noduszapfen steht -l-Wt# V# Am Stilus
über dem Modus rlrifl unter ihm (marie?) Eiine Ilostienbüchfe ift von
1701. Ein messingenes Becken hat in der Mitte die Darftellung Adam--
und Evas am verbotenen Baume, die dann von unleferlicher Minuskelumschnft
umgeben ift, um welche lieh schliefslich noch die gothifirende Lapidarschritt
(EHB)ART - AL • ZEIT • GELVEK zieht.
Die Glocke von 1,26“ DurchmelTer hat die Minuskelinschrift:
cHiilor ® Bi*a Sri « morlua * prlltt ® niriit ® ■ terr Inn
Unter dieser Schrift herabhängendes Ornament. An der einen Seit'*
lieft man mittelft Spiegel, also rechtsläufig in den Mantel geschrieben, folgendr
nicht wohl erklärbaren Wörter: Calticmni
£|koacpltrr
und auf der andern Seite: l)mit|ri lang klar
riji krrl|fr
1 Es verdient mitgetheilt zu werden, was von Dreyhaupt über ein feiner Zeit dem Thum
knöpfe entnommenes, in einem länglichen Schachtelchen befindlich gewesenes Pergament mi'*
theilt; dafselbe hatte folgende Auffchrift: Anno dei . MCCCCLXXXXVIII Sabat . ante Qu»-
simodogen. . in upgerichtet die spitzge up der Kyrchen Scte. Helene zu Schiptz mith dem
halben dake, und Er Thomas Sasse von Calven boidig, is darto der tidt gewest ein pberoer
und Lampe tomaw eyn altermann, dy habens gebuweth an aller nachher danck.
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ROTHKNUCRG. SCHIEPZIG. SCHLETTAU.
573
Die Glocke von 0,97 “ Durchmesser hat diese Inschrift:
ANNO DOM 1623 IST DIESE GIOCKE IN HALLE VON . M .
GEORGE DORS VND M . HANS WETTER . GOTT ALLEIN
DIE EHRE .
Schlettau.
Kirchdorf, Filial von Löbejün, 19 km nördlich von Halle gelegen. Die
Kirche S. Mariae liegt im Dorfe und ift eine der ausgebildeten romanilchen
Anlagen be flehend aus einem unten tonnenüberwölbten Thurm, eindm Schiff
und einem fchmälern Chorraum mit halbrunder Apsis. Die Wände bestehen
aus Bruchfteinen mit Eckquaderung. Die Thür auf der Südseite hat ein
halbrundes Tympanon, welches zu zwei je mit einer Rosette gefüllten Feldern
ausgemeifselt ift, jedoch find die Einzelheiten nicht regelmäfsig Fig. 339. In dem
Fi*. 339.
Tympanon der Thür an der Südreite.
rohen fpätgothifchen Taufsteine befindet lieh ein melfingenes Taufbecken
mit der unleferlichen Minuskelfchrift und den gothifirenden Lapidarbuch-
staben bekannter Art verziert. Der Altaraufbau gehört der RenaifTance an; an
der Predella ift das Abendmahl, darüber als das Hauptbild« die Kreuzigung
gemalt; diese Bilder haben ihren anfänglichen Werth durch Uebermalung
verloren. Auf der mensa hat fich, allerdings sehr zerftört, eine weifse Decke,
die etwa um 1500 entftanden sein mag, nebst einer Bordüre, beide ihrer
Mufterung wegen beachtenswerth , erhalten. Die Glocke von 0,57“ Durch-
messer hat die Majuskelinschrift (Wachsmodelle) oben:
+ O REX GIE VENI CV PACE
Darunter lieht : IHC NAP BOCSz • AE ; ob fich die beiden letzten Wörter
auf den Giefser beziehen, ift nicht zu ermitteln. Die Mitte des 14. Jahr-
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1)1 K StAJ>T HALLE u. <1. SAAt.KRKIS.
m
hunderts wird als die Entftehungszeit anzunehmen fein. Die Glocke von
0,91“ Durchmeffer hat die Infchrift:
+S+T • TGPG nRTTj ■ PGR • fllG • <?GI?VS • OfllRG •
R2I6ATV Adb
auch diefe in Majuskelumfchrift (Wachsmodelle) gefchmückte Gluck'
wird der Mittte des 14. Jahrhunderts zuzufchreiben fein. Es fcheint nicht
Fis- 34°-
Zierrathe am Wolfe. (Renaiffancc).
unnütz, hier eine Skizze von dem allerdings erd dem 16. Jahrhundert ange-
hörigen Wolfe zu geben. Auch einen fo unbedeutenden Gegenltamä
hat diefe kunlllinnige Zeit nicht ungefchmückt gelaffen. Die. Glocke von
t,i2“ DurchmelTer hat diefe Infchrift:
Ad pompas ad sacra preces ad funera cives — Voce suj
Christus Quos vocait ipsu voco ■ anno 1604 Heinrich Börstel-
mann me fecit.
Als Zierrath dient einerfeits ein Crucifixus mit Maria und Johanne-
zu den Seiten fowie Sonne und Mond feitlich oben , andererfeits die Dar-
Heilung der Dreieinigkeit: Gott Vater als bärtiger Mann fitzend dargeftell:
hält einen Crucifixus, aut dem der heilige Geilt, die Taube mit ausgebreite-
ten Flügeln, fitzt. Diefe Reliefs find flach und von ganz eigenartigem Stil,
doch nicht fchlecht.
Schwerz.
Pfarrkirchdorf und Rittergut 15,5 km nordöftlich von Halle gelegen.
Zwirze 1205 im thron. Mont. Seren genannt. Das Dorf felblt Hand unter der
Jurisdiction des Rittergutes, welches 1401 Hans von Mücheln, Schultheifs von
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SCHLETTAU. SCHWERTE. SERBEN.
SW
Halle als Lehn von dem Erzbifchofe Albrecht befafs. Die folgenden Befitzer
giebt von Dreyhaupt II 957 an. Die Kirche liegt im Dorte , fie hat einen
geraden örtlichen Schlufs; der Thurm ift in ähnlichem rohen Mauerwerk her-
geflellt, wie der zu Eismannsdorf. Eine Empore mit darunter gelegener
Sacriftei ift füdlich ausgebaut. Im Innern ift der Altar mit über ihm an-
gebrachter Kanzel eine gute barocke Arbeit. An der Predella ift das
Abendmahl in Holz reliefirt, an der Kanzel die Darftellung Chrifti, welcher
als Kind im Tempel lehrt. Rechts und links am Altäre befindet lieh je
eine lebensgrofse, gut proportionirte Engelsfigur. Als Bekrönung des
Schalldeckels und des Hauptgefimfes des ganzen Aufbaues fieht man Engel
mit Wappen, während ganz oben als Spitze Chriftus mit der Siegesfahne
in Wolken lieht. Zu dem Altäre gehört im Stile der Taufbeckenunterfatz.
An der Südwand find einige barocke Grabplatten. Der Kelch der Kirche
vom Jahre 1665 mit einigen Wappen am Fufse ift unbedeutend. Die Glocke
von 0,53“ Durchmefter hat eine längliche Form ohne Infchrift, nur zwei
Harke Reifen umziehen den Kranz. Es ift nicht gewifs, ob diefe Glocke
in das 13. Jahrhundert zu fetzen ift. Die Glocke von 1,17” Durchmefter
hat in Majuskeln ( Wachsmodelle) diefe Umfchrift:
SIT TCPeSTATV PCR dt> A me G6I?VS OMH€ HWsÄTV.
Das cL und A ift hier finnig angebracht worden.
Die Glocke von 1,32 * Durchmefter hat diefe Minuskelinfchrift:
T <?>
i|tfif miss marin fnrta Anita aut ftiaiii w ma m.
Die Schlagglocke im Dachreiter des Thurmes hat 0,60“ Durchmefter,
ift jedoch nicht wohl erreichbar.
Seeben.
Kirchdorf Filial von Trotha und Domainenvorwerk zur Domaine Gie-
bichenftein, 4 km nördlich von Halle gelegen, foll feinen Namen von der
deutfehen Göttin Siba oder Seba erhalten haben und wird in alter Zeit
Sebin und Sebene gefchrieben. Das Dort fcheint unter dem Schutze des
Adelsgefchlechtes derer von Sehen entftanden zu fein. Bereits 1228 wird in
den Urkunden des Klofters zum Neuen Werke ein Martin de Sebene ge-
nannt. Die Kirche S. I.aurentii liegt im Dorfe und ift eine romanifche An-
lage, welche fpäter Zufätze bekommen hat und umgebaut ift. Der unten
maffive Thurm hat einen Fachwerksautfatz. Statt des urfprünglichen Chor-
raumes ift jetzt ein jüngerer Anbau vorhanden, während das Schiff, welches
breiter als lang, noch romanifch ift. Wir gebet» in Fig. 341 die rundbogige
nördlich gelegene Eingangsthür und in Fig. 342 die von der weltlichen
Empore in den Thurm führende; aus beiden dürfte zu erfehen fein, dafs
die Kirche zwar einfach, aber fchon in der fpäteren romanifchen Zeit er-
baut worden ift. Die Pfeiler des Triumphbogens find cantonnirt und
fchliefsen mit einem Ablauf unter einer Platte als Kämpfer. Der fehr
kleine Flügelaltar ift roher gearbeitet, als alle im Saalkreife; er enthält
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576
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
folgende acht Figuren, die zwar in gothifchen Proportionen gehalten find, aber
erft im 1 6. Jahrhundert gemacht fein können: im linken Flügel lieht ein nicht
zu erkennender Heiliger und eine Heilige, die einen Vogel (-)luüt (Margaretha?):
im Schreine fleht man den h. F ranciscus, der eine Wunde in der rechten Brull-
feite zeigt, dann eine Heilige ohne Beigabe, den Engel Gabriel und Maria.
Fig. .54'-
Kirchenportal auf der Nordfeite.
Fig. 342.
Thür in den Thurm von der Empore acs-
die an der Brüll bereits das Kindlein trägt, im rechten Flügel lieht ein
fegnender Bifchof und Johannes (?) mit dem Lamme.
Die Glocke von 0,54 ■ Durchmefier hat oben drei Schnüre und unten
zwei Harke runde Reifen, fie ill ohne Infchrift, kann aber erd dem 16. oder
17. Jahrhundert angehören. Die Glocke von 0,92 " Durchmefier ill von
Leopold Eberwein 1853 gegofien.
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SERBEN. SENNE WITZ. SIEGLITZ. SPICKENDORF.
57
Sennewitz. 1
Kirchdorf, Filial ehemals von Trotha, jetzt von Teicha, 5,5 km nördlich
von Halle gelegen. Als 1288 die Graffchaft Wettin. zu der der Ort gehörte,
an das Erzftift Magdeburg kam, ging auch Sennewitz mit dahin über. Die
Kirche S. Nicolai ift vielleicht eine romanifche Anlage, doch, weil völlig
modemifirt, ohne Int^refle. Ein alter, formlofer (romanifcher?) Taufßein
liegt umgekehrt auf dem Friedhofe. Der Teufelsflein , öftlich von der
Kirche am Wege gelegen und mit 5 Löchern, die von des Teufels Krallen
herrühren follen , ift nichts als ein erratifcher Stein (gröfserer F'indling).
Die Glocke von 1,03“ DurchmefTer hat diefe Halsumfchrift:
MEIN • KLANG • DICH • RVTE • ZVM • KIRCHENGANG • MERKS
WORT • GOTT • DANKS • SINGE • LOBGESANG •
Am Schlagringe fteht:
ftoss mid) : 3ot|anit 3akob fipffmanit in fintr MDCLXXXXVIl.
Die Glocke mit dem DurchmefTer von 0,78” hat die Infchrift einerfeits:
Gegossen von Gebr. Ulrich zu Laucha a Unstrut 1667,
andererfeits: Gott segne und erhalte die Gemeinde Sennewitz.
Die Glocke von 0,65“ DurchmefTer hat die Infchrift:
Gegossen v. Gebr. Ulrich zu Laucha a/Unstrut 1867.
Sieglitz.
Kirchdorf, Filial von Mitteledlau, 20 km nordweftlich von Halle
gelegen. Das Stift S. Nicolai zu Magdeburg hatte das Patronatsrecht
über die Kirche, welche öftlich vor dem Dorfe liegt, in der zweiten Hälfte
des vergangenen Jahrhunderts entftanden fein wird und ein ganz unbe-
deutendes Bauwerk von rechtwinkligem Grundrifs mit Thurm ift. Ein
meffingenes Taufbecken hat inmitten die Darftellung der -Kundfchafter
von Jericho mit einer grofsen Traube und flammt infchriftlich aus dem
Jahre 1653.
Die Glocke von 0,88” DurchmefTer hat Joh. Jacob Hoffmann in Halle
1701, die von 0,73“ DurchmefTer Friedrich Aug. Becker zu Halle 1 74 ^
gegoflen.
Spickendorf.
Pfarrkirchdorf, 12,5 km nordöftlich von Halle gelegen, ift der Stamm-
fitz der hallefchen Pfännerfamilie von Spickendorf oder Spittendorf gewefen.
1376 haben dafelbft auch die von Dieskau und von Schilling ßefitzungen
I Dafs der Name von den „Scnnonibns“ hn kommt, wie von Dreyhaupl angiebt, ift fahr
unwahrfcheinlich.
B. D. d. Bau- u. Kunst«!. N. F. I. 37
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578
DIE STADT HALLE u. d. SAALKRKIS.
V
gehabt. Die Kirche S. Nicolai, im Dorfe gelegen, foll nach von Drevhaupt\
Angabe „1262 fundiret" fein; fie macht auch den Eindruck eines
frühgothifchen Bauwerkes, ift im Ollen gerade gefchloffen und zeigt an
ihrer nördlichen Eingangsthür einen Spitzbogen fowie das in Eig. 343 darge-
Hellte Ornament. Aus der Gründungszeit wird auch der im fogenannten
Fig. 343-
Fig. 344-
Ornament am Portalbogen.
Taufflein.
Paradiele llehende alte Taufftein fein, welchen unfere Fig. 345 darflellt
Es hat fich dann in der Chorwand nördlich ein Sacramentshäuschen er-
halten, welches der Hochgothik angehört und eines der werthvollften Klein-
architekturllücke des Kreifes ift. Man erfieht aus Fig. 345, dafs die ge-
wöhnliche Anordnung ftatt hat: Fialen, hier zwei jederfeits, flankiren die
Thür, welche aus vergoldeten Eifenftäben mit Knöpfen befteht, und tragen eine
Zinnenkrone. Letztere ruht in der Mitte auch noch auf dem Stiele der Kreuz-
blume über dem fpitzbogigen Thürlimfe. Diefes Sims und die Riefen der
Fialen find mit Krabben befetzt, die noch nicht ftark gebuckeltes Blattwerk
zeigen. Der Raum von der Oberkante der rundbogigen Thüröflnung bis
zum Spitzbogengefimfe darüber wird von einem Blendenmaafswerke aus-
gefüllt, in deffen Mitte vor einem Kreuznimbus der Kopf Chrifti in der Vorder-
anficht ausgehauen ift. An dem ganzen Stücke ift die alte Temperafärbung noch
ausreichend erhalten, um einen Begriff von der anfänglichen Wirkung zu
geben. Da mufs nun hauptfächlich auf die verftändige Art der Bemalung
aufmerkfam gemacht werden. Es find nur die gefchützt liegenden Theile
nicht die exponirten gefärbt. Die natürliche graue Farbe des Steines ift
als Grundfarbe beiaffen und ihr ift aufser Gold nur noch Carrninroth und
ein mattes, weiches Blau zugefiigt, während allerdings das Geficht des
Heilandes die natürlichen Farben trägt: die Haut ift gelblich weifs, dir
Haare find dunkel, die Lippen roth, die Augen blau. Der Nimbus hinter
dem Kopfe ift goldig mit blauem Kreuze. Wie vorzüglich die Wirkung
ift, welche fich durch diefe Farben hervorbringen läfet, wenn diefelben mit
Meifterhand wie hier componirt find, läfst fich nicht fagen. Werthvoll wird
das Stück auch deswegen, weil fich an ihm befände» gut die Denkweile
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SPICKEN DORF.
579
unferer Vorfahren ftudiren läl'st ; in diefer Beziehung ift noch Einiges filier
den Chriftuskopf zu Tagen nöthig. Der Ausdruck des Geflehtes ill ein
ganz feierlich ruhiger, milder, leidenfchaftslos friedlicher, gleichfam iiber-
finnlicher, ein Ausdruck aber, der beredter ift, als alle Worte, die man an
feine Stelle fetzen könnte, um zu bezeichnen, was diefer Schrein an Gnaden*
fpenden enthält. An und für fich (oll alfo der Kopf, deffen Bedeutung
alle Beute im Mittelalter verllanden, nur eine AutTchrift vertreten, aber unter
der Hand des Meifters ift fie zu einer erhabenen, herzergreifenden Poefie
geworden.
Fis- 345-
Saeramentshäuschen.
Der jetzige Altar ift mit der ihm eingefügten Kanzel 1728 gemacht.
Der Kanzelthüreinfatz hat ein in Holz hochreliefirtes Abendmahl mit gutem
architektonifchen Hintergründe; im Ganzen nicht bedeutend. Reife eines
Altares aus der helfen Renaiffancezett befinden fich aut den Emporen. Es
ift das Abendmahl daran dargeffellt; man lieft
RCVXERNER
PINXIT
An der Predella befindet fich die Geburt und die Taufe gut gemalt.
Auch ift der Crucifixus erhalten. Die Glocke von o,()6“ Durchine fter ift
v on länglicher form und ohne Infchrift; fie gehört vielleicht in die Erbauungs-
37*
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58o
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
zeit der Kirche, alfo in das 13. Jahrhundert. Die Glocke von 1,03” Durch-
melTer iß 1738 von Peter Becker in Halle umgegolTen.
Sylbitz.
Pfarrkirchdorf, 10 km nördlich von Halle gelegen. Die Kirche ift ludlich
vom Dorfe hoch gelegen und dadurch eine fogleich auffällige romanifche
Sclialllueh.
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SYLBITZ. TEICHA.
583
Anlage, dafs der Thurm mit runder Apfis an feiner Oftfeite örtlich am Schiffe
fleht. Veranlaffung zu diefer Abweichung mag das Terrain gegeben haben
welches hinter dem geraden Weftgiebel des Schiffes abfälltund den Erbauern
nicht hinlänglich widerftandsiähig gegen die Thurmmauerlaft erfcheinen
mochte; ift doch der Thurm felbft an feiner jetzigen Stelle wohl in Folge
des nachgiebigen Bodens vielfach geborften. Die Thurmfenller Fig. 346 find
durch eine Säule, welche vermitteln eines Steines von Capitälbreite und Mauer-
tiefe zwei Rundbogen einfeitig unterftützt, zweitheilig. Die Säule hat eine
attifche Bafis mit weitausladendem untern Torus, welcher auf einer Platte
lieht und Eckblätter hat. Das kelchartige Capitäl ift mit ftark verwittertem
Blattwerk überzogen. Aus folchen Formen ergiebt lieh, dafs die Entftehung in
die fpätromanifche Zeit fällt. Der auf der Nordfeite liegende Eingang P'ig. 347
ift rundbogig und hat ein aus einem Rundftabe mit zwei Kehlen bestehendes
Gewändeprofil, unten fleht der Rundftah jederfeits auf einer hohen attifchen
Bafe. Den Rundbogen füllt ein reliefgefchmücktes Tympanon aus, unter-
ftützt von Confolen, die in das viereckige Thürlichten treten. Dargeftellt ift
links ein romanifches Blattwerk und rechts eine Gans (?), die einen von
rechts kommenden F'uchs (?) füttert. Zwifchen beiden fleht auf der Erde
ein Gefäfs (?), auf welches der Fuchs mit einem Vorderfufse tritt. Die
Deutung will mir nicht gelingen; es dünkt mich möglich, dafs hier kein
biblifcher Stoff, fondern eine heidnifche Fabel veranfchaulicht worden ift,
zufolge welcher der Fuchs der Gans den Kopf abbeifst. Im Innern ift
das im Thurmerdgefchofs gelegene Sanctuarium über-
wölbt. Der Bogen zwifchen ihm und dem Schiffe
hat ein Kämpferfims in F'orm einer plumpen Sima unten
mit Plättchen, oben mit ftärkerer Platte, Füg. 348. Den
Bogen der Apfis unterftützt ein aus Platte, Rundftab
Plättchen und Ablauf beliebender Kämpfer, der gewifser-
maafsen als Capitäl zu dem unter ihm befindlichen,
durch eine Vertiefung als Pilafter charakterifirten
Wandflücken bildet. Nahe bei dem nördlichen diefer
Pilaller bemerkt man ein recht einfach und falop
gearbeitetes und jetzt befchädigtes Sacramentshäuschen
Fig. 34g. Der Taufllein ift romanifch, aber ganz roh
Die drei Glocken find ohne Infchrift; die von 0,54“ und die von 0,60“ Durch-
meffer find vielleicht noch älter als die von 1,02” Durchmeffer, weil fie eine
alterthümlich längliche Form haben, Fig. 350. Doch fcheinen fie alle dem
13. Jahrhundert anzugehören.
Teicha.
Pfarrkirchdorf, 8,50km nördlich von Halle gelegen. Station der Bahnlinie
Afchersleben-Halle. Die Kirche S. Mauritii Fig. 351 liegt füdwelllich vom
Dorfe auf einem Flügel und ift eine romanifche Anlage mit fpätern Zulätzen.
Thurm und Schiff gehören der romanifchen Epoche an, der Chor, dreifeitig
fchhefsend , wird in (früh?)gothifcher Zeit entftanden fein. Die beiden füd-
lichen Ausbauten, Sacriftei und Eingangshalle find barock; der Dachreiter
Fig. 350.
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Aeufseres der Kirche
584
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
- '
/ , v
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TEICHA.
585
in Ollen des romanilchen Theiles des Schiffes hat gar keinen Zweck und
fcheint Ende des vergangenen Jahrhunderts zugefügt zu fein. An Künft-
ig- 35*-
P‘g- 353-
Zwei Capilälc in den Schall löchern.
formen bietet der Thurm verwitterte Steinkreuze, die feine Giebel krönen,
auch die alten Giebelecklleine haben fich erhalten. Die Schalllöcher, je zwei
gegen Ollen und Wellen, je eins gegen Süden und Norden, find durch
eine Säule mit zwei je aus einem Steine bellehenden Rundbögen zweitheilig,
P'g- 354-
Pig 355-
Kämpfer am Triumph-
bogen.
jedoch fo, dafs letztere einfeitig auf einem fattelholzartigen Steine liehen,
weicher die Breite des Abakus und die Tiefe der Mauer hat. Je nach der
Ausbildung des Capitäls ill auch das fattelholzartige Verbindungsllück
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586
DIE STADT HALLE u. d. SAALEREIS.
fchwerer oder leichter profilirt, vergleiche Fig. 352 und 353. Das Capital
in Fig. 352 deutet übrigens fchon auf eine fehr vorgefchrittene Entwicklung
des romanifchen Stils; man fieht, bei einer weitern Entwicklung müfTen die
Fig. 356.
'
Sacramcntshäuschcn.
Träger (Eckblätter) über die Abakusplatte heraustreten. Die Fcnlfer an
den drei Chorleiten find rundbogig; man wird vermuthlich die Gewände
der romanifchen Apfis hier wieder mit Zufatz neuer Stücke unverändert
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TEICHA.
587
verwendet haben. An einem Gewände befinden fich zum Schmucke Rofetten
wie fie in der fpätern Zeit des Stiles oft Vorkommen. An vielen Stellen
des romanifchen Theiles der Kirche ift noch die ehemalige Fugenbehandlung
des Bruchfteinmauerwerkes deutlich zu fehen. Diefelbe geht darauf aus
thunlichft eine wagerechte Quaderung der Fläche darzuftellen; es find daher
die Fugen je nach der Unregelmäfsigkeit der Steine breiter oder fchmäler
mit einem ganz aufserordentlich dauerhaften Mörtel gefüllt, und dann ift in
denfelben eine nur im Allgemeinen auf die wirklichen Fugen riickfichtigende,
lediglich aus wagerechten und fenkrechten Linien beftehende Quaderung
mittelft eines unferer Fugenkelle entfprechenden Inftrumentes dergeftalt
eingedrückt, dafs die F'ugenoberkante fenkrecht, die Unterkante geneigt zur
Mauerfläche fleht. (Siehe Fig. 275 und 276 unter Krofigk.) Höchft interefTanter-
weife ift nun auch unter den neuem und neuften Putzfchichten an dem
gothifchen Ofttheile die alte Wandausfchmückung vorhanden und diefelbe
befteht in einem vollftändigen Verputz, welcher eine geftippte Quaderung
mit breiten glatten Fugen darftellt und mit eingefafsten Ecken und einigen
horizontalen glatten Bändern zu gröfsem Partien abgetheilt wird Fig. 354.
Die Urfprünglichkeit diefes Verputzes ergiebt fich aus einem Vergleich mit
gemalten gothifchen Wandverzierungen. Hiermit dürfte der Beweis erbracht
fein, dafs auch die Gothik die Aufsenflächen eines Bauwerkes durch weg ge-
putzt und fogar eine Quaderung im Putze nachgeahmt hat; von einer
bewufsten Unwahrheit aber, deren fich die moderne Kunft in ihrer
naturaliftifchen Weife in gleichem Falle fchuldig macht, kann hier doch
nicht die Rede fein, weil der Putz hier als folcher auitritt und nichts anderes
als eben die Wand verkleidender Putz fein will, welcher ein Quadergetüge
zwar darftellt, aber nicht ift, mit einem Worte die Behandlung des Putzes ift
ftilgemäls. — Was ein in einen Quader der Südoftecke des romanifchen
Theiles eingeritztes Köpfchen bedeutet ift ungewifs. Unter dem Fenfter an
der Oftwand des Chores befindet fich eine Heiligenbildnifche, die fchon feit
der Reformation leer fein wird. Im Kirclieninnern find die Kämpferftücke,
des infchriftlich 1700 veränderten Triumphbogens romanifch Fig. 355. In
die Erbauungszeit des gothifchen Chores, feinen Formen nach fchwerlich
l'päter als bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts zurückgehend, wird das nördlich
eingemauerte Sacramentshäuschen zu fetzen fein F'ig. 356. Zwei fialenartige
Thürmchen mit Creneluren um den Helmfufs flankiren die fpitzbogig umrahmte
Rundbogenthür, über deren von zwei Krabben befetztem Simfe eine Kreuz-
blume fleht. Diefe Architektur fetzt fich unten auf eine Schräge und läuft
fich oben gegen ein krönendes Zinnenfims, welches fie ftützt, todt. Ohne
Werth ift die „1591 von dem Pronotario Paul Hahn zu Halle“ gefchenkte
Kanzel. Werthvoll ift der fpätgothifche Flügelaltar mit dreiviertellebens-
grofsen farbigen Holzfiguren. Maria mit dem Kinde nimmt die Mitte ein, links
fleht der Titelheilige Moritz, rechts ein andrer Heiliger. In jedem der beiden
Flügel fteht hoch eine weibliche Heilige. Feines ornamentales Schnitzwerk
dient als Umrahmung und gemufterter Goldgrund fchmückt die Rückwand.
Die drei Glocken von 1,32", 1,01 m und 0,83” Durchmeffer find 1861
von den Gebr. Ulrich in Laucha umgegofsen.
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588
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
I
Trebitz (bei Cönnern.)
Kirchdorf, Filial von Lebendorf, 27,5 km nordweftlich von Halle ge-
legen. Die Kirche liegt örtlich im Dorfe und befindet fich augenblicklich
im Neubau an Stelle einer folchen, die nach dem dreifsigjährigen Kriege
wieder erbaut und 1738 verlängert, fowie mit Kanzel, Emporen u. f. w. aus-
geftattet war. Der jetzt in der Scheune der Schule befindliche Flügelaltar — die
Menfa dürfte dem in Fig. 357 gezeichneten Profile
nach noch aus romanifcher Zeit herrühren — ent-
hält folgende Holzfiguren: im Flügel links oben zwei
weibliche Heilige, die nicht mehr zu erkennen find,
unten die h. Dorothea mit einem Korbe und eine
Heilige ohne Attribut. Die linke Abtheilung des
eigentlichen Schreines enthält oben einen Heiligen
mit einem Buche, unten den h. Moritz, die Mittel-
partie enthält die fitzenden Figuren der Maria und
des Chriftus, der jene fegnet, in einer niedrigen Ab- [,rofl| J(.r Altarplaiic.
theilung unter beiden find zwei muficirende Engel;
in dem rechten Schreinfelde fteht oben die fehr fchön
gearbeitete Figur Petri (?) mit einem Buche, unten die des heiligen
Johannes mit dem Lamm auf dem Buche. Im rechten Flügel liehen
oben die h. Katharina und die h. Anna felbdritt, unten ein h. Ritter (fcheinbar
mit Fahne) und ein unbekleideter Heiliger mit einer Säule (Sebaftian?). Die
Arbeit diefer F'iguren fteht im Allgemeinen über der Mittelmäfsigkeit und
erhebt fich in einigen Statuen namentlich in 1 linficht auf die Gefichtsbildung
auf eine hohe Stufe künftlerifchen Werthes.
Die beiden Glocken von 0,82" und 0,64" Durchmerter find 1873 von
G. Ulrich in Laucha gegoden.
Trebnitz.
Plarrkirchdorf und Rittergut, 27 km nordweftlich von Halle am
rechten Saalufer gelegen. Die Kirche S. Dionysii liegt im Dorfe örtlich. Im
dreifsigjährigen Kriege verwüftet ift fie 1693 von dem Brigadier Hans
Criftoph von Rauchhaupt theilweife wohl auf romanifchen Subllructionen
neu erbaut. Ein Ausbau an der Südfeite hat den Zweck für die von Rauch-
haupt’fche Familie unten einen Begräbnifsraum, oben eine Kirchenftube zu
bilden. Die Brüftung gegen das Kircheninnere ift demgemäfs mit zahl-
reichen Wappen gefclimückt. Mit Särgen ill auch hier wie zu Beefen-
laublirigen ein Untergefchofs und das F.rdgefchofs des Thurmes aus-
gefetzt. In der Apfis hat von den Grabfteinen nur der im F'ond einigen
Werth. Viel bcde-utender dagegen ift ein Epithaphium grofsartigen Stiles
rechts am Eingänge an der Weftwand der gutsherrlichen Kirchenftube. Es
belicht aus weifsein Marmor mit theilweifser Vergoldung und foll in Italien
oder doch von einem Italiener gemacht fein. Die Arbeit felbft läfst diefe
Annahme glaubhaft erfcheinen. Sie ill, obwohl das Barocke nicht ver-
leugnend, doch noch llreng und fehr graziös durchgelührt, auch von einer
"V
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TREBITZ (bei GÖNNERN’). TREBNITZ.
589
techni feilen Vollkommenheit, wie iie bei deutfehen Meiltern diefer Zeit un-
gewöhnlich wäre. 1 Man lieht über einem Unterbau die knienden Figuren
der Familienglieder des Verdorbenen. In einer Nifche links befindet lieh
Adam , rechts Eva. Mitten ilt das Weltgericht reliefirt. Ueber diefem be-
findet lieh die Geburt Chrifli , die Hirten kommen herzu anzubeten. Neben
diefer Darftellung rechts ift die Auferftehung gemeifselt, links die Scene
wie Jonas aus dem Fifchbauche hervorkommt. Ganz oben lieht man die
Himmelfahrt. Männliche und weibliche Karyatiden flankiren das mittlere
Bild und lieben weibliche allegorifche Statuen lind noch an verfchiedenen
andern Stellen paffend aufgeftellt ; fo viel fich noch erkennen läfst, trägt
eine ein Schwert (?) und Buch, eine andere Anker und Eule, eine dritte
einen Spiegel, ihren Arm umwindet eine Schlange (?), eine vierte hält eine
zerbrochene Säule, eine fünfte hat ein Schwert in der Rechten, eine feehste
giofst einen Krug aus. Die letzte hält nichts inehr. Das Epitaphium ift
aufserdem mit vielen relietirten Wappen verziert. — Vor ihm lieht der Reil
eines fpätgothifchen Tauffteines Fig. 358.
F>«. S 5».
Die Glocke von 0,54 B Durchmefler hat die Majuskelinfchrift
{Wachsmodelle)
VOX D£I FAX DOffiII?I
Die Glocke von o,8)m Durchmeffer hat 1685 Joh. Jacob Hoftmann in Halle
gegofTen. Die Glocke von 1,1 2“ Durchmefier ilt 1722 von Peter Becker in
Halle gegolTen; man lieht auf ihr das von Rauchhaupt’fche Wappen mit
der Umfchrift constans contraria spernit.
DasRittergut liegt etwas weiter aufwärts an der Saale. 13.38 hat ein
Johann von Gatersleben die Mühle, das Gut und das Dorf fowie die Wein-
berge dem Erzftifte Magdeburg gefchenkt. Zu Anfang des 15. Jahrhunderts
ift Trebnitz im Befitze derer von I ledersleben gewefen, dann ift jes an
Timo I. von Rauchhaupt gekommen, von dem die Trebnitzer Linie diefes
Gefchlechts llammt. Die Kapelle des Schlolfes, „zum Altar des Heiligen
1 Leider hat der Salpeter der Wand fchon einige Reliefs und Statuen zerftort uud er
wird lie bald alle vernichten, wenn nicht die geringen Mittel lieh linden, die nothig find, diefes
K M n ft werk vor dem LinllufTe des Salpeters zu lieber n.
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590
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Kreuzes“ genannt, wird bereits verfchwunden fein, als man die alte
gothifche Burg1 im 16. Jahrhundert dergeAalt umbaute, dafs ein von vier
Flügeln umfchloffener Hot mit Arkaden (?) entftand. Als der mittlere Theil
des jetzigen Schlofles befteht diefes Bauwerk des lü. Jahrhunderts noch und
man bemerkt von ihm mancherlei Thür- und Fenfterprofile, Wendeltreppen
u. f. w. Der Erbauer der Trebnitzer Dorfkirche hat auch diefes im dreifsig-
jährigen Kriege ftark verwüftet« Schlofs wieder herftellen lalfen und ihm
eine neue F'agade mit feitlichen Flügeln, natürlich in den barocken, hier fehr
nüchternen F'ormen feiner Zeit zugefügt. a
Trotha.
Pfarrkirchdorf, 2 km nördlich von Halle gelegen, Station der Halle-
Afcherslebener Bahn. Das Dorf wird 1121 dem Klofter zum Neuen Werke
bei Halle gefchenkt. Der Ritterfitz derer von Trotha ift bereits im 15. Jahr-
hundert in Folge immerwährender Streitigkeiten mit dem Klofter zum
Neuen Werke eingegangen, und fchon im tfL Jahrhundert konnte über die
Lage desfelben beflimmt nichts mehr angegeben werden. Im Süden am
Dorfe liegt die Kirche auf einer kleinen Anhöhe. Ihr Bau ift vielleicht mit
Ausnahme des Thurmes 1730 aufgeführt auf der Stelle eines urfprünglich
romanifchen. Er hat Strebepfeiler und eine dreifeitige Chorpartie in deren
Oftwand der Eingang liegt, während der Altar weltlich fteht. Ein lebens-
grofser Crucifixus mit weifser Oelfarbe angeftrichen befindet fich über der
Kanzel aus dem Anfänge des i£ Jahrhunderts; er ift wohl im t_7. oder 18.
Jahrhundert gemacht und von ganz naluraliftilch grauenerweckendem Ge-
fichtsausdrucke. Die Glocke von 0,44 m DurchmefTer ift von länglicher
Form mit breitem Kranze und hat oben vier Schnüre ohne Infchrift und
Schmuck; fie wird dem i^. Jahrhundert angehören. Die Glocken von 1 , 1 - m,
0,87 » und 0.74“ DurchmefTer find 1875 von G. A. Jauck in Leipzig gegofTen
und haben die Inschriften die erfte Ehre sei Gott in der Höhe, die zweite
Friede auf Erden, die dritte den Menschen ein Wohlgefallen.
Untermaschwitz.
Kirchdorf, Filial von Mötzlich, 6 km nordöftlich von Halle gelegen.
Urfprünglich gab es ein Ober-, Mittel- und Untermafchwitz; im dreifsig-
jährigen Kriege wurde Mittelmafchwitz zerftört. Ein Vorwerk zu Mafchwitz,
ehemals im Befitze derer von Trotha geht 1389 mit Zustimmung der Lehns-
1 Man fpricht von einer Waffcrburg, was hier nur heifsen kann, dafs diefe alte, nicht
hoch gelegene Burg von einem Waffergraben umgeben war.
2 von Drcyhaupt fchreibt und im Dorfe haben fich darüber auch mancherlei legenden-
hafte Traditionen erhallen, dafs H* Chr. von Rauclihaupt au diefem Schlofsbaue die gefangenen
Türken und Kamele, die er mit heim gebracht habe, verwendet hatte. Die Türken aber feien,
als fie deutfeh veiftanden, durchgegangen und wieder in ihre ileimath gekommen.
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t
TRERN1TZ. TROTHA. UNTF.RMASCHW1TZ. UNTERPEIS8KN. 5QI
herren von Schraplau und der Oberlehnsherren Fürften von Anhalt an das
Klofter zum Neuen Werke bei Halle über. Die nachfolgenden Inhaber
liehe bei von Dreyhaupt II 921. Das Klofter zum Neuen Werke hatte auch
über die Kirche S. Nicolai das Patronatsrecht. 173t hat das Gebäude als
baufällig „gantz repariret“ werden müfTen. Es ift übrigens eine romanifche
Anlage einfachfter Art. Thurm und Schiff find von gleicher Breite und
nur durch einen Bogen aus neuerer Zeit im Innern gefchieden. Oeftlich ilt
eine halbrunde Apfis. Die romanifchen Fenfter find meiftentheils vermauert.
Das Bruchfteingemäuer aus Porphyr hat Sandfteineckquadern. Die Glocke
von 1,23“ Durchmefler hat diefe gothilirende Lapidarfchrift :
MARIA • • ANNO M V XXXV • V • D • M • I • E •
Es kommen hier alfo 1535 die Anrufung der Madonna — wenn MARIA
nicht der Name der Glocke ift — und der durch die Reformation gängig
gewordene Spruch: verbum domini manet in aeternum zufammen vor.
Die Glocke von 0,8z" DurchmelTer ift 1801 von G. Becker in Halle
gegoflen.
Unterpeissen.
Pfarrkirchdorf, 3t km nordweftlich von Halle gelegen, zu ihm gehört
das Anhaltinifche Oberpeifsen. Der Name wird mit den celtifchen vus =
Sumpf in Verbindung gebracht; der Ort liegt in der That fumpfig. 1583
wird der Name Peufsen gefchrieben.1 Die Kirche S. Wenzeslai ift romanifch,
aber mehrfach umgebaut, 1690 ift der Thurm unten mit einem elliptifchen
Gewölbe verfehen und hat wahrfcheinlich zugleich die kurzen Strebepfeiler
aufsen bekommen. 1729 ift die Kirche durchaus reparirt, jedoch ihr drei-
feitiger Chor mufs fchon früher angebaut fein , weil lieh in ihm nördlich
eine Sacramentsnifche findet. An der Nordfeite liegt vor dem Eingänge
ein fogenanntes Paradies. Ob dalTelbe aus romanifcher Zeit ftammt ift
zweifelhaft, aber da fich in ihm links neben der Thür ein Weihwafterbe-
hältnifs (jetzt Armenbüchfe) rohefter Form eingemauert findet, fo geht die
Entftehung diefes Vorraumes jedenfalls vor die Reformation zurück; über-
dies fehen wir den Thürflügel mit fpätgothilchen (?) Befchlägen verfehen
und auf dem Giebel des Vorbaues ein gothifches Steinkreuz Fig, 359. In
dem Paradiefe liegt auch der in Fig. 360 dargeftellte Grabftein, welcher
durch Einritzen und fchwache Aushöhlung, die dann mit Gyps (?) ausge-
gofTen wurde, verziert ift. Er gehört wohl dem 13. Jahrhundert an. Es ift
hier Brauch gewefen auf ihn die Bahre mit der Leiche zu Hellen. Der
jpätgothifche, kelchartige und achtfeitige Taufftein Fig. 361 mit der Jahres-,
1 Es ift diefes Dojf jenes, welches bei von Drcyhaupl II, 786 als einer der Orte genannt
wird, aus denen das Gefchlceht derer von Budsccz (Witltkind und die Grafen von Wettin)
möglicherweife ftammt.
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zahl 1518 ifl durch den Gciftlirhcn vor der Zcrftörunir bewahrt peblielien
und ftcht jetzt in der Vorhalle. I>ie Glocken von 1,13“. o,88m. 0.7s“ und,
0.35" DurchmelTcr find 1877 von G. F. Ulrich in Apolda pegroOen.
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UNTERPEISSKN. WALLWITZ. WETTIN.
593
Wallwitz.
Kirchdorf, Filial von Petersberg, Station der Halle- Afchersleber Eifen-
bahn, q km nördlich von Halle gelegen. Der Ort war ehemals ein zum
Decanat des Magdeburger Domcapitels gehöriges Obe-
dienzdorf. Die Kirche ifl im 18. Jahrhundert und vor
wenigen Jahren wiederum ganz neu romanifirend ge-
baut. Sie befitzt ein meffingenes Taufbecken, welches
mit fpätgothifchen Ornamenten und mit unleferlichen
Minuskeln geziert ift. Die Glocke von 0.74“ Durch-
mefTer, Fig. 362 hat eine längliche Form, die fich
unten Hark verbreitert und ift ohne Infchrift; fie wird
in das 15. Jahrhundert gehören. Die Glocke von
0,84“ DurchmefTer hat 1678 M. Jacob Hoffmann in
Halle gegoften. .
6 6 Glocke.
Wettin.
Stadt von 3230 Einwohnern mit (ehemaliger) Rurg 15 km nordwefllich
von Halle köchft malerifch am rechten Saalufer gelegen. Der Name fcheint
wendifchen Urfprungs zu fein. Der Ort hiefs urfprünglich Vidin und fcheint
mit dem der Stadt Vidin in Bulgarien gleichbedeutend zu fein. Zuerft findet
fich, dafs 785 zu Wittin ein castrum erbaut ift, dann wird der Ort 961 er-
wähnt, als Kaifer Otto I. den Zehnten des flaues Neletici der Ulrichskirche
zu Magdeburg fchenkte.1 Wettin wird als civitas diefes Gaues bezeichnet
und war der Hauptort der Graffchaft Wettin, welche den gröfsern Theil
des Pagus Nudzici und Neletici (Saalkreis) umfafste. Die Grafen von Wettin,
die angeblich von Wittekind abftammen und aus deren Gefchlecht das heutige
(achfifche Herrfcherliaus hervorgegangen ift, ftarben 1290 mit Otto dem Grafen
zu ßrehna und Wettin aus; diefer hatte bereits 1288 die Graffchaft Wettin
dem Erzftifte Magdeburg gefchenkt. An Stelle der Grafen von Wettin
fafsen auf der Burg befondere Burggrafen, deren Namen feit dem 12. Jahr-
hundert bekannt find (f. von Dreyhaupt II. 790 u. f. w.), aber, da fie fich ftets
nur als die Burggrafen von Wettin bezeichnet haben, ift es unbekannt, aus
welchem Gefrhlechte fie flammen; dem Sachsen fpiegel zufolge füllen fie
Franken gewefen fein. Als Wettin an das Erzftift gekommen war, fafs auf
der Burg ftatt des Burggrafen nur ein Burghauptmann. Unter den Burg-
grafen oder Hauptleuten ftanden wiederum adlige Burgmänner, deren Ge-
fchlechtsnamen und Lehnsgüter von Dreyhaupt II. 762 angeführt find. 1441
verpfändete der Erzbifchof Günther das Schloss Wettin und Krosigk an die
von Ammendorf und von Trotha; 144b aber löfte der Erzbifchof Friedrich
beide wieder ein und gab das Schlofs Wettin als Lehn halb an Coppe von
1 Ammendorf, halb an Caspar aus dem Winkel. Die von Ammendorf nun,
i die auf dem Rothenburger Schlöffe, welches fie fich erbaut hatten, wohnten,
1) Anm. : f. auch Osterley; Wettin.
B. D. d. Bau* u. Kunütd. N. F. I. 38
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594
IMF. STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
ftarben 1550 aus und ihr Befitzthum ging* an die Grafen von Mansfeld über
von denen es 1584 an den Herrn von Schönburg kam. Seit 1592 jedoch
gingen diefe Güter an die Kammer des Erzftiftes zurück. Das Gefchlechi
derer aus dem Winkel, eine Nebenlinie delTen von Krofigk, erkaufte von dem
Grafen Hans von Mansfeld auch noch die andere Hälfte des Wettiner
SchlotTes und wohnte in den Gebäuden auf der Südfpitze des Berges. Dielen
Gebäuden fovvohl wie von der der alten Burg, die auf dem höchften Punkte des-
Felfens, alfo mehr nördlich lag und ehemals einen runden „ftumpfen“ Thurm
— im 18. Jahrhundert abgetragen — als Burgfried hatte, ift baulich Be-
merkenswerthes nur wenig übrig geblieben. Das aus dem Winkel'fche
Schlols iß durchaus zu land-wirthfchaftlichen Zwecken eingerichtet; es fallen
unbedeutende Baureife des 16. Jahrhunderts auf z. B. ein Thurm mit Wendel-
treppe, Fenftergewände, Schiefsfcharten Fig. 363 und dergl. In feinem Be-
zirke lag die alte Burgkapelle S. Petri, welche feit 1185 erwähnt wird-
h'ig. 363.
Die Burg zeigt äufserlich gegen Orten einen Erkner des 17. Jahrhunderts
als das bedeutendfte Stück anderer Details diefer Zeit. Im Innern irt fie
modernen Bedürfnifsen entfprechend umgeändert.
Die Häufer der Stadt Wettin gruppiren fich zum gröfsern Theile
örtlich um die Burg, jedoch liegt auch eine Anzahl kleiner und nicht
alter an der Saale entlang alfo weltlich von der Burg. Das Weichbild der
Stadt von Süden gefehen giebt wohl den fchönften landfchaftlichen Profpect
im ganzen Saalkreife.
Die Pfarrkirche S. Nicolai, die inmitten der Stadt liegt, ift im Schiff
ein mit Strebepfeilern verfehener fpätgothifcher Bau, an welchem nördliche
Anbauten liegen. Dafs die Kirche an der Stelle einer romanifchen lieht,
geht daraus hervor, dafs die untere Partie des Thurmes diefer Zeit angehört.
Der romanifche Thurm hat in fpätgothifcher Zeit einen Aulbau erhalten
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WETTIN.
595
und ift dann in der RenaifTancezeit mit Backfteingiebeln und mit einem
Dachreiter verfehen. Von den nördlichen Ausbauten des Schiffes ift die mit
einem fpitzbogigen Tannengewölbe überdeckte Sacriftei allein bemerkenswert!).
An einem der tödlichen Strebepfeiler hat die jetzt in der Sacriftei befindliche
Figur des Titelheiligen Nicolaus auf einer Confole geftanden. Der Heilige
ift als Bifchof dargeftellt, welcher in der Linken ein Buch, in der Rechten
einen jetzt nicht mehr vorhandenen Gegenftand , ein Kirchenmodell oder
wie von Dreyhaupt fchreibt „auf einem Teller 5 Brodte“ hält. Die Haltung
und der Faltenwurf ift ruhig und edel, die Arbeit vorzüglich, man fpürt
fchon die Renaiftance. Im Kircheninnem, welches bauliches InterefTe nicht
hat, ift zuerft der Altar zu befprechen. Er hat eine aus mehreren Stein-
platten beftehende menfa mit Weihkreuzen. Es fand fich in der mittleren ein
uneröffnetes Sepulchrum, defTen Sigillum aus einer bunten Marmorplatte be-
ftand. Nach der Eröffnung fah man, in fall vergangenes Moos gebettet,
ein fpätmittelalterliches Thongefäfs von hellgrüner Glafur und einer oben
und unten fich verengenden, zweihenkeligen Form. Ein gold- und perlen-
verzierter, lofer Stöpfel fchlofs den Hals des Krügelchens, deften Inhalt
Reliquienpartikel waren in feidene Zeugftückchen gehüllt und mit Perga-
mentftreifen verfehen. Die auf den Pergamenten flehenden Namen der
Heiligen, von denen die Reliquien (lammen, waren theilweife fchon in
frühen Jahrhunderten des Mittelalters gefchrieben. Ausser dem Siegel des
Erzbischofs Erich von Magdeburg lag auch ein gröfserer Pergamentftreifen,
die Widmung enthaltend, bei dem Behältnifs. Die Schrift lautete:
Anno domini M ‘ CCc LXXXX Nonas Novembris consecratum est
hoc altare per venerabilem dominum Ericum sancte Magdeburgensis 1
ecclesie archiepiscopum in honore sancte crucis, sancte Marie vir-
ginis gloriose, sancti Nicolai confessoria et aliorum sanctorum.
Datum et actum anno et die predictis pontificatus nostri anno octavo.
Die Namen der Heiligen, deren Partikel das Sepulcrum enthielt, sind:
Sancti Bartolomei apostoli, Clenmentis, (de capi) te sancti Mauritii,
Blasii episcopi, Laurentii martiris, Pancratii martiris, Nicolai con-
fessoris, Leonardi, sancte Marie Magdalene, undecim milium vir-
ginum et aliorum Sanctorum.*)
Der Altaraufbau ift eine abfchreckende Arbeit der Barockzeit. Südlich
im Chor befindet fich eine F'igur der Maria mit dem Kinde in Holz gefchnitzt
Die Haltung ift die der Slinie, die Gewandfalten find flüffig, die Arbeit ift erft
im 16. Jahrhundert gemacht und jetzt übermalt. Ebenfo ift der hölzerne, lebens-
grofse Crucifixus, welcher fich nördlich im Schiff befindet und eine gut propor-
tionirte Holzarbeit der RenailTance ift, überweifst. Die Kanzel ift 1611 ge-
macht; fie wird von der fteinernen Figur des Mofes, welcher die Gefetzes-
*) Anm. : Das Behältnifs mit feinem fnhalte fowie diefe Legende nebft Siegel befinden
fich jetzt im Provinzialmuseum zu Halle a. S.
38*
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596
DIE STADT HALLE: 11. d. SAALKREIS.
tafeln hält, getragen und hat eine fteinerne Fufsbodenplatte mit Confolen,
auch die Treppenwange ilt von Stein ; dagegen ift die Kanzelbrüftung von
Fic- jM-
*fi. y Y T Y T f
Wandvertäfclunc an der Südreite des Chores.
Holz und jetzt mit widrig grellen Oelfarben angellrichen. Ein nicht un-
fchönes Schmiedeeifengelünder verziert den Eingang, welcher von zwei
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WETTIN.
597
Säulen mit Confolen, Gebälk und Attika reich ausgebildet ift. Im triefe
lieht: MDCXI, darunter auf der Platte:
GOTT UND SEINEM H : WORT ZV EHREN HAT DER EHRENVHESTE •
VND • WOLWEISE HERR LIBORIVS SCHMIDT. BVRGERMEISTER
ALHIER NEBEN DER THVGENTSAMEN SEINER EHELIGEN LIEBEN
FRAWEN CHRISTINA DIESEN PREDIGERSTVEL VORFERTIGEN VND
SETZEN LASSEN.
Als Bekrönung der Attika ift inmitten ein Wappen (Schimmel auf
rothem Grunde) zu fehen, während rechts und links die Figuren Luthers
und Melanchthons liehen. An der Treppenbrüllung lind von den Evange-
liflen S. Matthaeus mit dem Engel nur S. Marcus mit dem Löwen darge-
ftellt, an der Kanzel S. Lucas mit dem Opferltiere, ferner lieht man die Auf-
erftehung, die Kreuzigung mit Maria und Johannes, die Geburt — diefe ifl. be-
fonders gut fculptirt — und den letzten Evangelilten Johannes mit dem Adler.
Die kräftigen aber noch nicht hohen Reliefs befinden fich in Feldern, zwifchen
denen Säulchen liehen : fie zeigen gute, richtige Verhältnifse und find
realillifch aufgefafst, doch fehlt ihnen dabei keineswegs eine gewifse Innig-
keit des Gedankens. Auf dem Schalldeckel lieht Chrillus. Erwähnens-
werth ill die Holzvertäfelung der Wand füdlich im Chor Fig. 364. Leider
ill fie ge weifst; man kann aber doch erkennen, dafs fie aus verfchieden-
artigen Hölzern belleht und fogar Intarfien hat. Sie bildet die Rückfeite
eines Renaiffancegeftühles, welches übrigens nicht mehr vorhanden ill. Die
Fläche wird durch hermenartige ionifche Pilaller, die in nifchenförmiger
Vertiefung Laub- und Fruchtwerk haben, in Felder getheilt und folche
werden jedes von einem Bogen noch einmal umrahmt. Ein volllländiges
Gebälk von Confolen getheilt und mit aufgelegter, höchll zarter Laublage-
arbeit im 1'riefe verziert, bildet den oberen Abfchlufs. Man erkennt hier
fogleich die Weife des genialen Künlllers, der auch in Halle die bellen
Holzarbeiten der RenailTance ausgeführt hat. 1 Eben diefer Meilter hat
auch angefangen, die Brüllung der infchriftlich 1614 eingebauten Holz-
emporen auszufchmücken. Man hat das herrliche Stück, welches er an der
Südfeite fertig gelleilt und mit der üppigllen Bemalung ausgellattet hat,
mit einem Brettcrverfchlage verdeckt, dadurch ill es dem Auge zwar ent-
zogen aber gewifs trefflich erhalten. So viel fich erkennen läfst ill diefe
Kleinarchitektur wiederum in der bekannten Weife des Meillers disponirt.
Durch hermenartige Pfeiler mit Gebälk werden Felder gebildet, die noch
einmal von Bögen umrahmt find. Der Meifler aber wiederholt lieh keines-
wegs, denn die Art der Durchbildung und die veränderten Proportionen
geben wiederum ein eigenartig neues Werk. Die Glocke von o,6o” Durch-
meller hat eine längliche Form und trägt eine Umfchrift in Majuskeln, die
theilweife verkehrt flehen (alfo in den Mantel richtig llehend eingeritzt find)
und die der Unzugänglichkeit wegen nicht zu entziflern find. Die Glocke
wird ungefähr in die erden Jahrzehnte des 1 4. Jahrhunderts gehören. Die
1 Namentlich die Bräutigamsflühlc der Marktkirche und das Thaihauszimmer von 1594.
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598
DIE STADT HALLE ll. d. SAALKREIS.
Glocke von 1,20“ Durchmefler hat folgende durch Einritzen entftandene
Majuskelfchrift :
VÄS D0VS • M)0 • SIGIPÄ • P0 eiiBS' •) SÄLVÄ • SISÄ7RÄ
• B0I?I(s’I?Ä (Crucifixus mit Maria und Johannes?)
Fig. 365-
• ' Aeufscrcs ücs Rathhaufes.
Die Entliehungszeit ift die i. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die Glocke
von i,47n Durchmeffer ift 1840 von Joh. Heinrich Ulrich in Laucha gegolten.
1 Offenbar für PLEBS, welches Wort oft unrichtig geschrieben worden ist.
WETTIN.
599
Aul dem Friedhöfe, der nördlich von der Stadt liegt, find einige
Kenaiflancegrabfteine beachtenswerth.
Die Pro fanbaut en Wettin haben aufser einigen Hol/.gefimfen des 16. Jahr-
hunderts keine merkwürdigen Kunstformen. Beachtung verdient allein das
Fig. 3«6.
t
H — —
< >
f#*
Kalhhaus: Grundrifs des Erdgcfchofses und erftcn Obergefchofses.
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6oo
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Rathhaus Fijy. 365, welches zwar in neuefter Zeit um ein Gefchofs erhöht
ift, auch im Innern Veränderungen erfahren hat, übrigens jedoch die ur-
fprüngliche Anlage noch erkennen läfst. Das Rathhaus ift erll 1660. woK
an der Stelle eines altern, gebaut. Seine Beftimmung verräth fich fogleich
durch einen Harken Thurm vor feiner Front; derfelbe ift unten vierfeihg
und wird oben achtfeitig. Ein Haubendach mit vier Erknern an der Sohle
und einer zwiebelfpitzigen Laterne auf der Mitte bedeckt ihn. Die Aus-
führung ift in Porphyrbruchfteinen mit Sandfteinfimfen — jetzt lehr zerftört —
gefchehen. Die Detailtormen find ganz unbedeutend. Der Grundri/s. ein
längliches Viereck hinter dem Thurme, wird auch die aus Fig. 366 erficht liehe
Scheidung in zwei Haupttheile fchon urfprünglich gehabt haben. Der gröfsere
Raum war für die Sitzungen, der andere für Verwaltungszwecke (Bureaux)
beftimmt. Das mit einem zierlichen Netzgewölbe überfpannte Obergefchofs
des Thurmes wird das Syndicatsftübchen gewefen fein. Erwähnt mag auch
ein Tifch im Rathhaufe werden, der eine fteineme, von eingelegter Holz-
arbeit eingerahmte Platte hat und dem Jahre 1644 angehört. Ein gemalter
Glaspokal des Rathes ift 1663 gemacht.
Wieskau.
Kirchdorf, Filial von Krofigk und Rittergut, 17 km nördlich von Halle
an der Fuhne gelegen. 1194 wird die Waftermühle als dem Klofter zum
Neuen Werk bei Halle gehörig von dem Papfte Coeleftin III. beftätigt. Im
15. Jahrhundert find dort zwei Rittergüter gewefen im Befitze derer von
Krofigk und von Trotha; der Befitzwechfel ift bei vo^ Dreihaupt II 960 zu
erfehen. Die Kirche, im Often des Dorfes gelegen, ift 1756 — 57 gebaut an
Stelle einer ältern, von welcher die untere Thurmpartie fich erhalten haben
wird. Der Grundrifs ift oblong und die Bauformen find unbedeutend. Nennen
wollen wir nur zwei Leuchter von 1660. Auf dem Boden der Schule liegen
drei farbige Holzfiguren, Heilige des ehemaligen Altarfchreines, nämlich die
mit dem Kelche wird der h. Norbert fein, die mit dem Rade Katharina
und die mit dem Korbe Dorothea. F'erner befindet fich dort eine gröfsere
F'igur, die einen Drachen in der Linken hält und daher als die heil. Mar-
garethe anzufehen ift.
Die Glocke von 0,60" DurchmefTer hat Joh. Jacob Hoffmann 1684
gegofsen, die von 0,96“ Durchmesser F'riedrich Auguft Becker in Halle im
Jahre 1759.
Wörmlitz.
Pfarrkirchdorf und Rittergut 3 km füdweftlich von Halle am rechten
Saalufer gelegen. Die ältere Namensform ift Wormenitz oder Wörmenitz.
1438 erhält die Gemeinde von dem Erzbischöfe Günther Land gefchenkt.
Von dem Dorfe, welches ehemals aus Grfcfs - und Kleinwormlitz be-
ftand, ging das letztere ein, als 1636 ein Regiment kaiferlicher Reiter
von 1000 Pferden drei Wochen lang hier Quartier hatte und das Dorf
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WETTIN. WIKSKAU. WOEKMI.IIZ. /SCHERBEN.
601
Dg. iK
. i,).
gründlich ruinirte. Weihnachten 1718 find 18 Höfe abgebrannt
S. Petri, im Dorfe gelegen, ilt Anfangs ein Filial
der Kirche zu Niemborg gewefen, mit welcher fie
unter dem Erzbifchofe Wichmann nSj dem
Moritz. -Klolter zu Halle gefchenkt wurde. Die
Kirche mufs in der zweiten Hälfte des 18. Jahr-
hunderts gebaut fein, auf dem Thurmgiebel
bemerkt man noch einen romanifchen (?) Knopf.
Die Glocke von 0,91» Durchmefier hat eine
hübfehe, fchlanke Form mit folgender durch Kin-
ritzen in den Mantel entffandenen Majuskel fchrift
zwifchen 4 Riemchen:
Die Kirche
Zeichen eines hallefchcn
Glockengiefsers.
DV TRÄDOR ÄVDITS VqöO VOS AD SAKRA V5I?ltS
Sie gehört unzweifelhaft noch in die erfle Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Die Glocke von 1,07" Durchmefier hat diefe Minuskelinfchrift :
snno . üui ra 0 11
und als /ierrathe das hallefche Stadtwappen Fig. 467 als Meiller/.eichen
des Giefsers, einen Crucifixus ohne Kreuz und ein Reliefmedaillon. Die
Glocke von 0,711" Durchmeffer ift ein Gefchenk des auf ihr portraitirten
Chriftoph Christel aus Wörmlitz; fie ift 1879 von den (tebr. Ulrich in Laucha
gegoflen.
Zscherben.
Kirchdorf. Filial von Kisdorf im Mansfelder Senk reife und Rittergut,
fi km weltlich von Halle, auf der linken Seite der Saale gelegen. Die
hauptfachlichlten altern Namensformen find: 981 Cirmini und Crimini fpäter
Czerwine, Zerbine, Zerbin. Zcherben, Scherbin. Scherben (18. Jahrhundert).
Im 14. Jahrhundert ilt der Ort im Belitzo derer von Northaufen gewefen,
1597 ift Hans und Dietrich von Northaufen durch den Erzbifchof Albrecht
mit der Gerichtsbarkeit zu Zerwin beliehen worden. Weiteres findet man
bei von Dreyhaupt II 907 08. 1707 und 1750 ilt das Dorf durch Feuer
fall Ranz zerliört. Die Kirche und ein Klolterhof hat dem Klolter Mem-
leben gehört, 1250 ift diefer Hof an das deutfehe Ordenshaus S. Cunigund zu
Halle gekommen, und 12Ö2 ilt die Kirche dem Ordenshaufe incorporirt.
1511 mit den Gütern des Deutfchherrenklolters an das Klolter zum Neuen
Werke bei Halle gelangt, ging nach der Aufhebung des letztem das Land
154 5 in Privatbefitz. über. Die Kirche S. Cyriaci liegt im Dorfe. Ihr Thurm
ift wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts entflanden; er hat eine barocke
Zwiebelfpitze in ziemlich guten Verhältniffen. Das Schiff, welches öltlich
dreifeitig Schliefst, hat grofse Fenfter mit fpätgothifchcm Maafswerk und
war vielleicht anfänglich thurmlos. An feiner l'üd weltlichen Ecke befindet
lieh das in Fig. 308 dargeltellte, höchlt roh gemeifselte Relief eingemauert.
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602
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Man Tagt, diefes Bild Helle einen Krieger dar, welcher im dreifsigjährigen
Kriege mit dem Pferde hätte in die Kirche reiten wollen und (ich dabei
gleichfam als Strafe den Kopf eingerannt habe. Die Sculptur hat in der
Fig. 368.
Relief an der Südfeitc der Kirche.
Behandlung offenbar grofse Aehnlichkeit mit den Reliefs aus Müllerdori
die man mit den guten und böfen Lubben in Verbindung bringt. Wir ver-
weifen diesbezüglich auf die Auffätze über diefe Sculp-
turen in den Neuen Mittheilungen des Thüringifch-
Sächlifchen Gefchichts- und Alteethumsvereins. Aul
der menfa des Altares bemerkt man noch fünf Weih-
kreuze. Von dem ehemaligen Flügelaltare flammen
die beiden Bilder an der Nord- und Südwand, aut
denen vier Heilige mit Goldgrund dargellellt find.
Eine Oelfarbenübermalung hat fie werthlos gemacht.
Die beiden fitzenden Figuren unten am Altäre,
ebenfo die zugehörigen Engelknaben, welche höher
flehen, fowie endlich Maria mit dem Kinde und ein
geharnifchter Ritter flammen wohl ebenfalls alle
von dem alten Flügelaltare. Ein meffingenes Taul-
becken mit einer Palmettenroiette in der Mitte und
Fig. 369.
Glocke.
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ZSCHERBEN.
603
dem um diefe laufenden Stempel EH BART GELVEK AL ZEIT ifl 1690 ge-
macht. Im erften Thurmobergefchofs befindet lieh ein hölzerner Crucifixus,
der vielleicht erd in der Barockzeit ent Händen aber in der Behandlung
nicht unintereflant ift. Vom Jahre. 1663 ift ein Kelch mit blattförmigem
Fufse und einem Harken Nodus vorhanden.
Die Glocke ohne Infchrift hat die in Fig. 369 dargeltellte längliche,
wenig fchöne Form und dabei eine Harke Rippe; vermuthlich iH fie in den
Anfang des 13. Jahrhunderts gehörig.1 Die Glocke von i,om DurchmelTer
hat eine recht ausdrucksvolle F'orm, unten viele Reifen und oben Ornament
der RenailTance; ihre Infchrift lautet: Aus dem Feuer bin ich entsprossen
Eckhart Kucher hat mich in Erfort gegossen MDLXXXX. Am Klöppel
lieht: PBCB • 1703.
1 Sie wird jetzt uragegoffen.
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Kunstgeschichtliche Uebersicht zum Saalkreise.
Da es nur die thatsächlich noch vorhandenen und aus ihren kunftformalen
oder technifchen Eigenschaften einer beftimmten Zeit zuzufcltreibenden
Gegenftände find, welche wir hier aufzuführen haben, nicht alfo folche.
von denen nur die Urkunden melden, fo mülTen wir Tagen, daß von den Bau-
werken unteres Kreifes keines vor das 1 1. Jahrhundert zurückgeht. Sehr
wahrfcheinlich finden lieh befonders in den ehemals beteiligt gewesenen
Plätzen ältere Theile, aber diefelben laßen lieh nich{ aus ihren Eigen -
fchaften als folche erkennen.
Aus allerlei Gründen wird das Alter der Kirchen meilt überschätzt.
Wir halten unter den romanifchen Kirchen diejenigen für die äl teilen,
welche das roheile Mauerwerk haben, denen alfo die (unter Teicha be-
fchriebene) Fugenausbildung, die Eck- und Fensterquadrung , sowie eine
lagerhafte Verbindung der ßruchilcine fehlen. Dahin gehören die Kirchen
zu Eismannsdorf und Schwerz, die älteren Mauerllücke der St. Annenkapelle
auf dem Petersberge (i i. Jahrhundert) und die untere Thurmpartie zu Oppin.
Eine genaue Zeitangabe ill nicht möglich, weil diese einfachen Dorfkirchen
nur wenige Kunftformen haben, nach denen man ficher urtheilen kann; ihr
Grundriß ill bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts der nämliche geblieben.
In die Zeit des entwickelten romanifchen Stils gehören folgende
Kirchen ganz oder theilweise; Beefenlaublingen; Böllberg; Braehlledt. in
der Gothik und Barockzeit umgebaut; Büfchdorf, in gothifcher Zeit um-
gebaut mit dreifeitigem Schlufs, 1741) wiederum verändert; Gönnern hat nur
noch einen romanischen Thurm mit barockem Helme (1693?); Dalena ill 1876
reparirt; Dobis, Chor spätgothisch, Döffel fpäter verändert ; ebenfo Domnitz
Giebichenllein Dortkirche nur die untere Thurmpartie; Hohenthurm; Kalten-
mark, Altarraum 16. Jahrhundert; Kroligk Ruine der Dorlkirche; Eettewitz.
Thurm (Schiff fpätgolhifch?); Lettin örtlich gothische Verlängerung. 1714 Re-
paratur; Löbnitz a. d. Linde Schiff romanisch (?) mit gothifcher Verlängerung
gegen Offen; Mötzlich, 1712 Hark erneuert, Morl 1692 reparirt; Nauendorf
am Petersberge, örtlich spätgothische Verlängerung; Neutz, mit überwölbtem
Sanctuarium (1305?) 1696 rellaurirt; Oppin vielfach reftaurirt; OsmündeThurm
oben gothisch mit Giebeln des 17. Jahrhunderts, Sanctuarium 15. Jahrhundert;
Peifsen 1852 gegen Osten verlängert und das Schiff erhöht, einziges Beifpiel
eines runden Kirchthurmes aus rumänischer Zeit ; Petersberg begonnen unter
Propst Luderus 1128 — 37, reftaurirt 1853-57; Radewell in der Barockzeit
umgebaut; ebenfo Reideburg; Schlettau; Soeben hat fpätgothische Zufatze:
Sylbitz, mit örtlich (leitendem Thurme ; Teicha mit fpäteren Zufätzen; Unter-
maschwitz; Unterpeißen umgebaut tügo und 1729. Schon der Uebergangs-
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KUNSTGESCHICHTL1CHK UF.HKRSICHT ZUM SAALKREISE.
605
zeit find ficher zuzufchreiben : Dachritz (in Fig. 370 fei noch die zu Seite 473
gehörige Darlfellung der Schalllochausbildung, sowie in Fig. 37 1 die Zeich-
nung einer Säule nachgefügt) : Döblitz mit fpäterem Thurm und Anbau ;
Dölau: Mitteledlau; Priester Thurm, das Schiff ift 1861 erneuert. Rein früh-
gothische F'ormen finden fich zu Görbitz; Gutenberg; Mücheln Tempelherrn-
kirche. fehr ausgezeichnete Architektur: Spikendorl 1 262. Die Hochgothik
hat kein ficher ihr zuzuzfehreibendes Bauwerk aufzuweisen: in der Spätzeit
des Mittelalters find entstanden: Brafchwitz; Cönnern Schiff 1498, Anbau 1510;
f ig. 370.
I.öbejün, Stadtkirche 1485, Chor wahrfcheinlich schon 1454, Hospitalkirchp
,460 — 64; Wettin mit romanifchem Thurme. Die seit dem 15. Jahrhundert
entftandenen Kirchen find feiten neue Gründungen, fondern nur Neubauten
auf der Stelle älterer Gotteshäufer: Ammendorf, Anfang des 16. Jahrhunderts;
Bebitz 1693, Thurm 1719—1744; Beefedau 1726; Beefen 1744 (1791); Brafch-
witz auf romanifcher Grundlage nach 1642; Canena (1793?); Dammendorf
1680, aber wahrfcheinlich fpätgothifchen Urfprunges, Thurm 1743: Deutleben
19. Jahrhundert: Diemitz 1643, jedoch das Gemäuer meift älter; Dieskau 1728,
ebenfalls älteres Mauerwerk; Döllnitz barock; Dornitz 1714; Garsena nach
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KUNSTGESCHICHTLICHE ÜEDERSICHT ZUM SAALKREISE. 607
181 1 mit Fachwerksthurm; Giebichenftein , Mitte des 18. Jahrhunderts;
Gimritz 1847; Grofskugel 18. Jahrhundert, Thurm 1856; Hohenedlau 1750, der
Thurm fleht im Orten; Kirchedlau 1714; Krofigk Schlofskapelle 1703; Leben-
dorf 1881; Lieskau 1714 erhöht und erweitert, Thurm 1697; Lochau 1752;
Löbejün Stadtkirchenthurm 1588; Löbnitz a. d. Linde, Thurm 1529; Merbitz
in der Barockzeit umgebaute (romanifche?) Anlage; Mücheln Dortkirche 1780;
Niemberg 19. Jahrhundert; Nietleben 1654 und 1724 reparirte ältere Anlage,
Altar im Westen; Plössnitz 1505; Rothenburg 1840; Schiepzig 1828 unter
Benutzung der romanifchen oder frühgothifchen Anlage; Sennewitz vielleicht
romanifch, doch modernifirt; Sieglitz zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts;
Trebitz im Bau begriffen; Trebnitz 1693 auf romanifchen Subftructionen,
ebenfo Trotha 1730, Thurm noch romanifch, der Altar fteht im Werten;
Wallwitz 19. Jahrhundert; Wieskau 1756—57; Wörmlitz zweite Hälfte des
18. Jahrhunderts; Zfcherben, Renaissancebau mit Thurm des 18. Jahr-
hunderts.
Von Altären hat fich folgendes Bemerkenswerthe erhalten:1 Böllberg
Mensa mit leerem Sepulcrum, Brachwitz Mensa mit 5 Weihkreuzen, ob der
Kellerraum unter dem Altäre eine Krypta vorftellt, ift ungewifs; Döblitz,
Mensa mit leerem Sepulcrum ; Lieskau, Mensa mit leerem Sepulcrum, Löbnitz
a. d. Linde, leeres Sepulcrum und Weihkreuze; Morl ebenfo; Wettin ebenfo,
nachdem bei der Unterfuchung das noch unberührte Sepulcrum geleert und
fein Inhalt in das Provinzialmufeum überführt worden ift; Zfcherben 5
Weihkreuze.
Die Altarfch reine find oftmals nicht mehr als die Aufbauten auf
der Rückfeite des Stipes vorhanden, häufig auch nur noch IJückweife, doch
find die Theile als folche eines nicht profanen Schreins immer kenntlich.
Beefen hat in einem Aufbau von 1729 die Figuren des Schreins von 1519,
die von guter Arbeit find, gefchickt verwendet, Brachwitz Schrein jetzt im
Provinzialmufeum , 15. Jahrhundert; Büfchdorf im Thurme, Ende des 15. Jahr-
hunderts, Cönnern Triptychon mit werthvollen F'iguren und Malereien, Ende
15. Jahrhundert; Dammendorf Aufbau 1680; Döblitz, der fpätgothifche Schrein
dient jetzt als Brüftung; Dölau fpätgothifch ; Döllnitz barocker Aufbau;
Dornitz, fehr fchöne Arbeit des auf der Empore befindlichen Schreins;
Gimritz, fchöne Arbeit (1483?) an der Südwand; Hohenthurm Rede eines
Autbaus aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts auf dem Kirchenboden, ein
Triptychon des 15. Jahrhunders im Befitze der Freifrau von Wuthenau auf
Hohenthurm; Kirchedlau Triptychon aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts;
Lebendorf, die Figuren eines fpätgothifchen Schreines auf dem Schulboden ;
Lettin Triptychon 15. Jahrhundert; Löbejün, einige Triptycha und einzelne
Figuren an den Wänden der Kirche, jetziger Aufbau 1604; Löbnitz a d. Linde
Triptychon des 15. Jahrhunderts, rohe Arbeit; Mitteledlau, Schrein und
einzelne Figuren jetzt im Provinzialmufeum ; Neutz einzelne Figuren auf dem
Pfarrboden, 15. Jahrhundert; Niemberg Schrein im Thurme, fehr bedeutend,
1 Nicht alle Menten konnten untciTucht werden, weil viele — befondcrs diejenigen, welche
einen nachreformatorischen Aufbau erhalten haben — durch eine nicht abnehmbare Holzver-
kleidung überdeckt find.
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6o8
DIE STADT HALLE u. d. SAALKREIS.
Antang des 16. Jahrhunderts; Plössnitz SchreifT des 15. Jahrhunderts; Reide-
burg Schrein des 15. Jahrhunderts; Rothenburg Marienfigur lehr befchädigt.
15. Jahrhundert; Schlettau Renaissanceaulbau; Schwerz Altar nebft Kanzel
und Tautbeckenunterfatz, gute barocke Arbeit; Seeben Schrein des 16. Jahr-
hunderts. roh; Spickendorf Altar und Kanzel 1728, Rede eines RenaifTance-
aufbaues auf der Empore: Teicha Schrein des 15. Jahrhunderts werthvoll.
Trebitz bei Cönnern Triptychon des 15. Jahrhunderts, gut; Wieskau einige
Schreinfiguren, 15. Jahrhundert, jetzt im Provinzialmufeum ; Zfcherben. die
Bilder des ehemaligen Schreines übermalt, einige Figuren am Altäre erhalten.
Romanifche Tauffte ine lind noch erhalten in Beefenlaublingen ; Böll-
berg, Dornitz, auf dem Friedhofe liegend; Giebichenftein abfcharrirt; Krofigk
in der Dorfkirchenruine; Lebendorf auf dem Pfarrhot (unter Fig. 37 2 fügen
wir die zu Seite 511 gehörige Zeichnung bei, zu welcher eine Befchreibung
nicht erforderlich sein dürfte); Peifsen kübelförmig; Radewell; Sennewitz
(romanifch?); Sylbitz; trühgothifch lind die zu Mitteledlau und Spickendorf;
Fig- 372-
Taufftein.
fpätgothifch .die zu Büfchdorf 1520; Dammendorf jetzt verkehrt Behend:
Garsena (fpätgothifch?); Morl 1528 zeigt, wie aus unferer zu Seite 530 ge-
hörigen Fig. 373 hervorgeht, bereits Hark fich der RenailTance zuneigende
Formen ; Schlettau; Trebnitz; Unterpeifsen 1318. Auch der broncene TautkelTel
zu Cönnern gehört diefer Epoche an. Die Taufen der Renaiffance zu Dachritz.
Löbejün 1589, Osmünde 1686 find noch eigentliche Tauffteine, während die
zu Beelen 1729, Brafchwitz, Dieskau, Döllnitz. Domnitz und Plöfsnitz nur
die mehr oder minder gut geftalteten Unterlatz.e tür Taufbecken find.
Von folchen Taufbecken, meifl in Meffing, hat fich im Saalkreife eine auf-
fällig' grofse Anzahl erhalten; wir nennen Beebitz: Beefen, Beefenlaublingen:
Brachftedt 1573; Brachwitz 1649; Brafchwitz. von Kupfer; Canena; Dölau 160b;
Domntiz; Eismannsdorf; Giebichenftein; Lieskau; Mötzlich; Oppin 1657:
Osmünde 1700; Reideburg; Schiepzig; Schlettau; Sieglitz 1653; Wallwitz;
Zfcherben 1690.
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KVNSTGKSCHICHTI.lt HE UEBERSICHT ZVM SAALKREISE. 6og
Von fehr verfchledenwerthig’er Ausbildung find die Sacraments-
häuschen; fie finden lieh in Büfchdorf romanilch; Spickendorf entwickelte
Fifr- 373-
Gothik und meifterliche Arbeit in Form und Farbe; Brachlledt hochgothifch;
Teicha etwa Mitte des i (.Jahrhunderts. Spätgothifche finden fich in Beefen;
Dachritz; Dammendorf ; Dobis; Dölau ctgo; ICrofigk Dorfkirchenruine; Lettin;
Löbnitz a. d. Linde; Mücheln; Nauendorf; Osmiinde in der Sacriliei; Sylbitz;
Unterpeifsen. Die Piscinen, welche fich nicht feiten erhalten haben,
z. B. in Böllberg, Nauendorf u. f. w.. find nicht der Erwähnung werth, weil
fie fich niemals über eine einfache Wandnifche hinaus ausgebildet haben.
B. O. d. Bau- u. Kunstd. N. F. I. 39
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6io
IHK STADT HALLE u. d. SAALKKKIS.
Kanzeln von einigem Kunllwerthe find zu Böllberg fpäte Renaiffance
Döblitz Anfang des 17. Jahrhunderts; Görlitz 1Ü92; Löbejün 1586; Plöfsnitz
fpäte RenailTance, Wettin tön.
Stuhlwerk findet fich in Beefenlaublingen als fpätgothifcher Emporen-
einbau: Domnitz Refte fpätgothifchen (?) Geftühls auf der Südempore: Wettin
im Chore Wandverkleidung hinter dem ehemaligen Sitzreihen und Emporen-
brüftungsftiick an der Südfeite, beide von vortrefflichller Arbeit (des Thal-
hausmeifters aus Halle): Hohenedlau StuhKverk 1674.
Die Kirchen find das ganze Mittelalter hindurch bis fpät in die Zeit
der Renaiffance und vielfach noch bis in das gegenwärtige Jahrhundert
hinein der gefuchtefte Platz für Begräbniffe oder doch für Grabmäler.
Die älteflen find jene Fufsbodenplatten mit eingeritztem Kreuz oder dergl.
Figuren, wie wir folche in Reffen noch finden zu Beefenlaublingen nördlich
im Schiff, und zu Nauendorf als Trittffufe des Altarplatzes, ferner als ganz
erhaltenen Stein in der Vorhalle zu Unterpeifsen. Ihr Alter dürfte fchwerlich
jünger als die Mitte des 13. Jahrhunderts fein. Der nächff ältelfe Stein ifl in
unferm Kreife bereits dem Ausgange des Mittelalters angehörig, es ifl der tu
Giebichenflein von 1474, zwei fpätgothifche befinden fich auch noch unter den
Fragmenten auf dem Petersberge. Alle übrigengehören dem 16. Jahrhundert
an, nämlich einige zu Ammendorf (1474); vier vor dem Altäre zu Beefenlaub-
lingen; Cönnern 1572 handwerklich: Giebichenflein 1560; Gutenberg 1565 von
guter Arbeit; Hohenthurm Mittelfeld eines hölzernen Epitaphiums von vor-
trefflicher Reliefirung im ßefitze der Freifrau von Wuthenau auf Hohen-
thurm; Lochau 1563; Löbejün 1587; Merbitz Kinderepitaphien; Morl 1386.
Petersberg Tumba der Grafen von Wettin Nachahmungen von Bronce-
figuren in Stein nach 1505; Poplitz einige Steine im Parke des Schloffi-s:
Reideburg Ende des 16. Jahrhunderts; Trebnitz, wofelbfl auch ein Grabmal
des 17. Jahrhunderts, welches äufserll werthvoll ifl. Ein Oelbild als Epi-
taphium zu Brachwitz ifl von geringer Bedeutung, zu Dieskau ifl aber noch
ein barockes Grabmal, fotvte ein anderes der Zopfzeit beachtungs würdig.
Folgende befonderen Sculpturen dürften hier Anmerkung verdienen
das an der Siidweflecke der Zfcherbener Kirche eingemauerte Relief eine»
fchwerthaltenden Reiters ifl vielleicht vorchri (fliehen Urfprunges. Früh-
remanifeh fcheint das Tympanon der Kirchenruine zu Krofigk zu fein. Die
romanifchen Tympana zu Böllberg, Dobis, Peifsen, Petersberg Kapelle an
der Südfeite und Schlettau haben nur geringes Intereffe, dagegen find eine-
Theils die Portalausbildungen, anderen Theils aber auch die reliefirten
Sturzlleine folgender romanifcher Kirchen fehr beachtenswerth: Beefenlaub-
lingen; Nauendorf nur der Sturz einer vermauerten Thür ; Neutz ; Petersberg
nur die Gewände; Silbitz. Ein roh gearbeitetes Tympanon zu Lebendorf
gehört fchon in das Jahr 1301. Andere Sculpturen älterer Zeit find die im
Sepulcrum der Petersbergkirche gefundene Maria mit dem Kinde aus
romanischer Epoche und das Bafiliskenthier mit feinen 15 Eiern zu Neutz
(1305?) Ob das Popelmännchen am SchlofTe ,zu Poplitz eine gothifche
Sculptur ist, wie ich annehmen möchte, läfst fich nicht ficher feflflellen
Spätmittelalterlich ill die gut gearbeitete Statue des heiligen Moritz (?) am
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KUNSTGESCHICHTL1CHE UEIIKRS1CHT ZUM SAAI.KREISE.
6l I
Portale des Giebichenfteiner Gutshofes und die befchädigte Statue des .h. Nico-
laus zu Wettin. Sehr befchädigt ilt die Figur des h. Peters unter dem Stein-
reftender alten Petersbergskirche. Der kleine Crucificus der Böllberger Kirche
gehört in den Anfang der RenailTance. ein Lutherbild dafelblt in das Jahr 1657,
Beefen hat einen barocken Crucifixus mit Maria und Johannes, Brachwitz
einen kleinen RenailTancecrucifixus, Cönnern einen ebenfolchen in der Sac-
ri Bei und einen lebensgrofsen auf dem Kirchenboden, der wohl noch fpät-
gothifch fein kann, das Kanzelfigürchen ftammt aus dem 17. Jahrhundert.
In Lettin hat lieh eine hölzerne Statue des h. Wenzel erhalten, die farbig
ift, als ob fie in einem Altarfchreine ehemals Platz gehabt hätte, die Arbeit
iß gut; auch ein barocker unbedeutender Crucifixus mit Maria und Johannes
befindet fich hier. Von meifterlicher Arbeit ift der fteinerne Crucifixus an
der Nordwand des nördlichen Querfchiffes auf dum Petersberge, er gehört
höchft wahrfcheinlich in die zweite Hallte des 16. Jahrhunderts. Auch in
Trotha giebt es noch einen hölzernen Crucifixus in I.ebensgröfse aus dem
17. Jahrhundert, einen ebenfolchen zu Wettin, wo man auch noch eine Maria
mit dem Kinde lieht. Endlich erwähnen wir noch einen hölzernen Crucifixus
des 17. Jahrhunderts zu Zfcherben.
Aufser den Altarbildern finden lieh befondere Malereien in den
Kirchen zu : Nauendorf romanifche Wandgemälde im Schiff und fpätgothifche
im Chor; die Gewölbeflächen, die Gurten und Graten fowie die Confolen
und Schlufsfteine der Tempelherrenkirche zu Mücheln zeigen noch fchöne
fruhgothifche Decorationsmalereien ; in welche Zeit die unter dem Putze
erkennbare grofse F’igur an der Norwand der Kirche zu Beefenlaublingen
gehört, läfst fich nicht angeben; auffchablonirte, fpätgothifche F'lachmufter
zeigt di<? halbe Holzdecke zu Böllberg; Cönnern befitzt ein Bild des Jahres
1562 von Lucas Cranach d. J. Luther und Melanchthon in Bruftbildern dar-
(lellend ; ebendiefelben ftellen die Gemälde deffelben Meifters zu' Gutenberg
dar; endlich befindet lieh in Lettin noch das Tafelgemälde eines unbe-
kannten Meifters vom Jahre 1585, welches die Auferftehung Chrifti darrteilt
und werthvoll ift.
Vafa sacra von einiger Bedeutung dürften fein; ein Kelch des 15.
Jahrhunderts mit älterem Fufse (12. oder 13. Jahrhundert) auf dem Peters-
berge; zwei fpätgothifche Kelche zu Beefenlaublingen; ein folcher zu Mötz-
lich; ein folcher, doch (1658) reparirter zu Brachwitz; aus dem 16. Jahr-
hundert lind die Kelche zu Beefen, Dalena, Garfena (Krankenkelch), Schiepzig;
der Kelch zu DölTel ift vom Jahre 1648; der zu Dieskau von 1651; zu
Zfcherben von 1663; Grofskugel 1664; zu Schwerz 1665; Brachwitz hat 2
Kelche von 1688; Schiepzig hat eine Hoftienbüchfe von 1701; Garfena ein
Weinbehältnifs von 1741.
Schliefslich feien noch folgende intereflante Gegenftände verfefiiedener
Art erwähnt: der Stein in der Feldmark Oftrau bei Dölau, welcher zu heid-
nifchen Culturzweken gedient haben foll; eine durch Technik und Compofition
beachtenswerthe Altardecke aus Brachwitz, jetzt im Provinzialmufeum Anfang
des ib. Jahrhunderts; zu Brafchwitz im Thurme ein fchmiedeifemes Kreuz,
16. oder 17. Jahrhundert; zu Dammendorf eine fchmiedei ferne Sanduhr an der
39*
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6l 2
D1K 1 Alt I HALLF. u. <1. SAALKKI1S.
Kanzel 17. Jahrhundert; zu Dieskau ein barockes Notenpult, zu Dobis die
durchbrochene llolzarbeit des Beichtlluhles aus dem linde des 1 6. Jahr-
hunderts; die Gotteskaften zu Gimritz und Löbejün; zu Lettin eine fchmied-
eiferne Sanduhr an der Kanzel von trefflichster Arbeit des 16. Jahrhunderts,
zu Osmünde eine Agende; des 17. Jahrhunderts ; zu Schlettau ein im 16, oder
17. Jahrhundert gut verzierter Glockenwolf, fowie eine Altardecke mit
Bordüre aus dem t6. Jahrhundert; endlich das einzige (formal unbedeutende)
Weihwaflerbecken zu L’nterpeifsen (15. Jahrhundert?). Verfchiedentlich
finden lieh alte Thürbefchläge fo zu Beefenlaublingen , Krofigk, Gutenberg
(gothifch) und an anderen Orten.
Es erübrigt noch eine Glockenfchau unferes Kreifes zu geben, um
die Aufzählung der kirchlichen Gegenftände zu beendigen. Die älteften
Glocken bieten fo wenig Anhaltepunkte zu einer genaueren Altersbe-
flimmung, dafs wir die vor das Jahr 1300 fallenden zufammenfafifen wollen;
lie haben meilt keine lnfchritt und Zierrathe, zeigen eine längliche Eorm.
eine Harke Rippe und eine matte Krone oder lallen lieh durch ein anderes
Kennzeichen ältefler Zeit lieber zu weifen. Wir wollen hier die Bemerkung
einflechten, dafs gar manche Glocken unter diefer erften Rubrik in das u.
und felbfl in das 11. Jahrhundert hinaufgehen mögen, dafs wir aber noch
nicht im Stande find, für diefes höhere Alter llets Kennzeichen anzugeben.
Während die Kirchengebäude oft erneuert lind, haben die erften Glocken
fich auf unfere Tage vererbt und es läfst fielt da, wo in einer Kirche ältere
Glocken hängen als das Bauwerk ift, wenn auch nicht mit Sicherheit, fo
doch mit einiger Wahrfcheinlichkeit auf die Zeit eines früheren Kirchen-
baus des Ortes fchliefsen. Undatirte Glocken der Zeit bis 1300 find:
Beefenlaublingen 1. frührontanifch (?) 2, 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts
(Aula mea vox).
Brachwitz; Ende 13. Jh.
Büfchdorf: 1, etwa um 1200. 2, ebenfalls.
Gönnern; 13. Jh.
Dachritz: 13. Jh. (?)
Dalena: 13. Jh.
Dammendorf: 13. Jh.
Deutleben: romanifch (Saufang).
Diemitz: 1, frühgothifch. 2, ebenfalls.
Dobis: 13. Jh.
Döflel: 1, 13. Jh. 2, ebentalls.
Domnitz: 13. Jh.
Dornitz: 1, Mitte 13. Jh. 2, ebentalls.
Eismannsdorf: 1. und 2, 13. Jh. (?)
Grofskugel: 1, Anfang 13. Jh. (0.38“ Durchmelfer) 2, 13. Jh;
Görbitz: Ende 13. Jh.
Gutenberg: 1, und 2, 13. Jh.
Kirchedlau: romanifch (?)
Lettewitz: Ende 13. Jh.
Lettin: 13. Jh. (?)
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KUNSTGESCHICHTUCHR UEHERSICHT ZUM SAAIJCRE1SE. 613
Lochau: Anfang' 13. Jh.
Mitteledlau: i, und 2, 13. Jh.
Mücheln Dorfkirche: frühgothifch {oder 1780?)
Nauendorf: 13. Jh.
Niemberg: fpäteftens 13. Jh.
Rothenburg: 13. Jh. (?)
Schwerz: 13. Jh.
Spickendorf: 13. Jh.
Sylbitz: 1, 2, und 2, 13. Jh.
Zfcherben: Anfang 13. Jh.
ln das 14. Jahrhundert fetzen wir die Glocken, deren Schrift gut les-
bar ill und aus Majuskeln befiehl , die in den Mantellehm eingeritzt oder
als 'Wachsmodelle dem Hemde aufgeklebt worden find. Eine Minuskel-
fc h r i ft auf Glocken kommt im 14. Jahrhundert feiten vor und an den Glocken
des Saalkreifes in diefem Zeiträume überhaupt nicht. Durch Einritzen in
den Mantellehm entllandene Spiegelbild fehrift d. h. linksläufige Schrift ge-
hört im Saalkreife kaum noch in diefe Zeit, fondern fallt fchon in das Ende
des vorhergehenden Jahrhunderts.
Beefenlaublingen: Mitte des Jahrhunderts.
Brachwitz: Erfte Hälfte „
Gönnern: desgleichen
Deutleben: Anfang des Jahrhunderts.
Dobis: Erfte Hälfte „
Dölau: Mitte des Jahrhunderts.
Düffel : desgl.
Domnitz: desgl.
Gimritz: desgl.
Kirchedlau: 1, desgl. und 2, 14. Jahrh. (?)
Lettin: Erfte Hälfte.
Löbnitz a. d. Linde: 4. bis 5. Jahrzehnt.
Nauendorf: gegen die Mitte.
Niemberg: 1, Mitte. 2, desgl.
Plöfsnitz : Erfte Hälfte.
Rothenburg: Mitte.
Schlettau: 1, desgl. 2, desgl.
Schwerz: Mitte.
Trebitz: Mitte.
Wettin: 1, erften Jahrzehnte. 2, ebenfalls.
Wörmlitz: Erfte Hälfte.
Die an diefen Glocken des 14. Jahrhunderts wiederholt vorkommenden
Infchriften lind: (mit Varianten)
+ DV<,'I • TRAhOR • ÄVDISÜ • VO0O ■ VOS • ORÄTU • V8I1IS0 •
+ O • R0X • GL0RI8 vom • avii • päcig •
+ SIS • SHfllPOSSÄSVI I • P0R • 010 • GWAS • OfllRH ■
HaSGÄ2Ml •
Einige Male findet fich der Gloekenname (?) GLORIOSA.
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6 14
DIE STADT HALLE u. d. SAALKKE1S,
Ihrer Form (ausgebildete Krone (und Minuskelfchrift wegen gehören
in das 15. Jahrhundert:
Büfchdorf
Gimritz. (15. Jh. ?)
Lebendorf (aut dem Schulhausboden befindlich).
Lochau: Anfang des 15. Jh.
Löbejün: Hospitalkirche.
Löbnitz a. d. Linde: (15. Jh. ?)
Mücheln: in der Dorfkirche von nur 0,25“ Durchmeffer
Peifsen: (1483?)
Plöfsnitz.
Trotha.
Wallwitz.
Die nicht zu erreichende Schlagglocke zu Schwerz wird muthmaah-
lich dem 16. Jh. angehören, eine Glocke zu Seeben dem 16. oder 17. Jh
eine Glocke zu Brachwitz, die Lorenz Richter gegofTen hat. gehört in der:
Anfang des 17. Jh., eine zu Hohenthurm ist zuzuschreiben dem 17. Jh..
eine zu Mitteledlau dem 17. oder 18. Jh., zwei zu Beefedau dem 18. Jh., eine
zu Eismannsdorf dem ig. Jh. da fie von den Gebr. Ulrich, Apolda u. zu Laucha
gegolTen iß.
Eine Jahreszahl haben die Glocken der Kirchen zu:
Krosigk (Ruine): 1353 (in Majuskel-
buchftaben.)
Kaltenmark: 1400.
Rade well: 1406.
Dobis: 1414.
Beefen: 1422.
Diefkau: 1473.
Schiepzig: 1474.
Peiffen: 1483.
Beefen: 1491.
.. '497-
Brachftedt: 1, und 2, 149g.
Mötzlich: 1501.
Schwerz: 1503.
Petersberg: 1508.
Plöfsnitz: 1508.
(Ammendorf: 1511 umgegoffen.)
Döfsel: 1511.
Wörmlitz: 1511.
Dammendorf: 1518.
Giebichenftein : 1521.
Morl: 1522.
Radewell: 1526.
Untermafchwitz : 1535.
Merbitz: 1561 (?)
Lettewitz: 1584 (?)
Löbnitz a. d. Linde: 1584.
Gönnern: 1586.
Zfcherben: 1590.
Görlitz: 1602.
Priefter: 1603.
Schlettau: 1604.
Oppin: 1604.
Lettewitz: 1606.
Cönnern: 1614.
Reideburg: 1619.
j Schiepzig: 1623.
Dieskau: 1624.
' Peifsen: 1658.
Oppin: 1676.
Brachftedt: 1677.
1 Mötzlich: 1677.
Wallwitz: 1678.
Petersberg: 1679.
Wieskau : 1684.
Trebnitz: i08j.
Brafchwitz: 1686.
Merbitz: 1693.
Sennewitz : 1697. |hammer
Rothenburg: 1698 (auf dem Kupfer-
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KUNSTGESCHICHTLICHE UEBERSICHT ZUM SAALKRKISE.
6>5
Dieskau: 1099,
Nauendorf: 1828.
Kaltenmark; 1700.
Reideburg: 1828.
Sieglitz: 1701.
Hohenedlau: 1, 2 und 3, 1833.
Löbejün: 1707.
Osmünde: 1835.
Dachritz: 1708.
Löbejün: 1839.
Deutleben: 1708.
Wettin: 1840.
Döllnitz: 1708.
Lettin: 1841.
Krofigk: 1708.
Gutenberg: 1 und 2, 1842.
Radewell: 1708.
Morl: 1842.
Brafchwitz: 1709.
Canena: 1 und 2, 1843,
Dalena: 1710.
Seeben : 1853.
Trebnitz: 1722.
Döblitz: 1, 2 und 3, 1854.
Domnitz: 1731.
Hohenthurm : 1860.
Nietleben: 1738.
Priefter: 1861.
Spickendorf: 1738.
Teicha: 1, 2 und 3, 1861.
Lochau: 1741.
Hohenthurm: 1862.
Sieglitz: 1744.
Dalena: 1867.
Giebichenftein: 1747.
Sennewitz : 18(17
Osmünde: 1748.
| Döllnitz: 1870.
Reideburg: 1751.
Neutz: 1, 2 und 3, 1871.
1 Ammendorf: 1754.)
Trebitz: 1 und 2, 1873.
Wieskau: 1759.
Trotha: 1, 2 und 3, 1875.
Nietleben: 1774.
Lieskau: 1 und 2, 187O.
Osmünde: 1783.
Unterpeifsen: 1, 2, 3 und 4, 1877.
Giebichenftein: 1788.
Wörmlitz: 1879.
Grofskugel: 1800.
Döllnitz: 1881.
Untermafchwitz: 1801.
Lebendorf : 1, 2 und 3, 1881.
Bebitz: 1802.
Morl: 1882.
Garfena: 1814.
Ammendorf: 1, 2 und 3, »1883.
Dornitz: 1828.
Als Glockengiefser nennen fich: 14 22 gluwicz (?), in den erften drei
Jahrzehnten des ib. Jahrhunderts ift ein Meifter thätig , welcher fich nur
durch das Hallefche Stadtwappen kenntlich macht, namentlich indeflen nicht
bekannt ift. 1584 — 1590 Eckhard Kuecher zu Erfurt, 1O02 — 1O0Ö Lorenz
Richter in Halle, 1 603 George Wolgaft, 1Ö04 Heinrich Borllelmann, 1614 — ,tjl9
Jacob König in Erfurt, 1623 - 1624 George Dors und Hans Wetter zu Halle,
1O58 — 1677 SimonWildt in Halle, 1677 — 1701 Johan Jacob Hoffmann in Halle,
1707 — 1738 Peter Becker in Halle, 1731 Johann Chriftian Bachmann, 1741 bis
1774 Friedrich Auguft Becker, 1783 Johan Friedrich Becker, 1788 Gottlieb
Augull Becker, 1800—1835 C. G. G. Becker. 1828 F. See aus Creutzburg im
Herzogthume Weimar, 1833 Johan Heinrich Ulrich in Laucha, 1842 Fr. Meyer
in Eisleben. 1853 Leopold Eberwein in Halle, 1854 Gebrüder Ulrich in Laucha,
1860 Gotthilf Groffe in Dresden, 1867 C. A.Jauck in Leipzig.
Profanbauten von gröfserer Bedeutung hat der Saalkreis nicht auf-
zuweifen; nur das Alter macht einige Stücke merkwürdig. Die Ueberbleibfel
der Burg Giebichenftein gehen in die fpätromanifche Zeit zurück, in welche
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6l6 DIE STADT HALLE ». (i. SAALKREIS.
auch der Wartthurm (bez. Burgfried) auf Hohenthurm gehört : ob die untere
Partie des Wartthurmes zu Krofigk älter ill, läfst fich nicht ficher angeben.
Auch die Subltructionen des aus dem Winkel’fchen Schlöffe und der Burg
zu Wettin werden theihveife in die romanifche Zeit zurückgehen, aber fie
find ohne Kunßformen und daher ficher nicht zu erkennen; das 16. und
17. Jahrhundert hat über ihnen die gegenwärtigen Gebäude entliehen lallen.
Dem 16. Jahrhundert fcheint auch erd die Ringmauer des Herrenhofes zu
Krofigk anzugehören, mögen auch ältere Theile in fie mit aufgenommen
fein. Dagegen gehören die Gebäude am l'ufse des Giebichenlfein. befonder-
der Kornfpeicher und die UmfafTungsmauer, fchon in das 15. Jahrhundert.
Vielleicht noch älter find die Ueberbleibfel der UmfafTungsmauer des Tempel-
herrenhofes zu Mücheln, doch können diefelben auch erll am Ende des Mittel-
alters entflanden fein. Was fich vom Schlöffe zu Rothenburg erhalten hat,
verweifst auf das 16. Jahrhundert, desgleichen die ältefle Partie im Schlöffe
Poplitz und Trebnitz, letzteres jedoch hat Anbauten des 17. Jahrhunderts,
erlleres iß der Hauptfache nach aus dem 18. Jahrhundert. Ein Thurin des
16. oder 17. Jahrhunderts findet fich auch auf dem ehemaligen Kloßerhole
zu Domnitz. Das Herrenhaus zu Merbitz iß barock. Von ßädtifchen Bauten
iß das Halle’fche Thor zu Löbejün von 1607 in feiner unteren Partie und von
1743 in den oberen Theilen kaum nennenswerth. Das Wettiner Rathhaus
von 1GG0 mit einem Tifche von 1644 verdient dagegen etwas mehr Beachtung.
Endlich fei der Bau eines Klosters, nämlich die Ruine des Krankenhaufes
auf dem Petersberge, genannt; fie zeigt ein Mauerwerk, welches erß dem
15. Jahrhundert angehören kann.
Aufser den Namen der Glockengiefser, die wir bereits aufgezählt haben,
laßen fich nur wenige von andern Künßlern und Handwerkern anführen.
Zu Löbejün iß 1588 bei dem Thurmbau thätig gewefen alsBaumeißer Eber-
hard Schmidt von Sangerhaufen, als Maurermeißer Adam Garbe und Philipp
Schoch, als Zimmermeißer Michael Knorr, als Schieferdecker Gurth Die
Altargemälde von 1604 hat Daniel Rulefink aus Halle gemalt. Die Kanzel
hat der Bildhauer Hans Michael von Bernburg erfunden und gemeifselt.
ebenfo den Taufßein, der Maler Andreas Brachmann von Magdeburg hat
fie 1589 mit Farben ausgeßattet. Einen Kelch zu Grofskugel von 1O64 hat
Paul Chrißian Spiegel gefertigt.
s
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f
Nachtrag.*
Zu S. i. Der flavifche Name Dobregora füll nach Neueren nicht Halle,
fondern Gutenberg', vergl. S. 407. bedeuten (dobre = gut. gura — berg).
Vergl. u.A. Magd.-Ztg., Blätter für Handel etc., 1880 S. 200.
Dals die Oertlichkeit und nicht dafs alte Frankencallell zuerll den
Namen „llalla“ geführt, wurde fchon S. 4,5,4 erwähnt.
Zu S. 5. Aufser den genannten ehemaligen Kapellen fuhrt v. Drey-
haupt 1. ick j8 noch „eine kleine auf der Moritzburg über dem Thore im
I hurm befindl. Capelle“ an. welche 1O87 den Reformirten zum Gottcsdienft
eingeräumt wurde. (Nicht zu verwechfeln mit der Magdalenen- Kapelle auf
der Moritzburg. S. ,408 ff.)
Zu S. 16. Die Höhe des (lüdlichen) blauen Thurms ill tälfchlich zu
100“ angegeben. Sie foll nach Dreyh. I, 1021 „148 alte Hällifche Werek-
Elen oder 28,;-' 3 Rheinländifche Fufs,“ d. i. rund 89 betragen.
Zu S. 33. Der Halbmond in Hofmanns Wappenfchild ill wohl gleich
dem in der Helmzier belfer einfach als Anlehnung an das Hallefche Wappen
und als Ausdruck der bürgerlichen Zugehörigkeit zu Halle aufzufaflen, zu-
mal Hotmann etymologifch nicht = Mann des Tloffens. fondern = Mann
des Tlofes. Das Antlitz in dem Halbmonde hat heraldifch keine befondcre
Bedeutung, fondern kennzeichnet nur den „gebildeten Halbmond“ (d. h. den
mit einem Bild verfehenenc
Zu S. 43. In der Inlchrift über der Kanzelthür hat lieh nach Olear
Ilalygr. S. 21 noch das Wort REX befunden, wodurch die Beziehung aut
Fs. 24 (V. 9) klar wird. Danach ill auch mit dem lateinifchen (Vulgata-)
Text zu lefen: introibit.
Zu S. 90. Zeile 12 v. u. (Anmerkungen nicht eingerechnet) muls es
heifsen „von Wellen her“ llatt von Olten.
Zu S. 90. Die zweite Tnfchrift ill vermuthlieh fo zu emendiren:
octuaginta • bis • octo“ llatt octuagin • dabis • octo. Damit kommen wir
auf die Jahreszahl 1396, wodurch lieh der verfchiedene Schrittcharakter von
felblt erklärt. Die erlle Infchrift (1388) würde dann aut die Grundlleinlegung
zum Chor, die zweite (139h) auf eine Bautortfetzung („renovatus“) an dem
Chor nach mehrjähriger Unterbrechung gehen.
Zu S. 128. Die Drachlledts waren keine Künlller-, fondern eine Halle-
fche Patricierfamilie. Ihr Gefchlechtsregillor findet lieh bei Dreyh. 11, Beil.
* An tu.: Dielen Nachtrag zum I. Bande hat einer der heften Kenner Halb-Tclicr <ie*
fchichte und Ortskunde zufanimengcftclll, Herr Keinltoid Schmidt in Zörbig; für feine Mühe
fagc ich ihm hier meinen Dank.
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6l8
UIK STAUT HALLE u. J. SAALKKtla.
13, S. 30. und fowold Karl (vergl. S. 95) als Johannes oder Hans Drachfledt
kommen darin vor. Beide find offenbar nicht Baumeißer im Sinne von
„Architekten“ gewefen. fondern im Sinne der „ Bawmeiftere," welche die
„Willkür“ von 1482 (Dreyh. II, ,514) einfetzt und die wir etwa „Baudeputirte“
nennen würden. (Aehnlich Ilans Zöberitz und Hans Bruwer, S. 293, auch
wohl Koll und Glafer S: 405, Anm. 1).
Zu S, 168. Die Frage nach dem Bauanlang des alten Servitenklolters.
zu welchem die jetzige Ulrichskirche gehörte, ill nur durch einen F'ehler
bei Dreyhaupt verdunkelt. Bei Dreyh. 1, 778 findet lieh ein Document
datirt vom Pfingllabend 1329 („in deine negh'en und zwentzighelle Jare“i. .
worin es ausdrücklich heilst: . . . „Die Stätte, die Hagedorns war, da nun
unfer Kloller darauf gebaut werden füll und zu bauen begonnen ill“
Diefe Urkunde fetzt Dreyhaupt in der Ueberfchrift durch einen Datirungs-
fehler, wie er leider bei ihm ziemlich häufig vorkommt, auf den
15. Mai 1,53g llatt auf den 10. Juni 1329. (In unferem Falle iß dies fehr
leicht erklärlich, da die fragliche Urkunde mit der nächß vorhergehenden
(Dreyh. I, 777) richtig auf den 15. Mai 1339 gefetzten, diefelben Anfangs*
und Schlu Isworte hat ) Der Bauanfang fällt alfo nicht auf 1339 (was übrigens
fchon S. 108, Anm. 2 als unficher bezeichnet ill), fondern in oder kurz vor
das Jahr 1329, und der Tod Hagedorns mufs natürlich vorher erfolgt
fein. Der Bau verzögerte lieh durch den hartnäckigen Widerfpruch der
Ilallenfer, fo dafs man z. B. 1339 noch nicht wefentlich über den Anfang
hinausgekommen war. (Die ganze F’rage erfordert eine ausführlichere Dar-
legung, als fie hier möglich ill.)
Auf S. 168 ill ferner irrthümlich der „Galgenberg“ genannt; nicht
auf diefem, fondern in der Nähe des llädtifchen Galgens liefsen lieh die
Serviten vorübergehend nieder, der ßädtifche Galgen aber befand fich etwa
auf dem Terrain des jetzigen „Prinzen Karl“.
Zu S. 172. Der Dachreiter mit der „welfehen Haube,“ ill fchon vor
1665 vorhanden gewefen, wie aus älteren Abbildungen Halles hervorgeht.
Zu S. 219. Vom 28. Juni 1520 datirt der Fundations- und Dotations-
brief Albrechts für das „Neue Stift“; ob gerade auch der Bau- Anfang des
Doms, ill nicht nachweisbar. — Der 23. Augull 1523 (Einweihungstag) be-
ruht auf einen Umrechnungsfehler von Olearius. Die Infchritt (S. 239)
befagt: IX. Kal. Septem., d. i. 24. Augull. Die auf S. 241 wiedergegebene
Infchrift iß unficher.
Cardinal Albrecht verliefs (vom Hagen II, 21) Halle fchon am 2. Juli
1538, alfo 3 Jahre vor Schliefsung des Doms.
Zu S. 230. ln der Unterfchrift der Abbildung mufs es heifsen: ... im
N ebenfehiff.
Zu S. 243. Die Infchrift iß zu ergänzen: Prover. 30, 5 und 6.
Zu S. 296. Die Schlufsfrage wird man mit grofser Wahrfcheinlichkeit
bejahen können. Dreyh. I, 292 bezeugt, dafs bei der Marcusproceffion die
Stadt umfehritten und von den vier Hauptpfarrern „an allen vier Ecken"
die Anfänge der vier Evangelien gelefen wurden; eine folche Lection wird
auch an Stelle der jetzigen Betfäule llattgefunden haben und damit kann fehr
\
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KUNSIUKSCHICHTLICHL UhlltKMCH T ZUM SAAI.KKKISK. - big
gut die Errichtung der letzteren, wie der nicht mehr vorhandenen vor dem
rannifchen Thore zufammengehangen haben.
Zu S. 299. Ern II bezog die Moritzburg 1505, „Donnerstags nach Exaudi"
(Dreyh. 1, ibo), was Dreyhaupt irrthümlich in den 25 Mai umrechnet; es
war der 1. Juni. Uebrigens datirt er fchon unterm 23. Auguft 1502 eine
Urkunde von hier (Dreyh. 11, 933. 034) weshalb er lieh bereits 1502 wenigilens
vorübergehend darin aufgehalten haben mufs.
Zu S. 300, Anm. 2. Albrecht liefs (ich feine Maitreffe nicht als Leichnam
fondern lebendig unter der gotteslälterlichen Maskerade einer Reliquien-
prozeffion in die Moritzburg tragen.
Zu S. 305 u. 306. Dafs im Weltfiiigel ein grofser Saal mit einer Balken-
decke als Eufsboden oberhalb anderer Gemächer lag, geht deutlich aus der
Befchreibung des Brandes (Dr. I, 419) hervor; auch hierdurch wird alfo die
vorgetragene Anficht über den Innern Ausbau des Welltlügels bellätigt.
Zu S. 330. Zeile 6 v. u. mufs es heifsen, „vom Galgthore" ilatt Stein-
tho re. Vergl. Olear. llalygr. S. 195.
Zu S. 336. Das Geillthor ilt irrthümlich mit dem alten Ulrichsthor iden-
tificirt; beide find durchaus verfchieden.
Zu S 387. Aus Schünitz kurzer l.ebensbefchreibung bei Dreyh. II, 513
läfst fielt folgern, dafs der Kühle Brunnen um 1530 gebaut ilt.
Zu S. 406. Im Grundrifs des Thalhaufes find die Himmelsrichtungen
nicht richtig angegeben; die Iluuptfront lag nach Südoll und die andern
Seiten dementfprechend.
Zu S. 417. Zur Baugefchichte des Thalhaufes ilt nachzutragen, dafs
die ältere Partie 1758 und 1760 „von Grund aus repariret“ ilt nach der
Stiebritz'fchen Eortfetzung von Dreyhaupt, II 534.
Zu S. 43g. Eine grofse Anzahl HalleTcher Küniller, Kunlthandwerker
etc. findet fich aufgezählt bei K. E. Eörltemann. G. E. Händels Stammbaum,
Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1844, S. 7-9.
Zu S. 443 f. Der Petersburg ilt 241 m hoch. — Der Flächeninhalt des
Siialkreifes ilt 510 qkm. — Zu den Angaben über das ältere Auftreten
und die älteren Formen der Ortsnamen des Saalkreifes ilt im Allgemeinen
u bemerken, dafs ihnen- im Wefentlichen die Dreyhauptfchen Mittheilungen
zugrunde gelegt find, fo dafs manche kleine Abweichung von den Ergeb-
nifTen neuerer 1-orlchungen Vorkommen.
Zu S. 521. In dem Chronodiftichon mufs es heifsen fvlsit ftatt falsit,
wodurch fich die Jahreszahl 1O05 ergiebt.
Zu S. 554. Markgraf Conrad legte nach Dreyhaupt II 871 („in Misne
arma deposui“) die Waffen in Meifsen ab.
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Oie Neue Folge der
Beschreibenden I Erstellung
der älteren
Bau- und Kunstdenkmäler
der
Provinz Sachsen
und angrenzender Gebiete
erscheint in ein- bis zweimonatlichen Lieferungen zum Preise von
M. 1,50. Titel, Vorwort, Inhalt, Register etc. zu den einzelnen
Kreisen wie zu den einzelnen Bänden werden gratis beigegeben.
Die einzelnen Kreise, resp. Bände, werden wie bisher auch
einzeln abgegeben.
Den bisherigen Interessenten werden die bereits erschienenen
Hefte, sobald sie in Neubearbeitungen der Neuen Folge einver-
leibt werden, gratis geliefert
Halle», d. S. Otto Hendel.
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Beschreibende Darstellung
der älteren
Bau- und Kunstdenkmäler
der
Provinz Saehsen
und angrenzender Gebiete.
Herausgegeben
von der
Historisdien Commission der Provinz Sachsen.
Neue Folge. I. Band.
Die Stadt Halle und der Saalkreis
bearbeitet von
Gustav Schönermark,
Architekt.
II. Lieferung.
Preis 1,50 Mark.
Halle ,. d. S.
Verlag von Otto Hendel.
1884.
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